LEHRBUCir
West Virginia University Libraries
DEK'
3 0802 102292894 2
PRAKTISCHEN AUGENHEILKUNDE.
VON
D^ KAE,L[STELLWA& VOI CARIOI
O. Ö. PROFESSOR DKlt AL'GKNHEILKUNDK AN DEK K. K. ÜNIVEKSITÄT WIEN.
FÜNFTE AUFLAGE.
MIT 3 OHROMOLITHOGRAPHIBTEN TAFELN UND 109 HOLZSCHNITTEN.
WIEN, 1882.
W I L H E L ]\I B R A U M Ü L L E R
K. K. HOF- UND UNIVERSITATSr.UCHHÄNriLER,
^
Medicinische Lehr- und Handbücher
aus dem Verlage von
Wilhelm BraumüUer, k. k. Hof- uiul Uiiiversitills-ßurJiIiiindler in "Wien.
Von demselben Verfasser :
Abhandlungen aus dem Gebiete der praktischen Augenheilkunde.
Ergänzungen zum Lelirbuclie. Unter Mitwirkung der Herren Prof. Dr.
K. Wedl und Dr. E. Hampel. Mit 22 Holzschnitten, gr. 8. 1882.
5 /. — 10 M.
Der intraoculare Druck und die Innervations- Verhältnisse der Iris
vom augenürztliclien Standpunkte aus betrachtet, gr. 8. 1868.
1 /. — 2 ilf.
Allbert, Dr. Ed., o. ö. Professor der Chirurgie und Vorstand der chirur-
gischen Klinik an der k. k. Universität in Wien. Diagnostik der
chirurgischen Krankheiten in zwanzig Vorlesungen. Zweite ver-
besserte Auflage. Mit 46 Holzschnitten, gr. 8. 1882. 'd fl. 50 kr. — IM.
Alit, Dr. Ferd. Ritter TOn, o. ö. Professor der Augenheilkunde in
Wien. Klinische Darstellung der Krankheiten des Auges, zunächst
der Binde-, Hörn- und Lederhaut, dann der Iris und des Ciliarkörpers.
Mit einer xylographirten Tafel, gr. 8. 1881. B fl. — 6 ilf.
Braun, Ritter YOII Feriiwald, Dr. Carl, wirkl. Hofrath, o. ö. Uni-
versitäts-Professor und Vorstand der ersten ärztlichen Klinik für Geburts-
kunde und Frauenkrankheiten in Wien. Lehrbuch der gesammten
Gynaekologie. Zweite gänzlich umgearbeitete und wesentlich ver-
vollständigte Auflage, gr. 8. 1881. 10 /. — 20 M.
Brücke, Dr. Ernst, k. k. Hofrath und 0. ö. Professor an der Universität
in Wien. Vorlesungen über Physiologie. Unter dessen Aufsicht nach
stenographischen Aufzeichnungen herausgegeben. Zwei Bände. (I. Band
dritte Auflage. IL Band zweite Auflage.) Mit 180 Holzschnitten,
gr. 8. 1876. 1881. ' 12 /. 50 kr. — 25 M.
Fick, Dr. Adolf, o. ö. Professor der Physiologie an der Universität
in Würzburg. Compendium der Physiologie des Menschen nebst
einer Darstellung der Entwiekelungsgeschichte von Dr. Ph. St Öhr,
Prosector in Würzburg. Dritte gänzlich neu bearbeitete Auflage. Mit
vielen Holzschnitten, gr. 8. (Unter der Presse.)
Heitznianil, Dr. C. Die descriptive und topographische Anatomie
des Menschen in 600 xylographischen Abbildungen. Zweite Auf-
lage. Zwei Bände oder sechs Lieferungen, gr. 8. 1875. 15/. — 30 M.
In einen Band in Leinwand gebunden: 16/. — 32 M.
— — Compendium. der Chirurgie. Zwei Bände. Mit 46 7 Holz-
schnitten, gr. 8. 13 /. 50 kr. — 27 M.
I. Band: Compendinm der chirurgischen Pathologie und Therapie.
Fünfte Auflage. Mit 102 Holzschnitten. 1881. <3 /. — 12 M.
II. „ Compendium der chirurgischen Instrumenten-, Verband-
und Operationslehre. Zweite Auflage. Mit 365 Holzsclmitten.
1878. 7 /. 50 kr. — 15 M.
LEHRBUCH
DER
PRAKTISCHEN AUGENHEILKUNDE
VUN
D^ K ARl/sTELLWAG VON CARION
O. Ö. PROFESSOR DER AUGKNHEILKUNUK AN DER K. K. UNIVERSITÄT WIEN.
FÜNFTE AUFLAGE.
MIT 3 CHKUMOLITHOGKAPHIKTEN TAFKLN UND 1U9 HOLZSCHNITTEN.
WIEN, 18^.
WILHELM BRAUMÜLLEK
K. K. HOF- UND UNIVERSITÄTSBUCHHÄNDLEK.
MAR 10 1970 f/r^
WEST VIRGINIA UNIVERSITY
WlEDICAt CENTER LIBRARY
CLC4^
f
LOCKED CAGE: CIRCUUTE IN LIBRARY ONLY l
.=.,^ DC NOT vuuAiu
^''i^A
1882
VORWORT
zur vierten A n f 1 a j? e.
1 /er geneigte Leser rindet in der vorliegenden vierten Auflage
meines Lehrbuches eine wesentliche Umgestaltung zahlreicher Al)-
schnitte, insbesondere eine gründliche Umarbeitung der Lehre von
den Refractionsfehlern und vom Schielen. Ich hoflfc damit manchen
Anstoss zur gedeihlichen Fortentwickelung der Augenheilkunde ge-
geben zu haben.
Bei der Anführung von (Quellen wurden dieselben Grundsätze
festgehalten wie in der dritten Auflage. Es war mir weniger darum
zu thun, den wahren oder angemassten Prioritätsansprüchen einzelner
Autoren Rechnung zu tragen, als vielmehr auf die neuzeitigen Ar-
beiten hinzuweisen , in welclien der Forscher sich über einzelne
Punkte des Näheren zu unterrichten hoffen darf. Ohne Zweifel ist
mir manches Werthvolle entgangen, was der Einsichtige entschul-
digen wird, ohne dass icli die Gründe auseinandersetze. Li Betretf
der Citatlücken, welche das Capitel über die Functionsstiirungen
der Muskeln enthält, muss ich übrigens bemerken, dass die Aufnahme
alles dessen, was in dieser Richtung veröffentlicht worden ist, nicht
möglich schien, ohne den Gegenstand übermässig zu compliciren und
das Verständniss zu erschweren, indem die einschlägigen Arbeiten
grösstentheils auf ganz heterogenen Grundlagen fassen und sich
darum nicht leicht in die neue Lehre einfügen lassen.
Ö(
I
.8
lY Voi'wort.
Die Holzschnitte, welche krankhafte Verhältnisse bildlieh dar-
stellen, sind durchwegs nach der Natur gezeichneten Originalen ent-
nommen. Dasselbe gilt für den allergrössten Theil der chromolitho-
graphischen Figuren. Einzelne der letzteren sind der Raumersparniss
halber aus mehi*eren Originalzeichnungen combinirt.
Wien, im Juh 1870.
Stellwag.
Systematisches Inhalts -Verzeichniss.
ERSTES HAUPTSTÜCK.
Die Entzündung und ihre Folgen S. 1.
Seite
Allgemeines iibei' die Behandlung der Augen entzüii dun gen 1
1. Abschnitt. Entzündimg der Hornhaut 53
1. Keratitis vasculosa 63
2. Herpes corneae 67
3. K. punctata und Hydvomeningitis 78
4. K. diffusa oder parenchymatosa 79
5. K. suppurativa 82
Folgezustände der Keratitis.
1. Pannus 109
2. Hornhautflecke und Narben 116
3. Ectasien oder Staphyloine 132
a. Hornhautstaphylom 132
b. Narbiges Hornhautstaphylom 140
c. Narbenstaphylom 142
2. Abschnitt. Entzündungen des Glaskörpers 153
3. Abschnitt. Entzündung des Sehnei-ven 166
4. Abschnitt. Entzündung der Netzhaut 177
1. Neurodictyitis difl'usa . 193
2. Neurodictyitis exsudativa 206
3. Neurodictyitis uephritica 212
Netzhautabhebung 216
Schwund der Netzhaut und des Sehnerven, Amaurosis, Amblyopie. 227
Pigmententartung, typische, der Netzhaut 267
5. Abschnitt. Entzündung der Regenbogenhaut 270
Künstliche Pupillenbildung iind Verlagerung 294
6. Abschnitt. Entzündung der Aderhaut und des Strahlenkörpers 370
l<v Iridokvklitis, Iridochorioiditis 325
2/ Glaucom 341
3. Chorioiditis suppurativa 366
7. Abschnitt. Entzündung der Lederhaut 377
Scleralstaphylome 381
1. Sclerochorioidalstaphylome 382
a. Totales Sclerochorioidalstaphylom 382
b. Partielles Sclerochorioidalstaphylom 384
2. Staphyloma scleroticae posticum Scarpae 393
8. Abschnitt. Entzündung der Bindehaut 404
1. Katarrh 416
2. Syndesmitis membranosa 423
3. Blennorrhoe und Pyorrhoe 427
4. Ophthalmoblennorrhoea infantum 440
5. Diphtheritis 445
6. Trachom oder Ophthalmia granulosa 451
7. Herpes conjunctivae . . . 469
Folgezustände der Bindehautentzündungen 472
1. Flügelfell 472
2. Xerosis 478
VI Inlialts-Yerzeichniss.
Seite
9. Ahschnitt. Entzündung der Lider 480
1. Lidabscess 491
2. Acne ciliaris 494
3. Blejibaritis ciliaris 496
4. Blepharitis tarsalis oder Hordeolum 504
F olgeziis tau de der Blepharitis 511
1. Ankyloblepharon und Blei^harophimose 511
2. Symblepharon 513
3. Distichiasis und Trichiasis 518
4. Entropium 527
5. Ektropium 534
10. Ahschnitt. Entzündung der Thr'dnenorgane 547
1. Phlegmonöse Thräueuschlauchentzüudung 557
2. Thräneuschlauchbleniiorrhoe 561
11. Ahschnitt. Entzündung der Orhitalgebilde 577
1. Basedow'sche Krankheit 584
2. Augenhöhlenabscess 590
3. Caries und Necrosis der Orbitalknochenwandungen 597
ZWEITES HAUPTSTÜCK.
Die krankhaften Geschwülste S. 602.
1. Die extraoculären Geschwülste 640
2. Die iutraoculären Geschwülste 647
Die Enucleatio bulbi 653
Die Einlegung künstlicher Augen 656
DRITTES HAUPTSTÜCK.
Der graue Staar S. G59.
1. Discissio cataractae 737
2. Lineare Extraction 739
3. Lappenextraction 742
4. Extraction mit dem peripheren Linearschnitte 748
VIERTES HAUPTSTÜCK.
Functionsfehler S. 755.
/. Abschnitt. Refractions- und Accommodationsfehler 755
1. Kurzsichtigkeit 781
2. Uebersichtigkeit 801
3. Abnormer Astigmatismus 815
4. Asthenopia accommodativa 827
5. Accommodationsparesen 831
6. Mydriasis 834
7. Accommodationskrämpfe 838
8. Myosis 840
2. Ahschnitt. Entoptische Erscheinungen, Scotome 842
3. Abschnitt. Functionsstörungen des UclUempfindenden Apparates 847
Hemeralopie 858
4. Abschnitt. Functionsstörungen der Augenmuskeln 863
1. Strabismus couvergens 889
2. Strabismus divergens 921
3. Nystagmus 932
4. Lähmungen 935
Alphabetisches Register 950
Kurze Erklärung der Tafeln 959
BESTES HATJPTSTÜCK.
Die Entzündung und ihre Folgen.
Allgemeines über die Belianclluiig- der Augenentzünduiigeii.
Die Behandlung: hat im Wesentlichen die Aufgabe, die Ernährungs-
möglichkeiten des entzündeten Theiles thunlichst günstig zu gestalten, um
den Ausgleich der vorhandenen Nutritionsstörung zu erleichtern. Um diese
Aufgabe gehörig würdigen zu können, ist es nothwendig, sich vorerst über
die Kreislaufs- und Innervationsverhältnisse des Auges zu verständigen.
Was die Circulationsverhältnisse betrifft, so ist sehr wohl zu beachten,
dass der Blutlauf im Inneren des Auges andere Bedingungen vorfindet, als
in den zu- und abführenden scleralen und orbitalen Gefässen sammt deren
Stämmen bis zum Herzen.
Im Binnenraume des Auges macht sich neben den allgemeinen Strö-
mungswiderständen noch der Umstand geltend, dass die gef äs sführ enden Or-
gane, Uvea und Netzhaut , fl'dchenartig zwischen die dioptrischen Binnen-
medien und die Bulbuskapsel eingeschaltet sind. Die dioxjtrisclien Binnen-
medien sind vermöge des überaus geringen Procentes, welches sie an festen
Bestandtheilen führen, als nahezu unzusammendrückhar zu erachten. Die
Bidhuskapsel aber ist in einem gewissen Grade elastisch dehnJiar, und zwar
muss diese Eigenschaft auf Grund schlagender Versuche (Mayrhofer) der
Siebmembran sogar in einem ziemlich reichen Masse zuerkannt werden.
Entsprechend diesen Verhältnissen wird der Seitendruck des im Inneren des
Auges kreisenden Blutes , soweit ihn nicht die elastisch contractilen Ge-
fässwände neutralisiren, sich auf die Bulbuskapsel überpflanzen und diese
spannen, bis deren elastischer Gegendruck dem effectiven Seitendrucke des
Blutes das Gleichgewicht hält.
Der effective Seitendruck oder die spannende Kraft, auf eine Mass-
einheit der inneren Kapselfläche berechnet, heisst nun intraocularer oder
Binnendruck. Derselbe kommt in der fühlbaren Bulbushärte zur objectiven
Wahrnehmung, ohne dass jedoch beide gleichbedeutend wären oder auch
nur in einem coustanten Verhältnisse zu einander stünden. Die fühlbare
Bulbushärte ist eben der Ausdruck für den Widerstand, welchen die Bulbus-
kapsel im Zustande der Spannung einer tveiteren Dehnung entgegenstellt.
Dieser Widerstand hängt aber offenbar nicht blos von dem Grade der be-
reits vorhandenen Spannung, also nicht blos von der spannenden Kraft,
Stellwag, Augenheilkunde. 1
2 üaemostatisclie Verhältnisse: Tonometer: Blutdruck.
sondern auch von dem Masse der elastischen Dehnbarkeit, also von zwei
ganz verschiedenen Momenten ab, deren jedes für sich von der 2s"orm ab-
weichen kann.
So kommt es z. B. recht oft vor, dass das Mass der elastischen Dehnbarkeit
der Bulbuskapsel auf ein sehr kleines herabsinkt, fast XuU wird nnd dem ent-
sprechend der "Widerstand ganz ausserordentlich steigt, der Augapfel sich so hart
wie Holz oder Bein anfühlt, obgleich der effective Seitendruck im Binnenstrom-
gebiete absolut nur ein kleiner sein kann.
Man sieht daraus, dass die sogenannten Tonometer oder Ophthalmotonometer
ganz unbrauchbar sind, um den intraomJaren Druck zu messen. Sie liefern nur
Werthe für den Widerstand, welchen die Bulbusoberfläche einer drückenden Feder
(Der, MonnikJ oder einer Quecksilbersäule entgegenstellt, also Werthe für eine
Grösse, welche vom intraocularen Drucke und von der elastischen Dehnbarkeit der
Kapsel abhängt, ausserdem aber auch noch sehr bedei;tend von dem Contractions-
zustande der äusseren Augenmuskeln , den Circulationsverhältnissen in der Orbita
u. s. w. modificirt wird, und bei der Schwierigkeit einer ganz gleichen Application
nicht einmal einen richtigen Vergleich der Ergebnisse an beiden Augen desselben
Individuums ermöglicht.
Wird das Gleichgewicht zwischen dem Binnendrucke und dem ela-
stischen Gegendrücke der Bulbuskapsel durch eine Zunahme des arteriellen Blut-
druckes gestört, so muss offenbar die Spannung der Kapsel und damit auch
der elastische Gegendruck derselben vermehrt werden. Da der letztere nun
das ganze auf unzusammendrückbarer Unterlage ruhende Binnenstromgebiet
gleichmässig trifft, so wird der arterielle Strom fernerhin schon bei seinem
Eintritte in den Binnenraum vermehrte Widerstände finden und geschwächt
werden, während das venöse Blut mit Beschleunigung aus dem Inneren des
Auges ausgetrieben wird. Erfolgt die Gleichgewichtsstörung liingegen durch
eine Verminderung des arteriellen Blutdruckes , so muss die Spannung und
damit der elastische Gegendruck der Kapsel sinken. Der arterielle Strom
wird dann bei seinem Eintritte in den Binnenraum auf geringere Widerstände
stossen , und daselbst mit einer grösseren Quote der vom Herzen über-
kommenen Ki-aft auf die Gefässwände diiicken , wälu-end anderseits der
Venenstrom wegen der Schwächung eines wesentlichen treibenden Factors,
nämlich des von den Arterien durch die CapiUaren fortgepflanzten Herz-
druckes, verlangsamt werden muss.
Der intraoculare Druck kann nach allem dem mit dem arteriellen
Blutdrücke nicht proportional, sondern nur in einem viel geringeren Ver-
hältnisse steigen und fallen. Da nun die effective Kj-aft des Herzens im
Ganzen eine bescliränkte ist und daher auch der allgemeine Blutdruck nur
innerhalb enger Grenzen steigerbar erscheint, besonders an der Peripherie
des Gefösssystems, nach Ueberwindung so vieler Widerstände : so muss man
annehmen , dass der intraoculare Druck durch blosse Vergrösserung des all-
gemeinen Blutdruckes nur wenig, wenn überhaupt erhöht werden könne. Die
Erfahi'ung bestätigt dieses, rechtfertigt aber auch zugleich die correlative
Vermuthung, dass umgekehrt blosse Verminderung des arteriellen Blutdritckes
kaum eine merkliche Abnahme des intraocularen Druckes nach sich zu ziehen
vermöge.
Wirklich lassen sich durch die dermalen zu Gebot stehenden Mittel Unter-
schiede in der durchschnittlichen Spannung des Bulbus nicht erweisen, wenn man
die Augen ausgesprochener Plethoriker und solcher Kranken, deren Radialptils unter
stürmischer Herzthätigkeit äusserst voll und kräftig ist, vergleicht mit den Augen
hochgradig anämischer Individuen oder an Cholera schwer darnieder liegender
(Graefe) und anderer, selbst der Agonie naher Kranken, deren Radialpuls bei
grosser Herzschwäche kaum fühlbar, fadenförmig und leicht zusammendrückbar
Biunenpuls; intraoculäro Blutmenge ; Equilibrirung der Qefässfüllung. 3
ist. Die Kapselspannung sinkt eben erst merklich im Momente des Sterhena, wo die
sichtbaren Binnengefässe sich entleeren und der Augengrund erblasst (Bouchut,
Hippel, Grünhagen).
Mit der Stetigkeit des intraocularen Druckes innig verkettet und
Wirkungen desselben regulatorischen Momentes sind die Kleinheit der Binnen-
pulsschwanJcimgen nnd eine gewisse Constanz der jeweilig im Inneren des Bul-
bus kreisenden Blutmenge, welche jedoch ungleiche Verthcihmgen nicht aus-
schliesst, sondern nur das thatsächlich besiehende Vermögen voraussetzt,
örtliche Ueberfüllungen durch gleichwerthige Entleerungen anderer Binnen-
stromgebiete auszugleichen (Memorski).
Die Pulsschwanklingen sind in der That viel kleiner, als dem Caliber der
sichtbaren Binnengefässstämme entspricht. Sie kommen übrigens nur an den star-
ken Netzhau/venenstämmen und zwar unter Benützung bedeutender ojibthalmoscopi-
scher Vergrösserungen zur Wahrnehmung (Donders). An den Arterien lassen sie
sich unter normalen Verhältnissen objectiv nicht nachweisen und suhjectiv ist die
arterielle Strömung in der entoptischen Aderhautfigur entweder ganz gJeichmässig
befunden worden (Vierordt, Laihlin), oder man hat unter Umständen eine geringe
der Herzsystole isochrone Beschleunigung zu erkennen vermocht (Berthold, Pope,
Hiptpel, G-rünhagen).
Für die Stetigkeit der intraocularen Blutmenge sprechen die Ergebnisse einer
Reihe 2^f']/-^iologischer Versuche an Thieren , bei welchen man durch Abschnürung
der am Halse streichenden Hauptgefässstämme zeitweilig die Blutströmung zum
oder vom Kopfe theilweise oder ganz unterbrochen hatte (Kussmaul, Memorski,
Trautvetter, Weber). Dazu kömmt, dass erfahrungsmässig selbst höchstgradige actlve
oder passive Hyperämien der orbitalen Nachbargebilde nicht nothwendig einen
merkbaren Einfluss auf die Totalfüllung der Binnengefässe und auf die Färbung
des Augengrundes ausüben und dass die Gerichtsärzte bei ErlUingten wohl eine
UeberfüUung der scleralen und orbitalen Gefässe, niemals aber auch des intraocu-
laren Stromgebietes angemerkt haben (Memorski).
Das Ecßtilibrirungsvermögen der Binnengefässe spricht sich am deutlichsten
in der Netzhaut aus, indem daselbst krankhafte Erweiterungen der Venen in der
Regel an merkliche Verengerungen der Arterien und diese an jene gebunden sind.
Es besteht aber auch in der Uvea, wie die das Spiel der Pupille gesetzmässig be-
gleitenden Volumswechsel der Ciliarfortsätze (0. Becker) entnehmen lassen. Er-
wägt man ferner, dass ischämische Zustände der Netzhaut immer mit unverhlasster
Augengrundfäi-bung einhergehen und dass bei der sogenannten Embolia arteriae
centralis die nahezu völlige Entleerung der sichtbaren Netzhautarterien stets au
eine tiefe Röthung in der Gegend des gelben Fleckes irnd öfters auch an Ader-
haidhhdungen (Ma.uthner) geknüpft ist : so erscheint die Vermuthung gerechtfertigt,
dass unter dem regulatorischen Einflüsse der Bulbuskapsel auch Füllungsanomalien
des gesammten retinalen Stromgebietes durch gegensätzliclie Zustände der uvealen Ge-
fässnetze compensirt werden können. Berücksichtigt man, dass die Iris und Cho-
rioidea weitaus überwiegend aus Gefässen bestehen, deren Gesammtlumen jenes
der Netzliautgefässe um ein Mehrfaches übertrifft : so erscheint eine derartige Aus-
gleichung des Blutgehaltes sogar überaus leicht und ohne auffällige Caliberäuderung
der Uvealgefässe möglich, und es liegt nahe anzunehmen, dass der eigenthümliche
Bau der Aderhaut gerade die Leichtigkeit solcher Ausgleiche bezwecke.
Der regidatorische Einßuss der elastischen Bulbuskapsel ivird unwirk-
sam, rvenn der venöse Abfluss aus dem Binnenstromgebiete erschwert oder
gar gehindert ist. Es steigen dann der intraoculare Druck und die im
Inneren des Auges kreisende Bhitmenge, während an den grossen Binnen-
gefässstämmen excursivere Pulsschwankungen auftreten. Doch genügen laut
ph5'siologischen Experimenten (Memorski) und praktischen Erfahrungen
Stauungen in den orbitalen Venen und in deren Stämmen nicht, um so
beträchtliche Störungen im Binnenstromgebiete zu begründen; es muss
vielmehr die Stauungsursache unmittelbar an den Durchlassöffnungen der
Sclera wirken.
1*
4 Haemostatische Verhältnisse; Blutstauung; Elasticitätsveilust der Kapsel.
Es kömmt hier in Betracht, dass die extraocularen Venenstämme sehr dünn-
wandig sind, in sehr nachgiebigen lockeren Geweben nnd grnssten Theiles sehr
oberfläclilich streichen, also einem sehr g-eringen litisseren Drucke atisgesetzt sind,
überdies aber in ihrem Gesammtlumen das venöse Binnenstromgebiet weitaus über-
treften. Sie werden darum der Aufnahme der verhältnissmässig sehr dünnen Ströme
bulhären Venenblutes um so weniger einen irgendwie ins Gewicht fallenden Wider-
stand entgegensetzen können, als diese Ströme unter dem mächtigen elastischen
Gegendrucke der Bulbuskapsel nach aussen gefördert werden.
Wirkt die Stauungsursache aber unmittelbar an den Emissarien der Sclero-
tica, so wird der frühere Gleichgewichtszustand zwischen dem Seitendrucke des
Blutes und dem elastischen Gegendrucke der Kapsel nur dann aufrecht erhalten
werden können, wenn in den noch frei gehliehenen Venenstämmen eine enfsxjrecliende
Beschleunigung des Blutstromes Platz greifen kann. Im gegentheiligen Falle muss
sich alsbald ein Missverhältniss zwischen dem Zu- und Abflüsse des Blutes ergeben,
die intraoculare Blutmenge und der Binnendruck steigen, und dies zwar unter sonst
gleichen Umständen um so mehr, je grösser der arterielle Blutdruck und je grösser
die Siimine der venösen Widerstände ist. Der Gleichgewichtszustand wird also
verrückt^ die Spannung der Kapsel tand deren Gegendruck vermehrt; folglich müssen
die noch freigebliebenen Venenstämme, besonders die den Emissarien nahen Stamra-
theile, bei jeder anrückenden arteriellen Blutwelle sich rascher und vollständiger
entleeren, als sonsten, demnach excursivere Pidsschwankmigen zeigen. In dem Masse
aber, als die partielle Beschleunigung des venösen Rückflusses unzureichend wird,
die sie bedingenden rhythmischen Steigerungen des arteriellen Seitendruckes aus-
zugleichen, die Widerstände des arteriellen Blutzuflusses also wachsen, muss der
Puls auch an den Schlagadersfämmen deutlicher und deutlicher hervortreten.
Der regulatorische Einfliiss der Bulbuskapsel wird feruer herabge-
setzt durch Verminderung ihrer elastischen Dehnharheit, wie selbe an vorge-
schrittene senile Involution des Auges geknüpft zu sein pflegt , aber aiich
als ein habitueller Zustand bei manchen Individuen und selbst bei ganzen
Familien beobachtet wird. Einerseits setzt eine starre Kapsel nämlich der
Erweiterung der venösen Durchlässe grössere Widerstände entgegen und
erschwert so den Ausgleich, wenn irgendwie veranlasste Steigei'ungen des
arteriellen Blutzuflusses einen beschleunigten und vermehrten Abfluss ve-
nösen Blutes fordern. Andererseits kömmt in Ileclmung, dass die regula-
torische Wirkung der Bulbuskapsel sich nur so weit zur Geltung bringen
kann , als eine gewisse Quote elastischer Dehnbarkeit verfügbar bleibt.
Diese Quote wird aber offenbar bei gleicher Spannung mit der Rigidität
der Kapsel , und bei gleicher elastischer Dehnbarkeit mit der Höhe der
vorhandenen Spannung im umgelcehrten Verhältnisse steigen und fallen. Ist
die elastische Dehnbarkeit der Kapsel von vorn herein Null oder wurde
sie durch Spannung völlig erschöjift, so wird natürlich auch der regula-
torische Einfluss gänzlich aufgehoben sein und die Kapsel sich so verhalten,
wie eine starre Wand.
Es ist dabei selbstverständlich ganz gleichgiltig, ob der vorhandene Grad
der Spannung lediglich durch den intraocularcn Druck bedingt ist, oder durch
einen äusseren auf den Bulbus wirkenden Druck , da dieser durch die incompres-
siblen Binnenmedien eben auch auf die Innenwand der Kapsel übertragen wird.
In Uebereinstimmung damit lassen sich durch einen auf den Augapfel ausgeübten
Fingerdruck wirklich sehr cxcursive Pulsschwankungen an den retinalen Gefäss-
stämmen hervorrufen (Graefe, Donders), ixnd zwar um so leichter und sicherer, je
starrer die Kapsel ttnd je höher der bereits vorhandene Grad der Spannung ist.
Der regulatorische Einfluss der Bulbuskapsel ist übrigens in hohem
Grade abhängig von Verhältnissen , welche die En- und Exosmose sowie
die Filtration im Auge vorfindet.
Er muss wesentlich unterstützt werden, wenn im Bulbus wie ander-
wärts jede abnorme Steigerung des Druckes , unter welchem die Theile
Söcrclion uiul Filtration; tMiiduss i1ur,st'Iljmi auf dun Binnendruck. Q
stehen, eine vcvirn'hrit^ Abfuhr^ jo(l(>s abnorme Sinken des Druckes hinj>;e2,'en
eine vermehrte AOlayerimy von Stoffen im Gefolge hat. In einem sokilien
Falle kann nämlich offenbar der intraoculare Druck niemals in dem Masse
steigen und fallen, als der Zu- oder Abnahme des Seitendruckes in den
Binnengefässen und der Summe der venösen Stromwiderstände entspräche ;
die Schwankungen des intraocularen Druckes müssen stets liinter diesem
Masse zurückbleiben tind unter günstigen Umständen sogar völlig ausge-
glichen werden können. Wirklicli lässt sich das Walten solcher corapen-
satorischer Strömungen und auch ein beträchtliches Leistungsvermögen der-
selben am normalen Auge durch einen einfachen Versuch ausser allen
Zweifel stellen. Wird ein einigermassen kräftiger Druck auch nur kurze
Zeit auf den Bulbus ausgeübt, so vermindern sich die dioptrischen Binnen-
medien rasch um ein Gewisses ; der Verlust ersetzt sich indessen eben so
schnell wieder, nachdem der Druck aufgehoben wnrde (Donders). Was
aber ein äusserer Druck vermag, das leistet sicherlich auch der Gegendruck
einer von Innen her abnorm hoch gespannten Kapsel , obgleich das Re-
sultat den geänderten Verhältnissen gemäss in seinen Einzelnheiten manche
Abweichungen dai'bieten muss. In der That zeigt sich bei krankhaften,
dixrch Venenstauungen bedingten Steigerungen des intraocularen Druckes
in der Regel schon sehr frühzeitig eine merkliche Ahnahme des Humor
aqueus neben einer äquivalenten Zunahme des Glaskörper umfang es. Es treten
sich hier eben der auf den dioptrischen Binnenmedien lastende erhöhte
Kapseldriick imd der durch die Venenstauung gesteigei'te Seitendruck des
Blutes mit ihren bezüglichen Wirkungen theilweise entgegen. Sind nämlich
Analogieschlüsse gestattet, so muss der erhöhte Kapseldri(,ck zu einer Ver-
mehrung der Resorption und namentlich zu einer \^erstärkung der Trans-
fusion durch die Cornea , also zu einer Verminderung des Kammer wass er s
führen ; der gesteigerte Seitendruck des Blutes aber muss die Filtration,
besonders im Bereiche der mit Gefässen weitaus am reichlichsten ver-
sehenen Aderhaut, potenziren und damit eine Vergrösserung des Glaskörper-
umfanges veranlassen.
Es bedarf nach allem dem nicht der Annahme einer besonderen Secretions-
anomalie oder gar einer eigenthiinilichen Erlcrankung- bestimmter, die Secretion be-
lierrschender Nerven (Donders, Wegner, Hippel, GrünhagenJ, um jene Erscheinungen
zu erklären. Eine solche Hypothese könnte übrigens um so weniger befriedigen,
als sie ganz entgegengesetzte Innervationszustände in der vorderen und hinteren
Bulbushält'te voraussetzen und damit den anatomischen Verhältnissen der Ciliar-
nerven einigermassen Gewalt anthun müsste. Insolange daher die noch sehr ver-
worrenen und zum Theile tcidersprechenden Ergebnisse physiologischer Experimente
(Wegner, Cl. Bernard, Donders, Adamük, Hippel, Grünhagen) keine besseren Stütz-
punkte für die Beurtheilung der Secretionsvorgänge im Binnenraume liefern, thut
man jedenfalls besser, sicli an eine einfachere Erklärung zu halten, die Ver-
mehrung der Vitrina, sowie die Verminderung der Kammerfeuchtigkeit auf ganz
analoge Vorgänge, nämlich auf gesteigerte Filtration aus den Gefässen und auf
verstärkte Transfusion durch die Hornhaut zurückzitführen und beide aus den ob-
waltenden Druckverhältnissen abzuleiten.
Der regulatorische Einfluss der Bulbuskapsel kann endlich durch ab-
norme Verhältnisse der Filtration und Osmose beschränkf oder gar völlig
aufgehoben werden. Vom praktischen Standpunkte kommen in dieser Be-
ziehung blos Abweichungen in Betracht, welche eine Verminderung der
dioptrischen Medien anbahnen und damit die Resistenz des Augapfels
vöUig vernichten können, so dass derselbe sich ganz weich und welk aU"
6 Haemostatische Verhältnisse; Verminderung der Binnenmedien; Secretionsnenrose.
fühlt oder die Cornea wohl gar runzelig wird. Man hat einen solchen
Zustand bei scheinbar völliger Integrität der einzelnen Bulbusorgane bald
als ein periodisches, paroxismenartig auftretendes und mit neuralgischen
Anfällen im Gebiete des Trigeminus verknüpftes (GraefeJ, bald als ein
stetig zu- und abnehmendes (Nagd) Leiden beobachtet und auf eine Art von
Secretionsnenrose bezogen. In der Regel jedoch begleitet er tief in die Er-
nährungsverhältnisse des Bulbus eingreifende manifeste Krankheitsprocesse
(Raleigh) und ist eines der hervorstechendsten Merkmale des beginnenden
i;nd fortschreitenden Augapfelschwundes.
Man glaubt noch vielseitig, dass Steigerungen des intraocularen Druckes,
folgerecht also auch alinorme Spannungen und damit begründete Beschränkungen
der regulatorischen Wirkung der Kapsel, lediglich durch eine Vermehrung der diop-
frischen Binnenmedieii veranlasst werden können. Abgesehen jedoch von den wider-
streitenden Ergebnissen physiologischer Versuche (Griinhagen, Memorski, Adamük,
Hippel) lässt sich dagegen einwenden, dass bei normalen Circulationsverhält-
nissen die Quelle der ' Secretion sich immer frühzeitig selber stopfen müsste, in-
soferne nämlich mit der Massenzunahme der Binnenmedien die Widerstände des
arteiiellen Blutzuflusses und die Abfuhr venösen Blutes wachsen würde. Es wird
damit selbstverständlich die Möglichkeit erheblicher Vermehrungen der dioptrischen
Binnenmedien nicht geläugnet. Diese kommen thatsächlich vor, wo die Räumlichkeit
der Bulbushöhle durch Ectasien welcher Art immer zugenommen hat. Sie sind aber
dann nicht sowohl die Ursache als vielmehr die Folge der Kapseldehnung und das
Mittel, durcli welches sich der Seitendruck des in beschränkt erweiterbaren Gefässeu
strömenden Blutes mit dem elastischen Gegendrucke der Kapsel wieder ins Gleich-
gewicht zu setzen vermag.
Hat die Masse der dioptrischen Binnenmedien krankhafter Weise eine
Einhusse erlitten, so befindet sich das intraoculare Stromgebiet unter den-
selben physikalischen Verhältnissen, wie dort, wo ein Theil der Binnenme-
dien durch eine Kapselwtmde zu entweichen Gelegenheit gefunden hat. Es
sinkt der intraoculare Druck und damit auch die elastische Spannung der
Kapsel auf Null, während gleichzeitig die Unterlage verloren geht, gegen
welche die Kapsel das Binnenstromgebiet drücken könnte. Es sind dem-
nach die Widerstände beseitigt, welche dem Eintritte des arteriellen Blutes
von Seite der Kapsel entgegengestellt werden, während gleichzeitig auch
ein wesentlicher treibender Factor für den venösen Blutstrom wegfällt.
Die Binnengefässe dehnen sich demnach aus, so weit es der örtliche Blut-
druck erheischt und die elastische Contractilität ihrer Wandungen gestattet;
in den Schlagadern machen sich Pulsbewegungen derselben Form und Grösse
bemei'klich, wie in anderweitigen Arterien von gleichem Durchmesser,
während das Venenblut in mehr gleichmässigem Strome ablliesst. Das Bin-
nenstromgebiet hat, kurz gesagt, seine Autonomie eingebüsst, es nimmt an
allen Kreislaufsstörungen der zu- und abführenden extraocularen Stämme
vollen Antheil, wird daher auch von dem Zustande des Orbitalpolsters und
von den Spannungsverhältnissen der den Bulbus umgebenden Muskeln
beeinllusst.
Die Belege dafür liefert eine Reihe directer (Memorski) , und namentlich
manometrischer (Grünhagen, Wegner, Adamük, Hippel, Weber) Versuche. Die
letzteren sind liier insoferne beweiskräftig, als es für die Circulationsverhält-
nisse im Innern des Bulbus ziemlich gleichgültig ist, ob sich ein Theil der dioptri-
schen Medien frei nach aussen entleei't, oder in eine wohl eingepasste Röhre ent-
weicht. Die im Manometer eingeschlossene Flüssigkeitssäule muss allerdings die
Widerstände des Abflusses vergrössern, kaiui aber bei allen Vorsichten und Ver-
besserungen des Instrumentes (Hiptpel, Gri'mhagen, Adamük) nun rind nimmer den
mit dem Binnendrucke stets wechselnden elastischen Gegendruck und folgerecht
Manometer ; Normale Binnendruckschwankungen. 7
auch nicht den regulatorischen Einfliiss ersetzen, welchen eine völlig ^e*c/i/o*.9e»ze normale
Bulbuskapsel auf das intraoculare Stromt^ebiet ausübt, und vermöge welchem dieselbe
jede Vermehrung des arteriellen Zuflusses durch eine entsprechende Zunahme
des venösen Abflusses auszugleichen strebt. Bürge dessen sind einerseits die r-InjUi-
miichen, mit dem IIerzj)ulso und mit dem wechselnden Kespirationsdrucke isochro-
iiischen Schioankiou/en der Manometersäule, andererseits die ganz enorme Verenge-
rung der Pupille (Hipjjel, Grünhagen, Adavmk) welch« sich selbst im gtark atro-
piuisirten Auge in dem Momente einstellt, als die Canüle durch die Kapsel gestos-
sen wird und so lange anhält, als die Röhre den Binnenmedien ein Ausweichen
gestattet. Diese Myosis deutet nämlich aus Analogiegründen mit grösster Wahr-
scheinlichkeit darauf hin, dass die Spcmnung im Inneren des Auges sehr gesunken
oder NuLl ist. Dem widerstreiten auch keineswegs die höchst heträchüichen Unter-
schiede, welche sich durch Versuchsmodificationen im mittleren Stande der Mano-
metersäule erzielen lassen; denn diese sind der Ausdruck für das Walten einer
Summe von sehr verschiedenen Kräften, welche die Binnenmedien zum Ausweichen
bestimmen, aber nicht in der Weise auf die geöffnete Kapsel übertragen werden
können, dass sie deren elastischen Gegendruck herausfordern. Es concurriren dabei
der Seitendrvxck im intraocular^i und orbitalen Stromgebiete, der Spanuungs-
zustand der animalischen und organischen, den Bulbus umgebenden Muskeln, der
Widerstand des Orbitalpolsters u. s. w., ohne dass es möglich wäre, die Einzeln-
wirkung dieser Factoreu zu ermessen. Es ist darum auch ganz ungerechtfertigt,
wenn man die Ergebnisse nianovietrischer Versuche als Prämissen für Schlüsse auf
die Verhältnisse des Binnendruckes im geschlossenen Auge benützen will. Sie sind
von unschätzbarem Werthe, doch nur so weit es sich um allgemein giltige Strö-
mungsgesetze handelt.
Man darf übrigens den regulatorischen Einfluss der völlig unver-
sehrten Kapsel und die damit zusammenhängende Stetigkeit des Binnen-
druckes und der intraocularen Blutmenge nicht für absolute halten, mit
anderen Worten die AiTtonomie des Binnenstromgebietes nicht mit gänz-
licher Unabhängigkeit identificiren. Im Gegentheile muss jeder Wechsel im
allgemeinen Bhitdrncke sich momentan auch im Binnenstromgebiete gel-
tend machen. Die regulatorische Wirkung der Kapsel ist ja eben nichts
anderes, als die elastische Reaction der Cornea und Sclera gegen thatsäch-
lich gegebene Gleichgewichtsstörungen und bedarf einer, wenn auch noch
so geringen Zeit.
Es weisen darauf die ivinzigen Schwankungen hin, welche im Normalzustande
isochron mit dem Herzpulse und selbst mit dem wechselnden Respirationsdrucke
(DondersJ objectiv an den Centralstücken der retinalen Venen und subjectiv in der
entoptischen Aderhautfigur (S. 3) wahrgenommen werden. Auch ist es von Be-
deutung, dass man in der entoptischen Aderhautfigur schon bei leisem Drucke auf
das Auge eine Verlangsamung der Blutströmung bemerken konnte (Berthold).
Ebenso verdienen die Netzlumthlutungen Beachtung, welche man bisweilen im Ge-
folge krampfhafter Muskelzusammenziehungen, z. B. nach heftigem Niesen, Husten,
Erbrechen, auftreten sieht und welche offenbar auf Rechnung von Blutstauungen
zu setzen sind.
Man darf ferner nicht übersehen, dass die regulatorische Wirkung
der elastischen Bulbuskapsel tmgleiche Vertheilungen der intraocularen Blut-
menge nicht ausschliesst und dass streng localisirte Circulationsstörungen
ebenso wie ausgebreitete für die Ernährungsverhältnisse der betreffenden
Theile verderblich werden, die Entwickelung umschriebener Entzündungs-
herde begünstigen und deren Verlauf wesentlich modificiren können.
Endlich kömmt in Betracht, dass das oculistische Feld über den Binnen-
raum hinaus sich auf Gefiissbezirke erstreckt, welche unter der vollen
Herrschaft der allgemeinen Kreislaufsgesetze stehen.
Es muss daher auch bei der Entwerfung augenärztlicher Heilpläne
alles auf das sorglichste erwogen werden, was die Kreislaufs- und Ernäh-
3 lunerrationsverhältnisse ; Ophthalmia iutermitteus.
rimgsbedinguugeu im allgemeinen zu verrückeu im Stande ist. In dieser
Beziehung sind nun ausser mancherlei Abweichungen in der Menge und
Mischung des Blutes, welche besser im specieUen Theile ihre Berücksich-
tigung finden, besonders gewisse Innervationsstörungen tou Wichtigkeit.
Einen directen Einiiuss kann selbstverständlich nur der Sympathicus
ausüben, denn dieser ist es, welcher die Gefiissmuskulatur und wahrschein-
lich auch die Eruährungsvorgänge unmittelbar beherrscht.
Ein solcher Einfluss macht sich denn auch bei Lähmungs- und
Heizzuständen der sympathischen Centra in sehr fühlbarer Weise bemerklich.
Abgesehen von den Folgen, welche aus der Störung der nutritiven Inner-
vatiouen selber resultiren, stellen sich dann nämlich beträchtliche Byper'd-
mien oder Ischaemien ein, welche auf die Ernährungsvorgänge missgünstis;
zurückwirken und ihrerseits wieder sowohl direct als indirect veranlasst
sein können, letzteres insoferne die Verengerung oder Erweiterung aus-
gebreiteter Gefässbezii'ke nothwendig den Blutdruck und die Füllung in
den anderen Stromgebieten gegensätzlich gestalten muss.
Es werden derlei Ceutralleiden des syiuphatischen Nerven laut physiologischen
Versuchen an Thieren begiündet durch die Einwirkung eines wegen Eespirations-
nnterbrechnng mit Kohlensäure geschwängerten Blutes {Bezohl, Ludteig, Thiri/J. Eine
andere Quelle dieser Zufälle liegt in gewissen Giften, z. B. Curare, Alropin, Cala-
har (Bezold, Götz, Bloehaum), wenn sie in Gefässe eingespritzt und so mit dem
Gehirne in Beriihi-ung gebracht werden.
Neuere Beobachtungen machen es überdiess wahrscheinlich, dass in der soge-
nannten Opthalmia infennittens die Einwirkung eines mit Malariagift infieirten
Blutes auf die sympathischen Centra zum symptomatischen Ausdj-uck komme, dieses
Augenleiden also die Bedeutung eines larvirten Wechselfiebers habe. Von den älteren
Autoren vielfach, wenn auch mit ziemlich schwankendenMerkmalen, beschrieben (Himly,
T. Benedikt, Ruete, Mackenzie), hat die intermittirende Ophthalmie erst in jüngster Zeit
wieder die Aufmerksamkeit erregt (Eulejihurg, Landois). Es charakterisirt sich die-
selbe durch Erscheinungen der Gefässparalyse, welche in bestimmtem, quotidiauen
oder tertiären Tj-pus auftreten und, wenigstens anfänglich, mit völligen Intermissio-
nen wechseln. Meistens beschränken sich dieselben auf die Bindehaut und Lider, welche
sich mehr weniger stark röthen, oedematös anlaufen, während die Schleimsecretiou
zunimmt und mitunter auch Zeichen einer massigen Ciliarreizung zum Vorschein
kommen (Staub, Mannhardt). Seltener leidet das CiUarsystem in höherem Grade,
ja zuweilen präsentirt sich das Leiden unter der Gestalt einer intei-mittirenden
Iritis mit oder ohne Hypopyum (Staub). Bei längerer Dauer des Leidens soll es
mitunter zu bleibender chronischer Ophthalmie, zu Trübungen der Conjunctiva,
Atrophie des Auges kommen können ( Griesinger). Einzelne Autoren sprechen auch
von intermittirenden Amaurosen (TestelinJ, ohne dass es jedoch klar geworden wäre,
was deren nächster Grund sei und ob sie überhaupt mit der Malariainfection in
nähere Beziehung gebracht werden dürfen.
In gleicher Weise kömmt es zu Störungen des Kreislaufes und der
Ernährung, wenn die gangliosen Äj)parate, die Stämme und Zweige des
sympathischen Nerven in irgend welcher Weise leiden. Das Gesammthild
der Krankheit ist dann aber je nach der OertUchkeit der Schädliclikeits-
cinwirkung ein verscliiedenes, mit den anatomischen Verhältnissen und der
physiologischen Bedeutung des betreffenden Sympatliicusstückes wechselndes,
daher aiif diese Momente etwas näher eingegangen werden muss.
Das Centrum des Sympathicus wird aUgemeiu in das verlängerte Mark (Schiff',
SalkowskiJ, oder noch höher in die Grosshirnschenkel (Budge) verlegt. Ein Theil
der hier entspringenden Fasern tritt gleich vom Gehirne und der Medulla oblon-
gata ab und legt sich an die Stämme einzelner Gehirnnerven an, um von diesen
weiterhin auf Gefässe überzugehen, oder mit ersteren vereinigt bis zur Peripherie
hin auszustrahlen. So begleiten derlei Fasern den Nervus facialis (Schiff, Samuel)
Aiiatoiiüü des Neiv. syniiiatliicus uud tiij^cnüiius. y
und (li'ii 'rrii/niiiiiKs Iiis in die iiussersten Grenzen ihrer Verzweigiing^Rp^ehiete.
Zum »Staiuniu des letzteren g'e.s(dlen sicli schon innerludh des Gehirnes .synii);ilhiscl)e
Röiircn, welclie dann in ein lüindel x;iis;unnun<j;cdr;ingt am niedialtni Uandc des
vereinii;-ten ersten und zweiten C^uintusastes zum Gawjlion Gasneri innstreiciieu und
sieli in dasselbe einsenken. Die llaitptmafise der im Gehirne entspringenden Fasern
zieht jedoch im llUekenmarke nach abwärts und wird hier wahrscheinlich durch
Fasern v(Mstärkt, welche aus dem Rückenmarice selber entspringen. Die zum Auge
imd dessen (Jmi;e/jun</en (/e/icnden si/)iipu/ hivchen Fasern streichen in den vorderen
Strängen der Medulla mujekreuzt nach abwärts und verbinden sich hier mit anderen
Fäden, welche wahrscheinlicii von den vorderen und mittleren Strängen ausgehen
(Budge). Sie treten fast sämmtlich, mit den vorderen (Bndge, Salkoivs/ci) Wurzeln
der betieffenden Rückenniarksnerven vereinigt, unferhaUj des sechsten Halswirbels
und o/ierhal/) des zweiten (BeriiardJ oder dritten (liiuhje, SalkoirskiJ Brustwirbels
aus dem Rückenmarke heraus. Nur ein kleines Bündel, welches i'iir die Bindehaut,
die Lider- und die Tliränendrüse bestimmt ist, geht in der Höhe des dritten Hals-
wirbels ab (Landois, Enlenhurg). Die im ersten und zweiten Brustnerven streichen-
den I?ündel treten in die entsprechenden beiden oberen Brustganglien ein und gehen
durch das verbindende Stück des Grennstranges in den C'ervica/theil des letzteren
über. Dieser vereinigt in sich sämvitUche von den 8 Halsnerven zugeführten sym-
pathischen Röhren und besitzt 3 mächtige Ganglien. Die Richtung der Fasern ist
in ihm eine aufsteigende und wird von den aus dem oberen Halsknoten hervortre-
tenden Fasern fortgesetzt. Dieselben schliessen sich nämlich der Carotis an und
verbreiten sich mit deren Aesten Geflechte bildend über alle Organe des Halses
und Kopfes. Eine Summe von Fasern gelangt so mit der Carotis in die Schädel-
höhle zurück uud folgt fürder theilweise den Gefässverzweigungen , theilweise aber
springt sie im Sinus cavernosus auf das Ganglion Gasseri über, mischt sich hier
mit den direct vom Gehirn dahin gelangten sympathischen Fasern und strahlt in
die gesammte Peripherie des Quintus aus. Mit dem ersten Aste des Trigeminus,
welcher noch einige Zweige direct vom Carotisgeflechte aufnimmt, kommen die
sympathischen Röhren daini zum Auge und seinen Umgehungen, wo sie mit anderen
Fasern zusammentreft'en, welche mit den Gefässen und beziehungsweise mit dem
Nervus facialis dahin gelangt sind.
Der e7-ste Ast des Quintus, dessen mit dem zweiten Aste gemeinschaftliche
Wurzel in der Medulla oblongata liegt und mit dem Corjms restiforme zusammen-
hängt (Deiters), geht mit den ihm beigemischten sympathischen Fasern durch die
obei'e Augenhöhlenspalte und theilt sich hier oder schon etwas früher in drei
Zweige. Der Nervus lacrymalis geht zur Thränendrüse und zum äusseren Theile
des Oberlides. Der Nervus frontalis versorgt die Stirnhaut und mit einem Neben-
zweige, dem Nervus supratrochlearis , den inneren Theil des Oberlides und die
Nasenwurzel. Der dritte Zweig, der Nerv, nasociliaris, gibt vorerst die Ciliarner'ven
ab. Dann spaltet er sich in den Nerv, infratrochlearis, welcher gleichfall* in das
obere Lid und in die Haut der Nasenwurzel ausstrahlt, und in den Nerv, ethmoidalis,
welcher durch das Foramen ethmoidale in die Schädelhöhle und von hier durch die
Siebplatte zur Nasenhöhle läuft, wo er den vorderen Theil der Schneider'schen
Haut versorgt und mit seiner Fortsetzung sich zwischen dem unteren Rande des
Nasenbeines imd dem Nasenknorpel diirchbohrt, um zur äusseren Haut der Nasen-
spitze zu gelangen und sich hier in Endzweige aufzulösen.
Die für den Augajjfel bestimmten Nervenfasern setzen vom Nerv, nasociliaris
theils direct als Nervi ciliares longi zum Bulbus über, tlieils treten sie vorerst als
lange Wurzel in das Ganglion ciliare ein, wo sie mit Fasern zusammentreffen,
welche als kurze Wurzel sich vom dritten Gehirnnerven abgezweigt haben, und mit
anderen, welche der gcnauute Knoten als trophische Wurzel aus den umliegenden
sympathischen Gefdssgefleclden aufnimmt. In den von hier abgehenden kurzen
Ciliarnerven sind alle diese verschiedenen Fasern bereits innig durchmischt. Sie
durchlaufen dann noch im Inneren des Bulbus eine Anzahl kleiner, der Aderhaut
eingebetteter ganglienartiger Knoten (C. Krause, H. Müller, Schiceigger, Saemisch)
und verästeln sich schliesslich nach mehrfachen plexusähnlichen Verschlingungen
(Donders) in den einzelnen Binnenorganen.
Von den im cervlcalen Grenzstrange vereinigten sympathischen Fäden
spielt ein kleiner Theil die Itolle eines motorischen Nerven. Er versoi-gt
den Dilatator pupillae so wie die organischen Muskeln der Lider und der
10 Innervations Verhältnisse; Nerv, sympafhicns ; Neuroparalytische Ophthalmie.
Orbita. Er vermag dadurch, dass er die Spannungszustände in diesen Mus-
keln beherrscht, mittelbar auf die Circulationsbedingungen im Auge und
in dessen Umgebungen zurückzuwirken. Die Hauptmasse jener Röhren ist
indessen vasomotorischer Art und vermittelt neben den systolischen Gefäss-
bewegungen noch gewisse andere, vom Pulse unabhängige Zusammenzie-
hungen und Erweiterungen, weiche den Blutgehalt jenes Stromgebietes
bestimmen und die daselbst herrschenden Strömungswiderstände sehr kräftig
beeinflussen (Schiß', Cl. Bernard).
Leitungshemmungen des cervicalen Grenzstranges oder seiner Wurzeln
haben in Uebereinstimmung damit laut praktischen Erfahrungen (Eulenburg,
Gnttmann, Ogh), gleich der Durchschneidung der genannten Gebilde am
Thiere eine starke Verengerung der Pupille (Petit, Biffi, Tratitvetter, Arlt
Jim.) und der Lidspalte (Cl. Bernard, E. Wagner, Bemale), ein Zurücktreten
des Bulbus in die Orbita (Petit, Schiff, Prevost, Jolyet, Budge), eine Gefiss-
erweiterung der Iris und eine beträchtliclie Blutüberfüllung der betreffen-
den Kopfhälfte mit anfänglicher Temperatursteigerung im Gefolge. Reiz-
-zustände des Cervicalstranges und experimentelle Erregungen desselben ziehen
entgegengesetzte Erscheinungen nach sich (Cl. Bernard, Budge, Wegner, Sal-
kowslci, Donders), vorausgesetzt, dass die Reizung ein gewisses Mass nicht
überschreitet , widrigenfalls in den zugehörigen Gefässbezirken rasch die
Symptome der Paralyse zum Vorschein kommen.
Das andere, unmittelbar aus dem Gehirne hervortretende und am media-
len Rande des Quintusstarames zum Ganglion Gasseri ziehende Bündel
sympathischer Fasern führt keine motorischen Easeru zum Dilatator pupillae,
da galvanische Reizung jenes Knotens oder des ersten Quintusastes nach
Exstirpation des Ganglion supremum cervicale keine Pupillenerweiterung
auszulösen im Stande ist (Biidge). Dagegen enthält es neben vasomoto-
rischen Röhren eine grosse Menge eigenthiünlicher Fasern, welche im cervi-
calen Grenzstrange fehlen und in einer näheren Beziehung zu den Ernäh-
rungsvorgängen im Auge stehen, daher sie mit dem IS^amen ,,trophische
Fasern" belegt werden.
In Uebereinstimmung damit führt Durchschneidung jenes Bündels hinter
dem Ganglion oder innerhalb der Brücke (Büttner, G. Meissner, Schiß)
häufig zu gewissen höchst auffälligen Ernährungsstörungen, welche letztere
bei Trennungen des cervicalen Grenzstranges niemals zur Beobachtung
kommen (Schiß) und in Verbindung mit der Gefässparalyse den Begriff der
neuroparalytischcn Ophthalmie erschöpfen. Die Gefässparalyse äussert sich
Merbei durch eine mehr oder weniger beträchtliche Hyperaemie und öde-
matose Schwellung der Bindehaut mit Absonderung schleimig eitriger
Producte und bisweilen auch mit Blutaustretungen in das subconjunc-
tivale Gefüge (Hippel). Die Ernährungstörung dagegen kömmt durch In-
filtrationen und Ver schwärungen der Cornea, durch Stockung der Thränenabson-
derung und durch Abnahme der Binnenmedien, also durch Welk- und
Weichwerden des Btdbus, klar zum Ausdrucke.
Secundär kömmt es bisweilen zur Entwickluug einer Iridochorioiditis (Graefe,
Heymann) mit oder ohne Hypopyumbildnng, welche schliesslich die Atrophie des
Bulbus anzubahnen vermag. In einzelnen Fällen hat man ausserdem Störungen
des lichtempßndenden Apparates beobachtet, welche der Zeit und dem Grade nach
zu schwanken pflegen und vorübergehend sich bis zur völligen Amaurose steigern
können (Graefe, Hippel).
Neuroparalytisclie Opbthiilmio. 11
Den geschilderten Verhältnissen entsprechend, veranlassen denn auch
krankhafte Processe, welche sich in der Varolsbriicke oder im Bereiche des
Quillt itsstammes festgesetzt haben (Stanley, Alison, Power), gleich Durch-
schneidungen des letzteren an Thieren (Schiff), zuweilen loahre neuropara-
hjiische Ophtlialmien, welche dann in der Regel mit ausgebreiteten Sensi-
bilitätsstörimgen im Trigeminusgebiete einhergehen. Aehnliche Folgen rcsul-
tiren aber aucli nicht selten, wemi das Ganglion Gasseri oder der erste
Qidntnsast bis zur Abzweigung der Ciliarnerven liin in einen Krankheits-
herd verwickelt ist (Schiff', Graefe, Junge, Budge, Rothmund, Geissler, Stef-
fan), ja selbst wenn die Ciliarzweige allein leitungsunfähig geworden sind
(Graefe). Doch scheint vermöge der grossen Menge sympathischer Fasern,
welche aus dem cervicalen Grenzstrange kommend sich erst im Ganglion
Gasseri dem Trigeminus beigesellen, im Falle als der halbmondförmige
Knoten oder der erste Quintusast leidet oder durchtrennt wurde (Magendie,
Schiff] Graefe, Winther), die Gefässparalysis sich häufiger, rascher und
ausgiebiger einzustellen. Wenigstens werden in den betreffenden Beobach-
tungen eine langsam auftretende, dauernde und von der Leistungsfähigkeit
des dritten Gehirnnerven unabhängige auffällige Pupillenverengerung (Budge,
Cl. Bernard, Graefe) so wie das Sichtbarwerden zahlreicher stark ausgedehn-
ter Ii'isgefässe (Budge, Wegner, Graefe) meistens sehr nachdrücklich betont.
Immerhin muss es befremden, dass man unter so bevvandten Umständen die
Erscheinungen der Gefässparalyse und Ernährungsstörung nicht constant auftreten
sieht. Ob zur Erklärung dessen der Umstand hinreicht, dass eine grosse Anzahl
sympatliischer Fasern mit den Gefässen zum Auge und seinen Umgebungen gelangt,
steht dahin. Man kann sich darum kaum der Annahme heihelfender Momente ent-
schlagen. Als ein solches hat nim unzweifelhaft die Anaesthesie zu gelten, insoferne
sie die Abwehr zahlreicher äusserer Schädlichkeiten verhindert, welche durch ihre
Reizwirkung Gefässparalyseu einzuleiten und zu vermehren, ja überhaupt Eutzün-
dungsprocesse anzufachen vermögen. Ueberdiess fällt mit der Empfindlichkeit des
Auges und seiner Schutzdecken auch der eigentliche Motor des rliythviischen un-
willkürlichen Lidschlages weg, die Lidspalte bleibt geöffnet und gestattet die Äus-
trocknvng des blosliegenden Theiles der Bulbusoberfläche, um so mehr, als bei Lei-
tungsunterbrechung-en im ersten Trigeminusaste die Thränendriisen des secretions-
beherrschenden Nervenreizes entbehren müssen utrd demnach die Ahsonderung der
Thränen wesentlich beschränkt, ja auf ein kleinstes Mass herabgemindeii werden kann
(Graefe, Hippel). Es stellen sich in Uebereinstimmung damit denn auch gerne die
Symptome der acuten Xerosis ein, das Epithel der Cornea und Conjunctiva wird,
besonders an dem in der Lidspalte biosliegenden Theile schilferig, rauh und bedeckt
sich mit zäliem Schleime, welcher zu gelben Krusten verdorrt. Gerade hierin liegt
aber wieder ein Factor, welcher auf die Ernährungsverhältnisse der Theile zurück-
wii'kt und das Auftreten von Entzündungen und Verschwärungen im hohen Grade
fördert. In der That lassen die Ergebnisse zahlloser Versuche keinen Zweifel dar-
über, dass Schliessung der Lidspalte, also Schutz vor äusseren Schädlichkeiten und
vor Vertrocknung, die Entwicklung der Ophthalmia neuroparalytica in der Mehr-
zahl der Fälle zu verhindern und, falls sie bereits gegeben wäre, sie wieder rück-
gängig zu machen im Stande sei; ja es ist diese Sicherstellung eine so eminente,
dass Manche die neuroparalytische Ophthalmie geradezu dnrch die bei fehlendem
Schutze unvermeidlichen Traumen begründet erachten (Snellen, Bosow, Knapp), oder
überhaupt aus der Anaesthesie der Theile und aus der damit einhergehenden Sto-
ckzmg der Thränensecretion erklären (Graefe), während Andere einen Mittelweg ein-
schlagen und aus der Leitungshemmung der sympathischen Nerven blos eine Ver-
niinderimg der Widerstandskraft der Gewebe gegen äussere Schädlichkeiten ableiten
(Büttner, Samuel). Doch steht diesen Ansichten hinwiederum der Umstand entgegen,
dass die Immunität bei zureichendem Schutze keine absolute ist (Schiff, Hippel) und
dass die neuroparalytische Ophthalmie durchaus nicht an Anaesthesie gebunden,
sondern auch bei voller Empfindlichkeit der Theile mehrfach beobachtet worden ist
(Schiff] Geissler, Steffan, Mooren).
12 Innervationsverhältnisse , Reflexbeziehnngen des Nerv, sympathicns.
Es offenbart sich übrigens der Einliuss des mit dem Trigeminiis ver-
einigten Sympathicustheiles auf die Circulations- tind Ernährungsvorgänge
nicht blos durch den Symptomencomplex der neuroparalytischen Ophthalmie,
er tritt auch klar in den an Neuralgien des Quintus gebundenen soge-
nannten Secretionsneurosen (S 6) und in den Atrophien des Bindegewebes,
der Muskeln und selbst der Knochen hervor, welche bisweilen als Folge-
zustände länger bestehender Neuralgien und Anaesthesien einzelner Quin-
tusäste gefunden worden sind (Benedikt, Graefe).
Am klarsten aber spricht er sich in den herpetischen Krankheit sformen
des Trigeminusgebietes aus. Es unterliegt nach den allerdings noch spär-
lichen anatomischen Untersuchungen kaum einem Zweifel, dass der Herpes
in einem nahen ursächlichen Verbände mit entzündlichen Processen stehe,
welche sich in der Bahn sympathischer Faserbündel localisirt haben (Da-
nielssen, Esmarch, Bärensprung, Charcot, Cotard) und dass der Sitz dieser
Krankheitsherde auch für den Ort und die Ausbreitung des charakteristi-
schen Ausschlages bestimmend sei.
Krankhafte Processe, welche sich im Bereiche des Stirn- oder Thr'd-
nenastes, oder aber jenseits der Abzweigung der Ciliarnerven im Laufe des
Nasociliaris entwickelt haben, können den anatomischen Verhältnissen gemäss
Kreislaufs- und Ernährungsstörungen auf unmittelbare Weise nur in den
Schutzorganen des Augapfels begründen. Dafür aber ist der Einlluss, welchen
sie indirect auf die Circulation und auf die Nutritiousvorgänge im Bulbus
auszuüben vermögen, ein um so hervorragenderer. Es kommen hier näm-
lich die Reflexbeziehungen in Betracht, welche zwischen dem Sympathicus
und den sensiblen Fasern nicht nur des Qidntus, sondern aller Empfiiuhtngs-
nerven bestehen und in der Pathologie und Therapie eine hochwichtige
Rolle zu spielen berufen sind.
In wenige Worte zusammengefasst lauten die Ergebnisse der liier-
auf bezüglichen Versuche: Hautreize ziehen primär eine Verengerung der
kleinen Körpergefässe mit Temperaturerniedrigung so wie mit Vergrösserung
der Zahl und Energie der Herzschläge nach sich. Die Gefässcontraction
hält auch nach Beseitigung der Ursache noch eine Zeit an, um schliesslich
einer geringen Erweiterung Platz zu macheu, wenn der Hautreiz ein relativ
schwacher war (Naumann, LovenJ. Die Gefässverengerung geht dagegen im
Verzweigungsgebiete des gereizten sensiblen Nerven (Cl. Bernard) und
in dessen Nachbarschaft sehr rasch oder fast unmittelbar in starke Erwei-
terung über, während sie in entfernteren Organen andauert (Zülzer), wenn
der Hautreiz ein relativ starker war. Der Giad der effectiven Reizung
hängt nicht blos von der absoluten Stärke des Eingriffes, sondern auch von
der jeweiligen Irritabilität des Körpers ab, so dass ein und derselbe Reiz
bei verschiedenen Individuen und bei demselben Individuum unter verschie-
denen Umständen ganz entgegengesetzte Reactionszustände veranlassen (Nau-
mann), also einmal Gefässverengerung mit Erniedrigung der Temperatur,
das andere Mal Gefässer Weiterung mit anfänglicher Steigerung der Wärme,
weiterhin aber Verlangsamung des Blutstromes, passive Hyperaemien mit
davon abhängiger Wärmeverminderung begründen und solchermassen die
Neigung zu Oedem , zu entzündlichen Ausschwitzungen mit allen deren
Folgen erzeugen oder steigei'U kann.
Auf pathalogischem Gebiete bekunden sich diese Reflexwirkungen bekannt-
lich in sehr auffallender Weise durch Hyperaemien und oedematose Anschwellungen
Reflexbeziebungen des Nerv, sympatbicas.
13
der Bindehaut und Lider, welche neiiralgisclie Anfälle im Bereiche des Trigeminus
zu begleiten pflegen und durch die grosse Empfindlichkeit, welche sich hei Bestand
eines solchen Leidens im cervicalen Grenzstrange zu entwickeln pflegt. Auch
lassen sich damit gewisse Fälle in Beziehung bringen, in welchen Traumen oder
Erkrankungen einzelner Quintusäste, z. B. bei Zahnleiden, heftige Eyüziindunfjen des
Auges (Schiff) oder Sehstöriiiyen (Amaurosis trifacialis) veranlasst haben.
Man sieht aus Allem, dass die Annahme henonderer, dem Quintus eigenthüm-
licher Fasern, welche die Fähigkeit besitzen sollen, die Gefässe des Auges adiv
zu erweitern und auch die Secretionen im Inneren des Auges zu beherrschen {Hip-
pel ^ GriinhagenJ , ganz entbehrlich sind. Man kann um so ruhiger davon ab-
sehen, als die darauf bezüglichen Experimente bei der Unmöglichkeit, directe Ein-
grifte auf die sensitiven Fasern zu beschränken, viel an Werth verlieren und auch
sonst noch manche Bedenken erregen (Adamük, Wegner).
Anderseits darf man wohl auch annehmen, dass die von Innervations-
störungen der sympathischen Nerven abhängigen Aiaomalien der örtlichen
Blutmevge für die sensitiven Nerven des betreffenden Gebietes eine Quelle
von Erregungszuständen werden können. Die Erscheinungen bei der Hemi-
cranie weisen darauf hin (Eulenhurg, Gutmann). Sicher steht es, dass die
durch Gefässparalysen angebahnte Entzündung die Empfindungsnerven des
Krankheitsherdes zu reizen und damit im fehlerhaften Kreise auf die
sympathischen Easern zurückzuwirken vermag.
Im Binnenraume des Auges äussern sich die von den sensitiven Ner-
ven auf die sympathischen Fasern überpflanzten Erregungszustände in der
Regel auch durch mehr oder minder deutliche Bewegungen der Pupille
(Budge, Trautvetter, Donders, Cl. Bernard). Die Vermittler der Reflexe kön-
nen lüerbei ebensowohl das Gehirn als das Ganglion ciliare oder selbst die
intraocularen Ganglien sein. Die Bewegungen selbst sind je nach Umständen
die Wirkung verschiedener Ivräfte. Ein Theil derselben geht sehr langsam
von statten, und bringt wahrscheinlich nichts anderes, als veränderte Span-
nungszustände in der Gefässmusculatur, oder vielmehr einen davon abhän-
gigen Füllungswechsel der Irisgefässe zum Ausdrucke. Der andere Theil
erfolgt aber rasch, und wird unzweifelhaft vorwiegend durch die Thätig-
keit der eigentlichen Bewegungsmuskeln der Iris bewerkstelligt. In einem wie
in dem anderen Falle findet ein Wechsel der Blutvertheilung im uvealen
Stromgebiete statt. Es ist nämlich nachgewiesen, dass bei jeder Erwei-
terung der Pupille das Volumen der Iris abnimmt, indem ein Theil des in
den Irisgefässen enthaltenen Blutes in die Wirbelvenengeflechte der Ader-
haut ausweicht, während bei der Verengerung der Pupille das Blut theil-
weise wieder zur Iris zurückkehrt (0. Becker) und deren Volumen
vergrössert.
Es liegt nun auf der Hand, dass diese Fluxionen bei Bestand krank-
hafter Processe im Inneren des Auges für die ohnehin schon gestörten
Circulations- und Ernährungsverhältnisse nicht ganz gleichgiltig sein kön-
nen, und dies zwar um so weniger, als jedwede Muskelanstrengung einen
vermehrten Stoffwechsel mit sich bringt und unter pathologischen Verhält-
nissen auch wohl heftige Reizzustände in den sensitiven Nerven anzuregen
im Stande ist. Wird doch Muskelruhe allenthalben als ein hochwichtiger
Factor bei Bekämpfung entzündlicher Vorgänge anerkannt.
Insoferne fordern auch die Reflexe Beachtung, welche durch das in
der inneren Hälfte des vorderen Vierkügelpaares gelegene Centrum (Flou-
rens, Budge), von der Netzhaut aus auf die oculopupillaren Zweige des
dritten Geliirnnerven geworfen werden. Auch verdienen die Reflexe einige
14: Innerrationsverhältnisse ; Einfluss des CiliamiTiskels auf den Binnendruck.
Rücksiclit, welche von der Retina und den Empfindungsnerven der Augen-
gegend aiif die zum 7. Paare gehörigen motorischen jSTerven des Kreismus-
kels der Lider überpflanzt werden. Endlich erheischen die ivillkürlichen
Bethätigungen der äusseren Augenmuskeln, der Lidmuskeln und ganz be-
sonders des Accommodationsmuskels eine sorgliche Erwägung.
Was den Ciliarmuskel betrifft, so wird von manchen Seiten (Qraefe, Weher)
behauptet, dass eine vermehrte Spannung desselben den intraocularen oder wenig-
stens jenen Druck, unter welchem die im hinteren Augenranme gelegenen Organe
stehen, zu steigern und damit die Circulations- und Ernährungsbedingungen daselbst
zu verändern im Stande sei. Es stützt sich diese Ansicht auf die Ergebnisse man-
nigfaltiger Versuche (Völckers, Hensen, Coccitts, Förster, Gramer) und auf die Resul-
tate der Iridektoviie (Graefe, Wegner). Dieselben werden jedoch durch die gegen-
theiligen Resultate anderer gleich schwer wiegender Experimente (Völckers, Hensen,
Hippel, Grünhagen, Adamük) ausgeglichen und erregen manches theoretische Be-
denken. Insbesondere kömmt in Rechnung, dass die dioptrischen Binnenmedien
iinzusammendrückbar und der arterielle Blutdruck in dem intraocularen Strom-
gebiete ein so mächtiger ist, dass ein verhältnissmässig bedeutender äusserer Druck
auf den Bulbus wirken muss, um das Caliber der ophthalmoscopisch wahrnehm-
baren Gefässe merklich zu vermindern. Die Füllung der Augapfelhöhle ist daher
ohne Zweifel vollkommen ausreichend, um dem relativ schwachen Zuge des Ciliar-
muskels gegenüber die äussere Forin des Bulbus aufrecht zu erhalten. Wäre sie es
übrigens nicht, so müsste sich die Zusammenschnürung des Ursprungskreises des
Ciliarmuskels nothwendig durch eine Convexitätsvermehrung der Hornhaut bemerk-
lich machen, während unwiderlegliche Beweise dafür vorhanden sind, dass die ver-
schiedenen Accommodationszustände des Auges ohne allen P^influss auf die Krüm-
mung der Cornea sind. Mau könnte also nur auf eine Druckvermehrung im hinte-
ren Augenranme denken. Allein würde eine Znsammenziehung der Irismuskeln und
des Ciliarmuskels den von der gesammten Uvea umschlossenen Raum verklei-
nern, so würde das Ausweichen des in der hinteren Kammer enthaltenen Humor
aqueus nach vorne genügen, um jede Druckwirk^ing unmöglich zu machen, und der
zwischen Choroidea und Sclera entstehende Raum würde sogleich durch verstärkte
Füllung der Wirbelvenen ausgefüllt werden. Ueberdiess müsste sich eine solche
Druckwirkung in der entoptischen Aderfigur zum Ausdruck bringen, während dai'anf
bezügliche Beobachtungen gerade das Gegentheil gezeigt , nämlich nacligewiesen
haben, dass Lähmung und Krampf des Accommodationsmuskels durch Atropin oder
Calabar keine Veränderung in der Schnelligkeit der Blutbewegung und in der
Stärke der Pulserscheinungen mit sich bringen, was doch bei einem äusseren Drucke
der Fall ist (Hippel, Grünliagen).
Kach diesen Erörterungen ist es nun möglich, auf die therapeutischen
Aufgaben bei Behandlung von entzündlichen Augenkrankheiten näher ein-
zugehen. Es schliessen diese Aufgaben in sich: 1. Die Indicatio causalis,
welche gerichtet ist auf die Entfernung aller sowohl innerer als äusserer
Schädlichkeiten, und zwar nicht nur jener, welche im speciellen Falle
die Entzündung wirklich augeregt haben, sondern auch jener, welche
im weiteren Verlaufe des Processes auf den entzündeten Theil einwirken
und dadurch den Entzündungsreiz, d. i. die durch die Summe der Schäd-
lichkeiten hervorgebrachte örtliche Störung, steigern und unterhalten könn-
ten; 2. die Indicatio morhi, welche darauf hinzielt, dem Processe selbst
Schranken zu setzen, seine Heftigkeit zu brechen und ihn den Möglich-
keiten des Ausgleiches zuzuführen.
I. Die Causalindication zerfällt, entsprechend der ausserordentlichen
Mannigfaltigkeit möglicher Eeizeinwirkungen, in eine Unzahl von Sondei--
aufgaben, welche zum Theile auf die Beseitigung und Eernhaltung mecha-
nischer, chemischer, physikalischer oder functioueller Schädlichkeiten hin-
zielen, zum Theile aber sich beziehen auf die Tilgung oder Verminderung
einer etwa vorhandenen allgemeinen oder speciellen Anlage, also auch die
Cansalindication ; Schutz- und Druckverband. \q
ReguUrung des Kreislaufes, der Blutmischung und der Ernährung in sich
fassen. Viele dieser ätiologisclieii Momente sind nur in einzelnen concreten
Fällen und selbst dann nur unter s^anz besonderen Verhältnissen wirksam,
äussern überdies recht häufig eine besondere Beziehung zu gewissen Oerf-
Uchkeiten und Formen des Entzündungsprocesses und gehören daher in den
Bereich der speciellen Augenheilkunde. Ein anderer Theil derselben jedoch
hat eine mehr allgemeine Bedeutung , indem viele Individuen unter den
verschiedensten Lebensverhältnissen ihrer schädlichen Einwirkung mehr oder
weniger ausgesetzt sind. Die Erörterung der auf sie bezüglichen Sonder-
anzeigen und der diesen entsprechenden Mittel ist der Gegenstand der
folgenden Verhandlungen.
A. Unter den mechanischen Schädlichkeiten, welche am gewöhnlichsten
gegebene Reizzustände oder Entzündungen der Augen steigern und unter-
halten, sind besonders zu nennen :
1 . Das Reiben, Drücken, Betasten der Lider, um unangenehme Ge-
fühle von Jucken, Beissen, Brennen, oder wirkliche Schmerzen zu mildern ;
das Anpressen der Hände oder Arme, um lästiger Lichtscheu zu begegnen
u. s. w. Besonders bei Kindern ist hierauf zu achten ; doch trifft man
ein solches zweckwidriges Betragen nicht selten auch bei Erwachsenen.
Bei letzteren genügt wohl in der Regel die Belehrung , bei Kindern in-
dessen ist man oft genöthigt, zwangsweise zu verfahren.
Früher verwendete man als Schutzverhand bindenartig zusammen-
gefaltete Tücher. Doch machen diese zu warm, sind durch ihre Schwere
lästig und drücken überdies ganz ungleichmässig. Weit besser wird allen
Anforderungen entsprochen durch die jetzt ziemlich allgemein in Gebrauch
gekommene Verbandweise. Es bestellt diese in der Auspolsterung der
Augengegend und in der Verwendung einer zarten, leichten, elastischen
Binde. Als Polster dient feine Charpie oder gereinigte Baumwolle, welche
als Ein zweckmässig gestalteter Bausch oder in Form vieler kleiner Scheib-
chen so über die geschlossenen Lider ausgebreitet und vertheilt wird, dass
alle Vertiefungen zwischen der Augapfelwölbung und den knöchernen Or-
bitalrändern ausgefüllt erscheinen und die darüber gespannte Binde allent-
halben einen ganz gleichen Druck auf die unterlagernden Theile auszuüben
vermag. Als Binde benützt man einen nathlosen, (3 Zoll langen und
1 Y2 — 2 Zoll breiten Streifen von feinstem Flanell, welcher behufs grösserer
Elasticität schief auf den Fadenzug geschnitten sein muss , und an beiden
winkelig zugespitzten Enden mit schmalen Leinwandbändchen zu versehen
ist, um beim Binden einen kleinen Knopf zu erhalten und die lästige Yer-
hüllung der Theile möglichst zu beschränken.
Ein Haupterforderniss ist, dass der Verband bei verhältnissmässig geringer
Spannnng fest hafte, ohne sich zu verscliieben. Der binoadare Verband, welcher
qner ül:)er beide Augen um den Kopf herumgelegt wird, bietet in dieser Hinsicht
keine Schwierigkeiten, wohl aber der einseitige. Um diesen in seiner schrägen Lage
zu sichern, ist es nothwendig, das eine Bändchen knapp unter dem Ohrläppchen
weg, das andere aber über die Stirne und genavi über die grösste Wölbung des
Scheitel wandbeines zu führen und dann beide Bändchen über die Mitte der Hinter-
hauptschale auf demselben Wege nach vorne zu leiten, um sie hier zu knüpfen.
Dabei ist zu achten, dass die Vorderenden der Bändchen nicht über das Äuge lau-
fen, widrigenfalls sie auf letzteres einen sehr lästigen Druck ausüben würden.
Einen wichtigen therapeutischen Vortheil gewährt dieser Verband,
zweckmässige Anlegung vorausgesetzt, durch völlige Hemmung des Lid-
J^6 Cansalindication ; Pflaster; Druckverband; Staubbrillen.
Schlages bei ungehindertem Abiiuss etwaiger Secrete aus der Lidspalte.
Werden beide Augen verschlossen und somit der Sehact unmöglich gemacht,
so beschränken sich wohl auch die Bewegungen der Aufäpfel so wie die
Accommodationsthätigkeit atif ein Kleines. Gerade diese Muskelruhe ist
aber eine nicht genug zu schätzende Beihilfe in der Bekämpfung von
Eeizzuständen. Anderseits entspricht die Unbeweglichkeit der Tlicile öfters
einem dringenden Bedürfnisse, dann nämlich , wenn es sich um möglichst
rasche und richtige Anpassung und Zusammenheilung von Wundrändern
nach zufälligen oder operativen Verletzungen am Auge und seinen Um-
gebungen handelt.
Pflaster können diesen Zwecken nimmer genügen. In geringer Ausdehnung
über die geschlossenen Lider geklebt, vermögen sie den Lidschlag nicht ganz zu
hemmen ; werden die Augendeckel aber, und namentlich ihre Ränder, zum grossen
Theile mit Pflastern überdeckt, so wird den meisthin vermehrten Absonderungen
im Bereiche des Bindehautsackes der Ausweg abgesjDcrrt und damit eine Quelle
misslicher Reizungen, ja selbst unerträglicher Schmerzen eröffnet. Enthalten die
Pflaster reizende Bestandtheile, so kömmt es gerne zu Erythemen der höchst zarten
Lidhaut und , insoferne sich die Difl"usion jener Stoöe nicht ganz vermeiden lässt,
wohl auch zu bedauerlichen Irritationen der Bindehaut und des Augapfels. Zudem
drücken Pflaster sehr ungleichmässig je nach dem Grade ihrer Spannung, und zwar
macht sich diese missliche Eigenschaft besonders geltend bei den englisclien Pflastern,
welche bald nach ihrer Anlegung schrumpfen und sich mit ihren Rändern stellen-
weise fast senkrecht auf die Lidflächen richten. Ueberdies löst sich gerne ihr
Gummibelag in den ausfliessenden Thränen, diffundirt sich und sperrt, indem er
wieder trocknet, grosse Strecken der Lidspalte völlig ab.
Manche glauben irrthümlich , auf rein mechanischem Wege die Bewegungen
der Augen nahezu vollständig behindern zu können und empfehlen zu diesem Be-
hufe als Dnickverhand eine 2 Ellen lange Rollbinde mit gestricktem Mittelstücke
imd Flanellenden, welche erstlich in einer Kreistour um die Stirne, dann über das
Ohr der gesunden Seite zum Hinterhaupte und unter dem zweiten Ohre vorbei
schräg über das kranke Auge gefuhrt wird. Sind beide Augen zu verschliessen, so
sollen 2 Binden angewendet werden. Um einen noch kräftigeren Druck auf die
wohl gepolsterte Augengegend ausüben zu können, wird ein sogenannter Schnür-
verhand angerühmt. Dieser macht eine 5 Ellen lange Binde der vorhin beschrie-
benen Art nothwendig und verlangt 3 aufsteigende Monoculus-Touren nach der
beim Dvuckverbande angegebenen Weise (Graefe). Es entsprechen diese Verbände,
höchst seltene Fälle vielleicht ausgenommen, den an sie gestellten Forderungen
nicht und werden besser gemieden. Uebrigens leistet der gewöhnliche Schutzver-
band bei etwas strafi"erer Anspannung der elastischen Binde alles, was man von
einem Druckverbande erwarten kann. Er hat zudem den Vortheil, den Kranken
weniger zu belästigen und jeden Augenblick ohne verwickelte Handthierungen nach
Bedarf angezogen, abgespannt oder behiifs der Reinigung des Auges auch beseitigt
werden zu können.
2. Die Einwirkung von Staub auf den Bindehautsack und die Horn-
haut, Die Beschäftigung mit staubenden Körpern, der Aufenthalt in stau-
bigen Localitäten , z. B. in den Wohnzimmern während des Auskehrens,
so wie das Ausgehen bei staubgeschwängerter Atmosphäre ist bei Vor-
handensein eines nur einigermassen heftigeren Beizzustandes der Augen
strengstens zu untersagen , da die gegen die Einwirkung des Staubes an-
wendbaren Mittel, nämlich Schutzbrillen und Schleier, ihren Zweck kaum
jemals streng erfüllen.
Als Staubbrillen wurden einstmals netzähuliclie Stoffe oder feine Gitter von
Draht in einer Art Brillenfassung, welche ringsum möglichst genau dem Augen-
hölilenrande anpasst, verwendet. Es haljen diesellten den Nachtheil, dass das Auge
hinter ihnen fortwährend in Dunst gehüllt ist, indem die an der Oberfläche des
Auges verdampfenden Feuchtigkeiten zurückgehalten werden. Dadurch werden
aber Reizzustände eher vermehrt, als vermindert. Der Ilaiiptgrimd ihrer Unbrauch-
Glimmerbrilltiii ; cliom. Schildliclikeiten. 17
barkeit liegt jedoch in der Beeinträchtigung des deutlichen Sehens, welche die
Kranken zwingt, ilire Augen stark anzustrengen, um die Gegenstände ringsunilier
in genügend klaren und scharfen Bildern zur Wahrnehmung zu bringen. Dazu
kömmt dann nocii , dass in staubgeschwängerter Atmosphäre, in welcher eben
diese Brillen zu benützen wären, die Maschen sich alsbald mit Staubtheilchen
füllen und jene Fehler vergrössern. GetcülinJiche farhloae Glashrillen von kreis-
runder Form und i^twa einem Zoll Durchmesser sind darum vorzuziehen. Hie
schützen freilicii das Auge weniger ; allein wo der Staub in solclier Menge gegeben
ist, dass der durch gewöhnliche GlasbiüUen gewährte Schutz nicht zureicht, oder
wo schon eine geringe Menge Staub, wenn sie mit der Oberfläche des Auges in Be-
rührung kömmt, nachtheilige Folgen mit sich bringt, thut der Arzt besser, dem
Kranken den Aufenthalt an solchen Orten vollkommen zu untersagen.
3. Eine Schädlichkeit ersten Ranges sind für gewisse Kreise die
Splitter von Metall, Stein, Holz, Kork (Stavenliagen) u. s. w., welche, mit
grosser Gewalt abgeschleudert, das Auge treffen, sich in dessen Oberfläche
einbohren, oder gar durchdringen, und gewöhnlich nur mit instrumentaler
Hilfe entfernt werden können, was häufig nicht ohne bedenkliche Reizung,
ja selbst nicht ohne erheblichen Substanzverlust zu bewerkstelligen ist.
Nach eingehenden statistischen Erhebungen (H. CoJmJ leidet fast die Hälfte
der Metallarbeiter an den üblen Folgen derartiger Verletzungen. Das
Tragen gewöhnlicher planer Glasbrillen könnte dieser Gefahr ziemlich
steuern ; doch steht die Zerbrechlichkeit imd Kostspieligkeit der Glasbi'illen
dem allgemeinen Gebrauche derselben von Seite der Arbeiter entgegen.
Man hat daher Glimmerbrillen einzuführen gesucht, aber leider noch nicht
allenthalben den gebührenden Anklang gefunden. Es sind dies dünne, fast
vollständig durchsichtige kreisrunde Platten von Glimmer in metallenen
Schalenzonen , welche dem Orbitalrande gut anpassen und mittelst Bänd-
chen am Kopfe befestigt (H. Colin), oder besser noch in Form gewöhnlicher
Brillen gefasst werden. Sie haben den Vortheil der Unzerbrechlich-
keit und grossen Billigkeit. Dazu kömmt, dass der Glimmer ein schlechter
Wärmeleiter ist und insoferne auch bei Feuerarbeiten vortreffliche Dienste
leistet , besonders wenn er blau oder grau gefärbt wird, um den grellen
Widerschein zu dämpfen.
B. Unter den chemischen Schädlichkeiten verdienen besondere Auf-
mei'ksamkeit :
1. Verunreinigungen des Lidrandes oder des Bindehautsackes. Bei Kin-
dern kann man hierauf nicht genug achten, wenn der Fall ein solcher ist,
dass ein Schutzverband nicht angezeigt, oder aus welcher Ursache immer
unanwendbar ist. Sie besudeln sich bei ihren Spielen alle Augenblicke
Hände und Gesicht und reiben den Schmutz in die Augen , indem sie
juckende, beissende Gefühle u. s. w. zu bekämpfen suchen. Die dagegen
zu ergreifenden Massregeln liegen auf der Hand.
2. Die Einwirkung therapeutischer Mittel. Abgesehen von Augemoässern,
Salben etc., welche z)ir Unzeit, in s« starker Dosis oder zu oft unmittelbar auf den
Bindehautsack und den Augapfel applicirt wei-den, können durch Vermehrung der
Reizung oder Entzündung schädlich werden: Salben, Tincturen u.dgl., welche zum
Zwecke der Irritation, der Bethätigung der Resorption, der Narkose u. s. w. auf
die Fläche der Lider, oder deren nächste Umgebung angewendet werden; Brei-
ttmschläge und Fomentationen mit Abgüssen oder Absuden verschiedener pflanz-
licher Heilstoife; Bäder, welche durch Beigabe von Salzen, von Decocten mancher
Wurzeln oder Rinden angeblich wirksamer gemacht werden u. s. w. Bei minder
sorgsamen Individuen, insbesondere bei Kindern, ist es nämlich kaum zu vermeiden,
dass die Augen nicht mit den gebrauchten Stoffen von Zeit zu Zeit verunreinigt
werden und eine solche Verunreinigung ist imi sf> gefährlicher, je höhergradig der
St eil wag, Atigenlieilknnde. «
13 Cansalindication : Tabak: Unreine Luft.
vorhandene Eeizzustand ist. Ancli Vesicantien, welche doch meisthin ziemlich ferne
vom Auge angelegt werden , führen auf diese Weise nicht selten zu argen Vei*-
schlimmeningen des Zustandes. Die Kranken kratzen, wischen, tasten nämlich
gerne an der wunden Stelle herum, um die lästigen Gefühle zu besänftigen, welche
das A^esicator verursacht , oder iim die Secrete der epidermislosen Hautpartie zu
entfernen , verunreinigen sich so die Hände und mittelbar auch die empfindliche
Oberfläche des Gesichtsorgans.
3. Das Tabakschnupfen. Es reizt die Augen um so mehr, je weniger
das Individuum daran gewöhnt ist, daher bei Dilettanten gewöhnlich eine
leichte Injection der Bindehaut und nebst heftigem jSTiessen ein starker
Thräneniluss auf das Nehmen einer Prise folgt. Es kann in Berück-
sichtigung dessen das Schnupfen nur in dem Falle gestattet werden, als der
Ki'anke ein Gewohnheitsschnupfer ist , und eine leichte Steigerung des
Reizzustandes keine Gefahren in sich schHesst. Bei Entzündungen, welche
leicht schlimme Folgen nach sich ziehen können, mag selbst dem Gewohn-
heitsschnupfer nur ausnahmsweise und mit grosser Vorsicht ein massiger
Gebrauch des Schnupftabaks zugestanden werden dürfen.
4. Der Aufenthalt in dumpfen fetichten, von Rauch, excrementiellen Aus-
dünstungen, von reizenden Dämpfen irgendicelcher Art erfüllten Räumen. Reine
Luft ist in der That eines der wichtigsten Erfordernisse zur wirksamen
Behandlung von Ophthalmien. Es kann daher auch nicht dringend genug
empfohlen werden , Augenkranke in Räumen unterzubringen , welche sich
leicht und vollständig lüften lassen, und von diesen Räumen alle eben ge-
nannten SchädHchkeiten so ferne als möglich zu halten.
Special muss aufmerksam gemacht werden auf das Kochen, Waschen, die
Ausübung mancher gestankreicher Gewerbe in den Wohnzimmern ärmerer Leute ;
auf das Stehenlassen von Speiseresten, von halbgefüllten Leibstühleu und Nacht-
geschirren in den Kraukensälen; auf die Aufbewahrung schmutziger Wäsche in
denselben u. s. w.
Es ist jedoch der Zustand des Kranken nicht immer von der Art,
dass derselbe das Zimmer zu hüten nothwendig hätte. In manchen Fällen
ist es geradezu wünschensicerth , dass der Kranke sich öfters im Freien
ergehe. Bei einem solchen Zugeständnisse sowie bei der Anempfehlung
von Spaziergängen möge der Arzt nie vergessen, den Charakter des Kran-
ken und dessen alienfällige Neigung zu üeberschreitungen in Betracht zu
ziehen. Die Vorsicht gebietet, dem Kranken den Besuch von Wirths- und
Kaffeehäusern, von Theatern, Bällen, Concerten und überhaupt allen Orten,
wo viele ilenschen versammelt zu sein pflegen, avisdrücklich und streng-
stens zu untersagen.
In solchen Localitäten pflegen nämlich jene Schädlichkeiten sich gleichsam
zu concentriren und sie wirken im Verein mit manchen anderen nachtheiligen Ein-
flüssen, z. B. greller oder ungleichmässiger Erleuchtung, so mächtig, dass selbst
ganz geringfügige Reizzustände zu den heftigsten und verderblichsten Entzündungen
gesteigert werden können.
In Spitälern und ähnlichen Instituten ist es auch von Belang, den Zustand
der Ahlritte ins Auge zu fassen. Häufig sind dieselben wahre Höllenpfuhle, deren
pestilenzialische Ausdünstungen selbst gesunden Augen Thränen auspressen, Augen-
kranken natürlich um so verderblicher sind , und von diesen daher nicht besucht
werden sollten. Eine ganz besondere Erwähnung verdient endlich noch
5. der Tabakrauch. Es ist derselbe ein arger Feind gereizter Augen
und es hat daher als strenge Regel zu gelten , dass derlei Kranke stets
und unter allen Umständen den Aufenthalt in geschlossenen Räumen, wo
geraucht wird, zu meiden haben ; dass Kranke mit gereizten Augen daher
Tabakraucli ; physicalische Scbädlichkeiten. X9
in ihren Wohnzimmern weder selbst rauchen , noch von Andern rauchen
lassen dürfen, aucli wenn die Lüftung leicht möglich wäre.
Bei ganz leichten Reizzuständen jedoch, welche dem Kranken den Aufenthalt
in freier Luft gestatten, aber auch nur hei diesen, ist ein absolutes Verbot des
Rauchens nicht immer unbedingt zu rechtfertigen. Leidenschaftliche Gewohnheits-
raucher entbehren diesen Genuss allzuschwer, und werden leicht zu heimlichen
Uebertretungen des ärztlichen Verbotes gedrängt. In Fällen, wo aus einer leichten
Steigerung der Reizung keine sonderliche Gefahren resultiren können, erscheint es
daher besser, dem Kranken unter dringender Ermahnung zur äussersten Massigkeit
Vorschriften zu ertheilen , deren Befolgung den schädliclien Einfluss des Tabak-
rauchens wesentlich zu mildern im Stande ist. Erste Regel ist, nur in freier Luft,
am besten bei leichtem Luftzuge, rauchen zu lassen, da hier eben die Gefahr weg-
fällt, dass grössere Quantitäten Rauch das Auge treffen. Man hat meistens auch
lauge Pfeifenröhren empfohlen, und zwar mit gutem Grunde. Lange Röhren halten
nämlich gerade jenen Theil des Rauches ferne vom Auge, welcher unmittelbar dem
Glimmherde entströmt, heisser und schärfer ist, und auf dessen Richtung selbst
geübte Raucher weniger Einfluss haben. Doch ist wohl zu merken, dass lange
Röhren meistens auch schwer seien. Hat der Kranke die Gewohnheit, die Pfeife
im Munde festzuhalten, indem er die Rohrspitze zwischen den Zähnen einklemmt,
so kann daraus leicht eine andere Gefahr entstehen. Um eine schwere Pfeife mit
den Zähnen zu tragen, müssen die Kaumuskeln sich bedeutend anstrengen ; dadurch
werden aber die von der Orbita kommenden und in die Halsvenen eingehenden
Venenstämme leicht comprimirt und Blutstockungen in der Augenhöhle begünstigt.
Leichter geschnittener Tabak hat im Allgemeinen den Vorzug vor den überaus
starken Cigarren, doch hat der erstere wieder den Nachtheil, dass er, indem er
aus Pfeifen geraucht wird, vermöge der Grösse des Gluthherdes weit mehr Rauch
entwickelt.
C. Unter den physikalischen Schädlichkeiten sind vornehmlich zu be-
achten :
1. Der Wind. Dieser ist bei Vorhandensein eines Reizzustandes der
Augen strengstens zu meiden, selbst wenn er nur mittlere Grade von Hef-
tigkeit zeigt und staubfrei ist. Schon geringfügige Reizzustände der Augen
werden durch die Einwirkung des Windes auffällig verschlimmert. Der
Arzt thut daher wohl , wenn er unter solchen ^Verhältnissen den Kranken
im Zimmer zurückhält , umsomehr , als Brillen nur einen ungenügenden
Schutz gewähren und die allerdings mehr entsprechenden Schleier nicht
allenthalben anwendbar sind.
2. Höhere Grade von Wärme. Feuerarbeiter, Köche, Bäcker u. s. w.
sind deren Einwirkung besonders ausgesetzt und müssen daher auch spe-
ciel über den schädlichen Einfluss derselben aufgeklärt und vor strahlender
Wärme nöthigen Falles durch Glimmerbrillen geschützt werden. Im übrigen
ist festzuhalten, dass eine gleichmässige mehr kühle Temperatur der Zim-
mer, in welchen sich Augenkranke auflialten, etwa 14 — -15 Grad Reaumur,
dem therapeutischen Zwecke am besten entspreche.
3. Höhere Kältegrade. Diese werden im Allgemeinen, wenigstens zeit-
weilig, besser vertragen, als höhere Wärmegrade. Bindeliautkranke insbe-
sondere fühlen sich in der ruhigen Luft eines kalten Wintertages auffällig
wohl. Bei Gegebensein heftiger Reizzustände und Entzündungen der tie-
feren Bulbusorgane, der Iris, Aderhaiit u. s. w. dürfte indessen der Aufent-
halt des Kranken in freier Luft bei höheren Kältegraden kaum ohne Ge-
fahr sein.
4. Starker und plötzlicher Temperaturwechsel, schnelle Abkühlung einer
erwärmten Körperstelle oder rasche und ungleiche Erhitzung einer der
natürlichen Wärme beraubten Partie ist seit jeher und zwar mit gutem
20 Cansalindicalion ; Znglnft ; Regoliruiig des Lichtes.
Grunde als eine der häufigeren Ursachen von Entzündungen oder Reiz-
zuständen anerkannt worden. Der plötzliche Wechsel in den localen Ver-
hältnissen des Kreislaufes spielt hierbei sicherlich eine bedeutende Eolle.
Die allerge-wöhnlichste Quelle solchen raschen Temperatur«-echsels liegt in
der Zugluft, daher denn auch die Ferulialtung derselben eine sehr wich-
tige therapeutische Aufgabe bildet.
Zu diesem Ende ist es jedoch keineswegs nothwendig, den Kranken mit
Tüchern, Wachstafiet etc. förmlich einzuhüllen, oder ihn aus Bett zu fesseln und
allenfalls dessen Kopfende mit Leintüchern zxi überdachen, oder die Lagerstätte
mit Vorhängen oder Bettschirmen zu umgeben. Dadurch wird der Kranke überaus
beengt, belästigt und unruhig, gewöhnlich bricht bald ein heftiger Schweiss aus,
selbst Congestionen zum Kopfe werden veranlasst und nicht selten führt die Be-
hinderung des nöthigen Luftwechsels zu allgemeiner Erkrankung. Der Kranke
muss frei atlimen können; daher erscheint es am zweckmässigsten, ihm den ohne-
hin engen Raum eines Zimmers nicht noch mehr zu verkümmern und nur dafür
zu sorgen, dass er, er möge nun im Bette liegen oder frei im Zimmer umhergehen,
niemals an Stelleu verweile . die dem Zuge ausgesetzt sind. Die Schädlichkeit
raschen Temperaturwechsels lässt es auch gerathen erscheinen, in Fällen, in
welchen eine gleichmässige Wärme durch die Umstände geboten ist, das kalte
Wcischen zu meiden.
D. Von hervorragender Wichtigkeit ist bei der Behandlung gereizter
oder entzündeter Augen die ReguUrting des Lichtes, deiui unzweckmässige
Erleuchtung des Auges gehöi^t zu den Avirksamsten physikalischen Schäd-
lichkeiten. In einzelnen Fällen ist es nothwendig , das Licht völlig vom
Auge abzuhalten, was entweder durch möglichste Verfinsterung des Zimmers,
in welchem sich der Kranke aufhält, oder durch den Schutzverhand erzielt
wird. In der bei weitem grössten Anzahl der Fälle indessen ist eine solche
Absperrung des Lichtes nicht nur unnöthig, sondern sogar schädlich, indem
der Kranke sich in der Eeconvalescenz nui- äusserst schwer wieder an das
Licht gewöhnt und, wenn bei der Zulassung grösserer Erleuchtungsinten-
sitäten nicht mit Vorsicht zu Werke gegangen und nicht ganz allmählig
gestiegen wird , leicht wieder Recidiven hervorgerufen werden. Durch
allzugrosse Dunkelheit wird sohin die Eeeonvalescenz verzögert, abgesehen
von dem üblen Einflüsse, welchen ein längerer Aufenthalt im lichtarmen
Räume auf das Allgemeinbefinden auszuüben im Stande ist. Massige Er-
leuchtungsintensitäten , ungeiahr wie sie die AbenddämmeiTing mit sich
bringt , dürften dem Zwecke am besten entsprechen. Gradationen sind
hierbei natürlich nicht ausgeschlossen. Sie wären je nach der Empfind-
lichkeit des Ki'anken zu wählen.
Doch ist hierbei nicht zu versessen, dass mauche Patienten über Gebühr
wehleidig sind und dass. um die Aucren nicht mehr als nöthiof vom Lichte zu ent-
wohnen, es gerathen erscheint, mehr auf den ohjectiven Zustand als auf die sub-
jectiven Gefühle des Kranken Rücksicht zu nehmen.
Von grösster Wichtigkeit ist unter allen Verhältnissen die sorgsame
Femhaltung aller Contraste. Es kann sich nämlich ein krankes Auge selbst
an ziemlich ansehnliche Erleuchtungs-Intensitäten gewöhnen, Contraste aber
verträgt sogar ein gesundes Auge nur schwer und ein gereiztes Auge wird
davon stets in sehr auffälligem Grade beleidigt. Der Arzt hat sonach sein
Augenmerk vornehmlich auf möglichste Gleichmässigkeit der Erleuchtung
zu richten.
Nach neuereu L'^ntersuchungen (Auhert) wird durch längeren Aufenthalt in
einem dunklen Zimmer die Empfindlichkeit der Netzhaut 35 mal grösser, als sie
Anfangs war, und ein Aufenthalt von "2 Minuten genügt schon, um die Empfind-
lichkeit auf das 10 — löfache zu steigern. Ausserdem ist zu berücksichtigen, dass
BoleucliinngsmiUel ; Funstervoiliiingf' ; Liclilsfliirm*», 21
ein Lichtreiz im Anfange seiner Einwirkung das Maximum der Empfindung hervor-
ruft, dass diese aber mit der Dauer des Keines so sehr abnimmt, dass sie später
bei schivaclicn Errejj^ungon bis zur Uiunerlciiciilceit herabsinken kann.
Bei kimstUclier Belcuchtmuj ist auch die Stellung der Flammen zum Auge,
die Art des Brennstoffes und die Farbe des Lichtes von Bedeutung. Man hat ge-
funden, dass eine nahe. Flamme weit mehr blendet, als eine ihrer Helligkeit gloich-
vverthige Menge cntfcrntertn' Flammen, daher sehr hell brennende Flammen (Leucht-
gas, Petroleum) innner hocli über dem Arbeitstische angebracht sein sollten,
Petroleumlicht blendet bei gleicher photometrischer Stärke am meisten (Ileymann,
Srissdorf). Gaslicht wird durch starke Wärmestrahlung, Luftverdcrbniss und Flackern
unangenehm.
\\^as die Farbe des Ijiclites anbelangt, so kann man im Allgemeinen sagen,
dass Orange, Gelb und Grün bei gleicher Intensität stärker reizen, als die übrigen
Farben. Es bekundet sich dieses nicht blos durch das subjeclive Gefühl, welches
beim Sehen durch mannigfaltig gefärbte Gläser sich im Auge zur Geltung bringt,
sondern auch durch das Mass der Eeaction de?- Piqjille. Es zieht sich diese am
meisten zusammen, wenn ansschliesslich gelbe oder orange Strahlen eines durch ein
Prisma erzeugten Sonnenspectrums in das Auge geleitet werden. Sie wird weiter
und weiter, wenn die äussersten 7-othen und gar blosse Wärmestrahlen ins Auge
gelangen. Eben so nimmt der Pupillendurchmesser zu , wenn das Auge aus dem
Gelb des Spectrums ins Grün uiul Blau gerückt wird. Doch scheinen die tdtra-
violetten, chemischen., ja selbst die äussersten violetten Strahlen das Auge wieder
stärker zu reizen. Elektrisches Licht, welches viele chemische Strahlen in sich ent-
hält, ist in der That dem Auge sehr unangenehm und fordert die Abbiendung durch
Gläser, welche mit Uranoxyd gefärbt sind (Jannsen und Follin).
Um die Erleuchtung nach Bedarf zu regehi, dienen:
1. Fenstervorhänge. Sie können bei der Behandlung von ßeizzuständen
des Atiges kaum entbehrt werden und sind , wo es sich nicht um völlige
Verfinsterung des Zimmers, in welchem sich der Kranke aufliält, handelt,
den Läden vorzuziehen.
Es müssen stets alle Fenster des Gemaches verhängt sein , und wenn die
Thüre desselben auf einen sehr hell erleuchteten Raum führt, ist es von grossem
Vortheil, auch dessen Erleuchtung abzuschwächen. Die Vorhänge müssen das
Fenster völlig decken, so dass an den Seiten keine Spalten bleiben, durch welche
das Licht dringen könnte, denn dadvirch würden sehr starke Lichtcontraste geradezu
bedingt. Aus demselben Grunde muss der Zeug, aus welchem die Vorhänge be-
stehen, auch hinlänglich dicht sein, besonders wenn die betreffenden Fenster von
der Sonne beschienen werden. An Fenstern, welche niemals dem directen Sonnen-
lichte ausgesetzt sind, genügen dünne, selbst kreppartige Zeuge vollkommen. Die
Farbe des Zeuges sei stets eine mehr düstere, am besten grau oder blau. Die be-
liebten grünen Vorhänge sind loeniger zu empfehlen, da sie im durchgelassenen Lichte
gewöhnlich eine sehr helle Färbung zeigen und derii Auge wehe thun. Am wenig-
sten entsprechen selbstverständlich die modernen, in den grellsten Farben bunt
gemalten Fenstervorhänge.
2. Lichtschirme. Sie sind ein Bedürfniss, wo die Umstände den Aufent-
halt des Kranken in einem künstlich erleuchteten Zimmer nothwendig
machen; da eine Umstellung des Patienten mit Bettschirmen u. dgl. die
Luftcirculation in der Umgebung desselben erschweren und ihn sehr be-
lästigen würde. Bewegt sich der Kranke in dem Zimmer frei herum , so
ist ein kegelförmiger Schirm mit abgestutzter Spitze , welcher die Flamme
ringsum deckt, erforderlich. Sonst genügt es, nur jene Seite der Flamme
zu verhüllen, welche gegen den Euheplatz des Kranken hin sieht.
Zu diesem Ende können die früher modern gewesenen planen Lichtschirme
verwendet werden, welche man vor die Flamme stellt; oder aber man benützt
hierzu ein Blatt groben Papiers, welches in beliebiger Weise an der entsprechenden
Seite der Flamme befestigt wird. Falls eine Lampe gebrannt wird, ist es am
besten , an dem einen Ende eines oval geschnittenen Quartblattes von grauem
Papier eine runde Oeffnung auszuschneiden und den so verfertigten einfachen Schirm
22 Causalindication ; Äugenschirme; Schleier; Schutzbrillen.
dadurch zu fixiren, dass man den Glascylinder durcli die Oefiiaung desselben steckt,
das Papier also über die Glaskugel der Lampe herabhängen lässt. Graves Papier,
vorzüglich gleichmässig dichtes Fliesspapier, ist in der That das beste Material zu
solchen Schirmen. Grell gefärbte, insbesondere die beliebten hellgrünen oder hell-
blauen Schirme entsprechen wegen der Intensität ihrer Färbung im durchgelassenen
Lichte dem Zwecke nicht. Noch weniger sind begreiflicher Weise bunt gemalte
oder gar durchbrochene Schirme zu empfehlen. Auch ganz undurchsichtige Schirme,
z. B. blecherne, sind unbrauchbar, da der C'ontrast zwischen den von ihnen be-
schatteten und den erleuchteten Stellen ein sehr grosser ist.
3. Augenschirme. Sie können nur dann von Nutzen sein, wenn es
darauf ankömmt, die directen Strahlen der Sonne oder einer anderen Quelle
intensiven Lichtes von den Augen abzuhalten. Gegen diffuses Licht leisten
sie wenig oder nichts.
Um dieses abzuwehren, müssten sie nämlich in einem sehr spitzen Winkel
zur Fläche des Gesichtes gestellt werden. Dann sieht der Kranke aber aus einem
sehr dunklen Räume in einen hellen und der so erzeugte Lichtcontrast hat dieselbe
Wirkung, als wenn der Kranke aus einem finsteren Keller durch ein Fenster auf
den hell erleuchteten Himmel blicken würde.
Das Materiale, aus welchem Augenschirme verfertigt werden , ist von unter-
geordneter Bedeiitung. Immerhin jedoch verdient es bemerkt zu werden, dass
Schirme aus grobem grauen Papier, allenfalls aus den Einhüllungen von Zucker-
hüten, mittelst angenähter Leinwandbändchen an dem Kopfe befestigt, am meisten
zu empfehlen sind wegen ihrer Geschmeidigkeit, Leichtigkeit und Billigkeit. Grün-
taffetne Schirme mit Drahtgerüsten taugen insoferne weniger, als sie im directen
Sonnenlichte viel hellgrünes Licht durchlassen und als ihr Drahtgestelle gerne an
der Schläfe drückt und dadurch unerträglich wird. Die Pappschirme sind ihrer
Steifigkeit halber sehr unangenehm.
Uebrigens liegt die Entbehrlichkeit der Augenschirme auf der Hand , da bei
der künstlichen Beleuchtung Lichtschirme genügen, im directen Sonnenlichte
aber breitkrämpige Hüte und Kappen mit weit geringerer Belästigung getragen
werden.
4. Schleier. Sie finden ihre Anwendung besonders bei Frauen und
Kindern , denen bei gereizten Augen der Aufenthalt im Freien zusagt.
Am besten sind glatte graue oder schwarze Schleier , weniger gut grüne,
gelbe etc.
5. Schutzbrillen. Sie werden am besten aus rauchgratiem Glase gefertigt.
Die grünen Gläser sind widerräthlichj da sie im hellen Lichte ein sehr inten-
sives und überdies meistens sehr stark ins Gelbe sinelendes Grün durchlassen, was
den vorhandenen Reizzustand eher steigert als mildert. Blaue Gläser 'smA. jedenfalls
den grünen vorziiziehen, da die blaue Farbe einen weniger kräftigen Eindruck auf
den lichtempfindenden Apparat macht. Doch auch sie entsprechen dem Zwecke
nicht vollkommen. Tiefblaue Gläser thun dem Auge in hellem Lichte erfahrungs-
mässig wehe. Blassblaue Gläser hingegen gewähren keinen erheblichen Schutz, sie
schwächen das Licht nur wenig ab. Sie können also nur genügen, wo es sich um
sehr geringfügige Reizznstände der Augen handelt und da sind Schutzbrillen ohne-
dies fast überflüssig.
Rcmchgraue Gläser, London- smoks, schwächen das durchtretende Licht
sehr merklich ab, und dieses zwar natürlich im Verhältnisse zur Tiefe ihrer
Schattirung. Sie hüllen alle Objecte des Gesichtsfeldes gleichsam in die
Dämmerung des Abends oder eines sehr trüben Tages, lassen die beschauten
Gegenstände in der natürlichen, in Bezug auf Intensität aber sehr gemil-
derten Färbung erscheinen und entsprechen im Ganzen recht gut dem
Zwecke, welchen man vernünftiger Weise mit dem Tragen derselben ver-
binden kann. Man hat solche rauchgraue Gläser von allen möglichen
Schattirungen. Doch sind nur die lichtgefärbten verwendbar.
Jene, deren Farbe im reßectirten Lichte sich dem Schwarz nähert, verdunkeln
das Gesichtsfeld zu sehr; sie verwöhnen die Augen und erschweren so die Rück-
London-smoks: Gebranchsregeln für Schutzbrillen. 23
kclir zur nornialcn Beleuchtung des Gesiclitsfeldes; sie verhindern weiters das
deutliche Seilen feineren Details und werden so nicht selten Veranlassung, dass der
Kranke behufs des Erkennens der ihn umgebenden Objecto seine Augen über
Gebühr anstrengt und so den Reizzustand vermehrt.
Auf dass die Schutzbrillen das von der Seite her einfallende Licht möglichst
abhalten können, ist es rathsam , runde Gläser von etwas mehr als einem Zoll
Durchmesser zu verwenden. Im Nothfalle kann man auch Seitengläser anbringen,
doch im Allgemeinen sind diese nicht zu loben, da vier Gläser mit der nothwen-
digen Fassung die IJrille sehr schuier und lästig machen, auch das Auge zu sehr
an geringe Erleuchtungsintensitäteii gewöhnen und die freie Luftcirculation in der
nächsten Umgebung des Auges sehr beeinträchtigen. Ganz verwerflich sind kleine
ovale Gläser, da sie nur das Centrum des Gesichtsfeldes decken. Sehr wichtig ist
es, darauf zu sehen, dass der Nasenbügel der Brille nicht zu lang sei und die
Gläser den Innentheil des Gesichtsfeldes gehörig beschatten. Ausserdem ist bei
der Wahl einer solchen Schutzbrille sehr darauf zu achten, dass das Glas rein sei
und keine Wellen, Streifen, Kratzer in seinem Gefüge habe, weiters, dass seine
Farbe eine rein graue sei und nicht etwa, wie dieses sehr häufig der Fall ist, ins
Gelbliche oder Bräunliche sjiiele. Zu diesem Ende lege man die Brille nach sorg-
fältiger Prüfung ihrer Oberflächen flach auf ein Blatt weisses Papier oder auf einen
beliebigen anderen rein weissen Körper, wo sich die erwähnten Fehler sehr leicht
auffinden lassen.
Es sollen die Schutzbrillen in dei* Regel plan yeschliffen sein, da ihre
Schattirung- zum guten Tlieile von ihrer Dicke abhängt , concave daher
die Peripherie des Gesichtsfeldes , convexe aber das Centrum desselben
mehr beschatten müssen, und zwar in einem um so grösseren Missverhält-
nisse , je dimlvler das Glas gefärbt und je stärker die Krümmung seiner
beiden Schliif'liächen ist.
Scliutzbrillen sind eben nicht zum genauen Sehen und der letzterwähnte
Fehler tritt um so störender hei'vor, je mehr der Refractionszustand der Augen von
der Norm abweicht, je stärker gekrümmte Oberflächen an den Brillengläsern also
beuöthigt werden. Für sehr kurzsichtige oder stark hypermetropische Individuen,
welche oluie Zuliilfenahme entsprechender Zerstreuungsgläser oder Sammellinsen
nur schwer im Freien herumgehen könuen, liegt indessen ein Auskunftsmittel darin,
dass man aus farblosem Glase thunlichst schwache planconcave oder planconvexe
Brillen, welche eben nur so viel corrigiren , als zum Zwecke dringend nöthig ist,
schleifen und an die plane Fläche derselben mittelst Canadabalsam ein planes
rauchgraues Glas kitten lässt.
Neuerer Zeit sind sogenannte Äluschelbrillen, d. i. nach Art der Uhrgläser ge-
bildete und in Brillenform gefasste Gläser sehr im Schwange. Ihre Convexität er-
laubt eine sehr beträchtliche Annäherung der Randtheile an die Umgebungen des
Auges und gestattet sonach eine wirksamere Abbiendung des seitlichen Lichtes, als
plane Brillen. Indem jedoch der Radius der hinteren concaven Fläche immer
kleiner, als jener der vorderen convexen Fläche ist, wirken diese Muschelbrillen
als schwach lichtzerstreuende Linsen und werden darum besonders hypermetropischen
Augen in der Regel sehr lästig.
Beim Gehrauche von Schitzbrillen ist Vorsicht nöthig, widrigenfalls eher
Schaden als Nutzen gestiftet wird. Yor allem ist dem Kranken zu be-
deuten, dass die Schutzbrillen nur gegen höhergradige Erleuchtungsinten-
sitäten zu verwenden seien, indem sie, bei niederen Erleuchtungsintensitäten
in Gebrauch gezogen, das Gesichtsfeld zu stark verdunkeln, das Auge an
diese Dunkelheit gewöhnen und daher nicht mehr hinreichen, um die
Reizwirkung hellen Lichtes genügend zu mildern, überdies aber die Recon-
valescenz verlängern. Sie sind also nur zu tragen , wenn die Helligkeit
eines sonnigen Tages, der Reflex sonnenbeschienener Schnee-, Sand-, Wasser-
flächen u. s. w. zu dämpfen ist, gleichviel ob das grelle Licht das ge-
sammte Gesichtsfeld oder nur einen Theil desselben erleuchtet. Dagegen
müssen sie sogleich abgenommen werden, wenn der Kranke in den gleich-
24 Caucalindication; funktionelle Schädlichkeiten.
massigen Schatten eines Hauses, eines Waldes u. s. w. eintritt, sowie sie
überhaupt auch in der Dämmerung und j^acht, an trüben Tagen etc. zu
meiden sind. Insbesondere wichtig ist , dass der Kranke die Schutzbrille
immer erst dann aufsetzt, wenn er aus dem gleichmässig schattigen Raum
eines Zimmers etc. in einen für den Reizzustand seines Auges zu hellen
Raum heraustritt. Würde der Kranke die Scliutzbrille längere Zeit im
Zimmer verwenden und mit ihr ins helle Sonnenlicht sich begeben , so
würde der Contrast in der Erleuchtungsintensität der beiden Räume um
wenis; oder nichts »lemildert werden , und Lieht conir aste sind bei gereizten
Augen eben vorzüglich zu vermeiden. Der Kranke vnirde sich dann näm-
lich nicht an die Erleuchtungsintensität des Zimmers, sondern an ein viel
schwächeres Licht gewöhnt haben, und da die Brille die Erleuchtung beider
Räume in nahezu gleichem A'erhältnisse abschwächt, so mirde die Diiferenz
keine wesentliche "S^eränderung erfalu'en.
Weiters ist wohl zu merken, dass Schutzbrillen nur im diffusen Lichte
von A'ortheil seien, gegen directe Strahlen der Sonne, einer Lampe u. s. w.
aber nichts fruchten, da durch sie eben Contraste in der Erleuchtung des
Gesichtsfeldes nicht beseitiget werden. Sie machen daher im Freien breit-
krämpige Hüte, im Zimmer u. s. w. aber Licht- oder Augenschirme nicht
überflüssig, sind in geschlossenen Räumen also um so weniger verwendbar.
Wurden rauchgraue Gläser längere Zeit von den Kranken benützt, so
dürfen dieselben 7iicht plötzlich abgelegt werden , da das verwöhnte Auge
sonst von hellem Lichte um so empfindlicher betroffen würde. Wo dunklere
Xuanceu verwendet wurden, kann man den Uebergang dadurch seiner Ge-
fährlichkeit bei'auben , dass man allmählig zu schwächeren Schattirungen
greift, damit sich das Auge nach und nach an helles Licht gewöhne.
E. Unter den functionellen Schädlichkeiten ist an diesem Orte beson-
ders heiworzuheben jedwede Art von Anstrengung der Augen behufs deutlichen
und genauen Sehens.
Bei einigermassen heftigeren Reizzuständen, namentlich wenn sie mit Schmerzen
oder mit Lichtscheu verknüpft sind, verbieten sich solche Anstrengungen meisthin
von selbst, indem der Kranke durch die alsogleiche Zunahme der subjectiven und
objectiven Reizerseheinungen an der Aufnahme und Fortsetzung derartiger Be-
schäftigungen gehindert wird. Wo indessen der Reizzustand ein geringerer ist,
findet sich der Kranke sehr häufig nicht veranlasst, durch Aufgeben seiner ge-
wohnten Thätigkeit sich Opfer aufziierlegen, indem sich die missliebigen Folgen
erst nach einiger Zeit geltend machen oder überhaupt nicht sehr aufFällig hervor-
treten, da der Krankheitsprocess entweder nur einfach auf derselben Höhe er-
halten, oder vielleicht in seinem Rückgange verzögert, oder endlich nur sehr all-
mählig zur Verschlimmerung gebracht wii-d. Dann ist es an dem Arzte , durch
Darstellung des Sachverhaltes dem ferneren Wirken solcher Schädlichkeiten ent-
gegen zia treten.
Im Allgemeinen erscheint es am gerathensten, Augenkranken das
Lesen, Schreiben, kurz jede Beschäftigung, bei welcher entweder der licht-
empfindende Apparat oder das Accommodationsorgan stärker bethätiget
wird , geradezu auf die Dauer der Krankheit zu untersagen und dann
nur eine ganz allmählige Rückkehr zur gewohnten Thätigkeit zu gestatten,
indem grössere Zugeständnisse meisthin zu ^lissbräuchen führen und die
Wirkungen der angewandten Mittel solchermassen geschwächt oder aufge-
hoben werden.
F. Weitere therapeutische Aufgaben entspringen aus dem Abhängig-
keitsverhältnisse, in welchem die Blutbewegung in den extraocularen Stäm-
CürculiitionsstörnnKt'ii ; Iiulieatio iiinilii. 25
men und mit einer gewissen Beschränkuna; auch in dem Binnenstvomgebiete
zum allgemeinen Blutdrucke und zu den Kroislaufbedingungen in den Ge-
fässon des Knpfcfi und Halses sicdil. Es fallen diese Aufgaben gi'össten
Theiles hinüber auf das Gebiet der Jndicatio morhi. liier sei nur erwähnt,
dass Herzkrankheil eil , Hemmnisse in der rforiadercirculation etc. sich in
Kreislaufstörungen des Sehorgans widerspiegeln; ja dass sogar Abweichungen
der AthnunystldUiylceU 7a\ einer Uuell(> verderbliclua" Stauungen im Bereiche
des Auges werden können. Es muss denigomäss bei (longestivzuständen
des letzteren und seiner Umgebung biei-anf sorgfältig geachtet werden.
Insonderheit ist wegen der das Einströmen des Blutes in das Herz er-
schwerenden Wirkung der Kxsjnration dem Augenkrankeii die Vermeidung
des lauten Sprechens, Schreiens, liufens, Singens, des Niesens und so viel
als thunlich auch des Hustens zu empfehlen , und dieses zwar um so
dringender, je hochgradiger der im Sehorgane gegebene krankhafte Process
entwickelt ist , und in einem je wichtigeren Organe derselbe seinen Sitz
aufgeschlagen hat. Zeigt sich doch bei derartigen Anlässen durch die ver-
mehrte Turgescenz und durch auifällige Röthung des Gesichtes deutlich,
welch grossen Eintluss eine starke und anhaltende Ausathmung auf den
Blutlauf nehme. Uebrigens wirkt hier die Exspiration nicht gaiiz allein,
es hilft in Betretf des Sehorganes ein anderer Umstand wesentlich mit. Es
ziehen nämlich viele der aus den Orbitalvenen theilweise gespeisten Blut-
adern des Gesichtes zwischen den Knochen und den Muskeln des Antlitzes,
Beim lauten Sprechen u. s. w. werden diese Muskeln stark betheiliget, und
indem ihre Bäuche anschwellen, drücken sie die Venen gegen die Knochen
und verengern so deren Lichtung.
Ausserdem ist alles auf das sorgsamste zu entfernen und zu ver-
meiden, was im mindesten die Athmungsthätigkeit durch Verengerung der
Luftröhre und des Brustraumes oder durch Compression der Lungen er-
schweren könnte. Hieher gehören unter anderen : den Hals zusammen-
schnürende Binden , enge anliegende auf den Thorax drückende Kleider,
Ansammlungen von Fäcalmassen in den Gedärmen, UeberfüUung des Magens
mit Speisen und Getränken.
Endlich ist es eine Hauptregel, dass Kranke mit congestionirten oder
entzündeten Augen nichts essen , was einen grösseren Kraftaufwand von
Seite der Kaumuskeln nothwendig macht , wegen der oben angedeuteten
blutstauenden Wirkung der Gesichtsmuskelu. Die Verschlimmerung der
Congestivzustände des Auges nach starken Mahlzeiten, bei welchen die Kau-
muskeln einigermassen mehr in Anspruch genommen wurden, ist Sache
der täglichen Erfahrung.
n. Die Indicatio morhi zielt darauf hin : a. den localen Stoffumsalz zu
beschränJcen, b. die Blutzuftihr zu vermindern und c. das Fieber zu beseitigen
oder doch zu vermindern. Die hierzu dienlichen Mittel sind :
1. Directe Wärmeentziehung. Sie wirkt als ein kräftiger Reiz auf die
contractilen Theile der Gewebe, und besonders auf die Gefässmuskeln, be-
stimmt sie zur Contraction, verursacht somit eine Verengerung der Gefäss-
lichtungen und vermindert auf diese Weise die Blutzufuhr zu dem Ent-
zündungsherde und den Austritt weisser Blutkörperchen aus den Gefässen
(Samuel). Ausserdem stumpft sie die Sensibilität der Theile ab und ver-
mindert so die Reizungen, welche von Seite der schmerzhaft ergriffenen
2h Indicatio morlji ; 'Wänneentziehnng.
Nerven auf die vasomotorisclien Sympathicusfasern reflertirt werden. Auf
dass man jedoch ivohlthätige Wirkungen von der Wärmeentziehung wirklich
erwarten dürfe, wird vorausgesetzt, dass der auf die vasomotorischen Ner-
ven ausgeübte Kältereiz ein gewisses Mass nicht überschreite^ widrigenfalls
die Contractur der Gefassmiiskeln alsbald in paralytische Erschlaffung um-
setzt und die Bedingungen des Ausgleiches sich wesentlich verschlimmern.
Die Mittel, um Kälte auf die Augengegend einwirken zu lassen, sind
natürlich ausserordentlich mannigfaltig. Doch dürften Icalte Ueberschläge
zu oculistischen Zwecken am besten passen.
Douchen waren früher einmal Mode, doch ist deren Anschaffung für den
Privatmann zu kostspielig nnd in den Spitälern hat man sie grösstentheils aufge-
geben, ein sicheres Zeichen, dass diesell)en ihrem Zwecke wenig oder nicht ent-
sprochen haben.
Um eine Ueberreizung der vasomotorischen Nerven und deren üble
Folgen zu vermeiden, ist bei der Anwendung von kalten Ueberschlägen in
erster Linie für Ausschliessung starker Temperatiircontraste zu sorgen. Es
darf der- Ueberschlag nicht Zeit haben , sich zu erhitzen , ehe er durch
einen anderen ersetzt wird. Vielmehr sind die Ueberschläge rasch zu loech-
sein und zwar um so rascher, je wärmer der kranke Theil ist. Der Ge-
fahr eines positiven Zuvielthtins wird man leicht begegnen , wenn man als
Norm betrachtet, die Kälteivirkung niemals so weit zu treiben, dass die Tem-
peratur des Theiles um ein Bedeutendes unter das physiologische Mass sinld,
wenn mau also die kalten Ueberschläge nur so lauge anwendet, als die
Wärme des entzündeten Theiles eine grössere ist, als jene der umgebenden
gesunden Partien. Im Ganzen haben Wärmeentziehungen in der Therapie
der Augenentzündung ein sehr enges Indicationsfeld und, wo sie mit Nutzen
verwendet werden , haiidelt es sich zumeist bloss um zeitweilige vor-
sichtige Durchführung. Nur in sehr speciellen Fällen, bei gewissen höchst-
gradigen Entzündungen der äusseren Theile des Sehorgans, sind fort und
fort, Tag und Nacht, applicirte kalte Ueberschläge unentbehrlich.
Am geeignetsten zu solchen Ueberschlägen sind leinene Compressen, welche
in kaltes Wasser getaticht und ansgewunden, oder noch besser auf einem Eisblocke
erkältet worden sind. Es sollen diese Compressen nicht viel mehr Fläche liaben
als die äussere Oeffnung der Orbita, um nicht den normalen Umgebungen der-
selben zu viel Wärme zu entziehen. Auch sollen dieselben nicht zu schiver sein,
da sie sonst in der Regel sehr lästig und bei grösserer Empfindlichkeit nicht ver-
tragen werden. Eine 3 — 4fach zusammengelegte feinleinene Compresse genügt
vollkommen. Die Ueberschläge müssen immer gut ausgewunden sein. Tropfen sie
nämlich, so wird durch das ablaufende Wasser, so wie durch die Befeuchtung der
Wäsche u. s. w. leicht der Grund zu argen Verkühlungen gelegt. Ueberdies weichen
solche nasse Ueberschläge leicht die Oberhaut auf, diese wird abgestossen , das
Coriura blosgelegt und so nicht selten ein heftiges Erythem oder gar ein Erysipel
hervorgerufen.
Excoriationen und deren üble Folgen entstehen übrigens um so leichter, je
salzhaltiger das verwendete Wasser oder Eis ist. Brunnenwasser ist ans diesem Grunde
von Alters her zu Ueberschlägen unbrauchbar erklärt worden. Wo man sich nicht
sehr weiches Wasser oder daraus geformtes Eis verschaffen kann, nnd kalte Ueber-
schläge Noth thun, dürfte man mit Vortheil destillirtes Wasser im abgekühlten oder
gefrorenen Zustande verwenden. Besonders wichtig sind diese Vorsichten bei Leuten
mit sehr zarter empfindlicher, oder mit schlaffer welker Haut. Solche Individuen
vertragen kalte Umschläge meisthin schwer; daher letztere auch nur in dringender
Noth und soweit möglich sparsam angewendet werden müssen, selbst auf die Gefahr
hin, die Heilung zu verzögern. Etwas mildern kann man indessen diesen üblen
Einfluss allerdings, wenn man die äussere Haut mit einer sehr dünnen Schichte
reinen frischen Fettes bestreicht oder durch ein leicht mit Fett bestrichenes Läpp-
Blutentziehungen; Aderlass; Blutegel; Bdellatomie. 27
chen feiner Leinwand die directe Einwirkung des feuchten Ueberschlages auf die
Haut verhindert. Sind bereits Excoriationen zu Staude gekommen, ein Erythem
u. s. w. vorhanden, so ist es freilich das Beste, die Umschläge womöglich wegzu-
lassen und die Heilung der Hautentzündung durch leichtes Bestreichen mit Fett
zi; begünstigen.
2. Directe Blutentziehungen. Vor Kurzem noch waren Aderlässe sehr
beliebt. Es steht ihr übrigens sehr zweifelhafter therapeutischer Nutzen
jedoch in keinem Yerhältnisse zu dem verderbliclien Eiirfiuss, welchen sie
auf den Ernährungszustand des gesammten Körpers nehmen können ; daher
man sich derzeit in der Augenpraxis fast durchgehends auf örtliche Blut-
entziehungen beschränkt. Deren Zweck ist, den Abfluss des Blutes aus con-
gestionirten oder entzündeten Organen in der Richtung der Gefässöffnungen
zu erleichtern, also der Entwickelung von Stasen zu steuern und vorhan-
dene entzündliche Stasen zu lösen (Samuel), um so den Durchtritt weisser
Blutkörperchen durch die Gefässwände und die Filtration möglichst zu be-
schränken. Die gebräuchlichen Mittel sind der natürliche und der künstliche
Blutegel, Schröpf köpf e , Incisionen und Scarificationen der Bindehaut.
Die natürlichen Blutegel werden ebenso wie die künstlichen in der
Regel an die Schläfengegend als der anerkannt geeignetsten Stelle applicirt.
Um einige Wirkung zu erzielen, müssen bei ganz kleinen Kindern 1 — 2,
bei grösseren Kindern 3 — 4, bei Erwachsenen aber ztun wenigsten 6 — -8
Stück Blutegel mittlerer Gattung angelegt werden. Auch ist behufs dessen
dafür zu sorgen , dass die Egel möglichst gleichzeitig anbeissen und dass
nach deren Abfall der Blutfluss reichlich und leicht von Statten gehen
könne. Insoferne die ableitende Wirkung natürlicher Blutegel , eine rasch
vorübergehende ist und die durch sie bedingten Strömungsalterationen sich
bald wieder ausgleichen, erscheint es im Interesse einer möglichst grossen
Ausbeutung des zeitweiligen Effectes räthlich, die Blutegel bei entzündlichen
Zuständen womöglich immer vor oder im Beginne der Exacerbationen anzu-
wenden , indem während dieser der Process einen Aufschwung nimmt,
reichlicher producirt und wohl auch seine Schmerzhaftigkeit steigert.
Die Fossa angiilaris ist so wie die äussere Haut der Lider insoferne ein un-
passender Ort für die Anlegung der Blutegel, als deren Bisse oft lange Zeit kennt-
lich bleiben und den Kranken entstellen. Hauptsächlich aber ist dieser Ort darum
zu vermeiden, weil die Blutegel nicht selten die überaus dünne Haut jener Stellen
und selbst die darunter ziehenden Venenstämmchen durchbeissen und so zu be-
deutenden Blutungen, insbesondere aber zu ausgedehnten Blutergüssen in das lockere
Unterhautbiudegewebe Veranlassung geben, zu Extravasationen, welche oft Wochen
und Monate brauchen, ehe sie verschwinden und dem Kranken erlauben, sich unter
Menschen zu zeigen, bisweilen sogar noch üblere Folgen mit sich bringen, indem
sie Entzündungen, ja selbst Abscessbildungen bedingen. Die Gegend des Zitzen-
fortsatzes kann als Ansatzort dienen , wenn eine gegebene Congestion oder Ent-
zündung des Sehorganes mit Hyperämien der Schädelbasis in nahem pathogenetischen
Zusammenhange steht.
Es lässt sich die Grösse der therapeutischen Wirkung natürlicher
Blutegel in- und extensiv durch das in neuerer Zeit wieder empfohlene
Anschlagen derselben, die sogenannte Bdellatomie, steigern, indem solcher-
massen nicht nur die Menge des entleerten Blutes , sondern auch die
Schnelligkeit, mit welcher dasselbe den Gefässen entzogen wird, wesentlich
vermehrt wird.
Die Bdellatomie geschieht am besten mit Hilfe eines Aderlassschnäppers, kann
im Nothfalle jedoch auch mittelst einer Aderlasslancette durchgeführt werden. Der
günstigste Zeitpunkt ist, wenn der angelegte Blutegel sich bereits massig angesaugt
hat. Man hebt dann das Schwanzende des Thieres vorsichtig ab und schlägt die
28 Indicatio moil>i; Blnlentziehungeii ; Heiivtelonp'schPv Blutegel,
Klinge kräftig in die Seite des Schwänzendes, am besten in die linke, ein. Am
Rücken wird die Verwundung weniger gut, am Bauche schlecht vertragen. Nach
dem Anschlagen muss die Wunde durch Waschen mit einem feuchten Schwämme
oder durch Anspritzen mit lauem Wasser von Gerinnseln frei gehalten werden,
damit das Blut ungehindert aus der Leibeshöhle des saugenden Thieres ausfliessen
könne. Ein so behandelter Blutegel saugt viel länger , als ein gesunder und ent-
zieht viel grössere Mengen von Blut, bis zu Einer und ausnahmsweise selbst
2 Unzen. Fällt er wegen Unruhe des Kranken oder wegen roher Hanthierung
vorzeitig ab, so saugt er sich, angelegt, rasch wieder an. Sorgfältig in reinem
Wasser gehalten, kann dasselbe Thier in Zwischenpausen von mehreren Tagen
oder Wochen wiederholt angelegt und angeschlagen werden {Fwcher).
Rasche örtliche Entziehuugeu grösserer Blutniengen werden übrigens
am sichersten durch den künstlichen Blutegel bewerkstelligt. Man zieht den
Heurteloup' sehen , welcher eine kreisrunde Wunde setzt , dem Harder'schen,
welcher mit drei federnden Messerchen einschneidet, vielseitig vor. Die
durch die Application dieses Instrumentes bedingten in- und extensiv sehr
erheblichen Strömungsalterationeu finden eine sehr wichtige Quelle in dem
mächtigen Eindrucke, welchen die plötzliche Entleerung eines Gefäss-
bezirkes auf die vasomotorischen Nerven der Nachbarschaft und selbst ent-
fernterer Verzweigungsgebiete ausübt. Die revulsorische Wirkung offenbart
sicli nach der Operation meistens in sehr aufTälligeu nervösen und vascu-
laren Aufregungen, eine Reaction , deren Stärke leider nicht immer im
Voraus zu bemessen ist und unter Umständen sogar in hohem Grade ge-
fährlich werden kann. So beobachtet man als unmittelbare Folge der Appli-
cation fast constant eine erhebliche Zunahme der Hyperämie in den nachbar-
lichen Theilen, welche allerdings bald weicht und im günstigen Falle der
beabsichtigten Gefässcontraction Platz macht. Bei sehr erregbaren Kranken
kömmt es wohl gar zu förmlichen Bluticallungen und nicht selten äussert
sich die Reaction gegen den Eingriff auch in allerlei Sensibilitätsstörungen,
in subjectiven Lichterscheinungen und bei gegebener Amblyopie hat man eine Ab-
nahme der Sehschärfe constatirt, welche oft erst nach einigen Tagen schwindet.
Es gilt dieses nach den bisherigen Erfahrungen, wenn auch in gerin-
gerem Masse, auch von der Bdellatomie ; auch diese soll den Kranken immer
sehr bedeutend aufregen. Es erscheint darum räthlich , die örtlichen Blut-
entziehungen dieser Ai't stets vor dem Schlafengehen vorzunehmen, damit
die nachfolgende Nachtruhe beitrage, die Reaction zu beschwichtigen. Bei
sehr erregbaren Kranken empfiehlt man sogar möglichste Ruhe in verdun-
keltem Zimmer während des ganzen folgenden Tages (Graefe). Immerhin
sind dieses nur Palliativmittel , welche die Gefahren der Reaction wohl
mindern können, aber nicht aufheben.
Im Ganzen ersieht man, dass örtliche Blutentziehungen, mittelst der
Bdellatomie und namentlich durch den künstlichen Blutegel veranlasst,
bei entzündlichen Zuständen mit mehr sthenischem Charakter besser gemieden
werden , und dass deren Anwendbarkeit sich lediglich auf mehr passive
Hyperämien uad chronische Entzündungen beschränke. Doch auch in Betreff
dieser ist das dem künstlichen Blutegel in neuerer Zeit gespendete Lob
nicht verdient ; es sind die damit erzielten Erfolge zum mindesten sehr
zweifelhaft und lohnen kaum die Leiden des Kranken.
Die blutigen Schröjjfköpfe finden in der Nähe des Auges keinen geeigneten
Ansatzort, in grösserer Entfernung davon applicirt sind sie aber kaum von genü-
gendem Einfluss auf die Circulationsverhältnisse des Sehorganes und seiner Adnexa.
Trockene Schropfköpfe, an die Schläfengegend geheftet, sind soviel wie unwirksam.
tJeliröpfkopfo ; Scanli(;atioiu:u ; aiiliplilu),'ibtisi-lie Uiill uud Arznoikorpor. 29
Tncisionen und Scarificationen kommen mir bei höchstgradigen Bindehautent-
zilndun(]en in Anwendung. Die grosso .Sclimerzhaftigkeit dieses Verfahrens setzt in-
dessen seiner Ausführung in der Meln-zalil der Fälle unübcrsteigliche Hindernisse
in den Weg und der praktische Augenarzt muss sich um so mehr besinnen, es in
Anwendung zu bringen, als der Erfolg nicht immer den Erwartungen entspricht
oder ein für den Kranken greifbarer ist, vielmehr eine Steigerunfj der entzündlichen
Erscheinungen in der locker gewehten Bindehaut als Nachwirkung nicht gerade
zu den Seltenheiten gehört. IJeberdiess liisst sich die gewünschte Wirkung zum
grossen Theile durch Application eincir genügenden Anzahl von natürlichen Blut-
egeln erzielen.
3. Antiphlogistische Diät im weiteren Wort sinne. Man verstellt dar-
unter ausser der Verminderung der Zufuhr eigentlicher Ernlihrungsstoffe
zum Blute auch die Fernhaltung alles dessen , was erregend auf das
Nervensystem oder die Circulation wirken könnte.
Sie ist mit aller Strenge und in ihrer ganzen Ausdehnung zu hand-
haben, wo die Entzündung durch ihre Intensität iind Extensität gefülirlich
erscheint, es möge nun der gesammte Organismus durch Fieberbewegungen
seine Theilnahme beurkunden oder nicht.
Sonst genügt es in der Kegel, Massigkeit in jeder Beziehung einzu-
halten und den Genuss harter, zäher, die Kaumuskeln stark anstrengender
Speisen zu meiden. Eine rigorose antiphlogistische Diät ist in Fällen ge-
ringerer Bedeutung um so weniger gerechtfertigt , als durch die Herab-
setzung der Gesamniternährung , besonders bei chronischem Verlaufe des
Uebels und fortgesetzter Entziehungskur, leicht andere Gefahren begründet
werden können, welche jene des localen Leidens weit überwiegen.
Wo die Ernährung ohnehin darniederliegt oder vielleicht gar darin
begründete Schwächezustände bei der Entwicklung der Entzündung be-
günstigend mitgeiüirkt haben, wird es öfters geradezu nothwendig sein, diirch
kräftigende und leicht stiniulirende Diät, also durch Hebung der allgemeinen
Nutritionsverhältnisse, dem Ausgleiche der Störungen vorzuarbeiten.
Zur strengen antiphlogistischen Diät gehört die grösste körperliche
und geistige Euhe ; Erhaltung einer gleichmässig reinen imd kühlen Luft;
Vermeidung aller aromatischen und geistigen Getränke, des Kaffee, Thee,
des Weines, Bieres und aller wie immer geheissenen gebrannten Wässer;
Abbruch an der zur Sättigimg erforderlichen Menge von Speise und sorg-
fältigste Wahl milder, leicht verdaulicher, wenig nährender Substanzen.
Besonders dienlich erscheinen in dieser Beziehung leicht oxydationsföhige
Stoffe, Liebig's llespirationsmittel, die PHanzensäuren, die leichten Stärke-
und Zuckersorten etc. — Suppen, leichte Gemüse, Salate, gedünstete oder
eingemachte Früchte, säuerliche Getränke u. s. w. haben sohin als Haupt-
bestandtheile der Kost zu gelten. Stark gewürzte Speisen sind stets zu
untersagen; ebenso fette, letztere besonders darum, weil sie bei der durch
den Krankheitszustand gebotenen Körperruhe schwer verdaut werden.
Auch ist es gerathen , die Speisen mehr kühl geniesen und davon jedes-
mal nur wenig, dafür aber öfters des Tages verabreichen zu lassen.
4. Antiphlogistische Arzneikörper. Ilire Zahl ist gross, dagegen ilu'e
Verlässlichkeit im Kampfe gegen den entzündlichen Process als solchen
sehr gering. Man soll daher mit ihrer Anwendung in Fällen reiner
Ophthalmien, wo es lediglich auf antiphlogistische Wirkungen ankömmt,
so viel als möglich zurückhalten; wo es die Verhältnisse erheischen, die
milderen derselben, den Scdpeter (Samuel), die kohlensaioren, phosphor sauren,
30 Indicatio morti ; Antiphlogistische Arzneikörper ; Mercuralien.
pflanzensauren Alittehahe gebrauchen und die heroischen meiden odei' doch
nur dann benützen, wenn durch den entzündlichen Process die Functions-
tüchtigkeit des Sehorganes in wirkliche Gefahr gerathen ist und es darauf
ankömmt, im Falle eines üblen Ereignisses sich selbst sagen zu können,
es sei Alles geschehen, was zur Abwendung des traurigen Ausganges nur
immer geschehen konnte.
Von dem Gebrauche des Inf. rad. Senegae, des Terpentin'öhles und ähnlicher
Specifica ist man längst abgekommen, es ist daher überflüssig, ihrer hier weiter zu
erwähnen. Der Brechweinstein, ein früher sehr beliebtes Mittel, ist in der Angen-
praxis ganz nutzlos, ja geradezu schädlich und darum strenge zvx meiden. Das
Jodkali dagegen, in massigen Dosen verabreicht, ist kaum bedenklich, als reines
Antiphlogisticum aber von keinem besonderen Werthe.
Am meisten Missbrauch ist jedenfalls mit der Anwendung des Quecksilbers
getrieben worden, indem man jede nur einigermassen heftige Reizung im Bereiche
des Sehorganes mit Mercurialien behandelte. Man sah im Quecksilber ein Mittel,
welches ganz specifisch auf das Auge wirken und daselbst entzündliche Störungen
ausgleichen sollte. Der Grund dieser gewiss irrthümlichen Meinung liegt vielleicht
in einem Beobachtungsfehler. Man hatte sich eingebildet, die syiihilitische Iritis sei
durch ganz bestimmte Erscheinungen characterisirt und wo diese Symptome fehlen,
könne von der syphilitischen Begründung einer gegebenen Regenbogenhautentzün-
dung keine Rede sein. Hier liegt der erste Fehler, da es über jeden Zweifel er-
haben ist, dass jede Iritis, ihre Form sei welche sie wolle, auf syphilitischem
Boden wurzeln könne. Indem man nun in der Praxis öfters auf Iritiden stiess,
welche, jener präsumtiven Merkmale der Syphilis entbehi-end, dennoch syphilitischen
Ursprungs waren, und demnach nur der antisyphilitischen Behandlung, namentlich
mit Mercur wichen, musste man nothwendig auf den Gedanken kommen, das
Quecksilber wirke aiif das entzündete Sehorgan kräftiger ein, als andere Arznei-
körper, und so geschah es, dass dasselbe bald den Ruf einer wahren Panacee
erlangte.
Am häufigsten wird sonderbarer Weise das Calomel angewendet, ein Prä-
parat , welches bekanntlich sehr gerne dünnflüssige grüne Stühle hervorbringt und
sehr leicht höchst fatale und hartnäckige Speichelflüsse erzeugt, die dem Kranken
sehr lästig und gar nicht selten auch verderblich werden. Oft genügen wenige
Dosen von einem Grane, um diesen überaus misslichen Zustand hervorzurufen,
und man ist gezwungen , den Mercur aufzugeben, ehe er die gewünschten Wir-
kungen entfalten konnte. Wo es also wirklich darauf ankömmt, zu vtercurialisiren,
ist das Calomel gerade weniger geeignet. Aehnliches gilt von dem Merc. solubilis
Hahnemanm und dem Protojoduretum Hydrargyri.
Mehr dürfte der SvbUmat zu empfehlen sein. Dieser wird oft gut vertragen
und kann lange Zeit ohne besonderen Nachtheil genommen werden. Mitunter je-
doch erregt er heftige Magenschmerzen, welche den weiteren Gebrauch desselben
verbieten. Ambesten wird er in Pillenform gegeben.- Rp. Merc. subl. corros. gr. 2,
solve in s. q. Aq. dest. simpl. adde micae panis alb. q. s. ut f. pil. gr. 1 2sr. 32.
Consp. pulv. I^iiquiritiae. Man lässt des Morgens und des Abends eine Pille bei
leerem Magen nehmen und von zwei zu zwei Tagen mit der Dosis bis zu V'a Gtran
Sublimat pro die steigen, dann aber ebenso wieder in zweitägigen Perioden mit
der Dosis sinken.
Sehr beliebt sind ausserdem Einreibungen von Unguent. Hydrarg. cinereum
in die Stirngegend. Man glaubt dadurch die Wirkung der innerlich verabreichten
Antiphlogistica zu unterstützen, gleichzeitig aber auch die Aufsaugung im Bereiche
der Augenhöhle kräftig anzuregen. Der Nutzen dieses Mittels ist jedoch mehr als
zweifelhaft. Bei Kindern und unreinlichen unachtsamen Kranken ist die Einrei-
bung dieser Salbe in der Nähe des Auges sogar gefährlich, da derlei Individuen
das Mittel überall herumschmieren, wohl auch in den Bindehautsack bringen land
so missliebige Reizungen am Auge begründen.
Wo es darauf ankömmt , das Quecksilber rasch und in genügender
Menge eindringen zu machen, um möglichst schnell eine kräftige Wirkung
zu erzielen, insbesondere bei Begründung von Ophthalmien durch ein syphili-
tisches Grundleiden, ist die Schmierkur ohne Zweifel das sicherste ^Mittel.
Sclimioiliur. 31
Sie wird neuerer Zeit mit dem innerlichen Gebrauche des Jodkali oder des
billigeren Chlorlcali verbunden, eine Combination, welche vielfältige Er-
fahrungen als wehr vortlu'ilhaft erwiesen haben. Die Zahl der Einreibungen
und sollin auch der Kurtage hängt von dorn Ei'folge des Mittels ab. Im
Allgemeinen soll die Behandlung bis zum Schwinden der Ophthalmie und
der nebenbei etwa vorhandenen Erscheinungen der constitutionellen Syphilis
fortgesetzt werden. Um frisch entstandene Localleiden zu beseitigen, ge-
nügen oft 10 — 16 Einreibungen, mitunter sind aber zu diesem Zwecke
auch 20 — 30 Inunctionen erforderlich. Darüber hinaus zu gehen, ist nicht
räthlich, denn wo 20 — -30 Einreibungen keinen Erfolg haben, nützt auch
eine weitere Einfuhr von Mercur in den Körper nichts, kann vielmehr
nur schaden.
Die Dringlichkeit der Umstände gestattet bei Ophthalmien die sonst üljlichen
zeitraubenden Vorhereifungen zur 8chniierknr meistens nicht. Warme Bäder werden
durch einigermassen heftigere Entzündungen des Auges sogar contraindicirt i;nd
müssen in solchen Fällen durch Waschungen der zu salbenden Körpertheile mit
lauem Seifenwasser ersetzt werden.
Zur Einreibung werden täglich 1 Ins 2 Scrupel der grauen Salbe verwendet.
Diese Dosis wird in kleineren Theilen nach und nach unter sanften kreisförmigen
Bewegungen bis zum völligen Verschwinden, am besten von dem Kranken eigen-
händig, eingerieben und zwar den ersten Tag in die Waden und in die Kniebeuge,
den zweiten Tag in die innere Fläche der Schenkel, den dritten an die beiden
Brust- und Bauchflächen , den vierten in die innere Seite der Vorder- und Ober-
arme nebst der Ellenbogenbeuge, worauf derselbe Turnus von vorne begonnen
wird. Brustwarzen, Nabel, sehr haarige Theile und mit nässenden Ausschlägen
oder Geschwüren bedeckte Hautstellen sind dabei zu meiden. Nach erfolgter Ein-
reibung ist der betreffende Theil mit einem leinenen oder wollenen Tuche ein-
zuhüllen.
Die beste Zeit zum Einschmieren ist eine Stunde vor dem Einschlafen, da
während der nächtlichen Ruhe die Ausdünstung am wenigsten leicht gestört wird.
Des Morgens früh wird der Kranke durch eine zweite Decke in eine mehrstündige
verstärkte Transpiration gebracht, dabei aber so wie während des nächtlichen
Schlafes dafür gesorgt, dass er sich nicht bis über den Mund zudecke und so die
in der Bettwärme entwickelten Mercurdämpfe einathme. Sodann wird die gesalbte
Stelle mit lauem Seifenwasser abgewaschen und getrocknet, worauf der Kranke
das Bett zu verlassen und sich Tags über zweckmässig gekleidet im Zimmer auf-
zuhalten hat.
Das Bett ist jederzeit an einer vor Zughift und Lichtwechsel völlig ge-
sicherten Stelle des Zimmers aufzustellen, darf aber durch Schirme, Vorhänge und
andere Vorrichtungen nicht eingeengt werden, da Verhinderung der Luftströmung
Speichelfluss begünstigt und das Verweilen in einem enge umschlossenen Räume
den Kranken unnöthiger Weise übermässig belästigt und ihm selbst schädlich
werden kann. Ueberhaupt ist ausgiebige und tägliche Lüftung des Zimmers eine
nie zu versäumende Massregel, behufs welcher der Kranke, wo thunlich, am
besten zicei Zimmer zu seinem ausschliesslichen Gebrauche verwendet. Sehr wichtig
ist dabei, dass die Temperatur des Zimmers eine warme sei und niemals unter
lö*^ R. sinke, denn Verkühlungen können während der Kur und kurz darnach
leicht zu verderblichen Folgen führen.
Die dringende Nothwendigkeit, für ausgiebige Lnftnng zu sorgen, ergibt sich
besonders deutlich aus neuerlich an Menschen und Thieren angestellten ^^ersuchen
und aus Beobachtungen an Quecksilberarbeitern, Spiegelmachern etc. Es stellen
dieselben heraus, dass das Quecksilber besonders in Dampfform schädlich wirkt
und dass die im Verlaufe der Schmierkur auftretende Stomatitis mid deren reflec-
torische Folge, der Speichelfluss in erster Linie, wenn nicht ausschliesslich, durch
die eingeathmeten Mercurdämpfe veranlasst werden. Die vorwiegende Disposition
der Mundschleimhaut zu entzündlichen Affectionen bei Einwirkung dieser Dämpfe
erklärt sich durch die starke Reibung und den Druck, welchen dieselbe vornehm-
lich an den Zähnen ausgesetzt ist. Bei zahnlosen Greisen und Kindern soll diese
Disposition in der That fehlen. Uebrigens kömmt als pathogenetisches Moment
32 Indicatio morbi; Schmierkur; Zilmann'sches Decoct.
der mercuriellen Stomatitis auch der Umstand in Betracht, dass das in den Körper
aufgenommene Quecksilber hauptsächlich durch den Speichel ausgeschieden wird,
mit der Mundschleimhaut also in unmittelbare Berührung kommt iind hier durch
den mechanischen Contact in eben der Weise Entzündungen anregen kann, wie an
der äussern Haut empfindlicher zarter Individuen (Kirchgasser).
Von höchster Wichtigkeit ist in Anbetracht dessen auch die ins Kleinlichste
gehende Sorgfalt für Reinlichkeit des Mundes und der Zähne. Die allstündliche und
auch des Nachts öfter wiederholte Anwendung von Mund- und GiirgeJivässern so
wie das Putzen der Zähne mit weichen Zahnbürsten oder feineu Leinwandlappen
ist unerlässlich, um bei disponirten Leuten den bekannten Nachtheilen der Queck-
silberkur mit Sicherheit zu begegnen. Als Mund- und Gurgelicässer eignen sich bei
Vorhandensein von Mund- und Eachengeschwüren am besten Lösungen von Sub-
limat gr. 1—2, oder Natri subchlorin. drach. 2—4, oder Chloret. Kali drach. 1 auf
das Pfund Wasser; sonst aber Solutionen von Alumin. crud. drach. 1 — 2,
oder Tannini pur. di-ach. */2 — !> oder Tinct. gallic. drach. 2 — 4, oder Borac. venet.
drach. 1 — 2 auf das Pfund Wasser. Ist bereits das Zahnfleisch angegriffen, aufge-
lockert, schwammig, excoriirt, leicht blutend, so muss nebstbei der Zahnrand des-
selben täglich mehrmal mit Gallustinctur oder Opiumtinctur bestrichen werden.
lieber Tag nimmt der Kranke während der ganzen Kurdauer eine Löung
von einer halben Drachme Jodkali oder Chlorkali auf 4 Unzen Wasser. Die Diät
ist möglichst zu beschränken, doch nicht in dem Grade, dass der Kranke durch
Hunger herabkomme. Wo die Kräfte bereits sehr gesunken sind, erscheint es so-
gar räthlich, durch reichliche nahrhafte, leicht verdauliche Speisen dem Organis-
mus zu Hilfe zu kommen. Die Sorge für tägliche ein- oder mehrmalige Stuhlent-
leertmgen ist nicht zu vernachlässigen. Bäder sind während der Kur wegen des
Augenleidens nicht anzurathen, so nützlich selbe auch sonsten sein mögen ; dafür
aber ist das öftere Wechseln frischer, wohl durchwärmter Wäsche ohne allem
Nachtheil für die Kur, vielmehr nothwendig.
Am Tage nach der letzten Einreibung nimmt der Kranke wo möglich ein
warmes Seifenbad oder wird mit warmem Seifenwasser am ganzen Körper wohl
gewaschen und wechselt die Wäsche. Nur allmälig darf er zu seiner früheren
Lebensweise zurückkehren. Sehr räthlich ist es, das Jodkali noch einige Zeit nach
dem Aussetzen der Einreihungen forthrauclien zu lassen. Wo indessen eine kräftigere
Nachhilfe von Nötheii scheint, insbesondere wenn aus irgend einem Grunde die
Schmierkur vorzeitig unterhrochen werden musste, dürfte es räthlich sein, täglich
ein Pfund des schwächeren oder auch wohl des stärkeren Zifmaini' sehen Decoctes
in Anwendung zu bringen. Man gibt es am besten zeitlich Morgens und lässt den
Kranken darnach noch 2 — 3 Stunden im Bette dunsten.
Ueberhaupt ist das Zitmann'sche Decoct in der bekannten Weise methodisch
angewendet, auch im Stande, die Schmierkur noflidürftig zu ersetzen, wo sich der
Durchführung letzterer uuübersteigliche Hindernisse in den Weg stellen.
Die Schmierkur wird noch vielseitig für einen höchst, verderblichen
Eingriff in den Organismus gehalten und gefürchtet. Bei Lungenschioachen
und Tuberculosen ist sie allerdings sehr bedenklich und wo möglich zu
meiden, indem solche Individuen erfahrungsgemäss von Qiiecksilberdämpfen
sehr übel mitgenommen werden. Im üebrigen aber beobachtet man im
Gefolge vorsichtig und zweckmässig geleiteter luunctionskuren kaum erheb-
liche Xachtheile für den Gesammtorganismus und die enorme Scheu vor
denselben scheint übertrieben, wenn man in Erwägung zieht, dass noch
vor Kurzem allenthalben, und theilweise selbst noch gegenwärtig, bei den
unbedeutendsten Localaffectionen das Quecksilber in starken Dosen und
durch lange Zeit verabreicht wurde, oluie dass sich sehr auffällige und
bleibende Schäden ergeben haben. Immerhin fordert der Mercur als thera-
peutisches ^Mittel die grösste Vorsicht und sein Gebrauch ist nur in wirk-
lich dringenden Fällen zu rechtfertigen, wo andere ^Mittel nicht zureichen.
K^amentlich bei syphilitischen Äffectionen der Binnenorgane des Augapfels ist
er unersetzlich und anzuwenden, selbst auf die Gefahr hin, dass das con-
Draslicii ; Indirecle Gegenreizo ; Epispastica. 33
stitutionelle Leiden nicht zur Heilung gelange und in Folge der mercuriellen
Beliandlung bei den naclifolgenden Recidiven ausarte (Boeck). Es wird
nämlich selbst von den heftigsten Gegnern des Mercurs anerkannt, dass
frische Localaff'ectionen durch das genannte Mittel in der Hegel leicht und
oft mit überrasciiender Sclmelligkeit beseitiget werden. Hierauf kömmt es
aber bei syphilitischen Oi)hthalmieM eben an, iiulcm ein kurzes Verzögern
der Heilung das Seliorgan oft dauernd schädigt und functionell selbst ver-
nichten kann, während Recidiven docli nur in Aussicht zu nehmen sind
und nicht gerade immer in diesem hochwichtigen Körpertheile sich wie-
derholen.
5. Eigentliche Drastica, die purgirenden Mittelsalze, schwefelsaures
Natron, Magnesia, Kali, sowie die übrigen Pvirgantien, die Jalappa, die
Senna, das Ricinusöl u. s. w. finden nur in wenigen Fällen genügende
Indicationen, daher ihr Gebrauch nur in beschränktem Maasse zu recht-
fertigen ist. Als Revulsoria leisten sie nichts, sondern können eher schaden,
indem sie durch die Erzielung häufiger Stühle und durch Leibschmerzen
die anderseits so dringend gebotene Ruhe des Kranken stören und diesen
in unausgesetzter Aufregung erhalten. Als entleerende Mittel indessen lassen
sie sich keineswegs verwerfen. Es ist nämlich nicht selten dringend noth-
wendig, rasch ergiebige Stuhlentleerungen zu veranlassen, um vorhandene
Ansammlungen fäcaler Massen im Darmkanal zu beseitigen und den durch
sie begründeten Congestivzuständen in der oberen Körperhälfte, besonders
im Kopfe, zu begegnen. In der That sind hartnäckige Stuhlverstopfungen
dem günstigen Verlaufe von Ophthalmien in hohem Grade feindlich und
darum mit Sorgfalt zu behandeln. Da sind denn auch die eigentlichen
Drastica nicht selten ganz unentbehrlich. Wo es sich indessen blos
darum handelt, einer Ansammlung fäcaler Massen vorzubeugen, indem man
den etwas trägen Darmkanal leicht anregt, genügen in der Regel die als
Eccoprotica geltenden Arzneikörper. Es kömmt dann ja eben nur darauf
an, täglich eine oder mehrere leichte breiige Entleerungen zu veranlassen,
ein förmliches Purgiren hat nach dem Mitgetheilten keinen Zweck. Die
hierzu dienlichen Mittel müssen mit Grund als bekannt vorausgesetzt
werden. Leicht abführende Mineralivässer spielen dabei eine sehr wich-
tio-e Rolle.
*o^
6. Indirecle Gegenreize können laut physiologischen Experimenten
ohne Zweifel Wirkungen entfalten, welche den Ausgleich congestiver oder
entzündlicher Zustände zu fördern geeignet sind. Doch hat man diese
Wirkungen nicht in der Hand, und wenn sie einmal durch Contractur der
Gefässe den Wünschen entsprechen , veranlassen sie das andere Mal eine
Steigerung und Ausbreitung der Gefässparalyse. Bei leichten Erkrankungeu
minderwichtiger Organe wird mau damit allerdings keine grosse Gefahr
laufen. Da kann man aber auch der Epispastica gut entbehren. Bei schweren
Leiden wichtiger Organe jedoch kann schon eine blos vorübergehende Ver-
schlimmerung möglicherweise die verderblichsten Folgen nach sich ziehen und
das Spielen mit einem Mittel, welches ebenso gut zu nützen als zu schaden
vermag, erscheint hier als Vermessenheit. Uebrigens haben vorurtheilsfreie
Beobachtungen am Krankenbette längst sichergestellt, dass die indirecten
Gegenreize nur selten, wenn überhaupt, einen erheblichen Nutzen, dagegen
stell wag, Auginlieilkuiule. 3
34 Indicatio morbi ; Narcotica; Morphium.
bisweilen Schäden stiften, welche grösser sind, als die, welche durch die
ursprüngliche Krankheit jemals bedingt werden konnten.
Namentlich gilt dieses von den Moxev, Haarseilen und Fontanellen. Brandige
Absterbungen in weiter Ausdehnung, erschöpfende Eiterungen, ja selbst Erysipele
mit tödtlichem Ausgange gehören zu den möglichen Erfolgen. Nicht viel besser
sind die Pustelbildungen durch Einreihimg von Brechweinsteinsalbe. Selbst die Appli-
cation des Ev!pliorhienj)flasters, der Resina Elevii etc. zum Zwecke der entzündlichen
Ableitung ist nicht ohne Gefahr, besonders bei Leuten mit zarter Haut und vor-
züglich bei Kindern. Es entstehen gar nicht selten in Folge von Derivationen
durch derartige Substanzen , welche hinter das Ohr oder an die Schläfegegend
applicirt wurden, ausgebreitete Impetigines . Eczeme, besonders häufig aber sielit
man die Hals- iind Nackendrüsen anschwellen und selbst vereitern. Ueberdies ist
es eine ganz gewöhnliche Beobachtung, dass unachtsame Leute und Kinder fort-
während an der geschwürigen Stelle kratzen und mit den Fingern die reizenden
Substanzen herumschmieren, selbst aixf die Conjunctiva bringen und so die Ent-
zündung im Auge mächtig steigern.
7. Narcotica. Sie sind häufig von unzweifelhaft günstiger Wirkung
und finden ihre Anzeige nicht blos in der symptomatischen Erleichterung,
welche sie dem Kranken durch Milderung oder Beseitigung quälender
Schmerzen gewähren ; sondern können aucli insoferne einen günstigen Ein-
iiuss auf den Verlauf der Entzündung ausüben , als sie erstens die durch
heftige Schmerzen bedingte körperliche und geistige Unruhe des Kranken
vermindern, zweitens aber durch Herabstimmung der krankhaft aufgeregten
Gefühlsnerven die auf die vasomotorischen Nerven reflectirten Eeize, also
eine Schädlichkeit beseitigen, welche in Bezug auf die Circulations- und
Ernährungsverhältuisse im Entzündungsherde nicht gering anzuschlagen ist.
Niemals darf indessen ausser Acht gelassen werden, dass die Narcotica, in
wirksamen Dosen verabreicht, auch gefährliche Älittel seien und neben der
gewünschten Wirkung in der Regel auch missliehige NebcnAvirkungen ent-
falten, für welche letztere der gegebene Kranldieitsprocess oft keine Recht-
fertigung enthält. Man soll diese Arzneikörper daher nicht leichtsinnig
anwenden, sondern nur dort, wo wirklich die Noth es gebietet, und stets
auf der Hutli sein, um Schäden zu vermeiden.
Das Morphium steht in der Reihe der Narcotica obenan wegen der
Sicherlieit und grossen Gleichmässigkeit seiner arzneilichen Wirkung ; wo
es auf rasche , kräftige und bestimmte Erfolge ankömmt , verdient es vor
allen anderen den Vorzug, üocli veranlasst es gerne ^'omituritio^^en und
Erbrechen, was in der Augenpraxis unter Umständen sehr gefährlich werden
kann und den Gebrauch des Alkaloides einschränkt. Am meisten empfiehlt
sich seiner grossen Löslichkeit halber das salzsaure oder schwefelsaure Mor-
phium. Es wird am besten in Gestalt hypodermatischer FAnsp>ritzungen an-
gewendet. Man ist da nämlich der vollen Aufnahme des Mittels sicherer
und dessen Wirkungen treten constanter, vollständiger und rascher hervor,
als beim innerlichen Gebrauche , ja sie machen sich oft schon innerhalb
einer halben oder ganzen Minute auftallig , daher dieses Verfahren auch
bei lehensgefährUchen Zufällen , Intoxicationeu u. s. w. , wo es auf eine
Wirkung allgemeinen Charakters innerhalb der kürzesten Zeit ankömmt, am
Orte ist.
Als Mittel zu diesen Injectionen dient am besten die von Luer verbesserte
Pravaz'sche Spritze. Der geeignetste Ort zur Application ist, wenn allgemeine Wir-
kungen des Mittels gewünscht werden, oder Sclnnerzen in der Atigengegend zu tilgen
sind, die Mitte der Schläfe. Bei sonstigen Neuralgien und bei Reflexkrämpfen
müssen jedoch der Ort des Schmerzes oder beziehungsweise die dominirenden Druck-
Hypodermatische Einspritzungen; Mydriatica. 35
punkte zum Eiiisticlio g'ow.-ililt werden. Man mnss die Haut lieliufs dessen in eine
Falte fassen und stark abziehen, naclt dem Einstiulic aber wieder auslassen, damit
selbe entspannt werde, widrigenfalls das Mittel wieder austritt. Zur Einspritzung
verwendet man beliufs der Anä.s'fhe.iiriinfj durcliweo-s Tjösungen von 4 Gran des
Morpliiunisalzes auf die üraclnrie Wasser. Man füllt dieselljen in die Spritze und
injicirt davon so viel, dass der Stempel etwa auf den 7. — 11. Theilungsstrich des
Kolires zu stehen kinnmt, wo dann bei \'q — '/^ Grau des Alkaloidcs eingedrungen ist.
Die Lösung muss vollkommen klar und neutral sein. Die primäre Erregung pflegt
naeh li^-ijodermatisclicn lujectionen des Morphium viel stärker zu sein, als nacii
dem iniierliehcn Gebrauelie. Auch Ueblichkeiten und Erbrechen treten häufiger
ein, was wohl zu l)eriicksichtigen ist. Doch sind alle die Erregungssymptome rasch
voriibcrgehetul.
Die örtliche Reaction gegen die Verletzung als solche ist fast durchgehends
eine äusserst geringe, wenn die Spitze des Instrumentes die nöthige Schärfe besitzt
und mit Vorsicht manipulirt wird. In keinem Falle dürfte von der Wunde und
dem Eindringen der Lösung ins Unterhautzellgewebe irgend welche erhebliche Ge-
falir zu besorgen sein. Doch fügt es der üble Zufall, ziun Gliicke in ausnehmend
seltenen Fällen, dass die Spitze des histrumenfes in die Lichtung einer stibcutanen
Vene hineintrifft und so die Lösung direct ins Bbit eingespritzt wird. Die Zufälle
sind dann äusserst erschreckend und treten blitzähnlich auf, nämlich starkes Brennen
und Stechen der ganzen Haut , weiters starker essigsaiirer Geschmack auf der
Zunge, Dunkelröthe des Gesichtes, Ohrensausen, Funkensehen und sehr heftige
Schmerzen in der Kopfschwarte; dabei ausserordentlich heftige und schnelle Herz-
bewegungen, bei manchen Kranken sogar Bewusstlosigkeit und Convulsionen; Zu-
fälle, welche mehrere Minuten andauern, in allen bisher beobachteten Fällen aber
nach Verlauf einiger Stunden ohne Nachtheil völlig vorübergingen. Es ergibt sich
daraus die goldene Regel, sehr langsam zu injiciren und bei eintretendem Unfälle
sogleich einzuhalten und zuräckzupumpen, was bei dem blitzschnellen Aufflackern
der Reaction leicht geschehen kann. Bei Gefahr einer Apoplexie wegen Gefäss-
erkrankungen ist ein rasch vorgenommener Aderlass sehr zu empfehlen (Niiss-
haiim, Feith).
Die endermatische Anwendung des Opium und Morphium in Gestalt von Salben
oder Pulvern, welche letztere auf eine durch Vesicantien der Epidermis beraubte
Stelle der Stirnhaut aufgestreut zu werden pflegen, ist durchaus unzuverlässig und
eignet sich daher nicht, wo eine locale Herabstimmung der aufgeregten Gefühls-
nerven wirklich und dringend gefordert wird.
Die verdAinnte Blavsäure sammt dem Kirschlorheer- und Bitlermandelwasser,
die Digitalis, der Sturmhut, das LupuUn, das Bilsenkraut, die Belladonna und der
Stechapfel etc. sind als reine Anod.yna ganz unbrauchbar, da bei loirksamen Gaben
die lästigen Nebenwirkungen zu stark vorschlagen. Doch können die Digitalis und
das Aconitum durch ihren eclatanten Einfluss auf die Thätigkeit des Herzens und
der Nieren unter gewissen Verhältnissen die Lösung localer Entzündungen Ijegün-
stigen helfen und sohin in der Eigenschaft als Antiphlogistica am Platze sein. Das
Aconitum war und ist ausserdem hie und da als Mittel gegen rheumatische und
gichtische Artectionen beliebt, was vielleiclit damit zusammenhängt, dass es die
Beweglichkeit und Spannung der willkürlichen Muskeln herabsetzt ( Achscharumoiu,
Blodig).
S. Die Mydriatica, puplUenerioeilernden Mittel, sind in der Augenheil-
kunde von unschätzbarem Werthe. 8ie führen ihren N'amen von der auf-
fälligsten ihrer Wirkungen , nämlich von der Erweiterung der Pupille. Als
Mydriatica im engeren Worlsinne gelten die Belladonna, der Hynsciainus und
das Strammonium mit ihren ALkaloiden, dem Atropln, Hyosciamla und Daturin.
Auch das Solanin. (Fraas), das Delphinin (L. v. Praag), das Aconitin (Lomhe,
Atthil) wirken bei innerlichem Gebrauche, das Slrychnin (Braun) bei üusserlicher
Application pupillenerweiternd. Nach Versuchen an enthaupteten Thieren soll
ausserdem die Wärme, im Gegensatze zur myotischen Wirkung der Kälte, eine
Mydriasis zu veranlassen im Strande sein (Schur). Doch können diese Mittel ihrer
vorschlagenden Nehenicirkungen wegen behufs der Pupillenerweiterung nicht be-
nützt werden.
3*
36 Indicatio morti ; Wirknng der Mydriatica.
Die Pupilhner Weiterung, welche durch die eigentlichen M^'driatica be-
dingt wird, ist bei richtiger Anwendung des Mittels eine maximale, d. h.
die Iris zieht sich auf ein schmales Bäumchen zurück. Die Eegenbogen-
haut wird dabei völlig unbeweglich, sie reagirt nicht mehr auf Lichtcontraste
und Accommodationsimpulse. Die Mj'driasis steht übrigens nicht allein da,
sondern ist stets an hochgradige Beschränkung des Accommodationsvermögens
gebunden ; ja bei kräftiger Einwirkung wird das letztere sogar völlig auf-
gehoben und es sinkt überdies der Refrac.tionszustand des dioptrischen Appa-
rates ein wenig unter das Maass herab, welches in der Norm der Ruhe
des Accommodationsappai'ates entspricht. Es dauern diese Wirkungen je
nach Umständen zwei oder mehrere Tage, worauf der Pupillendurchmesser
sich allmälig verkürzt und das Spiel der Pupille wieder beginnt. Am
spätesten weicht die Accommodationsparalyse, sie hält in stetig abnehmendem
Grade noch Tage lang an , nachdem die Pupille ihre normale Weite und
Beweglichkeit wieder erlangt hat.
Die M}driatica müssen, sollen sie ihre eigenthümliche Wirkung sicher
und ausgiebig entfalten, unmittelbar auf das Auge applicirt werden, so dass
sie von der Bindehaut oder Cornea aufgenommen werden können ; widrigen-
falls die Mydriasis gar nicht oder spät und in ungenügendem Grade zu
Stande kömmt und sehr rasch wieder zurückgeht.
Dem entsprechend vermögen directe Einwirkuno^en der fraglichen Mittel auf
Ein Auge nicht eine Pupillenerweiteruug in beiden Augen zu bewerkstelligen, und
wo eine Mydriase auch in dem anderen Auge hervortritt, ist erfahrungsmässig in
der Regel eine Uehertragung des Mittels durch Zufall etc. anzunehmen. Man hat
sogar eine Verengerung der Pupille auf dem anderen Auge beobachtet. Diese dürfte
jedoch dem verstärkten Lichteindrucke im mydriatischen Auge auf Rechnung zu
setzen sein.
Bei dem innerlichen Gebrauche der Mittel geschieht es häufig, dass elier be-
denkliche Intoxicationserscheinungen hervortreten, als die Pupille sich erweitert; eine
beträchtliche und anhaltende Mydriasis ist auf diesem Wege nur unter grosser Ge-
fahr zu erzielen. Ebenso haben sich hypodermatische Injectionen und Aufstreuungen
des Mittels in Pulverform auf von der Oberhaut entblösste Hautstellen zum Zwecke
der Mydriasis als unzureichend erwiesen; sie sind nur am Platze, wo es sich mehr
um allgemeine Wirkungen handelt.
Wird ein Mydriaticum unter geeigneter Form in den Bindehautsach
gebracht, so gelangt ein kleiner Theil des Mittels durch Diffusion alsbald
in den Binnenraum (Ruiier, Graefe) und findet hier Gelegenheit , auf das
intraoculare Gangliensystem einzuwirken. Die Pupillener Weiterung und Accom-
modationsparalyse sind eben nur der Ausdruck für eine durch das Gift be-
dingte relative Leitungsunfähigkeit dieser Ganglien. Die letzteren erscheinen
nämlich undurchgängig für Willensimpulse, sowie für alle vom Gehirne ver-
mittelte reflectorische und consensuelle Nervenströme , welche von den
ciliaren Zweigen des Oculomotorius dahin geleitet werden ; sie bleiben aber
empfänglich für direct auf sie wirkende oder von den sensiblen Quintus-
zweigen überkommene Reizungen und reflectiren dieselben mit ungeschwächter
Kraft auf die von ihnen peripheriewärts abgehenden motorischen Endzweige
des dritten Gehirnnerven. In der That konnte man selbst durch Reizung
des intracraniellen Stammtheiles des Oculomotorius keine Verengerung der
durch Mydriatica erweiterten Pupille erzielen (Grilnhagen, Bernstein) ; wohl
aber zieht sich diese rasch und kräftig zusammen, wenn das Kammerwasser
oder ein Theil des Glaskörpers entleert wird , wenn electrische Ströme auf
den Sphincter pupillae geleitet werden (Bernstein), oder wenn starke Chemi-
Wirkung der Mydriatica. 37
calien, Nicotin, Creosot. otc. auf dic^ Oberiiiiciic des Bulbus wirken (Rogow).
Ueberdies lehrt die tägliche Krfuhrung, dass selbst die stärkste Mydriasis
bald zurückgeht, wenn krankhafte Processe mit heftiger Reizung der ciliaren
Quintnszweige sicli entwickeln , und dass die Mydriasis ausbleibt, wenn die
fraglichen Mittel bei Bestand (ünes solchen Leidens örtlich angewendet
werden, ja die Grösse und Schnelligkeit, mit welcher die Mydriatica wir-
ken, ist ein vom praktischen Standpunkte sehr gut verwerthbarer Maassstab
zur Beurtheilung der Intensität gegebener Ciliarreizungen.
Es kann der Ausgang.spnnkf der Reactionen, welche vom Bindehautsack aus
wirkende Mydvialica und Myolica im Sphincter pupillae und im Ciliarmuskel her-
vorrufen, nicht leicht anderswo, als im ciliaren Ganglienftystem gesucht werden, da
sich diese Reactionen strenge auf das Gebiet des letzteren beschränken und sich
auch dann einstellen, wenn der Oculomotoriu/istavwi durch Krankheit oder auf
operativem Wege leitungsunfähig geworden ist {Ruete, Donders) , wenn man den
Halssympathicus allein (Biffi, Cramer, Donders) oder nebst dem Trigeminusslamme
(Biidge, Dondei'sJ durchschnitten hat, ja selbst wenn der Sehnerv und sämmtliche
Ciliariterven durchtrennt wurden (Budge), oder wenn an frisch abgeschnittenen Thier-
köpfen Gehirn und Rückenmark entfernt oder das Aiige ganz isolirt wordeu ist
fRuiter, Rogow, Grünhagen). Es können aber auch nicht wohl jene Bhmenvmskeln
selber (Budge, G)-'dnhagen) oder die Enden der sie beherrschenden Oculomotorius-
fasern f Bernstein , Dogiel, Rogow) das unmittelbar und allein von dem Gifte Be-
troffene sein, weil die durch Mydriatica bedingte Lähmung des Sphincters eben nur
eine relative ist, die Muskelfasern desselben und seine Nervenenden bestimmten
Reizen gegenüber also ihre volle P^unctionstüchtigkeit bewahren.
Die relative Lähmung des Pupillenschliessers reicht indessen nicht
aus, um die Mydriasis voll zu erklären. Die beträchtliche Vohimsvermin-
derung, welche die auf einen schmalen Saum zurückgezogene Iris erleidet,
setzt die Thätigkeit einer Kraft voraus , welche das Blut aus den Regen-
bogenhautgefässen in den hinteren Theil des uvealen Stromgebietes auszu-
weichen bestimmt. Ausserdem ist die sichtliche Zerrung und häufige Zer-
reissung bestehender hinterer Synechien, sowie die colossale schleifenartige
Ausdehnung der zwischen angelötheten Stellen gelegenen Bogentheile des
Pupillarrandes , Bürge dafür, dass auf letzteren ein mächtiger Zug in ra-
diärer Eichtung ausgeübt wird. Man muss daher annehmen, dass neben
der relativen Lähmung der motorischen Nerven des Sphincters und Ciliar-
muskels eine Erregung der dem Sympathicus zugehörigen motorischen Nerven
des Dilatator pupillae und der Gefässmuskulatur Platz greife.
Es stimmt damit vollkommen die anerkannte Thatsache , dass complete Lei-
tungsunterbrechungen des Octdomotoriusstammes blos eine halbe Erweiterung der
Pupille im Gefolge haben und auf die Form der letzteren bei Gegebensein hinterer
Synechien nur geringen Einfluss nehmen. Es fehlt eben der zweite Factor, die
krampfhafte Innervation des Dilatator pupillae und der Gefässmuskeln der Iids.
Wird diese jedoch durch Mydriatica oder durch Reizung des Halssympathicus her-
vorgerufen, so vervollständigt sich die Mydriase zu demselben Grade, wie bei Inte-
grität des dritten Nervenpaares und auch die Zerrung wird an hinteren Synechien
deutlich.
Ob übrigens die Erregung der oculopupillaren Synipathicuszweige bei künst-
licher Mydriasis auch in den intraocularen Ganglien den Ausgangspunkt hat, oder
ob die sympathischen Nerven selbst von dem Gifte unmittelbar beeinflusst werden,
darüber lässt sich streiten. Für letzteres sprächen einige Versuche an Thieren
(Meuriot, Fräser). Ist aber das erstere der Fall, so ergäbe sich ein wesentlicher
Unterschied gegenüber den ciliaren Zweigen des Oculomotorius , indem der fimc-
tionelle Zusammenhang der sympathischen Fäden mit ihren cerebralen Ursprüngen
nicht gelockert erscheint, wie daraus zu entnehmen ist, dass Trennung des cervicalen
Grenzstranges die Mydriasis schwächt (Biffi, Cramer, Donders), Reizung desselben
aber verstärkt (Donders), es müsste denn sein, dass diese Verhältnisse auf Rech-
3S Indicatio morbi; Mydriatica; Deren Anzeigeu und Gegenanzeigen.
mino: jener zahlreichen sympathischen Röhren zu stellen ist, welche mit den Ge-
fässen in den Biunenraum gelangen und wahrscheinlich jene Ganglien nicht durch-
schreiten. Jedenfalls vermitteln diese Nervenknoten Reflexe von Seite der sensiblen
Quintnsfasern auf die motorischen Nerven des Dilatator pupillae und der Gefäss-
muskulatur der Iris und zwar mögen schwache derartige Reize die Reaction dieser
Muskeln etwas verstärken, heftige Reize hingegen heben sie bestimmt auf, lähmen
die betreffenden Sympathicuszweige vollständig, so dass weder Galvanisirung des
Halssympathicus , noch Reizung der cerebralen Ursprünge durch Kohlen.säure eine
Pupillenerweiteruug zu veranlassen im Stande sind (Rogow).
Die Mydriatica finden nach allem dem Yornehmlich ihre Anzeige, wo
es sich tim eine Erweiterung der Pupille als solclie, oder nm kräftige Zu-
sammenziehungen des Muse, dilatator pupillae handelt. Unter Umständen
wird anch die Herabsetznng des Befractionszustandes des dioptrischen Appa-
rates nutzbar. Ausserdem lässt sich ihre lähmende Wirkung verwerthen
bei Krämpfen der vom Nerv, oculomotorius beherrschten Binnenmuskeln des
Auges. Es sind diese Krämpfe unzweifelhaft ein selir gewöhnlicher Be-
gleiter von heftigen Reizzuständen der sensiblen Ciliarnerven , wie selbe
bei den verschiedenen Eormen der Keratitis , der Iritis u. s. w. häufig
beobachtet werden und es liegt nahe , die günstige Wii-kung , welche die
Mydriatica bei derlei Krankheiten erzielen , theilweise aus der Beseitigung
jener Spmsmen zu erklären; denn jedenfalls wirken die letzteren auf die
sensiblen Ciliarnerven und dadurch auf die vasomotorischen Kerven reiz-
vermehrend zurück. Ob dabei noch eine directe schmerzstillende Wirkung
(Meuriot, Bezold, Bloehaum) in Rechnung zu ziehen ist, steht dahin. Sicher-
lich ist indessen die lähmende Kraft nur der eine Factor , der andere und
zwar vielleicht der Hauptfactor ist in der kräftigen Zusammenziehung der
Gefässe zu suchen , welche durch die M5'driatica im vorderen Theile des
Ciliargebietes unbestreitbar ins W^erk gesetzt wird und diesen Mitteln mit
gewissen Beschränkungen eine Stelle unter den wahren Antiphlogisticis ein-
zuräumen erlaubt.
Diese Beschränkung bezieht sich vorerst auf die OertUchkeit. Die
Stetigkeit der intraocularen Blutmenge knüpft nämlich an die Verengerung
des vorderen Theiles des ciliaren Stromgebietes nothwendig eine gleich-
werthige Erweiterung des chorioidalen Gefässnetzes , für welche denn auch
wirkliche Beobachtungen Zeugniss ablegen (Schneller). Es ist aber klar,
dass ein vermehrter Blutzufluss für den Ausgleich congestiver oder entzünd-
licher Zustände der Aderhaut unmöglich günstig sein könne. In der That
erheben sich neuerer Zeit bereits Stimmen (Mooren) gegen den Gebrauch
der Mydriatica in Fällen , in welchen der hintere Uvealtrakt der Sitz der
genannten Krankheiten ist oder deren Entwickelung befürchten lässt ; auch
mehren sich seit Kurzem die Anzeichen dafür , dass der Gebrauch des
Atropius den Ausbruch eines in der Anlage bereits vorhandenen Glaucoms
(Graefe, Hasket Derby), der Ketzhautabhebung und anderer mit Circulations-
störungen im Aderhautgebiete zusammenhängender Zustände zu fördern im
Stande sei. Man kann unter solchen Verhältnissen auch um so leichter
der fraglichen Glittet entbehren, als die mit Vorliebe gehegte Meinung, man
könne durch Mydriatica auf die Höhe des intraocidaren Druckes Einiluss
nehmen , katim eine Berechtigung hat , vielmehr durch die unveränderte
Pulsstärke und Strömungsgeschwindigkeit , welche die Blutkörperchen in
der entoptischen Aderfigur eines atropinisirten Auges zeigen (Hippel, Grün-
hagen), eher loiderlegt wird.
Uebersättigunt,' mit Mydriaticis; Hyoaciainiii ; Daturin. 39
In zwoit(M- liinio bezieht sich jene H(>schriinkunp; auf die Dosis des
Mittels. Die sympathischen Fasern verläugnen nämlich auch den Mydi'ia-
ticis gegemihcM- nicht ihren Charakter, vcrmög-e welchem sie nur durch
relativ schwache Iveizunf>-en in einen Zustand anhaltender Erregung ver-
setzt, durch starke Heize jedoch alsbald gelähmt werden (S. 12). In Ueber-
einstiramuni»' damit ist es auch seit lang-em bekannt, dass stark dosirte oder
während geraumer Zeit sehr häufig wiederholte örtliclie Applicationen der
frag-lichen Mittel schliesslich zu einer ganz autfälligen Steigerung der krank-
haften Gefässerscheimtngen führen. 80 oft^ das Mittel angewendet wird,
röthet sich die Bindehaut und das Kpiscleralgewebe überaus stark und
schwillt an, es stellen sich intensive Schmerzen ein und der entzündliche
Process nimmt einen Aufschwung.
lu einzelnen Fällen liat man als Folsi'e eines solchen ^'erfa]n■ens soo-ar die
selbsständiye Entwicklung heftiger blepharoconjunctivalei- Reizzustände mit Thräncn-
flnss, Ocdem nnd eczematösen Ausschlägen beobachtet, welche monatlang an-
hielten (Gvaefe). In anderen Fällen soll der Augapfel am Ende viel von seiner
normalen Resiitenz verloren haben (CocciusJ, was man mit argen Störungen des
Kreislaufes und der Ernälunng im hiut(u-en Bulbusraume in Zusammenhang zu
bringen Ursache hat.
Man pflegt unter solchen Umständen von einer TJehersättigung des Auges
zu sprechen, doch darf man dabei nicht übersehen, dass derlei Zufälle bis-
weilen sehr früh, nach Anwendung weniger und schwacher Dosen eintreten
(Lawson). Es macht sich eben auch hier die individuelle und nach Zeit
und Umständen sehr wechselnde Empfänglichkeit der sympathischen Fasern
geltend. Trügt nicht alles, so dürften passive Erweiterungen der Binnen-
gefasse, wie selbe degenerative Entzündungsprocesse des gesammten Uveal-
traktes begleiten, vornehmlich aber bei zufälligen und operativen Eröff-
nungen der Bulbuskapsel wegen thoilweiser Entleerung der Binnenmedien
gesetzt werden und sich bis zur Consolidirung der Narbe erhalten , der
Verkehrung der Reaction ganz besonders den Weg bahnen und man thut
jedenfalls gut, mit der Anwendung der Mj^driatica unter solchen Umständen,
namentlich nach Staarextractionen, vorsichtig zu sein. Die eindringlichen
Warnungen (Sichel), welche jüngst gegen den Missbrauch der Mydriatica
gerichtet wurden, haben insoferne ihre Berechtigung.
In therapeutischer Verwendung steht fast nur das Atropin und zwar
das krystallisirte neutrale schwefelsaure Salz desselben, da es in Wasser sehr
leicht löslich ist und nicht, wie das reine Alkaloid des Zusatzes von Alkohol
bedarf, um in genügender Dosis aufgenommen zu werden , übrigens billig
sowie haltbar ist und allen Ansprüchen genügt, welche man an ein Mydria-
ticum stellen kann. Das Daturin steht ihm in seiner Wirkungsweise sehr
nahe. Das Hyosciamin ist als Mydriaticum viel stärker (Schroff) und kann
benützt werden, wo es sich um eine sehr rasche und kräftige Zusammen-
ziehung der Iris , z. B. bei Bestand von hinteren Synechien handelt oder
das Atropin wegen etwaiger missliebiger Nebenwirkungen schwer vertragen
wird. Wegen seiner kräftigeren Einwirkung auf die oculopupillaren Sym-
pathicuszweige eignet es sich jedoch nicht zur Bekämpfung entzündlicher Zu-
stände, da es die vorhandene Gefässparalyse gerne steigert und damit den
Zustand verschlimmert. Es ist zudem sehr theuer und als neutrales
schwefelsaures Salz wenig haltbar, da es bisher nur in Extractforra dar-
gestellt werden konnte und in dieser Gestalt sehr hygroscopisch ist, auch
leicht schimmelt.
<40 Indicatio morbi ; Mydriatica; deren Gebrauchsweise.
Die früher gebräuchlichen Extracle der Belladonna, des Bilsenkrautes und
Stechapfels sind abgesehen von anderen Unzukömmlichkeiten besonders wegen der
o-eringeren Verlässlichkeit ihrer mydi-iatischen Wirkung in der Augenheilkunde
völlig verlassen worden.
Man gebraucht am besten eine Lösung von Atropin. sulf. gr. 1 ad
Aq. dest. drach. 2, wovon einige Tropfen in den Bindehantsack geträufelt,
oder mittelst eines Pinsels eingeführt werden. Eine einmalige derartige
Application des Mittels genügt bei Abhandensein stärkerer Ciliarreizung
fast immer, um eine volle Wirkung zu erzielen, nur pflegt dieselbe bei
älteren Individuen etwas längere Zeit in Anspruch zu nehmen. Wo das
Atropin als Antiphlogisticum wirken soll, reicht die täglich 1 — 2mal,
höchstens dreimal wiederholte Einträufelung vollkommen aus. Stärkere
Dosen und häufigere Anwendungen des Mittels leisten nicht mehr und
setzen die Gefahr der sympathischen üeberreizung sowie einer allgemeinen
Intoxication, sind also zu meiden.
Es haben diese Lösungen das Unangenehme, dass sie sehr bald durch Pilz-
bildungen leiden, flockig tiiib werden und sich in heiklen Fällen dann nicht ohne
Gefahr verwenden lassen. Oft zeigen sich die Flocken schon nach 2 — 3 Tagen und
fordern dringend die Filtration der Lösung , will man vor jeder reizenden Neben-
wirkung sicher sein. Zur Aufbewahrung eignen sich also Solutionen durchaus nicht.
Zu diesem Behufe taugt blos das in den meisten Apotheken verkäufliche Atropin-
papier (Streatfield). Es ist dasselbe in Quadrate abgetheilt, wovon jedes eine hin-
längliche Menge des Alkaloides enthält, um, wenn es für einige Minuten in den
Uebergangstheil des Bindehautsackes gebracht wird, eine starke Mydriasis zu er-
zielen. Die Atropingelatine, welche in ganz ähnlichen quadrirten Tafeln eine Zeit
lang zu haben war und vermöge ihrer Löslichkeit das Herausnehmen nach dem
Gebrauche ersparte, scheint nicht genügend Freunde gefunden zu haben , da sie
im Handel fehlt.
Atropin in Substanz anzuwenden, um möglichst kräftige Wirkungen zu er-
halten (Hornberger, DobrowolskyJ, ist bei der Schwierigkeit einer richtigen Dosh-ung
und wegen der Beizicii-kung, welche das Salz auf die sensiblen Nerven ausüben
kann f'Rogoic), in Fällen heftiger Entzündung 7iicht räthlich. Wohl aber ist eine
Salbe aus 1 Gran des Mittels auf 2 Drachmen reinen Schweinfettes, linsengross
mittelst eines Pinsels in den Bindehautsack eingestrichen, gut zu verwenden. Da-
gegen ist diese Salbe, in die Stirne eingerieben, als Mydriaticnm ganz unzuver-
lässlich, indem sie, wenn nicht zufällige L'ebertragungen auf die Conjunctiva stattlinden,
nur durch Mesorbtion, also vom Blute aus wirken kann. Es kömmt daher auch öfters
vor, dass, wenn eine solche Salbe längere Zeit auf die Haut gewirkt hat, plötzlich
und wider alles Erwarten Intoxicationserscheinungen eintreten und mehrere Tage
anhalten.
Die Mydriatica sind üheratis starke Gifte, welche ins Blut übei'geführt
schon bei sehr kleinen Dosen — von O.Ol Gran und weniger — höchst
lästige und unter Umständen bedrohliche Erscheinungen nach sich ziehen
können. Es kündigen sich derlei Vergiftungen durch Kratzen im Schlünde,
dumpfes Kopfweh, höchste Unruhe, Schlaflosigkeit, aufgeregte Träume,
Puls-Erequenz, Ischurie etc. an. Einzelne Kranke sind insbesondere em-
pfänglich und reagiren gegen jede, auch die vorsichtigste Einträufelung
mydriatischer Lösungen mit höchst peinlichen Intoxicationssymptomen. Um
so leichter kömmt es natürlich zu solchen Xeben^virkungen, wenn starke
Lösungen häufig und lange Zeit hindurch im Gebrauche standen. Es wer-
den nämlich doch immer minimale Mengen des Mittels von der Bindehaut,
den einzelnen Bulbusorganen, von der Schleimhaut des Thränenleitungs-
canales resorbirt, und können so ins Blut gelangen. Bei sehr grosser
Durchgängigkeit der Thränenwege geschieht es auch wohl, dass die in
den Bindehautsack geträufelte Lösung in wenigen Augenblicken zum aller-
Atrdpiiivrrt^iftuiig; Myoticii. 41
grössten Theile in die NascMiliöliIe und von da in den Verdauungstract
abfliesst, wo sie ihrer Totalität naoli in das Blut aufgenommen wird und
gerade so wirkt, als wäre das Gift durch den Mund eingeführt worden.
Um diesen Uehergang des Atropins in den Verdauungstract zu verhüten, ist es
räthlich, währnid dem Eiiiträiifohi das untere Lid etwas abzuziehen, m\\ den
unteren Thränenpunkt ausser Berührung mit dem Instillate zu bringen und ausser-
dem beide Thränenröhrchen durch einen auf den irnieren Lidwintcel gelegten Finger
zusammenzudrücken (Dondeis). Selbstverständlich hindert (un solches Verfahren
nur das direcfe Ueberfliessen der Lösung in die Röhrchen, nicht a])er die nach-
trägliche Ueberfuhr des der Olierfiäche des Bindehautsackes anhängenden Theiles.
Um ganz sicher zu gehen, wäre daher die Conjunetiva nach genügender Einwir-
kung des Mittels mit reinem Wasser abzuspülen.
Ist. es auf welche Art immer zu einer Besorgniss erregenden Vergif-
tung mit Atropin gekommen, so ist dringend anzurathen, rasch 1 — 2 hypo-
dermatische Tnjectionen von '/g — ^/.^ Gran Morphium muriaticum in die Schlä-
fengegend zu machen, denn Morphium ist ein sehr wirksames und ver-
lässliches Antidot des Atropins, (Benjamin Bell, Graefe, Buttles), wenigstens
was seine mydriatische und narkotische Wii-kung betrifft (Erlenmeyer).
9. Die Myotica, pupillenverengenden Mittel, sind in der Augenheilkunde
von sehr untergeordneter Bedeutung. Sie verhalten sich in Bezug auf
ihre localen und zum Theile auch betreffs ihrer allgemeinen Wirkungen zu
den Mydriaticis antagonistisch. Wo es auf eine kräftige Myose ankömmt
und Nebenwirkungen auszuschliessen sind, ist allein die erst seit Kurzem
bekannt gewordene (Christison , G. Harley, Th. Fräser, A. Bohertson,
Bowman) Calaharbohne mit deren wirksamen Principe, dem Physostigmin,
verwendbar.
Das Opium und Morphium wirken schon beim innerlichen Gebrauche und
beziehungsweise als hypodermatische Lijection myotisch. Bei örtlicher Application
auf das Auge sind das Opium, das Motphium, das Coniin und Digitalin (H. Braun),
besonders aber das Nicotin (Rogow, Grünhagen), überaus kräftige Myotica, doch
wahrscheinlich nicht sowohl vermöge specifischer Eigenschaften , sondern wegen
dem heftigen Reiz, welchen sie auf die sensiblen Nerven der Bindehaut und Bul-
busoberfläche ausüben und welcher von hier durch das ciliare Gangliensystem auf
die motorischen Nerven des Sphincter pupillae und auf die Gefässmuskulatur der
Iris reflectirt wird.
Die myotische W^irkung Örtlich applicirter Calabarpräparate offenbart
sich, genügende Dosen vorausgesetzt, schon innerhalb weniger Minuten
und pflegt binnen einer viertel oder halben Stunde ihre grösste Höhe zu
erreichen. Vorerst bemerkt man gemeiniglich ein hippusähnliches Schwanken
der Pupille, welche einen Theil ihrer Reactionsfähigkeit noch bewahrt ;
allmälig aber wird dieselbe enger und zieht sich endlich zum Durchmesser
eines kleinen Stecknadelkopfes zusammen, während sie völlig starr wird.
Der damit verbundene beträchtliche Ausfall, welchen die scheinbare
Helligkeit der Netzhautbilder erleidet, bewirkt erstens, dass alle Objecte
wie im Zwielichte erscheinen, bis sich die Netzhaut wieder für die gerin-
gere Erleuchtung adaptirt hat, und setzt zweitens bei schwachen äusseren
Erleuchtungsintensitäten die Sehschärfe um ein sehr Bedeutendes herab.
Bei stärkeren Gaben des Mittels macht sich auch bald eine Veränderung
in dem Refractionszustande des Auges geltend, derselbe wird allmälig um
ein Gewisses erhöht, indem nicht nur der Fernpunkt, sondern auch der
Nahepunkt hereinrückt. Das Accommodationsvermögen erscheint hierbei wohl
sehr beirrt, sein Aequivalent sinkt bei Anwendung starker Dosen mög-
licher Weise weit unter seine Hälfte, doch gänzlich aufgehoben dürfte das-
4:2 Inäicatio morbi ; Myotica : Calabarprüparate.
selbe nicht werden. Die Myosis dauert im Durchschnitte 8 Tage, obwohl
sich schon 6 — 12 Stunden nach der Application ein minimaler Nachlass
oftmals nachweisen lässt. Bei schwachen Dosen pflegt bereits in \^j^ — 2
Tagen alles vorüber zu sein. Das Accommodatlonsphänomen währt viel
kürzere Zeit und läuft meistens innerhalb weniger Stunden völlig ab. Der
Fernpunkt rückt schon in den ersten 20 Minuten zurück und gelangt in
"74 — 2 Stunden in seine frühere Stellung-, woi-auf dann auch der Nahe-
punkt auf seinen normalen Abstand zurückweicht (Graefe, Schelske).
In dem Krämpfe des Sphincter pupillae und des Accommodations-
muskels spricht sich der Erregungszustand aus, in welchen die intraocularen
Ganglien von dem durch die Cornea in den Binnenraum diffundirten Gifte
versetzt werden und vermöge welchem der functionelle Zusammen-
hang der ciliaren Endzweige des Oculomotorius mit deren cerebralen
Ursprüngen wesentlich gelockert, aber laut dem Fortbestände einer gewissen
Accommodationsbreite nicht völlig aufgehoben wird. Anderseits äussert sich
in der Myose eine Schwächung oder Lähmung der oculopupillaren Zweige
des Sympathicus, welche jedoch eine Störung der Leitung zwischen den
terminalen V'erästelungen und den centralen Ursprüngen nicht in sich
schliesst, insoferne Reizung des biosgelegten cervicalen Grenzstranges eine
starke Pupillenerweitervng im calabarisirten Auge bewerkstelliget (Donders).
Der Gegensatz zwischen den eigentlichen Mydriaticis und der Calal)arbohne
ist nach dem Mitgetheilten ein ziemlich vollständiger. Dieses ergibt sich übrigens
noch deutlicher aus Parallelversuchen mit Atropin und mit dem fraglichen Myoti-
cum. In der That lassen sich durch gehörig proportionirte Mischungen beider die
Wirkungen derselben vollständio^ aufheben. Es sind aber die Calabarprüparate
weitaus schtoächer, als das Atropin, denn es lässt sich eine dui-ch starke Dosen des
letzteren frisch angeregte Mydriase durch starke Gaben der Calabarprüparate nicfU
dauernd he))eii, wohl aber umgekehrt. Eine durch schwache Atropinlösung begrün-
dete oder durch den Aldanf mehrerer Tage bereits gesclooächte Älydriasis hingegen
wird durch kräftige Einwirkung der Calaljarpräparate vorübergehend aufgehoben
nnd bei wiederholter Application der letzteren in ihrem dauernden Rückgange
wesentlich beschleunigt (Graefe). Die geringere Leistungsfähigkeit der Calabarprä-
parate ist der Grund, dass die intraocularen Ganglien für Impulse, welche vom
Gehirne ausgehend durcli dir ciliaren Zweige des Oculomotorius zugeleitet werden,
eine gewisse Durchgängigkeit bewahren.
Unter den Präparaten der Calabarbohne nimmt das alkoholische
Extract in Bezug auf Brauchbarkeit und Haltbarkeit den ersten Eang ein.
Es wird, mit Glycerin im Verhältnisse von 1 : 30 — 50 verdünnt, mittelst
eines Pinsels auf den unteren Theil des Bindehautsackes gebracht. Minder
verlässlich und schwächer wirkend, immerhin aber praktisch verwendbar
und wegen der leichten Aufbewahrung sehr zu empfehlen ist das in den
meisten Apotheken verkäufliche Calabarpapier. Es ist gleich dem Atropin-
papier quadrirt und lässt sich daher sehr leicht dosiren.
Das Physostigmin und seine Salze (Jähst, Hesse) sind sehr veränderlich und
darum in der Praxis weniger verwendbar, was einigermassen bedauerlich ist, in-
dem sie bei localer Anweudinig keinerlei Reizwirkung auf die Bindehaut ausüben.
Die Wirkung der Physostigminsalze ist rasch vorübergehend, doch dreimal stärker
als jene des Extractes. Dem Atropin gegenüber soll das Alkaloid 30mal schwächer
sein, indem Mischungen von 1 : 30 sich gegenseitig neutralisiren (Fronmüller).
Die Gefässlähmung, welche die Myotica im vorderen Theile des
Ciliargebietes veranlassen , macht die Anwendung derselben beim Vor-
handensein von Reizungs- und Entzündung szustän den am oder im Auge be-
denklich, um so mehr, als das gebräucliliche Calabarextract bei seiner ort-
VeiweiuUtn;,' der Myotica; Reizende Mittel. 43
liehen Application die sensiblen Nerven der liind(>haut und Cornea direct
reizt und als der Krampf von beid<>n o-enaniilen Hinnenmuskc^In auf die
ciliaren (.iuintusz\veif;-e erregend ziiriiekwirkt , lleiziingen der Kmptin-
dungsnerven aber auf die vasomotorischen Nerven reflectirt werden und die
Gefäsfiparalyse steigern können.
In der Tliat l)riiif!:t die Eiiifiilu'ung dos Mittels in doli l^iiidoliaiitsaek immer
ein Gefühl von leiclitem J^rennen oder Boisseii und einige lujection der conjuneti-
valen und episcleralen Gefässnetze mit sich. Auch ist die Entvvickelung der Myose
und des Accommodationsphänomens stets mit einer peinlich spannenden Empfin-
dung theils längs dem Ae([uator bulbi, theils in der Ciliargegeud verliuiideii, oder
wird von einem nervösen Wehe im ganzen Augapfel begleitet, das nach Art der
Cilianieurose längs den Supraorliitalnerven ausstrahlt, sich wohl auch migrainartig
auf die Kopfhälfte verbreitet und durch Accommodationsbestrebungen gesteigert
wird (Oraefe).
Im Ganzen lässt yich das Calabar mitunter verwenden bei peripheren,
den Dnrchbrucli drohenden Cornealgeschwüren ; behufs Verbesserung des
Sehvermögens auf stenopäischem Wege bei excentrischen Trübungen der
Cornea und Kapsel sowie bei Ectopia lentis ; zum Zwecke der V^ergrösse-
rnng der Ii-isÜäche bei Iridectomien , vorzüglich bei Glaucomen mit noch
nicht degenerirter Regenbogenhaut. Am häufigsten werden Calabarpräparate
gebraucht, um eine durch Atropin bedingte Mydriasis in ihrer Rückbil-
dung zu beschleunigen. Gegen Insufficienzen und Paresen des Accommo-
dationsmuskels aus inneren Ursachen leistet das fragliche Mittel sehr wenig.
In einzelnen seltenen Fällen hat man damit die Lösung hinterer Synechien
erzielt (0. Becker); doch darf man im Allgemeinen davon nichts er-
warten (Schirmer).
Um den olien erwälinten ludicationcn zu genügen, müssen die örtlichen
Applicationen scliwaclier Extractlösniigen tär/lich loiederholt werden. Dabei ist wohl
zu beachten, dass das Mittel ein kräftiges Gift ist. In der That kommt es bei oft
wiederholten Einträufelungen zu allgemeinen Vergiftungserscheinungen und möglicher
Weise wohl gar zum Tode durch Lähmung der resjnratorischen Muskelnerven. Rasch
ausgeführte hypodevmafische Einsprit::iingen einer Atropinlösung, etwa '^q — '/s^ Gran,
sind das entsprechende Antidot (Fräser, Bezold, Götz, Schelske).
10. Die reizenden Mittel finden in der Behandlung äusserer Entzün-
dungen und deren Ausgänge eine sehr ausgedehnte Verwendung. Sollen
sie ihren Zwecken genügen , so müssen sie unmittelbar auf das betreffende
Organ einwirken. Der Reiz, welchen sie auf die daselbst verzweigten
Gefühlsiterven ausüben, katin, auf die vasomotorischen Nerven übertragen,
bei Erschlaffung der Gefässhäute durch Anregung und Belebung der atoni-
schen Musculatur eine Verengerung der Gefässüchtungen bewerkstelligen
und so den Entzündungsprocess durch Verminderung oder Beseitigung
eines wesentlichen Factors ungütistiger Verlaufsweisen, der Blutstockung
nämlich, seinem Ausgleiche näher bringen. Dazu kömmt die Einwirkung
der Mittel auf das wuchernde Gefüge selbst, eine Einwirkung, welche
unter passenden Verhältnissen den entzündlichen Process qualitativ und quanti-
tativ umstimmen und dazu dienen kann, einmal um krankhaho Absondertingen im
günstigen Sinne zu ändern, das andere Mal, um den darniederliegenden
Heilungstrieb anzufachen und die säumige Regeneration vorhandener Sub-
stanzlücken zu beschleunigen. Häufig wird ein solcher künstlich hervorge-
rufener Reizzustand dadurch nutzbar, dass er einen lebhafteren Blutzufluss
und regeren Stoft'wechsel mit sich bringt, und so auf die Rückbildung und
Aufsaugung älterer entzündlicher Producte einen fördernden Eintiuss nimmt.
44 Indicatio morbi ; Reizende Mittel.
Nicht ohne Belang ist weiterhin der mit Irritationszuständen verknüpfte
raschere Wechsel der epithelialen Schichten, also die reichlichere Ahstossung
h-anker und deren Ersetzung durch neue, unter günstigeren Verhältnissen
angebildete und möglicher Weise der Norm mehr entsprechende Lagen. In
gewissen Fällen überaus üppiger Production liegt es sogar im therapeu-
tischen Interesse, die Abstossung oberflächlicher Strata nicht blos auf
diesem Wege zu steigern, sondern durch chemische Zerstörung derselben,
durch Aetzwirlmng, massig zu gestalten. Endlich dienen einzelne der
reizenden Mittel dazu, gewisse krankhafte Secrete chemisch anzugreifen und
des schädlichen Einflusses zu berauben , welchen sie auf die Vegetations-
verhältnisse der damit in Berührung stehenden entzündeten Theile
nehmen können.
Selbstverständlich haben die irritirenden Mittel keinen vernünftigen
Zweck, ja sind geradezu schädlich und gegenangezeigt, wenn eine vorhan-
dene Entzündung durch lebhaftere helle Injectionsröthe, durch pi'alle Ge-
schwulst, durch Temperaturerhöhung, durch nervöse Reizsymptome u. s. w.
einen mehr sthenischen Charakter beurkundet, oder überhaupt, wenn eine
stärkere Ciliarreizung besteht und deren Steigerung eine Mitaffection der
Binnenorgane des Bulbus befürchten lässt.
Insoferne die Reizzustände bei Entzündungen in ihrem Grade häufig
schwanken und auch abgesehen von phlogistischen Processen durch man-
cherlei zufällige innere und äussere Irritamente ephemer hervorgerufen oder
gesteigert werden können : erfordert es die Vorsieht, vor jeder einzelnen
Application der fraglichen Mittel das diesfällige Verhalten der Theile
genau zu prüfen und den Eingriff immer mar dann zu wagen, wenn die
derweiligen Umstände eine Reizsteigerung erspriesslich und unbedenklich
erscheinen lassen. Um das je nach den obwaltenden Verhältnissen wech-
selnde erforderliche Maass der Reizung richtig dnsiren zu können und nicht
zu überschreiten, ist es auch notliwendig, alles auszuschliessen, was nebenbei
den Effect des Mittels beeinflussen kann. Xach dem nächtlichen Schlafe,
nach Mahlzeiten, nach aufregenden geistigen und körperlichen Arbeiten u. s.w.
pflegt die durch Reizmittel verursachte Reaction eine weitaus beträchtlichere
zu sein, als unter entgegengesetzten Verhältnissen, worauf wohl Rücksicht
zu nehmen ist. Im Allgemeinen eignet sich bei täglich einmaliger Applica-
tion der ^Mittel der Morgen, 1 — 3 StvTnden nach dem Aufstehen aus dem
Bette, am besten.
Die benutzbaren Reizmittel sind überaus mannigfaltig. Man kann sie
der Uebersicht halber nach ihrer zweckdienlichsten Anwendungsweise und
nacli der Art ihrer Wirkung als reizende Pulver, als reizende Salben, als
adstringirende Augenioässer und als adstringirende Caustica registriren.
Unter den reizenden Pulvern ist in erster Linie das lävigirte Calo-
mel zu nennen. Es ist, zweckmässig angewendet, ein sehr mildes Irritans,
das sowohl mechanisch, als auch in Berührung mit den kochsalzhältigen
Thränen chemisch zu wirken scheint. Es wird durch Ausschnellen eines
darein getauchten trockenen Malerpinsels in die geöffnete Lidspalte gestäubt.
Bei Kindern, falls sie sich stark sträuben, ist es räthlich, die Einstreuungen
in sitzender Stellung vorzunehmen. Der Kopf des Kindes wird zwischen die Schen-
kel des Manipulirenden eingeklemmt und, während die Finger der einen Hand
die Lidspalte geöffnet halten, entleert die andere Hand durch Ausschnellen den in
Calomel getauchten Malei'pinsel dicht über dem kranken Auge.
Calomeleinstäubungen ; Reizende Salben ; Gelbes Quecksilberoxyd. 45
Unter allen Verhältnissen ist dafür zu sorpjen , dass nur feinstes Pulver,
nicht aber Klümpchen di^s Präparates in den Bindehautsack <jfelanp;(>ii. Diese wirken
nämlich f;-leich fremden Körpern, und falls sie sich daselbst verlialten, werden sie
unter dem Einflüsse der kochsalzhältifi'en Thränen theilweise in Suhlimat umgesetzt;
sie reizen dann sehr heträchtlich und ätnen Itisweilen wohl auch die Bindehaut
förudich an. Um dieses sicher zu verhüthen, ist es auch räthlich, beim Einstäuben
die Umstülpuncj des unteren Lides und Bloslej^'nuf;' der unteren Uebergani;'sfalte zu
vermeiden, da in die letztere o'elano'te , selbst beträchtlichere Menpjen des Pulvers
anfänglich keinerlei Thibchagen veranlassen und imhemerkt bleiben , l)is sie durch
ihre chemische Wirkung- eine heftig'e Reizung', oder gar eine wirkliche Anätzung-
begründet haben. Wo sich einige Zeit nach der Application eine stärkere Irritation
zeigt, ist daher stets der Bindehaxatsack genau zu durchmustern luid von etwaigem
Resten des Pulvers durch Ausspülen oder mittelst eines reinen Pinsels zu säulx'rn.
Ueberhaupt kann nicht genug vor dem Einstäuben grosser Massen des Mittels ge-
warnt werden. Es genügt, wenn nach dem Ausschnellen des Pinsels an der Ober-
fläche der Cornea und Conjunctiva ein reifahnlicher Beschlag sichtbar wird, daher
denn auch der Pinsel vor dem Ausschnellen in die Lidspalte von den anhängen-
den gröberen Partikelchen durch leichtes Klopfen zu befreien ist.
Weit mehr reizend und in ihrer günstigen Wirkung viel unzuverlässiger, da-
her auch zum therapeutischen Gebrauche nicht zu empfehlen und theilweise längst
verlassen sind einige andere Pulver, welche mittelst eines beiderseits offenen
Federkieles in den Bindehautsack geblasen zu werden pflegten: das Tlionerdehydrat,
die gefällte Kieselerde; ferner Zucker, Alaun, Borax, Kochsalz, Zinkblumen, Tar-
tarus depur., Krebsaugen, Os Sepiae, Glas, Bimsstein, Limatura Stanni, Aloe u. s. w.
in feinstvertheiltem Zustande und entweder rein oder in Gemengen der verschie-
densten Art.
Sehr kräftig wirkend und in hohem Grade verwendbar sind reizende
Salben. Es werden dieselben mittelst eines Pinsels bei abgezogenem
unteren Lide in die untere Uebergangsfalte der Bindehaut gebracht und
dann bei geschlossener Lidspalte durch sanftes Reiben mit dem Finger in
dem Conjunctivalsacke vertheilt. Als lolrksame Bestandtheile dieser Salben
werden die verschiedensten Mittel angewendet. Obenan steht an Verläss-
lichkeit und Gleichmässigkeit der Wirkung das gelbe Quecksüberoxyd , von
welchem ^/2 — 1 Gran mit einer Drachme reinen Fettes sorglich verrieben
wird. Minder vei'lässlich ist der Mercurius praecipitatus ruber zu
^/2 — 1 Gran, der Mercurius praeci2}'t((tui albus zu 1 — 4 Gran, das
Oxydum Zinci zu 3 Gran, das Jodkali zu 2 — 4 Gran und das reiiie Jod
zu '/g Gran auf die Drachme des Vehikels.
Das gelbe Quecksilberoxyd, von den Franzosen Bioxyd de mercur hydrate
genannt und in Oesterreich seit Kurzem officinel, wird durch Praecipitation aus
einer Sul)limatlösung mittelst Aetzkali gewonnen. Es hat vor ilem früher gebräuch-
lichen und in der Augenheilkunde seiner ungleichmässigen Wirkung wegen seit
zwei Jahrzehenden sehr verrufenen rothen Quecksilberoxyd die unendlich feine Ver-
theilung voraus, vermöge welclier es sich inniger, vollständiger und gleichmässiger
mit dem Fette mischt und solchermassen auch eine genauere Dosirn.ng seiner
Wirkung gestattet. Doch zersetzt es sich leicht, wenn es mit freien Säuren in Be-
rührung kommt, oder auch nur längere Zeit dem Lichte ausgesetzt wird. Es ver-
langt daher ein passendes Vehikel und die Aufbewahrung an einem dunklen
kühlen Ort, soll es in Salbenform nur einigermassen haltbar sein. In der That
verliert die Salbe, wenn sie nicht aus vollkommen säurefreiem Fette bereitet ist
oder im Lichte steht, oft schon nach einem oder wenigen Tagen die schöne eigelbe
Farbe, bekömmt ein schmutzig grüngraues Aussehen und wird unbrauchbar.
Als Vehikel zur gelben oder überhaupt zu allen anderen Augensalben eignet
sich nach zahlreichen Versuchen einzig xind allein vollkommen gereinigtes Schicein-
fett. Wo das Klima oder die Jahreszeit der Salbe eine grössere Consistenz zu
geben gebieten , mögen einige Gran reinen gelben Wachses auf die Drachme des
Fettes beigemischt werden. Alle anderen Beimischungen oder selbstständige
Vehikel, weisses Wachs, Cacaobutter, Cetaceum, Rinds- und Hammeltalg, Oliven-
46 Indicatio morLi : Reizende Mittel.
lind Mandelöh], reine Bntter etc. taiigen vichfs, indem sie entweder schon freie
Säuren führen, oder selbe rasch entwickehi; daher denn auch die gelbe Augen-
salbe, wenn sie derlei Stoffe führt, in ixnvergleichlich kürzerer Zeit zu Grunde
geht, als wenn sie aus reinem Schweinfett bereitet ist.
Sehr schnell zersetzt sich das gelbe Quecksill^eroxyd auch in Berührung-
mit der GJycerinsalhe, d. i. einer Mischung von Amylum und Glycerin im Verhält-
nisse von 1 : 5 bei einer Temperatur von 70" Reaumur bereitet. Es war dieses
Präparat eine Zeit lang belieht (Graefe) und hat unbestreitbar gewisse Vortheile,
besonders den, dass viele \virksame Stofle darin löslich sind, daher auch ungleich
kräftiger wirken, als in der Mischung mit Fetten, wobei allerdings auch die grössere
Schwere eines gleichen Volumens Glycerinamyloides in Rechnung kömmt. Im All-
gemeinen wiegen diese Vortheile jedoch die Schwierigkeiten nicht auf, welche die
Herstellung eines ganz guten und stets gleichen Präparates bietet , daher denn
auch in neuerer Zeit von der Simon'schen Glycerinsalbe in oculistischen Schriften
wenig mehr gesprochen wird.
Bei der Bereitung von Salhen ist die sorgfältigste Verreibung der wirksamen
Stoffe mit dem Vehikel dringendes Gebot, damit nicht ein Theil der Salbe stärker
als der andere wirke und etwa heftige Reizzustände, Anätzungen u. s. w. bedinge.
Die Beimengung ätherischer Oele, um dem Präparate etwas Wohlgeruch zu ver-
leihen, ist unter allen Umständen strenge zu meiden, da jene Oele auf die Binde-
haut gebracht ungemein stark reizen. Will man der Cosmetik Rechnung tragen,
so darf man höchstens einige Tropfen Kirschlorheerivassers zugeben.
Salben von 1 Theiie gelben Quecksilberoxyds auf 8 Theile Fett, wie sie
jüngst empfohlen worden sind fPagensfecher), wirken zu stark und verlangen das
nachträgliche Auswasclien des Bindehautsackes, um nicht Gefahren zu begründen.
Den Salben sehr nahe stehen gewisse , als Volksmittel bekannte Fette, das
Aalrntenleberöl , das Vipernfett, Bärenfett u. s. w. Diese Fette sind nämlich nicht
alle Tage frisch zu haben, werden darum gewöhnlich ranzig und wirken dann
durch die freien Fettsäuren reizend.
Die Mittel, welche zu adstringirenden Augenwässern, Collyrien, ver-
wendet werden, sind überaus zalilreich. Die gehrcmchlichsten sind: das
Sulfas Zlnci, Sulfas Cupri, Sulfas Cadmii, der Alaun, der Höllenstein, der
Me.rcurius suhlimatus corrosivus, der Bleizucker, die Opiumtinctur, das Tannin.
Dazu kömmt noch der Lapis dlvinus, welcher bekanntlich aus Sulf. Cupri
(oder Aerugiuis), Nitri puri., Alum. crud. aa unc. 1., Champhorce ras. drach.
semis besteht; weiters das Kochsalz (Rau) und das Sesquichlor. Ferri
(Follin). Man pflegt bei deren A'erschreibung- auf die Unze Wasser einen
Gran Sulf. Zinci, Sulf. Cupri, Sulf. Cadmii, Alum. crud., Lapid. divin.;
einen halben (Jran HöUensteiu; einen viertel Gran Sublimat; vier Gran
Bleizucker; zwei bis vier Gran Kochsalz oder Sesquichlor. Ferri ; zehn Grau
Tannin oder eine halbe Drachme Tinct. Opii simpl. zu geben.
In dieser Znsammensetzung entsprechen sich die genannten Lösungen in
Bezug auf Wirksamkeif ziemlich genau, und es ist gleichgiltig, oh man dieses oder
jenes in Gebrauch zieht. Neuere Versuche an Kaninchen (Prosoroff) bestätigen
dies. Sie ergeben nämlich, dass die in Collyrienform gel)räuchlichen Mittel, alle
wie sie siiul, reizend, auf die Bindehaut wirken und je nach der Dosis , welche an-
gewandt wird , entweder blos eine Hyperämie, oder eine reichliche Kernhildung ,
oder endlich die Entwickelung von Eilerköiperchen im Gefolge halien; dass die
Zeiträume, während welchen die Eiterhildung andauert, um dann der Kernbildung
Platz zu machen und durch einfache Hyperämie in den Normalzustand überzu-
gehen, nicht minder von der Dosis al)]iängen; dass endlich durch proporlionirte
Concentrationsgrade der Lösung mit den verschiedensten dieser Arzneistoffe eine
der Art und Dauer nach völlig gleiche Wirkung erzielt werden könne.
Bei allem dem emptiehlt sich der Bleizucker und der Sidjlimat weniger w-egen
der grossen Zersetzbarkeit imd daherigen Unverlässlichkeit. Der Bleizucker ist
übrigens bei Vorhandensein von Geschwüren in der Cornea oder Bindehaut gerade-
zu gefährlich, da er leicht auf dem Boden derselben Niederschläge bildet, die
dann ipcapsnlirt werden und mannigfaltige Uebelstände mit sich bringen. Der
Adstringirende C'ollyrien. 47
IJöJhnstein maclit, so wie das Sesgvichlor. Ferri, Flcclccni in die Wüsche und
Kleider, welche sich nur schwer entfernen lassen. Die OpmmtinclHr bildet p^erne
einen Satz auf dem Boden des Gefässes und liefert daher ein ungleich wirkendes
Collyviuni. Die fichivefelaauren Salze, besonders das Sulf. Zinci, dürften l)eim
Katarrh daiier den Vorzug verdienen, namentlich wenn sich einige neuere Unter-
suchungsresultate bewahrheiten sollten, nach welchen ausser der Kälte das Sulf.
Zinci dasjenige Mittel ist , welches auf Gefässe am meisten contrahirend wirkt.
Als Menstrunm verwemlet man gewöhnlich reines, deifillirtes Wasser. Man
kann indessen ancli leiclit aromaliftrhe Wässer, die Aq. Rosarum, Tiliae, Saml)uci,
Enpln-asiae und ähnliciie gebiauchen. Stark riechetide ätherische Wässer sind inuner
zu meiden, da bei ihnen die reizende Wirkung zu sehr vorsclilägt. Sie werden
gewöhnlich nicht vertragen. Will man dem Augenwasser einen stärkeren Geruch
mittheilen, so ist eine Beimischung von Aqua Laiirocerasi drachm. semis ad unc. 2
collyrii am meisten zu empfehlen. Mehr als 2 Unzen soll mau niemals als Colly-
rium verschreiben, meisthin genügt bei zweckmässiger Verwendung Eine Unze.
In Amei'ika ist eine Mischung von Tannin mit Glycerin bei ßindehautkrank-
heiten sehr lielieljt. Auch wird neuester Zeit die Anwendung von Adstringentien
in Pastenform empfolilen (HeipnamiJ. Es sollen V2 — 1 Drachme der genannten
Salze mit dem gekochten und in kleine Stücke gesclinittenen Albumen Peines Eies
zusammengerieben und allenfalls noch 2 Skrupel Glycerin beigemischt Merden. Die
so gewonnene Paste soll auf Leinwand gestrichen, und auf die geschlossenen Lider
gelegt werden. Niclit minder sollen Einstäuhungen wässeriger Lösungen, besonders
von Tannin mittelst des Pulverisateurs gute Dienste leisten (Heymann, Gyr).
Liebhaber von zusammengesetzten Mitteln können auch benützen das CoUy-
rium Conradi: Rp. Merc. subl. corr. 1/4 Gr., Mucilag. sem. Cydonior. drach. semis.
Laudani liq. Sydenhami gutt. 8, Aq. dest. simpl. unc. 2, D. S. ; oder die Aq.
Horstii, .auch Collyr. adstring. luteum genannt: Rp. Sah ammon. gr. 15, Sulfat.
Zinci drach. semis, solut. in Aq. dest. simpl. unc. 5, adde Caniphorse in unc. 1
Alkohol, gr. sp. 0.850 solut. gr. 9, Croci austriac. gr. 2. Mixta diger. in calore
Reaum. .30" — Zb^ ad perfect. Croci extractionem. Refrig. filtr. et exliib. nsui. Es
soll dieses Collyrium stets an einem dunklen Orte aufl)ewahrt werden, um der
Aussclieidung des Camphers in Krystallen zu begegnen. Zum Gebrauche wird es
mit gleichen Theilen Wasser verdünnt. Vorzüge haben diese Augenwässer keine,
daher sie füglich entbehrt werden können.
Das Chlorwasser , Aqua Chlort, welclies durch Leitung von Clilorgas in
destillirtes Wasser bis zur Sättigung dargestellt wird, soll bei gleich kräftiger
Wirkung in der Eigenscliaft eines Alterans und Adstringens den metallischen Ad-
stringentien an Reizimgsfähigkeit weit nachstehen und darum ein sehr empfehlens-
werthes Ersatzmittel der letzteren bei sehr reizbaren Augen abgeben, zudem aber
auch als Desinfectionsm.ittel gegen die schädliche Einwirkung gewisser Secrete auf
Binde- und Hornhaut mit gutem Erfolg angewendet werden können (Graefe). Seine
diesfälligen Leistungen entsprechen aber nicht den gehegten Erwartungen.
Sollen die CoUyrien eine krUftige Wirkung entfalten, so müssen sie
wenigstens eine viertel oder halbe Minute lang unmittelbar auf den kranken
Theil einwirken.
Auch genügt es bei Bindehauthranlcheiten nicht, dass das Mittel blos mit der
einen Hälfte des Conjunctivalsackes oder mit dem Lidspaltentlieile desselben in
Berührung komme. Dalier soll der Kranke behufs der Einträufehnig immer wag-
recht gelagert und das Gesicht etwas gegen die dem einzuträufelnden Auge ent-
gegengesetzte Seite hin gewendet werden. Bei dieser Lage kann sich in der
Fossa angularis eine genügende Menge des Augenwassers erhalten, ohne dass es
abrinnt. Zieht man dann die Lider etwas vom Bulbus ab, während man den
Kranken l^ald nach oben, bald nach unten sehen lässt, so dringt das Coll^yrium
sowohl in die obere, als untere Uebergangsfalte und die allseitige Einwirkung ist
gesichert. Zugleich hängt es von dem Belieben des Arztes a1), das Collyrium
längere oder kürzere Zeit wirken zu lassen und so die Grösse des Effectes nach
Bedarf zu reguliren.
Ueberschliige von kleinen Leinwandbäuschehen, welche in das Augen-
wasser getaucht wurden, sind in ihrer Wirkung selbstverständlich viel
weniger verlässlich, als Einträufelungen des Mittels in den Bindehautsack;
48 Indicatio morti ; Reizende Mittel ; Höllenstein ; Sulfas Cupri.
doch lassen sie sich, namentlich in der Kinderpraxis nicht ganz entbehren
und haben ihre Freunde (Stavenhagen).
Bedeutend stärker wirken, wahrscheinlich durch Diffusion, Utber-
scJiläge mit einem in adstringirende Lösungen getanchten CliarpiehauscJi, welcher
tropfnass auf die geschlossenen Lider aufgelegt, von einem Pölsterchen
gekrämpelter Baumwolle gedeckt und dann durch eine elastische Binde
aus feinstem Flanell befestigt wird (Hillermann, Bernhardi, BlodigJ. Unter
Umständen bietet diese vor Jahren beliebt gewesene Applicationsweise
einen recht befriedigenden Ersatz für schwer durchzuführende Einträu-
felungen oder Bestreichungen mittelst des Pinsels. Um den damit verbun-
denen Unzukömmlichkeiten zu steuern, muss der Verband täglich 4 — 5 Mal
erneuert und der Bindehautsack vorläufig immer wohl gereinigt werden.
Als adstringirende Caustica stehen fast ausschliesslich der Höllenstein
und das schwefelsaure Kupferoxyd im Gebrauche. Der Lapis infernalis wird
theils in Lösungen von 5 — 30 Gran auf eine Unze Wasser, theils mit
Salpeter zusammengeschmolzen als Nitras argenti mitigatus in Substanz
angewendet. Den hlaiien Vitriol benützt man zumeist als solchen in Gestalt
möglichst grosser und breitflächiger Kry stalle, welche der vorspringenden
Kanten und Winkel durch Messer und Feile beraubt und dann mittelst
eines feuchten Lappens glatt abgerieben worden sind. Weniger gebräuchlich
sind Lösungen desselben in Wasser oder Glycerin, 1 Theil des Mittels auf
6 — 8 Theile des Vehikels, so wie Salben aus 1 Scrupel des Vitriols auf
die Unze Fett (Roser, Warlomont).
Der Lapis infernalis mitio-atus wird bereitet, indem man krystallisirten Höllen-
stein und Saljjeter in gleichen Gowiclitstlieilen oder im Verliältnisse von 1 : 2
zusammenschmilzt und die Schmelze in Stangenform ausgiesst. Einige Augenärzte
benützen als mitigirten Höllenstein wohl auch Mischungen von gleichen Theilen
Lapis infernalis und arabischem Gummi, zn Stangen geformt.
Wo es sich in erster Linie darum handelt, zu adstringhen und etwa
vorhandene krankhafte Bindehautsecrete chemisch anzugreifen, eine kräftige
Aetzwirkung aber nicht im Interesse liegt, oder eine heftigere Reizsteigerung
bedenklich erscheint: entsprechen Lösungen von 5 Gran Höllenstein auf die
Unze Wasser. Das Kupfervitriol hat gleichfalls eine geringe Aetzkraft, da-
gegen adstringirt und reizt es überaus stark, daher es vorzugsweise bei
torpidem reizlosen Charakter der Affection, bei starker Erschlaffung der
Theile am Platze ist. Wo hingegen die Zerstörung oberflächlicher wuchern-
der Schichtlagen in der therapeutischen Lidication hervorsticht, empfehlen
sich je nach der Grösse der geforderten Wirkung Höllensteinlös^mgen von
10 — 30 Gran auf die Unze Wasser oder der dieselben an Aetzkraft weit
übei'bietende mitigirte Lapis infernalis. Wo jedoch die methodische Appli-
cation der Höllensteinpräparate oder des YM^iiexh-ystnlles von Seite des
Arztes durch äussere Verhältnisse unmöglich gemacht ist und die thera-
peutischen Hantierungen nothwendig dem Kranken oder seiner Umgebung
überlassen werden müssen, bietet die Kupfersalbe und die Glycerinlösung
des blauen Vitriols ein bequemes, weil leicht handzuhabendes Surrogat.
Der reine Höllenstein dagegen ist nur bei gewissen Ki'ankheiten der äusseren
Lidhaut und der Thränenableitungswege ohne sonderliche Gefahr verwend-
bar; bei Conjunctivalleiden und Affectionen des Augapfels ist er unter allen
Umständen strenge zu meiden. Er löst sich nämlich zu rasch in den Thränen
und wird solchermassen zu leicht diffuudirt; daher er die Dosirung des
Ge'branchsweise der Canstica.
49
Effectes nach Tiefe- und Flüchenaiisdehvung sehr erschwert und bei nur
einigermassen unvorsiclitigem Gebrauclie überaus bedauerliche Narbenbll-
diingen im (lefolge zu haben pÜegt.
Der mitij:firte Lapis infernalis macht überdies den reinen leiclit enthehrlich,
indem er gleichfalls ein sehr kräftiges Aetzmittel ist, mit welchem man eine beliebig
grosse Wirkung erzielen kann, und welches noch das voraus hat, dass es, ver-
möge seiner geringeren Löslichkeit in den wässerigen Thränen , die Grösse seines
Effectes nach Breite und Tiefe haarscharf hemessen lässt.
Etwas Aehnliches gilt auch von dem krystaUisirlen Kupfervitriol. Es ist
dessen geringere Löslichkeit, welche ihm den Vorzug vor krystaJlinischen Massen
oder unkrystallisirtem Pulver gibt. Kommen krystallinische oder pulverige Präparate
von schwefelsauiem Kupfer mit der Bindehaut in Berührung, so lösen sie sich fast
augenblicklich in den Thränen, und die solchermassen erzeugte concentrirte Solution
vertlieilt sich rasch nach allen Richtungen. Das Resultat sind gewöhnlich sehr
heftige Reizzustände in grossem Umfange mit allen deren Folgen. Nicht unwichtig
ist in dieser Beziehung auch noch der Umstand, dass krystallinische Massen schon
während der Aetzung wegen der grossen Löslichkeit rauh werden und so zu
Verletzungen mit starken parenchymatösen Blutungen Veranlassung geben. Darum
sind Kupferkrystalle unbrauchbar, an deren breiten Flächen verwitterte Stellen zu
finden sind.
Die überaiis kräftigen Wirkungen der in Hede stehenden Mittel
machen bei deren Anwendung die grösste Vorsicht nothwendig , damit der
Effect nicht zu stark ausfalle und insbesondere damit das Aetzmittel
nicht auf Tlieile gebracht werde, welche der Cauterisation nicht bedürfen
oder dadurch gar geschädigt werden könnten. Insbesondere bei Bindehaut-
krankheiten kömmt es häufig darauf an, die Hornhaut und den Scleraltheil
der Conjunctiva vor Berührungen mit dem Aetzmittel zu bewahren. Zu
diesem Behuf e müssen die Z/idbindehaut und der U eher g angstheil durch
Umstülpen der beiden Lider blosgelegt und dann mit einem in die Lösung
getauchten Pinsel oder mit den Aetzkörpern in Substanz, je nach Bedarf
mehr oder weniger nachdrücklich, bestrichen werden (Graefe).
Das Umstülpen des unteren Lides unterliegt keiner Schwierigkeit. Ist dieses
geschehen, so kann man den unteren Uebergangstheil leicht hervortreten machen,
wenn man den Kranken nach oben sehen lässt. Um das obere Lid leicht umstülpen
Fig. 1.
zu können, heisst man den Kranken die Lidspalte ößnen, fasst die Wimpern, zieht
den Lidrand in wagrechter Richtung vom Bulbus ab nach vorne und drückt sodann
den convexen Tarsalrand, ivelcher bei 4'" über dem Lidrande liegt, mittelst eines
Stellwag, Aiigeiiheilkiinde. -l
50 Indieaiio rnorbi; Reizende Mittel.
dünnen Stäbchens, eines zarten Schlüssels odei- des kleinen Fingers nach ahivärts,
während man gleichzeitig den Lidrand mit den Wimpern emijorheht. Der Geübte
wird leicht beide Lider nmgestülpt erhalten können, worauf der Kranke geheissen
wird, dieselben durch Zusammenziehung des Muse, orbicularis an einander zu
pressen. Die Lidspalte wird durch die sich vordrängenden beiden wulstigen Hälften
des Uebergangstheiles geschlossen, so dass die vordere Hälfte des Bindeliaiitsackes
von der hinteren gleichsam abgeschnürt wird (Fig. 1). Minder Geübte müssen sich
begnügen, ein Lid nach dem anderen umzustülpen , den Kranken nach der entgegen-
gesetzten Richtung blicken und die Lidspalte schliessen zu lassen, um mit Beruhi-
gung die Aetzung der biosliegenden Portionen der Bindehaut vornehmen zu können.
Um zu verliindern, dass hei der Rückstinpwig der Lider unzersetzte
Theile des AefzmiUels die Scleralbindehaut und Cornea treffen und anätzen, ist
es nothwendio-, den Ueberschuss derselben vorerst durch Aviederholte Bestrei-
cliungen der Aetzflächc mittelst eines in Wasser getaucMen Pinsels ahzv-
schtvemme.n. Besonders notliweudig ist dieses, wenn stärkere Höllenstein-
lösungen oder der Lapis mitigatus in Anwendung gezogen wurden ; doch
dürfte auch bei schwachen Lösungen die ^'ernachlässigung dieser \oy-
sichtsmassregel nicht ganz ohne Gefahr sein.
Eine vorläufige Neutralisafion des Ueberschnsses durch Bestreichung der
Aetzfläche mit KochsuIrJösung ist überflüssig, wurde aber früher allgemein empfolden.
Aetzungen mit Krtpfervitriolkrysta.Uen fordern eine Abscliwemmung des Ueberschnsses
nur, wenn einige Neigung zu heftigen Reizzuständen vorhanden ist.
Das bei der Abschwemmung abtiiessende Fluidum beschädigt die Kleider
und Möbel sehr stark. Vm diese Schäden zu verhüten, ist es am zweckmässigsten,
dem sitzenden Kranken ein bis über das Knie herabreicliendes Stück Waclis-
leinwand, dessen oberer Rand einen Ausschnitt hat, um den Hals zu binden. Der
Arzt sell)st schützt sich am besten durch eine Schürze.
Die Einstäuhungen mit reizenden Pulvern werden 1 — 2mal des Tages,
die irritirenden Salben stets nur Imal pro die, hingegen die schwachen
adstringirenden Collyrien 2 — 3 mal und wohl auch öfter im Tage ange-
wendet, je nach der Grösse der zu erzielenden Wirkung und je nach der
Reizempfänglichkeit der betreffenden Theile. Die adstringirenden Caiistica
sind stets nur 1 Mal des Tages zu appliciren und sollen dort, wo eine
sehr kräftige Aetzung im Interesse liegt, oder die darauf folgende ßeaction
eine sehr beträchtliche ist, selbst erst nacli Ablauf von 2 oder mehr
Tagen wiederholt werden.
Ein leichter Reizzustand folgt immer der Anwendung dieser Alittel,
auch der schwächeren, ja er ist nothwendig, sollen dieselben ihre Wirkung
entfalten. Hält er sich in den Grenzen der Massigkeit und geht er rasch
vorüber, so ist gegen ihn nicht anzukämpfen. Wird er dagegen durch
heftige nervöse Erscheinungen lästig oder erweiset sich die Reaction durch
den Grad und die Dauer der Gefässsymptome bedenklich , so ist die An-
wendung kalter Ueberschläge bis zur Tilgung der Gefahr geboten.
Nach Aetzungen ist es uiiter allen Umständen rätlilich, kalte Ueber-
schläge gebrauchen zu lassen, da es hier auch darauf ankommt, die Ab-
stossung der Schorfe zu beschleunigen. Wurde stark geätzt ^ oder ist der
Kranke sehr empfindlich und zu Entzündungen geneigt, so muss die Ah-
stossung der Schorfe, welche gewöhnlich innerhalb 1 — 2 Stunden erfolgt,
mit Aufmerksamkeit beobachtet werden. Nicht selten geschieht es, dass
einzelne Partien des Schorfes sich nur theilweise ablösen, beim Lidschlage
sich aufrollen und dann als fremde Körper übermässig reizen. Es lässt
sich dieses leicht verhüten, wenn man die lose hängenden Schorfe mit
einem Pinsel oder einem feinen Leinenlappen abwischt.
Quellen ; Haomostatit'clie Verhältnisse. Ol
Nach Aetzuvgen verdient übrigens aueli besondere Aufmerksamkeit
das gar niclit seltene ZasammenJäeben eivzelner Fallen des Uebergangstheiles.
Wird nämlich stärker geätzt, so kommen nach Abstossung der Aetzscborfe
excoriirte Fläclien in Berührung und verwachsen am Ende wohl auch
völlig, so dass die IJindehaut wesentlicli verkürzt wird. Entdeckt man eine
solche A^rklebung, so muss man allsogleich die verklebten Theile durch
den Fingernagel, eine Eleifeder u. dgl. trennen, und öfter nachsehen, ob
die N'erklebung nicht abermals zu Stande gekommen ist. Es gelingt so
leicht, die A^ei-wachsung zu hindern.
Ist die Reactlon nach entsprechender und vorsichtiger Anwendung
eines Reizmittels ihrem Grade und der Dauer nach übermässig, weicht sie
trotz dem eingeschlagenen antiphlogistischen Verfahren nicht im Laufe
einiger Stunden, so ist das Mittel zu stark. Man thut dann gut, mit der
Aviederholten A]3plication desselben auszusetzen, sich nach getilgter Keaction
anfangs eines schwächeren Mittels zu bedienen und im Falle des Bedarfes
nur ganz allmälig wieder zu kräftigeren überzugehen.
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ERSTER ABSCHNITT.
Die Entzündung der Hornhaut. Keratitis.
Anatomie. Das Hornhautgefüge ist dem Wesen nach modificirtes Binde-
gewebe, besteht gleich diesem aus einer fasei'igen Grund-fubstanz und zahl-
reiclien eingelagerten Zellen, giebt beim Kochen jedoch keinen Leim, sondern
einen dem Chondrln nahestehenden gelatinartigen Körper (Bums).
Die Gnmdsubstanz (Fig. 2. a) wird zusammeiigesetzfc aus feinsten Fi-
brillen, welche sich durch mehr gestreckten Verlauf und starkes Lichtbrechungs-
vermögen von gewöhnlichen Bindegewebsfibrillen unterscheiden und am
Rande der Cornea unmittelbar in die faserigen Elemente der Conjunctiva
und 8clera übei"gehen, sich gleichsam in letztere umwandeln. Die Hornhaut-
fibrilleii vereinigen sich durch Nebeneinanderlagerung zu überaus durch-
sichtigen breiten und platten Fasern, und diese durch Juxtaposition zu
Lamellen, welche sich über grosse Strecken der Cornea verfolgen lassen
und diesen auf senlirechten Durchschnitten ein blätteriges Aussehen geben.
Es liegen die einzelnen Lamellen oder Schichten nämlich im Allgemeinen
parallel zu der Oberfläche und zu einander, nur hie und da schieben sich
dieselben unter spitzem Winkel zusammen. Die Faserrichtungen in zwei
sich deckenden Schichten kreuzen sich zumeist unter einem rechten Winkel.
Die Vereinigung der Fibrillen zu Fasern und Lamellen , so wie der letz-
54
Anatomie der Hornhaat.
teren zu einem Ganzen wird durch einen alles durchdringenden Kitt ver-
mittelt, welcher eine sehr geringe Dichtigkeit besitzt oder gar flüssig ist
Fig. 2.
k e f
m n
und das Licht gleich den Fibrillen stark bricht (Hcnle, Engelmann, C. F.
Müller, Classen).
Eingeschoben zwischen je zwei sich deckende Lamellen liegen gleich-
mässic; vei'theilt und in mässisjen Abständen von einander die Hornhaut-
körjyerchen. Es sind dies senkrecht zur Hornhautoberfläche plattgedrückte,
bald spindelige, bald mehr linsenförmige scharfeckige Zellen mit bläschen-
artigem Kerne imd körnerlosem homogenen Protoplasma. Von dem Um-
fange dieser Zellen, namentlich von den Ecken derselben, gehen eine An-
zahl baumartig verästelter Fortsätze ab , welche die Grundsubstanz nach
den verschiedensten Richtungen hin durchsetzen, zum Theile in demselben
Interlamellarraum bleiben, zum Theile die vor- oder hinterlagernde Schichte
senkrecht durchbrechen , um entweder frei zu enden oder aber sich mit
ähnlichen Fortsätzen nachbarlicher Zellen desselben oder des angrenzenden
Zwischenschichtraumes zu verbinden und so ein die ganze Cornea diirch-
strickendes Maschennetz darzustellen. Es lassen sich die sternförmigen
Zellen durch gewisse chemische Vorgänge von der Grundsubstanz trennen,
doch werden ihnen und ihren Fortsätzen fast durchwegs eigene Membranen
abgesprochen.
Stratnm Bowmani; Membrana Descemeti. 5ö
Ausser den fixtn Hornhautkörperchen finden sich durch das Gefdge
zerstreut wecliselnde Mengen kleinerer mit den Lijmphkörperchen identischer
Zellen (Rtcklinyhausen, Engdmann), welche fortwährend ihre Gestalt ändern
und mit grosser Schnelligkeit sich nach den verschiedensten Richtungen
bewegen, indem sie die Lamellen und Fibrillen auseinander drängen.
Ihre Wanderungen waren der Anlass zur Annahme besonderer Saftcanäle
CReckling hausen, Coknheim), welche die Cornea durchziehen sollen. Doch bestehen
derlei Canäle nicht, die Ortsveränderung wird durch den weichen Kitt ermöglicht,
welcher das ganze Horuhautgewebe durchtränkt, und die beim Vorrücken der Zelle
zurückbleibende Spalte allsogleich füllt, wählend die auseinander gedrängten
Fibrillen hinter der Zelle wieder zusammenschliessen ( EngelniannJ . Diese Spalt-
barkeit erklärt auch die eigenthünilichen Gitterwerke, welche man bei Injectionen in
die Corneahiihstanz erhielt (Harpeck, Hartmann).
In den vordersten , an sternförmigen Cornealkörperchen besonders
reichen Schichten der Hornhaut nehmen die Lamellen an Flächenausdeh-
nung ab und verschränken sich mehr unter einander, daher die durch sie
veranlasste Streifung senkrechter Durchschiiitte einen zur Oberfläche mehr
geneigten Verlauf nimmt. Dabei wächst die Dichtigkeit des Gefüges nach
vorne liin, die Fibrillen, welche in steil gewundenen Schlangenlinien auf-
steigen, versclilingen und verfilzen sich immer mehr und stellen schliesslich
mit Hilfe des chemisch mehr indifferenten Kittes ein derbes membran-
artiges Gebilde b dar (Iwanoff, Engelmann), welches sich mehr oder weniger
schai'f von dem unterlagerndeu minder dichten HornhautgeAvebe abgrenzt
und als Stratum Bowmani , vordere Grenzschichte, auch Suhepithelialschichte
und äussere Basalmembran beschrieben wird. Ilire Dicke wechselt sehr
und ist nicht selten fast verschwindend klein ; in anderen Fällen bildet sie
ein ziemlich mächtiges Stratum von grosser Durchsichtigkeit und ansehn-
licher Resistenz gegen chemische und pathologische Processe, daher sie
früher vielfach für eine Glashaut gehalten wurde. Sie ist für die Wander-
zellen der Cornea durchgängig flwanoff) und wird mehrfach von Xerven-
stämmen durchbohrt.
Xach vorne liegt der Bowman'sehen Schichte das zarte weiche,
überaus durchsichtige Epithel c auf. Sein tiefstes Stratum besteht aus
cylinderförmigen etwas unregelmässigen Zellen, welche senkrecht zur Ober-
fläche gestellt sind. Die vorderste Lage hat ganz den Charakter des
Pflaster epithels. In den Zwischenschichten zeigen die Elemente Uebergangs-
fonnen und platten sich, je weiter sie nach vorne liegen, um so mehr ab
(Schalygen). Zwischen den eigentlichen Oberhautzellen findet man , vor-
nehmlich in der Cylinderscliichte , seltener in den mittleren Stratis und
äusserst selten in den vordersten Lagen , kleine wandernde Zellen in fort-
währender Bewegung und stetem Gestaltwcchsel (Engelmann, Iwanoff'j.
Die hintere Fläche der Hornhaut wird von der Membrana Descemeti
oder Demoursi d gedeckt, welche auch innere Basalmembran oder Wasser-
haut heisst und an der der Kammer zugewendeten Seite ein Stratum
schöner polygonaler Epithelzellen trägt. Es ist diese Haut eine Glashaut,
anscheinend vollkommen structurlos , wasserhell , ziemlich fest und so
elastisch, dass sie, von der Cornea theilweise losgelöst, sich sogleich nach
vorne umrollt. Auf Querdurchschnitten lässt sie oft eine parallele Streifung
erkennen, welche auf einen geschichteten Bau deutet.
Neuester Zeit will man diesen blätterigen Bau nachgewiesen und in einzelnen
Lamellen gleich jenen der Horuhautsubstanz aus feinsten Fibrillen zusammenge-
56 Anatomie der Hornhaut; Geßsse; Nerven.
setzt gefunden haben. Die Fibrillen sollen durch einen Kitt, welcher von dem
der Cornealsubstanz abweicht, vereinigt werden und am Rande der Membran aus-
einander fahrend theils in die Sclerotica übergehen, theils in das Aufhängeband
der Iris ausstrahlen (Tamamschef).
Blutgefässe finden sich nur an der fötalen Hornhaut in grösserer
Menge. Sie bilden Mer in der Bowman'schen Schichte ein ziemlich
dichtes Netz , welches sich jedoch nicht bis in die Mitte der Cornea zu
erstrecken scheint. Gegen das Ende des Fötallebens und nach der Geburt
Terkümmern diese Gefdsse und verschwiiiden ganz oder bis auf geringe
Spuren. Nur am äussersten Hornhautrande bleiben einige Capillaren zurück,
die unter der BoTrman'schen Schichte liegen und eine oder mehrere Reihen
von Bögen formiren. Aiisserdem kommen noch in der Substanz der Horn-
haut , aber nicht constant , höchst feine Capillaren Yor , welche aus der
Sclerotica stammen, meistens Xervenstämme begleiten und Schlingen bilden.
Lymphgefässe finden sich nur am Rande der äusseren Fläche der Cornea,
sie gehören also wahrscheinlich der Bindehaut an (Teichmann, Henle, Engel-
mann, C. F. Müller).
Die Nerven der Cornea (Cohnheim, Köllil-er, Engelmann, Hoyer) stammen
zum Theile von den Conjunctivalnerven (Peter möller), zum grössten Theile
aber sind sie Endzweige der ISTervuli ciliares. Erstere treten vom Limbus
conjunctivalis aus direct in die Hornhaut über. Letztere hingegen nehmen
ihren Weg dahin durch den vorderen Umfang der Sclera. Die ISTerven
werden, nachdem sie in das Hornhautgefüge gelangt sind, alsbald marklo.-,
vollkommen hell und durchsichtig und verbreiten sich unter vielen Zwei-
theilungen und Kreuzungen vornehmlich in den vordersten Sclüchten, wo
sie ein unmittelbar unter dem Bowman'schen Stratum gelegenes dichtes
Flechtwerk bilden. Ein Theil der Stämmchen geht indessen nach hinten
und löst sich nahe der Descemeti in einen durch rechtwinkelige Maschen
und Biegungen ausgezeichneten Plexus auf (Kölliker). Von dem vorderen
Flechtwerke steigt eine Anzahl von Stämmchen steil empor , durchbohrt
die BoA\Tnan'sche Schichte und zerfahrt in Fasern , welche nach allen
Richtungen liin ausstrahlen, vielfach über einander hinweglaufen und so
wieder eine Art Geflecht im Epithelialstratum selber dai'stellen. A'on diesem
Plexus nun gehen zahlreiche feinste Fäden nach vorne ab und dringen
bis in die vordersten Oberhautlagen, wo sie frei zwischen den Zellen ohne
besondere Endorgane oder Endplexus verschwinden (Kölliker, Engelmann).
Ein Austreten auf die freie Oberfläche des Cornealepitheles und ein Flottiren
der feinsten Enden in der die Hornhaut deckenden Flüssigkeitsschichte
(Cohnheim), ist kaum anzunehmen.
Jede dunkelrandige Faser wird von einer zarten kernhaltigen, eng-
anüegenden Scheide umgeben. Dieselbe setzt sich immer dünner werdend
auch auf die blassen Fasern der Geflechte fort. Die Kerne, anfangs sehr
zahlreich, werden mit zunehmender Entfernung vom Hornhautrande seltener.
Schliesslich finden sie sich fast nur mehr in den Acliseln der Geflechte
(Engelmann).
Senile Veränderungen. Als eine Theilerscheinung des senilen In-
volutionsprocesses , als Analogen des Weisswerdens der Haare , des Aus-
fallens der Zähne u. s. ^y. ist der sogenannte Greisenhogen, Gerontnxon, der
Cornea aufzufassen. Er findet sich in der Regel nebeii Verfettigung der
Augenmuskeln und der Gefässe, neben Weitsichtigkeit und anderen Zeichen
Senile Veränderungen; Greisenbogen. Ö7
der Involution bei TiCutcn, welche das 50. Lcbcnsjuliv überschritten haben;
kömmt indessen ancli wohl in frühei'en Tjebcnsperioden vor, besonders im
Gefolge von Kranklioiten, welche tief in die N^ntritionsverhiiltnisse eingreifen.
In niederen EnticirMuvysfjraden stellt er eine melir oberMücliliclie, grau-
liclic bis schnigweisse Trübung dar , welche den oberen und den unteren
Rand der Cornea in Gestalt zweier Mondsiehein umfasst. Bei fortschreitender
Entwicklung nimmt diese Trül)uiig an Diclitigkcit zu, sie dringt tiefer und
tiefer, bis nahe an die Descemeli, die ^londsicbeln werden breiter und
zugleich auch länger. Die Hörner dei" letzteren nähern sich solcher-
massen und üiessen endlich in efnander. Der Greisenbogen siellt miii-
mehr einen trüben Kreis dar, dessen oberer und unterer Theil bedeutend
breiter , als die seitlichen Bogenabschnitte sind , daher der durchsichtige
Theil der Cornea eine querelliptische Figur bildet. Der centrale Hand
des Greisenbogens ist immer verwaschen, der pei'iphere Rand aber am
meisten trüb und scharf abgesetzt. Es stösst derselbe niemals an den Con-
junctivalsaum an, zwischen beiden ist stets ein bei O'ö'" breiter Saum
durchsichtiger Cornealsubstanz eingeschoben , welcher den Greisenbogen
von aussen lier umgibt. Der Limbus cnnjunctivalis erscheint gleichfalls
trübe und da derselbe oben iind unten merklich breiter ist als an den
Seiten, so verstärkt er den Eindruck, als hätte die Cornea eine querellip-
tische Form.
Die Trübung ist der Ausdruck einer im Cornealgefüge vor sich gehen-
den fettigen Degeneration und einer damit im Zusammenhang stehenden
autfälligen Zerklüftung der faserigen Intercellularsubstanz.
Bei niederen Entwickhuigsgraden, also aiifänglicli, leiden besonders die Horn-
hautkörpeicheii. Bei iceiterer Ansbildimii^ ei'sclieinen sowohl die Lamellen als auch
die Iloinhautkörper und deren Ausläufer mit zahllosen stauhförmigen Fetlmolekülen
durchstreut, und das Hornhautgefüge selbst zeigt sich auiitalleud saftarm, trocken,
leicht in Lamellen spaltbar, so dass die Faserung zum Vorschein kömmt und die
Objectpräparate am Kande selbst in Fibrillen zerfahren. Am weitesten vorgeschritten
sind diese Metamorphosen immer in den oberflächlichen Schichten. Je weiter nach
hinten, um so weniger deutlich treten sie hervor. Das Epithel luid die Bowman'-
sche Scliiclite pflegen sich dabei nur wenig zu verändern. Bei sehr hochrjradigcr
Senescenz hat man indessen eine ganz ähnliche schichtenweise Ablagerung mole-
kularen Fettes in der angrenzenden Zone der Bindehaut, der inneren Ledcrhaut-
lagen, selbst des CiJiannuskels und der C'iliarfortsätze neben atheromatöser Entartung
der betreffenden Gefässe gesehen (Arnold, His, WedlJ.
Ausserdem findet man in senilen Hornhäuten nicht selten choloide Massen in
gruppig zusammengehäixfteu Klümpcheu durch das Gefüge zerstreut (WedlJ. Selbst
die Desceme/i verändert sich im höheren Alter. Sie wird etwas verdickt und dabei
brücliiger, spröder, daher sie schwieriger Falten wirft und gerne Risse bekömmt,
welche theils oberflächlich sind, theils in der Dicke der Schichte verlaufen. Zugleich
nehmen die icarziyen Auflagerungen von Glassubstauz, welche am Rande der Desce-
met! schon im Mannesalter sehr gewöhnlicli vorkommen, ausserordentlich zu und
rücken wolil gar bis zum Ceiitrum der Membran vor. Sie präsentiren sich als
kugelsegmentähnliche, flach aufsitzende oder gestielte stalaktitenförmige hyaline
Massen, welche häufig molekulare Körner und Kalkkügelchen, seltener Pigment
enthalten und viele Aehnlichkeit mit den senilen Verdickungen der inneren Gefäss-
schichte darbieten (H. Müller, Wedl).
Nosologie. Die entzüirdlichen Producte der Keratitis werden haupt-
sächlich und in erster Linie durch massenhafte Einwanderung weisser Blut-
körperchen (Cohnhelm) , weiterliin aber auch durch endogenetische Verviel-
fältigung derselben (Recklinghausen, Hofmann) und durch Wucherung der
fixen Zellen (Hofmann, Stricker) beschafft.
08 Keratitis ; Nosologie ; Herpetische Efflorescenzen.
Die FAnwanderung erfolgt tlieils von den Gefässen des entzündlich
angeschwollenen Limbus covjunctivalis , theils von den erweiterten Rand-
schlingen der Scleralgefässe aus. Die auf dem ersteren Wege eingewanderten
EilduugszcUen bleiben zumeist in dem Epithelstratum, während die anderen
im eigenthclien Cornealgefiige sich anhäufen , gelegentlich aber auch die
Bowman'sche Schichte durchsetzen und mit jenen zusammenfliessen.
Die vom Limhus conjunctioalis ausgehenden Zellen sammeln sich anfangs
vorzugsweise in der hintersten Oberhautscliichte, deren cylindrische Elemente aus-
einander gedrängt und schliesslich durch Wucherung (Schalygenj und Verfettigung
auch wohl gänzlich vernichtet werden, so dass man auf grosse Strecken hin zwischen
dem Bowman'schen Stratum und den oberflächlichen noch wenig veränderten
Epithelschichten nur eine an Dicke sehr wechselnde, stellenweise mächtige Lage
von Bildungszellen findet. Weiterhin dringt ein Theil dieser Zellen allmälig nach
vorne in die überlagernden Oberhautschichten, verwickelt dieselben mit in den ent-
zündlichen Process und entkleidet sie durch Wucherung oder Verfettung ihres
epithelialen Charakters. Man kann dann nur mehr ein einheitliches Lager von
Bildungszellen unterscheiden, dessen unebene Oberfläche von einer dünnen und
durch fleckweise Abstossung vielfach lückenhaften Schichte platter Zellen gedeckt
wird. Eine kleine Quote der Bildungszellen mag dann unter Umständen auch wohl
in die Bowman'sche Membran übergehen und deren Textur durch Zerwerfung der
Elemente verwischen (Iicanoff).
Die von den Eandschlingen der Scleralgefässe austretenden Zellen finden in
dem alles durchdringenden weichen Kitt der Cornealsubstanz eine bequeme Bahn
für ihre Wanderung. Man trifft sie, von der Cornealgrenze gegen den Entzündungs-
herd hin fortschreitend, in stetig wachsender Menge in und zwischen den einzelnen
Schichten angehäuft. Streckenweise lagern sie mitunter vorzugsweise in Spalten,
welche sie durch Auseinanderdrängung der Fibrillen sich geschaffen haben; sie
erscheinen in Reihen geordnet, welche in derselben Schichte parallel, in dem dar-
über und darunter gelegenen Stratum aber unter fast rechtem Winkel streichen und
so im Ganzen von oben gesehen eine Art Gitterwerk darstellen. Anderorts hin-
gegen sammeln sie sich zu mehr oder minder mächtigen Zügen, welche baumartig
verzweigt und vielfältig mit einander anastomosirend ein ganz unregelmässiges
Maschenwerk erzeugen, welches die Grundsubstanz nach allen Richtungen durch-
strickt und lebhaft an die Fortsätze der fixen Iloruhautzelleu erinnert. Daneben
fehlt es nicht an einzeln stehenden und zu formlosen Gruppen gehäuften Bildungs-
zellen sowie an Zellenhaufen, welche ihrer Anordnung und sternförmigen Gestalt
nach kaum anders, als durch Wucherung der fixen Hornhautkörperchen enstanden
sein können (Uis; Classen, Wedlj. Je mehr man sich indessen dem Centrum des
Entzündungsherdes nähert, um so undeutlicher, verschwommener werden die geschil-
derten Formen, die Masse der sich häufenden Bildungszellen verwischt jede Zeich-
nung, es präsentirt sich uiir mehr ein Conglomerat von neoplastischen Zellen, in
welchem die Grundsubstanz nicht mehr zu sondern ist, auch wenn sie noch nicht,
wie dies oft geschieht, in fettigem Detritus untergegangen ist. Liegt dieses Centrum
nahe au der Oberfläche, so sammeln sich die Bildungszellen in grossen Massen so-
wohl vor als hinter der Bowman'schen Schichte und diese bildet eine Zeit lang
eine scharfe Grenzscheide zwischen beiden Lagern, doch bald verfällt auch sie
ihrem Schicksale, die Bildungszellen durchdringen sie, zerstören sie stellenweise
und bringen so beide ueoplastischen Schichten in unmittelbare Berührung.
Die Hornhaut kann ausnahmsweise ditrch Entzündung ihrer Totalität
nach in einen Stock wuchernder Zellen verwandelt werden, in welchem
man die normalen Elemente nicht mehr zu unterscheiden vermag. Meistens
aber handelt es sich blos um mehr oder minder ausgebreitete , bald ober-
flächlich, bald tief sitzende Herde mit sehr verschwommenen Grenzen, während
der Kest der Cornea entweder normal erscheint, oder doch nur unterge-
ordnete Mengen entzündlicher Producte führt. Scharf begrenzte Herde von
typischer Form liefert blos der herpetische Process. Die Efflorescenzen des-
selben stellen primär kegelige Haufen von Bildungszellen dar, deren Körper
Abscess; Geschwür; Onyx; Keratitis vasculosa. o9
zum grossen Theilo in den tieferen Epithelstratis lagert, die rundliche
Basis nach vorne kehrt , mit der Spitze aber das Bowman'sche Stratum
durchbricht und sich in einen mit Bildung-szeUen dicht besetzten und an-
geschwollenen j^ervenstamm fortsetzt (Iwanoff). Allmälig sammelt sich eine
grössere oder geringere Menge flüssiger Intercellularsubstanz, welche dann
die wenig veränderten oberflächlichen Epithelstrata im Bereich der Kegel-
basis zu einem Bläschen emporstaut, oder aber, was meistens geschieht,
durchreisst und so eine fast kreisrunde Excoriation mit infiltrirtem Grunde
erzeugt. Weiterhin wandert eine Anzahl von Zellen wohl auch in das
umgebende Gefüge aus, verwickelt dieses mit in den Entzündungsprocess,
der Herd wird iimfangsreicher, verliert seine typische Form, während sich
gleichzeitig längs dem Zuge des erkrankten Nerven auf wechselnde Distanz
hin sowohl über als unter dem Bowman'scheu Stratum massenhaft Bil-
dungszellen ansammeln und die herpetischen Efflorescenzen solchermassen mit
einer Keratitis im gewöhnlichen Wortsinne comhiniren.
Die weiteren Veränderungen der entzündlichen Producte sind sehr
mannigfaltig.
1. Oft verfettigt die überwiegende Zahl oder die Gesammtheit der
eingewanderten und durch Wucherung neugebildeten Zellen sammt der von
ihnen abgesetzten mehr minder fibrinreichen Intercellularsubstanz , es
bildet sich Eiter im Gefüge der Hornhaut, welches bald in Mitleidenschaft
gezogen, trüb, weich wird und schliesslich ebenfalls zerfiillt, in eine fettige
Detritusmasse aufgelöst wird. Von der Oberfläche der Cornea stossen sich
derartige Producte bald ab , da die Subepithelialschichte im Bereiche des
Eiterherdes rasch zerstört wird. Das Eesultat ist ein mehr weniger aus-
gebreitetes Geschioür. Im Innern der Hornhaut aber Avird der Eiter einige
Zeit lang zurückgehalten und bildet einen Eiterherd, welcher, so lange er
allseitig von Hornhautsubstanz umschlossen ist, Abscess genannt wird. Die
blättrige Textur der Cornea gibt dann nicht selten die Veranlassung, dass
ein Theil des flüssigen Eiters sich zwischen den Lamellen senkt und sich in
einzelnen Interlamellarräumen nahe der unteren Cornealgrenze zu grösseren
Mengen ansammelt, einen Onyx, das Analogen der Senkungsabscesse,
darstellt.
2. Eben so oft beschreiten die entzündlichen Producte den Weg zur
Höhergestültung. Besonders neigen dazu oberflächlich gelagei'te Anhäufungen
von Bildungszellen. Dieselben sondern sich dann rasch in zwei Schichten,
welche mit warzen- oder zapfenähnUchen Buckeln oder Fortsätzen in
einander greifen und meistens, wenn auch nicht allerorts, sich scharf von
einander absetzen. Die Elemente der vorderen Schichte differenziren sich
nämlich mehr und mehr zu Ex^ithehellen , während die Elemente der hin-
teren Schichte auswachsen und durch den Uebergang in Spindelforra sowie
durch allmälige Anbildung einer bald streifig werdenden Intercelhdar Substanz
bei'eits an Bindegewebe oder Cornealsubstanz erinnern. Dabei machen sich
in dieser Granulationsschichte bald Gefässe bemerklich, welche von jenen
des Limbus ausgehend das neoplastische Zellenlager unter fortwährenden
Theilungen und gegenseitigen Anastomosen in centripetaler Eichtung durch-
setzen iTud schliesslich ein mehr minder dichtes Netz mit groben Stämmen
darstellen, welche letztere sich constant in stark erweiterte Bindehautvenen
fortsetzen.
60 Keratitis; Nosologie; Gefässbildung; Regeneration des Hornhautgofüges.
Es scheint, als ol) das Blut anfänglich blos in scharf umgrenzten Spalten
zwischen den Elementen der Granulationsschichte ströme, da eigentliche Wandungen
verhältnissmJissig S])iit sichtbar werden (Iwanojf). Dieselben erscheinen dann als
verzweigte Schläuelie, welche dicht mit spindeligen Zellen besetzt sind (His^ Nie-
mefschelcj und kfinnen sich unter Umständen zu einer sehr mächtigen Adventitial-
schichte heranbilden. Die grösste Mehrzahl und oft auch wohl die Gesammtheit der
neoplastischen Gefässe streicht oherhalb dem Bowmaii'schen Stratum , wo dieses
noch erhalten ist. Häufig geht das letztere aber frühzeitig, wenigstens strecken-
weise, unter und hört so auf eine Grenzscheide für die die ganze Granulationsschicht
durchstrickenden Gefässe abziTgeben. Das Blut, welches in den mit freiem Auge
sichtbaren neugebildeten Gefässen kreiset, muss nach dem Charakter der abfüh-
renden Bindehautstämme als venöses gelten, trotz seiner heUrofJien Färbung, da
diese sich aus der oberflächlichen Lage ei'klärt, welche eine oxydirende Einwirkung
der atmosphärischen Luft gestattet.
Es sticht diese Gefässbilduiig im Krankheitsbilde so auffällig hervor,
dass man sie schon seit langem als das Grundmerkraal einer eigenen Form
oberflächlicher Hornhantentzündnngen , der Keratitis vasculosa , bezeichnet
hat. Die geschilderten A'erändernngen der Granulationsschichte pflegen
mit der Dauer des Processes zuzunehmen. Am weitesten vorgeschritten
und darum auch am deutlichsten findet man sie daher bei längerem Bestände
chronisch dahinschleichender Entzündungen , besonders wenn die Ileiz-
erscheinungen schon in den Hintergrund getreten sind und der Zustand
mehr den Charakter des Pannus trägt. Dann entwickelt sich das Granu-
lationsstratum wohl auch zu ivahrem Bindegewebe, in welchem mächtige
Gefässstämme mit dicken Adventitialschichten sich verzweigen.
Im eigentlichen Hornhautgefüge eingeschlossene neugebildete Elemente
zeigen im Allgemeinen eine viel geringere Neigung zur Höhergestaltung
und Gefässbildung , es wäre denn, dass die betreffenden Strata durch ge-
schwürige Processo oder durch traumatische Substanzverluste der darüber
gelegenen Schichten nahe an die Oberflache gelangt sind. Dann entwickelt
sich aus diesen neugebildeten Elementen unter einer mehr weniger dicken
Epithellage ganz gewöhnlich wahres Hornhautgefüge , welches die gegebene
Substanzlücke mehr oder weniger vollständig ausfüllt und sonach die Ver-
heilung anbahnt. Die allbekannte und in der That wunderbare Regene-
rationsfühigkeit der Cornea beruht wesentlich auf diesem Vorgange. Es
wiederholt sich unter solchen Verhältnissen nämlich der oben bereits aus-
einandergesetzte Process. Das heilende Geschioür überzieht sich von den
Rändern aus und mit einer Bildungszellenmasse , welche sich alsbald in
ein Epitlielstratum und eine Granulationsschichte differenzirt , um je die
entsprcclienden Metamorphosen durchzumachen (Iwanof, Schiess- Gemuseus).
Nicht selten wird sowohl das neugebildete Epithel, als das die Sub-
stanzlücke ausfüllende faserige Ersatzgewebe so vollkommen durchsichtig und
stimmt auch in Bezug auf sein histologisches Verhalten mit dem umgebenden
normalen Gefüge so vollständig überein, dass eine Unterscheidung des neu-
gebildeten und des alten schlechterdings unmöglich wird und sich nicht
einmal die Grenze des Ersatzgewebes nacliweisen lässt. Häufiger indessen
erheben sich nur die tieferen Lagen des Ersatzgewebes zur Dignität nor-
malen Hornhautgefüges ; gegen die Oberfläche hin wird die Neoplasie trüber
und trüber, ja gewinnt wohl gar das Ansehen fibröser Texturen.
Der Grund dessen liegt in molekularer Trübung der neoplastischen Inter-
cellularsuhstanz, hauptsächlich aber in einer gegen die Oberfläche hin wachsenden
Anhäufung von spindelig oder faserförmig ausgezogenen Zellen, welche in der un-
regelmässjgsten Weise durcheinander geworfen erscheinen und in den äussersten
Regressive Motamorplioscn; Ilydromeiiinsitis. ßl
Lagen so dicht godräiip,!: sind, dass die Intercollularsubstaiiz last o-auz versclnvindet.
Sehr p;ew()hnlich icömnit es in einem soh-lieii Ersatzgewebe auch zur Entwickhing
ständiger Gefusse und vielieiclit sogar zur Neuliiklung von Nerven (GonveaJ. Erstere
sind die spärlichen Reste der in der Granulafcionsschichte vorhanden gewesenen
Net:e und wolil stets mit einer Adventitia bekleidet.
Im Falle, als das heilende Geschwür in nnmitt(!lbare lierührung mit wahrem
Bindegewebe geräth, sei es dass es an den Limbus conjunctivalis grenzt, oder einen
Irisvorfall umgibt, geschieht es nicht selten, dass oberflächliche Strata der Neu-
bildung ganz dtiu Charakter schwannniger Wmidtjramihitionen annehmen und im
iceiteren Verlaufe zu malirein lockeren und ziemlich gefässreichcn Bindegewebe mit
einem mehr minder dicken Belege von Epithelzellen degeneriren.
In einzelnen Fällen findet man eingeschoben zwischen das Epithel und die
vordere Grenzschichte, vielleicht auch gan" im Epitliel lagernd und dies in zwei
Lagen sondernd (AlthofJ, eine mächtige Schichte streißgen Gefüges , welches von
gestreckten Kernen, von einer grossen Menge haufenweise gruppirter choloider Kugeln
und von Gefässen durchsetzt ist. Es erscheint diese neugebildcte Schichte nicht
allenthall)cn gleich dick, sondern tritt an einzelnen Stellen gefichwidstai-tig heraus,
an anderen zeigt sie Buchten, in welche das Epithel hineingreift, oder ist gar unter-
hrocheii. Man hat derartige Neoplasien vornehmlich im Gefolge von tief in die
Vegetationsverhältnisse des gesammten Augapfels eingreifenden, sehr langwierigen
Entzündungsprocessen beobachtet, l)ei sehr chronischer zur Atrophie führender oder
in Schwund bereits übergegangener Iridochorioidifis, bei chronischem Glaucom alter
Leute u. s. w. (Wedl). Doch soll sie auch bei veraltetem Pannus (Donders) vor-
kommen und mitunter Cornealnai-hen überkleiden (KlehftJ. Ueber das Wesen dieser
Auflagerungen gehen noch die Ansichten auseinander, doch scheint es sich um
geschrumpfte verödete Partien der Granulationsschichte zu handeln.
3. In sehr vielen Fällen werden die neoplastisclien Elemente, auch
"wenn sie sich bereits zn höheren Organisationsstufen emporgeschwungen
haben , regressiv , sobald die vorhandenen Ernährungsstöi'ungen zum Aus-
gleich gekommen sind. Wenn der Process nicht weit gediehen war und
die Production überhaupt in den Grenzen der Massigkeit geblieben ist,
bilden sich die neoplastischen Elemente einfach zurück; im anderen Ealle
aber zerfallen sie gewöhnlich theilweise oder ganz in lösliche Substanzen,
unter welchen sich vornehmlich das Fett auffällig macht und welche dann
auf dem Wege der Resorption mehr weniger vollständig beseitigt werden.
Häufig verkümmern dieselben wohl auch blos und schrumpfen. In diesem
Zustande findet man sie dann oft nach Jahren neben fettigem Detritus zu
Nestern vereiniget in den Zwischenräumen der Faserlagen. Es scheint,
als ob sie durch Schrumpfung die Fähigkeit nicht verlören, unter günstigen
Umständen, bei Einwirkung eines neuen Impulses, sich wieder aufzublähen
und in vorschreitender Ilichtung zu gestalten, oder überhaupt Tliätigkeiten
zu entfalten, wie sie frischgebildete Zellen und Kerne äussern. Es sind
diese Nester zurückgebildeter Zellen und Kerne der anatomische Grund-
charakter gewisser Cornealtrühungen (Wedl).
4. Die Membrana Descemeti anbelangend , unterliegt es dermalen
keinem Zweifel mehr, dass dieselbe gleich den übrigen Glashäuten in
gewissem Sinne der Fmtzündung fähig sei. In der zugehörigen Zellenschichte
wenigstens ist der entzündliche Process mit Eestimmtheit nachgewiesen
worden. Es erscheint derselbe bald gleichm'dssig über das gcsaramte
Epithelstratum der Descemeti ausgebreitet und bedingt dann auch eine
gleichm'dssige Trübung der hinteren Hornhautwand ; bald entwickelt er sicli
in kleineu zerstreuten Herden mit grösserer Ueppigkeit und führt zur Bildung
von haufenweise grnppirtcn punld- oder knöfchenförmigm rundlichen Auf-
lagerungen.
62 Keratitis; Nosologie; Hydromeningitis ; Bhitextravasate.
Der Qualität nach sind diese Neoplasien bisher noch nicht genügend er-
forscht worden; doch ist anzunehmen, dass sie dem jeweiligen Charakter der
Entzündung entsprechend bald diese bald jene Elementarformen darbieten, unter
Umständen auch zu Eiter zerfiiessen können und im Ganzen mit den Wucherun^s-
producten anderer Epitlielzellenlager übereinkommen. Auch ist es sehr wahr-
scheinlich, dass die an der Descemeti haftenden blassen nicht immer das Totale
der Neubildung präsentiren, sondern dass unter fortgesetzter Wucherung sich mehr
weniger beträchtliclie Mengen des I^xsudates ahstossen und das Kammer w asser
merklich trüben, ja auch zur Erzeugung von Hi/poiJyen wesentlich beitragen
können. Jedenfalls hängen die disseminirten Knötchen nicht selir fest an, da sie
bei der Eröffnung der Vorderkammer durch den rasch abfliessenden Hvimor aqiieus
öfters abgelöst und nach aussen entleert werden (Hasner).
Die Wasserhautentzündung, Hydromeningitis, Keratitis postica (Hasner)
tritt übrigens niemals rein und selbstständig auf, sondern ist immer an
Keratitis gebunden, welelie jede beliebige Form darbieten kann, sich jedoch
in der Mehrzahl der Fälle entweder durch blosse diffuse Trübung der
Cornea propi-ia oder gleichfalls durch vorwaltende Ablagerung ihrer
Producte in Icleinen zerstreuten Herden auszeichnet (Keratitis punctata) und
ihrerseits wieder nur in Gesellschaft von chronischen, den Fortbestand
des Bulbus sehr bedrohenden Entzündungen der Binnenorgane zur Beob-
achtung kommt.
In wie ferne die Substanz der Descemet'schen Haut und überhaupt die
Glashäute als solche an der Entzündung activen Antheil nehmen, ist bislier nicht
aufgeklärt. So viel stellt fest, dass dieselben unter dem Einflüsse naclibarliciier
Entzündungsherde allmälig verdünnt werden und die zarteren unter ihnen wohl
auch ganz zerfallen können. Doch dürfte dieser Process kaum auf eine entzündliche
Gewcbsalteration zu beziehen sein. Andererseits findet man aber jene dem Greisen-
auge vornelnnlich zukommenden Verdickungen und hyalinen drusigen Auflage-
rungen gar nicht selten auch neben den Ausgängen oder während dem Verlaufe
heftiger Entzündungen der Nachbarorgane (Donders, Coccius). Sie erweisen sich
dann öfters durch ihre auifällige Weichheit als ganz frisch und machen soliin ihre
Abhängigkeit von der Phlogose sehr wahrscheinlich. Es ist dabei ungewiss ge-
blieben, ob diese Alterationen in verschiedenen Fällen nicht verschiedenen Pro-
cessen auf Rechnung kommen und ob sie wohl auch constant denselben morpho-
logischen Charakter besitzen.
5. Eine besondere Erwähnung verdienen noch die Blutaustretiingen,
welche bei degenerativen Processen des Auges, namentlich bei schwerer
Iridochorioditis, nicht ganz selten vorkommen. Sie präsentiren sich als
büschelförmig verzweigte oder den Haufenwolken ähnlich geballte, immer
aber blattartig von vorne nacli hinten zusammengedrückte, sehr dunkel
rothe Massen, welche mit einem kurzen, meist dicken Stiele in der
Scleralgrcnze festzuhaften scheinen und sichtlich im eigentlichen Hörn-
hautgefüge lagern. Gewöhnlich sind sie von äusserst kui'zer Dauer, indem
ihre anfänglich scharfen Grenzen bald auseinander iiiessen und das Blut
sich in der Umgebung diffundirt und aufgesaugt wird. Ein Theil des-
selben pflegt sicli jedocli zu senken und dann an der unteren Corneal-
grenze als ein onyxartiger, nach oben scliarf begrenzter, mondsichelartiger
Saum längere Zeit sichtbar zu bleiben. Es kommen Fälle vor, wo dieser
blutige Onyx den queren Meridian der Cornea erreiclit oder gar über-
schreitet und auch wolil wiederholt sich verkleinert und wieder ansteigt.
Es scheint, dass man diesen Zustand gewöhnlich mit dem Hypohaema,
den Blutaustretmigen in den Kammerraum, verwechselt.
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Archiv. 39. Bd. S. 1 u, f. — Becktinghausen, Hofmann, Centralblatt 1807. S. 481;
1868. S. 343. — Schcdygen, 1. c. S. 88. — hranoff, 1. c. S. 127, 131 ; unveröffent-
lichte Zeichnungen. — Class^en, A. f. O. XIII. 2. S. 467, Taf. II. III. — Niemefschek,
Prag. Vierteljahrschr. 94. Bd. S. 28, 30. — Gouvca, Arch. f. Aug.- und Ohrenheil-
kunde I. S. 118. — Stricker, Studien aiis dem Institute f. exp. Path. Wien. 1870.
S. 1 — 17.
1. Keratitis vasciilosa.
Krankheitsbild. Charakteristisch ist neben einer mehr oder iceniger
heftigen Ciliarreizvng eine gleichmässig stihige oder zarte graue wolkige Trü-
bung und die Entn-ickfhmg von Gefässen an der ravh geicordenen Oberfläche
der Hornhaut.
1. Die Cornealobei'fläche trübt sich au einer oder mehreren Stellen
in gTÖRserem oder geringerem Umfange sulzähnlich graulich, verliert ihre
Glätte, wird matt, rauh, so dass die Spiegelbilder ganz undeutlich, facettirt
oder wie zerworfen aussehen.
2. Alsbald treten Gefässe auf welche von dem Hornhautrande gegen
die Mitte hin vordringen, der Trübung gleichsam nachrückend , sich unter
einander zu einem Xetze verbinden und zuletzt in Form feiner End-
zweigelchen verschwinden.
Bisweilen bersten die Gefässe und es entstehen kleine Blutextravasate,
welche an der Oberfläche der Hornhaut zwischen den Maschen der einzelnen
Gefässchen als rotbe, unregelmässig begrenzte, verwaschene Flecke sichtbar werden.
64 Keratitis vascnlosa; Krankheitsbild ; Ursachen.
In den tieferen Schichten wird die gleichzeitig vorhandene Gewebs-
veränderung seltener auffällig und nur sehr ausnahmsweise entwickeln sich
daselbst dem freien Auge sichtbare Gefässe.
3. Fast immer gehen der Gewebsalteration Erscheinungen der Ciliar-
reizung voraus und begleiten dieselbe ihrem ganzen Verlaufe nach.
Gewöhnlich erscheint die Conjunctiva hulbi von einem groben Gvfüssuetze
durchstrickt, welches sich gegen die Cornea hin mehr und mehr verdichtet
und an deren Grenze in eine Unzahl von feinen Zweigchen zerfährt, die
sich auf dem entzündlich angeschwollenen Limbus conjunctivae parallel und
dicht neben einander lagern , so dass derselbe einen naliezu gleichmässig
scharlachroth gefärbten Raum darstellt , welcher einen grösseren oder
kleineren Bogen der Hornliautperipherie überdeckt. Unter diesem ober-
flächlichen Gefassnetze schimmert ein tieferes, dem Episcleralgewebe zuge-
höriges, höchst fein geädertes rosiges Gefässnetz durch, welches gegen die
Hornhautgrenze hin sich zu einem hellrothen Kranze verdichtet, der in
Folge seröser Schwellung des Gefüges nicht selten in Gestalt eines Ring-
wulstes über die Umgebung hervortritt und unter dem Namen GefässJcranz
bekannt ist.
Die Augengegend fülilt sich dann ifänner an, als in der Norm, selbst wenn
die Lider nicht geröthet und geschwollen sind, was übrigens bei den höheren
Intensitätsgraden der Ker.atitis niclit selten der Fall ist. Wenigstens zeigen die
abfliessenden Thränen eine Teniperaturerhöhnng.
Die Schmerzen können ganz fehlen und überhaupt in allen Graden
schwanken, auch wohl ganz wüthend werden. Sie strahlen oft längs dem
Nervus frontalis, seltener nach dem Infraoi'bitalnerven aus und sind ge-
wöhnlich mit beträchtlicher Verengerung der Pupille vergesellschaftet, welche
einen spas modischen Charakter darbietet und daher in der Eegel schwer
oder gar nicht durch Mydriatica behoben wird.
Ueberdies findet man sie in der Regel mit Lichtscheu und deren
Attributen, Thränenfluss und Lidkrampf, gepaart, ja diese sticht in vielen
Fällen durch ihre Intensität und Hartnäckigkeit im Krankheitsbilde hervor.
Die Lichtscheu kann übrigens auch ohne sondei-liche Schmerzen und diese
können ohne jene im Krankheitsbilde der Keratitis vascnlosa auftreten.
4. Die Trübung der Hornhaut, falls sie in den Bereich der Pupille
hineinragt, ist natürlich mit einer Störung des Gesichtes verknüpft, welche
um so bedeutender ist, je stärker die Gewebsalteration der Cornea und
ein je gi'össerer Theil der Papille von der Trübung bedeckt wird.
Ursachen. Die Keratitis vascnlosa ist sehr häufig blos die Be-
gleiterin eines auf der Hornhaut verlaufendeii herpetischen Processes. Auch
kömmt sie sehr oft in Combination mit Trachom vor und hat dann die
Bedeutung eines Cornealtraehoms, d. h. einer trachomatösen Gewebs-
wucherung der Hornhaut. Seltener entsteht sie in Folge der Fortpflanzung
bei anderen Formen der Bindehautentzündung.
Primär entwickelt sie sich in Folge der mannigfaltigsten äusseren
Schädlielikeitseinwirkungen. Besonders solche Schädlichkeiten, welche nur
die äussere Oberfläche der Hornhaut trefi'en , sind ergiebige Uuellen der-
selben. Vor allen müssen hier genannt werden mechanisch reizende Ein-
wirkungen. Im Bindehautsacke oder auf der Hornhaut sitzende fremde
Körper, Staubtheilchen, nach einwärts gebogene Cilien u. s. w. führen
Verlauf; Ausgänge. • 65
sehr oft biiuicii kurzem zu heftigen llornhautcntziinduiigen und unter-
halten dieselben, falls sie nicht entfernt werden. Traumatische Abschilfe-
rungen des Hornhautepithels sind um so wirksamere Ursachen des Pro-
cesses. Nicht weniger oft sind chemische lleizeinwirkungen : Hauch, scharfe
Dämpfe, ätzende Flüssigkeiten, hohe Temperatui-grade u. s. w. als nächste
Veranlassungen zu betrachten. Erwähnenswerth ist in dieser Beziehung
ausserdem die unzeitige Anwendung zu starker Augenwässer, reizender
Salben u. s. w. bei der Behandlung mannigfaltiger anderweitiger Ophthal-
mien. Avxch die fortwährende Einwirkung der atmosphärischen Luft auf
die durch Verkürzung der Lider, Ectropium, wegen Exophthalmus u. s. w.
blosgelegte Oberfläche des Bulbus ist ein wichtiges ätiologisches Moment.
Uebcrdies sind als mögliche Ursachen der Keratitis vasculosa anzuführen:
rascher Temperaturwechsel, Zugluft.
Der Verlauf ist in jeder Beziehung ein sehr wechselvoller. Wo
das Causalmoment nur vorübergehend wirkte, kann der Process innerhalb
einer oder weniger Wochen zum Abschluss gelangen ; wohl aber auch
bei der vernünftigsten Therapie lang sich hinschleppen. Wo die Ursache
nicht entfernt werden kann , säumt natürlich auch der Eückgang der
Kranlvheit.
Die Keratitis erklimmt innerhalb einiger Tage oder Wochen ihren
Höhepunkt. Auf diesem bleibt sie einige Zeit, bisweilen wochenlang
stehen, während die Erscheinungen der Ciliarreizung steigen und fallen.
Endlich treten diese letzteren Symptome mehr zurück und die Keratitis
neigt sich der Heilung zu oder biegt in den chronischen Verlauf ein,
welcher nicht selten Monate in Anspruch nimmt.
Ausgänge. Der gewöhnlichste Ausgang ist der in Heilung. Eine
Keratitis vasculosa, welche durch eine rasch vorübergehende, sich nicht
wiederholende Ursache angeregt wurde und nicht lange besteht, lässt bei
entsprechender Therapie mit Wahrscheinlichkeit auf Heilung hoffen , und
zwar in nicht langer Zeit. Langer Bestand der Entzündung, sehr grosse
Ausbreitung und beginnende grauweisse wolkige, streifige, iieckähnliche
oder punktförmige Zeichnung des Herdes, endlich Schwierigkeit oder Un-
mögliclikeit das veranlassende Moment rasch zu entfernen, verschlimmern
die Prognose, da dann sehr oft sogenannte Epithelialtrübungen, Sehnenflecke
oder Pannus zurückbleiben.
Das Rückschreiten des Processes kündigt sich in der Regel zuerst
durch die Lösung des Reflexkrampfes an , welcher die Pupille bisher enge
zusammengezogen erhielt. In der That stellt sich, wenn es einmal gelungen
ist, die Pupille durch Atropin zu erweitern, meistens bald eine sehr auffällige
Abnahme der Schmerzen und der Lichtscheu ein; die Exacerbationen
werden milder oder bleiben aus; die Thränen verlieren an Wärme und
werden sparsamer abgesondert ; das Gefässnetz rings um die Hornhaut-
grenze wird schütterer; die Trübung klärt sich vom Umfange gegen das
Centrum des Herdes hin auf und die Gefässe ziehen sich dem ent-
sprechend zurück. Immerhin bleibt noch längere Zeit eine bedeutende
Empfindlichkeit des Auges übrig und es bedarf von Seite des Arztes und
des Kranken der grössten Aufmerksamkeit, um Recidiven zu verhindern.
st eil wag, Augenheilkunde. 5
QQ Keratitis vasculosa; Behandlung.
Bisweilen stösst sich an einer oder der anderen Stelle des Entzün-
dungsherdes das Epithel, vielleicht auch die Bownian'sche Schichte und
das unterlagernde Stratum neugebildeter Zellen los, es entseht eine Exco-
riation von unregelmässiger Gestalt und wechselnder Ausdehnung. Die
Eeizwirkung der Thränen, der atmosphärischen Luft u. s. w. scheint an
solchen Stellen eine sehr bedeutende zu sein; denn die Injection der
tiefen Gefässe, die Schmerzen und ganz besonders die Lichtscheu pflegen
in derlei Fällen ungewöhnlich hohe Grade zu erreichen und anzuhalten,
bis die excoriirte Stelle sich wieder mit einem Epithelzellenlager über-
kleidet hat. Nicht gar selten kömmt es dann auch zu einer Steigerung
des Processes und einer weiteren Ausbreitung desselben.
In gleicher Weise können schlechtes Verhalten des Kranken und
ungeeignete Therapie die Veranlassung abgeben, dass der Process an In-
und Extensität zunimmt. Bisweilen führen derlei schädliche Einflüsse zur
Abscess- oder Geschioürsbüdung, häufiger jedoch zur Entwickelung herpetischer
Efflorescenzen. Mitunter pflanzt sich der Process wohl gar auf die Uvea
fort und bedingt eine Iritis,
Behandlung. Erste Aufgabe ist sorgfältigste Untersuchung des Bul-
bus und seiner nächsten Umgebungen, namentlich des Bindehautsackes
und der Lidränder, um etwa vorhandene fremde Körper, nach einwärts
gebogene Cilien , ein Entropium etc. entdecken , und so die Veranlassung
zu weiterer Fortdauer oder Steigerung des Uebels beseitigen zu können.
Das übrige Verfahren richtet sich hauptsächlich nach der Intensität des
Processes und nach den begleitenden Erscheinungen im Gefäss- und
Nervensysteme.
1. Wo sich bei acutem Verlaufe der Keratitis vasculosa die entzünd-
lichen Erscheinungen in den Grenzen der Massigkeit halten, sowie in Fällen,
in welchen sich der nervöse Charakter des Processes durch unverhältniss-
mässig heftige Lichtscheu oder Schmerzen und durch relativ ganz geringe
Entwickelung der Gefässsymptome deutlich ausspricht, leisten neben richtig
angepasstem antiphlogistischen Verhalten des Ki'anken täglich 2 — 3 mal
wiederholte Einträufelungen einer Atropinlösung und der Schutzverhand am
meisten. Bei grosser Intensität des Entzündungsprocesses , namentlich bei
selir hervorstechenden Gefässsymptomen, können ausserdem Blutegel und,
falls eine sehr beträchtliche locale Temperaturerhöhung nachweisbar ist,
auch wohl kurze Zeit hindurch vorsichtig angewendete kalte Ueberschläge
zu Hilfe genommen werden. Machen unerträgliche Schmerzen oder über-
mässige Lichtscheu mit heftigem Lidki'ampfe ein symptomatisches Einschreiten
unbedingt nothwendig, um allgemeinen oder localen Gefahren zu begegnen,
so sind hypodermatische Einspritzungen einer Morphiumsolution am Platze.
Die oft überaus grosse Intensität lediglich nervösei' Erscheinungen verleitet
minder Erfahrene sehr leicht zu kräftiger Äntiphlogose, insbesondere zur Application
von Blutegeln. Es ist hiervor dringend zu tcarnen. Besonders bei schwächlichen
Personen, Weibern und Kindern von zartem Körperbau, ist ein solches Verfahren
wegen seiner Einwirkung auf die Blutbeschaffenheit und den allgemeinen Ernährungs-
process sehr nachtheilig, ja gar nicht selten steigen unter zunehmendem Erethismus
die nervösen Symptome erheblich.
2. Säumt trotz dem Rückgänge der Beizerscheinungen die Äußiellung
der Cornea, oder wird die Keratitis chronisch, so versuche man anfänglich
vorsichtig Einstäubungen des Calomel in den Bindehautsack. Folgt hierauf
eine stärkere Reizung, so ist das Mittel noch nicht an der Zeit und einst-
Herpes corneae ; Krankheitsbild ; Roaorptionsgeschwür. 67
weilen noch auszusetzen. Vertrügt der Kranlie aber die Einstäubungen,
so sind selbe täglich einmal , höchstens zweimal anzuwenden und dann
allmälig mit der kräftiger wirkenden gelben Quecksilberoxydsalbe zu ver-
tauschen.
3. Bei tracJiomatöser Keratitis fällt die Nothwendigkeit, eine specielle
Behandlung einzuleiten, weg. Hier thut nach Beschwichtigung der hefti-
geren Reizerscheinungen die directe Behandlung des Trachoms durch Aetz-
mittcl die besten Dienste, die Hornhauttrübung schwindet unter deren Ge-
brauch in der Regel weit schneller , als das Trachom selbst , falls nicht
Nebenverhältnisse im Wege stehen.
2. Der Herpes corneae.
Krankheitsbild. Charakteristisch ist die Entwickelung umschriebener
rundlicher mohn- bis hirsekorngrosser Entzündungsherde in den oberflächlichen
Schichten der Hornhant und das Vorhandensein einer mehr oder tveniger heftigen
Ciliarreizung.
1. Die herpetische Efflorescenz (S. 58) erscheint anfänglich unter der
Gestalt eines rundlichen, sulzig trüblichen Knötchens, welches bald tiefer bald
seichter in die Cornealsubstanz eingebettet ist und meisthin etwas über die
Vorderlläche der Hornhaut hervorragt. Bisweilen , nicht immer , erhebt
sich an der Spitze dieses Knötchens ein kleines flaches Bläschen mit wasser-
hellem Inhalte, dessen Wandung von Epithel gebildet wird. Sehr häufig
berstet dieses Bläschen unter dem Drucke seines Inhaltes, bevor es noch
zur Wahrnehmung gekommen ist. Man findet dann an seiner Stelle bald
eine seichte Excoriation, bald einen tiefer in das Cornealgefüge eindrin-
genden Substanzverlust mit sulzig trübem Grunde , welcher gewöhnlich in
kurzer Zeit eine weissgraue oder weissgelbliche Farbe annimmt , so dass
der Substanzverlust das Aussehen eines rundlichen scharfbegrenzten Ge-
schwürchens mit speckigem oder eiterigem Belege gewinnt. In anderen
Fällen kömmt es niemals zur Bläschenbildung, das sulzig durchscheinende
Knötchen wird rasch ganz trübe, grauweiss oder gelblich und vei-harrt
entweder in diesem Zustande , oder es schmilzt und verwandelt sich so
unter Abstossung der Epitheldecke in ein speckig oder eiterig belegtes
Geschwürchen von der Grösse und Form des ursprünglichen Knotens. In
vielen Fällen greift dann die Entzündung etwas weiter , das Knötchen
oder Geschwürchen umsäumt sich mit einem trüben Hofe. Die den Hof
bildende trübe Masse zerfällt auch öfters wieder und das Geschwür breitet
sich aus, seine ursprüngliche Form ändernd. Nicht selten aber stösst sich
alles Trübe völlig ab , die Efflorescenz erscheint unter der Gestalt eines
rundlichen mehr weniger tiefgreifenden Substanzverlustes mit völlig glatten
und durchsichtigen Wandungen, die keine Spur einer entzündlichen Alte-
ration erkennen lassen, als ein sogenanntes Resorptionsgeschwür.
Die Efflorescenzen können sich an jeder Stelle der Hornhaut entwickeln.
Oft findet sich nur Eine vor, in anderen Fällen stehen viele zerstreut
herum. Bisweilen bilden sie wohl auch Gruppen. Am Limbus conjunc-
tivalis reihen sie sich häufig an einander und umsäumen so einen grösseren
5*
68 Herpes corneae; Krankheitsbild; herpetische Brücke.
oder kleineren Bogen der Cornealperipherie. Sehr oft treten sie in Com-
hination mit dem Herpes conjunctivae auf und bilden mit dessen Efflores-
cenzen zusammenhängende Gruppen. Da die Efilorescenzen sich nicht auf
einmal, sondern nach und nach zu entwickeln pflegen, findet man sie auf
der Cornea und Bindehaut gewöhnlich in den verschiedensten Entwickelungs-
stadien begriffen.
2. Dem Aufsehiessen der Efflorescenzen geht mit seltenen Ausnahmen
immer eine erhebliche Congestionirung der Bindehaut und Episclera voran
und diese begleitet den Process seinem ganzen Verlaufe nach. Wo eine
grössere Anzahl zerstreuter Efflorescenzen zur Entwickelung kömmt oder
sich vorbereitet, ist in der Eegel die Hj-perämie der Bindehaut und Epi-
sclera eine allgemeine. Die Conjunctiva bulbi ist von einem grobmaschigen
Gefässnetze durchstrickt, während darunter das rosige feinmaschige, gegen
die Hornhautperipherie sieh mehr und mehr verdichtende Netz der Epi-
scleralgefässe deutlich absticht. "Wo aber nur eine oder die andere Efflo-
rescenz oder gedrängte Efflorescenzengruppe aufschiesst , dort bleibt auch
häufig , wie beim Bindehautherpes , die Hyperämie auf die nächste Um-
gebung des herpetisch afficirten Ciliarnerven zweiges beschränkt, es wird
nur ein grösserer oder kleinerer Sector der Augapfelbindehaut und des
darunter gelegenen Episcleralgefüges injicirt. Man findet dann in der Con-
junctiva bulbi ein mehr oder weniger breites Bündel stark ausgedehnter
vielfach verzweigter Gefässe, welche aus der Uebergangsfalte hervortreten
und, gegen den Hornhautrand hin streichend, ein unregelmässiges Dreieck
beschreiben, dessen Grundlinie genau meridional zieht und dessen Basis
gegen den Uebergangstheil hin gerichtet ist. Sitzt die zugehörige Efflo-
rescenz auf dem Bindehautsaum , so bildet sie die Spitze des Dreiecks.
Falls dieselbe jedoch vom Corncalrande entfernt auf der Hornhaut auf-
schiesst, erscheint die Spitze des Dreiecks an der Grenze des Limbus con-
junctivalis abgeschnitten ; die Seiten des Dreiecks , verlängert gedacht,
würden sich aber in der Efflorescenz schneiden.
Diese Gefässinjection ist der objective Ausdruck für den Eeizzustand,
in welchen die den herpetisch afficirten Nervenast (S. 59) umgebenden
Theile längs seines Laufes und durch ihn versetzt worden sind. In der
gefässlosen Cornea kann diese Irritation äusserlich nicht zur Wahrnehmung
gelangen ; daher erscheint bei Efflorescenzen , welche auf der Fläche der
Hornhaut entfernt vom Limbus stehen, das Gefässbündel abgebrochen. Die
einfache Reizung steigert sich aber bisweilen zur wahren Entzündung in
der Bindehaut , dem Episcleralgewebe und der Hornhaut. Dann treten
auch die Erscheinungen einer Keratitis vasculosa deutlich hervor. Jener
Theil der Cornea, welcher die Efflorescenz von dem abgestutzten Ende
des Gefässbündels trennt, wird sulzig getrübt und bald entwickeln sich auf
ihm Gefässe, welche mit denen des hyperämirten Conjunctivaltheiles in
Verbindung stehen. Es verlängert sich gleichsam das Gefässbündel der
Bindehaut bis zur Efflorescenz, welche nun die Spitze des vervollständigten
Dreieckes krönt. Der Cornealtheil des letzteren wird mit dem Namen der
„herpetischen Brücke'^ bezeichnet.
Wo mehrere Efflorescenzen neben einander zur Entwickeh^ng kommen, ver-
schwimmen die Gefiissbündel unter einander, sowohl in der Bindeliaut als Hornhaut
und verwischen so gemeiniglich das schulgerechte Bild. Doch kommt es auch vor
Ursachen; Zoster ophtlialmicns. 69
dass mehrere Efflorescenzen zerstreut nmherstehen utid juflo mit einem gesonderten
herpetisciien Bündel zusammenliängt.
Nicht selten entwickelt sich vorläuli<j eine Keratitis vasculosa , breitet sich
allmälii^ aus und erst später schiessen in oder ausserhalb des Entzündungsherdes
die heipetischen Efflorescenzen auf. Da geht natürlich das Gefässbündel ganz
verloren in der allgemeinen llyijerämie. Gleiches gilt scdbstvcirständlich, wenn sich
der Herpes im Verlaufe einer Conjiinctivalciitz'dndamj entwickelt. Dann ist das
charakteristische Gefässbündel in der dichten Injcction der Augapfelbindehaut ganz
unkenntlich und die Diagnose wird allein von der Existenz der eigenthümlichcn
Efflorescenzen abhängig.
3. In der Regel kündigt sich der Proccss zuerst durch brennende oder
stechende Schmerzen im Auge und durch Lichtscheu mit deren siotigen Be-
gleitern, Thränenfluss und Lidkrampf, an. Während dem Verlaufe der
Krankheit wechselt der Grad der Schmerzen und der Photophobie ausser-
ordentlich, so dass dieselben mitunter gar nicht beachtet werden, in an-
deren Fällen aber geradezu unerträglich scheinen und das weithin am
meisten hervorstechende Symptom abgeben, gegen welches alle anderen
Erscheinungen in den Hintergrund treten.
4. Sehstörungen werden begründet durch die üeberliuthung der Cornea
mit Thränen, in den späteren Stadien öfters durch katarrhalische Secrete,
vorzüglich aber durch etwaige Ueberdeckung eines Theiles der Pupille von
Seite der Entzündungsherde.
Ursachen. Der Herpes corneae wird in nicht ganz seltenen Fällen
als Theilerscheinung eines über grössere oder kleinere Verzweigungsbezirke
des Trigeminus ausgebreiteten Gürtelausschlages beobachtet. Ein solcher
Zoster kann sich ausnahmsweise über alle drei (Singer) oder über zwei
(de Haen) Hauptäste des Quintus erstrecken ; in der Regel ist er auf einen
einzigen Ast, ja auf einzelne Zweige desselben beschränkt. Das Auge wird
jedoch, laut zahlreichen Ei'fahrungen und entsprechend dem anatomischen
Verlaufe der oculopupillaren Sympathicusfasern (S. 9) , gewöhnlich nur
dann in Mitleidenschaft gezogen , wenn das Gürtelexanthem sich im Aus-
strahlungsbezirke des Nasociliarnerven entwickelt und demgemäss bis an die
Nasenspitze herabreicht (Hutchinson). Doch kann das Auge im letzteren
Falle auch frei bleiben (Hutchinson, Steffan) und umgekehrt an einem Zoster
im Gebiete des Stirn- (Bowman, Hebra, Homer), des Thrünennerven u. s. w.
Antheil nehmen; ja es kommen Fälle vor, wo das Ciliargebiet stark er-
griffen ist und wo sich nebenbei blos einzelne zerstreute Gruppen der
charaktei'istischen Efflorescenzen an den Lidern ixnd den angrenzenden
Theilen der Joch-, Wangen- und Schläfenhaut, oder an der Nasenseite und
Stirnhaut etc. vorfinden.
Gestützt auf einige Fälle, in welchen sich Gürtelausschläge mit entzündlichen
Anschwellungen der betreff"enden sympathischen Sinnalganglien in Zusammenhang
bringen Hessen (Bärensprung, Charcot, Cotard), glauben Manche, den Zoster trigemini
auf gewisse Erkrankungen des Ganglion Gasseri zurückführen zu müssen (Bärcn-
S2yrung), während Andere den Ausgangspunkt des Leidens eher in die Centra des
sympathischen Nerven versetzen zu dürfen meinen (Stefan). Nach pathologischen
Untersuchungen können jedoch auch Erkrankungen einzelner 'Nervenäste (Danielsen,
EsmarchJ, ja peripherer Endzioeige (hvanoff) den nächsten Anlass geben, voraus-
gesetzt, dass sie eben sympathische Röhren führen ; wobei allerdings die Möglich-
keit nicht ausgeschlossen ist, dass die bezüglichen entzündlichen Veränderungen
im peripheren Verlaufe des Nerven schon etwas secundäres sind; jedenfalls aber
auch der Umstand schwer ins Gewicht fällt, dass einzelne herpetische Gruppen
öfters an weit von einander distanten und zu ganz verschiedenen Nervengebieten ge-
70 Herpes corneae; Ursacten: Zoster ophthalmicns.
hörigen Stellen zugleich beobachtet ■werden (NiemeLschek) nnd sich nur schwer anders,
als durch zerstreute Herde des Grnndleidens erklären lassen.
Das Äugenleiden stellt sich meistens erst einige Tage nach Beginn
der Hauternption ein und beknndet sich in einem Theile der Fälle ledig-
lich durch starke Chemose der Lider und Bindehaut, durch Thränenfluss,
Lichtscheu und heftige Schmerzen. Später gesellt sich nicht selten eine
leichte Trübung der Cornea und öfters auch Iritis dazu. Letztere führt
gerne zu hinteren Synechien. Sie kann unter Umständen in Iridochorioi-
ditis übergehen und sogar den Verlust des Auges nach sich ziehen (Hut-
chinson). Das Auge verhält sich in solchen Fällen ganz analog , wie die
entzündeten und derb infiltrirten Hautpartien, welche die einzelnen Effl.0-
rescenzgruppen eines Zoster dorsopectoralis unter einander verbinden. Li
anderen Fällen jedoch treten die charakteristischen Efßorescenzen auch auf
der Oberfläche des Bulbus selber hervor. Man hat auf der Cornea ein-
zelne Phlyktenen (Johnen), meistens aber gruppig gehäufte oder am Limbus
conjunctivahs bogenförmig aneinander gereihte umschriebene rundliche'
Exsudatherde getroffen, welche jedoch nur äusserst selten in ihrer primären
Form, als kleine Knötchen oder Bläschen, zur Beobachtung gekommen
waren , sondern meistens schon das Epithel abgestossen hatten und sich
nun als kleine Ulcerationen darstellten, oder bereits zu einem grösseren Ge-
schwüre zusammengeflossen waren, welches jedoch öfters noch das Her-
vorgehen aus einer Mehrzahl conßuirender Herde an seiner Form erkennen
liess. Einzelne Autoren vergleichen diese „kleinen Erweichungen oder
Geschwüre" geradezu mit jenen, welche nach Blattern aufzutreten pflegen
(Bowman). In einem Falle hatte sich ein kleiner Exsudatknoten auch an
dem PupiUan-ande der entzündeten Iris gebildet (Hutchinson).
Es ist der nosologische Zusammenhang des Herpes corneae nnd der ver-
schiedenen Zosterfoj-nien schon längst bekannt, ja die Beobachtung mehrerer Fälle
von Zoster trigemini, bei welchen sich Gruppen der charakteristischen Herpesefflores-
cenzen am Limbus und in der Cornea entwickelt hatten, hat wesentlich zur rich-
tigen Auffassung nnd Benennung des so häufig auftretenden, aber unter den mannig-
faltigsten Namen beschriebenen Herpes corneae et conjunctivae beigetragen. Doch
ist erst in jüngster Zeit dem Zoster trigemini und der damit öfters verknüpften
Ophthalmie eine grössere Aufmerksamkeit geschenkt worden, nachdem Hutchinson
durch Veröffentlichung einer Reihe von Fällen die genauere Kenntniss der von ihm
„Herpes ophthalmictis'^ genannten Krankheit angebahnt hatte.
Nun liegt bereits eine grosse Zahl von darauf bezüglichen Beobachtungen
vor (Hutchinson, Boicman, Steffan, Jeffi-ies , Johnen). Es ergibt sich daraus, dass
dem Herpes ophthalmicns in der Regel höchst intensive Schmerzen im Bereiche des
ergriffenen Trigeniinusastes vorausgehen nnd gemeiniglich mit geringen Remissionen
während dem ganzen Verlaufe des Processes andauern, ja öfters noch wochenlang
neben Stumpfheit des Tastgefühles fortbestehen, nachdem die Hauternption längst
abgeheilt ist. Sie sind nicht selten von so erschütternder Heftigkeit, dass man zur
Durchschneidung des betreffenden Quintusastes sich aufgefordert fühlte, aber leider
damit nur einen sehr vorübergehenden Erfolg erzielte (Bowman), indem das Grund-
leiden eben in unerreichbarer Tiefe seinen Sitz haben mochte. Doch fehlen mit-
unter auch die Schmerzen, es äussert sich die Mitleidenschaft der Trigeminusfasem
nur in juckenden Gefühlen und in grosser StumptTieit gegen äussere Tasteindrücke.
Einige Tage nach Beginn des Leidens kömmt es dann zum Ausbruch des Exan-
themes. Die Haut und das Unterhautbindegewebe werden unter starker Hyperämie
nnd Temperaturerhöhung prall intiltrirt, so dass der Zustand viel Aehnlichkeit mit
einem Rothlaufe gewinnt und leicht damit verwechselt -werden könnte, wenn nicht
die Geringfügigkeit oder das gänzliche Fehlen der Allgemeinerscheinungen, das
scharfe Abschneiden des Herdes an der JlitteUinie des Gesichtes und die gewöhn-
liche Beschränkung der Geschwulst auf das Gebiet eines einzelnen Quintusastes
Ursachen; Verlauf; Ophthalmia morbillosa, variolosa etc. 71
so wie die charakteristische Form der Efiflorescenzeii genügende Anhaltspunkte für
die Diagnose böten. Was die Bläschengruppen seihst betrifft , so pflegen dieselben
sich in tiefe Geschwüre zu verwandeln, welche sich mit Borken bedecken und
meistens unverwischbare Narben zurücklassen.
Es verschwinden diese Fälle der Zahl nach gegen jene, in welchen
der Herpes corneae selbstständig auftritt, ja in dieser Form ist er gerade-
zu eine der allerhäufigsten Augenkrankheiten. Er verhält sich dann zum
Zoster trigemini ähnlich, wie der Herpes labialis, praeputialis etc. zu den
Gürtelausschlägen der bezüglichen Regionen.
Die gewöhnlichsten Veranlassungen des Processes sind äussere Schäd-
lichkeiten. Bei directer Einwirkung auf das Auge und genügender Inten-
sität können die mannigfaltigsten^ mechanischen, chemischen, physikalischen etc.
Noxen, welche das Ciliarnervensystem in einen Zustand von Reizung zu
versetzen im Stande sind , den Ausbruch herpetischer Efflorescenzen auf
der Hörn- und Bindehaut bedingen.
Häufig pflanzen sich Heizungen von anderen Zweigen des Nervus quintus
auf die sensitiven Äugennerven fort und werden so die Ursache von herpe-
tischen Eruptionen auf der Bindehaut und Cornea. Auf diese Weise er-
klärt sich das häufige Vorkommen des Herpes corneae neben Eczema,
Impetigo etc. der Wangenhaut , der Nasenschleimhaut u. s. w. , eine
Combination, welche die älteren Autoren bestimmt hat, eine eigene
Ophthalmia psorica, impetiginosa, serpiginosa anzunehmen. Diese ist eben
nichts als ein Herpes conjunctivae oder corneae. Nicht minder erklärt
sich aus der entzündlichen Nervenerregung theilweise das häufige Auf-
treten des Herpes im Verlaufe der verschiedenen Formen der Bindehaut-
entzündung, namentlich des Katarrhes und des Trachoms.
Indem nicht leicht ein Individuum sich der Fülle möglicherweise
reizend auf das Auge einwirkender SchädUclikeiten ganz zu entziehen im
Stande ist, darf es nicht wundern, wenn mau den Herpes in jedem
Lehensalter, bei Individuen der verschiedensten Lebensweise und Beschäftigung,
in jedem Stande und Klima findet. Doch ist er natürlich häufiger, wo in
den klimatischen Verhältnissen, in der Lebensweise und Beschäftigung,
eine reichlichere Quelle solcher Schädlichkeiten gegeben ist.
Die häufige Mitwirkung einer Disposition lässt sich jedoch keineswegs
abläugnen. Im Allgemeinen kann man sagen , dass Individuen mit sehr
reizbarem Nervensystem ganz besonders zu herpetischen Erkrankungen hin-
neigen. In der That erscheint der Herpes bei Kindern mit dem sogenannten
erethisch-scrophulösen Habitus in überwiegend grossem proceutarischeu Ver-
hältnisse. Ebenso findet man ihn sehr gewöhnlich bei schwächlichen,
durch Nahrungsmangel, schwere Kranklieiten herabgekommenen Individuen
des Jünglings- uud Manuesalters. Nicht minder auffällig ist sein häufiges
Auftreten im Exsiccationsstadium der Masern , Blattern und des Scharlachs.
Er entwickelt sich unter solchen Umständen so oft , dass man ihn als
Ophthalmia morbillosa, scarlatinosa, variolosa beschrieben hat.
Verlauf. Der herpetische Process als solcher ist im Allgemeinen
ein typischer. Die Scene eröfinet ein dem Grade nach wechselnder,
brennender oder stechender Schmerz in Verbindung mit Lichtscheu. Als-
bald tritt die charakteristische Gefässinjection in der Bindehaut und dem
Episcleralgewebe hervor und nach 1 — 2 Tagen kann man bereits das
72 Herpes corneae; Verlauf; Verhältniss zur Scrophulose.
eigenthümliche herpetische Knötchen bemerken, welches nun während der
nächsten Tage seine weiteren Wandlungen eingeht. Mittlerweile treten
die Erscheinungen der Gefäss- und Js'ervenreizung allmälig zurück und
der herpetische Process als solcher gelangt zum Abschlüsse.
Doch ist ein solcher Verlauf in der Eegel nur dort zu gewärtigen,
wo beim Mangel einer entschiedenen Disposition der Process durch eine
zufällige äussere Schädlichkeit angeregt wurde und der Kranke unter
Verhältnissen lebt, welche der Heilung günstig sind. Meisthin macht sich
die Neigung zu Nachschüben, welche dem Herpes überhaupt eigenthümlich
ist, auch hier geltend. Während eine Effloreseenz aus dem Cyclus der
typischen Vorgänge heraustritt, bereitet sich bereits eine andere vor, ein
Nachschub folgt dem andern, die Schmerzen und die Lichtscheu, die
Gefassinjection bestehen fort und steigern sich wohl auch, und so wird
der Process, auch wenn er noch nicht mit hypertrophirenden Formen
der Bindehautentzündung complicirt worden ist, Wochen und Monate
hinausgezogen.
Das fortwährende Leiden bleibt dann natürlich nicht ohne Einfluss
auf die Ernährung des Gesammtorganismus, besonders wenn der behan-
delnde Arzt durch reichliche Antiphlogose, Entziehung der Nahrung,
Xarcotica u. s. w. die Constitution des Kranken untergraben hilft. Autfälhge
Blässe, Schlaffheit, Welkheit der äusseren Haut und der Muskeln, ge-
steigerte Empfindlichkeit des Nervensystems, kurz ein Zustand, welcher
dem so vagen Begriffe der Scrophulose entspricht, sind die nächsten
Folgen. Dazu kommt gar nicht selten eine Anschwellung der Nacken- und
Halsdrüsen, das Bild der Scrophulose vervollständigend.
Solche Beobachtungen waren es denn auch , welche die Augenärzte haupt-
sächlich vermocht haben, dem Herpes corneae eine scrophulose Basis unterzustellen,
und dort, wo der Herpes in anscheinend ganz gesunden Individuen auftritt, eine
Latenz der Scrophulose anzunehmen. Es ist die Scrophulose nach dem Mitgetheilten
eben nicht selten die Folge des Processes, und wo wirklich die Erscheinungen der
Scrophulose dem Herpes vorangingen, ist der letztere nicht eine Localisation der
speciellen Blutkrankheit, sondern steht nur mit dem nebenhergehenden Erethismus
des Nervensystems in näherem tirsächlichen Verbände. Was die Drüsengeschwülste
betrifft, muss bemerkt werden, dass sie entschieden am liäufi:^sten durch den Herpes
bedingt sind, keineswegs aber durch eine scrophulose Blutmischung; sie kommen
nämlich bei den stärksten und kräftigsten Individuen während dem Verlaufe des
Herpes vor, namentlich wenn derselbe mit einer heftigen Nerven- und Gefässreizung
einhergelit. Sie stehen zu dem Augenleiden in demselben Verhältnisse, wie An-
schwellungen der Achseldrüseu zu Panaritien u. s. w.
Einen ganz eigenthümlichen Verlauf nimmt der Hei'pes cornealis
nicht selten hei Kindern mit dem sogenannten scrophulös-erethischen Habitus.
Es beginnt die Krankheit mit einer ganz exorbitanten Lichtscheu, welche
mit geringen Remissionen Tage und Wochen, ja Monate anhält und,
vermöge des sie begleitenden Lidkrampfes, die Untersuchung des Auges
höchst schwierig macht. Oeffnet man die Lidspalte gewaltsam, so findet
man eine ganz unverhältnissmässig gei'inge Injection der Gefässe; nur
einzelne zerstreute Stämmchen treten deutlicher hervor und rings um die
Hornhaut zeigt sich im Episcleralgewebe ein zarter schmaler rosiger
Saum. Efflorescenzen sind bei dem Widerstand, welchen der Kranke der
Untersuchung entgegensetzt, häufig nicht zu entdecken. Es liegt in solchen
Fällen daher nahe, die Lichtscheu als ein für sich bestehendes Leiden an-
zusehen und dieses ist denn auch vielfach geschehen. Die älteren Augen-
Scroplmlose Lichtscliou ; Ausgiinge. 73
ärztc liabeii diesen Zustand unter dem Namen der scrophul'ösen TAchtscheu
als eine specielle Ki-ankheit beschi'ioben. Bei genauerem P.ingehen wird
man jedoch kaum jemals währi>nd dem ganzen Verlauf der Krankheit
die charakteristischen Kfflorescenzen vermissen.
Die durch die Lidspalte und die Nase fortwährend ablliessenden
heissen salzigen Thränen excoriiren oft die von ihnen berührten Theile
und veranlassen durch ilire weitere chemische Einwirkung heftige Ent-
zündungen, welche sich oft unter der Form pustulöser Ausschläge äussern.
So entwickelt sich häufig während dem Verlaufe eines Herpes cornealis,
besonders wenn dieser mit heftiger Lichtscheu und Thränenfluss einher-
gelit : Dlepharadenitis ciliaris, Im])etigo und Eczem der Lid- und Wangen-
haut, der Nasenöffnung und Lippen.
Bei dem Eczem der Nase dürften übrigens auch noch die anatomischen
Beziehungen von Wichtigkeit sein, vvelclie zwischen den Ciliarnerven inid den
Nerven der Schneider'schen Haut bestehen.
Ausgänge. 1 . Sehr oft endet die Krankheit mit vollständiger Heilung.
Am meisten lassen dieses erwarten sehr oberflächlich gelagerte Efflorescenzen
von geringem Umfange. Diese bilden sich häufig einfach zurück und zwar
entweder rasch, noch bevor alle Reizerscheinungen geschwmiden sind ;
oder langsam, allmälig, d. i. im Laufe von Wochen oder Monaten. In
anderen Fällen stösst sich der obei-flächlich lagernde Knoten ab, nachdem
er vorläufig erweicht worden ist. Die so entstandene Excoriation oder
seichte Aushöhlung der Cornealoberfiäche füllt sich mit durchsichtigem
Hornhautgefüge wieder aus, überzieht sich mit pellucidem Epithel und
jede Spur der Efflorescenz ist getilgt. Nicht selten jedoch ist das zuerst
angebildete Epithel trüh, wird aber später von nachrückenden durchsich-
tigen Zellen ersetzt.
2. Tiefer sitzende und umfang sreichere Knoten siiid weit ungünstiger.
Selten werden sie vollkommen aufgesaugt, so dass keine Spur einer Trübung
an ihrer Stelle zurückbleibt. Meistens zerfallen sie, stossen sich ab, es
bildet sich ein kleines rundliches Geschwürchen, das sich im weiteren
Verlaufe reinigt und eine mehr weniger tiefe, scharf begrenzte Exfoliation
zurücklässt. Der durchsichtige Boden dieses Substanzverlustes hebt sich
dann oft ziemlich rasch durch Neubildung von Cornealsubstanz , tritt
allmälig in das Niveau der Hornhautoberfläche und überzieht sich mit
Epithel, das in der Mehrzahl der Fälle trüb ist und öfters lange Zeit
oder für immer trüb bleibt und einen scharf begrenzten, hirse- bis hanf-
korngrossen Epithelialfleck darstellt. In anderen Fällen ist die Regeneration
eine säumige, die Ausfüllung der Lücke braucht Wochen und Monate,
während dem das Auge sehr empfindlicli und zu Reizzuständen geneigt
bleibt ; aus der Exfoliation wird ganz allmälig eine einfache Facette , ein
flacher Abschliff, und am Ende kömmt es entweder zu einem herpetischen
Epithelfleck, welcher sich späterhin nicht immer völlig verwischt; oder
aber es entwickelt sich an der Stelle der Facette eine dichtere Trübung,
welche ganz das Aussehen eines Sehnenfleckes darbietet. Nicht selten bilden
sich aber solche Flecke auch rasch aus, indem sich die geschwürähnliche
Substanzlücke gleich von vorneherein mit trüber Masse ausfüllt, welche
ständig wird. Es entsprechen derartige Flecke in Form und Grösse den
ehemaligen Knoten, sind aber flacher, indem von dem Boden der Substanz-
74 Herpes corneae ; Ausgänge.
lücke immer etwas durchsichtiges Cornealgefüge nachvmchert. Man findet
sie gewöhnlich von einem verwaschenen trüben Hofe umsäumt.
3. Die Zerfiillniss herpetischer Knoten wird nicht selten die Veran-
lassung von Durchbrüchen der Hornhaut. In manchen Fällen ist die Per-
foration eine ungemein rasche. Wenige Stunden genügen, um den Knoten
auszubilden und zur Schmelzung zu bringen. Gewöhnlich aber ist der
Gang ein langsamerer, der Knoten besteht mehrere Tage, ehe es zum
Durchbruch kommt.
4. Häufiger ist der Durchbruch eine blos mittelbare Folge des Herpes.
Um den zerfallenden Knoten herum entzündet sich das Gefüge der Horn-
haut in grösserem oder geringerem Umfange, die neugebildeten Elemente
verfettigen, zerfallen und so entwickelt sich auf dem Boden des herpe-
tischen Knotens ein secundäres herpetisches Geschwür, das in allem und
jedem mit einem primär entstandenen Geschwüre übereinkommt, den-
selben Verlauf, dieselben Ausgänge wie dieses und darunter auch den
Ausgang in Perforation nimmt, deren Folgen später Gegenstand der Er-
örterung sein werden.
5. Die den herpetischen Knoten zusammensetzenden Elemente können
übrigens auch sowohl durch pro- als regressive Metamorphosen ständige
Formen eingehen. In der That verwandeln sich die Etflorescenzen in der
Cornea bisweilen in sehnen- oder knorpelähnliche oder in kalkige Massen,
welche zeitlebens fortbestehen.
6. In gleicher Weise werden manchmal auch die Producte der be-
gleitenden Keratitis vasculosa ständig. Die herpetische Brücke liinterlässt
nach Ablauf der Reizerscheinungen einen ihr in Form und Umfang ziem-
lich entsprechenden Epithelfleck, eine pannose Trübung, oder wohl auch
eine sehnenähnliche Neubildung. Hypertrophirt gleichzeitig der zugehörige
hypei'ämirte Thcil der Bindehaut, so ist die erste Anlage zu einem wahren
Flügelfell gegeben, welches sonach mit unter den Ausgängen des Corneal-
herpes figurirt.
7. Bei fortgesetzten reichlichen Nachschüben kommt es bisweilen
zum Pannus herpeticus, von dem bei Gelegenheit des Conjunctivalherpes
die Rede sein wird.
8. Endlich verdient Berücksichtigung, dass der herpetische Process
nicht immer rein und unvermischt besteht. Sowie er im Verlaufe einer
Keratitis vasculosa häufig secundär zu Tage kömmt, so breitet sich umge-
kehrt die herpetische Brücke öfters aus und man muss dann sagen, der
Cornealherpes habe sich secundär mit einer Keratitis vasculosa complicirt,
welche die Ausgänge des Leidens mannigfaltig modificirt. jS^icht gar selten,
namentlich bei unzweckmässiger, zu reizender Behandlung oder bei
schlechtem Verhalten des Kranken kömmt es zur Iritis.
Viel gewöhnlicher jedoch entwickelt sich im Verlaufe hartnäckiger
herpetischer Processe ein Katarrh und selbst ein wahres Trachom der
Bindehaut. Die hyperämirte und besonders im Uebergangstheile ödematös
geschwellte Bindehaut lockert sich mehr und mehr auf, wird schwammig
und gewinnt am Tarsaltheile ein eigenthümlich rauhes sammtähnliches
Aussehen. Sie sondert dabei viel Thränen und katarrhalischen Schleim
ab. Wird dann der entzündliche Vorgang durch ungünstige äussere Ver-
Behandlung. 75
hiiltnisse untorlialton oder gar gesteigert, so treten, vorzüglich bei Kr-
waclisencn, gerne die charakteristischen Granulationen hervor, der Herpes
erscheint coniplioirt mit Trachom. Einmal so weit gediehen, geht der
Process nur mehr sehr schwor zurück, er schwankt fortwährend zwischen
Exacerbationen und Remissionen, bei welchen ersteren bald die vasciilären,
bald die nervösen Symptome vorwiegen, je nachdem die hypertrophirende
Bindehautentzündung oder der herpetische Process mit neuen Nachschüben
die Oberhand gewinnt. Man hat guten Grund zur Annahme, dass die
mit der trachomatöscn Wucherung verknüpfte Nervenroizung die Fort-
dauer des herpetischen Leidens wesentlich begünstige oder gar mitbe-
gründe. Es ergibt sich daraus die dringende Mahnung, bei hartnäckigen
und besonders bei schon länger bestehenden hei'petischcn Processen die
Umstülpung der Lider und die genaue Untersuchung der Bindehaut ja
nicht zu versäumen.
9. Als entferntere Consequenzen des Herpes corneae sind, vornehmlich
bei Kindern, die sogenannte Amblyopia ex anopsia und der Strabismus zu
fürchten.
Betiandlung. Das Heilverfahren, welches beim Herpes corneae ein-
zuschlagen ist, fällt fast vollständig zusammen mit jenem, welches bei der
Keratitis vasculosa mit Ei-folg in Anwendung gebracht wird (S. 66), da-
her denn auch liier darauf verwiesen wird. Zu bemerken ist nur , dass
speciel beim Herpes corneae die Anlegung eines Schutzverbandes und die
täglich 1 — 2 Mal xoiederholte Einstäubung von Calomel oder Einstreichung
der gelben Quecksilberoxydsalbe in den Bindehautsack als eine Art Specificum
empfohlen wird. Es lässt sich auch in der That die günstige Wirkung
dieser Mittel nicht läugnen. Doch bewähren sich die Reizmittel eben
nur, wo die Erscheinungen der Gefass- und Nervenreizung mehr in den
Hintergrund treten, der entzündliche Process also bereits seinen Höhepunkt
überschritten hat und die Mydriatica ihre volle Wirkung zu erzielen, eine
maximale Pupillenerweiterung zu bewerkstelligen vermögen ; vornehmlich
aber, wenn es darauf ankömmt, zurückgebliebene oberflächliche Trübungen
der Hornhaut nach Ablauf des eigentlichen herpetischen Processes rascher
zum Verschwinden zu bringen. Dagegen sind diese Mittel schädlich oder
wenigstens gefährlich, so lange der Process acut verläuft und durch die
Intensität der Gefässreizung einen mehr stheni sehen Charakter beurkundet ;
da wird der Reizzustand dadurch öfters sichtlich vermehrt.
2. Von hoher Wichtigkeit ist bei der Behandlung des Herpes
cornealis die Berücksichtigung etwa sich vorbereitender oder bereits ent-
wickelter eczematöser und impetiginöser Ausschläge der Lid- und Wangen-
haut, der Naseneingänge und Lippen. Am häufigsten beobachtet man sie
bei Kindern und überhaupt bei Individuen mit zarter schlaffer Haut. Sie
unterhalten den Process und machen seinen Verlauf durch Begünstigung
fortwährender Nachschübe oft sehr langwierig.
Will man die EntvickeJung derselben verhüten, so ist mimdiöse Reinlichkeit das
erste Erfordeniiss. Ausserdem empfiehlt sich zu diesem Zweclce der Schntzverband,
da er vorerst durcli Fernhaltung aller von aussen her einwirkenden Schädlichkeiten
den Reizzustand des Auges und damit auch die Thränenabsonderung vermindert,
da er weiters das beständige Wischen und Reiben, zu welcliem die Kranken durch
den Thränenfiuss verleitet werden, unmöglich macht, und da endlich die Charpie
die abfliessenden Thräuen zum grössteu Theile aufsaugt und so die allzugrosse
76 Herpes corneae; Behandlung.
Ueberfenchtung der Lider und der Wangen verhütet. Soll der Schutzverband seinem
Zwecke vollkommen entsprechen, so muss die Charpie mehrmals des Tages rjeueck-
selt werden. Vor der jedesmaligen Anlegung der Binde ist es nothwendig, die
Theile durch Betupfen, nicht durch Wischen, mittelst eines trockenen oder in
laues Wasser getaucliten Charpiebausches gut zu reinigen. Zeigen sich schon
leichte Excoriatlonen, so ist es vortheilhaft, dieselben vor der Application des
Verbandes mit einem reinen frischen Fette, Ungt. commune, Leberthran, Cremor
coelestis oder Glycerincreme zu bestreichen. Wo die Naseneingänge und die
Lippen afficirt erscheinen, sind dieselben immer mit jenen Salben einzuschmieren,
da sie durch den Verband nicht geschützt werden können. Reicht die Reizung
der Nasenschleimhaut weit in die Nasenhöhle hinein , so dürfte es am besten sein,
mit Salhe oder Leberthran bestrichene Charpiewieken in die Nasenlöcher einzu-
führen und dieselben öfters des Tages zu wechseln.
Ist das Exanthem als solches hereits zum Ausbruche gekommen, so reichen
diese Mittel nicht mehr zu, um den Ausschlag in kurzer Zeit zu tilgen. In solchen
Fällen muss vorerst auf gehörige Reinigung der betrefl'enden Stellen gesehen
werden. Sind Krusten vorhanden, so müssen dieselben durch Bähungen mit lauem
Wasser oder lauer Milch aufgeweicht und sodann durcli Abtupfen entfernt werden.
Ist der Boden, auf w^elchem sich diese Krusten befanden, stark entzündet, so wird
man gut thun, vorerst kalte Ueberschläge zu appliciren, vorausgesetzt, dass sich
dieselben leicht anwenden lassen. Sind die Reizerscheinungen etwas zurückge-
wichen, so kann man zu den directen Mitteln übergehen. Es sind dieses: Lösungen
aus Nitrat. Argent. gr. 5—10, aus Sulfat. Zinci gr. 5, aus Sublimat gr. 1 auf die
Unze destillirten Wassers; Salben aus Florum Zinci draclim. semis oder aus Jod-
scliwefel drachm. 1 auf die L^nze Ungt. communis; Stärke; Bärlappsaraen; Leber-
thran u. s. w. Die Lösungen werden nach vorhergehender Reinigung der Theile
entweder mit dem Pinsel aufgetragen und darüber der Schutzverband angelegt,
oder es wird der Charpiebausch mit der Solution stark befeuchtet, über die
afficirten Stellen ausgebreitet und daini mit der Flanellbinde befestigt. Die SaU/en
werden einfach aufgeschmiert , die Stärke oder das Lijcopodium mittelst eines
Banmwollenbausches au/gestäubt und darüber der Schutzverband angelegt. Der
Leberthran dürfte am besten in der Art applicirt werden , dass man damit einen
l'lanelllajipen tränkt, denselben über die erkrankten Hautstellen ausbreitet und
darüber sodann den Verband auf die gewöhnliche Weise anlegt. In jedem Falle
müssen diese Mittel öfters des Tages frisch applicirt und vor jeder Anwendung die
Theile sorgfältig gereinigt werden. Innerliche Mittel nützen gegen diese Aus-
schlüge gar nichts.
3. Eben so belangreich sind in Bezug auf Therapie die häufigen
Complicafionen des Herpes mit Katarrh und Trachom der Bindehaut. Starke
katarrhalische Absonderungen und namentlich das Trachom beeinträch-
tigen nämlich sehr wesenthch die günstigen Wirkungen des Schutzver-
bandes, ja erfahren unter seiner Anwendung nicht selten eine Steigerung,
daher sein Gebrauch auf jene Fälle und Verlaufsstadien zu beschränken
ist, in welchen die Intensität der nervösen Erscheinungen denselben gebie-
terisch fordert. Sonst thut man besser, bei mehr sthenischem Charakter
des Processes sich mit strengem antiphlogistischen Verhalten und Atropin-
einträufelungen zu begnügen, bis das Zurücktreten der heftigen Gefäss-
reizuug den Gebrauch der gelben Quecksilbersalbe gestattet. Ist dann
der herpetische Process getilgt oder hat man Grund zur Annahme, der-
selbe finde in dem Katarrh oder Trachome den Anlass zu fortgesetzten
Eecidiven, so ist zu Bestreichungen der Bindehaut mit Höllenstein-
lösungen überzugehen.
4. Weitere therapeutische Aufgaben fliessen aus den mannigfaltigen
Wandlungen, welche die herpetischen Efloreseenzen im Verlaufe des Processes,
oder nachdem sie aus dem Cyclus der typischen Vorgänge herausgetreten
sind, erleiden. Die betreffenden Heilregeln finden in den weiteren Ab-
schnitten ihre Erledigung.
Behandlung; Quellen. 77
5. Von g-rösstor Wichti<>;keii ist es, namentlicli b(ü Kiiiderii, nachdem
der entzündliclio Proccss im Auge zum Abschluss gekommen ist, auf das
genaueste zu untersuchen, in ivie weit jeder einzelne Bidbus seine Functions-
tüchtiylceit bewahrt hat und wie sicli di(\selben b(^i ihn^m gegonsoiligon Zu-
sammenwirken, beim gemeinschaftlichen Sehactc verhalten. Zeigt sich das
eine Auge seiner Aufgabe nicht mehr gewachsen, oder wirkt es gar störend
auf die Deutlichkeit der Wahrnehmungen beim gemeinschaftlichen Sehacte,
so können niclit früh genug ^"orkehrungen getroffen werden, um möglicher
Weise noch den missliclien Folgen eines solchen Zustandes, der Amblyopia
ex anopsia oder dem Strabismus des stärker afficirten Auges , zuvorzu-
kommen. Das Verfahren, um diesen üblen Consequenzen vorzubauen, ist
Gegenstand der Erörterung in den über Amblyopie und Strabismus han-
delnden Abschnitten.
6. In Fällen, in welchen das Walten einer Disposition sich deutlich
beurkundet , besonders bei Kindern mit dem sogenannten scrophulös-
erethischen Habitus , wird man in der Eegel gezwungen sein , neben der
örtlichen Behandlung eine allgemeine einzuleiten, um den fortwährenden
Nachschüben und den von Zeit zu Zeit sich wiederholenden Ilecidiven
zu steuern.
Die allgemeine Behandlung zielt zunächst auf Hebung des Ernährungs-
zustandes des gesammten Körpers. Nebenbei hat dieselbe aber noch ganz
besonders auf den vorhandenen Nervenerethismus Ilücksicht zu nehmen und
dessen Abstumpfung durch Abhärtung des Kranken anzustreben. Zu diesem
Zwecke empfehlen sich ganz besonders kühle Bäder, am besten Flussbäder
oder Seebäder. Wo diese nicht anwendbar sind wegen der Jahreszeit oder
den Lebensverhältnissen der Kranken, sind Wannenbäder und vorzüglich
täglich wiederholte Abreibungen des Körpers mit einem in kaltes Wasser
getauchten Badeschwamm oder Flanelllappen vorzunehmen. Man wird
dabei die Witterung berücksichtigen müssen und, falls der Kranice die
Temperatur kalten Wassers nicht ohne Gefahr vertragen zu können scheint,
von lauen Waschungen allmülig zu kühleren übergehen. Am besten werden
dieselben Morgens vorgenommen , worauf der Kranke noch einige Zeit im
Bette zubringen soll. Freunde von pharmaceutischen Mitteln können den
Wannenbädern Abkochungen von Eichenrinde , Weidenrinde , Nussbaum-
blättern, bei sehr grosser Blässe auch Tartras Ferri u. s. w. beimischen.
Quellen. Stellwag, Amnions Zeitschrift f. Oplith. IX. S. 510; Ophthalmologie I.
S. 90, 102. — Hiltermann, Zeitschr. f. wissenach. Therapie IV. 1. S. 50. — Blodig,
Zeitschr. d. Wien. Aerzte. 1860. S. 728. — Hasner, klin. Vorles. Piag. 1860. S. 147;
Entwurf ein. anat. Begründg. Prag. 1847. S. 88. — Liebreich, klin. Monatbl. 1864.
S. 393. — Gräfe, A. f. O. VI. 2. S. 130; X. 2. S. 202. — Singer, nach Jeffries,
Transact. of the Amer. oplith. soc. 1869. S. 86, 75, 90. — de Haen u. A. nach
Steffan, klin. Erfahrungen. S. 25. — Hutchinson, Ophth. Hosp. Rep. V. S. 191;
VI. S. 181, 182, 263; nach Steffan, klin. Monatbl. 1868. S. 30, 369. — Steffan, kl.
Monatbl. 1868. S. 366; klin. Erfahrungen. S. 26, 29. 43. — ßotünirt«, Ophth. Hosp.
Rep. VI. S. 1. Fall. 8; V. S. 1 ; nach Jeffries, 1. c. S. 85, 87. — Hehra, nach Steffan,
kl. Erfahrungen. S. 29. — Homer, kl. Monatbl. 1868. S. 371. — Bärensjmmg, nach
Steffan, klin. Erfahrungen. S. 38, 40. — Charcot, Cofard, Centralbl. 1866. S. 360.
— Danielsen, Esmarch, nach Steffan, kl. Erfahrungen. S. 37. 38. — Iwanqff, nicht
veröffentlichte Zeichnungen. — Niemetschek, Prag. Vierteljahrschr. 101. Bd. S. 78.
— Johnen, Deutsche Klinik. 1868. S. 228. — Pagenstecher, kl. Monatbl. 1868. S. 371.
78 Keratitis punctata; Hydromeningitis.
3. Keratitis punctata und Hydromeningitis.
Krankheitsbild.. Charakteristisch ist das gruppenweise Auftreten kleiner
rundlicher grauer Flecken in den verschiedenen Lagen der gleichmässig sulz-
ähnlich getrübten Cornealsuh stanz und an der freien Oberfläche der Descemeti.
Die Hornhaut erscheint stellenweise oder ihrer ganzen Ausdehnung
nach matt grauKch mit einem Stiche ins Gelbliche oder Grünliche. Die
Oberfläche verliert den natürlichen Glanz, die spiegelähnliche Glätte; bei
gewissen Stellungen zum Lichte bemerkt man bisweilen ein Opalisiren,
ähnlich dem Farbenspiele alter Fensterscheiben , und bei der Betrachtung
der Hornhaut aus nächster Nähe zeigt sich die Epithelschichte rauh, voll
der feinsten Grübchen, als wäre sie mit Nadeln gestochen worden. Ausser-
dem findet man Aggregate kleiner , den Umfang eines Mohnkorns kaum
überschreitender rundlicher Flecken von mattgrauer, ins Gelbliche oder
selbst Bräunliche spielender , sehr selten schwarzbi'auner Farbe , welche
bald in einer und derselben Schichte neben einander , bald aber auch in
verschiedener Tiefe lagern , im letzteren Falle sich zum Theile gegenseitig
decken und daher dem freien Auge zusammenzufliessen scheinen. Am häu-
figsten findet man sie in den hinteren Stratis der Cornea und an der freien
Wand der Wasserhaut, wo sie gerne in ausgedehntere fleckige Trübungen
verschwimmen. Doch kommen sie auch unmittelbar unter der Bowman'-
schen Membran und in jeder beliebigen anderen Schichte der Cornea propria
vor. Sie sitzen meistens in der unteren Hälfte der Hornhaut.
Es ist übrigens zweifelhaft, ob die an der iiinteren Wand der Descemeti
nachgewiesenen und bisweilen in die Kammer prominirenden Herde, welche zum
Begriffe einer Hydromeningitis oder Keratitis postica gehören und jene Knötchen-
haufen, welche sich in den verschiedenen Lagen der Cornea propria entwickeln
und als charakteristische Merkmale der Keratitis p)unctata gelten, zusammen gehören
imd nur als verschiedene Localis ationen desselben Processes aufzufassen seien. That-
säclilich wird jede dieser beiden Formen für sich beobachtet. Doch treten sie auch
wieder häutig genug in Gemeinschaft aiif und dieser Umstand, sowie die grosse
Uebereiustimmung heider in ihrem ganzen Verhalten, macht eine Trenwmg vor ge-
nauerer Einsicht in die Wesenheit des zu Grunde liegenden Processes schwierig
und praktisch unnutzhar.
Die Congestionserscheinungen sind in der Regel sehr unerheblich und
beschränken sich meistens auf einen schmalen Kranz injicirter Gefässe in
der vordersten Zone des Episcleralgewebes. Schmerz und Lichtscheu fehlen
sehr häufig ganz. Dafür begleitet den Process constant eine sehr auf-
fällige Störung des Sehvermögens. Diese rührt einerseits von der Trübung
der Cornea her, andererseits aber von der in der Regel nachweisbaren
Mitleidenschaft der intraocularen Gebilde.
Die Keratitis punctata ist nämlich nur selten eine für sich bestehende
Krankheit , meistens tritt sie blos als Theilerscheinung eines tief in die
Organisationsverhältnisse des Bulbus eingreifenden entzündlichen Processes
auf. In erster Linie sind die L-idochorioiditis, und zwar vornehmlich die
chronisch verlaufenden und gerne zum Schwunde führenden Formen der-
selben als häufige Begleiter zu nennen. Darum sind denn auch flockige
Trübungen des Kammerwassers und des Glaskörpers, Auflagei'ungen auf die
Vorderkapsel und hintere Synechien so gewöhnliche Nebenerscheinungen,
Keratitis diffusa; KrankhoitHliild. 79
dass sie vielseitig als zum Kranlcheitshilde der Keratitis punctata und Hydro-
meningitis gehörig aufgefasst werden.
Ursachen. Insoferno die fragliche Krankheit in den meisten Fällen
nur eine semmdäre oder Nebenaffection darstellt, fällt ihre Aetiologie grössten-
theils mit jener des Grundleidens zusammen. Doch will man in gewissen
Dyscrasien, namentlich in constitutioneller erworbener oder hereditärer (Hut-
chinson) Syphilis, in Chlorose und Anaemie, sowie in der Scrophulose dispo-
nirende Momente für das Auftreten der punktförmigen Exsudate beobachtet
haben. Auch sollen Weiber mehr als Männer, und Kinder am wenigsten
zur Keratitis punctata und Hydromeningitis disponiren (Hasner).
Verlauf und Ausgänge. Der Verlauf ist wohl immer ein sehr
chronischer, Wochen und Monate vergehen bisweilen, ohne dass sich in der
Hornhaut erhebliche Veränderungen erkennen lassen. Mitunter erfolgt in
unregelmässigen Zeiträumen eine schubweise Vermehi'ung oder eine theil-
weise Resorption der Exsudatherde. Man hat übrigens auch wohl eine
gänzliche Heilung der Krankheit beobachtet. Namentlich die an der hinteren
Fläche der Wasserhaut lagernden Producthaufen sollen leicht verschwinden,
wenn das Gruudleiden getilgt wird. Dagegen werden die in den tieferen
Schichten der Cornea propria lagernden iieckweisen Ablagerungen gerne
ständig. Uebrigens wird die Prognose vorwaltend von den Aifectionen der
Binnenorgane des Bulbus beherrscht und diese gestalten sie im Ganzen zu
keiner günstigen.
Die Behandlung ist mehr auf das Gesammtleiden des Augapfels und
etwa vorhandene Dyscrasien zu richten. Eine specielle Therapie für die
Keratitis punctata und Hydromeningitis ist kaum am Platze. Doch soll
das Atrojyin nützen und bei gleichzeitiger Ti'übung des Kammerwassers wird
die Paracentesis corneae gelobt, indem sie die Abstossung der Exsudat-
herde von der Hinterwand der Descemeti begünstiget (Hasner).
Quellen. Hutchinson, Clin. Memoir. S. 154. — Hasner, klin. Vorträge.
S. 170, 171.
4. Keratitis parenchyniatosa oder diffusa.
Krankheitsbild. Das bestimmende Merkmal derselben ist eine unter
entzündlichen Erscheinungen auftretende massige Infiltration der Hornhaut mit
einem opaken grauiceissen oder gelblichweissen Producte, welches wenig Neigung
zum eitrigen Zerfalle zeigt und sich in umfangsr eiche, wolkig umgrenzte Herde
zu sammeln pflegt.
Die entzündliche Gewebswucherung äussert sich vorerst in einer
leichten sulzähnlichen oder nebligen Trübung , welche meistens peripher be-
ginnt, sich aber von Tag zu Tag mehr gegen das Centrum und am Ende
oft über die ganze Hornhaut ausbreitet. Im weiteren Verlaufe treten in
den bisher noch durchsichtig gebliebenen oder bereits matt gewordenen
entzündeten Partien der Hornhaut zarte grauliche loolkenähnliche Trübungen
von grösserer oder geringerer Ausdehnung auf, welche sichtlich in ver-
schiedenen Scliichten der Substanz lagern. Alsbald verdichten sich stellen-
weise diese Trübungen , während sie sich an anderen Stellen etwas auf-
hellen. So entstehen nahezu oder völlig undurchsichtige, milchweisse oder
80 Keratitis diffasa ; Krantheitsbild : ürsaclien-
geJblichxceisse Flecke von verschiedener Gestalt und Grösse , deren Eänder
sich wolkenähnlieh verwaschen. Besonders häufig bildet sich in der Mitte
der Hornhaut ein mächtiger, oft bis 3"' im Durchmesser haltender scheiben-
förmiger Herd, auch wohl ein geschlossener oder unterbrochener King, welcher
hei wechselnder Lichtung das Centrum der Cornea umgürtet, einen ziem-
lich scharfen äusseren , und einen ohne deutliche Grenze in die wolkige
Trübung der Hornhautmitte sich verwaschenden Innenrand zeigt. Falls
die Hornhaut ihrer Totalität nach entzündet ist. kann es auch geschehen,
dass dieselbe ihrer ganzen Masse nach undurchsichtig, grauweiss wird und
selbst merklich anschwillt.
Selten verläuft die Krankheit oJme Gefässbildung in den tieferen
Schichten der Cornea. Gewöhnlich zeigen sich alsbald nach Entwickelung
der eigenthümlichen Herde zarte feine Aestchen. die von der dem Eande
des Exsudatherdes nächsten Portion der Seleralgrenze gegen diesen hin-
streichen. sich dabei öfter kreuzen, damit ihre Lagerung in verschiedenen
Schichten der Cornea propria bekunden und bisweilen so dicht an einander
gedrängt sind , dass sie dem freien Auge wie ein gleichmässig geröthetes
Band oder wie ein Blutextravasat erscheinen. Am Eande des Exsudat-
herdes selbst lösen sie sich auf zu einem mehr oder weniger dichten Netze,
welches die Peripherie des Herdes in wechselnder Ausdehnung und wohl
auch rings umsäumt.
Die Oberfläche der Hornhaut bewahrt hierbei nicht selten ihren spie-
gelnden Glanz. Oefter indessen erscheint dieselbe matt , wie angehaucht
oder wie mit Xadeln zerstochen und auch mit neugebildeten Gefäs^netzen
übersponnen, die Keratitis diffusa ist mit einer vasculosa combinirt.
Die übrigen subjecfiven Symptome, Schmerzen und Lichtscheu sowie
die Hyperämie in der Bindehaut und Episclera sind wandelbar in allen
Graden und stehen öfters zur Grösse und latensität der eigentlichen Ge-
webswucherung in keinem Terhältnisse, ja sie können nahezu ganz fehlen.
Dass Triibsehen diesen Zustand begleite , falls der Entzündungsherd
in den Bereich der Pupille hineinragt, versteht sich von selbst. Bei sehr
geringer oder fast fehlender Ciliarreizung ist es gewöhnlich dasjenige
Symptom, welches den Kranken aufinerksam macht und ärztliche Hilfe zu
suchen bestimmt.
Ursachen. Als nächste Veranlassung können die mannigfaltigsten
äusseren Schädlichkeiten wirken. Oefter jedoch tritt die diffuse Keratitis
ohne alle eruirbare äussere Ursache auf, ja dies scheint die Regel zu sein.
Viele glauben in dem fraglichen Leiden die Localisation einer Dyscrasie
erbhcken zu müssen . oder sehen in der Scrophulose oder Tuberculose
(Maekenzie, Ärlt) , in ererbter (Hutchinson, Secondij oder constitutioneller
Syphilis wenigstens ein die Entwickelung der Keratitis ditfusa sehr begün-
stigendes Moment. Es lässt sich hierüber noch streiten. So viel ist gewiss,
dass die Krankheit in jedem Alter, bei beiden Geschlechtern und bei den
verschiedensten Constitutionen beobachtet wird; dass sie jedoch bei kleinen
Kindern und bei Erwachsenen jenseits der 40 Jahre seltener auftritt, während
junge Leute von 12 — 25 Jahren das grösste Contingent liefern. Auch
sollen Mädclien mehr disponiren als Knaben und besonders gracile schwäch-
liche blutarme, in der körperlichen Entwickelung ztxrückgebliebene und be-
ziehungsweise auch dysmenorrhoische Ladividuen ergriffen werden (Hasner).
Verlauf; Ausgänge; BeLandlung. 81
Verlauf. Gewöhnlich geheu der sichtbaren Exsudatbildung mehi-ere
Tage lang die Erscheinungen der Ciliarreizung, Gefässinjection, Schmerzen
und Lichtscheu mit ihren Attributen voran. Anfänglich sind dieselben
meistens sehr auifällig, mitunter sogar überaus stark entwickelt. Mit dem
Fortschritte der Producthilduny püegen sie sich aber allmälig zu ermässigen
und wohl auch gänzlich zurückzuweichen ; obgleich es hinwiederum nicht
an Fällen fehlt, wo sie den ganzen Verlauf der Krankheit hindurch mit
Exacerbationen und Remissionen eine bedeutende Intensität bewahren oder
unerhehUch erscheinen. Uaahliängig von diesen Verschiedenheiten fördert der
Entzündungsprocess bald massenhafte, bald geringfügige Productmengen und
erkümmt seinen Höhenpunkt innerhalb kürzerer oder längerer Zeiträume,
im Laufe von Tagen oder Wochen. Daselbst angelangt, pflegt der Process
Wochen und Monate lang mit wechselnder Intensität der Ciliarreizung an-
zudauern , ehe er rückgängig zu werden beginnt. Die Rückbildung der
Infiltrate ist in der Regel eine langsame und kann auch viele Monate in
Anspruch nehmen. Fälle mit sehr stark entwickelten Gefässsymptomen pflegen
jedoch im Allgemeinen rascher abzulaufen, als solche, wo diese mehr zurück-
treten. Nicht minder ist bei Kindern die Dauer des Leidens gewöhnlich
eine kürzere, als bei Individuen in und jenseits der Pubertätsperiode.
Die Krankheit bleibt übrigens nicht oft auf Ein Auge beschränkt;
meistens werden beide Augen kurz nach einander ergriffen. Auch recidivirt
das Leiden gerne. Mitunter combinirt es sich mit Iritis, Tridochorioiditis
oder mit anderen Formen der Keratitis. Man hat in solchen complicirten
Fällen wiederholt ein sehr autfälliges Weichioerden des Bulbus beobachtet
(Tetzer) und dies zwar selbst dort, wo die Erscheinungen nicht darnach
angethan waren, dass man bereits eine Degeneration der tieferen Bulbus-
organe annehmen konnte, um so weniger, als sich das Auge häufig binnen
kurzem wieder vollständig erholte. Man fand sich daher veranlasst , das
Leiden mit Störungen der trojyhischen Nerven in Zusammenhang zu biüngeu,
die Welkheit des Bulbus aus einer Art Secretionsneurose zu erklären (Gräfe).
Ausgänge. Die Keratitis diff'usa wird bei gehörigem Verhalten des
Kranken und richtiger Therapie häufig zur Heilung gebracht, indem erstlich
die Reizerscheinungen im Ciliarsysteme sich mindern und schwinden, dann
die Exsudatherde sich lockern, aufhellen, in kleinere Flecke zerfallen iiud
endlich völlig aufgelöst werden, ohne Spuren zu liinterlassen. Leichte graue
ivolkige Trübungen hellen sich begreiflicher Weise sicherer und rascher auf,
als ganz undurchsichtige figurirte Herde, und frische Productmassen leichter,
als seit vielen Monaten bestehende. Doch kommen bei richtigem thera-
peutischen Vorgehen auch die scheinbar ungünstigeren Fälle nicht ganz
selten zu einer vollständigen Heilung , namentlich wenn sie mit stärkerer
Cüiarinjection einhergingen. Abgesehen hiervon ist bei Kindern die Prognosis
immer weit günstiger. Bei diesen schwinden öfters Trübungen, welche
vermöge ihrer Intensität und des langen Bestandes bei Erwachsenen wenig
Aussicht auf Heilung übrig lassen. Völlige Normalität der übrigen Bulbus-
theile zählt nicht minder zu den Bedingungen der Heilung. Wo diese
durch die Entzündung ebenfalls stärker mitgenommen worden sind, ist die
Prognose auch in Bezug auf die Hornhaut weniger günstig.
Die Behandlung hat die entzündliche Gewebswucherung zu be-
schränken, etwa vorhandene übermässige Nervenerreguugen zu beschwichtigen
st eil wag, Augenheilkunde. 6
82 Keratitis suppurativa; Krankheitsbild.
und den rückgängigen Metamorphosen der neugebildeten Elemente den Weg
zu bahnen. Ist ein allgemeines Leiden vorhanden , welches den örtlichen
Process möglicher Weise beeinflussen kann, so muss selbstverständlich auch
diesem die gebührende therapeutische Berücksichtigung werden. Die Mittel,
um den ersten beiden Indicatiouen gerecht zu werden , sind von denen
nicht verschieden, welche bei der Keratitis vasculosa mit Erfolg angewendet
werden, leisten bei der diffusen Art aber entschieden weniger.
In neuerer Zeit hat man, namentlich in frischen Fällen, von der Paraceiitesis
corneae günstige Wirkungen gesehen, indem der sonst so schleppend verlaufende
Process innerhalb 8 — 14 Tagen zur Heilung gebracht wurde. Bei vascularisirender
Keratitis diffusa mit sehr beträchtlicher Ciliarreizung und bei Complication mit
Iritis scheint dieses Verfahren jedoch wenig zu leisten (Hasner). — In einzelnen
Fällen von sehr chronisch verlaufender und ohne erhebliche Gefässeinspritzung
einhergehender Keratitis diffusa hat man von der Application warmer Umschlüge
Nutzen gesehen. Gelang es, den Bindehautsack in massigem Grade an der Ent-
zündung zu betheiligen, so erfolgte die völlige Heilung bisweilen in überi'aschend
kurzer Zeit (Gräfe, Secondi).
Nähert sich der entzündliche Process seinein Abschlüsse oder ist er be-
reits an diesem angelangt, so stellt sich häufig die Aufgabe, die sätimige
Aufhellung der Trübungen zu beschleunigen. Einstäubungen von Calomel und
Einstreichungen der gelben Quecksilber oxydsalbe empfehlen sich dann ganz
besonders. Stärkere Reizmittel, Opiumtinctur, Lösungen von Kupfervitriol
in Glycerin (Roosbroeck) etc. darf man erst dann mit Vorsicht anwenden,
wenn die Reizerscheinungen und die krankhafte Empfindlichkeit des Auges
ganz geschwunden sind. Besser werden sie gemieden.
Quellen. Mackenzie, Prakt. Abhandlung über die Krankheiten des Auges.
Weimar 1832. S. 407. — Arlt, Krankheiten des Auges. Prag, 1851. I. S. 183. —
Hasner, Kliu. Vorträge Prag, 1860. S. IGO, 162, 163 und Prager med. Wochenschrift
1864. Nro. 1. — Hutchinson, A clinical memoir etc. London, 1863. S. 26. — Secondi,
Clinica ocul. di Genova. Torino, 1865. S. 13. — Gräfe, A. f. O. VL 2. S. 133.
XII. 2. S. 259. — Sämisch und Pagensfecher, kl. Beobacht. Wiesbaden, 1862. II ;
S. 109. — Roosbroeck, kl. Monatbl. 1863. S. 493. — Tetzer, Wien. Augenklinik
Ber. S. 47, 50.
5. Keratitis suppurativa.
Krankheitsbild. Eiterherde in der Cornea kennzeichnen sich durch ihre
dichte lYübung und durch die in ihrem Inneren vor sich gehende Zerfallung
und Auflösung der Hornhautsubstanz in fettigkörnigen Detritus.
Die Erscheinungen der Ciliarreizung, welche der Hornhauteiterung vor-
angehen und sie begleiten , variiren in allen Graden. Bald schlagen die
G efässsymptome vor, bald die Symptome der Nervenreizung, bald halten sich
beide bei hoher Intensität das Gleichgewicht, bald aber treten sie fast
gänzlich zurück, die Hyperämie ist eine überaus geringe und die Symptome
der Nerveiierregung fehlen ganz. Es stehen diese Verschiedenheiten in
einigem Zitsammenhange mit den ursächlichen Momenten der Eiterung und
finden ihre nähere Erörterung bei der Beschreibung des Verlaufes der
Keratitis suppurativa.
Der Eiterherd selbst charakterisirt sich bald als ein Abscess, bald als
ein offenes Geschwür, indem er einmal in dem Parenchym der Hornhaut
eingeschlossen ist, das andere Mal aber eine nach aussen mündende Sub-
Hypopyum-Keratitis ; Abscess. 83
stanzlücke (larstcUt. Dazu kömmt dann noch die Eitersenkung in Gestalt
des 07iyx und des Hypojjyum.
In Bezug- auf das Letztere stellt es sich nämlich immer mehr heraus,
dass die in der Kammer sich sammelnden Eitermassen , abgeselien von
Dur chhr Hellen der Cornealnhscesse nach hinten, nicht allein von Gewebs-
wucherungen der Iris abgeleitet werden können , sondern eine wesentliche
Quelle in entzündlichen Prolificationcn des Wasserhautepithel es finden. Es
ist diese suppurativa Hydromeningitis allerdings häufig an Iritis geknüpft,
welche ihrerseits wieder sehr gewöhnlich in- und extensive Formen der
Keraliiis suppurativa begleitet ; doch bildet die Iritis keine nothwendige
Voraussetzung des Hypopyum. Man findet derartige Entzündungen der
Descemeti in der Regel neben breiten, sehr ausgedehnten Geschwüren mit
weissgelb infiltrirtem Rande und überhaupt bei allen umfangreichen und
tiefgreifenden , mit starker Ciliarreizung einhergehenden Eiterherden der
Cornea (Hypopyum-Keratitis, Roser).
A. Der Abscess stellt sich äusserlich als eine in die Hornhautsubstanz
eingeschobene Schichte einer opaken , gelblichweissen oder eitergelben,
selten von beigemischtem Blute röthlich oder rostähnlich gefärbten Sub-
stanz dar.
Partielle Abscesse, falls sie nahe dem Centrum der Cornea sitzen,
erscheinen meisthin von unregelmässig rundlichem Umfange; falls sie der
Peripherie der Cornea näher liegen oder an sie anstossen, ist ihr Umriss
gewöhnlich nierenförmig oder gleicht einem Kreisabschnitte. Der Hand
eines solchen partiellen Abscesses ist oft sehr scharf, oft aber geht er
in einen weissgrau gefärbten Saum über, welcher sich allmälig in eine
grauliche, wolkige und weiterhin in eine sulzige Trübung auflöst. Reicht
diese Trübung bis zur Peripherie der Cornea, so findet man in derselben
wohl auch neugebildete Gefässe. Die den Abscess von voraeher deckenden
Hornhautschichten sind oft wenig verändert und deren Oberfläche er-
scheint spiegelglatt. In anderen Fällen jedoch zeigen sie sich in wechseln-
dem Grade getrübt, bisweilen auch vascularisirt und von mattem rauhen
Epithel überkleidet.
Der Eiterherd ist in seinem Centrum gewöhnlich am dicksten und
greift daselbst nicht selten nahezu durch die ganze Dicke der Hornhaut.
Gegen seine Peripherie hin aber verschmächtigt er sich in der Regel
bedeutend und endet, falls er scharf begrenzt ist, meistens mit einem
schneideartig zugeschlifFenen Rande. Er lagert häufig in den mittelsten
Schichtlagen der Hornhaut, so dass er nach vorne und rückwärts von
einem fast gleich dicken Stratum eiterfreier Hornhautsubstanz gedeckt
erscheint. Bisweilen sitzt er aber auch in den hintersten Blättern der
Cornea oder erscheint gar theilweise zwischengeschoben zwischen Cornea
und Descemeti. Endlich kommen nicht selten Fälle vor, in welchen die
vorderen Lamellen die Hauptmasse des Eiters einschliessen.
Bei dem Totalabscesse der Cornea, dem sogenannten Vortex purulenfus,
erscheint die Cornea in einen weissgelbcn oder eitergelben Pfropf ver-
wandelt, dessen Rand bis nahe an die Sclera stösst und dessen gewöhn-
lich schon getrübte, matt angelaufene Oberfläche bedeutend über das
normale Niveau hervorragt, eine Verdickung der Hornhaut beurkundend.
6*
o4 Keratitis suppurativa; Krankheitsbild ; Abscess.
In den ersten Stadien ist der Inhalt eines Abseesses nieisthin nicht
flüssig. Sticht man den Eiterherd an, so iiiesst nichts heraus, die Wund-
flächen erscheinen gelblichweiss und rauh von kleinen Klümpchen einer
ziemlich cohärenten Masse, welche sich als Conglomerat von Kernen und
fettigkörnigem Detritus ergibt. Die Zeriliessung in Eiter beginnt meisthiu
im Centrum des Herdes, öfters indessen auch an mehreren Stellen zu-
gleich, es bilden sich kleine Eiterherde in der starren Masse , die sich all-
mälig ausdehnen und zusammenfliessen. In manchen Fällen jedoch ist
das Stadium der Starrheit ausnehmend kurz, kaum merkhch, schon sehr
frühzeitig ist die ganze Masse in einen dünnflüssigen Eiter aufgelöst, der
sich bei einem Einstiche rasch entleert und bisweilen selbst geradezu
hervorspritzt. Es gibt kein verlässliches Zeichen, welches, so lange der
Abscess noch geschlossen ist, die Starrheit oder flüssige Beschatfenheit des
Productes immer erkennen Hesse.
An senkrechten Durchschnitten sieht man leicht, dass die Eitermasse
des Abseesses nicht Einen compacten Klumpen bilde, etwa in der Art,
wie bei Abscessen im Unterhautbindegewebe , in Muskeln u. s. w. Viel-
mehr erscheint das Product in mehr weniger dicken Scheiben zwischen
die Faserschichten der Cornea eingelagert, der Eiterherd besteht aus ab-
wechselnden Schichten von Entzündungsproduct und Faserlamellen.
Die Eiterscliicliten sind übrigens nicht alle von gleicher Ausdehnung und
ihre Centra liegen nicht in Einem Radius der Hornhaut, daher der Abscess häufig
ein ganz luiregelmässig blätteriges Aussehen bekömmt. Namentlich gilt dieses von
dem eigentlichen Centrum des Eiterherdes, denn hier liegt eben eine grosse An-
zahl von Eiterschichten über einander. Gegen dessen Grenze hin nimmt die Zahl
der letzteren sehr ab und oft findet man daselbst nur eine oder die andere meist
sehr dicke Lage Eiter, welche Einen Zvvischenblattraum auf eine weite Strecke
hin ausgedehnt hat.
Die den Eiferherd durchsetzenden Corneallamellen scheinen anfänglich, beson-
ders in gewissen Fällen, an dem Processe nur wenig Antheil zu nehmen, indem sie
kaiim merkliche Veränderungen zeigen. Früher oder später aber beginnen sie sich
ebenfalls zu trüben und zerfallen endlich unter fortschreitender Verflüssigung des
Entznndungsproductes in fettigkörnigen Detritus, Communicationen zwischen den
einzelnen Eiterlagen vermittelnd. Doch auch die Lamellen zerfallen nicht immer
an hinter einander gelegenen Stellen, sondern jede in einem anderen Stücke ihres
in dem Eiterherde eingeschlossenen Theiles. Der eigentliche Abscess besteht dann
aus über einander geschichteten Eiterlagen, welche durch regellos zerstreute, bald
grössere bald kleinere zackig buchtige Löcher in den trennenden Corneallamellen
mit einander zusammenhängen. Im weiteren Verlaiife erst, bald früher bald später,
schmelzen diese einspringenden Faserlagen mehr zusammen und die Abscesshöhle
wird so eine mehr einheitliche.
Der Eiter steht im Abscesse unter einem gewissen Drucke, imd drückt
natürlich selbst auf seine Umgebungen. In Folge dessen tritt der flüssige
Eiter gerne über die Grenze des Entzündungsherdes hinaus zwischen die
Cornealblätter und baucht bei massiger Ablagerung wohl auch die vordere
oder hintere Abscesswand merklich hervor. Auch steht ohne Zweifel die
bei grossen und rasch entstandenen Abscessen nicht gar selten vorkom-
mende brandige Zerstörung einzelner Partien des Entzündungsherdes damit
in einem näheren Zusammenhange.
B. Ausser dem Drucke wirkt auch noch die Schwere des Eiters. Da-
her kömmt es, dass sich der Eiter bisweilen zwischen einzelnen Lamellen
der Cornea nach abwärts senkt und daselbst sammelt, die betreffenden
Hornhaut blätter in stets wachsendem Umfange auseinander drängend. Man
Onyx; Hypopymn.
85
nennt diesen Zustand, welcher dieselbe Bedeutung wie Eitersenkungen
zwischen Muskelfascien u. s. w. hat, seiner Aehnliclikeit mit der Lunula
der Nägel halber Onyx^ Unguis, Nagel.
Der Onyx (Fig. 3 a) lagert in der Regel in den ^'^- ^•
mittleren Tuterlamellarräumcn. Er nimmt immer die
tiefste Stelle derselben ein. Sein unterer der Corneal-
grenze concentrischer Rand b stösst nicht direct an
die Sclera an, sondern ist von deren vorderer Grenze
stets durch einen schmalen, von dem Lirabus con-
junctivalis gedeckten Saum getrennt. Der obere Rand
c ist geradlinig oder concav, seltener convex, häufig
nicht völlig scharf begrenzt, bildet aber stets eine
schneideälinliche Kante. Der Onyx stellt, den anatomischen
Verhältnissen entsprechend, nämlich fast constant eine
blattartige Schichte dar, welche zwischen die Corneal-
lamellen eingeschoben ist, und welche man bei seitlicher
Betrachtung durch die ganze Dicke der Kammer von
der Iris getrennt findet.
Dieser bedeutende Abstand der nach vorne
convexen Eiterschichte und der schneideähnliche obere
Rand , an welchem vorbei man die tiefer gelegenen
Theile der Iris deutlich übersehen kann, sind die
Merkmale, welche den Onyx von dem Hypopyon d leicht
unterscheiden lassen. Das letztere liegt nämlich der Iris an und bietet von
oben gesehen eine der Dicke der Vorderkammer entsprechende scharf
begrenzte, wenn auch oft unregelmässige Fläche dar. Ein weiteres solches
unterscheidendes Symptom ist die im Allgemeinen grössere Verschieblichkeit
des Hypopyon bei Seitenbewegungen des Kopfes. Es ist dasselbe indessen
von geringerer Bedeutung, da auch Onyces bisweilen leicht ihren Ort ver-
ändern und umgekehrt Hypopyen nicht gar selten vorkommen, welche
vermöge des überwiegenden Gehaltes an mehr starren Elementen nahezu
fixirt sind. Am schwierigsten pflegt die Diagnosis zu sein, wenn Onyx
und Hypopyon zugleich auftreten und gleiche Höhen erreichen. Das
Vorhandensein des Onyx lässt sich dann bisweilen nur aus der geringen
Dicke der vorlagernden durchsichtigen Hornhautscliichte und aus der Existenz
eines Abscesses oder Geschwüres in der Cornea errathen.
In einzehien seltenen Fällen kömmt der Diagnosis übrigens die Wahrnehm-
barkeit des Verbindtmgscanales zwischen Geschwür oder' Abscess e und Onyx zu
Hilfe. Es erscheint derselbe als ein schmaler eiterfarbiger oder trüber Strang,
welcher in ganz luiregelmässigem zackigen Verlaufe von der unteren Peripherie des
Abscesses zur oberen des Nagels hinzieht. Es besteht derselbe wohl immer, wenn
er auch nicht stets nachweisbar ist. Bisweilen kann man durch Druck auf die
untere Hälfte der Cornea dieses sonst unsichtbare Kanälchen mit Eiter füllen und
dasselbe, indem der Eiter in die Abscesshöhle zurückgetrieben wird, zur Wahr-
nehmung bringen.
Die Grösse des Onyx ist ausserordentlich wandelbar. Oft präsentirt
er sich als ein sehr schmales kaum wahrnehmbares eitergelbes Säumchen,
welches wenig über den Rand des Limbus conjunctivalis hervorragt und
ein geübtes Auge voraussetzt, um gesehen zu werden. In anderen Fällen
ist der senkrechte Durchmesser desselben 1 — 2 Linien lang. Bisweilen
86 Keratitis suppurativa; Krankheitsbild; Geschwür.
fliesst der obere Eand des Onyx sogar mit der unteren Peripherie des
Abscesses zusammen, ja es gibt' Fälle, wo beim Sitze des letzteren an
der obersten Partie der Hornhaut diese fast ilirer- ganzen Fläche nach von
einem Onyx in ein vorderes und liinteres Blatt abgetheilt erscheint.
C. Hornhautgeschwüre kommen sehr häufig vor. Sie entwickeln sich
in den meisten Fällen primär, d. h. ohne dass ein Abscess vorangeht.
Ein Theil der Hornhaut einschliessig seiner vorderen Scliichten trübt sich
sulzähnlich, graulich oder eitergelb, seine Oberfläche wird matt, gewinnt
ein eigenthümlich gelockertes rauhes Ansehen, zerfällt und stösst sich ab,
eine Substanzlücke liinterlassend, welche bei weiterem Vorschreiten des
Processes sich allmälig ausbreitet.
Jeder Theil der Hornhaut kann den Sitz eines Geschwüres abgeben.
Dessen Grösse ist selu* verschieden. Es gibt Geschwüre , welche kaum
einem Hanfkorne an Umfang gleichkommen und andere, welche über den
grössten Theil oder über die ganze Hornhaut ausgedehnt sind. Die Ver-
schwärung dringt oft nicht über die vorderen Cornealschichten ein ; während
in anderen Fällen, selbst bei geringerem Umfange des Geschwüres, dessen
Boden bis nahe an die Descemeti eingetieft oder gar durchbrochen erscheint,
so dass die Kammer mit der Aussenwelt durch eine Oeffnung der Horn-
haut in Verbindung tritt.
Die grösste Mannigfaltigkeit bietet aber die äussere Gestalt dar. Cen-
trale Geschwüre haben gewöhnlich eine rundliche oder ovale Form, seltener
sind ihre Contouren unregelmässig, winkelig, buchtig. Periphere Geschwüre
liingegen erscheinen bei grösserer Ausdehnung oft laneett-, uieren-, halb-
mond- oder mondsichelförmig.
Die Ränder sind iu der Regel flach, das Geschwür gleiclit einer Mulde, deren
Boden allseitig fast Tinmerklicli , unter einem sehr stumpfen iind abgerundeten
Winkel, in die Hornhaiitoberfiäche übergeht, so dass die Grenze des Geschwüres
eine undeutliche wird. In anderen Fällen aber fallen die Münder des Geschwüres
steil ab oder stehen geradezu senkrecht auf der Cornealoberfläche und dem Boden
der Substanzlücke. Die Flächen der Ränder und des Bodens sind öfters glatt, ohne
auffällige Erhabenheiten. Ebenso oft jedoch erscheinen dieselben bei mulden-
förmigen Geschwüren tre2ypenan'tig oder aufgehlättert. Bei steilen Geschwüren sind
sie bisweilen fetzig, wie angefressen, oder wohl auch überhängend. Der Boden des
Geschwüres als Ganzes ist meistens concav und glatt, oder von kleinen Hügelchen
rai;h uneben. Bei umfangreichen und tiefgreifenden Geschwüren wird derselbe in-
dessen nicht gar selten durch den intraocularen Druck 7iach vorne getrieben und
tritt blasenartig über die Ränder hervor. Er ist häufig von einem speckähnlichen
oder schmierigen, eiterigen, graulich-trüben oder sulzigen Producte in wechselnder-
Menge überdeckt. Die Unterlage und die Ränder des Geschwüres erscheinen meistens
auf eine grössere oder geringere Entfernung hin eitergelb, grau oder sulzähnlich
getrübt, indem die Productbildung in dem Umkreise des Geschwüres fortdauert
oder gar noch weiter schreitet.
Oefters zeigen sich auf dem getrübten Boden des Geschwüres auch
Gefässe, besonders dann , wenn sich in den nachbarlichen Portionen der
Cornea eine Keratitis vasculosa entwickelt hat. In der That ist die Gefäss-
entwickelitng rings um die Peripherie des Geschwüres nicht selten eine
ungemein reichliche, ein dicht gewebter Kranz unter einander verschlungener
Gefässe umgibt die vereiternde Stelle , aber nur eine kleine Anzahl von
Zweigchen überschreitet den Geschwürsrand , um sich unter dem Belege
des Geschwürbodens zu verlieren.
Sitzt das Geschwür nahe der Hornhautperipherie, so dass ein Eand-
theil desselben mit dem Limbus conjunctivalis in Berührung steht, oder
Ursachen; Neuroparalysis ; Enkephalitis infantilis. 87
ist das Geschwür bereits durchgebroclicn und ein Thoil der Iris vorgefallen,
so erheben sich auf dem Boden desselben nicht selten Graimlatlonen, welche
bei forts(;hreitondcr Wucherung schwanimähnlich hervortreten und durch
ihre Flcischfarbe sowie durch die Neigung zu Hämorrhagien einen sehr
grossen Gefässreichthum vcrrathen.
Doch kommen auch wiederum Fälle genug vor, wo in Folge der
raschen Abstossung des Eiters jede Trübung im Bereiche des Geschwüres
fehlt, dieses also eine Substanzliicke mit völlig durehsichdyem Grunde und
Rändern darstellt.
Ziemlich oft findet sich neben Geschwüren, wenn dieselben nicht gerade
in der Nähe des unteren Hornhautrandes sitzen, der Onyx. Der zwischen
den Lamellen der Gcschwürsränder sich entwickelnde Eiter senkt sich, die
Blätter auseinander reissend , und sammelt sich an der tiefsten Stelle an.
Ursachen. 1 . Es sind zum Theile dieselben reizenden Schädlichkeiten,
welche auch die anderen Formen der Kei'atitis begründen können. Zweifels-
ohne kann eine grosse Intensität, eine längere Dauer oder öftere Wieder-
holung einer Schädlichkeit die Wucherung ausnehmend begünstigen und
sohin auch den Uebergang des Processes in Eiterung veranlassen. Allein
es reicht diese Erklärung nicht für alle Fälle aus. Häufig folgen ausge-
breitete Verschwäruugen auf sehr wnschrUnld einwirkende Schädlichkeiten
von verhält iiissmässig geringer Intensität und kurzer Dauer, ohne dass sich
in der Constitution des Individuums ein genügender Grund dafür auffinden
lässt. Obenan müssen in dieser Beziehung gestellt werden chemische und
mechanische Eingriffe aller Art, besonders aber Verletzungen der eigentlichen
Hornhautsubstanz , Verbrühungen derselben und Anätzungen durch Kalk
(Gouvea). Die Keratitis suppurativa ist einer der bittersten Feinde aller
Augenoperationen, bei welchen die Hornhaut verwundet wird. Erschütterungen
der Cornea führen oft, gerissene, gequetschte und vornehmlich verunreinigte
Wunden gewöhnlich zur Vereiterung. Diese ist häufig das Jlittel , um
steckengebliebene /remrfe Körper loszutrennen und zur Abstossung zu bringen.
2. Eine ganz eigenthümliche Art der Hornhautentzündung ist die
neuroparalijtische {^. 10). Bei unvollständiger J^wümw^ der betreff'enden Nerven-
zweige kömmt sie überhaupt selten vor, bleibt meistens partiel, steigert sich
gewöhnlich nicht bis zur wirklichen eitrigen Zerfällniss , sondern bleibt auf
der Stufe der einfachen Infiltration stehen und wird häufig wieder rück-
gängig. Bei totaler Lähmung sämmtlicher zum Bulbus ziehender Quintus-
zweige aber wird die Vereiterung der Hornhaut ziemlich oft beobachtet.
Die Cornea ist dann meistens ihrer ganzen Grösse nach ergriffen. Sie trübt
sich erstlich sulzähnlich, dann wolkig grau, milchweiss und endlich eiter-
gelb, schwillt stark an und zerfällt in grösserem oder geringerem Umfange,
Geschwüre bildend.
Zu den ejitfernteren Ursachen des Leidens zählt alles, was die Leitung
im fünften Nerven zu beschränken oder gänzlich aufzuheben im Stande
ist : Erkrankungen seiner Centraltheile, Traumen, Geschwulstbildungen am
Schädelgrunde n. s. w. und vornehmlich die Meningitis basilaris in ihren
verscliiedenen Formen, einschliesslich der epidemischen Cerebrospinalmeningitis
(Canstatt, Schirmer).
Eine besondere Erwägung verdient in dieser Beziehung eine eigenthümliche
Form der infantilen Enkephalitis, welche sich durch ausgedehnte Verfettigung und
Hyperämie der weissen Hirnsubstanz, besonders der Grosshirnheraisphären, aus-
38 Keratitis suppurativa; Ursachen; Allgemeinkrankheiten.
zeichnet und gerne zur Schrumpfung und Induration führt {Virchow, Kleis). Die-
selbe scheint selten, dann aber mit einem epidemischen Anstriche aufzutreten, ver-
läuft chronisch, fieberlos und ohne auffällige Hirnsymptome, führt jedoch bald zu
progressivem Marasmus mit mehr oder weniger deutlichen Störungen der Verdaiiung
und Assimilation, um schliesslich unter Erschöpfung und bronchopneumonischeu
Erscheinungen fast constant zu tödten. Das Leiden ergreift sehr selten Kinder in
den ersten Lebenswochen, meistens sind es Individuen zwischen dem 2. — 6. Lebeus-
monate. Dieselben, bisher anscheinend gesund , beginnen zu kränkeln und immer
mehr zu verfallen, ohne dass eine bestimmte Allgemeinkrankheit oder ein Organ-
leiden deutlich hervorträte. Bald stellt sich auf einem und nach Ablauf weniger
Wochen auch auf dem anderen Auge etwas Lichtscheu, leichtes Thräneu und ge-
ringe Injection der Episcleralgefässe ein, worauf sich eine umschriebene Stelle der
Cornea graugelb trübt und eitrig zerfällt. Das Geschwür greift dann unaufhaltsam
oder höchstens mit kleinen Stillständen immer weiter nach Tiefe und Breite, wäh-
rend die Bindehaut, so weit sie in äh: Lidspalte blosliegt , trocken und schilfrig
wird. Binnen kurzem participirt auch die Iris , ja sämmtliche Binnenorgane , das
Auge geht durch Panophthalmitis zu Grunde , wenn nicht früher schon der Tod
dem Processe ein Ende gemacht hat (Frank, Fischer, Graefe, Hirschherg).
Auch während dem Verlaufe schwerer AUgemeinh-anJcheiien , des Typhus,
Scharlachs etc., kommen mitunter Hornhaixtvei'schwärungen vor, welchen man eine
neuroparalytische Basis unterschieben könnte (Arlt, Graefe). Doch weichen sie in
ihrem acuten Verlaufe und in den begleitenden Erscheinungen von dem eben ge-
schilderten Symptomcomplexe sehr ab und man thut vielleicht besser , sie den
metastatischen Formen anzureihen.
Dagegen tragen die Hornhautverschwärungen, welche in den späteren Stadien
und in den Naclikrankheiten der epidemischen Cholera öfters beobachtet werden,
den neuroparalytischen Charakter sehr deutlich zur Schau. Sie sind immer mit
acuter Xerose des Lidspaltentheiles der Bindehaut verknüpft luid zwar erklärt sich
diese Vertrocknung aus der Stockung der Thränensecretion und des Lidschlages,
weiterhin aber aus der Sensibilitätsabnahme des Trigeminus und der davon ab-
hängigen Schwächung der Reflexströmungen (Graefe).
Auch bei der anästhelischen Form des Lupus (Spedahked) macht sich die Läh-
mung des Trigeminusstammes durch die Ophthalmia neuroparalytica geltend (Riegler,
Bock, Danielsen, Crishobn). Endlich scheint bei der Zuckerruhr sehr ausnahmsweise
ein solches Localleiden auftreten zu können (Simrock) ; wenigstens wurden in ihren
späteren Perioden gar nicht selten Lähmungen der verschiedensten Nervenbezirke
beobachtet (Seegen) , welche geeigneten Falles eine Ophthalmie der fraglichen Art
wohl zu erklären vermögen.
Ausserdem sind locale Anaestheslrungen der Ciliamerven als mögliche
pathogenetische ilomente zu nennen. Die Verschwärungen der Cornea,
welche man bei Glaucomen, bei ausgebreiteten Sclerochorioidalstaphylomen, bei
rasch entstandenem , namentlich bei Basedow'schen Exophthalmus u. s. w.
neben beträchtlicher Abstumpfung der Gefühlsnerven findet , werden in der
That vielseitig der neuroparalytischen Ophthalmie zugezählt und aus der
Leitungshemmung der gezerrten oder gänzüch unterbrochenen Ciliarzweige
abgeleitet (Graefe).
3. Sehr häufig entwickelt sich die Keratitis suppurativa neben oder
im Gefolge der eitrigen Panophthalmitis (siehe diese) sowie überhaupt massiger
Ablagerungen von Eiter oder Blut im Bereiche der Vordei-lcammer , und
vermittelt dann den Durchbruch und die Entleerung der krankhaften Pro-
ducte. Solehe Panophthalmien können wieder die Bedeutung primärer oder
seeundärer AfFectionen haben imd im letzteren Falle mit gewissen Blut-
erkranknngen : Pyämie, Tuberculose, Typhus, Puerperium, Eotz, anomal ver-
laufenden Exanthemen u. s. w. zusammenhängen, indem dieselben entweder
ursprünglich sich in den Hirnhäuten localisiren und die Entzündung an den
Sehnervenscheiden gegen und in das Auge fortschreitet , oder indem das
Verlauf; Neuropavalytisclie Form. 89
Allgemeiuleiden in den Biuneuorganen gleich von vorneherein einen seihst-
ständigen Herd begründet.
4. Nicht selten geht die Keratitis suppurativa aus anderen Formen der
Horiihautentzündun;/ durch Steigerung des Wucherungspro cesses liervor. Bei
der Keratitis diffusa geschieht dieses nur sehr ausnahmsweise, häufiger bei
der vasculären Form und am häufigsten beim Herpes, dessen Effloresccnzcn
sich durch Ausbreitung des Entzündungsherdes gerne in Geschwüre ver-
wandeln , wclclie niclit mehr den herpetischen Cliarakter tragen , sondern
mit den primär entstandenen vollkommen übereinstimmen. Ausserdem
werden brandige oder nekrohiotisclie Partien der Hornhaut gleich fremden
Körpern von Eiterherden umgrenzt und so die Abstossung des lebens-
unfähig Gewordenen beschleunigt, die Heilung angebahnt.
5. Endlich kömmt es häufig zur Hornhauteitcrung im Verlaufe der
Blennorrhoe , Pyorrhoe, der Syndesmitis diphtherica , membranosa , überhaupt
jeder Bindehautentzündung, welche mit grosser Intensität auftritt und unter
namhafter Hyperämie , Schwellung iind Temperaturerhöhung einhergeht.
Es pflanzt sich nämlich der Process von der Conjunctiva auf die Hornhaut
fort und führt in der letzteren zu ausgebreiteten Verschwärungen.
Der Verlauf der Keratitis suppurativa ist in hohem Grade variabel.
Er wird ziemlich deutlich von den ätiologischen Momenten des Processes
beeinflusst.
1. Wahrhaft rapid ist er in der Eegel bei jenen Formen, welche in
der Localisation gewisser Ällgemeinleiden (3.) begründet sind. Innerhalb
weniger Stunden , eines oder zweier Tage , ist oft die ganze Hornhaut in
einen Vortex purulentus umgewandelt , welcher rasch zeriliesst , oder aber
zur Absterbung führt. Merkwürdiger Weise sind hierbei die Sj^mptome
der Reizung nicht immer sehr hervorstechend. Sie können vielmehr in
allen Graden variiren und sind oft kaum merklich.
Die Keratitis suppurativa, welehe im Laufe solcher Bluterkrankungen auf-
tritt, ist übrigens nicht iiothwendig an massenhafte Ergüsse von Eiter in den Binnen-
organen des Augapfels gebunden und noch weniger constant eine totale. Oefters
entwickelt sich in derselben höchst acuten Weise und mit oder ohne auffällige
Reizsyraptome nur ein Abscess oder Geschwür von beschränktem Umfange. Diese
können sich nun allerdings schnell auslireiten und in kurzem zur Hornliautphthise
führen; nicht selten bleibt aber der Eiterherd, wenn einmal der erste Schub vorüber
ist, ein mehr ximgrenzter und verläuft fürder nach der Weise anderer ätiologischer
Formen der Keratitis suppurativa, um endlich wie diese zur Heilung oder Ver-
narbung zu gelangen. Es sind dies die Fälle , welche man auf neuroparalytinche
Grundlage zu beziehen geneigt ist.
2. Nicht minder rasch entwickeln sich Abscesse und Geschwüre bei
der Blennorrhoe, der Syndesmitis membranosa iind diphtherica.
3. Die neuroparaly tische Form ist im Allgemeinen eine mehr chronische.
Es kommen allerdings Fälle vor , wo die Hornhaut sich i^asch trübt und
innerhalb weniger Tage durch Eiterung völlig zerstört wird. Dies sind
aber Ausnahmen. Meistens besteht die Paralyse längere Zeit, ohne dass die
Cornea Zeichen einer Veränderung darbietet, ja es ist das Hornhautleiden
gar nicht einmal eine nothwendige Folge. Kömmt es endlich dazu , so
bestehen die Entzündungsherde nicht selten Wochen und Monate lang un-
verändert fort, gehen wohl auch zeitweise wieder zurück, treten abermals
hervor u. s. f. ; oder es entwickeln sich an ihrer Stelle Geschwüre von
ausnehmend chronischem Verlaufe und geringer Neigung zur Ausbreitung,
90 Keratitis suppurativa; Verlauf.
ja Öfters zeigen diese Geschwüre sogar deutlich das Streben zu vernarben,
brechen aber wieder auf und so geht es fort, bis der Process an der
Cornea zum Abschluss gekommen ist.
4. Am meisten wechselt der Verlauf bei jenen Formen der Keratitis
suppurativa, welche scheinbar spontan oder in Folge äusserer Schädlich-
keiten primär auftreten. Bald ist er ein überaus langwieriger, Wochen in
Anspruch nehmender und zwischen zeitweiligen Exacerbationen und Re-
missionen schwankender; bald ein höchst acuter, so dass innerhalb weniger
Stunden, eines oder zweier Tage ein mehr weniger ausgebreiteter xVbscess
oder ein Geschwür gebildet, oder wohl auch die ganze Hornhaut in einen
Eiterstock verwandelt ist.
Die Reizerscheinungen im Bereiche der ciliaren Gefässe und Nerven sind
dabei mitunter ausnehmend gering. Es kommen Fälle vor, wo trotz massen-
hafter Eiterbildung in der Cornea die Bindehaut und das cpisclerale
Gewebe kaum merklich injicirt, die örtliche Wärmeentwickelung fast normal
ist und Schmerzen gänzlich fehlen. In anderen Fällen entwickelt sich der
Herd allerdings iinter, heftigen, selbst stürmischen Irritationsphänomenen,
doch erschöpfen sich diese sehr rasch und der Process gewinnt einen auf-
fällig torpiden Charakter. Aehnlich den sogenannten Congestionsabscessen,
kalten Abscessen und Geschwüren an anderen Körpertheilen püegen derlei
reizlose Eiterherde in der Hornhaut scharf begrenzt zu sein, sich rasch
in die Tiefe und auch der Fläche nach auszubreiten und selbst die ganze
Cornea zu zerstören. Sie compliciren sich gerne mit Iritis und es kömmt
dann nicht gar selten zu massenhaften Hypopyen. Das Hinzutreten hef-
tigerer Eeizsymptome ist gewöhnlich ein gutes Zeichen, es deutet den
Beginn einer begrenzenden Reaction an und diese äussert sich auch
meistens durch graue Trübung im Umkreise des Eiterherdes.
In der Regel jedoch sind die vasculären und nervösen Reizsymptome
während des ganzen Verlaufes selu* deutlich ausgeprägt. Besonders wo
eine auffällige ätissere Schädlichkeit die Veranlassung abgegeben hat, pflegt
die Hyperämie im episcleralen Gefüge und der Bindehaut, die örtliche
Wärmeentwickelung, Schmerz und Lichtscheu in hohen und höchsten
Graden zu wandeln ; obgleich es auch hier wiederum nicht an Beispielen
fehlt, in welchen nach einer V^erletzung, z. B. nach einer Staaroperation,
die Cornea unter sehr geringen Reizerscheinungen i'asch vereitert. Bei alten
decrepiden Individuen wird dieses nicht gar seltea beobachtet.
Ausgänge. A. Der Abscess ist der Heilung durch Resorption fähig.
Bei kleinen Abscessen, namentlich im Kindesalter, ist die vollständige Auf-
saugung nichts ganz Ungewöhnliches. Je grösser aber der Eiterherd und
je älter das Individuum ist, um so seltener kömmt es zu einem solchen
günstigen Ausgange. Falls der Eiter auch wirklich nicht zum Durchbruche
gelangt und allmälig der Zersetzung und Resorption verfällt, bleiben doch
in der Regel ausgebreitete und dichte leucomatöse Trübungen zurück.
Diese kommen dann theils metamorphosirten Resten des Eiters auf Rechnung,
theils neoplastischem Gefüge, welches letztere für die im Inneren des Herdes
zu Grunde gegangenen Gewebstheile Ersatz leistet. War der Abscess
von beträchtlichem Umfange, so schrumpft nebenbei gewöhnlich die Cornea
ihrer ganzen Ausdehnung nach und verwandelt sich in einen trüben
sehnenähnlichen Knopf, welcher die sehr verengte und unregelmässige
Ausgäuge des Abscesses und Onyx. pX
SclcralöfFming dos in Scliwund überp;ehouden Bulbus schliesst. Bis-
weilen setzt sich in solchen rüUen ein Theil des Eiters in eine fettip;-
kalkige Masse um, welche späterhin nach Art eines Concrementes in die
getrübte Coriiealpartio eingesprengt erscheint.
Es werden übrigens diese Ausgänge bei hl<'nnorvhoischcn,pyori-hoischen etc.
Abscessen und dort, avo der Eiterherd der Cornea als Theilerscheinung
eines Allgemeinleidens auftritt, kaum jemals beobachtet.
Oftmals, besonders in Eällen der letzteren Art, wird die Cornea in
der ganzen Dicke und Ausdehnung des Eiterherdes rasch zerstört, somit ein
offenes und meistens auch x>erforirendes Geschwür gesetzt, welches sich ent-
weder alsbald reiniget und vernarbt, oder nach allen Richtungen lueiter
greift und am Ende einen grossen Theil oder die ganze Cornea consumirt.
Bisweilen scheint dann der Process mehr mit der Nen-ohiose übereinzu-
kommen, die Hornhaut löst sicli in einen grauen schmierigen Brei auf, welclun-
der Iris einige Zeit aufgelagert bleibt, ehe er sich abstösst, und mit Eiter wenig
Aehnlichkeit hat. In anderen Fällen sti7^bt die Cornea loohl auch völlig ab und
verwandelt sich in einen missfärbigen, übel riechenden, schmierigen, oder trockenen
rissigen Brandschorf, welcher sich später losstösst. üie weiteren Folgen sind
dann die dei- Phthisis corneae.
Bei weitem in den allermeisten Fällen geht die Schmelzung im
Eiterherde langsamer vor sich, es bilden sich an einer oder mehreren
Stellen des Abscesses Eiterhöhlen, welche allmälig zu grösseren Hohl-
räumen zusammenfliessen und durchbrechen. Jlitunter perforirt der Abscess
nach hinten, der Eiter entleert sich theilweise in die Kammer und erst
später geht die Vorderwand der Eiterhöhle zu Grunde (Weber). In der
Regel jedoch wird zuerst die vordere Wand des Abscesses zerstört, der
Eiterstock verwandelt sich in ein Hohlgeschwür, welches unter fortschrei-
tender Schmelzung seiner Wandungen in ein offenes Geschwür übergeht ,
häufig perforirt und nicht selten auch zur Phthisis corneae oder zur
Schrumpfung führt.
B. Der Onyx an sich ist von relativ geringerer Bedeutung. Wenn
die Eitersenkung nicht eine sehr massenhafte ist, so schwindet der Nagel
häufig sehr rasch und die betreffende Partie der Cornea wird in der
Regel wieder vollJcommen durchsichtig.
Es ist dieses Schwinden des versenkten Eiters keineswegs allein auf Resorp-
tion zu beziehen, zum grossen Theile kömmt es sicherlich auf Rechnung einer
wirklichen Entleerung nach aussen. Der Onyx steht nämlich durch einen Kanal im
Hornhautgefüge mit dem Eiterherde in Verbindung, und öffnet sich dieser nach
aussen oder ist er von vorneherein ein offenes Geschwür, so stellt einem Ausfliessen
des Eiters aus der Onyxhöhle nichts im Wege.
Bei sehr umfangreichen Nägeln ist die Prognose weniger günstig. Da
bleiben in der Regel leucomatöse Trübungen zurück, indem die den ver-
senkten Eiter einschliessenden Faserblätter dann meistens ziemlich hart
mitgenommen werden, ausserdem aber auch ein Theil des Eiters sich in
unlösliche kalhigfettige Massen umsetzt und in dem trüben Gefüge gleich-
sam incapsulirt wird. In Folge dieser Theilnahme der Lamellen bricht ein
solcher grosser Onyx wohl auch durch und verwandelt sich in ein Geschwür,
das allmälig mit dem ursprünglichen Herde der Eiterbildung zusammen-
fliesst und die Zei-störung mit ihren Folgen vergrössert. Bei grossen Nägeln
bleibt übrigens die weitläufige Trennung der Cornealblätter nicht ohne
Einfluss auf die Ernährung und kann eine durch die Keratitis an sich
vorbereitete Atrophie oder Nekrose etc. fördern.
92 Keratitis suppurativa; Ausgänge des Geschwilres; Keratocele.
C. Das offene Geschwür kann 1. heilen, ohie dass es nothwendig zu
einer Trübung kömmt. Bei Kindern namentlich werden unter günstigen
Verhältnissen öfters ausgedehnte und selbst tiefgreifende Geschwüre von
muldenförmiger Gestalt durch pellucide Hornhautsubstanz völlig wieder aus-
gefüllt und spurlos verstrichen ; oder sie hinterlassen nur eine ganz ober-
flächliche grauweisse wolkenähnliche Trübung, welche mit der Zeit, bei
fortsclireitendem Wachsthume der Hornhaut, sich mehr und mehr aufzu-
hellen lind am Ende wolil auch ganz unkenntlich zu werden vermag. Bei
Erwachsenen lässt sich ein solcher Ausgang nur dann hoffen, wenn das
Geschwür ein oberflächliches, wenig ausgedehntes, muldenförmiges, mit sehr
flachen Eändern und Grunde ist. Und selbst da entwickelt sich oft eine
oberflächliche Trübung, welche nach einer ungenügenden theilweisen Auf-
hellung ständig wird. Im Allgemeinen pflegt die Trübung bei übrigens
gleichen Verhältnissen um so ausgedehnter und dichter zu werden, je rascher
das Geschwür sich ausfüllt, je rapider also der Gewebswucherungsprocess,
welcher die Regeneration vermittelt, einherschreitet.
2. Bei Geschwüren mit steil abfallenden Eändern überhaupt, sowie
bei sehr ausgebreiteten oder tiefgreifenden muldenförmigen Geschwüren
Erwachsener wird fast immer nur ewi Theil der Substanzlücke durch
pellucides Cornealgefüge ersetzt, den Eest des Substanzverlustes füllt grau-
weisses Gewebe. Es entsteht so ein mehr weniger dicker Sehnenfleck oder
eine der Form nach dem geschwürigen Substanzverluste entsprechende sehnen-
ähnliche Narbe.
3. Die gefässreichen schwammigen Neubildungen aiif gramdirenden
Geschwüren wandeln sich im weiteren Vorlaufe in eine sogenannte Epithe-
Ualnarbe oder in eine lockere bindegewebige Narbe um, welche letztere bei
peripheren Geschwüren gleichsam eine Fortsetzung der Conjunctiva bildet
und bei starker Schrumpfung zu einem falschen Flügelfelle führen kann.
4. Bei Geschwüren von sehr geringem Umfange wird, wenn die Ver-
schtoärung sehr tief, bis nahe an die Descemet!, gegriffen hat, der über-
aus dünne Geschwürsboden in Ge-
^'S- ^- stalt einer convexeu hanfkorn- bis
erbsengrossen Blase (Fig. 4 et) her-
vorgetrieben, welche wegen ihrer
Dünnwandigkeit in hohem Grade
durchsichtig zu sein pflegt, wenig-
stens am Scheitel. Man hat diesen
Zustand Keratocele , Hornhautbruch,
Hernia corneae genannt. Er führt
fast immer zum Durchbruche und seinen Folgen. Mitunter reisst die Blase
ein, das Kammerwasser entleert sich, die Eissränder verwachsen aber wieder,
die Blase tritt neuerdings hervor, um abermals zu bersten u. s. w. In
seltenen Fällen indessen geschieht es aixch wohl, dass die Blasenwand in
Folge fortgesetzter Wucherung der oberflächlichen Corneallagen sich all-
mälig verstärkt und am Ende in ein dickes Stratum von Narbenmasse
übergeht, welches mehr und mehr schrumpft und so die Blase wieder
abflacht, dass sohin der Hornhautbruch mit Hinterlassung einer flachen
Narbe heilt.
Keratectasia uicerativa; Durchl>ruch. 93
4. Bei Geschwüren von grossem Umfange bedai'f es nicht einer po be-
deutenden Abtenfung, um Kc.tasicn des Bodens zu ei'möglichon ; unter
günstigen Umständen gedeiht die Ausdehnung bisweilen zu holien Graden,
ohne dass das Geschwür ein tiefgreifendes war. Oft erscheint der Grund
des Geschwm'es nur leicht vorgewölbt (Fig. 4 h). In anderen Fällen tritt
er hlasenühnlich heraus und zwar so stark, dass die Schliessung der Lid-
spalte erschwert oder gehindert wird. Man belegt diesen Zustand mit dem
Namen der idcerativen Keratectasie. Meistens kömmt es unter solchen Um-
ständen bald zum Durchbruche. Unter günstigen Umständen reinigt sich
jedoch der ectatische Geschwürsgrund, die Gewebswuchei'uug verliei't mehr
und mehr an Intensität und die neugebildeten Elemente beginnen sich
höher zu gestalten. Die vordere Wand der Blase wird in Folge dessen von
einem mehr weniger dicken Stratum neoplastischer trüber Corneal Substanz
und einem trüben Epithellager überkleidet und die Ectasie selbst in Gestalt
eines „narbigen Cornealstaphylomes'^ ständig. Bisweilen wird indessen durch
die Schrumpfung und Verdichtung des neugebildeten oberflächlichen Stratum
auch eine Abflachung, wenn nicht gar eine Verstreichung der Ectasie,
ermöglichet.
6. Grosse und besonders tiefgreifende Geschwüre führen übrigens
auch nicht selten zu Verkrümmungen der gesummten Cornea und setzen da-
mit sehr bedeutende Functionsstörungen des Auges. Indem sich nämlich
der Geschwürsboden ausdehnt, verlieren die umgebenden nicht verschwärteu
Theile ihren Halt und werden aus ihrer natürlichen Stellung herausgedrängt,
nach vorne getrieben. In anderen Fällen jedoch flacht sich die ganze Cornea
ab, indem die Narbe schrumpft und ihre Umgebungen mit sich zieht.
7. J) ex Durchbruch diXo\\iuxü. so mehr, je tiefer das Geschwür eingreift und
je grösser sein Umfang ist. Bei Geschwüren, welche bis nahe an die
Descemet! reichen, ist die Perforation fast Regel. Dieselbe erfolgt sehr
.häufig spontan. Bei weniger tief greifenden Geschwüren jedoch geben meistens
momentane Steigerungen des Binnendruckes (S. 7), wie selbe durch plötz-
liche respiratorische Circulationsstörungen oder associirte gleichzeitige
kräftige Zusammenziehungen der geraden Augenmixskeln gesetzt werden,
die nächste Veranlassung ab. Intensive, besonders krampfhafte Anstren-
gungen der Rumpfmuskeln, das Auflieben einer schweren Last, starkes
Bücken, Niesen, Husten, Erbrechen, heftiges Pressen bei schwerem Stuhl-
gange u. s. w. sind gewöhnlich die entfernteren Ursachen.
Im Momente der Perforation entleert sich, falls die Durclibruchsöfl'nung
eine kleine ist, in der Regel nur das Kammerwasser und , indem sich der
Glaskörper unter dem Drucke der Augenmuskeln nach vorne drängt, wird
die Iris sammt der Linse an die Hinterwand der Cornea angedrückt. Ein
Vorfall der Regenbogenhaut ist in diesem Augenblicke bei kleiner Durch-
bruchsöffnung nur da?m möglich, wenn das perforirende Geschwür au der
äussersten Peripherie der Hornhaut gelegen ist ; ausserdem aber, wenn ent-
weder die Linse fehlt, oder wenn die Zonula geborsten ist, was bei ^^ert-
pheren Cornealperforationen bisweilen im Momente des Einreissens des
Geschwürbodens geschieht.
Bei ganz peripheren Durclibrüchen ist uämlich die Üichtzing, in welcher das
Kammerwasser nach aiissen strömt, der Irisoherfläche nahezu parallel. In Folge der
Reibung wird dann leicht gleich im ersten Momente der der Oeffnvmg entsprechende
94 Keratitis suppurativa; Ausgänge.
Randtheil der Pupille von dei- Linse ahgelidhen und die zugehörige Portion der
Iris von dem Kammerwasser in das Loch hineingetrieben. Liegt die Perforations-
öffniing etwas loeiter entfernt von dem Rande der Hornhaut, so kann von Seite des
Kammerwassers ein Prolapsus im Momente des Durchbruches nicht veranlasst
werden, da hinter der Iris niir ein Minivmm jener Flüssigkeit vorhanden ist, das
in der Vorderkammei- befindliche Flnidum aber in einer auf die FLäche der Iris
fast senkrechten Richtung oder doch unter einem grossen Winkel ausströmt, die
Regenbogenhaut demnach eher vom Loche tveggestossen werden muss. Ist jedoch
die Linse abhanden gekommen oder die Zonida gehorsten, so gestalten sich die
Verhältnisse anders. Dann findet nämlich der Glaskörper Gelegenheit in die Horn-
hautöffnung einzudringen und die Irisportion, welche letztere verlegt, vor sich her
in das Loch zu treiben.
Mit der Entleerung des Kammerwassers wird der intraoculare Druck
Null; dem Seitendrucke des kreisenden Blutes steht in den Binnengefässen
des Augapfels nur mehr die mechanische llesistenz und die muskuläre
Contractionsfähigkeit der Gefässhäute entgegen. Haben diese gelitten, so
kömmt es leicht zur Berstung und es wird eine Chorioidal- oder Netzhaut-
hlutung veranlasst, welche schwere Folgen haben kann. Bei Normalität der
Gefässwaudungen sind diese Zufälle nicht zu fürchten ; da kömmt es
höchstens zu einer A^isdehnung der Gefässe und weiterhin vielleicht zu
passiven Hyperämien der Chorioidea und Netzhaut, welche unter Umständen
allerdings auch manche sehr bedauerliche Processe anzubahnen vermögen.
a) Eeisst der Geschwürshoden einfach durch, ist derselbe noch von
einiger Dicke und sind die tiefsten Schichten desselben nicht bereits selbst
in Verschwärung begriffen, so können die Eissränder wieder mit einander
in Berührung kommen und xjer primam intentionem verwachsen. Dann
sammelt sich das Kammerwasser wieder, die Iris mit der Linse treten in
ihre normale Stellung zurück und der Zustand gleicht abermals dem vor
der Perforation. Iklitunter durchbricht ein Geschwür mehrmals und schliesst
sich immer wieder; am Ende heilt es gerade so, als ob keine Perforation
stattgefunden hätte.
h) Ist die Durchhruchsöffnuvg eine sehr Meine riindliche geschwürige,
oder verheilt ein Einriss nur theilweise per primam intentionem, so ge-
schieht es häufig, dass der an der Oeffnung fixirte Theil der Vorderkapsel
oder Ii'is auf entzündlichem Wege mit den Rändern des Durchbruches ver-
loächst und so, ohne eigentlich in die Wunde selbst einzudringen, zur Stopfung
derselben beiträgt, worauf die Kammer unter Ansammlung des Humor
aqueus sich wieder herstellt.
Ist der Durchhruch ein centraler, so wird in der Hegel ein Theil der
Vorderkapselmitte an die Wundränder angelöthet^ während die Iris frei
bleibt. Sobald das Kammerwasser sich dann sammelt, drückt es die Linse
nach hinten. Oefters reisst sich die Kapsel von dem in der Durchbruchs-
öffnung gelegenen Pfropfe völlig los oder zieht nur einen kleinen Theil des
letzteren mit sich, das Loch in der Hornhaut bleibt gestopft, trotzdem der
Krystallkörper in seine normale Stellung zurückgetreten ist. In anderen
Fällen folgt der Pfropf seiner ganzen Masse nach der Linse, die Oeifnung
ist wieder hergestellt, das Kammerwasser fliesst abermals aus und so
wiederholt sich der Durchbruch ein oder mehrere Male, bis der Pfropf
endlich hinlänglich an Grösse und Dichtigkeit zugenommen hat, überdies
aber auch fest an den Wundi'ändern haftet , so dass er der zui'ückwei-
chenden Linse nur theilweise zu folgen vermag. Das Cornealgeschwür
Irisanlieftung; Vordere Synechie.
95
heilt dann mit, seltener ohne Hinterlassung einer Narbe oder oberflächlichen
Trübung. Der etwa auf der Vordc.rkapsel sitzen gebliebene l'fropflheil
schwindet häufig auf dem Wege der Resorption, so dass die Linse wieder
völlig normal erscheint. Mitunter wird derselbe aber auch ständig, die Mitte
der Yorderkapsel bleibt getrübt. Ocfters zerfällt auch die dahinter gelegene
Portion der Linsensubstanz, verkalkt und das Resultat ist ein sogenannter
Centrallcapselstaar.
Perforirt die Cornea in einiger Ent- ^'''S- ■''•
fernung vom Centrum, so wird bei Meiner
hinterer Durchbruchsöffnung ein Theil
des Pupillarrandes oder der Breite der Iris
angelöthet (Fig. 5). Doch auch diese wird
häufig loieder frei. Mit der Herstellung
des Kammerraumes beginnen nämlich
die Irismuskeln wieder zu wirken und
ziehen im Vereine mit der Elasticität
des gespannten Irisgewebes den an der
liinteren Hornhautwand angehefteten Iristheil nach hinten. Die Lostren-
nung erfolgt bei dem geringen Umfange der Verwachsung in der Regel
um so leichter, als die aus ihrer normalen Lage gerückte Partie der Längs-
fasern und der Sphincter pupillae so auf den Anheftungspunkt c der Iris
wirken, dass ihre Kräfte a h sich nahezu summiren und ihre Resultirende
d fast radiär zur Krümmung der durchbrochenen Hornhautstelle nach
hinten läuft. Oefters bleibt keine Spur der ehemaligen Verwachsung zurück.
In anderen Fällen findet man später nur ein kleines Häufchen Irispigment
an der durchgreifenden Hornhautnarbe. Bisweilen wird unter dem Zuge
der Iris der verbindende Pfropftheil zu einem oder mehreren Fäden aus-
gesponnen, welche später einreissen und verschwinden; oder aber fortbe-
stehen und zwischen der hintersten Portion der Cornealnarbe und der Iris
ausgespannt bleiben. Endlich kommen auch Fälle vor, in welchen die
Verlöthung ständig ivird, die Iris also ihre normwidrige Stellung beibehält.
Man nennt diesen Zustand eine partielle vordere Synechie.
c) Bei Durchbrüchen, deren hintere Oejfnung den Umfang eines Ilirse-
koriies überschreitet, pflegen die weiteren Folgen etwas verschieden zu sein.
Perforirt die Cornea in der Mitte, so können die Ausgänge allerdings
den vorhin erwähnten ähnlich oder gleich werden. Meistens aber verwächst
ein Theil oder der ganze Pvpillarrand (Fig. 6) mit Fig. e.
den Seiten des Pfropfes, da die Pupille bei dem
Durchbruche Avegen Verminderung des intraocu-
laren Druckes sich sehr verengert nnd ihr Mand
sohin mit der das Cornealloch stopfenden neo-
plastischen Masse in unmittelbare Berührung "'
kömmt. Die Kapsel, deren Mitteltheil a an die Ränder der Perforations-
öffnung angelöthet wird , kann durch den Druck des sich sammelnden
Kammerwassers später wieder losgerissen loerden und durch Resorption des
ihr etwa aufsitzenden Pfropftheiles sogar wieder ihre normale Pellucidität
erlangen. Immer aber bleibt unter solchen Verhältnissen das Sehvermögen
sehr beschränkt oder wird gar aufgehoben, selbst wenn der Pupillarrand
unter dem Zuge der Trislängsrauskeln sich theilweise wieder frei gemacht
96
Keratitis suppurativa; Ausgänge; Irisvorfall.
hätte, indem der Rest der Pupille ganz oder zum grössten Theile hinter
die Trübung fällt, welche das Hornhautgeschwür bei seiner Heilung zurück-
lässt. Mcht selten jedoch ist die Resistenz des Pfropfes genügend gross,
um dem Drucke des sich sammelnden Kammerwassers Widerstand zu leisten,
die Linse bleibt mit der Hornhaut verbunden und die Kammer stellt sich
nicht wieder vollkommen her.
Bricht die Hornhaut in grösserer Entfernung von ihrem Centrum durch,
so fällt nach Abfluss des Kammerwassers wegen der raschen Verengerung
des Sehloches der Pupillarrand gewöhnlich jenseits der Lücke, es legt sich
ein Theil aus der Breite der Iris an die liintere Cornealöffnung und wird
daselbst durch den von hinten andrängenden Krystall- und Glaskörper
festgehalten. Die Iris verlegt also die Oeffnung , ohne sie völlig zu
schliessen, das Kammerwasser hat freien AbÜuss. So lange dieser ermög-
lichet ist, bleibt der Zustand derselbe, wenn die Verschwärung nicht weiter
schreitet. Früher oder später beginnt ein entzündlicher Process in der
blosgelcgten Irispartie und in Folge dessen wird dieselbe ringsum mit den
Rändern der Perforationsöffnung verlöthet, letztere also geschlossen. ISTun
sammelt sich wässerige Feuchtigkeit im Kammerraume, die Linse tritt zu-
rück, die L-ismuskeln können wieder wirken. Falls die Vereinio-ung der
Iris mit der Cornea nicht schon eine zu feste geworden ist, reisst sich die
Iris wieder theilweise los, das Kammerwasser entleert sich abermals und
so geht es fort , bisweilen Wochen lang. Endlich wird die Verwachsung
eine so innige, dass die Muskelkraft der Iris zur Trennung nicht mehr
zureicht. Der sich sammelnde Humor aqueus übt nun einen Druck auf
die Hinterwand der Hornhaut und der blosgelcgten Irispartie aus, welche letz-
tere vor der Oeffnung gleichwie an einem Rahmen ausgespannt ist. Dieser
Druck genügt in der Regel, um die fragliche Irisportion auszudehnen und
blasenähnlich hervorzutreiben, es entwickelt sich ein Irisvorfall , Prolapsus
iridis (Fig. 7). Derselbe erreicht öfters
kaum die Grösse eines Hirsekornes,
in anderen Fällen übersteigt er den
Umfang einer grossen Erbse. Die
Wandungen der Blase sind immer
sehr dünn , und darum scheint der
wenig erleuchtete Augengrund schwarz
durch.
IHe allmälige Vergrösserung der Blase kömmt nämlicli sum grössten Theile
auf die Ausdehnung des gleich ursprünglich blosgelegteii und ringsum festgelötheten
Iristheiles. Ein Zuzug von Irissubstanz findet nur insoferne statt, als imter dem
bedeutenden Drucke, welcher auf die Blase von hintenber wirkt, das verlöthende
NevgehiJde gezerrt wird und vielleicht etwas nachgibt. Dieses Nachgehen ist aber
in der Regel ein sehr unbedeutendes, da der Widerstand der Verbindungsmasse sehr
erhöht wird durch die Wirkung a h der Irismuskeln, welche die Regenbogenhaut
gespannt erhalten und von dem Loche wegzuziehen streben.
Nicht selten berstet die Blase, besonders wenn ihr Umfang ein ziem-
lich grosser ist , denn mit der Flächenausdehnung des Prolapsus wächst
der Quotient des auf ihn wirkenden intraocularen Druckes. Xach erfolgtem
Durchbruche verlöthen die Rissränder öfters wieder, die Blase tritt neuer-
dings hervor, berstet nochmals u. s. w. Endlich werden nach einer Per-
foration die zusammengefalteten Blasenwände durch entzündliche Producte
zu einem dicken Pfropfe vereiniget, welcher sich mehr und mehr verdichtet
Fig. 7.
Vorfall des Pupillarrandes. 97
und nach Verschluss der Oeffnung dem Drucke des Humor aqueus ge-
nügenden Widerstand leistet, daher zu einer flachen durchy reifenden Comeal-
narbe wird, in welcher der prolabirte Iristheil völlig untevgclit und nur
einige Häufchen körnigen schwärzlichen l'igmentos zurücklässt. Am hin-
teren Umfange der Narbe hängt die Regenbogenhaut dann ringsum fest.
Die Pupille ist unter solchen Umständen immer frei, höchstens etwas
verzogen, meistens auch sehr beweglich und, da das Narbencentrum jen-
seits ihres Randes steht , wird dieselbe gewöhnlich nur theilweise von der
Cornealtrübung überdeckt; häufig fällt sogar das ffcmze Sehloch gegenüber
einer völlig durchsichtigen Poi'tion der Hornhaut. Das Sehvermögen wird bei
Vorfällen eines Theiles aiis der Breite der Iris also höchstens beschränkt,
nicht aber völlig aufgehoben , und die Beschränkung ist oft nicht sowolil
die Folge einer Ueberdeckung der Pupille, als vielmehr der durch die An-
löthung beeinträchtigten Functionstüchtigkeit der Iris selber.
Weit weniger günstig gestalten sich die Verhältnisse, wenn ein Theil
des Pupillarrandes an die Durchbruchsöffnung gelangt. Es kann dieses
gleich im Momente der Perforation geschehen. Eben so oft geschieht es
aber auch erst in weiterer Folge , nachdem ursprünglich nur ein Theil aus
der Breite der Iris biosgelegt worden war, und zwar ist das fragliche Er-
eigniss dann einmal das Resultat einer Vergrösserung des Loches wegen
foi'tschreitender Verschwärung ; das andere Mal aber findet es seine nächste
Veranlassung in der pax'tiellen Schmelzung jeuer Producte, welche den bios-
gelegten Breitentheil der Regenbogenhaut an die Geschwürsränder anlöthen.
Es wird in letzterem Falle nämlich die an die Lochränder angeheftete
L'ispartie unter dem Drucke des Kammerwassers leicht losgerissen und der
betreffende Theil des Pupillarrandes von dem nach aussen strömenden
Humor aqueus in die Perforationsöffnung hinein getrieben.
Schreitet nach einem solchen Vorgange die Verschwärung nicht loeiter,
so wird das biosgelegte oder vorgefallene Stück der Pupillarzone durch
entzündliche Producte an die Lochränder angeklebt und der Rest der Oett-
nung durch einen Pfropf geschlossen (Fig. 8) , welcher nach hinten mit
der Linse oder mit dem anliegenden Theile des Glaskörpers in Verbindung
tritt. Weiterhin verdichtet sich, während die Linse unter dem Drucke des
sich sammelnden Kammerwassers wieder frei p. g
wird, die neugebildete Masse allmälig zu
einer Narbe, mit welcher natürlich der be-
treffende Theil der Pupillarzone der Iris
verwachsen bleibt. Das Sehloch erscheint
dann im Verhältnisse zur Grösse des einge-
lötheten Bogentheiles des Pupillarrandes verkleinert und der Rest desselben
fällt theilweise oder ganz hinter die Cornealnarbe , woraus begreiflicher
Weise eine sehr bedeutende Beeinträchtigung oder völlige Aufhebung des Seh-
vermögens resultirt.
Viel trägt zu diesen üblen Folgen der Umstand bei, dass während
dem Abflüsse des Kammerwassers ,die Pupille sich sehr verengt und sohin
selbst bei kleiner Oeffnung der Hornhaut ein verhältnissmässig grosser Theil
des Pupillarrandes an das Loch gelangt und daselbst fixirt werden kann.
Ueberdies kömmt in Betracht, dass nach erfolgter Stopfung der Perforations-
öffnung die Irismuskeln sogleich zu spielen beginnen, der Kreismuskel nun-
SteUwag, Augenheilkunde. 7
98 Keratitis suppurativa; Ausgänge.
mehr aber an dem Pfropfe einen fixen Punkt gewonnen hat, geyen welchen
er hinzieht. Er bringt auf diese Weise neue und neue Portionen des
Pupillarrandes in die Nähe des Pfropfes und macht deren Verlöthung mög-
lich , besonders wenn gleiclizeitig das Ii'isgefüge in grösserer Ausdehnung
in entzündliche ;^ßtleidenschaft geräth. In der That sieht man bei der-
artigen Bloslegungen eines Theiles des Pupillarrandes und bei nachträg-
licher Anheftung desselben an die Cornea öfters, namentlich bei peripheren
Durehbrüchen, dass die entgegengesetzte Hälfte der Iris gegen das Hornhaut-
loch hin gezerrt und das Centrum der Pupille in gleicher Eichtung yer-
schoben wii'd. Die Gestalt des Sehloches wii'd dabei länglich, selbst spalt-
fdrmig, und der von der Perforationsöffnung entfernteste Eandtheil desselben
nähert sich der letzteren melrr und mehr: ja in einzelnen Fällen tritt er
geradezu bis zu dem Pfropfe heran , verlöthet mit ilxm und so wird die
Pupille völlig geschlossen.
Ist das blosgelegte Stück der Pnpillarzone von einiger Breite , hat also die
Durchbrucbsöffiiung einen ziemlichen Durchmesser und fällt der Pupillarraudtheil
nahe an den centralen Umfang des Hornhaiitloches : so kann nach erfolgter Ver-
löthung die blosgelegte Irispartie hlasenförniig ausgedehnt werden, während ihr Eand-
theil mit dem centralen Umfange der Hornhautöflnung in Berührung bleibt. In
einzelnen Fällen geschieht es auch wohl, dass nicht nur die fragliche Portion der
Iris, sondern auch ein Theil des Pfropfes ausgedehnt wird, welcher die blosgelegte
Portion des Pupillarrandes lixirt, dass sich also ein Prolapsus entwickelt, dessen
centrale Partie aus neugebildeter Masse besteht.
d) Bei Durchhrüchen , deren hintere Oeffnung den Umfang einer Erbse
üherschreitet, gelangt fast immer, selbst bei peripherer Lage des Geschwüres,
ein Theil des Pupillarrandes in den Bereich des Loches. Die blosgelegte
Ii'isportion wird dann dui'ch die nach vorne rückende Linse an der Hinter-
wand der Cornea fixirt, entzündet sich und verwächst ringsum mit den
Eändern des Durchbruches, während gleichzeitig die verengte Pupille durch
einen ExiSudatpfropf geschlossen wird , welcher einerseits an der Vorder-
kapsel, andererseits an dem Lochrande der Hornhaut festhaftet. Es ent-
wickeln sich dann auf der biosgelegten Irisportion bald Granulationen,
welche sich allmälig verdichten und die Horuliautlücke narbig schliessen.
„. - Häufig wird der blosgelegte Ii'istheil
nach erfolgter Verlöthung mit den Eän-
dern des Durchbruches durch den von
hinten andrängenden Humor aqueus aus-
gedehnt und in Gestalt einer erbsen- bis
bohnengrossen Blase hervorgetrieben , es
entsteht ein umfangreicher Prolapsus iridis
(Fig. 9) , welchen man mit dem Namen eines partiellen Irisstaphglomes zu
bezeichnen pflegt. Es kann diese Blase bersten und die zusammengefalteten
Wände derselben können dann zur Grundlage einer flachen Narbe werden.
Oft besteht aber die Blase fort, die ectatischen Wandungen wuchern und
wandeln sich in ein dichtes Narbengefüge um, man hat ein partielles Nai-ben-
staphyloni vor sich.
Nicht selten entleert sich bei so grosser Oeffnung im Momente des
Durchbruches oder später die Linse und ein Theil des Glaskörpers. Der
Augapfel sinkt dann zusammen, seine Wände falten sich und in Folge der
gänzlichen Aufhebung des intraocularen Druckes entwickeln sich sehr be-
deutende Hyperämien der Uvea und Netzhaut. Gewöhnlich schliesst sich die
PartiüUes Irisstiiphyloia; l'hthisis corneae. 99
Perforationsöffnuuy innerhalb einiger Tage, indem wegen dem Zusammen-
sinken des Augapfels die lländer des Loches in der Hornhaut sich nähern
und die Ocffnung selbst durch die prolabirto Irisportion thcilweise gestopft
wird, überdies aber die Pupille alsbald obliterirt. Weiterhin verwächst
die vorgefallene Kegenbogenhautpartie mit den Uurchbruchsrändern und
wird zur Grundlage einer mehr weniger dicken und dichten Hornhautnarbe.
Diese kann ebenfalls ectatisch werden, es kann ein partielles Narhenstaphylom
resultiren. Meisthin aber hleAht die Narbe flach, ja gewöhnlich schrumpft
auch der 7iicht verschwärte Theil der Hornhaut, die vordere Hälfte des
Bulbus flacht sich ab, der Augapfel loird atrophisch. In ziemlich vielen
Fällen kömmt es nach der theilwciscn Entleerung des Augapfels wohl gar
zu sehr intensiven Entzündumjen in dessen Innerem. Die bedeutende Hyperämie,
welche aus der Aufhebung des intraocularen Druckes resultirt und öfters
zu parenchymatösen Blutungen führt, ist ein wichtiges vorbereitendes
Moment. In einem solchen Falle vereitert dann häufig der liest der Cornea,
die Iris , ja selbst ein grosser Theil der Ader- und Netzhaut , der Eiter
entleert sich und der solchermassen phthisisch gewordene Bulbus schrumpft
am Ende auf einen kleinen unregelmässig gestalteten Stumpf von Erbsen-
bis Bohnen- oder Haselnussgrösse zusammen.
Ausnahmsweise stürzt im Momente des Durchbruehes der Glaskörper mit
solcher Gewalt hervor, dass ein Tlieil der an seiner äusseren Wand haftenden
Netzhaut von der Ora serrata losgerissen wird, prolahirt und in die Narhe ehigelöthet
wird. Bei vorläixliger Erlirankung der Aderhaut kömmt es wolil auch zu mäclitigen
Blutergüssen im Inneren des Auges. In einzelnen Fällen ergiesst sich eine so grosse
Menge Bhit zwisclien Choriuidea und Sclera, dass erstere ringsum von letzterer
losgelöst, ja wohl auch ein Theil des Oiliarmuskels abgesprengt wird und das Blut
nach aussen fliesst. Was zurückbleilit, gerinnt und organisirt, während der Bulbus
mehr und mehr dem Schwunde verfallt, zu dicken Schwarten.
e) Geht die Hornhaut yrösstentheils oder ganz durch Vereiterung, Nekro-
hiose oder Brand zu Grunde, so entleert sich die Linse und ein Theil des
Glaskörpers natürlich um so leichter. Phthisis des Augapfels ist daher eine
sehr gewöhnliche Folge dieses Ereignisses.
Es kommen indessen auch Fälle vor, wo die Linse in ihrer normalen
Verbindung mit dem Strahlenkörper bleibt und ihre Integrität bewahrt, oder
wo blos die Vorderkapsel eingerissen wird und der Linsenkern sich ent-
leert. Es erscheint dann die Kegenbogenhaut hinter der normwidrigen
Oeffnung ausgespannt, die Pupille ist sehr verengt und wird binnen kur-
zem durch einen neoplastischen Pfropf geschlossen , welcher hinten mit
dem Centrum der Vorderkapsel verschmilzt. Indem die Iris sich entzündet,
lockert sie sich auf, schwillt an, wird gefässreicher und es erheben sich
an ihrer Oberfläche Fleischwärzchen , durch welche die äusserste Zone der
Regenbogenhaut mit den geschwürigen Kändern des Durchbruches ver-
einiget wird. Später verdichtet sich diese Neubildung zu einer Narbe,
welche mehr und melu* schrumpft und sich auf ein rundliches oder ovales
Scheibchen von dem Umfange einer Erbse zusammenzieht. Die Vorderzone
der Sclera wird so gegen die optische Axe liin gezerrt und nicht selten
sehr bedeutend abgeflacht, während der Bulbus als Ganzes atrophirt.
Es geschieht übrigens auch nicht selten, dass die blosliegende Iris
nacli Verschluss des Sehloches und Verlöthung seines Randes mit der
Vorderkapsel theüweise oder ganz durch das sich wieder sammelnde Kam-
merwasser ausgedehnt und in Gestalt einer gewaltigen Blase über die Ebene
7*
100
Keratitis suppurativa; Ausgänge; totales Irisstapliylom.
Fig. 10.
der vorderen Scleralöffnuiig hervorgebaucht wird. Man nennt diesen Zu-
stand totales Irisstapliylom.
Wird die Iris ihrem ganzen Umfange nach ectatisch, so erscheint das
Zenith der Blase in der Regel genabelt (Fig. 10), indem der die Pupille
schliessende Pfropf sich nicht so stark
ausdehnt, als die Irissubstanz selbst.
Es setzt dieser Ausgang natürlich vor-
aus, dass sich der Pfropf entweder von
der ^^orderkapsel wieder gelöst habe,
oder dass die Zonula geborsten und
die Linse dem Pfropfe nach vorne in die
Concavität des Staphyloms gefolgt sei.
Wo die Vorderkapsel ihre normale Stellung bewahrt und der Pupillar-
rand der Iris sich von ihr nicht losgerissen hat, können blos ein oder
mehrere Theile der blosgelegten Iris ausgebaucht werden, während der Rest
der Regenbogenhaut und ihre Pupillarzone in ihrer normalen Lage ver-
harren und sich allmälig in eine flache j^arbe verwandeln. Das Staphylom
erscheint dann meist wulstähnlich.
In einem oder dem anderen Falle ist die Ausdehnung der ectatischen
Iris nicht an allen Stellen eine völlig gleichmässige. Mcht selten bilden
sich vorläufig Adhäsionen zwischen der hinteren Irisfläche und der Vorder-
kapsel und die verbindenden bindegewebigen IS^eugebilde setzen der aus-
dehnenden Gewalt des Kammerwassers einen grösseren Widerstand ent-
gegen; sie werden dann erst zu Fäden ausgesponnen, ehe sie einreissen
und bedingen so an der Oberfläche des Staphyloms Einziehungen. In
anderen Fällen wuchert das Irisgewebe selbst sehr stark und an einzelnen
Stellen der Blase bilden sich sehnige Flecke oder Stränge, welche weniger
dehnbar sind. In beiden Fällen erscheint (Fig. 11) die Oberfläche des
Staphyloms uneben hügelig , mit ein-
springenden sich vielfach kreuzenden
Furchen, die Ectasie gewinnt eine ent-
fernte Aehnlichkeit mit einer Beeren-
traube, daher der Name : Traubenstaphy-
lom, Staphyloma iridis racemosum.
Das Staphylom der Iris kann bersten
und sich wieder füllen, oder aber nach
erfolgter Berstung zusammengefaltet
bleiben und zur Grundlage einer flachen Narbe werden. Oft jedoch wuchern
die Wände des Ii'isstaphyloms fort und wandeln sich in eine mehr weniger
dicke Narbenmembran um, die ständig ist, es hat sich das Irisstaphj-lom in
ein totales Narbenstaphylom der Hornhaut umgebildet. Der Bulbus bleibt
dann in der Regel vergrössert , obgleich die inneren Theile desselben
atrophiren.
Behandlung. Die Aufgaben der Therapie beziehen sich zum Theile
auf die Beschränkung und Unterdrückung der Suppuratlon; zum Theile
haben sie die Bedingungen für einen möglichst günstigen Verheilungsmodus
der Substanzlücke herbeizuführen; zum Theile endhch zielen sie auf Ver-
hütung der mannigfaltigen secundären Zufälle und auf möglichste Ver-
kleinerung der daraus hervorgehenden Schäden.
Fig. 11.
Behandlung; Antiphlogose. 101
1. Um der Eiterbildung und damit der fortschreitenden Zerstörung des
Hornhautgefiiges zu steuern, gelten im Allgemeinen ähnliche therapeutische
Grundsätze, wie bei den übrigen Eormen der Keratitis. Vor allem anderen
muss natürlich die Beseitigting des cansalen Momentes angestrebt werden.
Es wird in dieser Bezieliuno- bisweilen die Entfernung eingedrungener Fremd-
körjjer, am Bullms streitender Wimpern n. s. w. nothwendig sein. Bei Kalkver-
hvennungen scheint die Abtragung- des Schorfes geboten zu sein, da von demselben
aus der Kalk in die unterlagernden Horuhautscliichten eindringt und zur Aus-
bildung sehr dichter opaker Narben Veranlassung gibt (Gouvea). Bei der neuro-
2>arah/tische7i Form ist die Ap])lication eines Schutzverbandes, welcher äussere
Schädlichkeiten abhält und der Vertrocknung entgegen zu arbeiten vermag , erfor-
derlich. Er reicht hier in der Regel hin, um vorhandene Infiltrate zur Resorption,
offene Geschwüre aber zur Vernarbung zu bringen.
Die Indicatio morhi Avird wesentlich von der Intensität der vorhan-
denen Beizers cheiinui gen bestimmt :
a) Wenn der Process unter stürmischen Erscheinungen der Gefäss-
und Nervenreizung auftritt und so lange er unter höchstgradig entwickelter,
vorwiegend arterieller Hyperämie, chemotischer Schwellung der nachbarlichen
gefässreichen Theile, sp wie unter sehr starker örtlicher Temperaturerhöhung
einherschreitet : sind strenges antiphlogistisches Verhalten, örtliche Wärme-
entziehungen und nach Umständen locale Blutentleerungen am Platze. Ausser-
dem sind täglich mehrraal wiederholte Atropineinträufelungen und bei
oxcessiver Schmerzhaftigkeit des Leidens hypodermatische Einspritzungen
von Morphiums olutionen geboten.
h) Wo sich sowohl Gefäss- als Nervensymptome in den Grenzen
der Massigkeit bewegen, genügen neben entsprechendem Verhalten des
Kranken der Schutzverhand und täglich 1 — 2mal wiederholte Einträu-
felungen der AtropinlÖsung vollkommen. Doch ist das Mydriaticum be-
denklich, falls der Stand des Eiterherdes ein solcher ist, dass im Falle
eines Cornealdurchbruches bei weitem Sehloch ein Vorfall des Pupillarrandes
zu befürchten steht, und wird dann, wo es thunlich ist, besser gemieden.
cj Entwickelt sich der Eiterherd unter relativ geringer Gefässreizung,
dagegen aber höchst intensiver Ciliarneurose, so sind mit dem Schutzverbande
und mit energischer Anwendung des Atropins hypodermatische Einsprit-
zungen von Morphium zu verbinden. Genügt auch dies nicht, um die
heftigen Nervensymptome zu mindern, so kann man, ein ganz verlässliches
Wartpersonale vorausgesetzt, zeitweise und abwechselnd mit dem Schutz-
verbande Ueberschläge mit in laues Wasser oder Camillenaufguss von etwa
30 Grad Reaumur getauchten Compressen versuchen. Nebenbei sind die
Atropineinträufelungen fortzusetzen. Sobald aber die Ciliarneurose zurück-
tritt, die Schmerzen gelindert oder beseitigt sind, müssen die lauen Ueber-
schläge aufgegeben werden. Eine zu lange Fortsetzung derselben pflegt
starke Conjunctivalhj^perämien nach sich zu ziehen und kann selbst zu
ernsteren Bindehautatfectionen, möglicher Weise wohl auch zu ungebühr- .
lieber Vermehrung der Hornhauteiterung führen (Graefe, Classen, Staven-
hagen).
Man wird mit diesen Verfahrungsweisen in den allenneisten Fällen
vollkommen auslangen. Doch kömmt es auch wohl vor, dass die ge-
nannten Mittel ohne erheblichen Erfolg bleiben oder dass wohl die Reiz-
erscheinungen, namentlich die höchst peinliche Ciliarneurose, zurücktreten.
102 Keratitis suppurativa; Behandlung; Entleerung des Aljscesses.
die Eiterbildung und die damit verbundene Zerstörung aber nach wie vor
ihren Fortgang nimmt, das Product sich immer weiter in die angrenzen-
den Hornhautbezirke hineinschiebt und deren Zerfall begründet, der
Herd sich also nach Fläche und Tiefe hin ausbreitet, sich schliesslich
auch mit Ii-itis und oft auch mit Hypopyumbildung combinirt und den
völligen Verlust des Auges durch Phthlsis der Cornea oder durch suppurative
Panoplithalmitis anbahnt.
Es erklärt sich dieser Widerstand des Processes gegen sonst wh'k-
same ^Mittel zum Theile daraus, dass die Resorption bei grösseren Eiter-
infiltrationen Schwierigkeiten findet und überhaupt nicht rasch gefiug er-
folgen kann, dass das Product daher in der Regel dem Durchbruche zu-
strebt, diesen aber keineswegs immer auf dem Icürzesten Wege erzielt,
sondern häufig erst, nachdem der Eiter vom ursprünglichen Herde aus
sich weitliin ditfuudirt und die Cornealsubstanz in grossem Umfange zerstört
hat. Anderseits kömmt in Betracht, dass die fortschreitenden Zerstörungen
in und um den ursprünglichen Herd herum nicht allein auf Rechnung
der Entzündung und etwaiger schmelzender Eigenscliaften des Infiltrates
zu schreiben sind, sondern zum Theile auch auf den beträchtücheu Druck
bezogen werden müssen, unter welchem sich das infiltrirte Gefüge des
Herdes sowie dessen nächste Umgebung befinden. Wie misslich aber ein
hoher äusserer Druck auf die Vegetationsverhältnisse infiltrirter Gewebe
einwirkt, ist genügsam erwiesen.
Es ergibt sich hieraus unmittelbar die Indication, Eiterherde, bei
welchen sich die erwähnten Uebelstände fühlbar machen, zu entleeren oder
wenigstens durch Entspannung der Cornea unter günstigere Lebensbedin-
gungen zu setzen. In der That ist es ein alter Erfahrungssatz, dass
Eiterungsprocesse in der Cornea, wenn sie unter noch so stürmischen Er-
scheinungen einhergehen, unmittelbar nach erfolgtem Durchbruche und Vor-
falle eines Iristheiles sich rasch zum Guten zu wenden pflegen, nicht
mehr weiter schreiten, sondern abstossen, was nicht zu erhalten ist, den
Boden des Geschwüres reinigen und so zur Heilung sich anscliicken. Es
käme also darauf an, diesen natürlichen Vorgang nachzualimen, dabei aber
jeden ferneren Substanzverlust und den Vorfall der Iris zu vermeiden.
Das Mittel dazu liegt in der Paracentesis corneae.
Speciel erscheint diese Operation angezeigt bei umfangreichen Ahscessen
und Nägeln überhaupt ; bei Abscessen, welche nach hinten durchgebrochen
sind, sich rasch aber wieder füllen und grosse oS^eigung zur Flächenaus-
dehnung und Eitersenkung beurkunden; bei Eiterherden jeder Art, wenn sie
unter intensiver Gefäss- und Nervenreizung einherschreiten und wenn ver-
möge der Massenhaftigkeit des aufgehäuften Infiltrates die Gewebstheile
einem starken Drucke ausgesetzt erscheinen. Das Auftreten von Eiter
im Kammerraume oder gar in den tieferen Theilen der Augapfelhöhle ver-
schärft die Indication, ja macht sie zu einer absoluten.
Der Zweck der Operation ist nach dem Vorhergehenden keineswee^s blos die
directe Entleerimg des Infiltrates. Wäre es so, so würde die Operation in den
meisten Fällen nichts fruchten. Namentlich bei Abscessen findet sich nämlich flüssiger
cntleeruno-sfähiofer Eiter nur selten zu einer Zeit, in welcher die Paracentese noch
als Vorbauungsmassregel gegen fortschreitende Zerstörung der Cornea dienen kann
(S. 84). Trotzdem ist auch in diesen Fällen der Erfolg der Paracentese oft ein
lohnender. Die Schmerzen werden meistens gemildert oder gänzlich beseitiget und
Paracentesis corneae; Iridoktomie ; Querspaltnng des Eiterherdes. 103
häufig wird auch noch dem Fortschreiten des Abscesses sowie der Zerstörung der
eigentlichen Hornhnntclcinentc iin Inneren des Eiterherdes Einhalt getlian. Es
steht übrigens sogar fest, dass man ganz ähnliche Resultate erzielen kann, wenn
der Einstich ausserhalh des Abscesses in (jemmder Ilorniiautsubstanz gemacht wird.
Es spricht dieses gegen die neuerlich urgirte (Weher) Nothwendigkeit, den
Inhalt des Abscesses um jeden Preis %u entleeren.
Ist ein Absooss durch die Paraccntese oder spontane lluptur der
Anssenwand theilwcise oder ganz entleert worden und zeigt sich nun dessen
vordere Wand sehr dünn, faltet sie sich vielleicht gar und sinlct sie ein,
ist also wenig Hoffnung vorhanden, dieselbe zu erhalten: so ist es klug,
dieselbe mittelst des scharfen Randes eines Daviel'schen Löffels abzutragen,
die Abscesshöhle demnach in ein offenes Geschwür zu verwandeln. Es
wird solehermassen der Heilungsprocess wesentlich beschleunigt und meistens
resultiren auch weniger dichte und weniger ausgebreitete Trübungen. Die
weitere Behandlung fällt mit jener primärer Geschwüre zusammen.
Im Ganzen soll man sich bei der Vornahme der Operation stets vor
Augen halten, dass die zur Paracentesis auffordernden krankhaften Zustände
an und für sich schwere seien und dass die Operation keineswegs eine
Gewähr für den günstigen Ausgang biete, dass vielmehr der Process trotz
derselben fortschreiten und traurige Folgen setzen könne.
Viel trägt zu diesen Misserfolgen ohne Zweifel der Umstand bei,
dass die Wunde sich sehr leicht wieder schliesst, die ungünstigen Verhält-
nisse also viel zu rasch wiederkehren, als dass der Ausgleich der vorhan-
denen Störungen schon gesichert sein könnte. Es ergibt sich daraus die
Aufgabe, die Wunde der Hornhaut fhunlichst breit anzulegen, und im Dring-
lichkeitsfalle öfters mittelst eines Daviel'schen Löffels oder einer Spatel
zu lüften.
Die öftere Unzulänglichkeit einer elnjnaligen Paracentese, besonders wenn
die Stichöffnung klein ausgefallen ist, hat zu einer Zeit, wo man die Iris der
unljerufenen Einmischung in die heterogensten Krankheitsprocesse zieh, auch zu
Versuchen mit der L-ideJdomie geführt (Qraefe, Mooren, Classen). Die Ergebnisse
sind im Ganzen hefriedigend ausgefallen, was sich aus der längeren Wunde und
der schwierigeren Consolidirung der nachträglichen Verlöthung erklärt, ohne dass
die Irisvcrstümmlung dabei irgend etwas zu thun hätte. In Uebereinstimmung da-
mit wird denn auch jetzt der pherixjhere Linearschnitt, welcher mit dem schmalen
Staarmesser ausgeführt wird, dem Lanzenstiche vorgezogen (Qraefe). Immerhin
hat auch die Iridektomie nicht allen billigen Erwartungen entsprochen (Saemisch).
In neuester Zeit glaubt man nun das richtige Mittel in einer ausgielAgen
Querspaltung des Eiterherdes gefunden zu haben. Es soll bei OescJnvüren, welche
eine ausgesprochene Neigung zur Ausdehnung in die Fläche, besonders nach Einer
Seite hin, äussern und sich gerne mit Iritis paaren, bei genügender Fixation des
Bulbus lind der Lider ein Graefe'sches Staarmesser am äusseren Rande des Ge-
schwüres innerhalb der noch gesunden Hornhautsubstanz eingestossen, rasch durch
die vordere Kammer geführt und am jenseitigen Geschwürsrande wieder durch das
gesunde Cornealgefüge so ausgestochen werden, dass der Geschwürsboden nachher
unter sägenden Bewegungen in seinem grössten Durchmesser durchschnitten,
gleichsam halbirt werde. Das Auge soll hierauf blos mit einer Compresse gedeckt
und mit Atropin in geeigneter Dosis behandelt werden. Da die Wunde aber schon
binnen einer Stunde oder gar früher sich wieder schliesst, soll zur Sicherung des
Effectes anfänglich zweimal des Tages, später in längeren Zwischenräumen die
Verlöthung durch ein spatelähnliches Instrument wieder gelöst werden, bis der
Process entschieden rückgängig geworden ist (Saemisch). Die Erfolge dieser
Methode werden ausserordentlich gelol)t. Doch müssen selbstverständlich die Er-
gebnisse von Controlversuchen abgewartet werden, ehe man sich ein Urtheil dar-
über bilden kann, ob und wann das Verfahren der Paracentesis im engeren Wort-
104 Keratitis supparativa; Behandlung; Warme üeberschläge.
sinne gegenüber wirkliche Vortlieile bietet und die grösseren Gefahren einer um
so viel eingreifenderen Operation aufwiegt.
Nach der Paracentesis corneae ist der Schutzverband anzulegen und
Bettlage des Kranken, überhaupt strenges antiphlogistisches Verhalten,
allenfalls mit öfters wiederholten Einträufelungen von Atropinlösung anzu-
ordnen. Sollte aber die Atisdehnung des Eiterherdes und die Intensität der
Entzilndungserscheinungen jede Hoffnung auf den Fortbestand eines zur
Anlegung einer künstlichen Pupille genügenden Theiles der Cornea ab-
schneiden, so ist es gerathen, durch Üeberschläge mit in laues Wasser
getauchten Compressen oder durch Cataplasmen die Eiterbildung zu fördern
und so zu hindern, dass der Suppurationsprocess. sich Wochen lange
hinausziehe und am Ende gar das Allgemeinbefinden des Kranken gefährde.
Bei Tofalabscessen der Cornea, namentlich wenn sie als Theilerscheinung
einer eiterigen Fanophthalmitis auftreten, ist ein solches Verfahren nach
der Paracentese und theilweisen Entleerung des Eiters aus dem Bulbus
ganz besonders zu empfehlen.
d) Bei ganz reizlosen, trotzdem aber rasch nach allen Richtungen, beson-
ders nach der Fläche sich atisdehnenden Eiterherden pflegen bei voraus-
sichtlich sorgfältigster Application latie Üeberschläge abwechselnd mit dem
Schutzverhande und nebenbei Einträufelungen von Atropinsolutionen gute
Dienste zu leisten. Unter ihrer Anwendung stellt sich gewöhnlich als-
bald einige Reaction ein, die Conjunctiva und das Episcleralgewebe injiciren
sich und schwellen etwas an, das Auge wird empfindlicher und rings um
den Eiterherd bildet sich eine graue trübe Demarcationslinie, über welche
der Eiter nur schwer mehr vordringt.
Im Allgemeinen gilt als Regel, dass die Üeberschläge um so wärmer ge-
nommen werden, je geringer die Reizerscheinungen sind. Doch soll ihre Temperatur
niemals 32 Grad Reaumur übersteigen. In dem Masse, als sich Reaction einstellt,
soll die Wärme vermindert und weiterhin der Schutzverband mit dem Atropin allein
benützt werden. Im Falle als die Reaction nach den lauen Ueberschlägen eine
ganz tingehiihrlich heftige würde, wird man vielleicht gar zu kalten Ueberschlägen,
Blutegeln etc. greifen müssen. Das Vorhandensein von Iritis und Hypopyon contra-
indicirt bei Abgang der Reizsymptome die Anwendung der feuchten Wärme nicht.
Auch hat das ätiologische Moment durchaus keinen Einfluss auf die Indications-
grenzen (Graefe). Bei minder sorgsamen Kranken und Wärtern bringen laue
Üeberschläge indessen gerne Schaden und werden vortheilhaft durch den Schutz-
verband ersetzt.
e) Bei chronischen Geschioüren , welche unter sehr geringen E-eizer-
scheinungen wochenlang fortbestehen, fortwährend geringe Mengen Eiter
absondern und, jedes Heiltriebes entbehrend, an Tiefe und Umfang stetig
zunehmen, sowie
f) Bei ulcerativen Substanzlücken, welche nach erfolgter Beinigung
nicht die mindeste Neigung zur Ausfüllung verrathen und bei gänzlichem
Mangel aller Reizsymptome wochenlange unverändert bleiben : sind reizende
Mittel mit der nöthigen Vorsicht örtlich anzuwenden. Ihr Zweck ist An-
regung des Ernährungsprocesses in der Hornhaut, um so die Regeneration
neuen Cornealgefüges zu beschleunigen. Am meisten empfehlen sich die
gelbe Quecksilberoxydsalbe und Einpinselungen von reiner oder verdünnter
Opiumtinctur. Laue Ueberscliläge leisten hier wenig.
Mit Nachdruck ist zu warnen vor der Anwendung von Bleiioässern sowie
vor der Einträufelung von mit Laudanum versetzten Collyrien aus Bleizucker,
Höllenstein, Zink- und Kupfervitriol. Es bilden diese Lösungen gerne Nieder-
Nachbehandlung; specielle Indicationen bei Geschwüren. 105
schlage auf dem Boden des Geschwüres, welche überaus fest haften, den letzteren
bei längerem Gebrauche incrustiren und, indem sie von Granulationen ül)erwucliert
werden, sich bisweilen förmlich inkapsuliren, intensive Trübunp;en zurücklassend.
Noch gefährlicher ist die Application eigenilichev Cau.if.ica, liesonders des
viel gerühmten Höllensteinen. Selbst die vorsichtigste und leiseste Berührung des
Geschwürsbodens mit Ilöl/enstein in Substanz pflegt vermöge der leichten Löslich-
keit des reinen Lapis Infernalis verhältnissmässlg sehr bedeutende Zerstörungen
nach sich zu ziehen und somit das Geschwür nach Umfang und Tiefe mächtig zu
vergrössern. L^eberdles ist die Keaction auf solche Eingrift'c in der Regel eine
sehr heftige und in P'olge dessen wird die Eiterung vermehrt statt vermindert,
die Substanzlücke wächst hinterher meistens schneller als zuvor.
2. Hat der entzündliche Process seinen Höhepunkt überschritten und
neigt er unter Abnahme der hegleitenden Heizer scheinungen entschieden zum
Abschlüsse hin, erweitern sich die Grenzen des Eiterherdes nicht mehr,
verengern sie sich im Gegentheile, indem bei geschlossenen Abscessen viel-
leicht die Anfsaugung einen raschen Aufschwung nimmt, bei offenen Ge-
schwüren aber der Grund sich allmälig reiniget und gleichzeitig durch
Regeneration des verlorenen Gewebes wieder gehoben wird : so ist, wenn
sonst keine Rücksichten zu beobachten sind, jedes stark eingreifende Kur-
verfahren unnütz und kann sogar die Heikmg stören ; dann hat sich die
l^ehandlung mehr auf die Abicehr möglicher schädlicher Einflüsse zu be-
schränken, zu welchem Ende eine entsprechende Augendiät, insbesondere
das Tragen eines Schutzverbandes, anzuordnen ist. Erst wenn die Empfind-
lichkeit des Auges völlig beseitiget und der Substanzverlust in der Horn-
liaut vollständig ausgefüllt und mit Epithel überkleidet ist , darf der
Kranke allmälig und unter grosser Vorsicht zu seiner gewohnten Lebens-
weise zurückkehren.
Bleibt nach Schliessung der Substanzlücke eine Trübung zurück , so ist
der Versuch, durch Einstäubung von Calomel und weitei'hin durch die
gelbe Quecksilberoxydsalbe eine Aufhellung zu bewerkstelligen, gerecht-
fertigt. Immer sind diese Mittel mit grosser Vorsieht und anfänglich nur
probeweise in Gebrauch zu ziehen.
3. Ausser diesen mehr all geineinen Indicationen werden durch die
speciellen Verhältnisse der verschiedenen Herdformen eine Reihe von Sonder-
anzeigen begründet, deren genaue Erfüllung nicht minder nothwendig ist,
soll die ganze Behandlung den oben erwähnten Grundaufgaben mir einiger-
massen genügen.
Bei offenen Ge.schwUren ist , abgesehen von den bereits erörterten
Indicationen, noch besonders auf etwaige Vorbauchungen des Geschwürsbodens
und auf Durchbrüche Rücksicht zu nehmen.
In Anbetracht dessen muss, da Mittel fehlen, um die Widerstands-
kraft der verdünnten Cornealpartie rechtzeitig zu erhöhen^ mit der grösstcn
Sorgfalt auf Vermeidung momentaner Steigerungen des intraocularen Druckes
hingewirkt werden. In dieser Beziehung leistet der Schutzverband erfah-
rungsgemäss die besten Dienste. Allerdings erhöht er das Totale des
intraocularen Druckes ; allein indem er direct auf die Vorderwand des
Augapfels wirkt, neutralisirt er den Binnendruck theilweise gerade an jener
Stelle, an welcher derselbe von üebel sein könnte. Ausserdem ist es
von der grössten Wichtigkeit, gleichzeitige kräftige Zusammenziehungen der
geraden Augenmuskeln zu verhindern. Zu diesem Ende ist grösste Körper-
106 Keratitis snppurativa; Behandlung; Geschwüre.
ruhe, am besten horizontale Bettlage, anzuempfehlen und insbesondere
das Fiessen, Husten, Erbrechen, schwerer Stuhlgang, Schreien, starkes
Bücken u. s. w. zu vermeiden.
Bei grossen, tief greifenden Geschwüren genügt dies indessen nicht
immer, um Durchbrüche hintanzuhalten. Steht daher ein solcher in naher
Aussicht, so kann man nach Torläufiger Erweiterung der Pupille die Para-
centese der dünnsten Stelle des Geschwürsbodens oder, falls ein umfangs-
reicher centraler Eiterherd das Zurückbleiben einer dichten Narbe und so-
hin die spätere Nothwendigkeit einer künstlichen Pupillenbildung mit
Gewissheit erwarten lässt, auch wohl gleich eine Iridektomie versuchen.
Es wird solchermassen bisweilen verliindert, dass ein langer Einriss erfolgt
und die Oeffnung sodann unter fortschreitendem Zerfall des Geschwürs-
grundes sich erweitert.
Bei ängstlichen und widerspänstigen Kranken ist es vortlieilhaft, die
Operation während der Narliose vorzunehmen, um kräftige Contractionen der
Augenmuskehi auszuschliessen. Die Narkotisirung sell)st muss eingeleitet werden,
während ein Druckverband die Augen schliesst, weil die Eeactionen des Kranken
im Halbrausche oft sehr heftig sind. Im Ganzen wird mau dabei grosse
Schwierigkeiten finden und oft geschieht es, dass der Geschwürsgrund in Folge
der starken Muskelcontractionen berstet, ehe man zum Schnitte kömmt oder diesen
vollenden kann.
Nach erfolgter künstlicher oder spontaner Perforation bleiben antiphlo-
gistisches Verhalten des Kranken, insbesondere aber grösste Körperruhe
nebst der Anlegung eines Compressivverhandes strenge indicirt. Der Druck-
verband hat in diesem Falle auch den Zweck, den auf Null gesetzten
intraocularen Druck einigermassen zu erhöhen und so die Neigung zu
passiven Congestionen, Blutergüssen und Entzündungen im Inneren des
Augapfels zu vermindern.
Eine zweite, höchst loichtige und niemals zu vernachlässigende Massregel
ist die Entfernung des Pupillarrandes aus dem Bereiche der dünnsten Stelle
des Geschwürsbodens. Wo immer eine Perforation sich als wahrscheinlich
oder auch nur als möglich darstellt, ebenso wie dort, wo dieselbe künstlich
herbeigeführt werden soll, muss dem Umstände vorsorglich Rechnung ge-
tragen werden , dass Anlöthungen und Vorfalle des Pupillarrandes das
Auge als Sehorgan in weit höherem Grade gefährden, als Anheftungen
eines Theiles aus der Breite der Iris oder der Vorderkapsel an die Ge-
schwürsränder der Cornea (S. 97).
Bei kleineren Geschwüren und überhaupt in Fällen, in welchen der
Geschwürsboden nur an einer engumschriebenen Stelle sehr tief eingesenkt
ist und den Durchbruch droht, lässt sich dieser Anforderung leicht Ge-
nüge leisten. Steht ein solches Geschwür oder der dünnste Bodentheil
einer umfangreicheren TJlceration nahe oder in dem Centrum der Hornhaut,
so muss die Pupille möglicJist loeit gehalten werden. Bei peripheren Ge-
schwüren ist das Sehloch möglichst zu verengern. Ist die Perforation unge-
fähr in der Mitte eines Meridians der Cornea zu erwarten, so kann die
Pupille sowohl sehr weit, als sehr enge gehalten werden. Insoferne aber
die Mittel zur dauernden Erweiterung des Sehloches verlässlicher sind, als
jene zur Verengerung, so ist die Dilatation unbedingt vorzuziehen.
Um die Pupille zu erweitern und möglichst weit zu erhalten, dienen
bekanntlich die Mydriatica ; um das Gegentheil herbeizuführen , aber die
Calabarpräparate.
Specielle Indicationen bei Geschwüren. 107
Ist der Durchhruch bereits erfolgt iiud liegt ein vom Sehlochrande ent-
fernterer Theil der Irishreite an oder in dem Loche, so darf unter Ivoincr
Bcdingamg die Functionstüchtigkeit des Sphincters durch Mydriatica ge-
schwächt werden, vielmehr ist dort, wo eine leicht reizende Wirkung nicht
bedenklich erscheint , die Contraction des Schliesst^iuskels durch Calübar-
j}räparate zu verstärken. In allen anderen Fällen aber muss Atropin ange-
tvendet iverden, iim den Pupillarrand weit vom Loche entfernt zu erhalten
und die Verlöthung grösserer Portionen desselben mit dem Exsudatpfropfc
zu verhindern.
Bei 2)eripherer und sehr kleiner Durclibruc-lisfJftnuiig ist die volle Wirksamkeit
des Sehliessmuskels insüierne von grossem Wertlie, als sie nach WiederherstelUing
eines Kammerraumes die Lostrennung der angeklebten Regenbogenhaut von der
Wundöft'nung erleichtert. Bei rimfamjreicheren Perforationen aber, wo die Bildung
einer vorderen Synechie nicht zu vermeiden ist, unterstützt sie die verlöthende
Masse in ihrem Widerstände gegen den Zug, welchen die blosgelegte und vom
Kammerwasser nach vorne gedrängte Irispartie auf diese Masse ausübt; sie vermag
daher wiedei'holte Eröflnuugen der Kammer zu ei'schweren und insbesondere zu
verhüten, dass erst nachträglich ein Theil des Piipillarrandes in die Oefl'nung ge-
trieben werde.
Baucht sich dann der Vorfall stark hervor und vergrössert sich die
Blase mehr und mehr, so ist wegen der relativen Zunahme des auf ihre
Hinterwand wirkenden Druckes die Möglichkeit gegeben , dass trotz der
Contraction des Sphincters die verlöthende Neubildung nachgibt und der
Pupillarrand in das Loch gelange. Um dieses zu vermeiden, muss die Iris-
blase durch eine flach auf die Hornhaut aufgelegte, nach der Fläche gekrümmte
Schere abgekappt werden, worauf der Druckverband bis zur völligen Ver-
heilung der Oeffnung getragen werden soll.
Das Aetzen des vorgefallenen Theiles der Iris ist jedenfalls in hohem Grade
bedenklich. Die darauf folgende Reaction ist meistens eine sehr heftige und nicht
selten kömmt es zu verderblichen Iritiden. Auch das Einträufeln von Opiumtinctur
ist schädlich, da wegen der heftigen Schmerzen, welche dieses Mittel verursacht,
gewöhnlich sehr kräftige Contractionen der Augenmuskeln angeregt werden luid so
die Veranlassung zu Veryj-nsserungen des Vorfalles, zu neHerllchen D^irchhrüchen und
selbst zu einem Prolapsus des Piqnllarrandes gegeben werden kann. Ganz erfolg-
los und wegen der bedevitenden mechanisciien Reizwirkung axxch gefährlich sind
Versuche, einen bestehenden Irisvorfall mittelst Sonden oder anderen Instrumenten
zurückzubringen.
Bei umfangreichen Geschwüren, bei welchen ein Durchbruch mit loeiter
rundlicher Oeffmmg zu befürchten ist, sind stets Mydriatica anzuwenden. Den
Pupillari'and ganz aus dem Bereiche des künftigen Durchbruches zu bringen,
dürfte allerdings nur selten gelingen. Der Vortheil, welchen die Mj^driasis
bietet, liegt dann darin, dass bei weiter Pupille möglicher Weise ein relativ
kleinerer Bogentheil des Pupillarrandes an die Oeffnung gelangt und daselbst
anheilt , als bei gleichweitem Durchbruche und enger Pupille ; dass also
dadurch einer Schliessung oder einer völligen Verdeckung der Sehe von Seite
der zu erwartenden ausgedehnten Cornealnarbe wirksam vorgebeugt wird.
Ist die Hornhaut schon in grösserem Umfange durchbrochen und ein an-
sehnliches Stück der Iris mit seinem Pupiüartheile blosgelegt, so handelt es
sich vornehmlich darum, der Vorbauchung des blosgelegten Iristheiles, also
der Staphylombildung und der häufig damit verbundenen Verkrümmung der
nicht zerstörten Theile der Cornea, zu begegnen. Der Schutzverband ist
imter solchen Verhältnissen ganz unentbehrlich. Er muss bis zur völligen
108
Keratitis suppurativa; Paracentesis corneae.
Consolidation der iS'arbe getragen und jede Verschiebung desselben sorg-
fältig vermieden werden.
Ist ein Irisstaphylom schon entwickelt, so ist die Abtragung oder Spal-
tung desselben erforderlich. (Siehe Therapie des ISTarbenstaphyloms.)
Ist die Linse und ein Theil des Glashörpers schon entleert, so handelt
es sich nur mehr darum , durch einen Druckverband und zweckmässiges
Verhalten des Kranken weitere Schädliclikeiten von dem Auge fernzuhalten,
um den Vereiterungsprocess möglichst einzudämmen und abzukürzen. Geräth
aber dennoch die Phthisis bulbi in vollen Gang, so ist es das Klügste, dui*ch
warme IJeberschläge die Eiterung möglichst zu beschleunigen iind den Ab-
schluss des Processes solchermassen zu fördern.
Die Eröffnung der Kammer, Paracentesis corneae.
Anzeigen. Die Operation erscheint indicirt : a. Bei umfangreicheren
Eiterherden in der Hornhaut, wenn es sich darum handelt, flüssige Producte
zu entleeren oder einen auf die Gewebstheile des Herdes wirkenden gefähr-
lichen Driiclc zu beseitigen^ oder der Vorbatichung und dem Durchrisse eines
Geschwürsbodens zu steuern, b. Um im Kammerraume angesammelte grössere
^Mengen von Eiter, Blut, geblähten Staarresten etc. zu entfernen, c. Viel-
leicht bei der Keratitis diffusa, um zu entspannen.
Vor nicht Langem wollte man in systematischen und der Zahl nach ganz
unbegrenzten Wiederholungen der Paracentesis eine Art Wundermittel gefunden
haben , dessen Einflnss auf die Vegetationsverhältnisse des Auges bei fast allen
mögliehen Krankheiten Heilwirkungen erzielt, beginnende Stasen und Atrophien
behebt, Cataracten heilt, Glaucome beseitigt etc. (Sperino). Vorurtheilsfreie Ver-
suche haben jedoch diese überschwenglichen Hoffnungen alsbald wieder zerstört
und das Verfahren als ein unzioeckmässiges herausgestellt.
Verfahren. Behufs der Operation wird der Kranke in horizontale
Bettlage gebracht. Während die Lidränder bei möglichst weit geöffneter
Lidspalte fixirt werden, stösst man
ein Lanzenmesser schief durch den
Eiterherd (Fig. 12) in die Kammer,
so dass eine 1 V2"' — 2'" lange,
lineare , nach der Eichtung einer
Sehne ziehende , durchdringende
Wunde gebildet wird. Der Einstich
soll immer in einiger Entfernung
von der Hornhautgrenze und schief
auf die beiden Oberflächen der
Cornea geführt werden , weil auf
solche Weise am sichersten dem
Vorfalle der Iris vorgebeugt wird.
Es braucht nicht erst erwähnt zu
werden, dass das Messer, sobald es
die Descemeti durchdrungen hat,
gewendet werden muss , um Ver-
letzungen der Vorderkapsel zu verhindern.
Unmittelbar nach der Operation ist ein sicher und gut passender Druck-
verband anzulegen , für absolute Körperruhe des Kranken im Bette zu
sorgen und überhaupt so vorzugehen, wie nach der künstlichen Pupillen-
Pannus; Pathologie. 109
bildung. Nacli zwei Tagen ist gewöliulich die Wunde verheilt und die
durch die Operation gesetzte Gefahr beseitigt.
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Folgezustände der Keratitis.
1. Pannus.
Pathologie. Im Allgemeinen versteht man unter Pannus eine toenig
veränderliche, von Gefässen durchsponnene oberflächliche Trübung der Cornea.
Es wird daher auch vielfach die chronische Keratitis in den BegriflP des
Pannus eingeschlossen. Streng genommen ist aber der Pannus das Product
einer bereits abgelaufenen Entzündung, in welchem die Gewebswucherung als
solche , die Bildung neuer krankhafter Elemente , in den Hintergrund ge-
treten ist und der Ernährungsprocess sich mehr auf die Erhaltung oder
blosse Höhergestaltung der durch die Entzündung gesetzten Neoplasie be-
schränkt. Wo die Entzündung als solche auffallend hervortritt, sollte man
daher nicht einfach von Pannus , sondern von einem entzündeten Pannus,
von einer Keratitis pannosa sprechen.
Bei den niederen Graden des Pannus, dem sogenannten Pannus tenuis, finden
sich dieselben pathologisch -anatomischen Veränderungen, wie bei der Keratitis
vasculosa (S. 59) ; nur sind die Elemente in ihrer Höhergestaltung schon weiter
vorgescliritten. Bei höhergradigem Pannus, dem Pannus crassus , stösst man unter
dem sehr verdickten und unregelmässig geschichteten Epithel immer auf ein mehr
minder mächtiges Stratum von bindegewebigem Charakter, welches von neugebildeten
und mit deutlichen, zum Theile sogar mit dicken Wandungen versehenen Gefässen
durchsponnen wird. Das tmter der oft selu' lückenhaften Bowman'schen Schichte
gelegene Stratum dicht an einander gedrängter ncoplastischer Zellen hat sich gleich-
falls schon in Bindegewebe umgewandelt, oder beurkundet wenigstens die Neigung
dazu durch starke Streckung der answachsenden Zellen und Entwickelung einer
streifigen Intercellularsubstanz. Es führt eben solche neiigebildete Gefässe, die theil-
weise unter grossen Winkeln in die Tiefe dringen und in dem von Zellenanhäufungen
getrübten Cornealgefüge verschwinden (Wedl, Iwanojf).
Krankheitsbild. Der Pannus tenuis ist in der Eegel auf einzelne
Theile der Cornea beschränkt und stimmt in relativ frischen Fällen seiner
äusseren Erscheinung nach mit der Keratitis vasculosa superficialis überein.
110 Pannus; Krankheitsbild.
Hier wie dort findet mau dasselbe sulzähiiliche trübe Aussehen, dieselbe
Eauhigkeit der scheinbar aufgelockerten Oberfläche und dieselben centri-
petal ziehenden, vielfach unter einander anastomosirenden Gefässe. In
veralteten Fallen aber erscheint die Oberfläche der Cornea weniaier rauh,
obgleich matt und statt der sulzähnlichen zeigt sich eine mehr grauweisse,
am Rande streifig wolkig verschwommene, von Gefässen durchwebte Trübung.
Der Pannus crassus, carnosus oder sarcomatosus, ist in der Mehrzahl
der Fälle über die ganze Hornhaut ausgedehnt. In frischeren Fällen stellt
er sich als eine mehr weniger dicke, oberflächlich rauhe und matt glän-
zende, lockere, sulzähnlich durchscheinende, graugelbliche oder röthliche,
mit einem Netze grober Gefässe durchsponnene oder wegen übergrossem
Gefässreichthume gleichmässig blutrothe und leicht blvitende Schichte dar,
welche die Hornhaut von vorneher überzieht und mit dem Limbus con-
junctivalis unmittelbar zusammenhängt. In höchstentwickelten Fällen wuchern
aus der Oberfläche dieses pannösen Stratums dichtgedrängte fleischioärzchen-
ähnliche Auswüchse von verscliiedenem Caliber hervor, die Cornea gewinnt
das Aussehen einer granulirenden Wundfläche. In Fällen älteren Datums
schrumpft diese lockere Masse , die warzigen Erhabenheiten verlieren
sich, die Oberfläche der Cornea wird weniger rauh, matt sehnenglänzend,
die pannöse Schichte verwandelt sich allmälig in einen dichten derben
sehnenähnlichen Uebcrzug, welcher seinerseits -wieder in manchen Fällen von
lockerem Bindegewebe überkleidet wird , das unmittelbar mit dem Limbus
conjunctivalis zusammenhängt und gleichsam eine Fortsetzung der Binde-
haut darstellt.
Die pannösen Gefässe der Cornea sammeln sich am Hornhautrande in
dicke wenig verzweigte Stämme, welche zum grossen Theile im eigentlichen
Conjunctivalgewehe selbst liegen und in unregelmässigem Zuge gegen die
Uebergangsfalte der Conjunctiva Irin streichen, wo sie sich in das Orbital-
gefüge einsenken. Sie sind mit der Bindehaut an der Oberfläche des
Bulbus verschieblich. Im Episcleralgewebe finden sich grobe ausgedehnte
Gefässstämme nur in einiger Entfernung von der Cornealgrenze.
Ueberhaupt ist beim reinen Pannus das Episcleralgewebe der Regel
nach nur in geringem Grade injicirt. Ebenso fehlen meistens heftigere
Schmerzen und Lichtscheu, der Kranke wird dafür sehr durch die Trübung
des Gesichtes belästigt.
Hierin und in der Stabilität der Erscheinungen liegt das hauptsäch-
lichste Unterscheidungsmerkmal des Pannus und der Keratitis vasculosa
superficialis. Wo das Episcleralgewebe stai-k injicirt , von einem dichten
Gefässnetze rings um die Cornea durchwebt erscheint, örtliche Temperatur-
erhöhung, reichliche Absonderung heisser Thränen, Schmerzen und Licht-
scheu sich geltend machen : dort hat man es nicht sowohl mit einem
reinen Pannus, sondern entweder mit einer Keratitis im engeren Wortsinne
zu thun, oder aber mit einem Pannus, neben und in welchem sich aus
irgend welcher Veranlassung neuerdings eine eigentliche Entzündung ent-
wickelt hat.
Einige Besonderheiten des Ki'ankheitsbildes resultiren ausserdem noch
aus der Yerschiedenlieit des pathogenetischen Momentes.
Ursachen. 1. In den meisten Fällen hat der Pannus die Bedeutung
eines Cornealtrachomes und findet sich in Gesellschaft einer Ophthalmia
Ursaclieii; Paunus liachuin. , Iraumul., herpef.; Verlauf. 111
graaulosa; der trachomatöse Wucherungsprocess hat sich von der Binde-
haut durch den Limbus conjunctivalis auf die mit letzterem in unmittel-
barem Zusammenhange stehenden obertlächlichon Htrata der Hornhaut- fort-
gepÜanzt und daselbst jene Veränderungen gesetzt, welche mit dem Namen
Pannus bezeichnet werden. Das vorhin entwickelte IJild des l*annus passt
vornehmlich auf diese Form, ja der Pannus crassus kömmt in der ge-
schilderten Gestalt fast nur neben hochgradigem Bindehauttrachome vor.
Die Keratitis, aus welcher der Painnis sich entwickelt, tritt öfters fast gleich-
zeitig mit dem Bindehauttrachome oder doch in den ersten Stadien des letzteren
auf. Ebenso oft indessen kömmt der Pannus auch S2i'dl zu Stande, ja nicht selten
bildet er sich erst neben veralteten Bindehauttrachomen aus. Die nächste Veran-
lassung zu seiner Entwickelung sind nicht selten rein äusserlidte Verhältnisse, z. B
eine fortgesetzte zvi stark reizende Behandlung, die Einwärtskehrung von Wimpern
u. s. w. Oftmals sind auch ausgebreitete Bindehautnarhen, sie mögen nun entweder
unmittelbar durch Schrumpfung der trachomatösen Conjunctiva, oder durch Aetz-
wunden bedingt worden sein, als die nächste Ursache des Pannus aufzufassen.
Diese Narben beleidigen nämlich die Hornhaut einerseits direct nach Art fremder
Körper durch die Rauhigkeit ihrer Oberfläche; andererseits unterhalten sie Reiz-
zustände am Auge durch die nebenhergehende Verminderung der Absonderungen
und somit durch verstärkte Reibung zwischen dem Conjunctivalsacke und der Ober-
fläche des Bulbus beim Lidschlage. Die solchermassen begründeten Fälle von
Pannus bilden gleichsam einen Uehergang vom Pannus trachomatosus zum traumaticus.
2. Der reine Pannus trarimaticus wird hegriindet durch die fortgesetzte
Einwirkung mechanischer oder chemischer Schädlichkeiten auf die Horn-
haut. Die gewöhnlichsten Veranlassungen sind : nach einwärts gekrümmte
oder durch Entropium mit der Cornea in Berührung gebrachte Cilien,
fremde in dem Conjunctivalsacke haftende Körper, unzweckmässige fort-
gesetzte Anwendung scliarfer Salben, CoUyrien etc., sowie die stetige Ein-
wirkung der atmosphärischen Luft bei Verkürzungen der Lider, bei Ectro-
pium, Lagophthalmus, Exophthalmus.
Mechanische Schädlichkeiten , welche omr auf einen Theil der Cornea ein-
wirken, haben sehr oft nur einen partiellen Pannus im Gefolge, wenigstens tritt die
pannöse Gewebswucherung an der der Reizwij-kung direct ausgesetzten Portion der
Cornea viel auffälliger hervor.
Als Eigenthümlichkeit dieser Form des Pannus ist übrigens zu erwähnen,
dass neben dem oberflächlichen gefässhaltigen pannösen Stratum sehr häufig leuco-
matöse Trübungen der tieferen Hornhautschichteu beobachtet werden.
3. Eine dritte Species des Pannus ist der Pannus herpeticus. Dieser
ist das Resiiltat andauernder herpetischer Processe auf der Hornhaut. Er
präsentirt sich meistens unter der Form des Pannus temils und ist dann
häufig auf die Cornea beschränkt. Erreicht er den Grad eines Pannus
crassus, so ist er meistens mit herpetischem Bindehautpannus gepaart. Das
charakteristische Merkmal dieser Specialform sind die in das pauuöse Stra-
tum eingestreuten eigenthümlichen herpetischen Knoten, Narben, Exfolia-
tionen und frischen Eftiorescenzen. Er kömmt sehr oft in Combination
mit dem trachomatösen Pannus neben veraltetem Trachom vor.
Verlauf. Der Pannus, sich selbst überlassen, besteht oft Monate und
Jahre lang ziemlich unverändert fort und schreitet nur sehr langsam seinen
endlichen Ausgängen zu. Wichtig sind in prognostischer und therapeuti-
scher Beziehung die entzündlichen Episoden, welche sich im Verlaufe des
Pannus jeglicher Art so häufig geltend machen und unter ungünstigen
Verhältnissen trotz aller Therapie immer wiederkehren , den Kranken im
höchsten Grade peinigen und am Ende zu unheilbaren Schäden füloi'en.
112 Pannus ; Ausgänge ; Pannus siccus.
Ausgänge. Der Pannus jeglichen Grades kann möglicher Weise toII-
ständig und ohne Trübung zu hinterlassen heilen , vorausgesetzt , dass er
nicht veraltet ist. Spontan heilt indessen nur der Pannus tenuis , wenn,
so lange er frisch ist, die ätiologischen Momente völlig beseitigt werden
und beziehungsweise auch sonst günstige Verhältnisse mitwirken.
Wo die Umstände der Heilung weniger förderlich sind , verwandelt
sich der Pannus in eine gefässarme oberflächliche Macula, in einen Sehnen-
fleclc, oder gar in ein fibröses häutiges Gebilde, welches die Hornhautober-
fläche überdeckt und gleichsam eine Fortsetzung der Bindehaut darstellt.
Bisweilen ist in Fällen der letzteren Art auch die Conjunctiva in ähnlicher
Weise entartet und der sehnige Ueberzug der Cornea erscheint dann eigen-
thümlich trocken, seine Oberfläche seidenglänzend oder schilferig matt, ein
Zustand, den man mit dem Namen Pannus siccus belegt hat und welcher
in der Regel die Theilerscheinung eines Xerophthalmus abgibt. Auch
kömmt es vor, dass unter häufigeren Recidiven des entzündlichen Processes
die pannöse Cornea am Ende ausgedehnt, blasig vorgetrieben wird, ein
Zustand , welchen man mit dem Namen Keratectasia ex panno belegt hat.
Im Allgemeinen kann man sagen, die Prognose sei um so günstiger,
je dünner der Pannus und je jünger derselbe ist. Veraltete, selbst sehr
dünne Panni liinterlassen fast immer eine oberflächliche Macula. Ebenso
heilt auch der Pannus crassus nicht leicht vollständig; eine oberflächliche
epitheliale oder sehnige Trübung bleibt häufig zurück, selbst dann, wenn
die pannöse Schichte erst kurze Zeit besteht , also noch sulzähnlich er-
scheint, die Therapie eine völlig entsprechende ist und der Kranke sich
unter beziehungsweise günstigen Umständen befindet.
Unter den einzelnen Specialformen des Pannus gewährt der trachoma-
tosus bei übrigens gleichen Umständen die meiste Aussicht auf vollständige
Heilung. Unter geeignetem Kurverfahren schwindet der Pannus meistens
rascher, als das Trachom selbst und wenn die pannöse Schichte nicht gar
zu dick ist oder schon zu lange besteht, wird die Hornhaut gewöhnlich
wieder völlig durchsichtig oder behält doch nur eine ganz oberflächliche
dünne wolkige Trübung. Doch gilt dieses alles nur dort, wo die Binde-
haut nicht bereits von Narben durchsetzt oder gar in grosser Ausbreitung
geschrumpft ist. In Fällen letzterer Art wird selbst der Pannus tenuis in
der Regel nur auf einen gefässarmen Hornhautfleck reducirt und kehrt
über kurz oder lang wieder.
Beim Pannus traumaticus kommen in prognostischer Beziehung neben
dem eigentlichen Pannus noch die leucomatösen Trübungen der tieferen
Cornealschichten in Betracht. Diese wiederstehen ganz gewöhnlich der
Therapie oder werden doch nur vermindert, ohne sich völlig beseitigen
zu lassen, und stören fortan das Sehvermögen sehr bedeutend. Den Pan-
nus als solchen anbelangend, kömmt alles auf die grössere oder geringere
Schwierigkeit der Entfernung des ursächlichen Momentes und der Her-
stellung normaler Verhältnisse in den Nachb artheilen der Cornea an. Erst
dann, wenn dieses gelungen ist, gewinnen die oben erwähnten Verhältnisse
eine selbstständige prognostische Bedeutung.
Aehnliches gilt auch vom Pannus herpelicus. Ausser der grösseren
oder geringeren Leichtigkeit , künftigen herpetischen Eruptionen vorzu-
bauen, kömmt nocli die Zahl , der Sitz und die Form der vorhandenen
Bcliamllniii!:: Roizonile Mittel. 113
herpetischen Efflovei=icenzcn iind ihrer Folgezuständc in Rechnung. Der
Pannun kann sclnvindon , ohne dass der Kranke wegen den dui'ch die
Efflorescenzen bedingten Trübungen der Cornea einen sonderlichen Gewinn
daraus zu ziolien vermag.
Behandlung. 1. Das Hauptaugenmerk muss vorerst immer mif Be-
seitigung des ursarhliclien Momentes gelichtet sein. Beim traumatischen Pannus
werden in der Hegel operative Eingriffe mannigfaltiger Art der directen
Kur des Hornhautleidens vorangehen müssen. Beim herpetischen Pannus
tritt die Nothwendigkeit hervor, den sich etwa noch immer wiederholenden
frischen Eruptionen und insbesondere der vorhandenen Disposition eine
richtige Therapie entgegenzusetzen. Beim Pannus trachomatosus endlich ist
ein specielles Kurverfahren meistens überflüssig, es genügt die Behandlung
des Bindehautti'achoms nach der später anzugebenden Methode , um auch
das Cornealtrachom zum Schwinden zu bringen, oder doch auf einen mög-
lichst günstigen Zustand zurückzuführen.
2. Gegen den Pannus als solchen haben sich nach Entfernung der
pathogenetischen Momente locale Reizmittel am meisten bewährt und eine
Unzahl derselben steht seit undenklichen Zeiten im Gebrauche (S. 45).
Es scheint, als ob durch deren Reizwii'kung in der pannösen Schichte der
Zerfall und die Auflösung der Elemente in leicht resorbirbare Stoffe be-
günstigt, zum Theile wohl auch deren Abstossung gefördert würde. Es
sind darunter besonders zu erwähnen : Einstäubungen von Calomel , Ein-
streichung von Salben aus gelbem (iuecksilberoxj^de , aus weissem Präci-
pitate ; Einpinselungen von reiner oder mit Wasser verdünnter Opiura-
tinctur etc. Im Allgemeinen taugen alle Mittel, welche einen massigen und
dem Grade nach hemessharen Reiz auf das Auge auszuüben im Stande sind.
3. Das eigentliche Feld für derlei einfache Reizmittel ist der Pannus
tenuis in seinen verschiedenen Altersstadien und Uebergängen zur Macula
corneae. Beim Pannus crassus, namentlich höherer Grade, reichen sie nicht
immer aus und werden dann mit Yortheil ersetzt durch wahre Caustica,
welche neben der reizenden auch noch eine zerstörende Wii'kung entfalten.
Man kann diese Mittel mit um so grösserer Beruhigung anwenden, je dicker
das pannöse Stratum ist, denn um so weniger läuft man Gefahr, die etwa
noch restitutionsfähigen Schichten der Cornea propria zu beleidigen.
Unter den hierzu verwendbaren Mitteln gebührt jedenfalls dem Höllen-
steine der Vorzug, da er relativ zu seiner chemischen Kraft am wenigsten
reizt und seine Wirkung sich am leichtesten beschränken lässt. Je nach
dem Grade des Pannus crassus und je nach der Derbheit der pannösen
Schichte werden schwächere oder stärkere Lösungen von gr. 10 — 30 ad
unc. unam Aq. dest., bei fleischivärzchenähnlichen Rauhigkeiten der Corneal-
oberfläche am besten der Lapis infernal, mitigatus in Stangenform benützt.
Erstere werden mittelst des Pinsels aufgetragen, der letztere aber vorsichtig
und leise über die pannöse Schichte hingestrichen und sodann mit lauem
Wasser der Ueberschuss des Aetzmittels abgeschwemmt. Ist gleichzeitig
ein Conjunctivaltrachom gegeben, so wird natürlich die Aetzung der Binde-
haut mit der der trachomatösen Cornea verbunden. Bei auffälligem Torpor,
insbesondere bei bedeutender Erschlaffung der Theile , wie sie gerne nach
Ablauf eines hochgradigen Trachoms zurückbleibt, sind directe Aetzungen
stell wag, Augenheilkunde. 8
114 Pannus: Beliandlung : Scarification u. Umsclineidnng der Bindehaut.
der pannösen Cornea und der Bindehaut mit Kiystallen von Sulfas Cupri
zeitweise der Anwendung des Höllensteins vorzuziehen (S. 49).
Die mehrfach empfohlene Bestreichung der pannösen Cornea mit neutralem
essigsauren Blei dürfte so wenig wie beim Bindehauttrachome Empfehlung verdienen.
Nicht ohne Gefahr mag die Anwendung von saurem salpetersuvren Quecksilheroxyd
in einer Lösung mit gleichen Theilen Wasser sein (Warlomont). Weniger gefähr-
lich, aber kaum von sonderlichem Nutzen, ist die Aq. Chlori, welche in Fällen ver-
alteten trachomatosen Pannus empfohlen wird, wo die anderen metallischen Topica
nicht vertragen werden (Graefe).
Vor einiger Zeit erfreute sich eines besonderen Rufes in der Behandlung
des Pannus die Caiiterisafion des Limhns conjuncfivalis mit Höllenstein (Sanson).
Offenbar ist nur die reizende Wirkung dieses Verfahrens das Medium der günstigen
Erfolge. Auch die Aussclmeidung sowie die Scarification der mit der pannösen
Schichte in Zusammenhang stehenden starken Gefässstäninie der Bindehaut (Scarpa)
wurde vielseitig und zu verschiedenen Zeiten wiederholt gerühmt, immer aber
wieder verlassen. Neuerlich ist die Aussclmeidung der gesammten Vorderzone der
Conjimcfiva hulhi (Scarpa, Kiiclder) sehr in Schwung gekommen. Man lobt von ihr
besonders die Raschheit der Erfolge und völlige Ungefährlichkeit. Man wendet sie
jedoch meisthin in Fällen an, in welchen die vorgenannten unhhdigen Methoden
ausreichen. Bei hochgradigem veralteten und hartnäckigen Pannus lässt eine ein-
./flc/te .i4?/.9.9c/tJ!e;VZ?/7?^ der vorderen Bindehautzone in der Regel im Stiche; die Wunde
aber nach völliger Ausscherung des in ihren Bereich fallenden Theiles des Epi-
scleralgewebes mit H'öllensfein nachdrücklich zu ätzen, wie Manche anrathen (Bertravdi,
FtirnariJ , muss dermalen, trotz aller Betheuerungen völliger Gefahrlosigkeit von
Seite der Erfinder, noch für sehr hedevklich erklärt werden.
4. Es mögen nun einfach reizende oder caustische Mittel in Gebrauch
gezogen werden , so ist niemals ausser Acht zu lassen , dass dieselben bei
unvorsichtiger Gebahrung intensive Reizzustände hervorzurufen, vorhandene
Irritationen zu steigern und durch Anregung neuer Gewebswucherung den
Pannus nach Dicke und Ausbreitung zu steigern vermögen. Wo immer
demnach eine starke Injection der Conjunctiva bulbi und besonders der
episcleraleu Gefässnetze, örtliche Temperaturerhöhung, Empfindliclikeit des
Auges, Schmerzen, Lichtscheu und reichlichere Absonderung warmer Thränen
das Gegebensein eines heftigeren Reizzustandes vei'rathen , ist die Appücation
der genannten Mittel gefährlich und durch Antiphlogosis, d. i. durch jenes
Kurverfahi-en zu ersetzen , welches bei der Keratitis vasculosa mit Erfolg
in Anwendung kömmt. Es ist dabei gleichgiltig, ob die Keratitis, welche
dem Pannus voranging, noch nicht ganz abgelaufen ist ; oder ob sich durch
jene Zeichen eine der entzündlichen Episoden , wie sie im Verlaufe des
Pannus so oft vorkommen, beurkundet; oder ob eine zuföllige äussere
Ursache, ein zu heftiger therapeutischer Eingriff u. s. w. vorübergehend
eine lebhaftere Reizung veranlasst hat. Fehlen aber solche Erscheiimngen,
so ist es in Berücksichtigung der verschiedenen individuellen Ei-regbarkeit
räthlich, mit den schwächeren Mitteln und mit schwächeren Dosen zu heginnen
und nur allmälig zu den stärkeren überzugehen, kräftige Mittel anfänglich
in längeren Zwischenpausen zu appliciren und ihre Anwendung nach und
nach häufiger zu wiederholen, immer aber sogleich auszusetzen und mit
der Antiphlogose zu vertauschen, wenn sich auf ihren Gebrauch eine starke
und länger dauernde Eeactiou einstellt.
5. Mcht gar selten stösst man auf Fälle, namentlich von veraltetem
Pannus trachomatosus, in welchen die Rückbildung der Neoplasie, nachdem
sie bis zu einem gewissen Punkte gediehen ist, nicht mehr fortschreitet,
und eine iceitcre Aufhellung der Cornea trotz ausdauerndem und rationellem
Kurverfahren nicht mehr zu erzielen ist, indem sich die Theile au gewisse
Einimiifung der lilonnorrhoe. llö
Gi'ade von therapeutischer Reizwirkung geioöhnt haben, der Uebergang zu
kräftigeren Mittohi aber die Integi'ität der Cornea und Conjunctiva entweder
direct gofiilirdot, oder sich jedesmal durch Erregung heftiger und verderb-
licher Kntzündungen straft. Jn solchen FüIUmi kann man durcli längeres
Aussetzen des irritirenden Verfahrens die Empfängliclilveit für die früher gut
vertragenen drittel erliöhen und letztere wieder heilbringend machen. Rascher
und sicherer gelangt^ man bisweilen zum Ziele , wenn man ivarme Ueber-
schläge (von 28 — 32 Grad Ileavimur) oder Cataplasmen auf die geschlossenen
Lider applicirt, bis die Bindehaut in einen Zustand massiger entzündlicher
Schioellung gerathen ist. Es quillt dann nämlich auch die pannose Schichte
auf, sie wird saftreicher, zum Zerfall und zur Auflösung in resoi'ptions-
fähige Bestandtlieile geneigter. In der That hellt sich in Folge eines
solchen künstlich erzeugten Entzündungszustandes die pannose Schichte
mitunter in sehr beträchtlichem Grade auf; jedenfalls aber kann man dann
von der Wiederaufnahme und dem consequenten Gebrauche der oben er-
wähnten ]\fittel eine kräftigere Wirkung erwarten (Graefe, Stavenhagen).
T). Versagt auch diese Methode, so bleibt behufs der Auflockerung des
Gefüges und der Förderung der E.esorptionsfahigkeit nur mehr Ein Mittel
übrig, die Einimpfimg der Ophthalmoblennorrhoe in den Bindehautsack. Die
Beobachtung, dass selbst lange bestehende und allen anderen Mitteln hart-
näckig trotzende höchstgTadige Panni durch eine zufallig veranlasste Binde-
hau tblennorrhoe rasch und vollständig zum Schwinden gebracht werden
können, hat sclion vor nahezu einem halben Jahrhundert auf dieses Ver-
fahren geleitet (Fried. Jäger, Piringer, Hairion, Walker, Mooren).
Die Anzeigen für die Einimpfung belangend kömmt in Betracht, dass
es nicht in der Willkür des Arztes liege, durch die Wahl des Impfstoffes
oder durch eine gewisse Manipulation den Grad oder die Intensität der
künstlich erzeugten krankhaften Zustände in voraus zu bemessen und dass
auch einfache Blennorrhöen, obwohl sie hochgradig pannose Hornhäute er-
fahrungsmässig weniger bedrohen als normale , in einem keineswegs uner-
heblichen procentarischen Verhältnisse zu theilweisen Verschwärungen und
selbst zur Fhf.hisis der Cornea führen , die Therapie sei , welche sie wolle.
Auch verdient der Umstand Berücksichtigung , dass pannose Hornhäute
unter dem Einflüsse heftiger Entzündungen nicht ungerne ectatisch werden
und dass eine durch Einimpfung hervorgerufene Syndesmitis leicht in
Trachom übergehen kann. Die Einimpfung der Blennorrhoe ist und bleibt
demnach ein heroisches ^Mittel, dessen Benützung nur durch die äusserste
Noth, durch die bereits erwiesene Unzulänglichkeit der übr'igen Methoden ge-
rech/fertigt werden kann.
Dem entsprechend kann die Inoculation der Blennorrhoe überhaupt
nur bei dem höchntgradig entwickelten und überdies sehr veralteten Pannus
crassus in Frage kommen.
In dem Vorhandensein von Cornealgeschwüren liegt eine Gegenanzeige.
Der Verschwärungsprocess schreitet während der Blennorrhoe nämlich gerne
weiter und kann selbst zur Phthisis corneae führen. Erfolglos bleibt das
Mittel bei sehniger Entartung der Bindehaut und zwar oft schon darum, weil
das Contagium nicht fängt.
Es ist klug, den Ansteckungsstoff wo möglich von Blennorrhöen mit relativ
gi'mstigem Cliarakter , am besten von der Ophthalmoblennorrhoea neonatorum zu
entnehmen. Allzugrosse Aengstlichkeit in der Wahl des Anstecknngsstoffes ist in-
8*
116 Pannns : Bphandhing' : Hornhaiitflecke.
dessen keineswegs notliwendig. Man hat wiederholt mit dem besten Erfolge den
Eiter einer Pyorrhoe, ja selbst eines Harnröhrentrippers eingeimpft, ohne anf die
Qualität des Stoffes und anf das Alter oder den Grad der das Contaginm liefernden
Krankheit sonderlich Rücksicht zn nehmen. Es ist ja eben Aufgabe, eine int.e^isive
Blennorrhoe zu erzeugen. Nimmt man das Secret einer gar zu milden Blennorrhoe,
so läuft man Gefahr, dass das Contaginm nicht hafte oder doch nicht eine
Blennorrhoe von ausreichend hoher Intensität erzeuge, dass man also die Inocu-
lation öfter wiederholen muss und am Ende ist man erst nicht vor einer Pyorrhoe
der schlimmsten Art gesichert, da die Intensität und der ganze Charakter der
durch Ansteckung hervorgerufenen Affection durchaus nicht mit der Qualität des
Ansteckungsstoffes in einem festen Verhältniss steht.
Die Einimpfung geschieht am besten durch einen Pinsel oder ein
Schwämmchen , mittelst welchem man das ansteckende Product bei umge-
stülptem unteren Lide auf den Uebergangstheil der Bindehaut aufträgt.
Es genügt zu diesem Zwecke ein ganz geringes Quantum des Impfstoffes.
Am sichersten haftet derselbe, wenn er unmittelbar von der absondernden
Fläche auf die Conjunctiva des pannösen Auges gebracht wird (Piringer).
Wo dieses nicht thunlich ist, wird der Eiter nach Art der Vaccine zwischen
zwei Glasplatten eingeschlossen und vor der Vertrocknung gesichert, um dann ver-
wendet zu werden. Es verträgt der Eiter eine ziemlich starke Verdünnung mit
Wasser; doch wird dadurch seine Ansteckungsfähigkeit bedeutend vermindert.
Ebenso verliert er an Wirksamkeit durch längere Aufljewahrung und Vertrocknung.
Haftet das Contagium nicht, so muss die Inocnlation wiederholt werden. Manch-
mal ist man gezwungen, den Eiter mit der Lancelte in die Conjunctiva einzuimpfen
(Pi7-inger).
Im Falle der Haftung des Contagiums entwickelt sich die Blennorrhoe
in der Regel binnen wenigen Stunden, längstens innerhalb 1 — 3 Tagen.
Man muss sie bis zu einem höheren Grade ansteigen lassen , dann aber
muss die in solchen Fällen übliche Therapie ihrem ganzen Umfange nach
gehandhabt werden.
Sehr oft schwindet während dem Verlaufe der eingeimpften Blennorrhoe die
pannöse Schichte nur theilweise, der Rest aber wird i;nter der vorhin geschilderten
]5ehandlung leicht getilgt. Wo dieses nicht gelingt, wird von Einigen die Wieder-
holung der Inocnlation anempfohlen, da Fälle bekannt sind, in welchen die zweite,
dritte, ja fünfte Inocnlation erst das leistete, was die erste Einimpfung vergeblich
erwarten Hess.
Quellen. Hin, Beiträge zur Histologie der Hornhaut. Basel. 1856. S. 107 u.
109. — Wedl, Atlas, Cornea Sclera. — C. Ritter, A. f. O. IV. 1. S. 355. — Hasner,
kl. Vorlesgn. Prag. 18G0. S. 157. — Coccius, lieber Glaucom, Entzündg. etc. Leijizig.
1859. S. .SO. — A7-It, kl. Montbl. 18G4. S. 426. — WarJomont et TenteUn, Traite
prat. des mal. d. yeux. Paris. 1857. II. S. 164. — Graefe, A. f. O, VI. 2. S. 146;
X. 2. S. 199. — Booshroeck, kl. Montbl. 1863. S. 492. — Critchetl, ibid. 1864. S.
393. — Bader, Laioson, Ophth-. Hosp. Reports IV. 1 ; VI. 1 und Canstatt's Jahres-
bericht 1863. III. S. 122 und 123. — Secondi, Clinica ocul. di Genova. Torino,
1865. S. 12. — Williams, Compte rendu du congres d'ophth. Paris. 1863. S. 137.
— Hairion ibid. S. 179. — Furnari ibid. S. 193. — Sanson, Scatjxi, Küchler, Ber-
trandi ibid. S. 181 und Desmarres, Traite d, mal. d. yeux. Paris. 1847. S. 231. —
H. Walker nach Hairion 1. c. S. 187. — Piringer, Wien. med. Jahrb. Neueste
Folge. XV. S. 183; Die Blennorrhoe am Menschenauge. Graz. 1841. S. 42, 43, 77,
103, 112, 118, 124, 210, 250, 255, 257, 295. — Iwanoß] Pagenstecher's klin. Beob-
achtgn. III. S. 130 n. f. — Stavenhagen, kl. Erfahrungen S. 54. — Mooren, ophth.
Beiträge. S. 87.
2. Die Hornliaiitflecke, Maculae corneae.
Pathologie. Die Honihautilecke sind als Neubildungen im engeren
Wortsinne aufzufassen und stellen constant das Ergebniss eines entzündlichen.
Processes dar. Man unterscheidet :
Lcncom ; Ilcrpetissrlio Knoten; K|)illH'lialfli'ck. 117
1 . Parenchymatöse Flecke. Sic sind ausserordentlich mannigfaltig; in
Bezug auf ihre ävissere Erscheinung.
<f) In einzelnen Fällen ist die Trübung der Cornea eine allgemeine,
die Hornhaut zeigt sich ihrer ganzen Dicke und ihrem ganzen Umfange
nach mehr weniger gleiclimässig bläulich oder weiss gefärbt und ist durch-
scheinend nach Art eines Milchglases , während die Oberfläche ihren nor-
malen Glanz bewahrt hat (Totales Leucom).
h) In anderen Fällen findet man in dem eigentlichen Cornealgefügc
fläehenartig oder nach allen Dimensionen ausgebreitete , rauchähnliche,
bläulich durchscheinende Trübungen; oder dichtere, figurirte, weissliche
Wolken ; oder wolkig umgrenzte, ganz opake, gelblichweisse, selbst kreide-
weisse Flecke, Streifen, mondsichelförmige Gestalten u. s. w. Es gehen
diese „partiellen Leucome" gleichwie die totalen meistens aus einer diffusen
Keratitis hervor.
Es werden derlei Trübungen, zumal die dichteren, veranlasst durch menis-
coide Nester einer undurchsichtigen grumosen Substanz, welche inselförmig in das
eigentliche Getuge der Cornea eingesprengt sind. Es erweiset sich die gruinose
Sutjstanz zusammengesetzt aus geschrumpften Kernen, welche in einer fettiginole-
kularen, öfters schiiuitzig gelbbraun pigmentirten, feinkörnigen Grundmassc Lagern.
Ueberdies macht sich streckenweise auch noch eine Verfettigung der Intercellular-
siibstanz in sehr aiiflfälliger Weise geltend, die Lamellen erscheinen wie angestäubt
und von einer Unmasse fettiger Körner wie dnrchsäet (Wedl).
c) Rundliche, scharf begrenzte oder von einem wolkigen Hofe um-
gebene, mohn- bis hirsekorngrosse, hiorpel- oder kalkartige Knoten, welche
ihrer Hauptmasse nach immer in den oberflächlichen Schichten der Horn-
haut lagern, nach hinten aber sich mehr weniger tief in das Cornealge-
fUge einsenken. Es sind dieses veraltete, obsolescirte, bisweilen schon
verkreidete herpetische Knoten. Sie stehen bald einzeln, bald in grösserer
Anzahl zerstreut oder in Gruppen gehäuft auf der Hornhaut. In letzterem
Falle werden sie gewöhnlich durch einen Sehnenfleck oder eine lockere
bindegewebige Neubildung unter einander vereinigt.
d) Kreisrunde, flache, scliarfbegrenzte, grauliche, weisse, gelbliche
bis braune Flecke vom Umfange eines Mohn- bis Hirsekornes , welche in
die verschiedensten Schichtlager der Cornea eingesprengt erscheinen, in
den hintersten Stratis und an der freien Wasserhautoberfläche aber am
meisten gehäuft zu sein pflegen. Es sind dieses ständige Productreste der
Keratitis punctata.
2. Epithelialßecke, Maculae epitheliales, d. i, ganz oberflächliche, rauch-,
nebel- oder wolkeuartige halbdurchsichtige Trübungen von bläulicher oder
grauer Farbe mit verwaschenen unbestimmten Grenzen. Sie sind oft so
fein, dass selbst ein scharfes und geübtes Auge Mühe hat, dieselben zu
erkennen. Bei schief auffallendem, namentlich durch eine Loupe concen-
trirtem Lichte treten jedoch auch die zartesten sehr deutlich hervor. In
der Mehrzahl der Fälle bedarf es solcher Hilfsmittel nicht, die Trübung
ist auffällig und selbst in Distanz bemerkbar. In dem gesättigteren Theile
der Trübung macht sich in der Kegel eine bedeutende Abnahme des
normalen Hornhautglanzes geltend, das Spiegelbild erscheint matt, undeutlich,
mit verschwommenen oder verzerrten Umrissen, oder es fehlt ganz. Mit-
unter zeigt sich an diesen Stellen bei gewissen Lagen zur Lichtquelle ein
seidenähnlicher Schimmer oder gar ein Schillern in matten Regenbogen-
118 Honiliautflecke ; Pathologie ; Selinenflecke.
färben. Bei der Untersuchung- mit der Loupe lässt sich dann immer eine
ansehnliche Raxihigkeit an der Oberfläche nachweisen.
3. Sehnenflecke, Maculae fihrosae. Sie erscheinen dem freien Auge
in der Gestalt eines sehnigen Häutchens von grösserer oder geringerer
Dicke, welches die Cornealvorderfläche in verschiedener Ausdehnung über-
kleidet und bisweilen auch etwas über das Niveau derselben hervorragt.
Geringe Grade von Durchscheinbarkeit bis zu völliger Opacität, milch-
weisse bis kreideweisse Färbung, sehniger seidenähnlicher, mitunter perl-
mutterartiger opalisirender Glanz und Derbheit des Gefüges sind die
übrigen physikalischen Eigenschaften. Die Grenzen sind in den meisten
Fällen verwaschen, indem ein wolkiger Epithelialfleck die sehnenähnliche
Neubildung umsäumt. Falls der Sehnenfleck unmittelbar oder mittelbar
durch den Epithelialfleck an den Bindehautsaum stösst, ziehen gewöhnlich
ein oder mehrere Gefässe aus der Conjunctiva auf seine Vorderfläche her-
über, um sich daselbst zu verzweigen. Dadurch erlangt der Sehnenfleck
die Fähigkeit, auf Verletzungen durch Hämorrhagien zu reagiren.
Der Epithelialfleck sowohl als der Sehnenfleck sind in vielen Fällen
der ständige Ausgang einer Keratitis vasculosa superficialis oder eines Pannus.
In anderen Fällen aber gehen sie erfahrungsmässig aus ulcerösen Substanz-
verlusten hervor, indem die Lücke durch Regeneration von durchsichtigem
oder nur an der äussersten Oberfläche trüb bleibendem Hornhautgefüge
ausgefüllt wird.
Qualitativ sind der Epithelfleck und der Sehnenfleck von einander nicht
verschieden. Sie differiren blos in der Flüchtigkeit der neoplastischcn Scliichte.
So weit diese reicht und auch wohl über sie hinaus, erscheint das Epithel ungleich-
massig verdickt, unregelmässig geschichtet, seine Elemente sind durch fettigmole-
kulare Masse getrübt und öfters so innig vmter einander verbacken , dass deren
Contouren schwer zu erkennen sind. Ist die Macula aus einer Keratitis vasculosa
oder aus einem Pannus tenuis hervorgegangen, so kann das Bovvraan'sche Stratum
und die eigentliche Cornealsubstanz in riormalevi Zustande betroffen werden
(SchaJygenj. Hat sich der Fleck aljer auf dem Boden eines verheilenden Geschwüres
gebildet, so fehlt in seinem Bereiche die Bowman'sche Membran und das Epithel
lagert unmif'telbar auf der Neubildung auf. Diese füllt gleichsam eine Lücke in
den oberflächlichen Schichten der Cornea aus und besteht zum grossen Theile
aus stark ausgezogenen, theilweise sogar faserförmigen Kernen, welche, überaus
dicht aneinander gedrängt, sich gegenseitig decken und so wellenartige Züge
bilden. Es lagern diese Kerne in einer trüben, von Fettmolekülen durchstreuten
faserigen Intercellularsubstanz. Mitunter kann man in der Neubildung noch
neoplastische Gefässe, oder deren Reste in Gestalt dichterer Stränge von faseriger
Textur, welche von Kernen und öfters auch von Pigmentklumpen besetzt siiul, er-
kennen. Die Grenzen der Neubildung sind oft ziemlich scliarf. Mitunter gehen
von derselben trübe streifige Züge in die umgebenden durchsichtigen Theile der
Cornea hinein. Ganz gewöhnlich findet man neben Epithel- und Sehnenflecken
auch noch 2^<^renchymatöse Trübungen mit den oben geschilderten Charakteren
( WedlJ.
4. Einfache Hornhautnarben. Ihre Trennung von den Flecken im
engeren Wortsinne ist eine rein künstliche, da diese sehr oft als Narben
functioniren. Der Unterschied liegt einzig und allein in der Dicke, in der
Köiperlichkeit der neoplastischen Ersatzmasse.
Die Grösse und Form der Narbe hängt zum grossen Theile von der
Gestalt und Ausdehnung der SubstanzZwc/ce ab, auf deren Boden das Er-
satzgewebc zur Entwickelung kommt. Einen wirklichen Abklatsch der
Lücke bildet indessen die Narbe nur selten, da unter günstigen Verhält-
Einfai-ho uiiil liiiidorjt^wcMge Narbe. 119
nissen am C! runde des Substanzvorlustes in der Regel pellucides Hornhaut-
gcfUgc regenerirt nnd dalior nur ein TlieU der Jjiicke von trüber neopla-
stischer Masse ausgefViUt wird.
In den meisten Fällen sind die Narben inncrlialb des Paronchyms
der Cornea von parenchi/matösen Trübungen umgeben, welche theils auf
neugebildetes, nicht völlig durchsichtig gewordenes CornealgefUge, theils
auf nesterartige Einlagerungen von Zellenmassen und fettig molekulare
Trübung der Intercellularsubstanz zu beziehen sind. Au der Oberfläche
aber breitet sich die Narbe meistens in einen Sehnenfleck aus, welcher
seinerseits wieder von einem Epithelflecke umschlossen wird und durch
diesen sich gleichsam mit der normalen Umgebung verwäscht. Nach der
textuellen Verschiedenheit des Ersatzgewebes unterscheidet man :
a) Sehnenähnliche Narben. Abgesehen von der Körperlichkeit der-
selben, vermöge welcher sie mehr weniger tief in die eigentliche Horn-
hautsubstanz, selbst bis auf die Descemeti und durch diese hindurch
reichen, stimmt ihr Aussehen nahe zusammen mit jenem des Sehnenfleckes.
Die äussere Gestalt der Narbe ist ungemein wandelbar je nach der Form
der ursprünglichen Substanzlücke; sie ist eine andere nach Stich-, Schnitt-,
Lappen-, Lochwunden, eine andere nach partiellen Verschwärungen des
Hornhautgefüges.
Das Mikroskop zeigt dieselben Veränderungen , wie bei tief greifenden
Sehnenflecken. Mitunter hat man in sehr alten Narben auch choloide Körner-
kugehi massenhaft eingelagert gesehen (Wedl).
b) Die bindegewebige Narbe. Sie charakterisirt sich durch laxes
langfaseriges , in Falten aufhebbares Gefüge , welches von einem mehr
weniger dichten Gefässnetze durchzogen und so befähigt ist , auf äussere
ßeizeinwirkungen und Traumen durch Hyperämie und Blutungen zu
reagiren. Es stimmt diese Neubildung im ganzen äusseren Verhalten
mit lockerem Bindegewebe, insonderheit mit der Conjunctiva, nahe über-
ein. Oefters indessen erscheint die bindegewebige Narbe von dichten
derben sehnenähnlichen Strängen und Blättern durchsetzt.
Das lockere bindegewebige Neugebilde verdichtet sich gegen die Tiefe hin
gewöhnlich zu einem Stratum sehnigen derben Gefiiges, welches den Grund der
Cornealsubstanzlücke auskleidet. Dieser dichtere Theil der Narbe geht seiner-
seits wieder gegen die Tiefe hin in trübes und weiter in diirclisichtiges regene-
rirtes Hornhautgewebe über und durch letzteres hängt die ganze Neoplasie mit
den normalen Elementen der Hornhaut zusammen. Darum ex'scheiut die Narbe
innerhalb der Dicke der Hornhaut immer von einer wolkig verwaschenen parenchy-
matösen Trüljung umgeben. An der Oberfläclie veidaufen ihre Grenzen in einen
Öehnenfleck, welcher seinerseits wieder von einem Epithelialflecke umsäumt wird.
Die einfache bindegewebige Narbe ist immer randständig und hängt
unmittelbar mit der Conjunctiva zusammen ; sie stellt gleichsam eine Fort-
setzung derselben dar, welche sich über die Peripherie der Cornea hinüber-
zieht, um daselbst eine Substanzlücke mehr weniger vollständig auszu-
füllen. Es setzt die bindegewebige Narbe nämlich ein granuUrendes Horn-
hautgeschwür voraus; Fleischwärzchen aber entwickeln sich auf dem Boden
eines nicht durchbohrenden Cornealgeschwüres nur, wenn dieses mit einem
Theile seines Randes an den Limbus conjunctivalis ansteht.
Nicht selten präsentirt sich die einfache bindegewebige Narbe als
Cornealtheil eines unechten Flügelfelles.
120 Hornli autflecke; Pathologie; EpithelialnaiVie ; Vordere Synechie.
c) Die Epithelialnarbe stellt eine völlig undurchsichtige Neubildung
von weissgrauer, weiss und gelb gesprenkelter, oder ganz rostgelber bis
rostbrauner Farbe vor, welche sich leicht in Gestalt einer fettig griesig
anzufühlenden , körnigschuppigen oder blätterig scholligen , leicht zer-
bröckelnden Masse vom Grunde der von ihr ausgefüllten Substanzlücke
abschaben lässt.
Es besteht diese Masse zum grössten Theile aus Epithelplatten in verschie-
denen Stadien der Zerfällniss und aus einer molekularen organischen Grundsub-
stanz, in welcher freies Fett, Cholestearinkry stalle, Kalksalzdrusen und in Pigment-
metamorphose begrifl'ene Blutkörperchen neben bereits fertigem verschiedenfarbigen
Pigmente in wechselnden Massenverhältnissen eingemischt sind. Es ruht diese
Masse auf einem lockeren bindegewebigen oder derben sehnigen Stratum, welches
den Grund der Substanzliicke auskleidet und durch eine Schichte neoplastischen
Hornhautgefüges mit den normalen umgebenden Cornealpartien zusammenhängt.
Darum erscheint auch die Epithelialnarbe von einer parenchymatösen Trübung
und an der Oberfläche von einem Sehnenflecke umsäumt, welcher letztere sich
wieder in einen Epithelfleck verwäscht.
So wie die bindegewebige Narbe geht auch die Epithelialnarbe con-
stant aus Fleischwärzchen hervor, setzt also ein granuUrendes Geschwür
voraus und findet sich darum immer am Rande der Cornea, wenn das
Geschwür nicht ein perforirendes und mit einem Prolapsus iridis compli-
cirt war.
5. Mit vorderer Synechie gepaarte Narben. Es sind diese gleich den
einfachen Narben in der bei weitem grössten Mehrzahl der Fälle von
sehnenähnlichem Aussehen, seltener ei'scheinen sie als lockere , bindegewebige
oder epitheliale Narben.
Das Hauptmerkmal liegt in dem constanten Durchgreifen der Narbe
durch die ganze Dicke der Cornea und in der Einlöthung einer grösseren
oder kleineren Portion der Regenbogenhaut, welche letztere sich durch die
Lageveränderung der Iris, durch deren theilweises Herantreten an die
hintere Wand der Cornea und durch die damit im Zusammenhange stehende
Verzerrung oder gar Verschliessung der Pupille, endlich durch den Pigment-
gehalt und die darin begründete theilweise dunkle Färbung der Narben-
masse beurkundet. Der Umfang und die äussere Form des Narbenkörpers
hängen natürlich von der Grösse und Gestalt der ursprünglichen Substanz-
lücke ab und variiren gleichwie bei der einfachen Cornealnarbe ungemein
stark.
Das anatomische Verhalten der Narbe wechselt übrigens auch noch nach der
Grösse und Form der hinteren Durchbruchsöffnung,
Ist diese sehr enge, so hat die vorgefallene Irisportion ursprünglich die Ge-
stalt einer gestielten Blase oder Halskrause, indem deren Hintertheil von den
Rändern des Loches zusammengeschnürt wird. Unter zunehmender Schrumpfung
der Narbenmasse wird aber bald auch die vordere Partie des Prolapsus comprimirt
und geht textuel vmter. Es hat dann nachträglich das Ansehen, als wäre die Iris
einfach an das hintere Ende der durchbohrenden Narbe angelöthet. Bei der genauen
Untersuchung der letzteren findet man jedoch die Reste der vorgefallenen Irisportion
in Gestalt einer grösseren oder geringeren Menge von braunem bis schwarzem
Pigment, welches, theils in körnigen Haufen, theils in Zellen eingeschlossen, der
trüben Neubildung eingesprengt ist. Je nach der mehr rundlichen oder (bei
Schnittwunden) linearen Form des Durchbruchkanales bildet die Pigmentmasse
eine Art Strang oder eine blattähnliche Figur, welche die Narbe von hinten nach
vorne durchsetzt und oft bis an die Epithelschichte reicht, wo dann an der vorderen
Fläche der Narbe und meist in dem Mittelpunkte ihrer vorderen Ausbreitung eine
Myiokephalun ; ViTknöchormif;, Voikiilkiiii},' der Cornea. \2\
braun oder schwarz gefärbte Stelle sich bemerklich macht. Bei tiefgreifenden sehr
ausgedehnten Geschwüren fällt die Iris bisweilen au mehreren Stellen des Gc-
pjo-. 13. schwürsgrundes vor und dem entspre-
a chend rindet man dann auch an der Narbe
eine Mehrzahl solcher pigmcntirter Stellen.
--^■''^''^^S-SvSS^^^^^^ / Clavus oder Myiokephalon ist die alte Be-
^' ^^^^^^^^^^^W. Zeichnung für diese Zustände.
y^'^ ,) ^■"*^ ö^^n War die hintere Durchhruchsöffnung
^^ "^ ^^\ >"^'. weiter und hatte sich ein Stück aus der
^^^i'' Breite der Iris vor der Oeffnung ausge-
^ spannt, so findet man die Narbe (Fig. 13)
späterhin oft an der Hinterfläche ausgehöhlt, während die vordere Fläche derselben
im normalen Niveau der Cornealvorderfläche streicht. Die auf dem prolabirten
Iristheile entwickelte Neubildung deutet dadurch die ehemalige blasige Form des
Vorfalles an. Am Rande der hinteren concaven Fläche der Nai'be haftet ringsum
die Regenbogenhaut fest an und hängt mit einem zarten, structurlosen , stark pig-
mentirten Häutchen a zusammen, welches die Grube auskleidet und als Ueber-
bleibsel des Tapetes der vorgefallenen Irisportion aufzufassen ist. An dem Rand-
tlieile der Narbe selbst stösst man in der Regel auf zusammengefaltete, sonst unver-
änderte Fetzen der Descemeti. Die durch das Geschwür biosgelegten Theile dieser
Haut werden im Momente des Durchbruches nämlich eingerissen, später durch die
nach vorne gedrängte Irisportion umgeschlagen und dann in die Narbeumasse ein-
gehüllt. Ist die Irishlase geborsten, ehe es zur Narbenbildung kam, oder aber ent-
wickelt sich die Narbe auf einem Vorfalle des Pupillarrandes, so ist von jener
Concavität an der hinteren Narbenwand nichts zu merken, im Gegentheile pflegt
dann die Neiibildung pfropfartig nach hinten in den Kainmerraiim vorzusxningen und
sich in Gestalt von Sehnenstreifen auf die nachbarlichen Portionen der Iris fort-
zusetzen. Sehr oft steht dann auch die Vorderkapsel mit der Narhe in Verbin-
dung; die letztere deckt einen Theil der ersteren und führt in Folge der damit
verknüpften Nutritionsstörung gerne zu cataractöser Verbildung der Linse.
Bei sehr weiter Durchbruchsöffnung, wo also ein grosser Theil der Iris sammt
seiner Pupillarzone blosgelegt wurde, erscheint die Pupille fast immer geschlossen
und das Centrum der Kapsel mit der Narbe verwachsen , während der Rest der
hinteren Narbenfläche von jenem pigmentirten Häutchen überkleidet und dadurch
von dem Krystallkörper geschieden wird.
Bei durchgreifenden Narben, welche sich auf breiten Irisvorfällen entwickelt
haben, ist das Narbengewebe fast immer seiner ganzen Masse nach reichlich durch-
setzt von dunklem Pigment, welches theils frei in Haufen gruppirt lagert, theils in
verkümmerten Zellen eingeschlossen ist. Die hinteren, vorzugsweise aus dem ent-
zündeten Irisgewebe hervorgegangenen Schichten der Narbe pflegen in solchen
Fällen den bindegewebigen Charakter zu zeigen ; die Intercellularsubstanz ist mehr
weniger deutlich wellig streifig und von stark ausgezogenen Zellen durchstrickt,
welche durch ihre baumartig verzweigten Ausläufer netzartig verbunden sind und
nebst zahlreichen Kernen Pigment in wechselnder Menge und Farbe führen. In
dem oft sehr dicken auflagernden Epithelstratum hat man Stachelzellen gefunden
(Czerny).
6. Verknöcherungen. Osteoide Massen kommen in der Hornhaut nur äusserst
selten vor. Man findet sie immer nur in Gestalt dünner zarter Platten oder
Schuppen eingesprengt in dicke sehnige Narben, mit deren Gefiige ihre rauhe
Oberfläche fest verbunden ist. Sie werden daher nur am Cadaver gefunden, am
liebenden verschwinden sie in der Narbenmasse. Sie charakterisiren sich durch
eine homogene oder parallel streifige organische Grundlage und durch wechselnden
Gehalt an Knochenkörperchen und Kalksalzkörnern.
7. Verkalkungen treten unter zwei verschiedenen Formen auf, einmal als
steinähnliche derbe spröde solide, aus erdigen und alkalinischen Salzen nebst
organischer streifiger Grundsubstanz bestehende Massen, welche sich von dem
Osteoide nur durch den Abgang von Knochenkörperchen unterscheiden; das andere
Mal als ein fettig sandiger Brei, in welchem freie Salze, Fettkörnchen, Cholestearin-
krystalle und zerfallene grumose organische Substanz in sehr verschiedenen Ver-
hältnissen unter einander gemengt sind.
122 Hornhautflecke; Pathologie; Metallincrustationen.
Beide Formen kommen gleich dem Osteoide in sehnenälinlichen und binde-
gewebigen Narben eingesprengt vor. Bisweilen erscheinen sie in Form von rund-
lichen Knoten, welche von einer parenchymatösen Trübung umgeben in den vor-
deren Schichten der Cornea sitzen. Im letzteren Falle präsentiren sie regressiv
metamorphosirte herpetische Knoten. Ausserdem finden sie sich in seltenen Fällen
als ständiger Ausgang von Cornealahscessen, welche ohne zu durchbohren und ihren
Inhalt zu entleeren verkalkt sind. Die Neubildung erscheint dann als ein völlig
undurchsichtiger, kreideweisser , rostgelb bis braun gefleckter, gewöhnlich linsen-
förmiger Körper, welcher, in die Dicke der Hornhaut eingeschaltet, sowohl nach
vorne als nacli hinten von trübem Horuhautgefüge überkleidet wird. Nach Kalk-
■verhrenmingen zeigt sich sowohl in der Narbe, als in dem umgebenden trüben Ge-
füge Kalk in Molekularforra (Guuvea).
8. Metallincrustationen. Wenn Bleizuckerlösungen und andere metallsalzige,
mit Opiumpräparaten versetzte Solutionen bei Vorhandensein von Hornhautge-
schwüren als Collyrien angewendet werden, so fällen sich gewisse Bestandtheile
heraus, incrustiren den Geschwürsboden, wachsen bei fortgesetztem Gebrauche zu
dicken Schichten an und werden endlich von seitlich aus den Geschwürsrändern
hervorwaclisenden Granulationen übersponnen und gleichsam überhäutet. Es er-
scheint dann in der Folge an der Stelle des ehemaligen Geschwüres ein meistens
erhabener, dicker und daher in das Cornealparenchym etwas eingesenkter, voll-
kommen undurchsichtiger, kreideweisser oder aber gelblicher, an der Oberfläclie
nicht selten opalisircnder Fleck mit scharfen oder wolkig verschwommenen, von
Gefässen durchzogenen Rändern (Cunier). Bei der anatomischen Untersuchung
findet man unter der aus blossen Epithelplatten gebildeten Decke eine Schichte
gelblicher, lichtbrauner bis dunkelbrauner, erdiggriesiger , leicht zerbröckelnder
Substanz ohne Spur einer Organisation. Diese Masse ruht auf einer trüben Schichte,
welche den Grund einer niuldenartigen Substanzlücke in dem Gefüge der Cornea
überkleidet und öfters von Gefässen durchzogen wird.
Begleitende Erscheinungen. Sehstörungen sind constante Begleiter
aller jener Trübungen, welche, ivenii auch nur mit einem kleinen Theile, in
den Bereich der Pupille fallen. Es finden dieselben eine sehr ergiebige
Quelle in der Zerstreuung, Reflexion und Absorption, welche das auf die
Trübung fallende äussere Licht erleidet.
Dadurch wird einerseits die Intensität des von den Objecten ausgehenden
und die Netzhaut treffenden directen Lichtes, somit der scheinbare Glanz der Netz-
hautbilder geschwächt. Andererseits gelangt ein Theil des in der Cornealtrübung
zerstreuten Lichtes auf die Retina, wird da.selbst wahrgenommen und in Gestalt
eines weissen oder grauen Nebels, einer Wolke u. s. w. nach aussen projicirt. Da
aber die einzelnen lichtenipfindenden Elemente gleichzeitige verschiedenartige Ein-
drücke zu sondern nicht im Stande sind, vielmehr immer 2u Einem gemischten Ein-
drucke verschmelzen, so scheint es dem Kranken, als läge jene Wolke oder jeuer
Nebel zwischen dem Objecte und dem Auge , oder als wäre das Object davon
umhüllt.
Die Grösse der Sehstörung hängt hauptsächlich von dem Verhältnisse ab , in
welchem die Intensitäten der beiden gleichzeitigen Eindrücke zu einander stehen.
Sie ist um so bedeutender, je weniger der positive oder negative (Schatten-) Ein-
druck der Objectbilder den Eindruck überwiegt, welchen das von der Corneal-
trübung ausgehende zerstreute Licht auf die NetzhauJ:elemente ausübt.
Träfe immer mir directes Licht die Hornhaut, so müsste in concretem Falle
sich ein ziemlich constantes Verhältniss zwischen den Intensitäten der beiden frag-
lichen Eindrücke geltend machen. In Wirklichkeit trifft aber neben dem directen
Lichte der Objecte immer auch diffuses Licht die Cornea und verstärkt im Ver-
hältnisse zu seiner Intensität die Helligkeit des von der Trübung ausgehenden
Spectnim, vermindert solchermassen also noch weiter in mittelharer Weise den Ein-
druck der eigentlichen Objectbilder.
Bei zai'ten nebeligen Trübungen ist dieses Spectrum gewöhnlich die Haupt-
ursache der Sehstörung. Bei dichten Trübungen jedoch, welche nur tvenig oder
gar kein Licht durchlassen, kömmt das Spectrum nur dan^i in Rechnung, wenn
Jiandtheile derselben in den Bereich der Pupille fallen. Es sind dichte Trübungen
Sehstörungon. 1 23
nämlich nur sehr ausnahmsweise völlig scharf beg;renzt, ihr Rand verdrascht sich
vielmehr in der Regel sehr allinälig und läuft sonacii in eine mehr weniger breite
Zone aus, welche auft'allendes Licht zerstreut und in diesem Znstande durchtreten
lässt. Abgesclien hiervon wird die Sehstörung unter solchen Umstäuden ceteris
paribus zumeist dmch die Venninderunij der Ilelüykcit der Netzliauthilder verur.saclit
und steht insoferne im Verhältnisse zur Dichtigkeit und Grösse des der Pupille
gegenüberstehenden Theiles der Kenärübnng ; sie erreicht also das Maximum, es
werden, wenigstens von den in der Mitte des Gesichtsfeldes gelegenen Objecten,
gar keine Bilder mehr auf der Netzhaut entworfen, wenn ein solcher dichter Fleck
die <janze Pupille deckt.
Weitere Quellen findet die Sehstöriing unter den fraglichen A^ei'liält-
nissen in etwaigen Rauhiykeitcn der Epithelschichte, in Verkrümmunge7i der
Cornea und, bei umfangsreiclien vorderen Synechien der Iris, nicht selten
auch in Schiefstellungen des Krystalles. Ausserdem kommt bei Gegebensein
vorderer Synechien auch noch die Beschränkimg des Accommodationsver-
mögens in Betracht. Der Grad der Sehstörung ist darum im concreten
Falle häufig ein viel bedeutenderer, als der Trübung an sich entspricht ;
bei Unebenheiten des Epithelialstratums und namentlich bei Verkrüm-
mungen der Cornea erscheint das Gesicht oftmals sogar in einer Weise
beeinträchtigt , dass man bei ungenügender Untersuchung versucht sein
könnte, eine Amblj^opie zu Grunde zu legen. (Siehe irregulär. Astigmatismus.)
Um diese Sehstörungen wenigstens theilweise zu beseitigen, pflegen
mit Maculis behaftete Individuen beim monocidaren Sehen mit dem kranken
Auge , falls es sich um scharfe und deutliche Wahrnehmungen, namentlich
von kleinen oder fernen Objecten handelt, alles Mögliche anziiwcnden, auf
dass der Eindruck der Objectbilder vergrössert und die Intensität des
diffusen Lichtes verkleinert werde.
Sie halten die Objecte so nahe dem Auge, als es der Grad ihres Accommo-
dationsvermögens gestattet, indem sie dadurch, unbeschadet dem scheinbaren Glänze,
die Netzhautljilder vergrössern und die Zahl der erregten Netzhautelemente ver-
mehren ; sie kehren dem Fenster oder überhaupt der Quelle des Lichtes den Rücken,
während sie die Objecte selbst in die möglichst günstige Beleuchtung bringen; sie
kneipen die Lidspalte zu, halten die Hände vor die Augen, oder sehen durch die
nicht ganz geschlossene Faust, um von dem das Auge treffenden diffusen Lichte so
viel als möglich abzuschneiden. Am besten aber erreichen sie diesen ihren Zweck
durch vor das Auge gehaltene, mit einem kleinen Loche versehene Diaphragmen.
Beim binocularen Sehen werden die auf entsprechende Stellen beider
Netzhäute gemachten Eindrücke im Sensorium commune zu Einem der
Intensität nach verstärkten Eindrucke summirt. Ist daher das eine Auge
in seiner Function völlig unbeirrt, das andere aber mit einem in das Be-
reich der Pupille fallenden Hornhautflecke behaftet , so muss sich beim
binocularen Sehen das über die Netzhaut des kranken Auges ergossene
zerstreute Licht auch in dem verschmolzenen Eindrucke beider Augen
geltend machen und die Gesichtsobjecte in Nebel gehüllt erscheinen lassen.
Gleich wie beim monocularen Sehen tritt die darin begründete Seh-
störung besonders stark beim Fixiren von Objecten hervor, wenn es sich
also darum handelt, scharfe und deutliche Wahrnehmungen zu gewinnen.
Die Kranken sagen, das trübe Auge blende das gesunde und sind oft beim
Schreiben, Lesen u. s. w. genöthigt, das kranke Auge zu schliessen. Bei
nicht fixirtem Blicke hingegen unterstützt das kranke Auge das gesunde
wesentlich, indem es eben die Intensität der Eindrücke des letzteren ver-
stärkt und ausserdem das Gesichtsfeld um ein Bedeutendes erweitert • voraus-
gesetzt natürlich , dass der Hornhautfleck nicht vermöge seiner Opacität
124 Jloruliautflecke ; Ausgänge.
den Durchgang einer genügenden Menge directer Strahlen unmöglich macht
und entweder die ganze Pupille oder die cmssere Hälfte derselben überdeckt.
Wo die Pupille von einem sehr dicken Flecke ganz überkleidet wird, fällt
die positive Störung des Sehactes vfegen der geringen Intensität des durchge-
lassenen Lichtes ganz weg, es ist, als ob das gesunde Auge allein functionirte. Wo
aber nur die äussere Hälfte der Pupille von einem derartigen Flecke bedeckt ist,
können jene Objecte nur schwach oder gar nicht wahrgenommen werden, welche
weit ab von der optischen Axe nach der Seite der Trübung hin gelegen sind, das
Gesichtsfeld ist nacli dieser Seite liin wie bei einem Einäugigen beschränkt und
der Kranke stösst häufig an.
Im Falle , als beide Augen mit Hornhautflecken behaftet sind , welche
jedoch die Wahrnehmung äusserer Objecte vermöge ihrer Dichtigkeit und
Ausbreitung nicht aufheben, ist natürlich die Sehstöruug um so bedeu-
tender. Der Kranke benützt dann vornehmlich das bessere Auge, d. i.
jenes , welches schärfere und deutlichere Wahrnehmungen gestattet und
sucht beim Fixiren von Objecten das schwächere Auge vom Sehacte aus-
zuschliessen.
Ausgänge. Die Hornhautflecke sind gewisser Veränderungen fähig
und insoferne lässt sich von Ausgängen dei'selben sprechen.
1 . Am meisten veränderlich sind die epithelialen und die verschie-
denen Formen der lyarenchymatösen Flecke. ]3eide diese Arten der Trübung
können spontan und unter dem Einflüsse gewisser therapeutischer Mittel
durch Resorption und beziehungsweise durch Abstossung oberflächlicher
Epithelialschichten verschwinden. Im Allgemeinen kann man sagen, die
Aussicht auf Heilung sei um so grösser, je jünger derlei Flecke sind. Kurz
nach Ablauf des ihrer Entwickelung zu Grunde liegenden Entzündungs-
processes ist daher der günstigste Zeitpunkt für die Behandlung. Alte,
seit Monaten oder Jahren bestehende derartige Trübungen hingegen er-
weisen sich in der Hegel sehr hartnäckig, gleichviel ob dieselben dick oder
dünn , gross oder klein sind ; auch die feinsten , dem freien Auge kaum
wahrnehmbaren j^ebelflecke trotzen dann fast immer jeder Therapie.
Man hat Grund anzunehmen, dass aus Geschwüren resultirende Trü-
bungen der fraglichen Art weniger geneigt sind zur Aufhellung, als solche,
welche aus einer einfachen Keratitis parenchymatosa oder vasculosa super-
ficialis hervorgehen.
Bei Kindern ist die Prognose eine vielmal günstigere , als bei Er-
wachsenen. Bei ersteren hellen sich im Laufe der Zeiten oft umfangreiche
Trübungen fast gänzlich auf, welche auf tiefgreifenden und selbst durch-
bohrenden Geschwüren zur Entwickelung gekommen sind.
Es ist nicht unwahrscheinlich , dass das Wachsthum der Cornea dabei von
Einfluss sei. Einerseits wird dadurch die Trübung auf einen grösseren Flächen-
raum vertheilt, sohin verdünnt und subjectiv nnd objectiv weniger wahrnehmbar;
andererseits wächst mit der Vertheilung der Neoplasie die Zahl der Berührungs-
punkte, welche dem umgebenden gesunden Cornealparenchyme geboten werden luid
somit auch der Effect eintretender Resorptionsju'ocesse.
2. Sehnenflecke und Narben im engeren Wortsinne, gleichviel welches
ihr histologischer Charakter ist, entbehren der Fähigkeit, sich in durchsichtiges
Cornealgefüge umzuwandeln, obgleich sie bisweilen einen ziemlichen Grad
von Diaphanität erreichen. Doch werden dieselben fast immer von aus-
gebreiteten parenchymatösen Trübungen und Epithelialflecken umsäumt, welche
spontan oder unter geeigneter Therapie aufgehellt werden können. Auf
Knopfähnliflu' Narlicn: Narbt'iikoraliti.'i: Myopie; Strabismus. 125
diese Weise -werden derartige Trübungen öfters ansehnlich verldeinert und
damit auch ihr Kinfluss auf das Sehen geschwächt.
Selincntlecke niul hesoiulei'R aelmie:e Narben vertrrös.sern sich liisweileii dnrcli
fortgesetzte Gewebswucherung zu knöpf artigen Mausen i welche ihrem äusseren An-
sehen nach viel Aehnlichkeit mit Staphylomen haben, sich von diesen ajjer durch
ihre Solidität unterscheiden. E.s sind massige, sehnige oder knorpelartige Aus-
wüchse, die bisweilen f^anz ansehnlich die Cornealvorderfläche ülierragon.
Die Sehnentiecke und die sehnigen Narben Icönuen übrigens auch
vereitern. Diese Narhenkeratitis (Hasner) entwickelt sich und verläuft meistens
unter den Erscheinungen heftiger ciliarer Gefäss- und Nervenreizung; die
Narbe und ihre Umgebung schwellen durch Infiltration etwas an, während
das wuchernde Epithel rauh und trüb wird. Bald zeigt sich dann auch
die Earbe der Narbe gesättigter grau oder gelblich und es beginnen sich
obertlächliche Lagen abzustossen , wodurch ein mehr weniger tiefes und
auso-ebreitetes Geschwür mit unregelmässi2;em Rande und Boden 2;esetzt
wird, welches im günstigen Falle immer wieder durch trübe Narbenmasse
ausgefüllt wird.
Frische und ra.9if?ständige Narben sind zur Vereiterung mehr geneigt, als alte
centrale. Die Ursache der Verschwärung können die mannigfaltigsten äusseren
Schädlichkeitseinwirkungen abgeben. Besonders sind Verletzungen der Narbe , zu-
fällige und ojjerative, als häufige Veranlassungen zu nennen. Bei kränklichen,
schwächlichen, sehr irritablen Personen soll die Disposition vornehmlich ausge-
sprochen sein (Hasner),
AiTch herpetische Efflorescenzen entwickeln sich mitunter im Bereiche sehnen-
ähnlicher Neubildungen auf der Hornhaut. Sie verschwären ebenfalls gerne xind
setzen bisweilen durch Ausbreitung des ursprünglichen Entzündungsherdes grosse
Substanzverluste.
3. Kreidige und osteoide Neoplasien sowie Metallincrustationen sind ständig
im engeren Wortsinne. Doch lassen die letzteren gleich den Sehnenflecken und
nicht durchbohrenden Narben die, wenn auch schwache, Möglichkeit einer Heilung
oder Besserung ülnüg. Die Erfahrung hat nämlich gezeigt, dass in einigen wenigen
Fällen nach Ausschneidung dieser Gebilde die Suljstanzlücke durch neoplastisches
Cornealgefüge ausgefüllt und dieses beträchtlich aufgehellt wurde.
4. Eine Reihe höchst verderblicher Folgezustände gehört mehr auf
Rechnung der durch jene Trübungen bedingten Sehstörung.
So kömmt es nicht selten zu ziemlich hochgradiger Myopie , wenn
der Kranke ein oder beide mit Cornealtiecken behafteten Augen zum
Scharfsehen , besonders kleinerer Objecte , anzustrengen bemüssiget wird.
Er ist dann nämlich gezwungen, diese Gegenstände dem Auge weit mehr
zu nähern, als es bei normaler Cornea nöthig wäre; bei Vorhandeiisein
von nur einiger Disposition führt aber fortgesetzte angestrengte Accommo-
dationsthätigkeit leicht zu den der Kurzsichtigkeit zu Grunde liegenden
Veränderungen im Bau des Atigapfels oder der Linse.
Diese stai'ken Accommodationsanstrengungen begründen übrigens auch
gar nicht selten slrabotische Abiveichungen des schivächeren Auges und bei
Kindern mit dichten beiderseitigen Hoi'nhautilecken kömmt es sogar öfters
zum Nystagimis. Ferner führen Hornhauttrübungen oft zur sogenannten
Amblyopia ex anopsia, indem der Kranke allmälig lernt, beim scharfen
Fixiren nur mehr mit dem gesunden oder besseren Auge zu sehen und
das andere zu vernachlässigen, wo dann allmälig das Accommodationsver-
mögen verloren geht und die Energie der Netzhaut abnimmt.
Um den Strabismus oder die Amblyopia ex anopsia zu setzen, bedarf es
keineswegs ständiger Hornhautflecke; diese können wieder schwinden, ohne dass
die während ihrem Bestände zur Entwicklung gekommenen Uebel behoben würden.
126 Homliautflecke ; Behandlung.
Behandlung. Deren Aufgaben sind : a) Durch Bethätigung des
Resorptionsprocesses und durch Beförderung der Epithelabstossung die Auf-
hellung der Trübungen anzuregen und zu beschleunigen und, wo eine völlige
Beseitigung derselben der Natur der Sache nach unthunlich ist, wenigstens
den Umfang der Trübung zu verkleinern; b) bei ständigen unverbesserlichen
Trübungen die Sehstörung möglichst zu beschränken, also die Intensität des
durchgelassenen zerstreuten Lichtes herabzusetzen, den scheinbaren Glanz
der Netzhautbilder aber zu erhöhen und wo es Noth thut, den directen
Strahlen neiie Wege zu eröffnen; c) endlich den mittelbaren Folgen der Seh-
störung vorzubauen.
1. Um der ersten Indication zu entsprechen, stehen der Therapie eine
Unzahl altbewährter empirischer Mittel zu Gebote. Alle haben das ge-
meinsam, dass sie, direct auf das Auge einwirkend, einen Iteizzustand her-
vorrufen. Dass dadurch die Abstossung der Epithelien gefördert wird,
ist eine ausgemachte Sache. In welcher Weise der Reizzustand aber die
Resorption bethätigt , ist nicht klar ; möglich , dass durch die Hyperämie
der Theile und die damit bedingte Vermehrung der Stoffzufuhr eine Art
Aufweichung der neoplastischen Elemente erzielt und die Zerfällniss imd
Resorption bogünstigt wird. Tliatsache ist, dass die Erzeugung eines solchen
Reizzustandes die unerlässliche Bedingung für einen wirklichen therapeutischen
Elfolg abgibt und dass die kräftigsten bekaitnten resoi-ptionsbefördernden
Mittel, das Quecksilber, das Jod u. s. w. wenn sie nicht direct auf die
Binde- und Hornliaut applicirt werden, jede Wirkung versagen.
Am häufigst en werden in Anwendung gebracht : Einstäubungen von
Calomel; Einstreichungen der gelben und rothe.n Quecksilberoxydsalbe, der
Jodsalb'e, der Opiumtinctur ; Einträufelungen orZs/r«ff//rejir/er Collyrien ; leichte
Aetzungen der Bindehaut mit Kupfervitriol oder Höllensteinlösungen.
Vor Zeiten hat man zu gleichem Behufe Wasaerdämpfe mittelst eines Trichters
an flen Angapfel geleitet, warmen Qnittenschleim oder Malvenanfguss in den Binde-
hautsack eingeträufelt, feine Oelc oder Fette mit einem Pinsel eingestrichen, Ochsen-
oder Fischgalle, Aalrutenleherö!, Vipernfett, Bärenfett etc., wässerige Lösungen von
manclierlei Extracten eingepinselt. Besonders als vorbereitende Mittel waren die
genannten Stoffe beliebt, indem man sich vorstellte, dass durch deren Anwendung
die Theile gleichsam erweicht und für die kräftige Wirkung der Resorbentien
günstig gestimmt würden. Auch hrenzliche und ätherische Oele wurden früher sehr
oft in Anwendung gezogen, z. B. das Wachholderöl, das Papieröl, das Sal volatile
cornn cervi n. s. w. Einige Zeit hindurch war die Elecfricüät sehr iu Mode (Cru-
sell, Mackenzie) . Letzthin sind Einslänhungen von Glaubersalz in Pulverform (de LucaJ
und bei tiefgreifenden nicht vascnlarisirten Trübungen suhconjunctivale Injectionen
von Kochsalzlösungen (RothmnndJ empfohlen worden.
Alle diese und noch viele andere Mittel leisten, zweckmässig ange-
wendet, in geeigneten Fällen vortreffliche Dienste. Wenn einige derselben
mehr als andere im Gebrauche sind, so liegt der Grund davon nicht etwa
in einer eigenthümlichen Wirkung derselben, sondern in ihrer leichteren
AppUcationsweise und besonders in der Möglichkeit , die Grösse des durch
sie bedingten Reizzustandes bemessen und den jeweiligen Verhältnissen an-
passen, nach Belieben verstärken oder schwächen zu können. So sind
Einstäubitngen von Calomel ihrer überaus geringen reizenden Wirkung wegen
ganz besonders bei frischen Maculis und überhaupt dort am Platze, wo die
Empfindlichkeit des Auges noch bedeutend und Entzündungen zu fürchten
sind. Die gelbe Quecksilberoxydsalbe empfiehlt sich , wo man einer kräf-
tigeren Wirkung bedarf und die Reizbarkeit des Auges eine massige ist.
Keizendo Mitfei: Abrasio Corneae. 127
Dio adstringirenden CoUyrien wci'flen am besten bei Vorliandenscin einer
katavrlialischcn ErschlaiTunii; der Eindehaut in Anwendung gezof!;en. Die
Actzungen mit Kupfervitriolkrj'stallen oder mit Höllensteinlösungen finden
ihre Anzeige bei Complication der Hornhauttrübung mit einer hyper-
trophirenden Gewcbswucheruiig der Conjunctiva.
Im Allgemeinen wird man gut thun, die Kur mit schwächeren Mitteln
zu beginnen und im Falle des Bedarfes die Dosis zu steigern oder zu stär-
keren Mitteln überzugehen. Eeagirt das Auge auf das angewendete Mittel
gar nicht oder doch iwvc in sehr geringer Stärke, so muss die Dosis gesteigert
oder zu einem anderen kräftigeren IVIittel Zuflucht genommen werden. Oft
gescliieht es, dass nach längerer Anwendung eines an und für sich genug-
sam starken Mittels die J^mpfänglichkeit des Auges gleichsam abgestumpft
und dieses nicht mehr gereizt wird. Dann ist es gut, von Zeit zu Zeit
mit der Behandlung auszusetzen. Das Mittel leistet dann wieder gute
Dienste. Auch kann man in einzelnen Fällen die Wirksamkeit der Mittel
dadurch erhöhen, dass man die Theile durch Anwendung laiter Ueberschlä'ge
oder Catniilasmen in einen Zustand entzündlicher Schwelluiig und Lockerung
versetzt, indem unter solchen Vei'hältnissen die Zerfällung und Resorption
wesentlich erleichtert werden. (S. 115).
Von grosser Wichtigkeit ist es, den durch das Mittel bedingten
Reizzustand innerhalb der Grenzen der Massigkeit zu bannen. Ist die
Irritation an i;nd für sich nicht sehr bedeutend, so genügt es, den Kranken
während ihrer Dauer in einem massig erleuchteten Zimmer zii halten
und jede mögliche ^'eranlassung zu weiteren Steigerungen des Reizzu-
standes, z. B. Anstrengung der Augen, das Tabakrauchen, u. s. w. sorg-
sam zu verhindern. Bei intensiver hervortretenden Reizsymptomen sind nebst-
bei kalte Ueberschläge angezeigt. Sind diese Erscheinungen geschwimden,
so f^iUt die Nothwendigkeit weg, den Kranken durch allzuscharfe Vor-
schi-iften zu beengen. Es genügt, intensivere Reizeinwirlaxngen von dem
Auge fern zu halten.
Gar oft, besonders bei dichten Trübungen, versagen am Ende die erwähnten
Mittel trotz ver.stärkter Dosis und mannigfaltigem Wechsel jede Wirkung. Manche
Oculisten erwarten dann noch von anderen, zum Theile sehr heroischen therapeu-
tischen Eingrift'en günstige Erfolge.
Directe Versuche mit künstlichen Einimpfungen der Blennorrhoe haben bei
Hornhautflecken keine günstigen Ergehnisse geliefert (Piringer). Doch ist nicht
zu läugnen, dass in Folge zufüUig angeregter Eiterflüsse mitunter sehr hartnäckige
oberflächliche Maculae getilgt werden.
Die Scarification und Excision der von der Bindehaut zur Cornealneubildung
liinzielienden Gefässe ist meistens ohne Erfolg. Dagegen wirkt die Scarißcation
der trüben Stelle an sich (Weller, Demours) oder in Verbindung mit den obener-
wähnten pharmaceutischen Eingriffen als ein energischer Reiz. Es steht jedoch
sehr dahin, ob die Scarification dort, wo die reizenden Salben, Pulver, Wässer u. s. w.
unzixreicheud befunden werden, so viel leisten kann, dass dadurch die mit ihr ver-
bundene Gefahr heftiger und verderblicher Entzündungen genugsam aufgewogen wird.
Ungleich wichtiger ist die Abrasio corneae, welche auf zweifache Weise
geübt wird, durch Abschaben der oberflächlichen trüben Schichten und durch Ab-
tragen derselben in grösseren zusammenhängenden Stücken. Beide Methoden fussen
auf der Beobachtung, dass solchermassen gesetzte Substanzverluste in einzelnen
Fällen durch neugebildetes Gefüge wieder ausgeglichen werden, welches in Bezug
auf seine Durchsichtigkeit der normalen Hornhautsubstanz nahe kömmt.
rt) Die Abschabung oder Abkratzung wird mittelst der Schneide eines Staar-
messers oder eines Lanzenmessers, wolil auch mit einer Staarnadel bewerkstelliget
128 HornhautfleoVe: Behandlung; Abrasio Corneae.
indem ni,in in älinlicher Weise verfährt, wie beim Radiren auf Papier. Diese
Operation ist oft sehr schmerzliaft und wird daher mit Vortheil wälirend der
Narkose vorgenommen. Selten gelingt es, in kurzer Zeit die trüben Gebilde völlig
oder doch grösstentheils zu entfernen ; längeres Kratzen schliesst aber eine bedeu-
tende Gefahr in sich, da es gerne heftige und sehr verderbliche Entzündungen
anregt. Darum ist es vortheilhafter, die Operation in öfteren kürzeren und durch
lange Zwischenpausen getrennten Sitzungen zu wiederholen, umsomehr, als sich
nach jeder Abrasion immer wieder ein Theil trüben Gefüges entwickelt, wälirend
der Boden des Substanzverlustes sich allmälig hebt. Bei Mefallinmistationen , bei
Epithelialnarhen und oberflächlichen fettigkalkigen Neubildungen befriediget diese
Methode am meisten.
h) Die Ahtragimg erfordert ein dünnes Staar- oder Lanzenmesser, welches
bei fixirtem Bulbus unter den trüben oberflä'chlichen Schichten durch die Dicke
der Hornhaut geführt wird, so dass jene Strata in Gestalt eines dünnen Lappens
losgetrennt werden, welcher letztere dann mit der Pincette gefasst und durrh
weitere Messerzüge abgelöst wird. Auch diese Methode muss wegen der Nach-
bildung trüher Strata in vielen Fällen öfters wiederholt werden. Bei dichten ober-
flächlichen Sehnenflecken, namentlich wenn dieselben etwas über die Oberfläche der
Cornea hervorragen, ohne tief in die Substanz der Cornea einzudringen, pflegt die
Abtragung am meisten zu leisten (Mead, Larrey, Wardrop, Weiler, Oidz, Mackenzie).
Beide Methoden sind nicht ohne Gefahr, Bei zarter und schonender Aus-
führung kömmt es freilich ziemlich oft nicht einmal zu einer erheblichen Reaction.
Doch hat man andererseits als Folge der Operation Keratitis suppui-ativa, Iritis
vind selbst Panophthalmitis beobachtet. Man darf daher wohl sagen, die Ahrasio
sei nur dort am Platze, wo Cornealtrübungen der oberwähnten Art vermöge ihrer
Lage und Grösse das Gesicht fast auf die Wahrnehmung von Hell und Dunkel
beschränken und wo auf keine andere Weise, als durch Aufhellung der Trübung,
ein gewisser Grad von Sehvermögen hergestellt werden kann.
2. Bind die Mittel zur weiteren Verkleinerung und Aufhellung der
Trübung erschöpft, oder liegt eine unverbesserliche Obscuration der Cornea
Tor, so kommt es darauf an, den störenden Einfliiss derselben auf das Sehen
zu vermindern, oder wohl auch neue Wege für das von den Gesichtsobjecten
zum Auge kommende Lacht zu eröffnen.
Bei zarten nebeligen Trübungen wird sich ein darauf hinzielendes Heil-
verfahren vornehmlich dann lohnen, wenn das betreffende Auge das allein
functionstüchtige oder doch das bessere ist und die Verhältnisse des Kranken
ganz scharfe und deutliche Wahrnelimungeii nothwendig machen. Die
Hauptaufgabe zielt dahin, das von der Trübung ausgehende Spectrum
unbeschadet der erforderlichen Helligkeit der Netzhautbilder abzublenden.
Bei dichten Trübungen, deren Kern nur wenig oder gar kein directes
JAehi durchlässt und welche darum auch die Helligkeit der Netzhautbilder
in sehr empfindlicher W^eise zu beeinträchtigen pflegen, sind therapeutische
Hilfen fast durcligängig dringlich und auch wohl absolut geboten. Ihr vor-
nehralichster Zweck ist Erweiterung des vorliandenen oder Beschaffung
eines neuen Weges für directes Licht, nebenbei aber gewöhnlich auch
Deckung des lichtzerstreuenden Saumes der Trübung.
\Vcitere nicht minder belangreiche Indicationen stellen in Fällen der
einen und anderen Art oberflächliche Rauhigkeiten und Verkrümmungen der
Cornea so wie etwaige Schiefstellungen des Krystalles. Es gehen diese
Aufgaben im Allgemeinen darauf hinaus , die unregelmässig gebrochenen
Strahlen thunlichst abzublenden, dagegen für das directe Licht einen
Weg zu bahnen, welclier in Bezug auf Refractionsverhältnisse der Norm
möglichst nahe kömmt.
Stenopaeische Brillen; Verlagerung der Pupille; Iridectoraie. 129
a. Wo ein nicht zu kleiner Theil der Pupille hinter dui'chsichtigen ,
oder doch nur neblig getrübten Hornhautpartien lagert, auch wenn diese
abnorm gekrümmt wären, leistet ein dicht vor das Auge gehaltenes planes
Diaphragma mit kleinem centralen Loche erspriessliche Dienste (Travers).
Leider haben solche Blenden den Uebelstand, dass sie mit dem seitlichen
diffitxen Lichte, welches die Erleuchtuntrsintensität des Spectrum bedeutend steigert,
immer auch einen grossen Theil des directen und regulär gebrochenen Lichtes ab-
blenden , also die Helligkeit der Netzhauthilder sehr beeinträchtigen. Ausserdem
heschränken sie das Gesichtsfeld in der misslichsten Weise, sie ermöglichen blos
eine genauere Wahrnehmung von j?i der Mitte des Gesichtsfeldes gelegenen fixirten
Objecten, können also keineswegs beim Herumgehen des Kranken und überhaupt
bei Bewegungen imd raschem Wechsel der Objecte verwendet werden. Sie sind
also blos ein Nothf)ehelf zur zeitweiligen Steigerung der Deutlichkeit der Wahr-
nehmungen, und selbstverständlich nur zum monoctdaren Sehen verwendbar. Bei
den stenopäischen Brillen, d. i. ovalen im Centrum durchbrochenen Schalen (Ritterich,
D anders , Wijngaarden, Schauenhurg), welche vor dem Auge befestigt werden, tritt
diese Beschränkung des Gesichtsfeldes vermöge der grösseren Entfernung des
Loches von dem Centrum der Cornea noch viel mehr hervor, daher sie weniger
taugen, als flache, in Monokelform gefertigte durchbohrte Blenden.
h. Viel vollständiger und sicherer entspräche den oben aufgestellten
Indicationen die operative Verlagerung der Pupille. Es wird dadurch
nämlich die Pupille in Gestalt einer stenopäisch wirkenden Spalte verzogen
und gegen den Prolapsus hin verrückt. Ist die Trübung und oberflächliche
Rauhigkeit der Cornea nicht gar zu ausgebreitet, so wird es bei richtiger
Wahl des Operationsfeldes in der Regel nicht schwer sein, die Pupille
ihrer Totalität nach oder zum grossen Theile hinter vollkommen durch-
sichtige und oberflächlich glatte, vielleicht annähernd richtig gekrümmte
Cornealpariien zu verlagern, das von der Trübung zerstreute und das von
den Rauhigkeiten und verkrümmten Stellen unregelmässig gebrochene directe
Licht also ganz oder zum grossen Theile von hinten her durch die Iris
abzublenden, iind so die Deutliclikeit und Schärfe der Netzhautbilder in
directer und mittelbarer Welse zu steigern. Leidei ist das fragliche Ver-
fahren nicht ohne Gefahr und findet im concreten Falle nicht immer die
Bedingungen, auf dass es seine Leistungsfähigkeit nach allen Richtungen
entfalten könnte.
c. In Anbetracht dessen thut man in der Regel besser, auf die
ohnehin nur unvollständig erreichbaren Vortheile der Verlagerung zu ver-
zichten und durch Beschaffung eines iveiten Durchlasses für directes Licht
an möglichst günstigen Stellen die Helligkeit der Netzhautbilder zu steigern,
also die Iridectomie zu wählen. Wo die Verhältnisse nicht gar zu ungünstig
sind, ist dieses im Ganzen eine sehr lohnende Operation. Es gelingt nicht
selten, durch sie ziemlich hohe Grade von Functionstüchtigkeit herzu-
stellen. Wo die Y^i'hiiltnisse sehr ungünstige sind, die Cornea stark ver-
krümmt oder nur ein kleiner, ausschliesslich peripherer Theil derselben
für directe Strahlen passirbar ist etc., lassen sich glänzende Resultate
freilich nicht erwarten und man muss dieses vor der Operation wohl
erwägen und prognostisch verwerthen. Es liegt indessen auf der Hand,
dass solche minder günstige Verhältnisse die Operation nicht überflüssig
oder werthlos machen.
Der normale Fortbestand des anderen Auges schwächt die Indication
für ein operatives Verfahren, sei es Pupillenverlageruug oder Iridectomie,
stell w ag, Augenheilkunde. 9
230 Hornhautflecke; Behandlung, tünstliche Pupillenhildung-.
nicht, selbst wenn blos Aussicht auf ein beschränktes Sehvermögen ge-
geben wäre.
In (1er Verstärkung der Lichteindrücke und in der Erweiteriing des gemein-
schaftlichen Gesichtsfeldes liegen der Vortheile genug, um die Operation lohnend
zu machen. Lässt sich gar die Herstellung eines heträcJdUchen Grades von Seh-
schärfe hoffen, so ist darin eine directe Autforderung gegeben, mit der Operation
nicht zu zaudern, damit das kranke Aiige mittlerweile nicht vernachlässigt und
durch Mangel an Uebung in seiner Function stüchtigkeit geschädigt werde.
Wo vollends das andere Auge zum Sehen unbrauchbar geworden ist,
erscheint die Operation auch unter den ungünstigsten Aussichten geboten,
da schon eine geringe Verbesserung des Sehvermögens, die Befähigung
des Auges, grössere Objecte in Schattenumrissen zu erkennen , und selbst
die einfache Verstärkung der Lichteindrücke für den Kranken ein Ge-
winn ist.
Als Regel gilt, dass, wo es nur immer thunlich ist, die Pupille
möglichst nahe dem Centrum anzulegen sei. Bei peripheren Synechien eines
grossen Theiles des Pupillarrandes, wo die Iris nach der iS^arbe hin gezerrt
ist, kömmt man öfters in die Gelegenheit, dieser Regel genügen zu
können. Bei centralen Trübungen der Hornhaut wird die künstliche Pupille
immer eine excentrische oder periphere sein müssen. Dann ist, wo die
Wahl frei steht, der innere untere Quadrant der Cornea der geeignetste
Platz für die Pupille.
Es kömmt hier in Betracht erstens, dass die Sehaxe mit der Hornhautaxe
einen Winkel einschliesst und die Cornea in der Regel nach innen und etwas nach
unten von deren Centrum schneidet, zweitens dass beim Fixiren stets die Sehaxe
dem betrachteten Objecte zugewendet werden muss, damit dessen Bild auf den
gelben Fleck treffe. Wird demnach die künstliche Pupille einem anderen als dem
inneren unteren Quadranten der Hornhaut entsprechend angelegt, so sind alle
Lichtstrahlen, welche durch das neue Sehloch ins Innere des Auges gelangen
können, als Randstrahlen aufzufassen, welche um so schiefer auf die brechenden
Flächen fallen, je weiter die künstliche Pnpille von dem inneren unteren Horn-
hautquadranten entfernt ist. Unter solchen Umständen muss sich schon bei
normaler Krümmung der Hornhaut die sphärische und chromatische Aberration sehr
fühlbar machen, bei anomaler Wölbung der Hornhaut aber die Abweichung des
Lichtes im höchsten Grade störend werden. Dazu kömmt, dass von den Licht-
strahlen, welche auf den der Pupille gegenüber liegenden Cornealtheil treffen,
vermöge der Grösse ihres Einfallswinkels ein grosser Theil reflectirt und auch
wohl zerstreut und absorhirt wird, sonach die Netzhautbilder einen Ausfall an
Helligkeit erleiden land bei Vorhandensein auch ganz schwacher Trübungen durch
ein Spectrum in ihrer Deutlichkeit geschädiget werden müssen.
Es ist hierauf nicht blos in jenen Fällen zu achten, in welchen es
sich einfach um Herstellung eines möglichst guten monocularen Sehver-
mögens handelt, sondern auch dort, wo bei Functionstüchtigkeit des
anderen Auges Aussicht auf Zurückführung beider Bulbi zum gemeinschaft-
lichen Sehact gegeben ist. Bei veralteten und namentlich aus der Jugend
stammenden centralen ausgebreiteten Flecken ist diese Hoffnung jedoch
stets eine sehr geringe, daher es besser gerathen scheint, mehr Rücksicht
auf Erweiterung des gemeinschaftlichen Sehfeldes zu nehmen , die künstliche
Pupille also nach aussen anzulegen.
Im Allgemeinen kann man mit um so mehr Grund atif die Herstellung des
gemeinschaftlichen Sehactes durch die Operation zählen, je günstiger die Verhältnisse
für die Erzielung scharfer Netzhautbilder sind. Excentrische Pupillen , dem äusseren
oder oberen Theile der Hornhaut entsprechend, und besonders ganz x>friphere
Sehlöcher lassen selten oder niemals einen gemeinschaftlichen Sehact aufkommen.
Sclerectomie; Oornealtransplantatioii ; Oporat. Lösung vord. Synechien. 131
Nach oJten ang-elegte künstliche Pupillen werden gewöhnlich zum grossen
Theile von dem oberen Lide gedeckt und dadurch in ihren Leistungen beschränkt.
Man ist gezwungen, durch Rücklagcrung des o))eren geraden Angennmskcls diesem
Uebelstande zn steviern. Durch die Tenotomie wird die Wirkungsfäliigkcit des
Muskels nämlich geschwächt und die Visirlinie unter die Horizontale geneigt. Um
die optische Axe belmfs der Fixation eines Objectes in die richtige Stellung zu
bringen, nmss daher auf den Rectus superior ein stärkerer Willonsimpuls geleitet
werden, als in der Norm nothwendig wäre. Dieser Impuls trifft aber immer gleich-
zeitig den functionel innig verbundenen Aufhebemuskel des oberen Lides, daher
denn auch dieses bei der Einstellung des Auges auf ein Object mehr gehoben
wird als s onst, und das ist eben der Zweck.
d) In Fällen, in welchen die ganze Hornhaut getrübt ist, hat man vorge-
schlagen, den Lichistrahlen durch die Sclerotica einen Weg zu bahnen (Autenrietli),
Hornhäute von Thieren zu transplantiren (Himly, WufeerJ, oder durch Einheilung
eines nach Art der HeindhnÖ2jfe geformten Glases in einen SjJalt der getrübten
Cornea ein künstliches Fenster herzustellen (Ntissbaum) . Es sind diese Versuche
sämmtlich misslungen. Ein Fall liegt indessen vor, wo ein eingeheiltes Glas drei
Monate nach seiner Einlegung noch haftete, durchsichtig geblieben war und das
Sehen ermöglichte (Heusser).
e) Um 2}artieUe vordere Synechien zu lösen, dient ein der Corelyse analoges
Verfahren. Es wird nämlich nach thunlichster Erweiterung der Pupille durch
starke Atropinlösungen ein Lanzenmesser im Meridian der Verwachsung in die
Hornhaut so eingestochen, dass beim Vorschieben der Klinge der anhaftende Theil
der Iris knapp an der Narbe unter die Schneide fällt. Was dann etwa noch
übrig bleibt, kann mittelst des bei der Corelyse gebräuchlichen Hakens losgerissen
werden. Wiederholte Einträufelungen starker Atropinlösungen müssen hierauf die
Pupille thunlichst weit und die Wundränder der Iris möglichst auseinander halten.
Es ist diese Methode in Bezug auf ihren Effect jedoch keineswegs eine sehr sichere
und lohnet überhaupt nur selten die Mühe und Gefahr. Bei centralen, mit vorderer
Synechie des Pupillarrandes gepaarten Narben kann durch die Lösung der Ver-
wachsung nur selten die Nothwendigkeit der Coremorphose aufgehoben werden.
Bei excentrischen und peripheren Synechien, welche den Durchmesser der Pupille
nur wenig beeinträchtigen und bei welchen nur ein kleiner Theil des Sehloches
von der narbigen Trübung gedeckt erscheint, hat die Lösung kaum irgend welchen
erheblichen Vortheil.
3. Die dritte ludication zielt darauf hin, den mittelbaren Folgen der
Sehstörung , der Entwickelung der Kurzsichtigkeit , der A.mblyopie, des
Strabismus etc. liindernd in den Weg zu treten. (Das hierzu erspriess-
liche Verfahren ist Gegenstand der Erörterung in den diesen Zuständen
gewidmeten Capiteln).
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3. Ectasieu oder Staphylome.
Nosologie. Auf dass sich innerhalb der vorderen Scleralöffnung ein
Staphylom entwickeln könne , ist erste und unerlässliche Bedingung die
Ahnahme der normalen Resistenz des Cornealgefüges, oder dessen Ersatz
durch ein, wenigstens zeitweilig, nachgiebigei'es ausdehnsames Gewebe.
Zweite Gi'undbedingung ist eine gewisse Drucktcii-kung von Seite des
Augapfelinhaltes, Termöge welcher der betreffende Augapfelwandtheil in
eine seine Widerstandskraft überbietende Spannung versetzt wird. Letztere
Bedingung schliesst das Abhandensein jeder noch, so feinen Oeffnung in
irgend einem Theile der Bulbuswand in sich und setzt voraus, dass die
Mutterorgane der dioptrischen Feuchtigkeiten in ihrer secretorischen
Thätigkeit nicht ungebührlich stark beirrt seien. Die Druckwirkung der
vier geraden Augenmuskeln ist ein hochwichtiges förderndes Moment der
Staphylombildung, aber keine unerlässliche Bedingung.
Die Besistenzverminderung der Cornea ist bisweilen die Folge einer
entzündlichen Auflockerung des Hornhautgefüges oder eines angeborenen
Bildungsfehlers. Erreicht sie einen so hohen Grad, dass der intraoculare
Druck mindestens zeitweilig das Uebergewicht gewinnt, so resultirt eine
Ausdehnung der Hornhautsubstauz als solcher, ein eigentliches Hornhaut-
staphylom. Häufiger ist die Abnahme des Widerstandes begründet in
stellenweiser oder totaler Zerstörung der vorderen Corneallamellen. Die
biosgelegten hinteren Hornhautschichten werden dann öfters unter dem
Einflüsse des intraocularen Dnickes ausgedehnt, vorgebaucht, es entwickelt
sich eine ulcerative Keratectasie, welche unter allmäliger Anbikliing eines
neoplastischen, mehr weniger trüben, selbst narbenähnlichen Ueberzuges
in ein narbiges Homhautstaphylom übergehen kann. In den meisten Fällen
endUch liegt der Staphylombildung ein umfangreicher Durchbruch oder
eine gänzliche Zerstörung der Cornea zu Grunde. Die biosgelegte Iris
tritt an die Oetfnung, schliesst sie unter Verlöthung mit den Durchbruchs-
ränderu, wird hervorgebaucht, ein Staphyloma iridis bildend, welches dann
unter Entwickelung von Xarbenmasse in und auf seiner Wandung in ein
eigentliches Narbenstaphylom übergeht.
Eine strenge Scheidung dieser drei Grundformen des Staphyloms ist
nur in der Theorie möglich. In der Wirkliclikeit verschwimmen deren
Grenzen durch zahlreiche Zwischenformen.
a. Das Hornhautstaphy lom.
Pathologie. Der Begriff des Staphyloma corneae wird am schärfsten
durch das Synonym : ^Ectasia corneae, Ansdehnung der Hornhaut" bezeichnet,
da es die Substantia propria corneae als dasjenige Gebilde andeutet,
welches die Ausdehnung und Flächenvergrösserung erlitten hat.
Horiiliaiit.staiilivIi>in : Kiiiflii'üniiK : Kraiikheitshild. 133
Mail unterscheidet Auscle]inunp:en ohne typischen Charakter, bei welchen
die entziindliche Grundlage sowolil in der Anamnese als in den begleitenden
Erscheinungen oß'en zu Tage liegt. In ihren niederen Graden werden sie
als Hornhautectasien im engeren Wortsinne beschrieben. In den höchsten
(Jraden sind sie stets mit Ectasien der vorderen Scleralzone oder der
Lederhaut als Ganzen verknüpft und demnach als Theilerscheinung des
sogenannten Hydrophthalmus anterior oder des Totalstaijhjloms des Bulbus
aufzufassen. (Siehe Scierochorioidalstaphylome.)
Ilmen gegenüber stehen Ectasien von mehr typischer Form, welche
ihren letzten Grund bald in gewissen Hemmungshildungen, bald in entzünd-
lichen Processen zu haben scheinen, bei welchen jedoch die Merkmale der
etwa vorausgegangenen ursächlichen Entzündung sehr in den Hintergrund
treten oder völlig fehlen. Hierher gehören der Keratoconus , die Cornea
conica oder das kegelige Hornhautslnphylom und der Keratoglohus, die Cornea
glohosa oder das kugelige Hornhautstaphylom, auch Buphthalmus genannt.
Die Ausdehnung geschieht stets auf Kosten der Hornliautdicke. Beim Kerato-
glohus ist die Cornea gleichraässig verdünnt, kaum papierdick und nach hinten von
der ebenfalls ausgedehnten und verdünnten Wasserhaut überkleidet. Bei der Cornea
conica fand man die Peripherie der Hornhaut bald verdickt, bald von normaler
Dicke. In der Mitte jedoch, entsprechend dem hervorragendsten Theile des Staphy-
loms, erschien die Cornea sehr verdünnt, von der Dicke eines Postpapiers. An
der vorderen Fläche war der Uebergang der beiden verschieden mächtigen Zonen
der Hornhaut unmerklich, an der hinteren Fläche aber ein 2}lötzlichev , so dass der
centrale verdünnte Theil ringsum wie von einem Wulste umgeben schien (M. Jaeger,
Walker, Middlemore, Cappelletti).
Krankheitsbild. Es ist dieses ein anderes je nach der Art des
Staphyloms und nach dem Grade, bis zu welchem es bereits gediehen ist.
1. Niedere Grade der Ausdehnung, welcher Art sie auch seien, ent-
gehen leicht selbst dem geübten Beobachter, wenn er sich nicht feinerer
diagnostischer Hilfsmittel bedient , da sie keine autfällige Abweichung in
der Grösse und Gestalt der Cornea begründen. Doch macht sich der daran
geknüpfte irreguläre Astigmatismus für den Kranken überaus fühlbar, be-
sonders wenn das Auge früher normal functionirte. Es wird nämlich das
Sehen in die Ferne immer verschwommener, ohne dass sphärische oder
cylindrische Gläser eine wesentliche Verbesserung zu erzielen im Stande
wären. Scharf contrastirende feinere entfernte Gegenstände zeigen sich
dabei meistens vervielfältigt. Weiterhin wird auch das Nahesehen immer
beschwerlicher, der Kranke muss die Objecte mehr als früher dem Auge
nähern , ohne dadurch zur vollen Deutlichkeit und Schärfe der Wahr-
nehmungen zu gelangen, ja gar oft wird dabei auch die Polyopie in hohem
Grade lästig. Man ist dann leicht verführt, eine Amblyopie als Grund
unterzustellen, doch bietet das Vermögen, selbst sehr nahe stehende Farben-
töne von einander zu unterscheiden, und besonders die autfällige Ver-
besserung des Sehens, welche durch runde Schirmlöcher sowie durch Zu-
kneipen der Lider erzielt wird, einen genügenden Anhalt für die Diife-
rentialdiagnose.
Die Unregelmässigkeit der Hornhautkrümmung offenbart sich aber
auch im ophthalmoscopischen Bilde. Man übersieht immer nur einen kleinen
Theil des Augengruudes. Die Gefässe und der Umfang der Papille er-
scheinen nach verschiedenen Richtungen verbogen, bald da bald dort ver-
breitert und wieder verengt und von sehr wechselnder Deutliclikeit ihrer
XS"! , Hornhautstai^hylom ; Kiaiikheitsbild; Keratectasie.
Contouren. Nicht selten sieht man ein Gefäss an der einen Seite des
Sehfeldes ausserordentlich verdünnt aus der verschwommenen Grenze heraus-
treten, allmälig deutlicher und dabei dicker werden, um schliesslich auf
der anderen Seite mächtig verbreitert das Gesichtsfeld wieder zu verlassen.
Die geringste Verschiebung der Spiegelaxe oder des kranken Auges bedingt
ganz unverhältnissmässige Verrückungen und Verzerrungen der wahrge-
nommenen Bilder, so zwar, dass oft die Gefässe und die Grenzen des Seh-
nerveneintrittcs förmlich durcheinander zu wirbeln scheinen.
Auch die Reflexe der Hornhmitvorderfläche erleiden entsprechende Ver-
änderungen. Doch pflegen dieselben nicht so auifällig zu sein vermöge
der Kleinheit der Bilder. Ist die Verkrümmung aber eine mehr kegelige
oder eigentlich hyperboloide , wie dies beim Keratoconus der Fall ist , so
liefern die Reflexe nicht minder gute diagnostische Hilfsmittel. Leitet man
ein solches Reflexbild auf den Scheitel des Kegels, so erscheint es sehr
verkleinert , ohne auffällige Verzerrung. Doch augenblicklich , oft mit
einem Rucke, wird es nach der Richtung des Meridians in die Länge ge-
zogen, wenn man die Stellung des Auges zur Lichtquelle um ein Kleines
verändert.
Die erwähnten dioptrischen und katoptrischen Erscheinungen treten
begreiflicher Weise nur dort deutlich hervor, wo die ectatische Cornea
ihre Durchsichtigheit wenigstens grösstentheils bewahrt hat. Solche Fälle
bilden aber gerade die Minderzahl. Bei der Keratectasie im engeren Wort-
sinne ist die Cornea in der Regel von dichten Trübungen und Narben be-
setzt. Auch bei dem Keratoconus ist eine durchsichtige Spitze Ausnahme
und beim Keratoglohus erscheint die Cornea recht oft von leichten wol-
kigen Trübungen durchsetzt , mitunter sogar ziemlich gleichmässig und
dicht getrübt. Dazu kommen betreö's der Sehstörungen sehr oft noch die
Folgen intraocularer Entzündungsprocesse und anderer die Function des
lichtempfindenden Apparates sehr herabsetzender Momente, so dass dann
die Diagnose niederer Grade recht schwer wird.
2. Bei den höheren Entwickelungsgraden sind alle Symptome potenzirt.
Die Cornea erscheint, namentlich bei seitlicher Betrachtung des Auges,
deutlich hervorgewölbt , ihr Zenith tritt um ein Bedeutendes über die
Ebene der vorderen Scleralöffnung hervor und dem entsprechend zeigt sich
die Vorderkammer ansehnlich erweitert.
a. Bei der Keratectasie im engeren Wortsinne ist die Ausdehnung bald
eine ziemlich gleichmässige , wo dann die Wölbung hippelförmig erscheint ;
bald ist sie eine ungleichmässige , oder auf einen Theil der Hornhaut be-
schränkte, in welchem Falle die Cornea sich der stumpfen Kegelform nähert
und sich entweder nach allen Seiten gleichmässig oder ungleichmässig ab-
dacht, je nachdem der Scheitel der Wölbung der Mitte oder einem Seiten-
theile des Organes entspricht.
b. Bei dem Keratoconus ist die Vorwölbung immer eine kegelige oder
eigentlich mehr hyperboloide, indem die Seitenwandungen in der Richtung
der Meridiane nicht geradlinig, sondern mehr oder weniger convex sind.
Doch gehören sie keiner regulären Curve an, sondern zeigen in den ver-
schiedenen Meridianen und in den einzelnen Theilen desselben Meridianes
sehr abweichende Kinimmungen (Brewster). Das Staphylom springt bis-
weilen so stark hervor, dass es schon bei geschlossener Lidspalte merklich
Keratoconns ; Keratoglobus. 135
wird oder gar den Lidsclilag- beirrt. Die ubgcstumpftc Spitze des Kegels
fällt öfters mit dem Centrum der Cox'nca zusammen. Letztere erhebt sich
dann von allen Punkten der Peripherie unter einem gleichen Winkel zu
dem Zenith, die Cornea erscheint glocken- oder hutähnlich gewölbt. Ebenso
oft ist die Lage des Zenithes aber eine excentrische und danii fällt- die
Wandung des Staphyloms an verschiedenen Stellen in ungleicher Steilheil
ab. Die Spitze des Kegels ist oft ganz dtirchsichtig, häufiger aber getrübt,
neblig wolkig oder opak , einem Epithel- oder Sehnenflecke ähnlich , bis-
weilen selbst narbig. Die Seitenflächen des Staphyloms sind in der Regel
vollkommen durchsichtig, glatt und spiegelnd; das Gegentheil ist immer
auf zufällige Complicationen zu schreiben, welche mit dem Keratoconus in
keinem näheren Verbände stehen.
Die Augenspiegel- und Reflexbilder zeigen bei wechselnder Stellung der Kegel-
axe zur Lichtquelle die obenerwähnten Veränderungen der Grösse , Gestalt und
Lage natürlich in gesteigertem Masse. Wird die Kegelaxe der Lichtquelle gerade
zugewendet, so wird an einer gewissen Zone der Seitenwandungen der Einfalls-
winkel des Lichtes leicht den Grenzwerth erreichen oder gar überschreiten, also
alles Licht reflectirt werden. Die Folge ist das Erscheinen eines leuchtenden Ringes
(Ammon, Knapj)). Mitunter ist die Reflexion eine so bedeutende, dass die kegelige
Cornea nach Art eines Krystalles funkelt.
Das Sehuermögen ist bei stärker entwickeltem Keratoconus immer
überaus stark beeinträchtigt, und kann auch durch Schirmlöcher, Zukneipen
der Lider und durch Seitenstellung der Objecte (Mackenzie) nur sehr un-
vollkommen gebessert werden. In sehr hochgradigen Fällen genügt das
Auge häufig kaum, um dem Kranken die Selbstführung zu gestatten. Die
in der Axe des Kegels gelegenen Objecte entschwinden nämlich der Wahr-
nehmung und nur seitlich im Gesichtsfelde gelegene Gegenstände werden
noch in ihren gröberen Umrissen erkannt; daher der Kranke denn auch
bei dem Versuche , ein Object zu fixiren , demselben die Seitenwandungen
des Kegels zuzuwenden pflegt. Sehr oft beschränkt sich das Sehvermögen
wohl gar auf die blosse Unterscheidung von Hell und Dunkel sowie der ein-
zelnen Farben, oder es ist auch jede Spur von Lichtempfindung geschwunden,
der Keratoconus ist mit Amaurosis combinirt.
c. Beim Keratoglobus wölbt sich die Hornhaut kuppelartig hervor.
Im Beginne ist die Einsattelung zwischen Cornea und Sclera noch eine
sehr scharfe. Allmälig aber dehnt sich auch die vordere Lederhautzone
aus, wird bläulich durchscheinend, während jene Grenzrinne immer mehr
sich verstreicht und schliesslich ganz verschwindet. Die Cornea hat nun
bedeutend an Fläche und Umfang gewonnen. Dieselbe bewahrt in reinen
Fällen nicht selten den spiegelnden Glanz ihrer Oberfläche und die nor-
male Durchsichtigkeit ihres Gefüges. Bisweilen erscheint sie etwas grünlich
und rauchähnlich trüb , namentlich an ihrer Peripherie , so dass sie sich
nur undeutlich von der Sclerotica abgrenzt. Oft jedoch finden sich auch
ausgebreitete leucomatose Trübungen, ja es kommen genug Fälle vor , wo
das Hornhautgefüge seiner Totalität nach völlig undurchsichtig , dicht
wolkig oder gar sehnenähnlich getrübt ist. Die Vorderkammer zeigt sich
der enormen Ausdehnung der Cornea entsprechend nach Tiefe und Breite
ausserordentlich vergrössert ; die Iris ist sehr verbreitert, gemeiniglich etwas
verfärbt ; die Pupille mittelweit, sehr träge oder gar nicht beweglich ; die
Linse wie das Kammerwasser meistens völlig durchsichtig, seltener cataractös,
bisweilen wegen Dehnung oder theilweiser Berstung der Zonula ectopirt
136 Hornhautstaphylom ; Ursachen.
und schwankend ; der Glaskörper ist öfters verflüssigt ; der Hintergrund
des Auges wenig verändert , höchstens eine leichte Atrophie des Tapetes
bekundend. An dem Sehnerveneintritt hat man wiederholt eine sehr ent-
wickelte totale Excavation nachgewiesen und dieselbe mit einer Erhöhung
des intraocularen Druckes in Zusammenhang gebracht, welche sich in der
Mehrzahl der Fälle durch auffällige Härte des Bulbus offenbaren soll.
Das Sehvermögen des Aiiges ist immer sehr herabgesetzt, doch keines-
wegs häufig ganz erloschen. In einzelnen Fällen hat man Einschränkungen
des Gesichtsfeldes beobachtet. Der Refractionszustand des Auges ist in
Uebereinstimraung mit der bedeutenden Vei'längerung des Hornhautradius
niemals hochgradig myopisch, ja nicht einmal stets myopisch (Muralt).
Die Beweglichkeit des Auges ist wegen der Integrität des hinteren
Bulbusumfanges nicht merklich beirrt. Doch kann durch die relative Enge
der von dem Staphylom weit auseinander gesperrten Lidspalte und durch
die starke Spannung der Lider bei höehstgradiger Entwickelung des Kerato-
globus die Excursionsfäliigkeit ohne Zweifel leiden.
Ursachen. Die Keratectasie im engeren Wortsinne ist thatsächlich in
der grössten Mehrzahl der Fälle das Resultat einer intensiven und aus-
gebreiteten Keratitis vasculosa. Besonders oft entwickelt sie sich während
dem Verlaufe eines hochgradigen trachomatösen oder herpetischen Pannus und
führt dann den Namen Keratectasia ex panno. Häufige luid heftige ent-
zündliche Anfälle machen ganz vorzüglich disponirt zu derlei Ausdehnungen.
Selten ist eine diffuse Keratitis oder eine partielle Verschwärung der Cornea
die nächste Ursache der Ectasie.
Auch bei dem Keratoconus spielt die Entzündung eine wichtige Rolle.
Abgesehen von directen Beobachtungen (Buete , Graefe , Mackenzie , Sichel)
spricht das häufige Vorkommen von Trübungen, namentlich an der Spitze
des Kegels, für die Begründung durch entzündliche Gewebslockerung, zumal
als derlei Obscurationen oft schon im ersten Beginne des Staphyloms be-
stehen. Doch kann die Entzündung nicht die einzige Quelle sein, da das
conische Staphj^lom öfters zur Entwicklung kömmt, ohne dass sich in irgend
einem Stadium des Verlaufes Erscheinungen geltend machen, welche auf
den Bestand oder auf die fx'ühere Existenz eines solchen Processes Schlüsse
erlauben. Es liegt offenbar sehr nahe, den Ausgangspunkt des Leidens
unter solchen Umständen in der anatomisch nachgewiesenen Verdünnung
des Cornealcentrums zu suchen und diese auf eine ursprüngliche Missbildung
zurückzuführen.
Für die Annahme eines Entwickelung sfehlers als disponirenden Momentes
spricht übrigens, dass die Cornea conica öfters als ein angeborener und selbst ererbter
Zustand beobachtet worden ist und gar nicht selten mit anderen Bildungsanomalien
des Auges und des Kopfes verknüpft erscheint (Amman). Auch der Umstand ist
dieser Ansicht günstig, dass das Leiden selten mo7iocular bleibt, sondern in der
Regel ein Auge nach dem anderen befällt oder gleich von vorneherein binocular
auftritt, was beim Keratoglobus nicht der Fall ist.
In Betreff des Keratoglobus gilt Aehnliches. Auch hier weisen mit-
unter Veränderungen der Binnenorgane deutlich auf vorausgegangene tiefe
Entzündungen hin, welche, wenn der Zustand angeboren (Ammon, Jüngken,
Muralt) vorkömmt , in der Foetalperiode abgelaufen sein können. Doch
finden sich auch Fälle, wo die Merkmale solcher Entzündungen fehlen, man
also auf andere Quellen angewiesen ist. Der häufige Bestand einer glau-
comatosen Excavation in Verbindung mit gesteigerter Bulbusresistenz haben
Verlauf; Ausgänge. 137
zur Annahme einer Vermehrun«:^ des Einnendruckos als nächsten Grund
geführt (Mitralt). Allein da beim Glaucom selbst die beträchtlichsten Er-
höhungen des intraocularen Druckes eine Dehnung der Cornea und der
äusseren Scleralschichten zu bewerkstelligen nicht vermögen , so liegt es
auf der Hand , dass auch beim Keratoglobus noch ein weiteres ]\Ioment,
nämlich Eesistenzverminderung der Bulhuskapsd., mitwirken müsse und für
diese muss wieder eine das Gewebe lockernde Entzündung oder eine ur-
sprünglich mangelhafte Anlage , also eine Art Missbildung , als Erklärungs-
grund in Anspruch genommen werden (Muralt).
Verlauf und Ausgänge. Das Cornealstaphylom entwickelt sich in
der Regel überaus langsam. Die ersten Anfänge desselben werden ihrer
Geringfügigkeit halber oft übersehen und die darauf fussenden Sehstörungen
gerne anderen Ursachen als der beginnenden Ectasie zugeschrieben. 80
besteht eine unbedeutende Ausdehnung öfters Monate und Jahre lang uner-
kannt fort und wächst allmälig , bis sie endlich auffällt ; oder aber sie
tritt plötzlich nach einer intercurrenten Keratitis, nach heftigem Husten,
Erbrechen, Schreien u. s. w. hervor, der Vermuthung Raum gebend, sie
sei nun erst in Folge dieser Verhältnisse entstanden. Selbst in jenen Fällen,
in welchen eine sehr eclatante Entzündung durch Gewebslockerung den
Boden für die Ausdehnung vorbereitet hat , geschieht es oft , dass die
mittlerweile entstandene Ectasie der Beobachtung entgeht und erst nach
längerem allmäligen Wachsthume zur Wahrnehmung kömmt.
Doch kommen auch Fälle vor, in welchen die Ectasie schon während
dem Bestände der Entzündung ziemlich hohe Grade erreicht. Besonders
gilt dieses von der sogenannten Keratectesia ex panno.
Nicht selten ist die Ausbildung des Cornealstaphyloms eine vielfich
unterbrochene, die Ectasie gedeiht bis zu einem bestimmten Grade, bleibt
Monate und selbst Jahre lang stehen und schreitet dann mit oder ohne
merkliche Veranlassung wieder vorwärts.
Die Ausbildung Ms zu den höchsten Entwickelungsgraden ist jedoch
keineswegs eine Nothivendigkeit. Die Ectasie kann auf jeder beliebigen Evo-
lutionsstufe stehen bleiben, ständig werden. 80 kommen Fälle von Kerat-
ectasie vor, die seit vielen Jahren unverändert geblieben sind und eine
weitere Ausbildung zum Keratoconus und Keratoglobus nicht erwarten lassen.
Bei höhergradigem Keratoconus pflegt sich die stumpfe Spitze , wenn
sie nicht schon von vorneherein getrübt ist, allmälig wolkig zu trüben.
Der Grund hiervon dürfte in dem Umstände liegen , dass bei dem Lid-
schlage die Thränen nicht über die Kegelspitze geleitet werden und diese
lim so leichter durch Vertrocknung leiden muss, als der Kegelscheitel nur
schwer von den Lidern bedeckt werden kann, daher der atmosphärischen
Luft mehr ausgesetzt ist, als das Zeuith einer normalen Cornea.
Niemals, ausser in Folge der Einwirkung mechanischer Gewalten, ist
bei der Keratectasie und Cornea conica (Wardrop) eine Berstung des aus-
gedehnten Hornhauttheiles beobachtet worden. Die Existenz eines Corneal-
staphyloms der genannten Arten schliesst indessen die Entwickelung einer
intensiven, zur Verschwärung oder zum Schwund führenden Entzündung
nicht aus und insoferne gehört die Phthisis und die Atrophie des Bulbus
unter solchen Verhältnissen zu den Möglichkeiten. Beim Keratoglobus der höch-
sten Entwickelungsgrade sind Berstungen schon öfters vorgekommen (Muralt).
138 Hornhautstaphylom ; Behandlung; Iridectomie ; Keratectomie und Aetzung.
Eine spontane Heilung der verschiedenen Formen des Cornealstaphy-
loms ist bisher nicht mit Sicherheit erwiesen worden.
Die Behandlung bezweckt zuvörderst die Verhütung der Ausdehnung.
Im Falle ein Cornealstaphylom bereits in Entwickelung begriffen ist , hat
sie die Aufgabe, den Normalzustand herzustellen, oder wenigstens die Ectasie
in ihrem Fortschreiten aufzuhalten. Versagt sie jedocli auch liier, so bleibt
ihr nichts übrig, als die mit der Ectasie verknüpften Sehstörungen auf ein
möglichst kleines Mass zurückzuführen.
1 . Die erste Indication fordert einerseits die richtige Behandlung des
der Resistenzverminderung zu Grunde liegenden krankhaften Processes, und
wird insoweit in der Mehrzahl der Fälle auf entsprechende Antiphlogose
gerichtet sein. Andererseits aber fordert sie Herabsetzung oder theilweise
Neutralisation des auf die Hinterwand der Cornea wirkenden Druckes. In
dieser Hinsicht ist möglichste Abspannung der Augenmuskeln und namentlich
die Vermeidung alles dessen geboten , was die letzteren zu gleichzeitigen
kräftigeren Contractionen anregen könnte (S. 105). Auch ein entsprechend
angelegter Druckverband kann Erspriessliches leisten. Hat man indessen
Grund, die Gefahr der Ausdehnung als eine sehr drohende zu erachten, sei
es, dass die Geivebslockerung in sehr auffälligem Grade hervortritt oder gar
nebenbei auch noch eine sehr starke Spannung der Augenkapsel durch ab-
norme Härte des Bulbus zum Ausdruck kömmt, so thut man besser, so-
gleich eine Iridectomie vorzunehmen (Graefe).
In neuester Zeit will man davon beim Keratoglohus nicht ungünstige Re-
sultate gesehen haben. Doch ist diese Operation hier sehr gefährlich, indem die
Wunde sich schwer schliesst, durch die Zonulalücken gerne Glaskörper entweicht,
auch öfters Blutaustrctungen in das Corpus vitreum zu Stande kommen und sich
bisweilen Hyalitis entwickelt. Mehrere Bulbi sind nach der Iridectomie durch Ver-
eiterung zu Grunde gegangen (Muralt).
2. Der zweiten und Hauptindication, welche soxi Herstellung der normalen
Krümmung gerichtet ist, hat man beim Keratoconus durch Erzeugung einer
schrumpfenden iVarbe an der Kegelspitze zu entsprechen gesucht. Behufs
dessen wurde der Scheitel des Staphyloms in Intervallen von mehreren
Tagen wiederholt mit einem fein zugespitzten Höllensteinstifte nachdrück-
lich cauterisirt iind wo dieses nicht ausreichte, die Cornea zeitweilig punctirt
(Sichel). In neuerer Zeit hat man diese Methode mit der Keratectomie
combinirt. Es soll nämlich an der Spitze des Kegels mit einem sehr
schmalen und dünnen Messerchen vorerst ein Schnitt durch die Dicke der
Membran geführt werden, ohne zu perforiren, der so gebildete Lappen darauf
mit der Schere abgetragen und die Wundfläche mit einem fein zuge-
spitzten mitigirten Lapisstängelchen an mehreren Puncten geätzt werden.
Wenn vier bis fünf Aetzungen nicht ausreichen , um einen genügenden
Reizzustand und eine ergiebige Exsudation hervorzurufen, so soll die
Kegelspitze mehrmals paracentesirt werden. Als jS^achkur wird Atropin
und der Schutzverband empfohlen; im Falle jedoch die Entzündung eine
bedenkliche Höhe erreicht und Verschivärung droht, sollen laue aromatische
Umschläge angewandt werden (Graefe). Die Schlusserfolge dieses Ver-
fahrens werden von mehreren Seiten sehr gelobt (Homer, Carter, Ed. Meyer,
Secondi), indem mit der Schrumpfung der Narbe wirklich eine bessere
und mehr gleichmässige Krümmung der Cornea erzielt und das Sehver-
mögen bedeutend gehoben worden sein soll. Doch hat man diesen Gewinn
Paracentesis corneae; Verlagerung der Pupille 139
melirmals durch sehr bedrohliche P]ntzündun<j;en der lieferen Binnenorg:ano,
Iritis mit Hypopyiim, Iridochorioiditis u. s. w. erkauft. Das Verfahren
ist also kein yefahrloses und überdies auch ein schwer durchführbares, indem
die äusserste Verdünnung der Keg-clspitze Flächenschnitte ohne zu per-
foriren nicht leicht zulässt. Es liegt jedoch auf der Hand, dass eine
einfache Ahschahunc) des Epithels das Gleiche leisten müsste.
Andere haben das gleiche Ziel durch wiederholte Paracentesen der Cornea
(Wardrop), dnrch die intraoculare Myotomie (Hancock, Coursserant), ja selbst durch
die so gefährliche Extraction der durch-ncldicjen Linse (Adams) zu erreichen ge-
strebt. Mehr Beaclitung verdient jedenfalls der Vorschlag, bei hochgradig ent-
wickeltem Keratoconus durch Ausschneidung eines Stückes aus dem Staphylomfiisse
und durch nachträgliclie Begünstigung der Ausbildung einer flachen Narbe der
Cornea ihre normale Krümmung annähernd wiederzugeben (Pari). Hat man doch
ein spontanes Zurückgehen des Keratoconus in Folge eines perforirenden und mit
Prolapsus iridis heilenden umfangsreichen peripheren Hornhaut fjeschwüres beobachtet
(Heymann). Besser dürfte es jedoch sein, einen lanzettUchen Lappen mit meridional
gestellter Längsaxe aus der verdünnten Kegelspitze auszuschneiden. Diese Wund-
form bietet einer raschen Vernarbung die günstigsten Bedingungen, indem die
Wuudränder sich sehr leicht einander nähern können , wenn die Cornea coliabirt
ist. Einen Vorfall der Iris mit bedeutender Verziehung oder Verschliessung der
Pupille wird man allerdings kaum verhindern können. Dieses hat indessen nicht
viel auf sich. Eine nachträgliche Coremorphose stellt den Weg für die Licht-
strahlen leicht wieder her. Um nach erfolgter Excision die Wiederausdehnung
der Narbe zu verhüten, muss bis zur erfolgten Consolidation des neoplastischen
Gewebes ein Druckvei-band getragen werden.
3. Die dritte Indication bezieht sich auf die Herstellung möglichst
reiner und scharfer lichtstarker Netzhautbilder, hauptsächlich also auf die
Neutralisation des optischen Effectes der bestehenden und unheilbar gewor-
denen Verkrümmuns: der Hornhaut. Am vollständigsten würde diesen
Anforderungen durch eine Verlagerung der Pupille in der Richtung eines
annähernd normal gekrümmten Cornealmeridians entsprochen. In der
That ist dieses Verfahren bereits wiederholt mit gutem Erfolge ausgeführt
worden (Benders , Tyrrel). Einzelne haben sogar eine doppelseitige Ver-
lagerung der Pupille (Bowman), d. i. die Verzerrung des Sehloches in
eine über den ganzen Durchmesser der Cornea reichende stenopäische
Spalte empfohlen. Doch sind derlei Operationen wegen der damit ver-
knüpften Zerrimg und Dehnung der Iris nicht ohne Gefahr ; daher man
sich besser mit der weniger leistenden Iridectomie begnügt. Die dabei
etwa noch fortbestehenden Refractionsfehler lassen sich durch Cylindergläser
oder stenopäische Blenden bis zu einem gewissen Grade abschwächen.
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ophth. surgery. London, 1834. S. 80. — Middleviore, Treatise on the diseases of
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140
Narbiges Hornhautstaphylom ; Pathologie; Krankheitsbild.
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Hancock, Coursserant, Annal. d'ocul. XLIV. S. 243. — Heymann, Ojjhthalmolo-
gisches. Leipzig. 1868. S. 20.—
b. Das narbige Hornhautstaphylom.
Fig. 14.
Pathologie. Man kann diese Form des Staphyloms als die Aus-
dehnung eines mit Narhengefüge überzogenen Cornealtheiles definii'en. Sie ist
nämlich nichts anderes, als ein übernarbter ectatischer Geschiuürsboden, eine
ständig gewordene ulcerafive Keratectasie.
Sie setzt ein umfangreicheres muldenförmiges Geschwür voraus, dessen
Boden entweder gleich ursprünglich oder erst im Verlaufe der Narbenbildung
ausgedehnt worden ist. Der dünnste Theil des Geschwürsbodens wird am
meisten ausgedehnt und bildet später das Zenith des Staphyloms (Fig. 14).
Derselbe hat oft kaum die Dicke eines
Schreibpapieres. Von hier aus aber
steigt die Dicke der Staphylomwand,
um am Fusse der Blase die Norm zu
erreichen.
Das Zenith wird in der Regel fast
ausschliesslich von Narbensiihstanz gebildet,
wenigstens ist die allenfällige Unterlage
von eigentlicher Cornealsubstanz so dünn,
dass sie der Beobachtung entgeht. An den Seitenwundunyen des Staphyloms hin-
gegen lässt sich in der Regel noch ein mehr weniger dickes Stratum durchsich-
tigen Hornhautgefüges als Unterlage der trüben Narbe deutlich unterscheiden. Die
Hinterwand des nicht ectatischen Cornealtheiles sowie des Staphj'loms wird von
der Wasserhaut überzogen. Gegen das Zenith hin pflegt sich diese Membran sehr
zu verdünnen. Oft scheint sie daselbst sogar völlig zu fehlen, so dass der dünne
Narbentheil biosliegt. Es mangelt aber unter solchen Umständen der Ueberzug
von atrophischem Jrwgewebe und dadurch unterscheidet sich diese Staphylomart
von dem eigentlichen A^aröenstaphylome. Es kann wohl eine vordere Synechie be-
stehen, doch bildet der angeheftete Iristheil nicht die Basis, auf welcher das
Narbengewebe gleichsam ruht. Der das Staphylom umgebende nicht ausgedehnte
Cornealtheil ist häufig in sehr auflalliger Weise nach mannigfaltigen Richtungen
hin verkrümmt, nicht selten auch mit oberflächlichen und parenchymatösen Trü-
bungen behaftet.
Krankh.eitsbild, Die Vorwölbung des narbigen Cornealtheiles ist in
der Regel sehr stark ausgeprägt. Falls die Narbe das Centrum der Cornea
einnimmt, flacht sich deren Wölbung meistens nach allen Seiten hin ziem-
lich gleichförmig steil oder sanft ab, um mit den ausser dem Bereiche
der Narbe gelegenen , getrübten oder pelluciden, oft ebenfalls deutlich
verkrümmten, peripheren Theilen der Hornhaut zu verschmelzen. Bei
mehr peripherer Lage der Narbe aber pflegt die dem Scleralrande zuge-
kehrte Wandung der narbigen Blase steil abzufallen, während die übrigen
Seiten derselben nur eine geringe Abdachung zeigen. Ist die Iris frei,
Verlauf; Ausgänge; Behandlung. 141
80 erscheint die Vorderkammer der Grösse der Pjctaaie entsprechend er-
weitert. Bei Gegebensein einer vorderen Synechie aber findet man die
Iris gegen die Narbe hin gezogen, der Cornea genähert. Das Sehvermögen
ist immer sehr beeinträchtiget, selbst dann, wenn die Iris frei und die
Pupille durchsichtigen Cornealtheilen gegenüber gelagert ist, indem diese
in der Regel stark verkrümmt sind.
Verlauf und Ausgänge. Die Entwicke.hing ist bald eine rasche und
erfolgt noch während dem Verlaufe des Entzündungsprocesses ; bald ist
sie eine langsame, beginnt erst nach Ablauf des letzteren und schreitet mit
Unterbrechungen vorwärts.
Eine spontane Heilung ist nicht zu erwarten. Berstungen hingegen
kommen bei geringer Dicke des Staphylomzenithes nicht selten vor. Von
grosser praktischer Wichtigkeit sind die im Verlaufe des narbigen Corneal-
staphyloms nicht seltenen und in längereu oder kürzeren Intervallen sich
wiederholenden Anfälle von Entzündung und Ciliarneurose. Sie werden am
öftesten beobachtet, wenn die Ectasie mit vorderer Synechie gepaart ist
und es spielt dann die Zerrung der Regenbogenhaut dabei wahrscheinlich
eine wichtige Rolle. Diese Entzündungen, welche sich bald als Keratitis,
bald als Keratoiritis oder Tridokyklitis beurkunden, bedingen oft ein Fort-
schreiten der Ectasie, bisweilen weitere Verschwärungen der Hornhaut oder
der Narbe, Verwachsungen der Pupille etc. und gehen am Ende wohl gar
auf die tieferen Binnenorgane des Bulbus, ja mitunter auf den zweiten Aug-
apfel über, daselbst eine sympathische Ophthalmie begründend.
Behandlung. Bei kleinen umschriebenen Ectasien genügt, wenn der
Rest der Hornhaut nicht gar zu sehr verkrümmt ist, öfters die Verlagerung
der Pupille oder die Iridectomie, um einen befriedigenden Grad von Seh-
vermögen herzustellen.
In manchen Fällen wird durch die Iridectomie in Verbindung mit dem
methodischen Tragen des Druckverbandes das partielle Staphylom und die Ver-
krümmung der umgebenden Hornhauttheile auch wesentlich gemindert.
Bei stärker vorspringenden oder umfangreicheren Staphj^lomen dieser
Art muss die Ii'idectomie stets mit der Spaltung oder Abtragung der ecta-
tisehen Partie verbunden werden. (Siehe Therapie des Narbenstaphyloms).
Oeftere Anfälle von Entzündung und Ciliarneurose machen die unge-
säumte Durchführung der Operation dringend nothwendig, damit die Horn-
haut nicht in immer grösserem Umfange getrübt und für eine künstliche
Pupille unbrauchbar werde, damit die Iris nicht leide u. s. w. Wieder-
holen sich trotz der Operation die Anfälle und sind die Binnenorgane des
Auges schon stark mitgenommen, droht vielleicht gar schon dem zweiten
Bulbus Gefahr, so ist bisweilen die Enucleation des Augapfels gerecht-
fertigt. Steht aber unter solchen Umständen die sympathische Erkrankung
des zweiten Auges nicht zu fürchten und ist die Einlegung eines künst-
lichen Auges mit täuschendem Erfolge sehr wünschenswerth, so kann man
statt der Enucleation die Vereiterung des Bulbus einleiten. (Siehe Sclero-
chorioidalstaphylom) .
142
Narbenstaphylom ; Pathologie.
Fig. 1,5.
c. Das Narbenstaphylom.
Pathologie. Das Narbenstaphylom oder die ISTarbenectasie ist eine
blasenförmig über das Niveau der normalen Hornhautwölbung hervorge-
triebene durchgreifende Narbe, mit anderen Worten ein Staphylom, dessen
"Wandung zum grössten Theile und der ganzen Dicke nach von Karbensub-
stanz gebildet wird. Vom genetischen Standpunkte aus lässt sieh dasselbe
als ein durch Uehernarhung ständig gewordener blasig ausgedehnter Prolapsus
iridis, oder als ein übernarbtes Regenbogenhautstaphylom betrachten.
Es setzt unter allen Terhältnissen eine im grösseren Umfange pene-
trirende Substanzlücke der Cornea und deren Schliessung durch vorgefallene
Iris und neoplastisches Gefüge voraus. Je nachdem nun diese Nai'be blos
einen in Verlust gerathenen Theil der Cornea oder die Hornhaut als Ganzes
ersetzt, führt der Zustand den Namen partielles oder totales Narbenstaphylom.
Die Ectasie geht so wie allerwärts auch bei dem Narbengefüge
auf Kosten der Dicke. Darum erscheint auch die Wandung des Staphyloms
häufig sehr dünn (Fig. 15), besonders am Scheitel, welcher nicht selten
kaum die Dicke eines gewölmlichen Schreibpapieres erreicht.
Die Ausdehnung schlies.ü indessen
die forlgesetzte Gewebswucherung nicht
aus, und darum kommen auch nicht
selten Fälle vor, in welchen die sehnige
Wandung des Staphyloms der normalen
Cornea an Dicke nicht nur nicht nach-
steht, sondern dieselbe vielmehr bedeu-
tend, um das Doppelte und selbst Mehr-
fache, übertrifft (Fig. 16). Namentlich
bei sehr grossen Narbenstaphylomen,
welche nur schwer oder gar nicht von den Lidern gedeckt werden können,
ist ein solcher Befund nichts ganz Ungewöhnliches. Einzelne Theile der
Wandung, am öftesten der Scheitel, erreichen dann bisweilen eine ganz
erstaunliche Mächtigkeit, so dass sie die Operation wesentlich erschweren.
Ohne Zweifel ist die stete Einwirkung äusserer Schädlichkeiten und der
dadurch unterhaltene Reizzustand ein wesentliches ätiologisches Moment
dieser Substauzzunahme.
Die Oberfläche des Narbenstaphyloins wird von trüben Epithelzellen gedeckt.
Es liäixfen sich dieselben bisweilen zu einem Stratum von ansehnlicher Dicke
^Fig. 16 a) und pflegen dann in den
oberflächlichsten Schichten den Charakter
der Stachel- oder Rißzellen zu tragen
(Czerny, Schiess-Oemusens). Nicht selten
finden sich in solchen mächtigen Epider-
mislagern Kalkkörner eingestreut. Ge-
wöhnlich aber sind die oberflächlichen
Schichten mit einer grossen Menge von
körnigem, aus den Meibomischen Drüsen
stammenden Fette gemischt.
Unter der Epithelschichte findet
sich ausnahmsweise ein dünnes Stratum
lockeren gefässreichen Bindegewebes b,
welches eine Fortsetzung der Conjunctiva
darzustellen scheint. In der Regel jedoch
lagert das Epithel immittelbar auf dem dichten Narbenkörper. Dessen Gefüge ent-
hält oft zahlreiche Gefüsse, welche Netze bilden und im Falle einer Verletzung
Pathologische Anatomie. 143
ziemlich reichliche parenchymatöse BUitunp;en veranlassen können. In den hinteren
Schichten pflegt es tlieils freies, theils in sternförmigen Zellen eingeschlossenes
Pigment in wechselnden Mengen zu führen, Mitnntcu- linden sich osteoide Schuppen
eingelagert.
Am Fusse des Staphyloms steht die octatischc Neoplasie fast immer mit
nicht verschwärten Rosten der Cornea c in Verl)indnng, höclist selten mit dem
Rande der Sclera seihst. Die Art der Verhindimi] zwischen dem Narbonkörper und
dem Hornhantreste ist nun gleichwie bei einfachen durchgreifenden Cornealnarben
eine verschiedene, je nachdem das Geschwür mit steil abfallenden oder mit all-
mälig zugeschärften Rändern ausgestattet war. Im ersten Falle nämlicli ist der
Uebergang der neoplastischen Masse in die getrübte Cornealsubstanz e,i\\ plötzlicher,
im letzteren Falle aber schiebt sich das Narbengefüge unter zunehmender Ver-
dünnung über den zugeschärften ehemaligen Geschwürsrand hinül)er, der Fuss des
Staphyloms zeigt nach vorne ein narbiges, nach hinten ein von ursprünglicher
Cornealsubstanz gebildetes Stratum und verliei't sich auf diesem allmälig in einen
Sehnenfleck, welcher seinerseits wieder in einen Epithelialfleck auslaufen kann,
wenn ein genügend grosser Theil der Cornea erhalten blieb.
Die hintere Oberfläche der Staphylomwand ist bald glatt, bald grubig buchtig.
Fast constant scheint sie überzogen von einem zarten, leicht zerreisslichen, struc-
turlosen, von eingelagerten Pigmentkörnern braun gefleckten und gestreiften Häut-
chen d, welches mit der Narbenmasse so innig zusammenhängt, dass es nur
flockenweise losgetrennt werden kann. Es ist dieses ein Ueberbleibsel jenes Iris-
theiles, welcher durch den Substanzverlust der Cornea blosgelegt worden ist, und
auf welchem sich die nunmehr ectatische Narbe entwickelt hat. Bei totalen und
bei partiellen centralen Narbenstaphylomen ist an diesem Häutchen noch bisweilen
die Pupille durch eine grössere Pigmentanhäufung angedeutet.
An der hinteren Oberfläche des Staphylom/?iÄ«es finden sich immer Beste der
Descemeti. Dieselben sind bisweilen knäuelförmig zusammengefaltet und hängen
einfach der Narbe an oder sind in dieselbe eingelöthet. Gewöhnlich aber wird
der Staphylomfuss von jener Glashaut förmlich überkleidet, indem dieselbe sich
von der Hinterfläche der die ectatische Narbe umgebenden Cornealportionen nach
vorne umschlägt und so an die Seitenwandung des Staphyloms gelangt, wo ihre
fetzigen Durchbriichsränder sich alsbald in das Narbengefüge einsenken. Nur bei
Narbenstaphylomen, welche auf midden förmigen perforirenden Geschwüren zur Ent-
wickelung gekommen sind, geht dieser glashäutige Ueberzug an der hinteren
Staphylomwand weiter hinauf, so loeit nämlich, als sich noch die hinteren Schichten
der Hornhaut erhalten haben.
So weit die Descemeti reicht, liegt die Iris der Staphylomwand nur an , ohne
mit ihr verwachsen zu sein; die Verirachsung beginnt erst dort, wo die Descemeti
aufhört, oder in der Narbe verschwindet. Oft erscheinen die freien Regenbogen-
hautportionen durch vorausgegangene Entzündungen in ihrem Gefüge verändert,
von sehnigen Fortsätzen der Narbe überkleidet, von einem sehnigen Balkenwerke
durchsetzt und atrophirt. Eben so oft, wenn nicht öfter, bewahren aber diese
Regenbogenhautreste ihre volle Integrität.
Die Höhlung des Nai-benstajjhyloms ist in der Regel mit Kammerwasser gefüllt
und präsentirt eigentlich eine enorm erweiterte hintere Kammer. In sehr seltenen
Fällen jedoch findet man auch totale Narbenstaphylome, die ein mehr weniger
dichtes sehniges Balkenrcerk umschliessen, welches allenthalben mit der Narbenwand
in Verbindung steht und dessen Maschenräume mit einer krümlichen käsigen, gelb-
lichen bis rostfarbenen, blutroth oder braun gestriemten Masse angefüllt erscheinen.
Genauere Untersuchungen haben in dieser Masse eine formlose organische mole-
kulirte Grundlage, Kerne und Zellen in verschiedenen Entwicklungsstadien, frische
und in Zerfall begriff'ene Blutkörperchen, Fettkugeln, Cholestearinkrystalle und
Kalkdrusen nachgewiesen. Diese Masse scheint diirch die peripheren Theile der
Cornea durch und gibt denselben von aussen ein eigenthümliches, gelb, roth und
braun geflecktes Ansehen.
Der Krystallkörper besteht öfters, namentlich bei partiellen Narbenstaphy-
lomen, im Zustande völliger Integrität. Oft jedoch ist er bereits cataractös oder
gar schon siliquirt und wird dann bei Forttiestand der Zonnla bisweilen durch das
Corpus vitreum blasig nach vorne gebaucht (Fig. 17 und 18). Die Schrumpfung
144
Narlenstaphylom; Krankheitsbild.
des Kiystallkörpers ist bald die Folge staariger Metamorphosen der Linsensubstanz,
bald aber rührt sie zum Theile daher, dass bei dem Durchbruche des Corneal-
geschwüres der Linsenkern entleert wurde, während die geborstene Kapsel in ihrer
Verbindung blieb und ihre Risswunde später durch Exsudate oder verkalkendes
Staarmagma zur Schliessung gelangte. Doch fehlt auch bisweilen die Linse, da sie
bei umfangreichen Cornealdurchbrüchen sich gerne sammt einem Theile des Glas-
körpers entleert. Auch kommen Fälle vor, in welchen die meistens cataractöse und
häufig aiif ein kleines Kliimpchen geschrumpfte Linse in der Concavität des Staphy-
lovischeitels haftend gefunden wird. Der Krystallkörper tritt nämlich öfters in orga-
nische Verbindung mit dem die Pupille schliessenden Pfropf; wenn sich die Narbe
später ausdehnt, sprengt sie die Zonula und reisst die Linse mit sich nach vorne.
In beiden letzteren Fällen bildet die Höhle des Slaphyloins imd der hintere Augen-
raum eine einzige zusammenhängende Cavität, welche von einem dem Humor aqueus
ähnlichen Fluidum gefüllt wird. Verletzungen der Bulbuskapsel machen dieses
Fluidum vollständig abfliessen und den Bulbus zusammensinken.
Krankheitsbild. 1 . Was zuerst das partielle Narbenstaphylom anbe-
langt, so ist dasselbe in seiner äusseren Gestalt ein wesentlich yerschiedenes,
je nachdem es sich awi rundlichen lochartigen steilrandigen Cornealdurch-
brüchen, oder auf perforirenden muldenförmigen Geschwüren entwickelt, hat.
Im ersteren Falle präsentirt es sich gewöhnlich als eine rundliche, erbsen-
Fig. 17.
bis bohnengrosse , trübwandige Blase,
welche sich steil über die umgebenden,
mehr weniger Ycrkrümmten Partien
der Cornea erhebt und an ihrem Fusse
gar nicht selten halsartig eingeschnürt
ist (Fig. 17). Im zweiten Falle fehlt
diese halsartige Einschnürung des Sta-
phylomfusses, die ectatisehe ISTarbe dacht
sich ganz allmälig in die umgebenden
gleichfalls verkrümmten Hornhauttheile ab. Je nach der centralen oder
peripheren Lagerung des Staphyloms ist die Verkrümmung der seinen
Fuss umgebenden Cornealportionen ringsum eine mehr gleichmässige (Fig. 18)
oder ungleichmässige (Fig. 19).
Fig. 18.
Fig. 19.
Kleinere Staphylome dieser Art werden gewöhnlich von den Lidern
leicht bedeckt und daher bei jedem Lidschlage hinlänglich befeuchtet. Hire
Oberfläche erscheint deswegen glatt und spiegelnd; die Wandung selbst ist
sehnigweiss und trüb , bei grösserer Dünnlieit aber auch wohl diaphan.
Staphylome von grösserem Umfange, welche weit aus der Lidspalte heiwor-
ragen, deren Schliessung hindern und sohin auch nicht gehörig befeuchtet
werden können, haben immer eine matte, oft schilferige und überdies von
gelblichen oder bräunlichen Krusten vertrockneter Bindehautsecrete bedeckte
OberÜäche. Die das Staphylom umgebenden Cornealtheile sind in grösserer
Gratliförmiges und totales Nartenstaphylom ; Ursaclion. 145
oder geringerer Ausdehnung parenchymatös getrübt. Sehr oft setzt sich
die Narbe auf denselben unter der GcstaU> eines Rehncnileckcs eine
Strecke weit fort und verläuft endlich in einen wolkigen epithelialen
Saani. Immer liegt die Iris rings um den Fuss des Staphyloms hart
an der hinteren Cornealfläche an. Bei peripheren Narbenstaphylomen,
welche sich auf blosgelegten Theilen aus der Breite der Iris entwickelt
haben, kann die Pupille völlig frei sein, so dass nur die Verkrümmung
der vorliegenden Cornealportionen eine Sehstöruug bedingt. Bei centralen
derartigen Staphylomen und überhaupt, wo ein Theil des Pupillari'andes
mit der Narbe in Verwachsung getreten ist, erscheint das Sehloch in der
Regel völlig geschlossen, die Pupille fehlt und das Auge unterscheidet blos
Licht und Finsterniss.
Eine eigenthümliche Form von partiellen Narbenstaphylomen resultirt bisweilen
aas durchgreifenden mondsichelföjvnigen Geschwüren oder Lappenwunden^ wie letztere
behufs der Staarextraction gebildet werden.
Es entwickelt sich ein wulstförmiger Pro- '^"
lapsns iridis, welcher allmälig übernarbt,
dabei seine Convexität verliert und sich in
eine ebene, senkrecht aus dem Scleralrande
emporsteigende Wand (Fig. 20 a) umwandelt,
die sich vinter einem scharfen Winkel mit
dem von der Wunde umschriebenen , klap-
penförmig nach vorne getriebenen und ab-
geflachten Lappen verbindet. Ein solches
Staphylom besitzt keine Spitze, sondern
einen bogenförmigen Grath.
2. Das totale Narbenstaphylom erreicht oft enorme Grössen , bis zum
Umfang einer türkischen Haselnuss und selbst einer Kastanie. Seiner Ge-
stalt nach gleicht es bald einem Kegel, bald einem halben Ei; bald ist es
ganz unregelmässig geformt, indem einzelne Theile der sehnenähnlichen
und opaken Wandung mehr ausgedehnt wurden, als die anderen und nun
über diese hügel- oder wulstähnlich hervortreten. Sehr gewöhnlich er-
scheint der Fuss des Staphyloms halsartig eingeschnürt, indem die vordere
Scleralöffnung meistens an der Ectasie keinen Antheil nimmt.
Derselbe erhebt sich übrigens nicht immer in seinem ganzen Umfange direct
aus dem Rande der vorderen Scleralöffnung, sondern nur an einem kleinen Theile
seiner Peripherie; der Rest der letzteren wird von einem mehr weniger breiten
mondsichelförmigen Narbenstreifen umsäumt, welcher in der Ebene der vorderen
Scleralöffnung liegt. Da die Spitze des Staphyloms sich immer in die Lidspalte
stellt, so ist es klar, dass der Bulbus innerhalb der Orbita eine Drehung erleiden,
dass die optische Axe , welche mit der Staphylomaxe nicht zusammenfällt, nach
aussen verlängert, ein oder das andere Lid schneiden muss.
Ursachen. Die Entwicklung eines Narbenstaphyloms setzt einen
durchgreifenden Substanzverlust der Cornea von einiger Flächenausdehnung
voraus. In der Regel sind es Verschw'drungsprocesse, welche Narbenstaphy-
lome im Gefolge haben ; selten bildet eine brandige Absterbung der Horn-
haut den Ausgangspunkt des fraglichen Zustandes. Oefters entwickelt sich
das Narbenstaphylom im Bereiche einer Lochwunde, wie sie durch Ab-
tragung einer gleichen oder anderen Form des Staphyloms gesetzt wird
und repräsentirt dann gleichsam eine Recidive. Auch Lappenwunden , wie
sie zum Behufe der Staarextraction angelegt werden, führen bisweilen zur
Staphylombildung.
stellwag, Augenheilkunde. 10
14b Narbenstaphylom ; Yerlauf: Ausgänge.
Verlaxif und Ausgänge. Das Xarbenstaphylom ist fast constant nur
ein "weiterer Ent-R^cklungsgrad des sogenannten Irissfaphyloms. Die Um-
wandlung des letzteren in ein Xarbenstaphrlom geht oft rasch, innerhalb
■weniger Wochen, ebenso oft aber auch überans langsam von Statten. Es
ist nämlich die Gewebswucherung in dem biosgelegten Iristheile bald eine
überaus üppige, so dass dieser schon nach wenigen Tagen in ein schwam-
miges fleischwärzchenähnliehes Gebilde von beträchtlicher Dicke metamor-
phosirt erseheint ; bald aber ist sie eine ausnehmend säumige, in der Art,
dass nach Wochen und Monate langem Bestände die Wandungen des Iris-
staphyloms fast ihre frühere Zartheit und Transparenz erhalten haben und
nur hier und da einzelne Flecke oder netzartig verzweigte Streifen von
sehnigem Gefiige erkennen lassen.
Es kommen indessen auch Fälle vor , in welchen der vorgefallene
Iristheil vorerst eine Zeitlang reichlich producirt, bisweilen sogar aufiallig
granulirt und stellenweise den Charakter des Sehnengewebes annimmt, ehe
er sich nach aussen baucht , ectatisch wird , sei es , weil bis dahin eine
feine Oefinung in der Bulbuswand dem Kammerwasser den Ahfluss ge-
stattete, oder weil dieses in geringerer Menge abgesondert und in ent-
sprechender Quantität durch den Prolapsus transfundirt worden ist.
Einmal als wahres Xarbenstaphylom entwickelt , wächst die Ectasie
meistens nur sehr langsam und mit vielen Fnt erbrechungen. Dafür aber
pflegen die Wandungen allmälig an Dicke zuzunehmen , namentlich wenn
das Staphylom bereits zur Lidspalte herausragt , wo in Folge der fort-
während einwirkenden reizenden Schädlichkeiten sehr häufig Eeizzustände
im Bulbus veranlasst und unterhalten werden. Hat die Staphylomwand
solchermassen eine gewisse Dicke erreicht, so ist eine weitere Ausdehnung
wohl kaum mehr wahrscheinlich ; immerhin aber lässt sich eine beträcht-
liche Zunahme des äusseren ümfanges durch Massenvermehrung des Js^arben-
gefüges, insbesondere aber durch Anhäufung von Epithelschichten denken.
Abgesehen hievon sind derlei dickwandige Staphylome im eigentlichsten
Wortsinue ständig, sie bestehen zeitlebens , indem sie weder einer spon-
tanen Heilung fähig sind , noch eine Berstung ermöglichen. Doch kömmt
es manchmal vor, dass die Wandung theüweise verschwürt, nach partieller
oder totaler Entleerung der Bulbuscontenta zusammensinkt und sich in eine
flache Xarbe verwandelt, oder dass der Bulbus durch Eiterung zerstört wird.
Dünnicandige und besonders junge Staphvlome hingegen bersten häufig.
Eine von aussen her einwirkende mechanische Schädlichkeit, eine kräftige
Zusammenziehung der geraden Augenmuskeln reicht oft hin , um dieses
Ereigniss zu veranlassen. Nach erfolgter Berstung entleert sich entweder
nur der Humor aqueus , oder aber ein grosser Theil der Bulbuscontenta.
Im ersten Falle sinkt blos das Staphylom , im zweiten der ganze Bulbus
zusammen. Es können die Eissränder sich dann wieder vereinigen und
der frühere Zustand hergestellt werden. Bisweilen, namentlich wenn nach
erfolgter Berstung ein Compressiwerband angelegt wird, geschieht es in-
dessen auch, dass die zusammengefalteten Wände des Staphyloms durch
entzündliche Producta unter einander verkleben und . in einen dicken
Knäuel vereinigt , zu einer flachen resistenten Narbe verwachsen. Es ist
dieses der einzige mögliche Weg zu einer relativen spontanen Heilung.
Xicht selt«n indessen treten nach grossentheils erfolgter Entleerung der
Behandlung; Operationen. 147
Bulbusliöhle massenhafte Blutergüsse ein, oder es entwickeln sich auch
ohnedem heftige Eutzüiulungen , welche den Bulbus der Atrophie oder
Phthise zuführen.
Es darf übrigens nicht übergangen werden, dass auch bei Narben-
staphj'lomen die inneren Bulbusorgane entweder gleich ursprünglich oder
im späteren Verlaufe und während des alhnäligen Wachsthumes gerne in
entzündliche Mitleidenschaft gezogen werden. Die längere, durch den Ver-
schwärungsprocess der Hornhaut bedingte Aufhebung des intraoculai'en
Druckes, Zerrungen der theilweise mit der Narbe verbundenen Iris, die
Aufblähung einer etwa cataractös zerfallenden Linse , äussere Schädlich-
keiten , welche den von den Lidern nicht ganz gedeckten Bulbus treffen
u. s. w., sind ergiebige Quellen für dei'lei AflPectionen. Diese werden dann
sehr oft die Ursache sich öfters wiederholender Reizzustände, unerträglicher
Ciliarneurosen und führen unter grosser Empfindlichkeit der Ciliargegend
und namhafter Steigerung des intraocularen Druckes nicht selten zu
glaucomähnlichen Zuständen oder zu staphylomatösen Ausdehnungen der Sclera
und Chorioidea, können bei vorhandener Disposition den Process auf sym-
pathischem Wege wohl auch auf das andere Auge hinüberspielen und dieses
gefährden.
Die Behandlung hat in erster Linie die Umwandlung der ectatischen
Narbe in eine flache und wo möglich die Herstellung eines gewissen Grades
von Sehvermögen anzustreben. In zweiter Linie bezweckt sie, Anfällen von
Entzündung und Ciliarneurose entgegen zu treten und die damit verknüpften
Gefahren zu bannen.
Die Verflachung des Staphyloms wird je nach den gegebenen Verhält-
nissen bald durch Spaltung, bald durch Abtragung des ectatischen Narben-
theiles , bald endlich durch Ausschneidung eines elliptischen Narbenstückes
und durch Vereinigung der Wundränder mittelst einer Knopfnaht zu
bewerkstelligen sein.
Die erstgenannten beiden Operationsmethoden sind bei einigermassen
umfangreichen Narbenstaphylomen stets mit der Entleerung der Linse zu ver-
knüpfen, in der Weise, dass unmittelbar nach der Spaltung oder Abtragung
der ectatischen Wandting die Kapsel nach verschiedenen Richtungen ein-
geschnitten und, was sich dann von der Linse nicht spontan entleert, durch
den Daviel'schen Löffel hervorgeholt wird. Es ist dieses nothwendig, weil
bei grösseren Narbenstaphylomen die Spaltung und Abtragung kaum durch-
geführt werden kann , ohne dass der Krystallkörper verletzt würde oder
aber die ohnehin meistens gedehnte Zonula unter dem Drucke der Augen-
muskeln risse ; weil die Operation also fast immer zur Cataractbildung führt
und die Aufblähung einer staarig zerfallenden Linse, besonders nach Ver-
letzung der Kapsel, eine sehr ergiebige Quelle von heftigen Eeizzuständen
und Entzündungen ist, welche sehr oft den Bulbus zur Vereiterung bringen,
den Zweck der Operation also vereiteln oder doch gefährden. Zudem ist
in Fällen der fraglichen Art die Herstellung eines nur einigermassen be-
friedigenden Sehvermögens ohnehin kaum anzuhoffen oder ganz unmöglich,
die Beseitigung der Linse also ohne irgend welchem Schaden.
Bei kleinen umschriebenen Narbenstaphylomen, bei welchen die Integrität
eines grösseren Hornhauttheiles die Wiederherstellung eines gewissen Grades
von Functionstüchtigkeit des Auges gestattet, ist die Linse wo möglieh zu
10*
148
Narbenstaphylom ; Behandlung; Spaltung.
Fig. 21.
schonen, dafür aber eine ausgiebige Irideetomie Yorzmiehmen. Dieselbe wird
am besten unmittelbar vor der Spaltung oder Abtragung der ectatischen
Narbe ausgeführt und zwar ist selbstTerständKch jene Stelle zu wählen,
welche den besten optischen Erfolg verspricht (S. 130). Der Zweck der
Irideetomie liegt jedoch keineswegs blos darin, einen Durchgang für directes
Licht zu schaffen, sondern auch in der Beseitigung jener Reizquellen,
welche in der Zerrung der Iris von Seite einer ectatischen oder sich wieder
vorbauchenden, bereits operirten Narbe gelegen sind.
Sollte bei ii-gend einem Acte der Operation die Linse verletzt, oder in sfaa-
ngem Zustande getroffen werden, so ist auch hier deren Entleerung geboten.
Wo sich öfters Anfälle von Entzündung oder Ciliameurose geltend
machen, erscheint die Indication zur Operation verschärft und unter Um-
ständen (S. 147) sogar auf Vereiterung oder Enucleation des Bulbus gerichtet.
1 . Die Spaltung des Staphy-
loms, auch Inscision genannt, ist
eine Halbirung der ectatischen
Narbe nach der Eichtung des
Meridians (Küchler). Dieselbe be-
zweckt zunächst das Staphylom
durch Entleerung des Kammer-
wassers oder eines Theiles der ge-
sammten Bulbuscontenta zusam-
menfallen zu machen und den
beiden Hälften desselben, indem
sie sich falten und theilweise über
einander legen , Gelegenheit zu
geben, in dieser Lage mit ein-
ander zu verwachsen; also eine
Grundlage herzustellen, auf wel-
cher unter fortgesetzter Gewebs-
wucherung eine resistente flache
Narbe zu Stande kommen kann.
Die Operation wird am besten bei liegender Stellung des Kranken
ausgeführt , während ein xlssistent den Kopf des Kranken und die Lider
bei möglichst weiter Oeffnung ihrer Spalte fixirt. Je nach dem Umfange
des Staphyloms wird ein Staarmesser oder Staphylommesser benützt. Das-
selbe wird (Fig. 21) mit nach dem Scheitel des Staphyloms gerichteter
Schneide hart an der Grenze der Ectasie durch den Fuss des Staphyloms
in dessen grösstem Durchmesser hindurchgestossen und in einem oder zwei
Zügen durch das Zenith des Staphyloms geführt , so dass dieses seiner
ganzen Höhe nach in zwei nahezu gleiche Hälften getrennt wird. Unmittel-
bar nach der Operation wird die Lidspalte mittelst zweier Streifen e)iglischen
Pflasters geschlossen , darüber ein Compressivverband angelegt und dafür
gesorgt, dass derselbe sich nicht etwa verrücke. Der Kranke hat hierauf
2 — 3 Tage bei Rückenlage und antiphlogistischem Regimen im Bette zu
verbleiben , während welcher Zeit der Verband öfters zu erneuern ist.
Nach Ablauf dieses Termins kann dem Kranken mehr Freiheit gewährt
werden, er kann sich im Zimmer ergehen; der Verband ist aber immer
so lange zu tragen, bis die Narbe die gewünschte Resistenz erlangt hat.
Abtragung dos Staphyloms.
149
Der Compressivverband hat ausser der Verhinderung der nachträglichen Ent-
leerung der Bulbuscontenta einen doppelten Zweck. Erstens vermindert er die
Gefahren, welche die völlige Aufhebung des intraocxdaren Druckes begründet.
Andererseits erhält er die zusammengefalteten und zum Theile über einander ge-
lagerten beiden Hälften des Staphyloms in dieser ihrer Stellung und begünstigt so
ihre ungestörte und rasche Vernarbung. Der gleichzeitige Verschluss der Lidspalte
durch Streifen englischen Pflasters ist von der Klugheit geboten, besonders bei nicht
ganz verlässlichen Kranken, da ein monoctdarev Druckverband nicht ganz sicher
haftet, leicht verschoben und unwirksam wird ; ein hinocularer Druckverband aber
dem Patienten auf die Dauer unerträglich würde.
Die Inscision findet ihre Anzeige nur bei dünnwandigen NarbenstapJiglomen.
Am mcisteu leistet sie bei partiellen derartigen Ectasieu und namoutlich
bei Irisstaphylomen. Hier dürfte sie die Exscision au Wirksamkeit erreichen,
wenn nicht übertreffen, da sie nicht eine völlige Neubildung einer genügend
resistenten, also ansehnlich dicken Narbe verlangt, sondern für diese eine
ziemlich massige Grundlage erhält, so dass eine blosse Verklebung der über
einander gelagerten Wandhälften und eine relativ geringfügige Verstärkung
derselben durch neoplastisches Gefüge genügt.
Dickwandige Staphylome sinken nach ihrer Halbirung nicht völlig ein und
ilu-e beiden Hälften lassen sich auch durch einen Druckverband nicht leicht nieder-
halten. Die Herstellung einer flachen Narbe unterliegt dabei also einigen Schwierig-
keiten, um so mehr, als die dicke Epidermisschichte dieser Staphylome der Ver-
wachsung der beiden Hälften ungünstig ist. Die Entleerung der Linse und des
Glaskörpers mit so begründetem Collapsus des Bulbus, im Nothfalle auch das
Offenhalten der Wunde durch wiederholte Trennung der schon zu Stande gekom-
menen Verwachsungen, kann nun wohl diese Schwierigkeiten beheben und alsbald
die Schrumpfung der Staphylomwand und deren Vereinigung zu einer dei'ben
flachen Narbe anbahnen. Es scheint jedoch, als ob trotzdem der Erfolg dieser
Methode häufig hinter den gehegten Erwartungen zurückbliebe, da fast allenthalben
unter solchen Verhältnissen der Abtragung des Staphyloms weitaus der Vorzug ge-
geben wird.
2. Die Abtragung des Staphyloms oder die Exscision bezweckt die
theilweise oder gänzliche Entfernung des ectatischen Augapfelwandtheiles
und in zweiter Eeihe die Schliessung der solchermassen gesetzten Lücke
durch eine resistente flache Narbe.
Sie wird am besten bei liegender
Stellung des Kranken in zwei
Momenten ausgeführt, deren erstes
die Trennung des Staphyloms von
seiner Basis in ungefähr zwei
Drittheilen der Peripherie , das
zweite aber die Durchschneidung
der noch vorhandenen Brücke (Beer),
oder die weit vortheilhaftere Bil-
dung eines Lappens aus der Staphy-
lomwand (Scarpa) zur Aufgabe
hat, eines Lappens , welcher die
Lichtung des Staphylomfusses zu
decken und als Grundlage einer
flachen Narbe zu dienen im
Stande ist.
Zu diesem Ende wird (Fig. 22) bei weit geöffneter Lidspalte und
durch einen Assistenten fixirteu Lidern ein Staarmesser , bei grösserem
Fis. 22.
loO Nartenstaphylom ; Behandlung; Verheilungsmodus.
Umfange des Staphyloms aber ein Staphylommesser, mit in der Ebene des
Staphylomfusses gelegener Klinge etwas über dem grössten Durchmesser der
BlasenöfFnung ein- und durchgestossen und in einem oder zwei Zügen hart
an der Grenze der Ectasie nach aussen geführt; hierauf die mittlerweile
zusammengesunkene Staphylomwand mit einer Pincette gefasst und mittelst
einer nach der Fläche gekrümmten Schere im Niveau des Staphylomfusses
losgetrennt, oder aber aus derselben ein Lappen ausgeschnitten, welcher in
Form und Grösse der Oeffnung des Staphylomfusses nahezu entspricht.
Hierauf wird die Lidspalte mittelst Streifen englischen Pflasters geschlossen
und ein Druckverband angelegt. Die Nachbehandlung ist dieselbe, wie
bei der Inscision des Staphyloms.
Man hat die Abtragung des Staphyloms mittelst eines dem Tonsillotom ähn-
lichen Instrumentes empfohlen (Arcoleo). Doch erlaubt dieses keine genaue Dosirung
und setzt stets eine kreisförmige Lochwunde, welche schwierig und spät zur Ver-
narbung gelangt.
Bei der Abtragung Meiner Narbenstaphylome entleert sich meistens blos das
Kammerwasser, so dass die Linse in die Wundöffnung ti'itt und diese verlegt, ohne
aus ihrem Zusammenhange mit der Zonula gerissen zu werden. Bei grösserem
Umfange der ectatischen Narbe aber tritt in der Regel auch der Krystallkörper,
falls er überhaupt noch vorhanden ist, heraus, und zwar meistens in zerstückeltem
Zustande , da derselbe schon während des Einstiches in die Schnittebene hervor-
gedrängt und so von dem Messer getroffen wird. Es legt sich dann ein Theil des
Olasköi-pers unter der Form einer wasserhellen flachen Blase in die Lochwunde.
Häufiger jedoch entleert sich mit dem Krystall ein Theil des Glaskörpers oder das
denselben ersetzende Fluidum. Wo die Linse schon bei dem geschwürigen Durch-
bruche der Cornea entleert wurde, ist dieses letztere ein fast constantes Ereigniss.
Wo sich Mos das Kaminerwasser mit oder ohne der Linse entleert, sinkt der
Bulbus nicht zusammen, sondern behält unter der Wirkung der geraden Augen-
muskeln einen gewissen Grad von Spannung. Wurde ein Lappen gebildet, so findet
derselbe an der Linse oder dem blosliegenden Theile des Glaskörpers eine Stütze,
auf welcher lagernd er mit den Rändern der Wunde leicht verwachsen und unter
fortgesetzter Gewebswucherung zu einer derben Narbe werden kann. Falls aber das
Staphylom gänzlich abgetragen wurde, können unter günstigen Verhältnissen in Folge
der sich alsbald einstellenden Entzündung die Wundränder mit der Linse oder dem
Glaskörper verlöthen, indem sich die zwischen denselben laufende meniscoide Rinne
mit einer graulich weissen Neubildung füllt, welche von den Wundrändern ausgeht
und sich in Gestalt eines mehr weniger breiten Saumes gleich dem Falze eines
Uhrglases unter allmäliger Zuschärfung aia der Convexität des biosliegenden diop-
trischen Mediums emporschlägt. Es bleibt dann eine Zeit lang das Zenith jener
Blase durchsichtig und ermöglichet oft die Wahrnehmung äusserer grösserer Ob-
jecte, Hoffnungen in dem Kranken anregend, welche nur zu bald bitter getäuscht
werden. Einerseits verkleinert sich nämlich die Lochwunde unter Zuziehung der
Ränder, andererseits aber verbreitert sich der neoplastiche Saum und der letzte Rest
des blosliegenden Krystall- oder Glaskörpertheiles wird endlich von der Neubildung
gedeckt. Es bedarf nur mehr einer fortgesetzten Prolification, um endlich an der
Stelle der Lochwunde eine derbe, genügend dicke und resistente flache Narbe her-
zustellen, die aber gewöhnlich an Umfang der ehemaligen Substanzlücke nachsteht.
Die Consolidation einer solchen Narbe erfordert, was wohl zu erwägen ist, immer
viele Wochen, oft mehrere Monate. Häufig bleibt in der Mitte des bereits abge-
flachten und sehr geschrumpften Ersatzgefüges eine sehr kleine, kaum merkbare
Lücke zurück, die nur mit einem sehr dünnen Häutchen geschlossen ist. Diese
nun berstet bei einigermassen unvorsichtigen Kranken, namentlich wenn der Ver-
band verschoben wird oder mechanische Gewalten auf den Bulbus wirken, sehr
leicht und veranlasst so in späten Perioden der Reconvalescenz den Austritt des
Glaskörpers mit allen seinen Gefahren. Es ist dieses übermässige Verzögern eines
beruhigenden Heilungszustandes und die damit verbundene Nothwendigkeit, den
Verband lange Zeit zu tragen, ein gewichtiger Grund, die Abtragung des ganzen
Staphyloms zu Gunsten der Lappenbildung aufzugeben.
Ausscliuoidun;; mit Knopliiahl.
151
Entleert sich ein grosser Theil des Coi'pus vitreum oder seiner Ersatzßüssigkeit,
so sinkt der Bulbus zusammen und niclit selten sehrumpft er, nachdem die Schlies-
sung der Lochwuude gelungen ist, in Folge ausgebreiteter Entzüiulungen und darin
begründeter Atrophie der bluthältigen Organe, auf die Hälfte seines normalen
Volumens und darunter. Oft kömmt es dann auch zur Suppuration , welche in
kürzerer oder längerer Zeit, bisweilen erst nach wochenlangen schweren Leiden
des Kranken, zum Abschlüsse gelangt, den Bulbus nahezu consumirt und auf ein
winziges Knöitfchen reducirt, überdies aber auch sympathisch den anderen, vielleicht
disponirten Bulbus gefährden und möglicher Weise durch Veranlassung einer Pyäraie
sogar tödtlich werden kann.
Die Ursache dieser heftigen Entzündungen liegt sehr oft zum grossen Theile
in massenhaften intraocidaren Bluttmgen, welche in der plötzlichen Aufhebung des
intraocularen Druckes begründet sind. Sie werden am öftesten beobachtet, wo der
entzündliche Process sich auf die Aderhaut fortgepflanzt hat oder das Narben-
staphylom gar schon mit Sclerochorioidalectasien gepaart erscheint.
3. Die Ausschneidung eines elliptischen Narbenstilckes und die Vereinigung
der Wundränder durch die Knopfnaht hat die Aufgabe, die mit der Ab-
tragung des Staphyloms verknüpfte Gefahr der Entleerung der Linse und
des Glaskörpers zu umgehen, die Verwachsung der Wunde in der kürzesten
Zeit zu ermöglichen und einen festen elastischen beweglichen Stumpf zu
bilden, welcher die Einlegung eines künstlichen Auges mit Aussicht auf
täuschenden Erfolg gestattet (Critchett).
Die Operation soll
stets in der Narkose des ^'^' ^^'
Kranken ausgeführt werden.
Nach gehöriger Lagerung
des letzteren und Pixirung
der Lider durch den Assis-
tenten oder einen Snowden'-
schen Augenlidhalter wer-
den (Fig. 23) 4—5 kleine
halbkreisförmige Nadeln in
einer Reihe an der oberen
und unteren Grenze des
Staphyloms durch die Nac/i-
hartheile gestossen und mitt-
lerweile liegen gelassen. Ist
dies geschehen , so wird
etwas vor der Ansatzlinie
des inneren geraden Augen-
muskels die Lederhaut mit-
telst eines Messers eröffnet
nnd so eine bei 2'" lange
meridionale Wunde gesetzt,
von deren innerem Winkel
aus man mittelst einer klei-
nen Schere ein elliptisches
Stück aus der Staphylom-
wand ausschneidet. Ein-
facher ist es, den Lappen
nach unten hin gleich mit dem Messer abzugrenzen, indem man dieses schräg auf
den horizontalen Meridian in den vorderen Scleralgürtel einstösst und wagrecht in
der Staphylomhöhe fortschiebt, um dann am jenseitigen Fusse der Ectasie in der
Lederhaut auszustechen und den Schnitt in langem Zuge zu vollenden. Der Lappen
muss hierauf mit der Pincette gefasst und mittelst der Schere abgetragen werden.
Die erforderliche Grösse desselben wechselt je nach dem Umfange des Staphyloms.
Es ist durchaus nicht nothwendig, die ectatische Narbe ganz auszuschneiden, die
Wundränder also in die Lederhaut zu verlegen, da auch angefrischte Ränder der
ersteren leicht ohne Eiterung verwachsen. Behufs richtiger Vereinigung hat die
Längsaxe des gebildeten Lappens stets senkrecht auf der Richtung der Nadeln zu
152
Nartenstaphylom ; Behandluug' ; Aussclineidung mit KnopfnaM.
Fig. 24
stehen, so wie denn auch seine Langseiten immer innerhalb der Ein- und Äusstichs-
punkte der Nadeln zu liegen haben. Ist der Lappen entfernt und die Linse be-
seitigt, so werden die vorläufig mit einem Seidenfaden annirten Nadeln vollends
durchgestossen und die Fäden geknüpft, dabei aber für eine richtige Adaption der
Wundränder wohl gesorgt. Die Nähte sollen einige Wochen liegen bleiben und
sind, falls sie nicht spontan abgestosseu werden, nach gehöriger Verlöthung der
Wunde herauszunehmen.
Als ein besonderer Vortheil dieser Operation wird gerühmt, dass sich die
Grösse des Stumpfes i-eguliren lasse, was bei Einlegung eines künstlichen Auges
von Werth ist. Auch soll es in ihrem Gefolge verhältnissmässig seltener zur Suppu-
ration kommen, als bei der Abtragung des ganzen Staphyloms. Der grösste Vor-
theil liegt jedenfalls darin, dass dem Kranken das höchst lästige lange Tragen des
Druckverbandes erspart wird. Die Linse schonen zu wollen , ist gefährlich , wenn
überhaiipt thunlich.
Die Durchführung der Nadeln durch den Ciliarkörper und das lange Ver-
weilen der Fäden in den Stichkanälen ist übrigens nicht ohne Gefahr. Man hat
in Folge dessen öfters sehr heftige Entzündungen der tiefen Binnenorgane und
selbst sympathische Betheiligung des anderen Auges beobachtet. Es wird neuerer
Zeit daher empfohlen , die Naht durch die Bindehaut zu legen. Es wird zu diesem
Behufe 2'" — 3'" über dem Rande der Staphylombasis iind ein wenig nach innen
vom verticalen Meridian, eine feine Nadel einge-
stochen, unter der Bindehaut quer nach der Nase
zu geführt und vertical über dem inneren Rande
der Staphylombasis wieder ausgestochen ; hierauf
wird dieselbe Nadel mit demselben Faden so durch
die Bindehaut unterhalb des Staphylomes durch-
geführt, dass ihr Einstich senkrecht unter dem
inneren Staphylomrande, ihr Ausstich in der Nähe
des verticalen Meridians erfolgt. Eine zweite
Nadel wird in ähnlicher Weise nach aussen vom
verticalen Meridiane durch die Bindehaut über und
unter dem Staphylom durchgeführt. Man sucht
von der Bindehaut und dem Episcleralgewebe so
viel als möglich beim Durchstechen der Nadel zu
fassen, damit sich die Conjunctiva möglichst wenig
über die Sclera verschiebe und diese kräftig nach
der Mitte der Lidspalte hinziehe. Hierauf werden
die Fäden zurückgeschlagen, das Staphylom abge-
tragen und sodann die beiden Enden jedes Fadens
zugezogen und geknüpft (Fig. 24) (Knapp).
Selbstverständlich passen diese Methoden
blos bei nahezu totalen Narbenstaphylomen, nament-
lich solchen mit dicken Wandungen oder gar knojffähilich verdicktem Zenithe, wo
eine Herstellung des Sehvermögens nicht mehr möglich ist und es sich nur um die
Änbilduug eines zur Prothese geeigneten Stumpfes handelt. Auch entsprechen sie
bei Comhination der Narbenectasie mit einem Sclerochorioidalstaphylom. Kömmt es
unter solchen Umständen zur Vereiterung, so ist nicht viel verloren.
Quellen. Beer, Lehre von den Augenkrankheiten. Wien, 1817. II. S. 216. —
Scarpa, Trattato delle pr. malattie d. occhi. Pavia, 1816. II. S. 156. — Küchler,
Eine neue operat. Heilmethode der sämmtl, wahren Hornhautstaph. Braunschweig,
1845. — Chelius, Zur Lehre von den Staphylomen des Auges. Heidelberg, 1858. —
Critchett, Ophth. Hosp. Reports IV. 1. S. 1 u. kl. Monatbl. 1864. S. 32. — Secondi,
Clinica oc. di Genova. Torino, 1865. S. 22. — Tetzer, Wien. Med. Jahrb. 1866. 4.
S. 15. — 0. Becker ibid. S. 16, 20. — Czermj, Wien. Augenklinik. Bericht. S. 190.
— M. Schultze, Centralblatt f. die med. Wissensch. 1864. Nro. 12, 17. — Virchow
ibid. Nro. 15, 19. — Schiess-Gemuseus, kl. Monatbl. 1868. S, 98. — Arcoleo, Nuovo
processo di staphilotomia. Palermo, 1869. — Knapp, A. f. O. XIV. 1. S. 273.
Anatomie des Glaskörpers. 153
ZWEITER ABSCHNITT.
Die Entzündung des Glaskörpers, Hyalitis.
Anatomie. Der Glaskörper, Corpus vitreura, wird dem Schleimgewebe
(Virchoiu) oder dem gallertartigen Bindegewehe (KölUker) zugezählt. Er ist
vollkommen structurlos , entbehrt der Gefässe und Nerven , führt jedoch
eine Anzahl von Kernen und Zellen , welche mit den Ernährungsverhält-
nissen des Organes in näherem Bezüge stehen , zumeist in den peripheren
Schichten lagern und zum Theile der umhüllenden Grenzhaut von Innen
her aufsitzen , daher auch mitunter in der Bedeutung eines Epithels auf-
gefasst werden (C. Bitter). Zuweilen stösst mau im Inneren des Glaskörpers
auf einzelne Fasern oder ganze Bündel bindegewebigen Charakters , welche
für Reste der foetalen Gefiisse gehalten werden (Henle). Der Stoffwechsel
wird durch die Gefösse der Netzhaut und Uvea vermittelt.
Der Glaskörper scheint nicht jeder Spur von Organisation zu entbehren. An
geeigneten Präparaten ist eine etwas derbere Rinde und ein Kern zu unterscheiden.
Die erstere lässt concentrisclie Schichten von wandelbarer Dicke erkennen, welche
an der Ora serrata beginnend den Kern nach Art eines vorn offenen Bechers um-
schliessen. In letzterem läuft von vorne nach hinten eine mehrfach verzweigte
Längsspalte, an welcher eine Ausweitung das Rudiment des Cloquet' sehen Camales
darstellt (Stilling). An Glaskörpern, welche durch gewisse Reagentien gehärtet
worden sind, tritt die zwiebelartige Schichtung der Rinde besonders deutlich hervor
(Hannover) und statt jener Längsspalte erscheint eine radiäre Streifung ähnlich der
einer Apfelsine (Brücke). Es drückt sich darin blos die SpaltJjarkeit des Glaskörpers
aus ; denn eigentliche Membranen als Scheidewände bestehen sicherlich nicht (H.
Müller, Doncan, KölUker, Iwanoff),
Die Zellen sind im foetalen Glaskörper sehr reichlich vertreten. Sie erscheinen
hier in ziemlich regelmässigen Abständen durch das ganze Corpus vitreum vertheit
(Virchow). Nach der Geburt nehmen sie an Zahl sehr ab und verschwinden mit
fortschreitendem Alter im Innern des Orgaues bis auf wenige. Es sind theils ovale
platte Kerne , theils runde oder ovale feinkörnige Kernzellen mit cytoidem Cha-
rakter, theils grössere mehrkernige Zellen mit deutlicher gesonderter Hülle (Henle).
Sie finden sich besonders in der Nähe der Ora serrata, hinter der Linse und vor
dem Sehnerveneintritte (Klebs). Die Existenz spindeliger und sternförmiger, mit
verzweigten Ausläufern verseliener und bisweilen reihenweise gelagerter Zellen
(Virchow, C. 0. Weber) wird noch vielfältig angezweifelt. Dasselbe gilt von den
Physaliphoren, d. i. runden Zellen mit oder ohne Aixsläufern, welche in ihrem
Inneren oder der Aussenwand aufsitzend kleine rundliche wasserhelle Bläschen
führen und bei der Schleimbereitung eine Rolle spielen sollen (Iwanoff).
Auch über den Bestand eines Fasergerüstes (Boimnan, Iwanoff) im foetalen
Glaskörper sind die Acten noch nicht geschlossen. Doch ist dasselbe durch den
ursprünglichen Bestand zahlreicher Verästelungen der Arteria hyaloida, wenigstens
iüx frühe Perioden des embryonalen Lebens, sein- wahrscheinlich gemacht. Auch
sprechen manche Hemmungsbildungen des Auges dafür. So fand man bei Coloboma
oculi von der Scleralraphe in der Nähe des Strahlenkranzes ausgehend einen seh-
nigen Fortsatz, welcher sich an der dislocirten Linse festsetzte (Arnold). In einem
anderen derartigen Falle war der Glaskörperspalt ausgefüllt von einem mächtigen
sehnigen gefässhältigen Kamme, welcher mit breiter Basis am unteren Rande der
Papilla optica entsprang , sich allmälig verschmächtigte , am vorderen Rande des
Coloboms festsetzte, von hier aber sich kegelig ausbreitete und die hintere Fläche
des Krystallkörpers schalenartig in sich aufnahm.
154
Glaskörper; Anatomie; Art. hyaloidea persistans.
Der centrale Stamm der Glaskörpergefösse geht immer erst iu den letzten
Perioden des foetalen Lebens zu Grunde. Beim Kalb und Pferde jedoch bleibt
ein strangförmiger oder zapfenartiger sehniger Rest desselben lange nach der
Geburt noch sichtbar (H. Müller). Aber auch beim Menschen sind Rudimente
ophthalmoskopisch und am Cadaver nachgewiesen worden. Es zeigten sich dieselben
iu einem speciellen Falle sowohl an Lebenden, als nach erfolgtem Tode im
anatomischen Präparate in Gestalt eines 1'" langen rundlichen Stranges, welcher
in beiden Äugen von der Gefässpforte der Sehnervenscheibe ausgehend in den
Glaskörper hineinragte und sich pinselförmig in einer dichten wolkigen Trübung
desselben audöste. In anderen Fällen erschien das Rudiment als ein kurzer
sehniger Zapfen (Meissner) oder als ein fibröser Strang, welcher von der Papille
bis zur Hinterwand der Linse reichte und sich hier in eine flache Trübung aus-
breitete (Tottssaint, Liebreich, Saemlsch, Mooren, Stör).
Fig. 25.
%
"H
-^-;
Mitunter findet man neben
solchen Resten der Arteria hyaloi-
dea ganz eigenthümliche halb-
durchscheinende, stark grün schat-
tirte, graue, buckeiförmige Her-
vorragungen am Äugengrunde,
welche ihrer Wesenheit nach nicht
aufgeklärt sind und vielleicht
Ueberbleibsel der bindegewebigen
fötalen Glaskörperanlage sind. Es
lagern dieselben vorzugsweise um
den Sehnerven herum (0. Beckei-),
oder in der Richtung der embryo-
nalen Augenspalte. Sie scheinen
von der Netzhaut überkleidet zu
werden. Wenigstens ziehen sich
einzelne Gefässe der letzteren über
ihren Körper hin und erscheinen
in den Falten der Oberfläche ge-
knickt und verschoben (Fig. 25j.
Einmal hat man die Arteria
hyaloidea am Lebenden noch mit
Blut gefüllt gesehen (Zehender).
Es erinnert dieser Fall an einen
anderen, in welchem von der Papille ausgehend eine dünne, gefässartig scharf
begrenzte Blutsäule gegen das Centrum der Hinterkapsel hinlief und sich hier in
ein kleines scheibenförmiges Extravasat ausbreitete. Au dem Blutstrange Hessen
sich durchaus keine Wandungen entdecken, daher derselbe für eine JEins-pritzung
des Cloquefschen Canales, dessen künstliche Injection den Anatomen thatsächlich
öfters gelungen ist, erklärt wurde. Neuester Zeit werden nun wirklich Gründe
für das Offenstehen des Canales vorgebracht (Stilling) und in Einem Falle soll der-
selbe beiderseits ophthalmoscopisch als ein bei gewissem Lichteiufalle völlig durch-
sichtiger, bei anderen Spiegelstellungen aber ganz dunkler Strang zu erkennen
gewesen sein {Wecker).
Die gallertähnliche Glassubstanz (Vitrina) wird nach hinten von der
Membrana limitans retinae, nach vorne aber von dem hinteren Blatte der
Zonula und Kapsel umschlossen. Eine eigene Membrana hyaloidea besteht
nicht, sondern "wurde wo man eine solche gefunden zu haben glaubte, von
der abgelösten inneren Grenzhaut der Retina vorgetäuscht (Henle, Iwanoff).
Der Glaskörper hängt eben mit der Letzteren fest zusammen, daher be-
sonders in minder frischen Augen die Limitans bei der Präparation dem Ersteren
leicht folgt. Die auf der äusseren Fläche der vermeintlichen Hyaloidea beob-
achteten Schüppchen, welche mehrfach als Epithel gedeutet wurden (Hannover,
Finkbeiner), sind wahrscheinlich nichts Anderes, als Spuren vou abgerissenen
Enden der Radiärfasem (Henle, Iwanoff).
Anatomie der Zomüa; Potit'scher Canal; Senile Veränderungen. loo
Die Zonula beginnt schon jenseits der Ora sei'rata, etwas vor dem
Gleicher, in Gestalt einer Lage höchst feiner raeridional streichender
Fasern, welche sich zum Theil in den Glaskörper hinein verfolgen lassen
(Henle) und in ihrem ganzen Laufe durch einen homogenen Kitt zu einer
Platte verbunden sind. Diese Platte hängt mit dem Ciliarthcile der
Retina und dem Tapete, ja selbst mit der Glashaut der Strahlenfortsätze
(Heiberg) innig zusammen. Sie theilt sich im Bereiche des Corpus ciUare
in zwei Blätter (Fig. 2. S. 54 e, /) deren hinteres zur hinteren, das vordere
aber hauptsächlich 'zur vorderen Kapselhälfte hingeht und damit ver-
schmilzt. Es wird so zwischen den beiden Blättern der Zonula und dem
Kapselrande der Petit'sche Kanal gebildet, welcher im Leben jedoch gleich
den serösen Höhlen leer und collabirt sein dürfte, insoferne die beiden
Zonulaplatten sich gegenseitig zu berühren scheinen (Henle).
Die Zonulafasern sind anfänglich weit geschwungen oder wellig geschlängelt
und tragen den Charakter des Binde- oder elastischen Gewebes. Im Bereiche der
vorderen Platte ändern sie jedoch bald ihr Aussehen. Es treten hier nämlich,
dieselben zum grössten Theile ersetzend, steife glatte wasserhelle, sehr scharf-
randige und ausserordentlich dehnbare Fasern von wechselndem Durchmesser auf,
welche der Zonula vom histologischen Standpunkte aus ein ganz eigenthümliches
Gepräge verleihen. Es sind diese Fasern in Büschel geordnet, welche, indem die
Fasern pinself6rmi(j auseinanderfahren, gegen den Kapselrand sich verbreitern und
dann flächenartig an dem letzteren sich festsetzen. Der grösste Theil dieser Fasern
trifft auf die Randpartie der vorderen Kapselhälfte, ein kleinerer auf die Peripherie
der hinteren Kapselhälfte. Ein senkrecht und meridional durch die Zonula geführter
Schnitt ergibt daher immer eine fächerartige Figur , deren concaver centraler Rand
von der vorderen imd hinteren Kapsel gebildet wird. Es ist also jene Zikzaklinie,
welche als Marke des Strahlenblättcheus bezeichnet wurde und sich abwechselnd
von der vorderen auf die hintere Kapsel schlängelt, nur die vordere Grenze des
flächenartigen Zonidaansatzes (Henle, Heiberg, Ed. Jaeger).
Der Bestand quergestreifter Muskelfasern (Finkheiner, Heiberg) in der Zonula
ist zum mindesten sehr zweifelhaft.
Senile Veränderungen. Im Qlaskörjper äussert sich die senile Involution durch
schwach milchige Trübung, welche besonders deutlich in der vorderen äusse7-en
Partie des Organes hervortritt und durch einen zarten Niederschlag einer albumi-
nösen, sehr fein molekulirten, schmutzig gelblichen Masse bedingt wird, in der
Gruppen von Fettkörnern lagern, welche letztere durch fettigen Zerfall der dem
Glaskörper eigenen Zellen zu erklären sind (Wedl). Es führt dieser senile Ver-
fettungsprocess nicht selten zur völligen Auflösung des Glaskörpers (Synchysis).
Diese beginnt immer im hinteren Theile, greift aber allmälig um sich, ohne dass
sich eine deutliche Grenze zwischen den bereits verflüssigten und den noch normal
consistenten, verfettigende Zellen enthaltenden Glaskörperpartien nachweisen Hesse
(Iwanoff).
Im Bereiche der Zonula soll sich die senile Involution zuweilen durch
Verlust der Faserung beurkunden und die elastische Dehnbarkeit so weit vermin-
dern, dass spontane Berstungen mit consecutiver Lösung des Krystallkörpers aus
seinen Verbindungen sehr begünstigt werden (H. Müller). Auch Auflagerungen
choloider und zum Theil kalkiger Massen kommen vor, scheinen aber mehr den
Veränderungen der auflagernden Gebilde zuzugehören.
Nosologie. Als anatomischer Grundcharakter der Hyalitis lässt sich
die massenhafte Einwanderung weisser Blutkörperchen aus den Gefässen
der umgebenden Organe (C. Ritter, Iwanoff, Blix), die Prolification der-
selben und wahrscheinlich auch der dem Glaskörper zugehörigen Zellen
der Vitrina bezeichnen.
Im Ganzen scheinen abnorme Zellenanhäufungen im Glaskörper ein sehr
gewöhnliches Vorkommniss zu sein; wenigstens hat man alle Ursache, die so unge-
mein verbreiteten beweglichen und manche fixe Scotome (siehe diese) auf Massen-
156 Glaskörper; Nosologie; Hyalitis suppur., hypertroph.
Vermehrung der fraglichen Elemente zu beziehen. Gemeiniglich jedoch werden
die den Scotomen zu Grunde liegenden Processe, da sie keine ohjectiv auffälligen
Veränderungen des Glaskörpers im Gefolge haben und auch wohl des j^ositiven
Nachweises entbehren, in den Begriff der Hyalitis nicht eingeschlossen; vielmehr
pflegt man zur Diagnose der Glaskörperentzündung, gleichwie zu jener der Kera-
titis, ein tnakroskojjisch nachweisbares Product, also eine massenhafte Neubildung,
zu fordern.
Die Hyalitis ist häufig partiel und dann , wenn nicht Traumen die
Veranlassung gegeben haben, in der Eegel auf die peripheren Theile des
Corpus vitreum beschränkt. Eben so oft indessen ist der Glaskörper seiner
Totalität nach entzündet. Die an die Ciliarfortsätze und Netzhaut gren-
zenden, sowie die mit dem Sehnerveneintritte organisch verbundenen
Portionen pflegen sich dann durch reichlichere Anhäufung der Producte
auszuzeichnen. Wo der Vordertheil des Glaskörpers ergriffen ist, leidet
die Zonula zumeist mit, sie erscheint von denselben neoplastischen Elementen
überlagert und durchdrungen, diese wuchern von den das Strahlenblättchen
deckenden gefässhältigen Theilen in das Corpus vitreum gleichsam hinein
und füllen bisweilen in dichten Massen den Petit'schen Kanal und die
tellerförmige Grube (Alf. Graefe).
Der Charakter der Hyaütis ist je nach den gegebenen Umständen
ein sehr verschiedener. Häufig ist die Entzündung suppurativ. Ausnahms-
weise hat sie wohl auch die Bedeutung einer Tuberkelausscheidung. Am
gewöhnlichsten jedoch ist ihi'e Tendenz auf Hypertrophie gerichtet, die
neugebildeten Elemente sind zum Theile in evidenter Höhergestaltung be-
griffen, oder haben sich unter dem Einflüsse nachbarlicher Gebilde bereits
grossen Theiles in Bindegewebe umgewandelt.
Bei der eitrigen und der sehr seltenen tuherculosen Form der Hyalitis ist
wohl in der Regel der gesammte Glaskörper betheiligt und die Neubildung eine
überaus massenhafte. Doch kommen auch umschriebene Eiterhei-de, besonders um
fremde eingedrungene Körper herum, vor (0-raefe, Donders, Ruete). Das Product
der suppurativen Hyalitis sind Eiterkörperchen gemischt mit fettigem Detritus, Fett-
körnchenkugeln und einer je nach Umständen sehr variablen Menge von in
Theilung , in Verfettigung oder Nekrose begriffenen Kernen. Daneben erscheinen
mitunter in sehr untergeordneter Quantität Gruppen sich höhergestaüender Zellen
und Bündel neoplastischen Bindegeivebes , oft auch schon kleine Gefässe, welche
mit jenen der Netzhaut zusammenhängen. Diese Producte drängen sich stellen-
weise so enge an einander, dass die Vitrina zwischen ihnen völlig verschwindet
und das Ganze ein käseähnliches Aussehen gewinnt. Sie bilden an der Peripherie
des Glaskörpers öfters onächti'ge Schwarten, welche die hintere Fläche der Ciliar-
fortsätze und der Linse, so wie die innere Wand der Netzhaut theilweise oder
ganz überziehen, nach dem Centrum hin jedoch sich in ein Gemisch von Knollen,
Balken oder Blättern auflösen, die in den eitrig infiltrirten Kern des Glaskörpers
hineinragen oder nur mehr von verflüssigten Resten des letzteren und losen Eiter-
flocken umspült werden.
Die hypertrophirende Form der Hyalitis ist öfter partiel und in der Regel
weniger productiv. Als unmittelbares Ergebniss derselben findet man anfänglich
oft blos spärlich zerstreute Gruppen von rundlichen Zellen, umschlossen von höchst
feinen molekidaren Niederschlägen und fettig körnigen Massen, welche der Vitrina
auf grössere oder geringere Entfernung hin ein feinkörniges oder undeutlich strei-
figes Aussehen geben und dieselbe dem freien Auge getrübt erscheinen lassen.
Häufiger aber trift't man in der entzündlich getrübten Glaskörpersubstanz neben
Nestern neuer Zellen Productanhäufungen, in welchen sich die mannigfaltigsten
Uebergänge von einfachen oder mehrkeiiiigen, runden, polygonalen und spindeligen
granulirten Zellen zu anderen nachweisen lassen, welche den Charakter loahrer
Bindegeioebsköiper tragen, während die umgebende Intercellular Substanz bereits
deutlich die lockig wellige Faserung erkennen lässt.
Regressive Metamorphosen. 157
Das solcliermasseii zu Stande gekommene Bindegewebe dient bisweilen blos
als Gerüst und Hülle für Zellen der mannigfaltigsten Art und stellt im Vereine
mit den letzteren painllenühnUche Auswüchse von ovaler oder gestreckter kolbiger
Gestalt dar, die sich mitunter astälmlich verzweigen und makroskopisch als in die
trübe Vitrina eingesprengte Tüpfel oder netzartige Figuren zur Wahrnehmung
kommen (C. 0. Webe?', WedlJ. An anderen Stellen treten diese Elemente dichter
aneinander und construiren so balken- oder liautähnliche Blätter, welche bald frei
in den Glaskörper hineinragen, bald sich mannigfaltig interferiren und Netzwerke
bilden, bald den Glaskörper nach dieser oder jener Seite hin scharf abgrenzen,
bald endlich eingedrungene fremde Körper kapselartig umschliessen.
In den meisten Fällen ist das neugebildete Bindegewebe von mehr minder
zahlreichen Gefässen durchstrickt, deren Stämme constant mit den Arterien und
Venen der umliegenden vascularisirten Organe, der Ciliarfortsätze, der Netzhaut oder
Sehnervenpapille, anastomosiren. Bisweilen erkennt man sogar noch die ersten
Anlagen derselben in Gestalt kolben- oder sprossenähnlicher Auswüchse, welche,
von den Gefässen der genannten Organe ausgehend, in den Glasköi-per gleichsam
hineinwachsen und sich hier durch bündelweise Aneinanderlagerung gestreckter
neoplastischer Zellen weiter und weiter fortsetzen (C. O. Weber, Wedl, Czerny).
Ueberhaupt steht die ganze Entwickelung des Bindegewebes in näherem
Bezüge zu den umliegenden Organen. Ein Theil desselben ist fast immer mit
dem Stroma der letzteren verbunden und oft hat es ganz das Ansehen, als ob das
Bindegewebe geradezu von aussen her in den Glaskörper vordränge. Die im
Vordertheile des Glaskörpers vorfindigen bindegewebigen Neoplasien bekunden
diesen Nexus übrigens häufig noch durch starke Pigmentirung der zelligen Elemente.
Nicht immer jedoch gelangen die Producte der Entzündung zu
höheren Entwicklungsformen. Ziemlich oft werden sie , nachdem sie sich
bis zu einem gewissen Grade ausgebildet haben, wieder rückgängig, zer-
fallen in lösliche Substanzen und werden auf dem Wege der Resorptioii
entfernt , oder gehen durch die regressive Metamorphose in ständige
Formen über.
So stösst man gar nicht selten auf einzelne Zellen und Zellengruppen,
welche durch reichlichen Gehalt körnigen Fette^f den Beginn ihres Zerfalles ver-
rathen , oder sich theilweise schon in Fettkörnerkugeln verwandelt haben. Oft
haben sich solche Gruppen sogar förmlich zersetzt und stellen nur mehr ganz
unregelmässige Haufen vor, in welchen fettiger Detritus mit mehr oder weniger
Pigment das Hauptconstituens bildet. Anderwärts trifft man einzelne oder gruppirte
Zellen, welche durch Aufnahme einer dichten und chemisch sehr indifferenten Masse
in fettig glänzende, deutlich geschichtete und radiatim zerklOftende, solide Körper
übergegangen sind, die im polarisirten Lichte ein helles Kreuz im dunklen Felde
zeigen (Wedl). Daneben erscheinen oft Nester von Cholestearinki-ystallen, Haufen
körnigen Pigmentes und Gruppen kernähnlicher, an kohlensaurem Kalke reicher
Gebilde, welche letztere bisweilen auch rosenkranzartig an einander gereiht sind
i;nd so Schnüre bilden, die sich zum Theile mannigfaltig verästeln und mitunter
auch netzartige Figuren darstellen. Es lagern diese Producte der regressiven
Metamorphose meistens in fein molekidirter und öfters mit Fettköruchen reichlich
durchstreuter, mitunter auch deutlich streifiger und trüber Vitrina. In einzelnen
Fällen deuten in spitzen Winkeln zu einander gestellte Züge elainähnlicher,
grösserer und kleinerer Körner auf den Untergang einer faserigen Textur. In der
Regel jedoch erhalten sich ausgebildete bindegeivebige Elemente lange und finden
sich in ihrer ursprünglichen Form neben den Ergebnissen der Zellenrückbildung,
oft bis in die fernsten Stadien. Sie pflegen sich dann durch Schrumpfung zu
verdichten. Mitunter nehmen sie auch Kalk auf oder verknöchern sogar theilweise.
Mehr zufällig, immerhin aber ziemlich häufig, sind Beimischungen variabler
Mengen von frischen oder bereits in Pigmentr)ietamorphose begriffenen, extravasirten
Blutkörperchen. Auf deren Rechnung gehört nicht selten ein grosser Theil der
neben den Ausgängen der Hyalitis vorfindlichen Pigmenthaufen.
Ursachen. Die Hyalitis steht meistentheils im Abhängigkeitsverhält-
nisse zu Entzündungen der den Glaskörper lungehenden vascularisirten Organe.
158 Hyalitis; Ursachen; Eingedrungene fremde Körper.
Es gilt dieses mit einer gewissen Beschränkung sogar von den die Scotome
veranlassenden Wucherungen, um so mehr aber von der Hyalitis im engeren
Wortsinne. "\"ornehmlich sind es sehr acut auftretende und mit einem
hohen Grade von Intensität verlaufende, besonders also suppurative Formen
der Chorioiditis , Irido-Kyklitis , Dictyitis , an welchen der Glaskörper in
sehr auffälliger Weise Antheil nimmt, indem er, dem Charakter des
Processes entsprechend, mehr weniger massenhaft Eiter producirt. Doch
auch minder intensive, ja selbst scJileichende chronische Entzündungen der
genannten Organe ziehen oft den Glaskörper in Mitleidenschaft, ja gewisse
Formen derselben, das Glaucom, die chronische Iridochorioiditis und Neu-
roretinitis verlaufen sogar nur selten ohne Betheiligung des Glaskörpers,
daher Trübungen desselben zu den charakteristischen Symptomen dieser
Krankheitsfoi'men gezählt werden. Das Endergebniss der Hyalitis sind in
Fällen der letzteren Art meistens bindegewebige oder verfettigende und verkal-
kende Neubildungen.
Auf traumatische Eingriffe reagirt der Glaskörper im Ganzen wenig
(Pagenstecher) und wenn sich in Folge deren Hyahtis entwickelt, so steht
dieselbe mit der Verletzung in der Regel wohl nur in mittelbarem ätiolo-
gischen Zusammenhang; das nächste pathogenetische Moment sind Entzün-
dungen der umliegenden vascularisirten Organe; der Glaskörper betheiligt sich
ei'st, nachdem diese letzteren ihre entzündliche Affection ganz unzweifel-
haft bekundet haben, und die Hyalitis wird davon in der entschiedensten
Weise beeinflusst.
Es sind die Entzündungen der umliegenden Organe übrigens nicht
immer deutlich ausgesprochen. Glaskörpervorfälle, wie selbe bei manchen
Operationen, z. B. bei der Staarextraction, vorkommen, führen oft zu
ausgebreiteten diffusen und membranösen Trübungen der Vitrina, ohjie
dass sich in der Netzhaut und Uvea nothwendig entzündliche Erscheinungen
geltend machen. Wenn fremde Körper, Entozoen, Linsentheile, Blutextra-
vasate u. s. w. in den Glaskörper tief eingedrungen sind, so umhüllen sich
dieselben gar nicht selten überaus rasch mit Eiter oder mit membran-
artigen Neubildungen , welche mit den umliegenden Organen eine Zeit
lang in keinem nachweisbaren Zusammenhange stehen , ja in einzelnen
Fällen werden solche Eindringlinge wohl auch dauernd incapsidirt, ohne
dass die gefässhaltigen Hüllen des Corpus vitreum in ilirer Functions-
tüchtigkeit wesentlich geschädigt würden (Kittel, Soelberg Wells). Bei
deprimirten Staarkernen ist eine solche Incapsulation ohne Betheilung der
Netz- und Aderhaut sogar die Bedingung des günstigen operativen Erfolges.
Fremde Körper, besonders Slahlsplitter und Trümmer von Zündhütchen,
welche in die Bulbushöhle eindringen, durchschlagen ausnahmsweise die hintere
Wand des Augapfels, um sich dann im Orbitalgefüge, in einem Muskel u. s. w.
festzusetzen (Berlin, Stavenhagen). Oefter bleiben sie in der Hinterwand des
Auges stecken und können dann bisweilen eine Zeit lang ophthalmoscopisch wahr-
genommen werden (Jacohi). In der allergrössten Mehrzahl der Fälle jedoch
dringen sie blos in die Retina und Chorioidea ein, springen dann aber wieder
zurück, eine haarfeine kleine Spalte hinterlassend, und senken sich hierauf zu
Boden. Man findet dieselben daher gewöhnlich am iintersten Theile des Augen-
grundes, und zwar etwas vor dem Aequator hulbi, indem eben die Visirebene in
der Regel nach abwärts gerichtet ist und jene Stelle somit den tiefsten Punkt der
Bulbushöhle abgibt. Gewöhnlich stellen sich unter solchen Umständen bald Blut-
extravusate ein, die von der Wunde der Netz- und Aderhaut aus den Glaskörper
Blutextravasato des Glaskörpers. 159
nach den verscliicdeiiston Richtungen, besonders aber länj^s des Wniidkanales,
durchsetzen. Meistens l'olfj,'t dann rasch eilriye CUorioiditis mit dichter Trübung
des Glaskörpers. In anderen Fällen ist aber die Reaction eine weniger intensive,
die Netzhaut und Chorioidea erleiden verhältnissinässig geringe Veränderungen, nur in
der Nähe der Wunde und um den gesenkten Fremdkörper herum bilden sich rasch
neblige Trübungen, welche sich alsliald verdichten, an ihren Grenzen ein Ijlättriges
fädiges Aussehen gewinnen, und bisweilen noch den Gang, welchen der Splitter
im Glaskörper nahm, an einem beide Stellen verbindenden trüben Streifen oder
Bande ganz deutlich erkennen lassen. Der so gedockte; Eindringling ist dann selbst-
verständlicli objoctiv nicht mehr nachweisbar; doch verrätli er sich häufig durch
eine UnterhrecJmng hn ohern Theil des G esichtsif ekles , welche späterhin, wenn die
Chorioiditis bereits Fortschritte gemacht hat, mehr und mehr in der allgemeinen
Verfinsterung aufgeht (Berlin).
Blutextravasate sind im Glaskörper eine nicht ganz seltene Erscheinung. Sie
rühren bisweilen von neoplastischen Glaskörpergefässen her und sind dann meistens
an ausgebreitete Degenerationen der Binnenorgane geknüpft. In anderen Fällen
stammen sie aus den Netzhaut- oder selbst aus den Chorioidalgefässen. Die Ursache
ist dann gewöhnlich ein Trauma, ein das Auge direct treffender Stoss, Schlag oder
eine vom Schädelgerüste fortgepflanzte Erschütterung. Doch kömmt es mitunter
auch spontan zu derartigen Gefässberstungen und in einzelnen Fällen hat man
sogar ein periodisches Wiederkehren derselben beobachtet. Es unterliegt wohl
keinem Zweifel, dass Gefiisserkrankungen hierbei mit im Spiele sind; hier und da
deuten gleichzeitige apoplektische Anfälle (Rothmund) oder das Vorausgehen häufigen
Nasenblutens (Graefe) iinmittelbar darauf hin.
Die Hämorrhagie kündigt sich durch eine gänzliche oder theilweise Verdun-
kelung des Gesichtsfeldes an, welche entweder 2^fötzlich hervortritt oder sich alhnälig
entwickelt, ausbreitet und auch wohl den Ort verändert, je nachdem nämlich das
Blut gleich von vorneherein in den Pupillarbezirk des Glaskörpers gelangt, oder
nur allmälig gegen denselben vordringt und unter fortgesetzter Resorption der
Vitrina weitere Räume erfüllt. Die mit dem Bluteintritt verbundene oder etwa
schon durch ein voraiisgegangenes Trauma veranlasste Zerklüftung oder Zertrüm-
merung des Corpus vitreum Ijegünstigt selir das Schwanken seiner Theile in grossen
Excursionen. So kömmt es, dass die von den Extravasaten herrührenden, bisweilen
roth durchschimmernden Schatten bei raschen Bewegungen des Auges oft in un-
regelmässige Schwingungen gerathen, sich im Gesichtsfelde gleichsam herumrollen.
Hat sich das Blut bereits gesenkt, so treten die Schatten wohl auch blos bei
solchen Bewegungen hervor, um bei eingetretener Ruhe wieder zu verschwinden,
oder sie machen sich nur bei gewissen Stellungen des Auges bemerklich. Durch
den Augenspiegel oder mit Hilfe seitlicher Beleuchtung sind die Extravasate un-
schwer objecfiv nachzuweisen.
Sie verschwinden im Laufe einiger Wochen öfters gänzlich, naclidem sie
sich in kleinere Haufen und Punkte aufgelöst haben. Häufiger jedoch hinterlassen
sie mehr weniger stark pigmentirte, verschieden geformte, bindegewebige Trübungen
der Vitrina, ja nicht selten führt die durch das Trauma oder durch die hämorrha-
gische Zerklüftung des Glaskörpers als solche veranlasste Entzündung zur sehnigen
Degeneration des Corpus vitreum mit Netzhautabhebung, oder sie wird suppurativ
und zerstört den Bixlbus unter den Erscheinungen der eitrigen Panophthalmitis.
Es ist ein solcher Ausgang, abgesehen von in- und extensiven Verletzungen des
Auges, besonders zu fürchten bei öfter wiederholten Ergüssen (Förster), so wie
dort, wo die Aderhautgefässe die Quelle abgeben und sonach die Netzhaut gleich
ursprünglich durch das Trauma, oder durch das hinter ihr sich ansammelnde Blut
durchrissen wurde. Doch ist ai^ch in solchen Fällen eine, wenigstens relative
Heilung nicht ausgeschlossen (Graefe, Becker).
Krankheitsbild. Die objective Wahrnehmbarkeit der durch Hyalitis
gesetzten Veränderungen setzt die Durchsichtigkeit der vorderen dioptri-
schen Medien voraus. Dies geht aber sehr häufig frühzeitig verloren. Gerade
in den Fällen , in welchen die Hyalitis mit massenhaften Producten auf-
tritt, pflegt die Einsicht in das Innere des Auges gehindert zu sein und
zwar bei der suppurativen Form durch eitrige Infiltration der Cornea,
Hypopyon, hintere Synechien und die Resultate einer Capsulitis ; bei der
160 Hyalitis; Krankheitsbild.
chronischen Form aber durch KapselaufLagerungen , Pupillarabschluss oder
durch staarige Trübung der Linse. Im Ganzen genommen ist das Bild der
Hyalitis nur selten ein reines, fast immer liegen nebenbei Symptome vor,
welche der begleitenden und wohl auch begründenden Neuroretinitis,
Chorioiditis, Kyklitis u. s. w. zugehören.
Abgesehen hiervon äussert sich die Hyalitis objectiv durch diffuse
oder figurirte Trübungen im Inneren des Glaskörpers, welche ihrer Aus-
dehnung und Dichtigkeit nach wesentlich von dem Charakter des Pro-
cesses abhängen.
1. Die eisten Anfänge und niedersten Grade der Hyalitis sind meistens
nur mit Zuhilfenahme des Augenspiegels nachzuweisen, zumal bei enger
Pupille, wo die Neubildung zu wenig Licht reliectirt, um die normale
Schwärze der Pupille zu beeinflussen. Durch den Augenspiegel zeigen
sich die entzündeten Theile des Glaskörpers als ein diffuser feiner und
lichter Nebel, welcher sich in grösserem oder geringerem Abstände hinter
der Pupille ausbreitet und die Gefässe der Netzhaut, den Sehnerveneintritt
u. s. w. nur in verschwommenen Umrissen erkennen lässt. Namentlich bei
gewissen Einfallswinkeln des vom Spiegel reflectirten Lichtes tritt der
Nebel deutlich in die Erscheinung und concentrirt sich wohl auch schon
hier und da zu dichteren Tüpfeln, verschwommenen Flecken, Streifen,
Blättern.
2. Ist der Process weiter gediehen, so wird die Trübung natürlich viel
auffälliger und man gewahrt in der Regel schon mit freiem Auge etwa
vorhandene figurirte Bindegewehsneuhildungen mit ihren Beimischungen von
Pigment und Cholestearin. Es scliimmern diese öfters nur ganz undeutlich
aus der diffusen Trübung heraus; in andern Fällen jedoch ist ihr Detail,
besonders mit Zuhilfenahme des Augenspiegels, ganz deutlich zu erkennen,
indem sie über die Grenzen der nebelig getrübten Partien des Glaskörpers
heraustreten. So findet man, vorzüglich an den peripheren Theilen des
Glaskörpers und an seiner Vorderzone , öfters gelbliche oder weissliche
zarte Tüpfel, unregelmässige wolkig begrenzte Flocken, mannigfaltig unter
einander verschlungene Fäden und Netzwerke, eingebettet in eine zarte
florige Trübung. In anderen Fällen zeigen sich neben oder ohne solchen
Gebilden Balken oder Blätter von ziemhch gesättigter weissgelblicher , im
Augenspiegelbilde oft fast schwarzer Farbe, welche den Glaskörper nach
verschiedenen Eichtungen hin durchsetzen und, indem sie sich theilweise
durchkreuzen, öfters Fachwerke construiren. In einzelnen Fällen kommen
sogar Gefässe in Sicht, welche sich nach den verschiedensten Richtungen
verzweigen (Coccius, 0. Becker, Sämisch). Alle diese entoptischen Körper
pflegen sehr beweglich zu sein, bei raschen Wendungen des Auges lebhaft
zu schwingen oder förmlich durcheinander zu wirbeln und dies, ohne dass
der Glaskörper verflüssigt wäre.
Man sieht diese Trübungen am besten, wenn man bei der Untersuchung im
umgekehrten Bilde die Loupe so weit vom Auge wegrückt, dass die Cornea und
Iris deutlich hervortreten (Schioeigger) , oder wenn man den binocularen Spiegel
benützt (Knapp).
Ist ein fremder Körper, ein Linsenfragment etc. in den Glaskörper
gedrungen, so sieht man öfters den ersteren und den ganzen Wundkanal
von einer dichten Hülle kapselähnlich umgeben, aus welcher zahlreiche,
wolkig oder streifig begrenzte Balken und Blätter ausgehen und welche
Aiisgäiigo; Synchy.sis; Alihuhuupf lins (ilaslcöipois. 161
das Corpus peregrinum mit seiner eigenthümlichen Farbe nur undeutlich
oder gar nicht durchscheinen lässt.
3. Wo die vorderen dioptrischen Medien ihre Durchsichtigkeit erhal-
ten haben und der Wahrnehmung objectiven Lichtes kein Hinderniss in
dem Wege steht, machen sich die Herde der Hyalitis auch subjectiv bemerkbar
durch einen mehr oder weniger dichten Nebel, welcher das Gesichtsfeld
deckt, beziehungsweise auch durch dunkle Schatten, welche in Grösse, Form
und Lage den figurirten Neubildungen entsprechen und sich von den
eigentlichen Scotomen (Siehe diese) nur durch den Mangel der charakteristi-
schen Detailzeichnungen unterscheiden.
Ausgänge. Die Producte der Hyalitis sind im Allgemeinen um so
weniger veränderlich, je höher sie sich bereits oi'ganisirt haben.
1. Diffuse Trübungen des Glaskörpers sind, besonders anfänglich, sehr
wandelbar. Sie entwickeln sich oft überaus rasch und breiten sich in kür-
zester Zeit über den ganzen Glaskörper aus ; verschwinden aber eben so
schnell, um abermals hervorzutreten u. s. f. Geht die Entzündung der als
Mutterorgane fungirenden vascularisirten Hüllen des Glaskörpers zurück und
werden die Nutritionsverhältnisse im Innern des Augapfels dauernd günstig
gestaltet, so gelangt auch das Corpus vitreum häufig wieder zur vollen Nor-
malität. Wiederholen sich aber solche Entzündungen öfters, oder werden die
Muttei'organe durch den Process wesentlich alterirt, so trägt auch der Glas-
körper in der Regel beträchtliche Schäden davon.
a) In manchen Fällen löst sich der Glaskörper in eine serumäknliche
Flüssigkeit auf, welche eine wechselnde Menge von regressiv metamorpho-
sirten Resten der entzündlichen Neoplasien: Zellenhaufen, Gerinnsel, Pig-
mentklumpen, einzelne und zusammengebackene Cholestearinkrystalle, Fett-
kugeln u. s. w. enthält. Es verräth sich dieser Zustand, die Synchysis,
gewöhnlich durch excursive Schwankungen der Iris und Linse, so wie durch
überaus auffällige ophthalmoscopische Erscheinungen. Es senken sich nämlich
bei völliger Ruhe des Augapfels die erwähnten undurchsichtigen Körper gänz-
lich auf die tiefste Stelle des Augengrundes nieder und verschwinden sohin
aus dem Gesichtsfelde des beobachtenden und beobachteten Auges. Bei einer
raschen Bewegung aber wirbeln sie empor, schiessen nach den verschieden-
sten Richtungen hin und her und fallen dann allmälig wieder zu Boden.
Im Falle als das Cholestearin in der Flüssigkeit sehr reichlich vertreten ist,
geben die stark glitzernden Körper ein überaus schönes Bild, welches in besonders
entwickelter Form mit dem Sprühen von Funken oder mit Sternschnuppen verglichen
werden kann. Das Phänomen kömmt bei sonst fuuctionstüchtiger Netzhaut auch dem
Kranken in Gestalt von plötzlich aufleuchtenden Sternen oder eines Funkenregens
zur Wahrnehmung. Oefters finden sich nebenbei Cholestearinnester in der Vorder-
kammer. Man nennt den Zustand Synchysis scintillans (Desmarres).
Die Synchyse gefährdet das Auge sehr, indem sie meistens zur Cataracta
führt und oftmals Veranlassung von theilweisen oder gänzlichen Losreissuugen des
Krystallkörpers wird. Sie macht Staaroperationen sehr gefährlich, besonders die
Extraction und Depression.
h) In anderen Fällen verdichtet sich der Glaskörper und schrumpft. Indem
er sich dann von der hinteren Augenwand zurückzieht, wird er, wo er nicht
zu fest mit den unterlagernden Häuten verwachsen ist, von der Limitans re-
tinae abgetrennt und die so entstandene Lücke durch ein fibriuhältiges, mit
jungen Zellen nur selten reichlicher gemischtes seröses Product ausgefüllt.
Es kommen solche Abhebungen des Glasköipers am häufigsten vor und
erreichen die höchsten Grade, wo grössere Mengen eines zur Höhergestaltung
stell wag, Augenlieilkuudi'. 11
162
Hyalitis ; Ausgänge"; Schrumpfung.
hinneigenden entzündlichen Exsudates in das Corpus vitreum abgelagert
worden ist, im Gefolge von wie immer begründeter primärer oder secun-
därer Iridochorioiditis, namentlich wo fremde, Körper oder deprimirte Cataracten
im hinteren Augenraume sich zur Incapsulation anschicken (Iwanoff).
Bei fortgesetzter Schrumpfung; zieht sich der Glaskörper in solchen Fällen
immer mehr von der Limitans zurück, der serumerfüllte Raum wird grösser und
grösser, bis endlich das verdichtete, faserstreifig gewordene Gefüge des Corpus
vitreum nach Hinten hin nur mehr mit der Papille, mit der durch ein Trauma gesetz-
ten Narbe der Netz- und Aderhaut, oder mit der fibrösen Hülle eines eingedrun-
genen Fremdkörpers zusammenhängt. Bisweilen wird unter dem mächtigen Zuge
der schrumpfenden Neubildung sogar die Verbindung mit dem Sehnerveneintritte
gelöst. Der degenerirte Glaskörper präsentirt sich dann unter der Form eines sulzi-
gen, von einem sehnigen Balkenwerk durchstrickten Klumpens oder Kuchens, wel-
cher der Zonula und Linse von Hinten her auflagert.
Ist jedoch der Glaskörper in Folge der voi'ausgegangenen Entzün-
dungen streckenweise oder seinem ganzen Umfange nach inniger mit der Netz-
haut verwachsen, so muss bei zunehmender Volumsverminderung des ersteren
schliesslich auch die letztere dem Zuge folgen, es resultirt eine comhinirte Ab-
hebung des Glaskörpers und der Netzhaut oder eine Abhebung der gesammten
Netzhaut allein, welche immer weiter greift, so dass die Retina schliesslich
nur mehr an der Ora serrata und am Sehnerveneintritte mit den Wan-
dungen des hinteren Augenraumes zusammenhängt.
^^' ^^- Man findet dann von der entzündlich
verdickten Retina mehr weniger eng umhüllt
den Glaskörper in eine dichte, oft wahrhaft
sehnen'dhnliche Masse verwandelt (Fig. 26 a),
welche neben Nestern mannigfaltig umstalte-
ter Zellen und Kerne häufig auch viel Pig-
ment führt und durch flockiges Bindegewebe
mit dem Ciliarkörper verwachsen ist. Es
breitet sich diese sehnige Masse schalenartig
aus und bildet so gleichsam eine Unterlage,
auf welcher die Strahlenfortsätze und die
Linse eingesenkt liegen. Aus dem Centrum
der Schale tritt ein stielförmiger solider, oder
aus verzweigten Balken bestehender Fortsatz h
nach hinten, um mit dem Centrum der Papille
des Sehnerven zu verwachsen. Schale und
Stiel werden immer von der abgehobenen
und in Gestalt eines Trichters zusammenge-
falteten Netzhaut c umhüllt. Die Schale ver-
knöchert bisweilen und tritt an ihren Rändern
in unmittelbaren Zusammenhang mit einer
knöchernen Kapsel d, deren Aussenwand im-
mittelbar an der Chorioidea anliegt und deren
Höhle von einem Fluidum gefüllt ist, das
die becherförmig zusammengefaltete Netzhaut
umspült, und an proteinigen Stoffen und deren
Derivaten sehr reich zu sein pflegt.
Nicht selten geljeu Vereiterungen der
Cornea und Verlust der Linse die Veranlassung
zu einem derartigen Vorgange im Inneren
des Auges. Dann findet man (Fig. 27) den von
der zusammengefalteten Netzhaut umhüllten,
bindegewebig entarteten Glaskörper a nach
vornehin in unmittelbarer Verbindung mit einer
sehnigen Haut h, welche die Reste der Iris c
und die Ciliarfortsätze überkleidet und in ihrem Centrum innig zusammenhängt
mit der die Cornea ersetzenden flachen Narbe d.
a..-
l..
Primäre Glaskörperabhebungen. 163
In einem Falle war durch den Zug, welchen der schrumpfende Glaskörper
ai;t' die Papille ausübte, diese zapfen förmig nach vorne in den hintern Augenraum
hineingezerrt und die inneren Schichten der trichterartig abgelösten Netzhaut rings
um den Sehnerveneintritt von den äusseren abgelöst worden (Iwanoff).
Es sind derlei Glaskörperabhebungen, welche in der Schrumpfung
der sehnig degenerirenden Vitrlna ihre Veranlassung finden, als secundäre
wohl zu untersclieiden von anderen, so zu sagen primären, bei welchen
das Corpus vitreum durch ein von den unterlagernden Häuten geliefertes
entzündliches Product oder seröses Transsudat von der Liniitans retinae
einfach weggedrängt und abgelöst worden ist. Es sind solche Abhebungen,
wenigstens anfänglich, in der Regel auf sehr enge Grenzen beschränkt und
das Gefüge des Corpus vitreum dabei nur wenig verändert, höchstens etwas
reicher an jugendlichen Zellen.
Man findet diesen Zustand, bisweilen neben kleinen blasigen Empor-
treibungen der retinalen Grenzhaut, im Gefolge von Panophthalmitis suppu-
rativa, nephritischer Netzhautentziindung (Knapp, Berlin, Iwanoff). Das ab-
lösende Exsudat pflegt dann grössere Mengen geformter Elemente zu
enthalten. In der Regel jedoch sind derlei primäre Abhebungen bedingt
durch vermehrte Filtration wegen normwidrig vermindertem intraoculären
Drucke, sei es dass die Bulbuskapsel ausgedehnt oder ihr Inhalt vermindert
und so ein Raum geschaffen worden ist, welcher durch Flüssigkeit ausge-
füllt werden muss, um das haemostatische Gleichgewicht im Binnenraume
wieder herzustellen, oder doch wenigstens anzustreben. In der That lassen
sich derleiprjmäre Glaskörperabhebungen gewöhnlich nachweisen im Bereiche
grösserer hinterer Scleralstaphylome und bei allen Arten von Sclerochorioidal-
staphylomen. Sie entwickeln sich weiters ausserordentlich gerne in Folge grosser
und plötzlicher Verminderung der Binnenmedien, namentlich nach Glas-
körperverlusten, wie selbe öfters bei Staarextractionen (Gouvea) und bei
geschwürigen oder traumatischen Durchbrüchen der Hornhaut vorkommen
(Iwanoff) .
Es mögen solche Glaskörperabhebungen in Fällen, wo die Veranlassung
zu entzündlichen Processen fehlt, besonders bei Staphyloma posticum, lange
Zeit bestehen, ohne sich in irgend einer Weise geltend zu machen. \ Wo
aber entzündliche Processe hinzutreten, sie mögen nun durch die Grundursache
des ganzen Leidens mitbedingt sein, oder ihre Quelle in der späteren Ein-
wirkung von Schädlichkeiten finden: da kömmt es nicht selten secundär
zu Verwachsungen des Glaskörpers mit seiner Umgebung und zur bindege-
webigen Degeneration, welche dann weiter durch die Schrumpfung nicht
nur die Glaskörperabhebung bedeutend vergrössern, sondern sich mit einer
Amotio retinae combiniren und so einen Zustand herbeiführen kann, welcher
von den oben geschilderten secundären Abhebungen nicht mehr zu unter-
scheiden ist (Iwanoff).
2. Nicht jede bindegewebige Neubildung im Glaskörper jedoch führt
nothwendig zur Synchyse oder zur Abhebung. Vielmehr bestehen häufig
die mannigfaltigsten fädigen, flockigen, balkenähnlichenund membranösen Trü-
bungen des Corpus vitreum lange Jahre, ohne dass das letztere weitere
erhebliche Veränderungen einginge.
Massigere Bindegewebsneubildungen trifi"t man relativ am häufigsten
in Gestalt figurirter oder unregelmässig begrenzter, sehnenartig glänzender
Flecken der Mitte der Hinterkapsel flach anlagernd. Man nennt sie Polarstaare
11*
\Q4: Hyalitis; Ausgänge: Polarstaar; Cataracta hyaloidea.
schlechtweg oder hintere Polar Cataracten. Falls sie aber die ganze hintere
Krystallfläche schalenartig decken, heissen sie Glaskörper staar, Cataracta
hyaloidea. Es kommen Fälle vor, wo die vorderste Zone des Glaskörpers
in einem bindegewebigen Neugebilde völlig aufgegangen ist und die Linse
in der Concavität einer sehnenähnlichen Scheidewand zu liegen scheint,
welche den liinteren Augenraum von dem vorderen völlig abschliesst.
Der Polarstaar scheint vielfältig mit dem hinteren Kapselstaare zusammen-
geworfen zu werden , wozu allerdings beiträgt , dass beide zuweilen comhinirt vor-
kommen. Doch sind sie wesentlich verschiedene Zustände, indem der läutere Kapsel-
staar seinen Sitz innerhalb der Kapselhöhle selbst hat und aus Wucherungen oder
dem Zerfalle von Elementen hervorgeht, welche ganz eigentlich der Linse zuge-
hören. Demgemäss zeigt denn auch der hintere Kapselstaar bei schiefer Beleuchtung
stets eine rauhe, oft körnige Oberfläche oder ragt gar in den Krystall hinein,
während dem Polarstaar eine glänzende glatte Vorderfläche zukömmt, welche sich
genau dem hinteren Umfange der Linse anschmiegt.
Der Polarstaar ist übrigens gewiss nicht immer entzündlichen Ursprunges,
auf Hyalitis beruhend. Obgleich er sich nämlich in Gesellschaft von anderweitigen
Veränderungen des Bulbus , welche auf ausgebreitete Wucherungsprocesse deuten,
vorzugsiveise findet, kömmt er doch auch oft genug in Augen vor, in welchen weder
der Zustand der einzelnen Organe, noch die Anamnese Anhaltspunkte für eine Be-
gründung durch Entzündung bieten. Er dürfte dann angehören sein. Es ist dies
um so wahrscheinlicher, als er gerne neben verschiedenen Bildlingsmängeln des
Bulbus , neben sehr stark ausgesprochenem Lang- oder Rundbau, neben typischer
Pigmententartung der Netzhaut, neben Coloboma oculi, Mikrophthalmus u. s. w.
auftritt und meistens hinocidar ist. Ausserdem spricht für eine solche Annahme,
dass er öfter mit Nystagmus einhergeht, einem Uebel, welches fast ausschliesslich
aus Sehstörungen in den frühesten Jugendperioden sich entwickelt. Es liegt die
Vermuthung nahe, dass sein nächster Grund in einer unvollständigen Rückbildung
der Arteria hyaloidea und der an der Hinterwand des Krystalles sich verzweigenden
Aeste derselben zu suchen sei (Amnion). Es macht sich in seinem Gefüge nämlich
mitunter eine starke Pigmentirung geltend; ausnahmsweise sind darin noch blut-
gefüllte Gefässe getroflen worden (Hasner), ja in einem Falle bei einer Ziege konnte
man die Arteria hyaloidea von der Papille bis zum Polarstaare verfolgen (H. Müller).
Die Polarcataracta führt in späteren Lebenspei'ioden gerne zum Totalstaare.
Ihre operative Beseitigung ist sehr schwierig und, so lange die Linse ihre Durch-
sichtigkeit bewahrt, überaus gefährlich.
3. Bei eitriger Infiltration des Glaskörpers kömmt es meistens zu förm-
licher Schmelzung, es bildet sich im Inneren des Bulbus eine Quantität Eiter,
welche in der Eegel durchbricht, indem die Cornea oder Sclera ebenfalls
entzündet wird und schmilzt, oder gar brandig abstirbt. Der Bulbus geht
dann durch Phthisis zu Grunde. Manchmal jedoch atrophirt er ohne vor-
läufigen Durchbruch und schrumpft.
Die Behandlung fällt im Allgemeinen mit jener des eigentlichen
Grundleidens, der A'etzhaut- und Aderhautentzündung, zusammen. Es sei
daher nur erwähnt, dass bei frischen entzündlichen ditfusen Glaskörpertrü-
bungen, wenn sie nicht etwa Nebenerscheinungen des Glaucoms sind, wel-
ches seine besonderen Indicationen stellt, die Schmierkur sich als ein ganz
besonders wirksames Mittel empfiehlt.
Organisirte membranöse oder balkenähnliche Bindegeivebsneubildungen, wie
selbe nach intensiveren Glaskörperentzündungen, Blutaustritt u. s. w. öfter
vorkommen und sowohl durch Beeinträchtigung des Sehvermögens als auch
durch ihre Rückwirkung auf die Netzhaut in hohem Grade verderblich
werden können, legen den Versuch nahe, dieselben mittelst zarter Sichel-
nadeln durch Scleronyxis zu zerschneiden oder zu zerreissen, und so eine
Zurückziehung der einzelnen Segmente in centrifugaler Richtung anzu-
Fohiiiifllniif,' ; Quellen. 165
bahnen (Graefe). Die bisherigen Erfahrungen scheinen, was Durchführbar-
keit und Resultate belangt, zu einem solchen Vorgange in geeigneten Fällen
aufzumuntoru.
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Wochenschrift 1851. Nro. 34, 35. — Rydel, Tetzer, 0. Becker, Wien. med. Jahrb.
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Lehrb. der Ophthscop. S. 151. — Gouvea, A. f. O. XV. 1. S. 245.
166 Sehnerv; Anatomie.
DRITTER ABSCHNITT.
Entzündung des Sehnerven, Neuritis optica.
Anatomie. Der Sehuerve entspringt mit einer vorderen Wurzel aus
dem Thalamus opticus, mit einer hinteren aus der Vierhügelregion und erhält
ausserdem noch Fasern von den knieförmigeu Körpern, von der Substantia
perforata antica, dem Tuber cinereum und der Lamina terminalis. Er steht
durch einige Faserbündel in directer Verbindung mit den Hintersträngen des
Rückenmarkes und der grauen Substanz der Hirnrinde. Sein Stamm tritt als
Tractus opticus oder Stria optica an der hinteren unteren Fläche des Seh-
hügels aus dem Gehirne hervor und streicht in Gestalt eines flachen Ban-
des, die Hirnschenkel kreuzend , ohne Neurilem , blos von der weichen
Hirnhaut umsponnen, an der Seite des Tuber cinereum nach vorne, um
sich vor dem Trichter theilweise mit dem Tractus der anderen Seite im
Chiasma zu vereinigen.
Dieses im Vereine mit den beiden Vordertheilen der Striae umfasst
den Boden der dritten Gehirnkammer nach vorne und aussen. Von seinen
Seitentheilen gehen die beiden eigentlichen Sehnerven ab, welche, mit Neuri-
lem bekleidet, über die beiden Segmente der Arteria corporis callosi hinü-
ber ziemlich divergent zu den beiden Sehlöchern laufen. An deren Vorder-
seite werden die Sehnerven von einer fibrösen Scheide, deren äusserer Theil
eine Fortsetzung der Periorbita ist, überzogen und begeben sich in etwas
geschlängeltem Laufe zum Augapfel, um sich nach innen und unten von
dem Centrum der hinteren Scleralhälfte zu inseriren.
Im Chiasma findet eine theilweise Kreuzung der Nervenfasern statt.
Es geht nämlich von der inneren Seite eines jeden Tractus ein Bündel
von Nervenfasern zum Sehnerven der anderen Seite und mit diesem zur
inneren Hälfte der Netzhaut. Der grösste Theil der Fasern jedes einzelnen
Tractus bleibt jedoch auf derselben Seite imd streicht durch den äusseren
Theil des Chiasma zum Opticus, um sich in der äusseren Hälfte der Ketina
auszubreiten.
Ausserdem finden sich im Chiasma noch Nervenfasern von ganz differenter
Verlaufsweise. Eine Anzahl derselben entspringt von der Lamina terminalis cinerea,
schlingt sich über den vorderen Rand des Chiasma an dessen untere Fläche und
kehrt, an dem hinteren Rande vorbeiziehend, nach oben ziirück, um sich im grauen
Höcker und Trichter zu verlieren (Comviissura ansata). Eine andere Portion von
Nervenfasern geht von dem innersten Rande des Tractus zum hinteren Rande des
Chiasma und läuft an der inneren Seite des anderen Tractus vi^ieder zurück. In
gleicher Weise geht auch ein Bündel von Nervenfasern von dem einen Sehnerven
an der vorderen Seite des Chiasma zum anderen Opticus (Commissura arcuata posterior
et anterior, (Hannover, Bowman).
Die fibröse Scheide des orbitalen Sehnervenstückes lässt sich in zwei
feste bindegewebige, mit elastischen Elementen untermischte Schichten tren-
nen, eine äussere dickere a (Fig. 28. Nach einem Präparat von Czerny),
welche reiche Nervenplexus enthält (Sappey), und eine innere dünnere b.
Zwischen beiden findet sich eine zarte Lage c lockeren Bindegewebes mit
einzelnen eingelagerten Fettzellen, welche Lage sich nach vorne bis in
Bindegewebsring ; Lamina cribrosa.
167
Fiff. 28.
die Dicke der Lederhaut d fortsetzt. Das äussere Stratum der fibrösen Scheide
gellt nämlich ununtci'brochcn und unter stumpfem Winkel in die hinteren
und mittleren Lagen der hinteren Scleralhälfte über. Die innere Schichte
der Scheide aber, welche das Neurilem vorstellt, dringt nach vorne bis zur
intraocidaren Fläche der Sclerotica und biegt daselbst unter mehr spitzem
Winkel in die vorderen Lagen der Lederhaut ein. Es wird so am
Foramen optictim sclerae ein etwas vorspringender Hand, der Bindegewehs-
oder Scheidenring (Ed. Jaeger), gebildet, an welchem sich der Rand der
hinteren Oeffnung, der Aderhaut e durch faseriges Gewebe anheftet. Nach
hinten weitet sich die Scleralötfnung etwas aus. Sie wird von dem Vorder-
theile des Sehnerven völlig ausgefüllt.
Von der inneren Fläche
des Neurilcms geht im ganzen
Laufe des Sehnerven eine grosse
Anzahl von festen sehnigen
Fortsätzen ab , welche die
einzelnen Bündel des Markes
umhüllen und in welchen sich
die Vasa nutrientia und die
Nerven des Markes verzweigen.
Nach vorne hin , nahe der
Sclerotica, sind diese Fortsätze
oder „inneren Nervenscheiden"
reichlicher und werden durch
ein dichtes Maschenwerk von
elastischen Elementen verstärkt,
welche von der dicken sehni-
gen Scheide der Arteria centralis retinae h ausgehen, sich mit analogen,
von der Sclera kommenden Fasern verbinden und so eine siebförmig
durchlöcherte Haut, die sogenannte Lamina cribrosa f darstellen. Diese
schliesst das Foramen opticum sclerae mit etwas nach hinten gerichteter
Convexität, gewährt den Sehnervenfaserbündeln und den sie begleitenden
Scheiden aber den Durchtritt. Sie enthält oft Gruppen von Pigmentzellen.
Jenseits der Lamina cribrosa treten die Bündel der Sehnervenfasern
mehr auseinander (Cauda equina nervi optici g), bleiben aber von binde-
gewebigen Scheiden, welche hier durchsichtig werden, bis in die eigent-
liche Netzhaut i, deren Stabscliichte durch k angedeutet ist, umhüllt. In
den Lücken derselben findet man eine grössere Anzahl von freien Kernen
oder kleinen Zellen, welche ihrem ganzen Wesen nach einige Aehnlichkeit
mit den im Glaskörper vorfindigen Zellenbildungen darbieten und auch
in einem näherem Bezug zu dem Glaskörper selbst stehen dürften. An
der betreffenden Stelle fehlt nämlich die Limitans, die Glaskörper-
substanz lagert unmittellbai" auf dem von weichem Bindegewebe durch-
zogenen Zellenneste. Die Limitans entwickelt sich erst in einiger
Entfernung vom Centrum, durch das ZusammenÜiessen der bindege-
webigen Fasern (Klebs) . Die Nervenröhren werden daselbst marklos,
gleich den Scheiden durchsichtig und hell, gelbUch oder graulich, und
nehmen ganz den Charakter der feinsten Röhren in den Centralorganen
an. Der Kopf des Sehnerven wird sonach in einem gewissen Grade durch-
168
Sehnerv : Anatomie : Ang-ebonie Excavationen.
scheinend, so dass im ophthalmoskopischen Bilde die Lamina cribrosa zur
Wahrnehmung kömmt. ,
Es ist diese Grenze zwischen pelhicidem und trübem Gewebe jedoch nicht
immer eine ganz scharfe und an die Siehhaui gebundene. Mitunter werden die opti-
schen Nervenröhren bis in die Netzhaut hinein von ihren Markscheiden begleitet,
namentlich die jje?'yj/ier im Nervenstamme streichenden. Auch kömmt es vor, dass
die inneren Nervenscheiden theilweise , besonders an der peripheren Zone des
Nervenkopfes ihre Trübheit bewahren. Umgekehrt findet man Fälle, wo die cen-
tralen Theile des Nervenkopfes absolut stärker durchsichtig sind, als in der Norm,
oder wo die Röhren schon vor ihrem Durchtritte durch die Lamina cribrosa ihre
Markscheide ver-loren haben. Im Äiigens^iiegelhilde präsentiren sich diese anatomischen
Varianten in der Gestalt von Aiishöhhingen des Nervenhopfes. Sie werden darum
auch als „scheinbare ayigeborene Excavationen"' beschrieben (Ed. Jaeger).
Die Sehnervenfasern sammt ihren Hüllen erheben sich, ehe sie in
die Netzhaut eintreten, merklich über das Mveau der inneren Scleralfläche
und bilden so einen kleinen Vorsprung, die Papilla nervi optici. Diese er-
scheint am Cadaver öfters schüsseiförmig mit etwas aufgeworfenen Rändern,
häufiger ist sie genabelt, oder zeigt gar eine trichter- oder napfförmige Ver-
tiefung, eine „loirkliche angeborene Excavation^^ (Ed. Jaeger, H. Müller). Die-
selbe liegt immer näher dem Nasenrande.
Es sind solche ivirkliche angeborne Excavationen meistens nicht tief, sie reichen
nur selten über die Choroidalebene nach hinten, lassen dafür aber an ihrem Rande
die Umbiegung der Gefässe deutlich erkennen, wodurch sie sich wesentlich von
den scheinbaren Excavationen unterscheiden. Doch kommen beide Formen der Aus-
höhlung wohl auch combinirt vor, indem eine wirkliche angeborene umfangsreiche
Excavation sich theilweise durch pellucides Gewebe a ausgefüllt erweiset. (Fig. 29
nach Ed. Jaeger).
Fig.;;29.
Die centrale Schlagader ent-
springt bald direct von der Arteria
ophthalmica, bald ist sie ein Zweig
eines Ciliar- oder Muskelastes. Sie
bohrt sich einige Linien hinter
der Sclerotica schief durch die
Scheiden und das Mark des Seh-
nerven und läuft dann, eingehüllt
von einer sehr mächtigen Adven-
titia, von welcher allenthalben
zahlreiche Fasern ins innere Neu-
rilem ausstrahlen , gewöhnlich
ohne abzuzweigen, nach vorne
bis in die Papille. Innerhalb der Masse der letzteren theilt sie sich in
zwei Hauptäste, deren einer nach oben, der andere nach unten zieht und
meistens noch im Bereiche der Papille oder nahe dem Rande derselben
eine weitere Zweitheilung eingeht, so dass vier Hauptäste in divergenter
Richtung in die Netzhaut eintreten.
Die Netzhautvenen sammeln sich in Uebereinstimmung mit den Arterien
gewöhnlich in zwei obere und zwei untere Hauptäste, welche in convergiren-
der Richtung der Mitte des Sehnerveneintrittes zustreben. Gewöhnlich
vereinigen sich diese vier Hauptäste nahe der Papille oder auf dieser
in zioei Hauptstämme, welche dann an einem Punkte neben der Arterie zu-
sammenfliessen oder getrennt bis zur Siebhaut laufen, um sich dort zu ver-
binden.
ßefasse: Augenspie^elbild. 160
Bisweilen geschiciit es auch, dass alle vier Hauptvencn in grösserer oder
geringerer Entfernung von dem Arterienstamme in die Substanz der Papille ein-
treten i^nd sich erst weiter hinten im Kopfe des Sehnerven verhindert,, oder möglicher
Weise wohl auch ohne get/enseitigen Zusammenhang aus der Scheide des Sehnerven
heraustreten und sich in die orbitalen Stämmchen ergiessen.
In keinem Falle ist die Vena centralis mit der Arterie in Einer Scheide
eingesclilossen und in der Regel verlässt die erstere schon nahe an der Hinter-
wand der Sclorotica den Nervus opticus. Sie geht meistens unmittelbar
in den Sinus cavernosus über, steht dann jedoch immer durch mehrere
Aeste mit den beiden Venis opthalmicis in Verbindung, communicirt also
auch mit der Vena facialis anterior (Sesemann).
Immer findet sich neben den Hauptästen der Centralgefässe eine
grosse Anzahl Icleiner arterieller und venöser Zweige im Bereiche der Papille.
Es anastomosiren dieselben vielfach mit den Gefässen der Netz- und Ader-
haut und stellen so eine vasculare Verbindung zwischen dem Ciliar- und
Netzhautgefässsysteme her (Leber).
Sie liegen bald höher, bald tiefer in der Masse der Papille. Ihre Stäramchen
passiren die Lamina cribrosa theilweise entfernt, theilweise in nächster Nähe von
den Hauptgefässen; theilweise endlich gehen sie erst im Bereiche der Papille aus
den Centralgefässen und dem hinteren Scleralkranze (Leber) hervor. Mit Ausnahme
der letztgenannten Aestchen sind sie zumeist Ausläufer der a^'teriellen und venösen
Nährgefässe des Sehnerven. Die meiste^i der Nährgefässe entspringen aus den Ciliar-
und Muskelarterien, bohren sich mit einzelnen Nervenästchen in die Scheiden ein,
lind dringen endlich mit den faserigen Fortsätzen der inneren Scheide ins Mark
des Opticus.
Im Stamme und besonders in der inneren Scheide des Opticus sollen die
Lijmphgefässe sehr reichlich sein und mehr unabhängig von den Blutgefässen ver-
laufen. Man hält sie für die Abzugskanäle der retinalen Lymphwege. (His). In der
Lamina cribrosa sollen die Lymphgefässe ein dichtes Netz bilden, welches mit dem
Zwischenscheidenraume in Verbindung steht (H. Schmidt). Dieser letztere aber
wird für einen mit Endothel überkleideten Lymphraum erklärt, welcher mit dem
Arachnoidalraume der Schädelhöhle zusammenhängt (Schwalbe).
Ophthalmoskopisches "Bild. 1. Der Sehner ceneintritt stellt sich bei
der Untersuchung mit dem Augenspiegel als eine helle, von der Umgebung-
stark abstechende, rundliche Scheibe dar, auf welcher man die centreden
Stücke der Netzhautgefässstämme nach oben und unten streichen sieht.
Die Scheibe ist selten völlig kreisrund, öfters leicht oval mit senkrecht ge-
stellter Längsaxe, bisweilen an einer oder der anderen Seite etwas abgeflacht oder
ausgebuchtet. Der Winkel, in welchem sie jeweilig zur Visirlinie steht, hat auf die
Form, in welcher sie sich dem untersuchenden Auge präsentirt, einen sehr bedeuten-
den Einfluss und kann leicht zu Täuschungen Veranlassung geben.
Die Scheibe ist meistens scharf contourirt, da ihre Grenzmarke, der
Rand der hinteren Aderhautöffnung, nur durch die pellucide Sehnervenaus-
breitung gedeckt wird. Dieser Chorioidalrand ist öfters stellenweise oder
seiner ganzen Ausdehnung nach von dunklem Pigmente eingesäumt; daher
man denn auch, namentlich bei dunkelhaarigen Individuen, an der Grenze
des Sehnerveneintrittes öfters einen schwarz- oder braunkömigen Streifen fin-
det, welcher einen Bogeutheil, oder auch die gesammte Peripherie der
Scheibe umgibt. Ausserdem findet man die Sehnervenscheibe ziemlich oft
von einem hellen weisgelblichen Ring, dem Bindegewebs- oder Scheidenring
(Fig. H, N), umgeben, welcher bei verschiedenen Menschen eine verschie-
dene Breite hat, übrigens auch in demselben Falle an verschiedenen Stellen
in der Breite wechselt und oft sogar auf eine schmale mondsichelförmige
Figur reducirt ist, welche den äusseren Scheibenumfang einfasst.
170 Sehnerv; Augenspiegelbild ; Gefässvertheilung.
Es hebt sich dieser Ring oder die Sichel, besonders im aufrechten Bilde,
von der Umgebung deutlich ab, so dass man eine ChorioidaJgrenze und eine Scleral-
oder innere Grenze unterscheiden kann. Letztere ist unter normalen Verhältnissen
gemeiniglich nicht sehr scharf, tritt aber bei materiellen Veränderungen des Nerven-
kopfes um so schärfer hervor. Die Chorioidalgrenze hingegen ist gewöhnlich sehr
stark markirt, und oft mit Pigment besetzt.
Die Scheibe ist im Normalzustande beiderseits immer gleich gross. Die Grösse
des wahrgenommenen Bildes aber variirt sehr nach den Einstellungen des unter-
suchenden und untersuchten Auges, und mittelbar nach der Brechung der
Strahlen in dem dioptrischen Apparate des verwendeten Augenspiegels.
Die Farbe enthält im Normalzustande stets einen ausgeprägten röth-
lichen Ton, welcher von den zahlreichen, in der Papille verzweigten Ge-
fässen herrührt. Die Grundfarbe ist gewöhnlich gelblichweiss, oft jedoch
auch graugelblich, hell bräunlichgrau oder schwach bläulich. Bei dunkel-
haarigen Individuen mit stark pigmentirter Chorioidea erscheint die Farbe
meistens wegen der Contrastwirkung viel heller, als bei blonden.
Uebrigens hat auf die Farbe der Papille auch die Farbe des Lampenlichtes,
des Spiegelglases, die mehr weniger schiefe Beleuchtung u. s. w. einen sehr merk-
lichen Einfluss. Namentlich tritt die röthliche Farbe an der nasalen Hälfte der
Papille und an den peripheren Theilen, zumal zwischen den grossen Gefässen, hervor.
Sie ist hier bisweilen so intensiv, dass bei Abgang des Bindegewebsriuges der Seh-
nerv nur wenig von dem umgebenden Augengrunde absticht.
Sehr oft findet man den Sehnerveneintritt auch ungleichm'dssig gefdrht, von
mehr minder deutlichen, grauen oder graubläulichen, am gewöhnlichsten aber von
schmutzig bräunlichen, ivolkenähnlichen Zeichnungen bedeckt, zwischen welchen ein
mit dem Bindegewebsringe in Verbindung stehendes Netzwerk hellerer Str-eifen lagert.
Diese helleren Streifen sind von der Lamina cribrosa und den inneren Nervenscheiden,
die wolkigen grauen Zeichnungen von den Nervenrohren (Ed. Jaeger) und zum Theil
vielleicht von Anhäufungen clioloider Massen (Liehreich) bedingt. In sehr seltenen
Fällen erscheint in dem Gefüge der Papille massenhaft Pigment. Es ist dasselbe
meistens pathologisch und gewöhnlich auf Blutextravasate zurückzuführen. Doch
kömmt es auch als Product ursprünglicher Bildung vor und ist an starke Pigmen-
tirung der Uvea gebunden (Liebreich, Knapp, Hirschherg, Pagenstecher).
2. Die Gefässstämme treten strahlenförmig aus dem Centrum der
Scheibe oder etwas nach innen davon heraus, gehen in einem nach vorne
convexen Bogen gegen die Peripherie des Sehnerveneintrittes und senken
sich dann in das ISTetzhautgeflige ein. Man kann sie vermöge der grossen
Pellucidität der Nervenröhren meistens in dem ganzen Bereiche der Papille
vollkommen scharf und deutlich wahrnehmen. Bei etwas stärkerer Trübung
der Scheibe aber erscheint ihr centraler Theil, von der Siebhaut bis zur
Oberfläche der Papille, sehr umflort matt und minder scharf begrenzt, man
sieht deutlich , dass das Gefässstück nur allmälig aus der trüben Masse
an die Oberfläche dringt imd um so schärfer sich markirt, je weiter es
sich von der Lamina cribrosa entfernt.
Die Arterienstämme sind doppelt contourirt, heller gefärbt und schmäler,
verlaufen mehr gestreckt und zeigen ihrer runden Lichtung halber an
der einen Seite öfters eine helle Linie, eine Art Catacaiistica. Die Venen
sind dunkler, breiter, mehr geschlängelt und entbehren ihrer platten Form
wegen jener lichten Begrenzungslinie.
Der Stamm der Artei-ie tritt öfters ungetheilt bis nahe an die Oberfläche hervor,
um sich dann in zwei Hauptäste zu theilen, welche mit dem ersten ein T formiren.
In anderen Fällen erfolgt die Theilung schon in der Gefässpforte der Lamina
cribrosa, es treten die beiden Hauptäste schon von diesem Punkte aus nach oben
und unten und, falls die überlagernde Masse der Papille sehr trüb ist, kann es
sogar den Anschein haben, als kämen die beiden Hauptäste aus verschiedenen
Angeborene Excavation. 171
Löchern der Siebhaut heraus. Bisweilen erscheint der eine Hauptast wie ein Zweig
des anderen, in welclien sich der Stamm fortsetzt. Meistens tlieilen sich diese
Hauptäste schon innerhalb des Sehnerveneintrittes dichotomisch.
Der Stamm der Venen liegt neben jenem der Arterie. Oft jedoch vereinigen
sich die vier Hauptveneu erst in der Nähe der Gefässpforte zu zwei Stämmen,
oder aber es treten alle vier Hauptvenen getrennt und in einiger Entfernung von
einander in die Siebhautlöcher ein.
Aus den Hauptästen der Venen und Arterien entspringen häufig noch inner-
halb der Papille kleine Seitenäste, die sich in den verschiedensten Richtungen zur
Netzhaut begeben. Ausserdem erscheinen an den differentesten Punkten kleine
Gefässchen, welche aus der Tiefe kommen und bisweilen ein dichtes Netz oder
eine Art Convolut bilden, das den Sehnerveneintritt theilweise deckt und die Haupt-
äste verhüllt.
3. Vou grösster praktischer Wichtigkeit sind die angeborenen oder
physiologischen Excavationen des Sehnerveneintrittes. Sie kommen ungemein
häufig vor, finden sich ebensowohl im Auge der Neugeborenen als in jenem
Erwachsener und bestehen in der Regel ohne sonderliche Veränderungen
zeitlebens fort. In der Mehrzahl der Fälle sind sie sehr flach und klein, daher
auch schwierig nachzuweisen. Nicht selten jedoch sind ihre scheinbaren
oder ivirklichen Dimensionen auch sehr ansehnlich und sie treten dann im
ophthalmoskopischen Bilde sehr auff'ällig hervor.
Es stellt sich die Aushöhlung als eine im Bereiche der Gefässpforte
gelegene, tnehr durchscheinende und hellere, weissliche oder weissgelbliche
Stelle dar, welche von der bedeutend dunkleren, meistens autfällig gerötheten
und dem übrigen Augengrunde oft gleichgefärbten Randzone der Nerven-
scheibe stark absticht (Fig Ä, N). Der Form nach ist diese Stelle bald
rundlich; bald oval oder länglich mit horizontaler oder schräg nach aussen
und abwärts gerichteter Längsaxe ; selten spaltevförmig; ausnahmsweise wohl
auch buchtig. Der Durchmesser der wirklichen oder scheinbaren Eingangs-
öfFnung ist oft nur ein kleiner Theil des Diameters der Papille ; in anderen
Fällen ist derselbe aber so gross, dass die dunklere Randzoue der Opticus-
scheibe nur einen schmalen Ring darstellt. Die Grenze der Excavation ist
im Augenspiegelbilde nicht immer eine ganz scharfe. Bei seichten mulden-
förmigen Aushöhlungen verwäscht sich die dunklere Farbe der Randzone
ganz allmälig in die hellere des Scheibencentrums. Bei trichtrigen Excava-
tionen mit steil abfallenden Wänden jedoch ist der TJebergang ein sehr
rascher, die Grenzlinie eine sehr scharfe. Mitunter bemerkt man hinter der-
selben einen dunklen Schattensaum, die Excavation gewinnt ein ampullenartiges
Aussehen mit halsartig eingeschnürter Eingangsötfnung und ausgeweiteter
Höhlung. Der Grund der Höhlung selbst zeigt sich bald glatt, bald nach
Art der normalen Papille von Gruben und Zwischenleisten uneben.
Sehr charakteristisch ist übrigens auch noch das Verhalten der cen-
tralen Gefässstücke, da die Excavation auf deren Verlauf einen sehr merk-
baren Eintluss nimmt. Bei muldenförmigen oder kleinen trichterförmigen, so
wie überhaupt bei allen scheinbaren Excavationen, findet man die ]\Iittel-
stücke der Gefässe blos leicht bogig gekrümmt; sie senken sich unter einer
mehr weniger stark ausgeprägten Curve nach hinten in die Gefässpforte
ein und erscheinen daselbst vermöge ihrer sehr schiefen Projection bedeutend
dunkler gefärbt. Bei umfangreicheren wirklichen Aushöhlungen mit steil abfal-
lenden Seitenwandungen biegen die Gefässe jedoch an der Eingangsötfnung
der Excavation plötzlich um, sie zeigen daselbst eine ganz auffällige Knickung
und, weil das nach hinten streichende Gefässstück die eingeschlossene Blut-
172 Sehnerv; Augenspiegelbild : Pulsphänomene.
säule in der Längsaxe präsentirt, auch eine viel dunklere Färbung (Fig. N).
Bei ampullenförmigen Excavationen mit verengerter Eingangsöffnung sieht
man die Gefässe hinter der Knickung häufig verschoben oder gar durch den
dunklen Schattenring unterbrochen, so dass es schwer wird, die zusammen-
gehörigen Gefässstücke aufzufinden, besonders da die an den Seitenwan-
dungen der Excavation verlaufenden Theile durch schräge und kurze Seiten-
äste plexusartig unter einander verbunden zu sein pflegen.
Uebrigens sind im Bereiche der Excavation die Gefässe keineswegs
immer deutlich zu verfolgen. Oefters fehlen sie scheinbar ganz, die Netz-
hautgefässe biegen am Rande der Höhlung schnabelförmig iim und ver-
schwinden plötzlich, indem sie sich in das die Excavation begrenzende trübe
Gewebe des Xervenkopfes einsenken. In anderen Fällen erscheinen die
Gefiisse im Bereiche der Excavation wie von einem trüben Schleier gedeckt,
sie präsentiren sich als zart rosig gefärbte, undeutlich begrenzte bandartige
Streifen, welche von der Gefässpforte zur Eingangsöffnung der Excavation
ziehen.
4. Ein eigenthümliches ophthalmoskopisches Phänomen ist das Pul-
siren der Hauptäste der centralen Gefässe. Es ist immer nur im Bereiche
der Papille wahrzunehmen und erstreckt sich wohl nuj sehr ausnahmsweise
über deren Grenze hinaus.
Der Venenpuls (Trigf, Coccius) ist eine constante physiologische Erschei-
nung (Dondersj, doch im Normalzustände nicht immer leicht zu ermitteln.
Wo er scheinbar fehlt, kann er durch einen auf die Seitenfläche des Bulbus
ausgeübten anhaltenden massigen Druck sichtbar gemacht werden. Er äussert
sich in einer abwechselnd stärkeren oder schwächeren Füllung der betreffenden
Stammtheile. Die Verengerung derselben beginnt an der Gefässpforte, etwas
vor der Diastole der Arteria centralis und schreitet gegen die Peripherie
des Sehnerveneintrittes fort. Die Diastole der Venen hingegen beginnt peri-
pher, unmittelbar nach dem Radialpulse und rückt in centripetaler Eichtung
vorwärts. Wird der Fingerdruck gesteigert, so nimmt auch die Deutlichkeit
des Venenpulses zu land beurkundet sich dann oft in einer alternirenden
völligen Entleerung und Wiederfüllung der betreffenden Gefässstücke.
Es weicht bei dei' Venensystole ein Theil des enthalteneu Blutes durch die
Gefässpforte nach aussen, der andere Theil aber wird unter centrifugal fortschrei-
tender Abplattung der Venenäste gegen das Capillarnetz hin zurückgestaut. Bei der
Y enendiastole aber erfolgt die Füllung und sofortige Erweiterung von der Peripherie
aus und schreitet gegen die Gefässpforte hin vorwärts. Bei sehr entwickeltem
Venenpulse sieht man im Papillartheile der Hauptäste die Blutsäule deutlich auf-
i;nd abschwanken, ihr centrales Ende ist scharf begrenzt, je nach Umständen
senkrecht oder kegelig abgeschnitten und hebt sich sohin sehr deutlich von den
Umrissen des comprimirten blutleeren Gefässtheiles ab.
Der Arterienpuls (Ed. Jaeger) ist unter normalen Verhältnissen nicht
sichtbar, obgleich er sicherlich besteht. Es bewegt sich nämlich die mit
jeder Herzsystole herantretende arterielle Blutwelle zu rasch und mit zu
geringer seitlicher Exciu'sion durch die ganze Länge des jeweilig in Sicht
befindlichen Gefässstückes, als dass die Caliberschwankung des letzteren
zur Wahrnehmung gebracht werden könnte. Um den Arterienpuls künstlich
zur Erscheinung zu bringen, bedarf es eines starken äusseren Druckes, aus-
genommen den Fall, dass die Arterien sehr rigide sind, wo schon ein leiser
Druck genügt (Graeje). Sein sichtbares Auftreten ist stets an Verdunkelung
des Gesichtsfeldes gebunden (Donders). Er zeigt sich bald in einem, bald
Pulsphäiiomeiip. 1 73
in allen Hauptästen der centralen Netzhautschlagader und bekundet sich
durch eine rhythmisch abwechselnde Füllung und Etitleertmc/ der im Selinerven-
eintritte gelegenen Thoile der Arterienäste. Die arterielle Diastole beginnt
gleichzeitig mit dem liadialjmlse und schleppt etwas liinter dem Carotiden-
pulse nach. Sie zeigt sich als ein stossweises rasches Eindringen einer
Blutsäule in das vorher verengte oder leere Arterienstück. Die darauf fol-
gende Systole nimmt weit mehr Zeit in Anspruch und äussert sich durch
eine langsame centrifugale theilweise oder gänzliche Entleerung des Gefäss-
abschnittes.
Gelangt mit der andrängenden arteriellen Blutwelle ein fjrösseres Blutquantuvi
in das Innere des Angapfels, so sollte folgerecht der intraoculare Druck um ein
Entsprechendes steigen. Dies ist aber nicht der Fall. Es pflanzt sich nämlich der
Druck jeder einzelnen eindringenden arteriellen Blutwelle rascher durch den Glas-
körper, als durch die CapiUaren auf die Venen fort, ja die Uebertragung des Druckes
durch den Glaskörper ist eine fast unmittelbare, was die Zeit anbelangt. Ehe also
die positive Welle bis in die Venen dringt, Iiat sie bereits den beschleunigten
Austritt einer proportionalen Menge venösen Blutes veranlasst, es beginnt gleich-
zeitig mit der Arteriendiastole eine Venensystole , beide erreichen in demselben Mo-
mente ihre Höhe und sinken wieder zu einem Miriimum herab. Es wird also das
intraoculare Blittqvantum und der intraoculare Druck durch die Arteriendiastole
nicht verändert. Die mehrseitig beobachtete Pulsation des gesavimten Aug-
apfels (Graefe, Coccius) ist wahrscheinlich eine von den Orbitalgefässen fort-
gepflanzte.
Der von der arteriellen Blutwelle auf den Inhalt und die Hülle des Augapfels
übertrageyie Druck wirkt auf die einzelnen Venenahschnitte im Verhältnisse zur Grösse
ihrer Oberfläche. Es ist daher klar, dass die Wirkung sich am ersten iind kräftig-
sten an den platten Enden der venösen Hauptäste geltend machen müsse und zwar
um so sicherer, als in den Venen das Blut mit \\m so grösserer Leichtigkeit strömt
und allen von aussen kommenden Impulsen folgen kann, je weiter ihre Lichtung
ist. Es concentrirt sich also gleichsam der sichtbare mechanische Effect der über
die ganze arterielle Seite des Binnenstromgebietes vertheilten arteriellen Blutwelle
auf die centralen Venenstiicke, dieselben werden zusammengedrückt und so eine
rasche Entleerung der der Gefässpforte zunächst liegenden und eine Mückstauung
der entfernteren Theile der Blutsäule bewerkstelligt. Mittlerweile pflanzt sich aber
der Stoss der arteriellen Blutweile durch die Capillaren in die Venen fort und
treibt die gestaute Blutsäule vorwärts, die centralen Venenstücke füllen sich wieder,
werden diastolisch erweitei-t, während gleichzeitig die Arteria centralis ihre systolischen
Phasen durchläuft und so den Raum für die Venendiastole schaffet.
Der Venenpuls ist also von dem arteriellen Pulse abhängig, die sichtbare
Wirkung der unter gewöhnlichen Verhältnissen unsichtbaren arteriellen Puls-
bewegungen, und bringt den auf Stetigkeit der intraocularen Blutmenge
und der im Innern des Auges herrschenden Druckverhältnisse gerichteten
Regulirungsact (S. 3) objectiv zur Anschauung (Memorski).
Ist nun aber der Venenpuls der mechanische Effect des arteriellen
Pulses, so liegt es auf der Hand, dass er um so auffälliger werden, dass die
in den centralen Venenstücken eingeschlossene Blutsäule mit um so grösseren
Amplituden schwanken müsse, je grösser der Unterschied des Seitendruckes
ist, welchen die arterielle Blutwelle während der Diastole und der Systole
der Binnenschlagadern atif den Inhalt und die Kapsel des Bulbus überträgt,
je ungleichmässiger also das Blut in den Binnenarterien strömt, je mehr der
regulatorische Einlluss der elastisch dehnbaren Arterienwandungen in und
ausserhalb des Bulbus beschränkt ist.
In der That fehlt ein sehr excursiver spontaner Venenpuls niemals,
wo die Pulsschwankungeu in den Arterien sich bis zur Sichtbarkeit gestei-
gert haben, oder doch unter Beihülfe eines leichten äusseren Druckes wahr-
174 Seliuerv; Augenspiegelbild; Pulspkänomeiie.
uehmbar gemacht werden könueu, und umgekehrt ist ein sehr ausgespro-
chener spontaner Venenpuls in der Regel an spontanen oder doch leicht
hervorzurufenden Arterienpuls gebunden.
Nicht minder bestätigt die klinische Erfahrung, dass Rigidität der
Aeste und des Stammes der Arteria ophthalmica ein die Pulsphänomene
wesentlich begünstigender Factor sei und dass in gleicher Weise Starrheit
der Bulbuskapsel unter den pathogenetischen Momenten der fraglichen Er-
scheinung eine wichtige Rolle spiele.
Es unterliegt nämlich kaum einem Zweifel , dass der der Bulbuskapsel
eigenthümliche, wenn auch geringe, Grad elastischer Dehvhar/ceif. die Contractilität
der Gefässwandungen bei der Regulirung der arteriellen Blutströmiing unterstütze,
indem der durch den Bulbusinhalt auf die Augenkapsel übertragene intravasadare
Seitendruck durch dassellje Medium auf die äusseren Gefässwandungen rücJavirken
muss. Dies schliesst aber die Nothweudigkeit in sich, dass der Verhist oder die
Verminderung der elastischen Dehnbarkeit der Bulbuskapsel die rhythmischen
Schwankungen der arteriellen Blutsäule und folgerecht die Auffälligkeil der intra-
ocularen Pulsbewegungen vergrössere.
Derselbe Umstand erklärt überdies den höchst bedeutenden Einfluss,
welchen erfahrungsmässig Steigerungen des intraocularen Druckes auf das
Hervortreten und die Grösse der Pulsbewegungen nehmen. Es ist eben die
elastische Dehnbarkeit der Bulbuskapsel eine sehr beschränkte, sie nimmt
in dem Masse ab und die Augapfelhülle gewinnt beziehungsweise mid
gegenüber spannenden Kräften die Eigenschaften starrer Wandungen in dem
Grade, in welchem die Dehnbarkeit bereits in Anspruch genommen und
die Spannung ihrem Maximum näher gerückt ist.
Dieses Verhalten der Bulbuskapsel ist nun al^ch einer der Gründe, warum
ein von Aussen auf den Augapfel einwirkender kräftiger Druck das Pulsphänomen
in seiner Auffälligkeit steigert. Anderseits kömmt hierbei aber noch in Betracht,
dass der äussere Druck von der Kapsel und dem Inhalte des Bull)us auf die
misseren Wandungen der Binnengefässe übertragen und somit der Widerstand ver-
mehrt wird, welchen das in den Arterien an den Augapfel herantretende Blut bei
seinem Eindringen in das Binnenstromgebiet findet. Erreicht der äussere Druck eine
gewisse Höhe , so geschieht es leicht , dass die Systole der extraocularen Arterien-
stämme nicht mehr zureicht, um das Blut in conlinuirlichem Strome durch die
Gefässpforte in der Lamina cribrosa durchzutreiben, dass die Einspritzung der
Arteria centralis vielmehr nur unter der unmittelbaren Druckwirkung der Herzsystole,
also stossweise erfolgen kann. Wird aber der Druck noch weiter gesteigert, so ver-
mag das artei'ielle Blut nicht mehr während der ganzen Dauer der Arteriendiastole
einzuströmen, die Binnenschlagadern füllen sich nur für einen Augenblick während
dem Maximum der positiven Welle unvollkommen, ihre Diastole wird immer kürzer
und unvollständiger, die Systole immer länger und ausserdem fallen diese Phasen
mit den gleichen Phasen des Venenpulses zusammen, es wird in den Schlag- und
den Blutadern Diastole und Systole isochronisch, indem die Gefässwandungen im
Maximum der positiven Welle, von Innen und Aussen mächtig gedrückt und gleich-
sam eingeklemmt zwischen incompressible Flüssigkeiten , die Rolle starrer Rohren
spielen, so dass der Stoss der arteriellen Blutwellen sich durch die Capillaren
nnmiftelhar auf das in den Venen enthaltene Blut fortpflanzt und dieses vor sich
her treibt. Bei dem stärksten äusseren Druclce endlich wird die arterielle Blutwelle
gar nicht mehr eindringen können , es wird der Ein- iind der Austritt des Blutes
ganz sistirt, die centralen Stücke der Arterien und Venen erscheinen leer, zusammen-
gedrückt und nur in den letzteren macht sich bisweilen noch ein wenig excursives
Auf- und Absteigen der Blutsäule bemerkbar.
Nosologie. Die Entzündung geht ivahrscheinlich immer von den Hüllen
der Nervenbündel aus; man findet dieselben wenigstens immer zuerst und
am auffälligsten verändert, von dichten Gefässnetzen durchstrickt oder gleich-
massig geröthet, öfters auch von Blutextravasaten gefleckt und von ent-
zündlichen Producten durchdrungen, aufgequollen und gelockert. Die primi-
Nosologie; Hydrops nervi optici. 175
tiven Nervenröhren zeigen, wenn der Process nicht gar zu rapid einhergeht
und durch massenhafte Productbihlur.gen oder in Folge reichlicher Blut-
ergüsse eine förmliche Zertrümmerung des Gefüges verursacht, oft erst
ziemlich spät eine auffällige Theilnahme, indem sie entweder ilir Mark
verlieren, durchscheinend und varicös werden, oder verfettigen.
Die innere Scheide und namentlicli das Stratum lockeren Bindegewebes,
welches zwischen den beiden Scheiden des Orbitalsiiickcs des Opticus ge-
lagert ist, erscheint meistens ebenfalls in Entzündung begriffen. Dasselbe
gilt auch von den meningealen Hüllen des Schädelstückes, weniger oft aber
von der äusseren Scheide des Sehnerven.
Die Qualität und Quantität des Productes wechselt einigermassen nach
der Intensität des entzündlichen Processes. In vielen Fällen entwickelt es
sich nur in geringer Menge und bleibt bei grosser Armuth an Kernen und
Zellen in ziemlich hohem Grade dtirchscheinend.
Es theilt diese Eigenschaft dem neurilematischen Muttergewebe mit, welches
dadurch ein eigenthümliches suh'ühnliches Aussehen gewinnt. Für das freie Auge
wird in Folge dessen das Gefüge nur wenig verändert, es erscheint blos aufgequollen
und etwas saftreicher. Namentlich im Bereiche der Papille ist vermöge der natür-
lichen Durchsclieinbarkeit der Elemente die Alteration so wenig auffällig, dass sie
leicht übersehen werden kann, wenn nicht die begleitende HyiJerämie oder etwa
vorhandene Extravasate auf das Leiden aufmerksam machen. Späterhhi nehmen
indessen auch die Nervenröhren in sichtbarer Weise Antheil, ihr Mark wird durch-
scheinend, sie heben sich nur wenig mehr von der sulzigen Hülle ab und gehen
endlich formet gänzlich unter, der betreffende Theil des Nervenstammes ist scheinbar
oder wirklich gelatinös degenerirt und diaphan geworden.
Häufiger jedoch ist die Zellen- und Kernbildung eine iveit ergiebigere,
ein Theil der angehäuften Formelemente verfettiget und wird in wech-
selndem Massenverhältnisse in Körnchenzellen und Körnchenhaufen umgewan-
delt, während sich gleichzeitig choloide Massen in variabler Menge ent-
wickeln. Das Product erscheint demnach von vorneherein mehr trüb, molken-
oder sogar eiterähnlich.
Die von dem infiltrirten Neurilem eingeschlossenen Nervenbündel pflegen unter
solchen Umständen sehr bald ihre Theilnahme durch Verfettigung, durch Auflösung
in reihenweise an einander gelagerte Fettkörner und endlichen gänzlichen Zerfall
zu verrathen. Es versteht sich von selbst, dass durch ein solches Product die sonst
durchscheinende Papille wesentlich getrübt werden müsse. In den markhältigen
Theilen des Opticus indessen bedingt es nicht nothwendig sehr in die Augen sprin-
gende Veränderungen, das betreffende Stück des Sehnerven erscheint dem freien
Auge höchstens etwas hyperämirt, blutig gesprenkelt, aufgelockert, mehr weniger
matsch.
Mitunter ist die Entzündung wohl auch eine stürmische und überaus
üppige, die Nervenröhren und ihre bindegewebigen Hüllen gehen in ihr
ganz unter, man findet den Opticus an der erkrankten Stelle in eine mehr
weniger consistente Eitermasse verwandelt, in welcher sich nur mehr Trüm-
mer der Nervenröhren und des uecrosirten Neurilems nachweisen lassen.
In seltenen Fällen schwillt das Interstiiialgewebe mächtig auf in Folge massen-
hafter InfilfrafÄon eines durchsichtigen, oder von Molekülen und Fettkörnern getrüb-
ten, sulzähnlichen oder sehr dünnflüssigen und serumartigen Productes. Im Schädel-
stücke häuft sich ausnahmsweise dieses seröse Product in so enormen Mengen, dass
dassselbe zur Dicke eines kleinen Mannsfingers aufgetrieben wird (Hydrops nervi
optici). Daneben machen sich dann Kernwucherungen und deren weitere Derivate,
insbesondere Körnchenzellen, weiterhin varicöse Ausdehnungen und Verfettungen der
Nervenröhren, Hypertrophie und theilweiser fettiger Zerfall des Bindegeicebes geltend.
Es wurde dieser Zustand bisher immer mit hochgradigem und meistens entzündlichen
Oedem der basalen Hirnhäute verknüpft gefunden, welches seinerseits gewöhnlich,
aber nicht immer (Manz), mit Brighf sehen Nierenleiden oder Tuberkulose zusammen-
176 Xenritis optica: Nosologie; Blntextravasatp.
hing und neben anderweitigen Serumanhäufungen einherging. Es ist der in Rede
stehende Hydrops nervi optici nicht zu verwechseln mit dem öfter vorkommenden
entzündlichen Oedevi der Papille (Heymann) und mit serösen Infiltrationen der
orbitalen Zicischenscheidenschichte (Animon).
'SvüL sehr ausnahmsweise erscheint der Process an einer bestimmten
Stelle des jS'erren auf einzelne Bündel beschränkt. Fast immer zeigt sich der
Nerre seiner ganzen Dicke nach in den entzündlichen Vorgang verwickelt.
Doch kommt es sehr oft vor, dass an einem und demselben Durchschnitte
der Grad der Alteration an verschiedenen Punkten ein sehr verschiedener
ist, so dass einzelne Bündel bereits völhg vernichtet sind, während andere
noch wenig mitgenommen und bis zu einem gewissen Grade functions-
tüchtig sein können.
Oefters findet maii beide Sehnerven ihrer ganzen Länge nach in ent-
zündUcher Gewebswucherung begritfen und kann, dem eigenthümüchen
Producte nachgehend, den Lauf der beiden Tractus in das Gehirn hinein
bis in die knieförmigen Körper verfolgen, wo die charakteristischen Altera-
tionen meistens mit scharfer Grenze aufhören (Türck). Der Grad der krank-
haften Gewebsveränderung pflegt dann an den beiden Xerven und an den
verschiedenen Abschnitten eines und desselben Kerven ein sehr verschie-
dener zu sein. Ausnahmsweise bleibt der entzündliche Process wohl auch
auf die eine Stria oder auf das Chiasma und beide Tractus beschränkt.
Am häufigsten jedoch ist blos der eine oder andere eigentliche Sehnerve affi-
cirt und bleibt es oft zeitlebens, indem sich der Process in der Yorder-
hälfte des entsprechenden Seitentheiles des Chiasma in scharfem, nach hinten
gerichteten Bogen, oder in einer verwaschenen Linie begrenzt.
Wenn das Orbitalstilck des Sehnerven entzündet ist, sei es, dass der
Process gleich von vorneherein daselbst seinen Sitz aufgeschlagen hat, oder
dass er sich von der Schädelhöhle aus dahin fortgepflanzt hat (Neuritis des-
cendens,) so zeigt sich fast constant der Nervenkopf mitergriffen. Derselbe
schwillt rings um die Gefässpforte zu einem Kreiswulste an, über welchen
die Centralstücke der Xetzhautadern in einem gewöhnlich sehr deutlichen,
nach vorne convexen Bogen liinüberstreichen. Zugleich erscheint die Pa-
pille von dem Infiltrate stark getrübt, von dem eingespritzten feinen Ge-
fässnetze geröthet und öfters auch von hämorrhagischen Extravasaten gefleckt.
In den allermeisten Fällen bleibt übrigens die Entzündung auf den Xerven-
kopf 7iicht beschränkt, sie greift auf die Netzhaxit über, der Process stellt
sich objectiv unter der Form der Neuro dictyitis dar (Siehe diese). Falls
aber das Schädelstück der ergriffene Theil ist und, was oft geschieht, die
Gewebswucherung nicht am Sehnerven herab gegen den Augapfel hin sich
ausbreitet: pflegt das Orbitalstück und der Kopf des Xerven sammt der
Faser- und Ganglienschichte der Xetzhaut zu atrophiren, der Process tritt
objectiv unter der Gestalt des reinen Sehnerven- und Netzhautschwundes, suh-
jectiv aber in Form einer Cerebralamaiirose (Siehe diese) in die Erscheinung.
In sehr seltenen Ausnahmsfällen hat man mächtige Bhdextravasate im orbi-
talen Theile des Sehnerven beobachtet. Das Blut hatte sich bald in den Zicischen-
scheideni-aum ergossen und die äussere Scheide spindelförmig aufgebläht (Ig. Mei/r,
Knapp); bald war es in den Xervenstamm selbst ausgetreten und hatte dessen
Gefüge auf eine gewisse Strecke hin förmlich zertrümmert (His, Leher, Hirschberg).
Man glaubt , dass derlei Hämorrhagien durch Diffusion des Blutfarbstoffes und
dessen weitere Zersetzung zu den bisweilen vorkommenden reichlichen Pigmenta-
tionen der Papille Veranlassung geben können (Knapip), wogegen jedoch der Um-
stand spricht, dass massige Blutextravasate im Bereiche des Sehnerveneintrittes
Quellen; Netzhantentzündung. 177
sehr gewöhnlich durch Resorption völlig' und ohne eine Spur zu hinterlassen getilgt
werden (Wecker).
Quellen: KölUker, Mikr. Anatomie. Leipzig, 1852. II. 1. S. 480; II. 2. S.
670. — Bowman, Lectures on thc parts etc. London, 1849 und Kölliker 1. c. —
J. Wagner, Ueber den Ursprung der Sehnervenfasern. Dorpat. 1862. S. 21, —
Hannover, Das Auge. Leipzig, 1852. S. 1. — Henle, Handbuch der Anat. Braun-
schweig, 1806. 11. ;•}. S. 582. — Sappey, Centralbl. 1868. S. 421. — Animon, Pra-
ger Vierteljahrschrift, 1860. I. S. 132; A. f. 0. VI. 1. S. 15, 17, 33. — Klehs, Vir-
chow's Arcliiv. 19. Bd. S. 321, 335. — Bonders, A. f. O. I. 2. S. 75, 83, 90. —
Graefe, ibid. I. 1. S. 375, 382; I. 2. S. 299, 302. — Förster, ibid. III. 2. S. 86. —
H. Müller, ibid. IV. 2. S. 3, 10. — Liehreich, ibid. IV. 2. S. 295; Atlas. Tafel 12.
Fig. 3; kl. Monatbl. 1864. S. 229; 1868. S. 426. — Leher, Denkschrift, d. k. Akad.
24. Bd. S. 318; A. f. O. XIV. 2. S. 169, 333, .343, 357; kl. Monatbl. 1868. S. 302,
309. — His , Beiträge z. norm. u. path. Histolog. der Cornea. Basel. 1856. S. 132;
kl. Monatbl. 1867. S. 133, 135. — Ed. Jaeger, Wiener med. Wochenschrift 1854.
Nro. 3 — 5; Staar und Staaroperationen. Wien, 1854. S. 105; Beiträge zur Pathol.
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VIERTER ABSCHNITT.
Entzündung der Netzhaut, Dictyitis, Retinitis.
Anatomie. Die Netzhaut lagert faltenlos zwischen der Pigment-
schichte der Chorioidea und dem Glaskörper , mit welchem ihre innere
Grenzschichte im Leben verklebt ist, Ihre eigentlichen Grenzen sind nach
hinten der Rand des Sehnerven ei ntri ttes , nach vorne die Ora serrata, in
deren Bereich sie fest mit der Aderhaut verwachsen ist.
Man unterscheidet allerdings noch eine Pars ciUaris retinae und
diese ist wirklich eine Fortsetzung der ISTetzhaut , trägt aber nicht mehr
den nervösen Charakter, sondern besteht aus einer Schichte von verlän-
gerten Zellen, welche den Zonulafasern auflagern und als verkürzte Stütz-
fasern erkannt worden sind (H. Müller, Klebs).
Die Netzhaut ist nicht ganz vollkommen durchsichtig. Am hinteren
Ende der optischen Axe, im horizontalen Meridian, etwa anderthalb Linien
vom äusseren Rande des Sehnerveneintrittes entfernt, liegt der gelbe Fleck,
Macula lutea, der empfindlichste Theil der Retina. Es ist dieser Fleck
stellwag, Augenheilkunde. 12
178
Netzliaut; Anatomie; Nervöse Elemente.
Fig. 30.
quer oval , in seiner Grösse etwas wandelbar. Seine Mitte ist in Gestalt
einer kleinen Grube, Fovea centralis, ausgehöhlt und ringsum erscheint
die Netzhaut wallartig aufgetrieben.
Die E-etina besteht zum Theile aus nervösen Elementen, zum Theile
aus modificirtem Bindegewehe, welches jene einhüllt, unter einander zusam-
menhält und in ihrer gegenseitigen Lage sichert. Im Centrum herrscht
das Nervengewehe, an der Peripherie aber das hindegeivehige Stützwerk vor.
Streng genommen und namentlich vom genetischen Standpunkte aus betrachtet,
gehört auch das Aderhauttapet zur Retina. Es geht dasselbe nämlich allein (BaJju-
chin, M. Schnitze, Barkan, HaaseJ oder in Verbindung mit der Stabschichte (Kölli-
ker) aus dem äusseren Blatte der secundären Augenblase hervor, während alle
anderen Lagen sich aus der inneren Lamelle jenes foetalen Gebildes entwickeln.
Die nervösen Elemente gestalten sich in den verscliiedenen Schich-
ten der Netzhaut sehr mannigfaltig. Man unterscheidet musivische Schichten,
welche eine nahe Beziehung zu dem specifischen Reize des Gesichtssinnes
haben, und eigentlich nervöse Schichten, deren Elemente mit den in allen
Theilen des centralen Nervensystems vorkommenden übereinstimmen (Heule,
Meynert) und die bezüglichen Strata mit einem flächenartig ausgebreiteten
Hirnganglion zu vergleichen erlauben (Kölliker) , um so mehr , als sie ur-
sprünglich einen Theil der Gehirnmasse darstellen und erst später durch
zwischengeschobene Theile davon getrennt werden, um fürder selbstständig
fortzubestehen.
Im Allgemeinen unterscheidet man in der Netzhaut acht Schichten,
welche von aussen nach innen gezählt folgende sind : Die Stab - oder
Zapfenschichte (Eig. 30 a), die äussere
Grenzschichte oder Limitans externa h,
die äussere Körnerschichte c , die Zwi-
schenhörnerschichte d, auch äussere Faser-
scliichte oder Membrana fenestrata ge-
nannt, die innere Körnerschichte e, auch
Körnerzellenscliichte oder äussere gan-
gliöse Schichte genannt , weiter die
granulöse Schichte f oder innere Easer-
schichte, die Ganglienzellenschichte g oder
innere gangliöse Schichte, die Nerven-
faserschichte h und endlich die innere
Grenzschichte i oder Limitans interna.
Als eigentlich nervöse Schichten
gelten die Stabschichte, die beiden Kör-
nerschichten, die Ganglienzellen- und Ner-
venfaser schichte.
Die Stäbe und Zajifen zerfallen in
Aussen- und Innenglieder, welche Gebilde
von total verschiedener Natur, auch diflfe-
rentem chemischen Verhalten (Braun, M.
Schnitze, Hasse) sind ixnd durch eine dünne
Schichte eines besonderen schwach licht-
brechenden Kittes mit einander verl)unden
werden. In beiden findet sich dieselbe
schwach lichtbrechende Grundlage mit darin eingelagerten stärker licht])rechenden
Molekülen und einer dichteren äusseren Hülle. Die molekulare Substanz häuft sich
in den Aussengliedern zu einer Anzahl planparalleler, messbar dicker Plättchen,
welche durch unmessbar dünne Schichten der minder stark brechenden Grundsubstanz
Bindegewebige' Elemente. 179
von einander fjetrennt sind (M. Schulze). Der sogenannte BiUer'sche Faden, welcher
in der Axe der Ausseiii;'lieder liegen soll (C. Ritter, Hensen), besteht nicht (M.
Schuhe). In den Imien<jUe<lern der Zapfen (W. Krause) und der Stäbe (M. Schnitze)
häuft sich die stärker lichtbrechende Molckularsubstanz zu planconvexeu halb-
kugeligen oder abgestutzt kegeligen Körpern von homogener Beschaffenheit. Die-
selben lagern am äussei-n Ende der Innenglieder und wenden ihre ebene Fläche
den Aussengliedern zu. Von der convexen Fläche geht ein zarter feiner Faden
in der Axe nach einwärts (C. Ritter, Hasse, Manz), um sich unmittelbar oder mit-
telbar mit den äusseren Körnern in Verbindung zu setzen. An der Oberfläche der
Innenglieder ist eine höchst zarte Längsstreifung zu bemerken, welche sich eine
Strecke weit auf die Aussenglieder fortsetzt. Es rührt dieselbe von überaus feinen
Fäden her, welche von der Stab- vxnd Zapfenfaser ausgehend und die äussere
Grenzhaut durchbrechend die Innenglieder der genannten Elemente kelchartig
umfassen und in einer sehr losen Spirale streichend auf die Aussenglieder über-
gehen, deren inneren Theil sie gleich einer Röhre umschliessen. Es wäre möglich,
dass dieselben nervösen Charakters seien und aus der Spaltung der Stab- iind
Zapfenfasern hei'vorgehen (M. Schnitze). Die äusseren Körner sind Ellipsoide, welche
mit der langen Axe senkrecht auf die Ebene der Retina gestellt sind und zu
mehreren in einer Reihe hintereinander liegen. In frischem Zustande erscheinen
sie quer gestreift (TIenle) und lassen die schichtweise Uebereinanderlagerung
scheibenförmiger Ausammlungen chemisch verschiedener Snlistanzen vermuthen.
Eine Anzahl dieser Körner liegt in Ausweitungen der Innenglieder der Stäbe und
Zapfen, welche dann die äussere Grenzhaut durchboliren. Es sind diese „Stab-
U7id Zapfenkörner'^ etwas grösser als die übrigen Köi-ner und bilden an der äusseren
Grenzliaut bisweilen eine eigene Lage (Henle). Die meisten Stäbe jedoch spitzen
sich am iiinern Ende in einen zarten blassen, den Axencylindern ähnlichen, oft
auch varicösen Faden zu, welcher die Limitans externa durchbrechend in die
äussere Körnerschichte gelangt, sich hier wiederholt ausweitet, um ein Korn in
sich aufzunehmen und bis zur Zwischenkörnerschichte hinläuft. An der Grenze der
letzteren schwillt das Ende der Stabfasern knopfförmig an und geht dann wieder
in einen sehr zarten Faden über, welcher die Zwischenkörnerschichte durchdringt
(Hasse) und wahrscheinlich mit den inneren Körnern in Verbindung tritt (Steinlin),
Aehnliches gilt von den Zapfenfasern, welche an der Grenze der Zwischenkörner-
schichte in breitkegelige molekulirte Körper anschwellen, aus denen drei oder
mehrere Fäden in die Zwischenkörnerschichte austreten und von da zu den innern
Körnern gelangen. Die letzteren sind rundliche kleine Zellen mit grossem Kerne,
welche bipolaren Ganglienzellen ähneln. Die inneren Fortsätze derselben dringen
durch die granulirte Schichte, wo sie Plexus bilden (M. SchuUze) und verbinden
sich dann wahrscheinlich mit den multipolaren Elementen der Ganglienzellenschichte
(Hulke, Manz). Die Ganglioizellen haben einen trüblichen Inhalt und einen schön
entwickelten Kern. Von jeder Ganglienzelle geht ein starker Fortsatz nach innen
und setzt sich hier in die Nervenfasern fort. Die Nervenfasern der Retina sind
den blassen Fasern des Gehirnes völlig analog, durchsichtig, homogen. Sie werden
von Manchen als blosse Axencylinder aufgefasst (M. Schnitze), welche beim Durch-
tritte durch die Siebmeml)ran ihre Markscheide verloren haben. Es spricht für
diese Ansicht unter Anderem der Umstand , dass die Fasern ausnahmsweise ihre
Markscheide bis in die Retina hinein behalten oder, nachdem sie das Cribrum
passirt haben, für eine Strecke wieder gewinnen (H. Müller, Virchoio, Reckling-
hausen) und dichte , flächenartige Trübungen der Netzhaut mit entsprechenden
Functionsstörungen begründen. Es liegen diese Nervenfasern in der nächsten Um-
gebung der Papille in Bündel geordnet noch dicht über einander, zerfahren aber,
indem sie in die Netzhaut ausstrahlen, mehr und mehr und lassen nahe der
Peripherie schon beträchtliche Lücken zwischen sich.
Der hindegewehige Theil , die Bindestibstanz der Retina , durchdringt
alle Schichten bis zu dem Stratum bacillosum, dessen Elemente von einer
ganz wasserhellen, festen, dehnbaren, zähen und elastischen Masse zusam-
mengehalten werden (Henle).
Die innere Limitans i trägt im Allgemeinen die Charaktere einer Glashaut
(Kölliker). Sie wird durch feste Verkittung der dem retinalen Bindegewebe eigenen
kernhaltigen Faserzellen gebildet (G Ritter). Jede dieser Faserzellen soll nur zum
Theile, meistens sogar nur zur kleineren Hälfte, in der Grenzhaut liegen, der
12*
230 Netzhaut; Anatomie; Macula lutea; Gefässe.
Rest derselben aber sich unter einem Winkel gegen das Innere der Netzhaut ab-
biegen und, indem er sich mit anderen Faserzellen verbindet, bei der Bildung der
Müller'schen Stützfasern concurriren. Die inneren Enden dieser Stützfasern er-
scheinen kegelig, die einzelnen Faserzellen treten hier eben erst zusammen, um
sich zu dünneren Strängen zu vereinigen , welche vielfach durch Nebenäste mit
einander anastomosiren und so ein Fachwerk darstellen , in welchem die Nerven-
fasern und die Ganglienzellen eingebettet liegen. Es setzen sich die Stützfasern in
die granulwte Schichte fort, und sind hier deutlich als Fäden zu erkennen, welche
überall mit grösseren und kleineren unregelmässigen Stacheln besetzt sind, in
denen man Molekularkörner sieht. Die Lücken füllt eine homogene, granulirte
Grundsubstanz, welche mit den Radialfasern zusammenhängt. In der inneren Kör-
nerschichte zeigen sich die Radialfaseru als schmälere und breitere Fasern, welche
mit ihren zackigen Ausläufern die Körner und Nervenfäden wie Kapseln um-
schliessen und alle Zwischenräume ausfüllen. Sie erscheinen leicht körnig getrübt,
und führen rundliche oder spindelige Kernzellen ohne Fortsätze (Hasse). In der
Zwischenkörnerschichte werden die Zwischenräume der Radialfasern durch grosse
platte multipolare und, namentlich bei jugendlichen Thieren, kernhaltige Zellen
bindegewebigen Charakters gefüllt, welche sowohl untereinander als mit den Radial-
fasern innig zusammenhängen, selbst viele Lücken zeigen, und Lücken zwischen
sich lassen, in welchen die nervösen Elemente lagern. Die Lückenhaftigkeit dieses
Gefüges hat der fraglichen Schichte den Namen Membrana fenestrata (W. Krause)
verschafft. In der äusseren Körnerschichte verhält sich das Gefüge ähnlich wie in
der inneren. Die Radialfasern durchsetzen die Schichte unter dendritischen Ver-
zweigungen, führen aber keine Kemzellen. Sie umschliessen alle Körner und
Nervenfasern scheidig, füllen alle Lücken und schliessen endlich an der äusseren
Grenze der Körnerschichte in einer Ebene ab, indem sie hier wieder zu einer
dichteren Haut, der Limitans externa (M. Schulf.se) verschmelzen. Diese bildet
jedoch nur an der Peripherie der Netzhaut eine geschlossene Schichte , ist sonst
aber gleich einem Eierbrette vielfach durchlöchert, und gestattet so durch seine
Lücken die Verbindung der Stabschichtelemente mit den Körnern.
Im Bereiche der Macula lutea , wo die jSTetzhaut inniger mit der
Chorioidea oder eigentlich mit deren 'Tapet verbunden ist, erscheint die
Zusammensetzung des Organes etwas abweichend.
Die Nervenfaserschichte ist daselbst sehr reducirt, deren Bündel umgreifen
den gelben Fleck in Bögen und scheinen nur eine einfache Lage von Fasern über
dessen Oberfläche hinzusenden (Henle). Dafür ist die Ganglienzellenschiclife dicker
als anderswo, deren Elemente sind hier kleiner und in mehrfachen Lagen, bis zu
acht, über einander gehäuft (H. Müller). Die granulirte Schichte m.angelt und die
innere Körnerschichte ist sehr verschmächtigt. Die ZwiscJienkörnerschichte hingegen
ist wiederum sehr entwickelt und besteht zum grössten Theile aus nervösen Ver-
bindungsfäden, welche alle aus einem Punkte in der Mitte des gelben Fleckes und
aus dessen äusseren Schichten auszustrahlen und in einem leichten Bogen in den
horizontalen Verlauf überzugehen scheinen (Henle). Die äussere Körnerschichte ist
mächtig. Die Stäbe werden von gestreckten, dicht an einander gedrängten Zapfen
ersetzt und treten erst jenseits der Fovea auf, um gegen die Peripherie hin an
Zahl zu wachsen.
Die Gefässe der Netzhaut sind Zweige der Arteria und Vena centralis,
deren Stämme in dem Sehnerven lagern. Man unterscheidet zwei obere
und zwei untere arterielle und venöse, zusammen also 8 Hauptäste nebst
mehreren kleinen Zweigen, welche strahlenförmig gegen die Peripherie der
Retina streichen , sich auf diesem Wege vielfach verästeln und am Ende
schlingenförmig umbiegen, ein dichtes Maschenwerk mit rundlichen Lücken
bildend. Es überschreiten diese Gefässe niemals die Ora serrata. Sie
stehen durch viele sehr zarte Zweigchen mit den Ernährungsgefässen des
Sehnerven und mittelbar durch diese mit dem hinteren Scleralkranz und
den Gefässen der Aderhaut in Verbindung. Doch ist letztere zumeist eine
arterielle (Leber).
Augenspiegelbild ; trübe Opticusausbreitung.
181
Die Haiipfstämme streielien sänimtlich üher der eigentlichen Nervenfaser-
schichte und dringen höclistcns in diesellie ein, oline sie nacli hinten zu über-
schreiten. Die weiteren Verzweigangeu derselben durchsetzen das bindegewebige
Gerüste bis in die innere Faserschichte, höchstens bis zur Körnerzellenschichte.
Die mu/iivischen Schichten sind absolut i/efiLidos. Auch in den gelhen Fleck treten
Capiliaren ein, nur die Fovea centralis- dürfte gefässlos sein. LymphcjefäsKe sollen
die grösseren Vetienstäimnie der Netzhaut allenthalben netzartig umspinnen , die
Arterien aber nur streifenweise begleiten und durch die Siebhaut hindurchtretend
mit den Lymphwegoii des Opticus sich verbinden (Hi-^).
Ophthalmoskopische Erscheinungen. Die Netzhaut ist allerdings
nicht vollkommen pellucid , immerhin aber durchsichtig genug , um sich
dem Blicke des minder geübten Porschers zu entziehen. Derselbe erkennt
nur die in der Retina streichenden, baumartig verzweigten Gefässe, welche
sich scharf abheben von dem hintergelegenen gelbrothen Augengrunde
und sich theilweise durch ihre doppelte Contourirung, hellere Färbung,
geringere Breite und den gestreckten Verlauf als Arterien, theilweise durch
ihre dunklere Farbe, grössere Breite und geschlängelten Decurs als Venen
darstellen. Bei starker Erleuchtung des Augengrundes und besonders bei
schiefem Auifallen des Lichtes wird es indessen nicht sehr schwer, die
Netzhaut als solche in Form eines höchst zarten bläulichweissen Nebels
zu erblicken, welcher den Augengrund überkleidet.
Sehr pigmentreiche Augen sind hierzu besonders geeignet, weniger die
farbstoffarmen blonder Individuen. Am auffälligsten ist diese Trübung in der
nächsten Umgebung des Sehnerven und häufig so bedeutend, dass die Papille wie
verschwommen und in ihrem Durchmesser wegen undeutlicher Begrenzung ver-
grössert erscheint, dass überdies aber auch die Gefässe sich sehr merklich ver-
schleiert zeigen. Es ist unter solchen Verhältnissen oft sogar möglich, die einzelnen
Bündel der Opticusausstrahlung in Form feiner radiärer Streifen wahrzunehmen
(Liebreich).
Ausnahmsweise erscheint die Netzhaut iu der Umgebung der Papille sehr
intensiv weissgrau getrübt und völlig opak, es zeigt sich daselbst ein mächtiger,
etwas erhabener Fleck mit zackiger oder flammigstrahliger Grenze , welcher die
Aderhaut, so weit er reicht, völlig deckt, die Papille aber frei lässt oder doch
nur theilweise überkleidet. Sehr selten umgibt ein solcher Fleck ringsum den
Sehnerveneintritt, meistens beschränkt er sich auf Theile des Umfang es , ist dann
Fig. 31.
J^-r
K
A
aber auch bisweilen doppelt (Fig. 31)
oder mehrfach. Niemals verfolgt er
die Richtung gegen die Macula lutea.
Die Gefässe streichen bald frei über
die Oberfläche desselben hinweg,
bald tauchen sie mehr oder weniger / , ^
tief in denselben ein und erscheinen ^- ' / .^ -:^
daher streckenweise verschleiert oder /^^-^
gänzlich unterbrochen. Die Ursache / , ' ^ '""^^^^
dieser Anomalie ist, dass die Ner- /
venfasern ihre Markscheide, welche
sie beim Eintritte in die Siebmem-
bran zu verlieren pflegen, in ein-
zelnen Fällen uneder geiuinnen, nach-
dem sie von der Papille in die Netz-
haut übergegangen sind, oder über-
haupt erst in letzterer durchsichtig
werden (H. Müller). Es bedingen
derlei Zustände nur bei sehr bedeu-
tender Ausdehnung eine amaurotische
Gesichtsschioäche , meistens veran-
lassen sie blos eine Vergrösserung
des blinden Fleckes (0. Becker, Blhiitz), und dieses zwar aus dem Grunde, weil die
trüben Nervenfasern die lichtempfindenden Elemente der Stabschichte decken und
182 Netzhaut; Augenspiegelbild; Reflexphaenomene ; Macula lutea; Senile Veränderungen.
sonacli die Entwerfuug von Objectbilderu auf diesem Stratum, so weit sie reiclieu,
unmöglich machen. Jenseits der Grenzen des trüben Fleckes functionirt die Netz-
haut ganz normal. Der Zustand ist immer angehören. Er wurde wiederholt an
Kindern, darunter bei zwei Schwestern, bisher aber noch niemals bei Neugeborenen
beobachtet ( MauthnerJ.
In seltenen Fällen sieht man im Bereiche der Netzhaut eigenthümliche
Reflexe, welche bisher eine befriedigende Erklärung nicht zulassen. Es sind bald
schlangenartige Lichtstreifen, welche sich an der Seite der Gefässe hinziehen und
bei den Bewegungen des Sjiiegels von einer Stelle zur andern hinüberspringen,
streckenweise ein Gefäss auch wohl gänzlich decken (Schirmer); bald sind es je
nach der Stellung des Spiegels an Umfang und Form wechselnde silbei-artig
blinkende Flächen mit dunkleren Schatten, welche mit Eisblumen verglichen wurden
(Schirmer) und ganz das Ansehen haben, als kämen sie von einer unregelmässig
gefalteten Spiegelplatte. Sie werden ausschliesslich nur in der Gegend der Macula
lutea und zwar vornehmlich bei dunkel pigmentirtem Augengrunde gefunden.
Die Macula lutea ist in der Äegel nur schwierig oder gar nicht
objectiv wahrzunehmen. Doch sind die Gefössarmuth ihrer nächsten Um-
gebung sowie die bekannte Lage derselben: etwas unter dem horizontalen
Durchmesser des Augengrundes und fast um den doppelten Diameter der
Papille von deren Grenze nach aussen, genug Anhaltspunkte, um dieselbe
in das Gesichtsfeld zu bringen. Häufig indessen, besonders bei Kurz-
sichtigen, markirt sich dieselbe sehr deutlich als kleines hell gefärbtes
Grübchen, welches das Licht in eigenthümlicher Weise reflectirt (Coccius)
und gewöhnlich von einem bräunlichen (Fig. -A, P) oder, bei sonst sehr
hellem Äugengrunde, dunkelrothen Flecke umsäumt wird. Es ist dieser
Fleck bald rundlich, bald unregelmässig geformt, von grösserem oder
geringerem Durchmesser und kann bei blutrother Färbung leicht mit
einem Extravasate verwechselt werden. 8eine Grenzen sind meistens
verwaschen. Li einzelnen Fällen jedoch erscheint derselbe als eine quer
oder schräg gelagerte Ellipse, deren Eand entweder theilweise und je nach
der Spiegelstellung an dieser oder jener Seite (Fig. 31, 32), oder ringsum
von einer hellglänzenden Linie umsäumt wird (Schelske, Schweiyger, Cocckis,
Ed. Jaeger).
Senile Veränderungen. Diese betreffen hauptsächlich das bindege-
webige Hüll- und Stützwerk. Die Stützfasern werden durch molekularen
Detritus trübe vtnd geben der Netzhaut, wenn sie von der vorderen Fläche
aus betrachtet wird, ein marmorirles Aussehen, was besonders am Cadaver-
auge deutlich hervortritt.
Auch findet man bei Greisen fast immer durchscheinende, das Licht stark
brechende, choloide und amyloide, kugelige Massen. Dieselben häufen sich bis-
weilen derart und sind so mächtig, dass die Netzhaut schon für das freie und für
das mit dem Ophthalmoskop bewaffnete Auge weiss getüpfelt erscheint. Sie sitzen
vorzugsweise in der Nervenfaserschichte, kommen übrigens auch in dem bindege-
webigen Gerüste des Opticiis vor und sind sclerosirte Bindegeweliskörjjer , theilweise
vielleicht auch sclerosirte nervige Elemente. Die Limitans retinae wird dabei in der
Kegel ebenfalls trübe durch Anlagerung organischer Massen, welche sich öfters zu
mannigfaltigen Figuren aggregiren. Ausserdem stösst man bisweilen auf atheroma-
töse Gefässe (Wedl). Besonders in der Nähe der Papille und an der Peripherie
der Netzhaut sind verfettigte und zum Theile auch mit Kalkkörnchen dicht besetzte
Gefässchen und Capillaren nichts seltenes und scheinen mit dem bei Greisen sehr
gewöhnlichen Oedema retinae und der senilen Cataracta in pathogenetischem Zu-
sammenhange zu stehen (Iivanoff).
Es ist wahrscheinlich, dass jene Alterationen im Zusammenhange
stehen mit der Abnahme der Sehschärfe , welche bei sehr alten Leuten
bisweüen nachzuweisen ist. Unzweifelhaft wirkt dabei aber auch die
Nosologie; Eulzuinluui,'. 183
Atrophie dos Pi<;iniMitßtratums, die choloido Degeneration der Uvcalgrenz-
haut und der dadurcli biMÜngtc stärkere Lichtrcüex des Aiigcngrundes mit.
Nosologie. Der entzündliche Process geht wohl immer von dem
bindegewebigen Gerüste der N'i'tzhaut aixs. Er liefert wechselnde Mengen
eines Produofes, welches zumeist als Infiltrat zwischen und in dem (lefügc
der Membran abgelagert erscheint, oft aber auch theilweise unter der Form
eines Exsudates an einer oder beiden Oberflächen der Iletina sich sammelt.
Es setzt sich dasselbe zusammen aus einer sulzartlgen gerinnbaren Orund-
lage und aus neoplastischen Zellen, welche je nach dem Charakter der
Entzündung qualitativ und (|uautitativ sehr beträchtlich wechseln. Die
Elemente der Netzhaut selbst werden dabei in mannigfaltiger Weise ver-
ändert. Das bindegewebige Gerüste und die Gefässwandungen werden häufig
theilweise hypertrophirt ; öfter aber, namentlich bei grosser Intensität des
Processes , wird die Bindesubstanz durch Verfettung geschädigt und kann
aucli ganz aiifgelöst werden. Die Bindegeioebszellen, soweit sie nicht in
der entzündlichen Wucherung aufgehen , pÜegen sich theilweise in Fett-
k'örnchenkugeln umzuwandeln, theilweise aber zu sclerosiren, in choloide
und amyloide Massen überzugehen. Die nervigen Elemente können lange
ihre Integrität bewahren und pflegen ihre Theilnahme an dem entzünd-
lichen Processe durch Sclerose und durch Verfettung zu bekunden {H. Müller,
Schweigger, Wedl).
Die sulzähnliche Grundlage des entzündlichen Productes ist anfangs fast homogen,
oder clocli nur fein molekulirt , t)-üht sich aber allinälig durch Ausscheidung von
FeUkornchen. Bisweilen gerinnt sie vielleicht schon während des Lebens; jedenfalls
kann sie am Cadaverauge unter dem Einfluss erhärtender Flüssigkeiten coagulirt
werden und stellt sich dann in der Gestalt eines opaken weissgrauen Faserfilzes
dar, welcher sich zwischen die Elemente der Netzhaut hineindrängt und dieselben
auseinander treibt. Man findet sie gewöhnlich in sämmtUchen Schichten der Netzhaut;
am meisten jedoch pflegt sich davon in den Körnei-schichten zu sammeln. Die
Schlängelungen der Gefässe in ax;f- und absteigender meridionaler Richtung, welche
man bei Netzhautentzündungen an den Gelassen so häufig beobachtet, deuten mit
Bestimmtheit darauf hin, dass diese Infiltrationen des Gefüges nicht immer gleich-
massige sind, sondern die Oberfläche der ßetina buckelig emporheben.
Der fettige Zerfall des Fasergerüsles wird vornehmlich in der Bindesubstanz
der Körnei-scliicJiten beobachtet, während das Gerüste der inneren Nefzhautschichfen
öfter, und besonders bei längerem Bestände chronischer Entzündung, hypertrophirt
gefunden wird. Die hypertrophirenden Stützfasern nehmen beträchtlich an Volum zu,
jedes einzelne Faserelement wird dicker und stärker liclitbrechend, die Gesammt-
masse des Gerüstes also auch trüber, so zwar, dass die in den inneren Netzhaut-
schichten streichenden Gefässstämme schleierartig verhüllt werden. Die Trübung
wird übrigens noch bedeutend gesteigert durch Einwanderung von lymphoiden Zellen
und durch die gleichzeitigen Veränderungen der Bindegewehskerne. Diese schwellen
auf, ihr Inhalt wird durch Niederschläge molekularer fettiger Massen trüb und sie
beginnen zu wuchern. Weiterhin pflegt ein grosser Theil dieser Elemente sich in
Fettköryierkugeln umzuwandeln, während ein anderer Theil sclei-osirt, sich in resi-
stente, stark opalisirende, kernhaltige und oft auch leicht granulirte, choloide und
amyloide Körper metamorphosirt. Sowohl die Fettkörnerkugeln als die choloiden
Körper stehen bald discref, Ijald in Haufen gruppirt in und zwischen den Stütz-
fasern, und die ersteren verursachen, wenn sie nesterartig zusammengedrängt sind,
öfters das oben erwähnte getüpfelte Aussehen der Netzhaut. Am reichlichsten pflegen
die Fettkörnerkugeln und die choloiden Körper in den Körnerstratis und dann in
der Nervenfaserschichte vertreten zu sein, ja sie finden sich hier häufig in so grosser
Menge, dass sie unmöglich blos aus der Umwandlung präexistenter Elemente abge-
leitet werden können, sondern die Annahme einer vorgängigen Zellenvermehrung
und der späteren Metamorphose neugebildeter zelliger Elemente zur Nothwendigkeit
machen. In der That erscheinen manchmal massenhaft neoplastische, zum Theil
134 Neurodictyitis ; Nosologie; Perivasculitis.
noch in Prolification begriffene Lymphkörper eingelagert in (Jas Fasergerüste, während
die Fettkörnchenkugeln und die choloiden Körper an Zahl bedeutend zurücktreten.
In einzelnen Fällen hat man sogar Haufen schön entwickelter spindeliger oder kol-
biger KernzeUen und die Anfänge neoplastischer bindegewebiger Intercellularsuhstanz
in dem Gerüste der Netzhaut gefunden. Mitunter ist die Neubildung noch weiter
gediehen, es wachsen ganze Bündel völlig entwickelten kernbesetzten, bisweilen
vascularisirten Bindegewebes in das Äderhauttapet (Pope), oder was weitaus häufiger
geschieht, in den Glaskörper (S. 157J hinein. Dei'lei Ansammlungen neoplastischer
Kerne oder Zellen scheinen meisthin den oben erwähnten marmorirten Zeichnungen
der entzündeten Netzhaut zu Grunde zu liegen.
Die nervigeii Elemente widerstehen, wie gesagt, oft ziemlich lange, oder trüben
sich einfach durch fettige Niederschläge, ohne damit die Fähigkeit der Wiederher-
Stellung der normalen Functionstüchtigkeit einzubüssen. Am Ende jedoch werden
sie wenigstens theilweise durch Verfettigung oder Sclerose ihres nervösen Charakters
verlustig. VerfeUigende Nervenröhren schwellen öfters merklich avif und verursachen,
wenn ihre Zahl eine bedeutende ist, nicht selten eine ganz deutliche gestrichelte
Zeichnung in den betreffenden Netzhauttheilen. In verfettigenden Ganglienzellen
findet man statt des Kernes ein oder zwei matt glänzende Fetttropfen, oder es
ist gar der ganze Zelleninhalt in eine feinkörnige Masse umgewandelt und auch
die Fortsätze derselben erscheinen durch eine ähnliche krümliche Masse vaiücös
aufgebläht. Die Körner und die Elemente der Stabschichte pflegen sich am längsten
zu erhalten, können am Ende jedoch auch verfettigen. Die Sclerose wird vornehmlich
an den Nervenröhren beobachtet; von den übrigen nervigen Gebilden ist es noch
gar nicht sicher gestellt, sondern nur sehr loahrscheinlich, dass sie theilweise scle-
rosiren, sieh in choloide Körper umwandeln können (Iwanoff, Klebs). Sclerosirende
Nervenröhren zeigen sich streckenweise spindelig aufgetrieben, varicös, fein mole-
kulirt und stärker lichtbrechenfl. Einzelne der varicösen Anschwellungen entwickeln
sich rasch zu beträchtlichem Volum und gewinnen allmälig das Ansehen der cho-
loiden Körper, besonders wenn die sie verbindenden Nervenröhrenstücke degeneriren
oder gar völlig zu Grunde gehen vind die sclerosirten Knoten dann isolirt erscheinen.
In einem Falle war die Entwickelung solcher choloider Massen schon siebzehn
Stunden nach Einwirkung des die Entzündung veranlassenden Trauma's sehr weit
gediehen (Berlin). Man hat daher guten Grund, die choloide Entartung unter solchen
Verhältnissen von jener zu trennen, welche bei progressivem Schwund beobachtet
wird, und sie vielmehr als Ausdruck einer Art IJypertro2jliie zu betrachten.
Die Gefässe erleiden in ihren Wandungen ähnliche Veränderungen, wie das
Fasergerüste der Netzhaut. Besonders die feineren Aestchen pflegen stellenweise zu
verfettigen. Theilweise sclerosiien sie wohl auch, ihre Wandungen erscheinen verdickt
durch eine derbe, stark lichtbrechende Substanz, welche auch in das Lumen sich
ergiesst und dieses verengert, hier und da sich übrigens auch zu Knoten oder
Scheiben zusammenhäuft, welche nach allen ihren Eigenschaften den choloiden
Körpern des Bindegewebes entsprechen (Virchow). Die Adventitialschichte der Gefässe
hypertrophirt sehr gewöhnlich und zwar an den grösseren Stämmchen oft in sehr
bedeutendem Grade, so dass dieselbe nicht nur sehr beträchtlich verdickt, sondern
überdies noch mit neoplastischen bindegewebigen Anhängseln besetzt erscheint,
welche bald das Aussehen papillöser Auswüchse haben, bald dem flügeiförmigen
Besätze mancher Püanzenstengel ähneln (WedlJ. Die zugehörigen Kerne zeigen sich
oft in üppiger Wucherung begriffen, ja nicht selten findet man ganze Kettenreihen
neojilastischer Kerne eingelagert. Das Epithel der inneren Rohrlichtung nimmt an
der Prolification Antheil (Iwanoß).
In einzelnen Fällen überwiegt die Wucherung der Gefässwände ]e,n& des binde-
gewebigen Stützwei-kes in besonders auffälligem Grade, so dass die grösseren Aeste
und Stämmchen der Centraladern als weissliche Stränge aus dem entzündlich getrübten
Netzhautgefüge sehr deutlich hervorstechen (Perivasculitis retinae, Iwanoff, Nagel).
Die Betheiligung der Gefiisswände ist ein Hauptgrund des überaus
häufigen Vorkommens von haemorrhagischen Extravasaten in entzündeten
Netzhäuten. Es erreichen diese Ergüsse meisthin nur einen geringen
Umfang , da die hämo dynamischen Verhältnisse im Binnenraume des Aug-
apfels den massenhaften Austritt von Blut aus einzelnen Gefässrissen
erschweren. Dafür sind sie oft recht zahlreich. Sie sitzen gemeiniglich in
Blutextra vasate ; diffuse und exsudative Netzhautentzündung. 185
den inneren Schichten der Netzhaut, drinp;en jedoch unter dem Drucke
der nachrückenden Bhitsäule nicht selten in den Maschen des bindege-
webigen Gerüstes weiter und werden dann in ihren äusseren Umrissen
von dem Fachwerko gemodelt, erscheinen säulenförmig im Bereiche der
Stützfasern, gestrichelt im Bereiche der Papille, rund in der Ganglienzellen-
sehiehte u. s. w. (Heymann, Schneller). Selten zertrümmern sie das' Gefüge und
gelangen bis in die Zwischenkörnerschichte oder zwischen Netzhaut und Ader-
haut, oder treten anderseits in den Glaskörper aus (S. 159). Sie pflegen, wenn
sie nicht sehr massig sind, unter günstigen Verhältnissen bald aufgesaugt zu
werden. Doch gehen sie bisweilen auch ständige Formen ein, zersetzen sich,
indem sie ihre Farbe ins Purpurne oder Rostbraune wechseln, in eine
körnige Masse, in welcher man oft noch spät nekrotische Blutkörperchen.
und mitunter auch Hämatinkrystalle erkennen kann.
Das häufige Auftreten von Extravasaten bei Netzhautentzündung
hat aber noch einen anderen Grund, nämlich die Ansclnoellung des Nerven-
kopfes und die damit gesetzte Stauung des venösen Rückflusses. Es be-
schränkt sich eben ein in der Netzhaut verlaufender Entzündungsprocess
nur ausnahmsweise auf die Eetina als solche, in der Regel greift er auf
die Papille des Nerven über, ohne jedoch die Siebmembran jemals zu
überschreiten (Iwanqff) ; während anderseits wieder eine Neuritis sich nur
sehr selten an der Papille abgrenzt, ohne auf die Netzhaut fortzuschreiten.
Es handelt sich demnach meisthin nicht sowohl um eine Retinitis im
engeren Wortsinne als vielmehr um eine Neurodictyitis.
Das anatomische Bild des Processes ist übrigens keineswegs immer
ein gleiches , sondern ändert in seinen einzelnen Zügen sehr wesentlich
ab. Man unterscheidet auf Grundlage der Diff'erenzen mehrere Arten der
Neurodictyitis , welche jedoch durch zahlreiche Uebergangsformen viel-
fältig mit einander zusammenhängen.
1. Sind die inneren Schichten vorzugsweise ergriffen, so geJit ge-
wöhnlich eine sehr ausgesprochene Hyalitis nebenher, die Aderhaut hin-
gegen und das Tapet pflegen in reinen Fällen ihre Integrität zu bewahren
oder doch erst spät an dem Processe Antheil zu nehmen. Man beschreibt
diese Fälle unter dem Namen der Neurodictyitis diffusa.
2. Wo der entzündliche Process sich mehr in den äusseren Stratis
der Netzhaut concentrirt, dort leidet constant das Tapet in sehr auffälliger
Weise mit. Man findet dasselbe dann in verkümmertem Zustande , vergilbt
und oft ganz zerworfen, ja streckenweise fehlt es ganz. Einzelne Zellen-
gruppen werden jedoch gewöhnlich in den Wucherunysprocess einbezogen,
vermehren sich durch Neubildung und häufen sich zu Klumpen, wachsen
theilweise in die entzündlich gelockerte Netzhaut hinein und regen in
dieser andere neoplastische Zellen zur Pigmentbildung an. Die Vermittler
dieses innigeren Rapportes zwischen Netzhaut und Tapet sind zum Theile
bindegewebige Auswüchse des musivischen Stroma, welche zwischen die
Pigmentzellen hineinwuchern (Junge, Pope, Iwanoff, Rudnew), hauptsäcliHch
aber eine auf die äussere Netzhautoberfläche ausgeschwitzte Lage sulzähnlichen
gerinnungsfähigen Productes, welches die Retina und die Aderhaut mit einan-
der verklebt und einen exsudirten Theil des entzündlichen Infiltrates darstellt.
Es erscheint dasselbe bald homogen oder höchstens feinkörnig, bald streifig
oder undeutlich faserig. Es enthält gewöhnlich nur geringe Mengen zelliger Ge-
bilde. Mitunter verzweigen sich darin einzelne neugebildete Gefässe (Sämisch),
186 Nem-odiclyitis ; Nosologie; Exsudative rormeii.
welche mit denen der Netzhaut zusammenzuhängen scheinen und wahrscheinlich
mit den bindegewebigen Auswüchsen dahin gedrungen sind.
Die Exsudatschichte ist oft ziemlich gleichmässig über die ganze Ober-
fläche der Netzhaut verbreitet, die Aiilöthung der Eetina an die Chorioidea
und die Alteration des Tapetes erstrecken sich über die gesammte Aus-
dehnung der genannten Organe. Es werden solche Fälle, obgleich sie
eine exsudative Form der Neurodictyitis repräsentiren, fast durchwegs noch
der diffusen Netzhautentzündung beigezählt, da die ihr charakteristischen
Veränderungen während des entzündlichen Stadiums am Lebenden durch
die starke Trübung der Retina und des Glaskörpers verdeckt werden, das
Krankheitsbild beider, übrigens verwandten Arten also nahe übereinstimmt
und sich erst in späteren Perioden verschieden gestaltet, wenn die getrübten
Theile sich aufzuhellen beginnen und fortschreitende Atrophie an die
Stelle des Wiiclierungxprocesses getreten ist.
In anderen Fällen häuft sich das Exsudat vorzugsweise an einzelnen
Stellen der liinteren Netzhautoberfläche, oder es kömmt Mos streckenweise
zu einer wirklichen Ausschwitzung, während die diffus entzündete Netz-
haut im Uebrigen keine Verbindung mit der Chorioidea eingeht; ja gar
nicht selten tritt der ganze Process überhaupt nur herdweise auf und der
Rest der Retina und des Tapetes verharrt in einem der Norm nahestehen-
den Zustande oder leidet doch nur in geringem Masse mit. Es bilden
diese ausgeschwitzten Producte meistens ziemlich dicke und oft auch selir
umfangreiche Fladen mit mehr oder weniger scharfen Grenzen. Vermöge
ihrer Opacität und helleren Färbung stechen sie aus der umgebenden
Trübung stark heraus und lassen die Netzhaut, wenn sie mächtiger sind,
in ihrem Bereiche etwas vorgetrieben erscheinen. In späteren Stadien,
wenn ein Theil des exsudirten und in die Netzhaut infiUrirten Productes
der Resorption anheimgefallen und der Rest in der Schrumpfung vorge-
schritten ist, stellen sie sich in Gestalt höchst charakteristischer, häufig
figurirter Flecke dar, deren intensiv helle Grundfarbe und die oft massige
Einlagerung tief dunkler Pigmentklumpen die oben erwähnten Tapet-
alterationen in der auftalligstcn Weise zur Wahrnehmung bringen. Sie
sitzen am gewöhnlichsten in der Gegend der Macula lutea, wo che Ver-
bindung der Retina und Chorioidea schon in der Norm eine innigere ist.
Auf diese Form passt vornehmlich der Name Neurodictyitis exstidativa.
Wo die inneren Schichten der Netzhaut in aus()esprochenem Grade
mitleiden, zeigt sich meisthin auch der Glaskörper entzündlich getrübt.
Die Aderhaut als solche kann an dem Wucherungsprocesse Antheil nehmen,
tliut dies aber nicht nothwendig (Sämisch) und wenn, so gewöhnlich in
minder auffälliger Weise. Später aber kömmt es im Bereiche der
Exsudatherde stets zur Atrophie der Choriocapillaris und der Vasculosa.
Doch stösst man hier und da auch auf Fälle , avo das Product gleich
ursprünglich innerhalb des eigentlichen Aderha%itparenchyines in knotenähnlichen
Massen oder in flächenartig ausgebreiteten Fladen mit meist rundlichen
Umrissen und scharfen , gewöhnlich wulstähnlich aufgeworfenen Rändern
abgelagert wird. Man überzeugte sich , dass diese Herde weiterhin die
Grenzhaut der Chorioidea durchbrechen, mit der Aussenfläche der Netz-
haut in Berührung kommen und, indem sie letztere in den AVucherungs-
process mitverwickeln, in deren Gefüge eindringen (Förster, Iivanof). Es
rechtfertigen die erwähnten Zustände der Aderhaut einigermassen den der
Kotinochorioiditis ; areolaiv und ut■^llll■itiscUo Form. 187
ganzen Krankheitsgruppe /ra/ter beigemessenen Namen einer Retinochorioiditis
oder Chorioiditis exsudativa.
Die Icnotlfjen Einlarjerungen im Aderhanfgefiye erwiescu sich tlieils als Haufen
wuchernder Zellen spindeligcr Form; theils als Aggregate verzweigter, vielfach
anastomosirender und stark jiigmentirtor Stränge, welclie zum Theile degencrirte
lUntgefilsse der Vasculosa, zum Theile neugebildcte Kernmassen waren. Es lagerten
diese Gebilde in einer schwach faserstreifigen Grundlage, welche mit zahlreichen
Choloidlvugeln und pigmentlosen Kernen durchstreut war. Hier und da jedoch
häuften sich die pigmentirten Massen auch in der Art, dass die Grundlage ganz
verschwand und mächtige, fast solide, über die Oberfläche der Aderliaut etwas
emporragende Fiymenthlumpen dargestellt wurden. In einem Falle fand man der-
artige Einlagerungen aus einem durchsichtigen, feinfaseiügen, weitmaschigen und
ganz farblosen Gewebe bestehend, welches sich von dem umgebenden , wenig ver-
änderten Aderhautgefüge sehr scharf absetzte. Es Hess dieses Gewebe ansehnliche
Lücken zwischen sich, welche von einer formlosen Masse, spärlichen kernähnliehen
Gebilden und wahren Kernzellen ausgefüllt wurden. Die Elemente der Aderhaut
waren im Bereiche dieser Herde völlig untergegangen. An der Oberfläche der
pigmentlosen Knoten unterschied mau deutlich ein Stratum wuchernder, sehr stark
und dunkel pigmentirter Keruzellen. Die Netzhaut schien durch fasei'ige Fortsätze
mit der Neubildung zusammenzuhängen und war, da die untersuchten Fälle
sämmtlich schon sehr veraltet waren, stark atrophirt (Förster).
Es sind dermalen noch zu wenig genaue Untersuchungen angestellt worden,
als dass sich mit Bestimmtheit darüber entscheiden Hesse, ob die im Obigen ange-
führten Unterschiede blos Vai'ianten eines und desselben krankhaften Vorjraneres
oder essentiel differente Processe charakterisiren. Im Ganzen scheint man sich auf
Seite der letzteren Ansicht zu neigen , ja Manche stellen bereits die Fälle der
ersteren Art als „Retinitis circumscripta'* denen der zweiten Art, der „Chorioiditis
areolaris"' gegenüber, indem sie meinen, dass bei der Ersteren die Affection der
Netzhaut, bei den Letzteren das Chorioidalleiden überwiegend sei (S'dmisch). Doch
sprechen die nahen Beziehungen, welche gerade die Areolen zu den Gefässen der
Netzhaut in manchen Fällen erkennen lassen (Nagel, Förstej-) , mehr für die Retina
als Ausgangspunkt des Leidens. Sicherlich handelt es sich eben nur um ein Mehr
oder Weniger und das Vorkommen zahlreicher Uebergangsfor"nien lässt bisher das
Zusammenfassen beider Arten ganz gut rechtfertigen.
3. Bei einer weiteren Eorm der Netzhautentziindung, welche an
den Bestand der BrigMschen oder verwandter Nierenkrankheiten gebunden
ist und darum als nephritische Netzhautentzündung beschrieben wird, sammeln
sich grosse Mengen eines meistens rasch verfettigenden Entzündungs2)roductes
in der hinteren Hälfte der Eetina sowie im Nervenkopfe und machen die-
selben oft beträchtlich anschwellen. jS'ebenher geht immer eine starke
Blutüberfülhmg, wenigstens in den Veiien. Auch sind streifige oder Hecken-
artige Extravasate im Bereich der Productherde eine constante Erscheinung.
Der mikroskopische Befund ist von dem der vorigen Arten der Dictyitis
nicht wesentlich verschieden, das Charakteristische liegt eben nur in der enormen
ganglienzellenartigen Hi/pertrophie (Sclerose) der Nervenfasern, in der choloide'n
Entartung der retinalen Gefässiv'cmde und weiters in den massigen Productan-
häifungen, welche zumeist als Infiltrat, theilweise aber auch nicht selten als
Exsudat zwischen Netz- und Aderhaut erscheinen, die beiden letzteren Membranen
streckenweise mit einander verkleben und die der exsudativen Form der Netzhaut-
entzündung charakteristischen Veränderungen des Tapetes im Gefolge haben. Im
Glaskörper wurden nebenl)ei öfters fibrinöse Gerinnsel und wuchernde Zellen
gesehen. Die Aderhaut erwies sich serös durchfeiTchtet und in ihrem Gefüge
gelockert; die Bindegewebszellen ihres Stromas erschienen aufgequollen, getrübt,
zum Theile in choloide Körper umgewandelt; die zarteren Gefässe, namentlich die
Netze der Choriocap)illaris, waren durch eine stark lichtbrechende Substanz in
ihren Wandungen verdickt, in ihren Lichtungen aber verengert oder ganz verstopft,
sclerosirt, participirten also an einer Degeneration, welche nach neueren Un-
tersuchungen über alle kleineren Gefässe des Körpers ausgebreitet sein soll und
von Manchen als der eigentliche Mitfeljyunkt des Brightschen Leidens gehalten
188 Netirodictyitis ; Nosologie; Snppurative Form.
wird {Kussmaul, R. Meyer). Die Grenzhaut der Chorioidea zeigte sich normal oder
mit cboloiden Massen besetzt (Virchow, H. Müller, ZenTcer, Schweigger).
4. Bei einer vierten Form der Dictyitis, welche mau mit dem Namen
der eiterigen, supptirativen, beziehungsweise wohl auch tuberkulösen, belegen
kann, erscheint die Netzhaut sammt der Papille in ihrer grössten oder
vollen Ausdehnung Anfangs in sehr autfälliger Weise weissgelb getrübt
und hyperämirt; später aber wird sie ganz opak, eitergelb, von ähnlichen
Extravasaten wie bei der früheren Form durchsetzt, quillt auf, nimmt
bedeutend an Dicke zu, wird dabei auch lockerer und zerfällt wohl gar
stellenweise in eine eiterige Masse , während gleichzeitig eiteriges Product
sich an einer oder beiden Oberflächen sammelt ; oder es häuft sich das
Product zu tuberkelähnlichen Geschwülsten, welche weiterhin schmelzen. Die
Gefässe werden von den Entzündungsproducten meistens ganz verdeckt
und zum Theile wohl auch comprimirt. In vielen Fällen erscheinen ein-
zelne Stämme oder Aeste von eiterigen Producten wurstähnHch gefüllt und
stark ausgedehnt (Wedl, C. Ritter, Nagel). Jedenfalls ist in den Venen
die Zahl von weissen Blutkörperchen auffallend vermehrt (Iwanoff).
Auch bei der eitrigen Form der Netzhautentznndung findet sich jene sulz-
ähnliche gei'innbare Substanz als Grundlage des Productes. Sie ist immer sehr trüb
von fettigem Detritus. Der charakteristische Bestandtheil des Productes sind im All-
gemeinen Eiterkörper. Man hat sie in einzelnen Fällen blos in der Nervenfaxer-
schichte gesehen, wo sie sich dicht an einander drängten, während die ührigen
Strata die Merkmale einer diffusen, iiicht eitrigen Entzündung darboten und dann
auch wohl von geronnenem fettigen Producte durchdrungen erschienen. In der
Eegel jedoch zeigen sich die Eiterkörper allenthalben im Inneren des sulzig auf-
gequollenen Gefüges und in den an den freien Oherßächen abgesetzten Exsudaten.
Sie überwiegen gewöhnlich sogar an Masse in dem Grade, dass sie alles andere
förmlich decken. Neben ihnen erscheinen oft Fetlkörnchenkugeln, selten grössere
Mengen choloider Körper. Die nervigen Elemente und das Fasergerüste leiden immer
schon sehr frühzeitig durch Verfettigiing und pflegen auch rasch zu zerfallen. Von
den nervigen Elementen gehen besonders leicht die Nervenröhren und die Ganglien-
zellen unter, während die Körner und die Elemente der Stabschichte sich öfters
einige Zeit lang erhalten , oder höchstens trüb werden und mei-klich aufschwellen.
Bei sehr intensiven suppurativen Netzhautentzündungen, besonders bei der
ttiberkulosen Form erscheint die Netzhaut ihrer ganzen Ausdehnung nach oder
streckenweise verwandelt in eine mehr minder dichte Masse von eitrigem oder
käsigem Aussehen, deren Hauptbestandtheile fettiger Detritus und eine Unzahl ver-
fettigender, unregelmässig geformter Kerrie sind.
Die suppurativa Netzhautentzündung zeigt sich fast immer neben
massenhaften Eiterablagerungen in der Aderhaut und dem Glaskörper, sie
ist der E-egel nach nur eine Theiler scheinung der Chorioiditis , oder besser,
der PanOphthalmitis suppurativa. Nur sehr ausnahmsweise, und dann ge-
meiniglich in Folge eitriger Embolie einzelner Netzhautgefässstämme (Virchow,
Nagel), tritt die Dictyitis suppurativa primär und in reiner Form auf. Sie
zeichnet sich immer durch sehr acuten Verlauf und reichliche Production
aus. Schon binnen wenigen Tagen pflegt die von vorneherein fast oder
ganz erblindete Netzhaut in grossem Umfange oder der ganzen Ausdehnung
nach von eiterigen Producten mächtig aufgetrieben und bedeckt zu sein.
Alsbald participiren dann die übrigen Bulbusorgane und der Augapfel
geht unter den Erscheinungen der Pauophthalmitis atrophisch oder phthisisch
zu Grunde (Siehe Chorioiditis suppurativa).
5. Ganz eigenthümliche Veränderungen erleidet die Netzhaut in manchen
Fällen von Leukämie durch den massenhaften Austritt icei-sser und rother Bhitköi-perchen
aus den congestionirteu Gefässen (Liehreich, 0. Becker, Simon, Säm,isch, Leber). Es
Retinitis leucaemica; Centrale recidivirende Retinitis. 189
sammeln sich diese I51utlvöri)erchen {rewöliiilich an einzelnen Stellen, und zwar nach
den hislierig-en Erfahrungen besonders an der Pcrqyherie der Netzhaut und in der
Gegend der Macula lutea, zu kleineren oder grösseren, meistens rundliciien, leicht
erhabenen Herden von weissgelblicher Farhe, welche in der Regel, aber nicht immer,
von einem Kranze blassvioletter hämorrhagischer Tüpfel umsäumt sind. Die kleineren
Herde liegen vornehmlich in den inneren Netzhautschichten, besonders in der N(U'ven-
faserscliichte ; die grösseren hingegen durchsetzen die Ketina genjciniglich ihrer ganzen
Dicke nach. Die angehäuften Blutkörperchen verdrängen daselbst die normalen
Elemente mehr oder weniger vollständig. Ina Uebrigen erscheint die Netzhaut
ödeniatös, zart getrübt, das Bindegeicehe derselben etwas hypertrophirt, in den
inneren Körnerschichten und in der Papille bisweilen von Kernanhäufungen leicht
aufgetrieben und stellenweise von blassvioletten hämorrhagischen Extravasaten
durchstreut. Die Qef'dsse sind, besonders in der Papillengegend, sehr erweitert, von
hell ziegelrothem Blute gefüllt, und ihre Adventitia von dem reichen Gehalte aus-
getretener weisser Blutkörperchen mächtig verdickt. Eine Hypertroplne der Nerven-
elemente ist bisher nur einmal beobachtet worden (Recklinghausen) -^ in den andern
Fällen fehlte sie gleich wie jede Spur von Verfettigung, während diese doch sonst
bei entzündlichen Zuständen der Netzhaut sehr frühzeitig hervorzutreten pflegt;
daher denn aiich der Zweifel gerechtfertigt ist, ob der Zustand als Entzündimg im
engern Wortsinne aufzufassen und diese, wo sie sich wirklich manifestirt, nicht etwa
als eine secundäi-e, hinzugekommene zu betrachten sei (Leher). Nebenbei fand man
flockige Glaskörpertr Übungen und in einem Falle partielle Verfettung des Opticus-
stavimes. Uebrigens wurde die Entwicklung leukämischer- Oeschioülste auch in der
Uvea beobachtet. Der Zustand offenbarte sich durch die Symptome einer apoplec-
tischen Iridochorioiditis mit colossaler Ausdehnung der Gefässe und massenhaftem
Austritte rother und weisser Blutkörperchen in das Gefüge der Aderhaut, Netzhaut
und des Glaskörpers. Er hatte zur Wucherung und streckenweisen Atrophie des
Tapetes und der Netzhaut sowie zum Verschlusse der Pupille geführt (Sämisch).
Der Vei-lauf des Leidens war nach den bisherigen Beobachtungen ein clironischer
und insofern wechselvoller, als die leukämischen Herde wiederholt schwanden und
sich abermals bildeten. Ojjhthalmoscopisch kennzeichnete sich die Retinitis leucae-
mica durch eine höchst auflallige orangegelbe Färbung und leichte schleierähnliche
Trübling des Augengrundes, durch Verwischung der Papillengrenzen, durch Ver-
schmälerung der Arterien, welche blassgelb und fast ohne Beimischung von Roth
erschienen ; ferner durch ein sehr markirtes, in's Rosa spielendes Blauroth der stark
erweiterten und geschlängelten, verwaschen contourirten und beiderseits von einem
schmalen bandförmigen weissen Streifen umsäumten Venen. Die leukämischen Herde
zeigten sich als helle weissgelbliche, meist rundliche, etwas erhabene Flecke, die
gewöhnlich von einem Hofe blassvioletter rundlicher Tüpfel umsäumt \n Aren (O.Becker).
Subjectiv äusserte sich das Leiden, so lange es auf die Netzhaut beschränkt war,
durch eine verhältnissmässig geringe Ahnahme der Sehschärfe, daher es auch leiciit
übersehen wird. In einem Falle hatte ein centraler Herd Metamorphopsie begründet,
ohne dass die Perceptionsfähigkeit des gelben Fleckes tief gesunken wäre; man
glaubt daher, dass der leukämische Herd in der Chorioidea gelegen war (0. Becker).
Die Ansicht, dass derlei Herde in den Binnenorganen des Auges ein constantes
V^orkommniss bei Leukämie seien, ist durch neuere Untersuchungen widerlegt
worden (Knapjp), 0. Becker, Simon).
6. Ihrem Wesen nach noch ziemlich dunkel sind gewisse Processe, welche
sich im Bereiche der Macula lutea festsetzen, daselbst ohjectiv sehr auffällige Ver-
änderungen und meistens auch tiefgreifende Störungen der centralen Sehschärfe, ja
völlige Unterbrechungen des Gesichtsfeldes, begründen.
Hierher gehört die sogenannte centrale recidivirende Befinifis (Graefe). Es
charakterisirt sich dieselbe durch dunklere Pigmentirung der wallartig aufgetriebenen
Macula lutea und durch die Entwickeluug einer grossen Menge weisser punkt-
förmiger rundlicher Tüpfel welche die Fovea centralis in concentrischen Kreisen
umgeben, i;nd im Ganzen sehr veränderlich sind, indem sie sich bald vermehren,
bald vermindern und zeitweilig wohl auch ganz verschwinden (Ed. Jaeger,
Maiähner). Subjectiv offenbart sich der Process durch eine plötzlich eintretende
centrale Unterbrechung des Gesichtsfeldes, welche nach einigen Tagen zurückgehen,
sich aber in Intervallen von zwei bis drei Monaten in unbestimmter Anzahl von Reci-
diven wiederholen kann, anfangs völlig freie Intermissionen macht, später aber
unter Fixirung der objectiven Trübung eine Verminderung der centralen Sehschärfe,
190 Neurodictyitis ; Nosologie; Umscliriebeiies Netzliautoedem.
in manchen Fällen auch wohl eine sehr aufFällio-e Metamorphopsie und besonders
Mikropsie, dauernd begründet. Man hält den Process für abhängig von Syphilis.
Wiederholte Schmierkureii sollen sich bei Tilgung desselben am besten bewährt
haben, während Jodkali und Zittmann'sches Decoct weniger entsprachen (GraefeJ.
In einigen Fällen hat man an der Stelle 'des gelben Fleckes mehr minder
grosse, unregelmässig begrenzte, ziemlich intensiv grün gefärbte, nicht erhabene
Placques gesehen, welche mit einem, bisweilen breiten, hellweissen Saume umgeben
waren (Ed. Jaeger, Mmithner).
7. Von \Yichtigkeit sind ferner die diffusen Trübungen in der Gegend der
Macula und Papille, welche sich bei der sogenannten Embolie der Centralgefässe und
bei Ischaemia retinae vorfinden, und von welchen es noch nicht ausgemacht ist, ob
dieselben wirklich der Ausdruck einer wahren Entzündung oder vielmehr nur der
die Atrophie einleitenden Verfettigung sind (siehe Netzhautschwund).
8. Eine besondere Erwähnung verdient das umschriebene Netzhautoedem, d. i.
die Ansammlung eines serösen, an Eiweiss mehr weniger reichen Productes in
meistens sehr zahlreichen kleineren und grösseren Höhlungen. Es wird dieses Oedem
nur äusserst selten, wenn jemals, bei Kindern, dagegen überaus häufig bei Greisen
beobachtet und dies zwar in einem ganz aufiallend hohen proceutarischen Ver-
hältnisse an mit seniler Cataracta behafteten und hypermetropischen Augen. Der ge-
icölinlichste Sitz des Oedems ist die Netzhautperipherie, wo es bald inselförmig auf-
tritt, bald nach Art eines Gürtels sich in wechselnder Breite ausdehnt und wohl
auch auf den Ciliartheil der Eetina übergreift. Es kommt übrigens auch an jedem
beliebigen anderen Punkte der Netzhaut isolirt vor. Es betrifl:'t immer nur die
Körnerschiclden und die sie trennende Zvcischenkörner- oder äussere Faserschichte. Es
beginnt ohne alle Entzüudungserscheinuugen mit kleinen Hohlräumen, meistens in
der äusseren Körnerschichte oder richtiger in der äusseren Faserschichte, wobei die
perpendiculär gerichteten Fasern dieses Stratums auseinander gerückt werden und
hypertrophiren. Wenn das Oedem im aequatorialen Theile der Netzhaut seinen Sitz
hat, so bilden sich in der Mehrzahl der Fälle gleichzeitig oder etwas später solche
Hohlräume auch in der inneren Körnerschichte. Es stehen dann die Hohlräume in
zwei Reihen übereinander, welche durch eine aus der Zwischenköruerschichte und
den Resten der inneren Körnerschichte gebildeten Scheidewand der Fläche nach
von einander getrennt werden. Nach Massgabe des Wachsthums der Hohlräume
wird die Scheidewand, auf welcher sich die jene trennenden Faserbündel zu beiden
Seiten stützen, immer dünner und verschwindet endlich gänzlich, so dass die
Faserbündel der äusseren und inneren Schichte nun von der hypertrophirten
granulirten Schichte bis zur Liniitans externa streichen. AUmälig beginnt dann die
Atro2?hie der Körner in beiden Schichten und gedeihet bald bis zur völligen Vernich-
tung der genannten nervösen Elemente und der Stabschichte, während die übrigen
Strata der Netzhaut, sogar bei weit vorgeschrittener Entwickelung des Processes,
sich vortrefflich zu erhalten pflegen. Nicht immer jedoch bilden sich die Hohlräume
in beiden Schichten so regelmässig aus. Oftmals finden sich dieselben blos in der
äussern Faserschichte oder ausschliesslich in der inneren Köruerschichte.
Die in der äussern Körnerschichte vorkommenden Hohlräume erreichen oft
colossale Dimensionen und erscheinen danrf in Gestalt von Cysten, welche man
früher als Choloidcysten beschrieb und gewiss öfters mit Netzhautahhebungen ver-
wechselt hat. Die geringere Trübung der abgehobenen Portion, die scharfe Um-
grenzung, der oft ganz ungewöhnliche Sitz, das lange Stationärbleiben derselben
und die geringe Neigung zur Senkung mögen als Anhaltspunkte dienen, um beide
Processe, welche übrigens zuweilen combinirt vorkommen, auseinander zu halten.
Ueberhaupt hat das umschriebene Netzliautoedem, trotzdem es ein so häufiger Zu-
stand ist, bisher nur sehr wenig Aufmerksamkeit erregt und ist nur sehr ausnahms-
weise (Mauthner) ophthalmoscopisch nachgewiesen worden. Es erklärt sich dies
zum Theil aus seinem vorzugsweisen Auftreten an der äussersten Peripherie der
Netzhaut und ans dem Umstände, dass es in seinen höheren Entwickelungsgraden
gewöhnlich mit Cataracta vergesellschaftet ist.
Als das j)o,thogenetische Moment des Oedems glaubt man atheromatöse Ent-
artungen und darin begründete Circulationsstörungen in Aen feinsten Netzhaut gefässen
vermuthen und damit zugleich die häufige Combination mit seniler Cataracta er-
klären zu dürfen. So viel steht fest, dass derartige Gcfässdegenerationen beim um-
schriebenen Netzhautoedem ein sehr gewöhnlicher Befund sind. Auch hat man ahn-
Oedema papillae; Blutextravasate. 191
liehe Hohlräume bei Atherom der Netzhcaut.gcfässe bereits wiederholt in der Nerven-
fasersdikhte länji-s der Vonen nach/nvveisoii Gclc!s<'"heit o-ehabt (Iwanoff).
y. Im Bereich der Papille kömmt ein Oedeni vor, welches jedoch uw.hr diffus
ist, sich gerne auf die naclibarliche Zone der Netzhaut verbreitet und ohne; Zweifel
vorwiegend entzündlichen Ursprungs ist. Es bedingt dasselbe eine beträchtliche,
meistens nngleichmässige Vorhauchung des Sehnerveneintrittes, ist gewöhnlich mit
Hypertrophie des bindegewebigen Gerüstes und der Nervenfasern, bisweilen auch
mit starker Anschwellung der Gefässe und mit reichlichen Hämorrhagien verknüpft
(Iwanoff). In einem Falle war ein Theil der Papille durch entzündliches Oedein
in Gestalt einer kolbenförmigen Geschwulst, welche in den Glaskörper hineinragte,
aufgetrieben worden (Alanz).
8. Blutextravasate der Retina und Papille sind stihr gewöhnliche Be-
gleiter der Neurodictyitis und natürliche Folgen von Traumen sowie von
Gefässzerreissungen, welche bei rasch wachsenden hinteren Scleralsta-
phylomen durch Zerrung der Netzhaut im Bereiche der Macula lutea
gesetzt werden (Fig. li). Bei atheromatöser Gefässentartung können sie
sich übrigens auch spontan einstellen. In der That findet man sie nicht
gar selten bei alten Leuten , besonders solchen , welche zu capillaren
Haemorrhagien des Gehirns neigen. Sie sind hier bisweilen die Vorläufer
pernicioser Gluucome. Auch hat man sie sehr zahlreich bei Morbus
maculosus und nach umfangsreichen Verbrennungen der äusseren Haut gesehen
(Mooren). Hypertrophie des linken Ventrikels (Schioeigger), kräftige Zusammen-
ziehungen grosser Muskelcomplexe, z. B. beim Husten, Heben einer schwe-
ren Last etc. (Secondi) oder plötzliche Aufhebung des intraocularen Druckes
wegen Entleerung dioptrischer Medien vermehren die Disposition dazu. Es
verrathen sich derlei Extravasate gemeiniglich durch das plötzliche Auf-
treten einer mehr weniger ausgebreiteten dunklen Wolke im Gesichtsfelde,
welche allen Bewegungen des Auges folgt und anfänglich bisweilen ganz
deutlich in's Rothe spielt. Es hebt sich dieselbe um so schärfer von der
Umgebung ab , je weniger die nachbarlichen Theile der Netzhaut gelitten
haben. Im Ganzen gehen Netzhauthämorrhagien, besonders die an Retinitis
gebundeneu , häufig wieder vollständig zurück , ohne dauernde Schäden zu
begründen. Zuweilen jedoch hinterlassen sie auch wohl auffällige Gesichts-
störungen , welche aus der Zertrümmerung des Gefüges und zum Theile
aus der reactiven Entzündung in ihrer nächsten Umgebung erklärt wer-
den müssen. Insbesondere verderblich sind Dlutaustretungen in der Macula
lutea, wie selbe öfters bei rasch vorschreitendem Staphyloma posticum
gefunden werden. Sie führen fast immer zu einer centralen Unterbrechung
des Gesichtsfeldes. Mitunter bleiben bräunliche bis schwarze körnige Pig-
menthaufen an der Stelle solcher Extravasate zurück.
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Neurodictyitis diffusa; Ophthalmoskopisclie Symptome. 193
1. Die diffuse Neurodictyitis.
Krankheitsbild. CharaJderistisch sind: Eine mehr gleiclimässige oder
ivolkig veysdiivoininene Trübung der Netzhaut und Papille mit davon abhän-
giger Verschleierung oder völliger Verhüllung der hinteren Aderhautgrenze ;
Ueberfüllung der grösseren Gefässstämme mit Neigimg zu Blutergüssen; Um-
nebelung oder Verdunkelung des Gesichtsfeldes.
1. Die o2)hthalmosl;opischen Syniptome und dai'unter das Hauptmerkmal,
die Trübung der Netzhaut und Papille, sind nicht immei" sehr deutUch aus-
gesprochen. Der Augenspiegel wirft nämlich nur directes Licht , und
dieses fast senkrecht, also unter Winkeln auf die Netzhaut, welche einer
ausgiebigen Lichtzerstreuung nicht günstig sind. Es muss also die optische
Gleichartigkeit der Netzhaut und Papille schon in ziemlich beträchtlichem
Grade abgenommen haben, wenn die Trübung im Augenspiegelbilde sehr
auffällig hervorstechen soll. In der That hat man in manchen Fällen,
wenn nicht lichtschioache Spiegel zur V^erfüguiig stehen (Mauthner), grosse
Noth, das Vorhandensein einer pathologischen Trübung mit Sicherheit nach-
zuweisen (Fig. D) ; die Diagnose muss sich vornehmlich auf die' Nach-
weisbarkeit von Circulationsstörungen, Bluiextravasaten und insbesondere auf
die ziemlich charakteristischen subjectiven Symptome stützen und dies
zwar um so mehr, als sehr zarte schleierartige Trübungen der liinteren
Netzhautportionen auch im Normalzustände nicht gerade selten vorkommen
und dann die hintere Aderhautgrenze minder scharf heraustreten lassen.
In einzelnen Fällen lagern sich derlei entzündliche Trübungen wohl
auch nur über einzelne Theile des Augengrundes, die Retinitis erscheint,
zeitweise wenigstens, partiel. Verhältnissmässig am häufigsten wird dies in
der Gegend der PapnUe beobachtet ( Stauungsjjapille, Retinitis circa papillam,
Iwanoff').
Bei grösserer Intensität des Processes mit reichlicher Productbildung und
Fettausscheidung nimmt die optische Ungleichartigkeit der Netzhaut und
Papille , somit auch die Auffälligkeit der pathologischen Trübung in sehr
rascher Progression zu. Oft findet man dann die Petina als eine mehr
loeniger dicht und nicht immer ganz gleichmässig getrübte, weissliche, gelbhche
oder grauliche, äusserst selten grünliche (Mauthner) und radiär feingestreifte
Schichte, welche schleierartig über die Chorioidea ausgespannt ist und diese
nur schwach röthlich durchschimmern lässt ; daher auch der Sehnerven-
eintritt sich sehr schwach abgrenzt und blos durch seine hellere Farbe
von der Umgebung absticht. In anderen Fällen wird die Chorioidea völlig
gedeckt, der Augengrund erscheint matt, schmutzig gelbgrau mit dunkleren
und lichteren wolkigen Zeichnungen; die hintere Aderhautgreme ist voll-
ständig verhüllt und man erkennt den Ort der Papille nur an dem gemein-
samen Austritte der centralen Gefässstämme und einer daselbst etwa vor-
handenen grubigen Vertiefung (Fig. C).
In der Trübung, welche sich über den Augengrund liiiizieht, gewahrt man
bei g-ünstiger Beleuchtung bisweilen auch die (S. 183) erwähnten, auf bestimmte
anatomische Verhältnisse hindeutenden feineu Tüpfel, radiären Strichelungen und
zarten marmorirten Zeichnunyen.
Stell wag, Augenheilkunde. 13
194 Neurodictyitis diffusa; Getasssymptome ; Apoplectische Form.
Die nebeuhergeliende Circulationsstörung bekundet sich oftmals deut-
lich durch starke, radiär gestreifte oder gestrichelte Röthung der Papille
und ihrer nächsten Umgebung ; häufiger aber, und zwar besonders bei
längerem Bestände chronischer Entzündungsformen, blos durch autfällige
E)-weiterung und Schlängelung der venösen Stämme und Hauptäste. Die
Arterien erscheinen dabei meistens von normalem Durchmesser oder gar
verengt. Nicht selten erkennt man in den Venen dunklere und hellere
Stellen (Fig. B, G) und erklärt sich dieses daraus, dass jene bei reich-
licherer Pi'oductbildung, insbesondere bei ungleichmässiger seröser Infiltration
des Gefüges, nicht in Einer Fläche streichen, sondern von der geschwellten
Netzhautportion bald nach vorne gedrängt werden, bald sich nach hinten
einsenken und darum streckenweise in einer ihrer Axe sich nähernden
Richtung gesehen werden. Die Gefösse werden dabei entweder in ganz
scharfen und klaren Bildern wahrgenommen, oder sie zeigen sich autfällig
verschleiert, ausnahmsweise vielleicht gar eine Strecke weit gänzlich unter-
brochen, ein Phänomen, welches durch weit gediehene entzündliche Ver-
änderungen der vordersten Netzhautschichten begründet wird.
In manchen Fällen, namentlich bei mehr chronischen Formen des Processes,
findet man die Gefässstämme und deren grössere Aeste von hellen glänzenden
weisslichen Linien eingesäumt Es deuten dieselben anf Hypertrojjhie der Wmidimyeii
und treten besonders stark bei der Untersuchung im aufrechten Bilde hervor, wenn
durch leichte Drehungen des Spiegels die Richtung des auffallenden Lichtes ge-
wechselt wird (Schweigger). Der Eeflex pflegt dann vorzugsweise an den Artei-ien
auffällig zu sein. Ausnalimsweise stellen sich die Gefässe wohl gar als weisse ver-
zweigte Stränge dar, welche die darin strömende lilutsäule nur ganz undeutlich
durchschimmern lassen oder gänzlich decken, so dass das Gefäss für ohliterirt
gehalten werden könnte (Nagel). Oefters gelingt es dann noch, das Blut zur Wahr-
nehmung zu bringen und die Durchgängigkeit des Rohres zu erweisen, wenn man
ein sehr kleines Flammenbild unmittelbar neben der betreffenden Gefässpartie ent-
wirft. Leuchtet auch dann die Blutsäule nicht durch , so ist der Schluss auf Un-
wegsamkeit des Rohrstückes gerechtfertigt (Liehreich).
Eine sehr ausgesprochene und bis in die feineren Zweige ausgedehnte Hyperämie
gehört keineswegs zu den geicöhnlichen Symptomen, sondern wird im Gegentheile
nur selten und dann meistens blos im ersten Beginne einer mit grössei^er Intensität
auftretenden Retinitis beobachtet. Sie charaktei'isirt sich durch eine feine rothe
Punktirung der Netzhaut und durch das Auftreten zarter dichter gitterartiger oder
schlingenförmiger Gefässnetze. In der Regel fehlt sie und man findet höchstens die
Pajjille, vorzüglich die periphere Zone derselben, stark hyperämirt, so dass die
Sehnervenscheibe sich nur wenig oder gar nicht von dem übrigen Augengrunde
abhebt.
Hämorrhagische Extravasate (Fig. B, C.) sind zwar kein constantes
Symptom, kommen aber doch sehr häufig vor. Sie stellen sich als dunklere
und hellere blutrothe Punkte, Streifen, Spritzer oder umfangreiche Fleche
dar, deren Grenzen bald scharf, bald verwaschen sind. Sie liegen häufig
ganz oberflächlich an den Venen und stechen dann besonders im Bereiche
heller Exsudatfladen sehr autfällig heraus. Oefters liegen sie aber auch
tiefer und werden von den Trübungen schleierartig gedeckt. Wo sie sehr
zahlreich (Fig. 32) oder von grösserem Umfange sind, pflegt man von
einer Neurodictyitis apoplectica zu sprechen. Es findet sich diese Form
vorzüglich bei aZiera Leuten zwischen dem 50. und 80. Jahre und steht dann
wahrscheinlich im Zusammenhange mit Gefässerkrankungen (Pagenstecher).
Als eine besondere Art der Netzhautentzündung lässt sie sich nur insofei'ne
betrachten, als das Extravasat bisweilen das p>rimäre Leiden und der ent-
zündliche Process die Beaction dagegen darstellt.
Glaskörpertrübungen ; Sehstörungen.
195
'Z
gediehener
diffuser Dic-
durch die Entzündung bedingten
immer, welche den Kj-anken
der ärztlichen
Das ophthalmoskopische Bild der diffusen Neurodictyitis wird im
Ganzen sehr wesentlich beeinfiusst durch ejitsündliche Glaskörpertrübungen.
Diese fehlen in der That bei
mehr acta auftretenden Fällen nur
selten , machen sich «aber auch oft
bei sehr chronisch verlaufenden,
wenio^stens zeitweilig und beson-
ders während den Nachschüben des
Processes , geltend. Sie sind manch-
mal so dicht , dass die Netzhaut
durch den Augenspiegel gar nicht
wahrgenommen werden kann. Häufi-
ger jedoch bilden sie blos einen '
zarten diffusen Nebel oder feine '•
Wölkchen, welche sich über den 1
Augengrund lacjern , bisweilen wohl
auch auf einzelne Tiieile des letzteren ^ "
beschränkt sind und sich bei gün-
stigen Einfallswinkeln des Spiegel-
lichtes in verschwommenen Umrissen '
getrennt wahrnehmen lassen.
2. Im Uebrigen bietet der
erkrankte Augapfel bei reiner
Netzhautentzündung ohjectiv wenig
oder nichts Charakteristisches. Er kann trotz weit
tyitis ganz normal aussehen.
3. Von höchstem Belange sind die
Functionsstörungen der Netzhaut. Sie sind es
auf sein Leiden aufmerksam machen und
zuführen.
Sehr häufig, namentlich bei gleichmässiger Vertheilung der Producte
in der Netzhaut, äussert sich die Fimctionsstörung durch eine glnchmässige,
"mehr weniger dichte, rasch oder allmälig sich steigernde Umnehelung des
ganzen Gesichtsfeldes. Bei niederen Graden der Affection klagt der Kranke
meistens über einen weisslichen oder weissgrauen, öfters auch
oder bräunlichgelben jSTebel, welcher sämmtliche im Sehfelde
Objecte einhüllt. Die Uiitersuchung ergibt eine merkliche Ahnahme der
centralen Sehschärfe mit verhältnissmässiger Undeutlichkeit des excentri sehen
Sehens. Bei höheren Graden des Leidens ist der Nebel dichter, seine Farbe
mehr grau bis ins Aschgraue, die Objecte erscheinen wie in Eauch ge-
hüllt; die centrale Sehschärfe ist auf ein Geringes gesunken, das periphe-
rische Sehen aber bis auf blosse Lichtempfindung gescliAvunden ; geringere
Erleuchtungsintensitäten heben jede Wahrnehmung auf, es ist sogenannter
amaurotischer Nachtnebel gegeben. In den höchsten Graden endlich hört die
qualitative Lichtempfindung auf, das kranke Auge kann nur mehr über
stärkere oder schwächere Erleuchtung des Gesichtsfeldes urtheilen.
Mit Berücksichtigung der pathologisch-anatomischen Befunde darf man es
als sicher annehmen, dass der hellfarbige Schleier, welcher sich bei minderen
Graden des Leidens über das Gesichtsfeld lagert, nicht blos der Ausdruck einer
verminderten Perceptions- und Leitungsfähigkeit der nervigen Elemente sei, sondern
abgesehen von den etwa nebenhergehenden Glaskörperlrühimgen grössten Theiles
auf Rechnung des optisch ungleichartiger gewordenen bindegeiceliigen Gerüstes
gesetzt werden müsse, also, ähnlich den Sehstörungen bei Trübungen der diop-
trischen Medien, eine Folge der Zerstreuung des Lichtes in den entzündeten Schich-
ten der Netzhaut sei.
13*
Behandlung
gelblichen
gelegene
196 Nem-odictyitis diffasa; Selistörungen : nyctalopisclie Form.
In der Tliat bietet die Qualität der durch derartige Formen der Retinitis
bedingten Selistörungen sprechende Analogien mit den Sehstörungen, welche durch
centrale, die Pupille deckende Hornhauttrübungen begründet werden. Grelle Ei--
leuchtung des Sehfeldes , besonders die Einwirkung intensiven diffusen Lichtes,
steigert die Sehstörung durch Verdichtung und hellere Färbung des Nebels , bis-
weilen in so aiiffälligem Grade, dass man die Aufstellung einer eigenen vyctalo-
pischen Form der Neurodictptis für räthlich erachtete (Arlt). Dunkelheit des Seh-
feldes aber bewirkt, dass nicht genug directe Strahlen die vorderen Netzhautschich-
ten passiren, um hinlänglich lichtstarke Bilder auf dem Stratum bacillosum ent-
werfen zu können. Bei genügender Erleuchtung des Gesichtsfeldes und möglichster
Ausschliessung diffusen Lichtes hindern schwache Trübungen der entzündeten
Netzhaut nicht, dass der Kranke noch kleine, von der Umgebung stark contrastii'ende
Objecte mit dem Centrum der Retina zu deutlicher Wahrnehmung bringen, gewöhn-
liche Druckschrift lesen u. s. w. kann. Doch muss der Kranke die Objecte viehr
dem Auge nähern, als in der Norm, er strengt sich dabei auch mehr an und dauert
nicht aus.
Es versteht sich von selbst, dass bei Massenziinahme des entzündlichen Pro-
ductes dessen optische Wirkung und die Functionsstorung der nervigen Elemente
wachsen müsse. Bei miffalliger Trübimg oder völliger Undurchsichtigkeit der Retina
ist die centrale Sehschärfe und die Deutlichkeit der excentrischen Wahrnehmungen
in der Regel, aber nicht immer, schon sehr geschwächt, es bedarf eines völligen
Abschlusses des diftusen Lichtes so wie auch grossör, von der Umgebung stark con-
trastirender und 7ia/iegestellter Objecte, um ein Erkennen derselben zu ermöglichen.
In vielen Fällen ist das Sehvermögen gar schon auf quantitative Lichtempfindung
geschwunden.
Im Ganzen lässt sich zwischen dem Grade der Sehstijrung und der
Massenhaftigkeit der Producte ein stetiges gerades Verhältniss nicht erkennen.
Es fällt hiebei eben die grössere oder geringere Betheiligung der nervösen
Elemente sehr gewichtig in die Wagschale und diese steht keineswegs immer
in Proportion zur Anhäufung von Producten im bindegewebigen Gerüste
der Eetina und des Opticus, vielmehr sind die nervigen Theile nicht selten
noch sehr wohl erhalten bei weit vorgeschrittener Wucherung des Fach-
werkes und umgekehrt. Es geschieht daher auch nicht selten, dass bei
relativ geringer Trübung der Eetina hochgradige Sehstörung, ja blosse Licht-
empfindung beobachtet wird, ohne dass ein Centralleiden oder eine bezüg-
liche Affection des jSTervenstammes hierauf Einiluss nähme.
In einzelnen Fällen von reiner diffuser Xeurodictyitis kömmt es zu
Einschränkungen des Gesichtsfeldes, es geht die Functionstüchtigkeit eines
kleineren oder grösseren Abschnittes der Xetzhaut völlig verloren, während
der Best des Organes mit den vorliin geschilderten Hemmungen functionirt.
Viel häufiger sind Unterbrechungen des Gesichtsfeldes, d. i. Erblindungen
einzelner, dem Centrum näher gelegener Stellen der Xetzhaut. Sie stellen
sich als leere, dicht umschleierte oder dunkle Flecke im Sehfelde dar. Oft ist
es ein einzelner Fleck, welcher centrisch oder excentrisch lagert, ein Ring,
welcher die Mitte des Sehfeldes umgibt u. s. w. In anderen Fällen sind
es mehrere, in Grösse und Gestalt verschiedene Flecke. Die Grenzen dieser
Einschränkungen und Unterbrechungen pflegen minder scharf zu sein, als
bei den durch centrale oder Sehnervenleiden begründeten amblyopischen
Zuständen (Siehe schwarzen Staar.)
Es unterliegt keinem Zweifel, dass Blutextravaiate und stellenweise dichtere
Glo/skörpertrühungen partielle Verdunkelungen des Gesichtsfeldes mitbegründen.
Zu den aufgezählten subjectiven Symptomen kommen häufig noch andere,
welche ihrer Inconslanz wegen jedoch nur gei-ingen diagnostischen Werth besitzen.
So klagen die Kranken oft über ein eigenthümliches Schimmern, Glitzern, Zittern,
Wivimeln im Gesichtsfelde, welches bald stäi-ker, bald schwächer hervortritt. Bis-
Ursaclien; FuiirtionolU' Scliiidlii'liki'iloM; TrainiK'ii ; Opticusdurchschnoidun;,'. 197
weilen erscheint das Gesichtsfeld gefärbt, gelblich, röthlich, grünlich n. s. w. Auch
wahre Chromopsie und Photopsie kömmt nicht selten , wenigstens periodenweise,
nach stärkeren geistigen und körperlichen Aufregungen, vor. Am häufigsten wird
sie bei mehr acut auftretenden Trocessen, insbesondere nach der Einwirkung eines
heftigi'u Irritaniontes , beobachtet uiul ist dann mitunter durcli ihi'c Intensität und
Dauer in sehr hohem Grade peinlich. Ueberhaupt deuten diese subjectivcn Gesichts-
erscheinungen auf Fortdauer der ijrogressiven Periode vind sind inso ferne von 2J''0-
gnostischer Bedeutung,
In einzelnen seltenen Fällen sehen die Kranken die Oljjecte verzogen, ver-
zerrt, theilweise über und durch einander geworfen (Metamotphojjsiej , verkleinert
(Mikropsie) , verbreitert oder vergrössert (Megalopsie) , Häufiger werden Störungen
des Farbensinnes beobachtet (Leber).
Eigentliche Lichtscheu und Schmerzen gehören ebenfalls nicht zu den con-
stanten Syptomen, fehlen im Gegentheile sein- häufig, namentlich bei mehr chro-
nischen Formen und in den späteren Stadien der rascher verlaufenden Fälle.
Ursachen. 1. Die Neuroretinitis diffusa entwickelt sich öfters primär,
ohne dass sich ein ätiologisches Moment mit irgend einem WahrscheinUch-
keitsgrade nachweisen liesse. Häufiger jedoch wird sie durch eruirbare innere
und äussere Schädlichkeiten angeregt. Am gewöhnlichsten geben directe Ver-
anlassung functionelle Irritamente und Traumen.
Zu den ersteren gehören übermässig grosse Erleuchtungsintensitäten des
Gesichtsfeldes, sei der Grund hiervon directes, oder von hellen und glän-
zenden Objecten reliectirtes Sonnenlicht. Nicht minder können geringere
Erlcuchtungsintensitäten, wenn dieselben rasch und oft wechseln, bei längerer
Einwirkung zur Ketzhautentzündung führen. Am häufigsten indessen sind
übermässige Anstrengungen des Sehorganes behufs der deutlichen Wahrnehmung
kleiner Objeöte die (iuelle des fraglichen Leidens. Insoferne kann Ueber-
sichtigkeit in der That ein wichtiges disponirendes Moment abgeben (Secondi).
Auch grelle Färbung und heller Glanz der Gegenstände so wie umgekehrt
geringe Contrastirung von der Umgebung, flackernde oder zu schwache
künstliche Beleuchtung, Trübung der dioptrischen Medien sowie alles andere,
was die Deutlichkeit der Netzhautbilder beeinträchtigt, ist hiebei von grossem
Belange. Mehr noch aber als die Intensität der Anstrengung fällt deren
Dauer ins Gewicht. Wirklich setzen derartige anstrengende Beschäftigungen
vorerst meistens nur Reizzustände, erst die Fortsetzung der Arbeit bei
Bestand der Irritation zieht die Gewebswucherung nach sich.
Traumen können auf die 'Netzhaut wohl nicht einwirken, ohne dass die xim-
gebenden Theile wesentlich mitgeschädiget würden. Eine Neiirodictyitis, welche
sich in Folge von Erschütterungen, Schlägen, Stössen, zufälligen und operativen
Zusammenhangstrennungen u. s. w. der Netzhaut entwickelt, ist darum kaum
jemals rein, sondern in der Regel mit Iridochorioiditis gepaart, ja sehr häufig nur
die Theilerscheinung einer Panophtlialmitis.
Aelmliches gilt von den Netzhautentzündungen nach Tratmien des Optic^is,
wenn der verletzende Körper durch den Bulbus in den Nerven eingedrungen ist
(His, Stavenhagen, Graefe). Ditrchschneidungen des Opticus von der Orbita aus bei
Thiereu (Eosow, Kvgel, Leber) oder in Folge zufälliger Verletzungen (Pagenstecher)
ohne Schädigung des Augapfels führen nach den bisherigen Beobachtungen zu in-
tensiver weisslicher Trübung der Netzhaut und Papille. Die Grenze des Sehnerven-
eintrittes wird dadurch völlig gedeckt; die Centralgefässe erscheinen zum Theil
blutleer und streckenweise von der Trübung verhüllt. Wegen theilweiser Durch-
schneidung der Ciliargefässe verblasst auch der Augengrund an einzelnen Stellen
der Peripherie, doch stellt sich auf coUateralem Wege die Einspritzung der reti-
nalen und Aderhautgefässe bald wieder her, worauf die Trübung der Netzhaut
zurückgeht und den Symptomen des Schwundes Platz macht. In einem Falle
(Pagenstecher) blieb starke Pigmentirung der Netzhaut und Papille zurück.
198 Neurodictjätis düfusa; Ursachen; Herz-, Leberkrankheiten; Syphilis; Absteigende Form.
In die Categorie der (?-auviatischen Formen gehören auch jene diffusen Ent-
zündungen, welche bisweilen im Gefolge von Gefässherstungen und Blutaustritt in
das Gefnge der Retina oder des Sehnerven zu Stande kommen. Insoferne können
Blvtstauungen und in weiterer Linie Herz- und Lumjenkraiikheiten ein ursächliches
Moment der Neurodictyitis abgeben.
Herzleiden und insbesondere Endocarditis können ausserdem vielleicht noch
bisweilen durch Verführung abgelöster Exsudatmassen und Verstopfung der Cen-
tralschlagaderäste der Retina (Virchow) und, wie neuerer Zeit behauptet wird,
auch der Ciliar arter ien (Knapp) Veranlassung zu Dictyitis geben.
2. Auch Leherlrankheiten sollen unter Umständen eine Netzhautentzündung
begründen können (M. Müller, AUhof, Pagensteclier) . Nicht minder wird ein ursäch-
licher Zusammenhang der Dictyitis mit Tuberetdose (GalezowskiJ und mit der
Zuckerruhr (Heymann, GalezowsJci, Noyes, Ed. Jaegev) angenommen.
3. Am häufigsten fusst die diffuse Netzhautentzündimg auf allgemeiner
Syphilis, stellt eine Localisation der letzteren dar. Sie ist dann bisweilen
mit Iridochorioiditis und Keratitis punctata, oder blos mit Iritis gepaart.
Oefter geht ihr Iritis voran, sie entwickelt sich nach einem oder mehreren
Anfällen syphilitischer Eegenbogenhautentzündung, ohne dass jedoch letztere
nothwendig mit recidivirte. Besonders gerne kommt es zur Dictyitis, wenn
das Auge in der Reconvaloscenz nach specifischer Iritis und vor gänzlicher
Beseitigung des Grundleidens fuuctionelleu Schädlichkeiten ausgesetzt wird.
In der Eegel jedoch steht die syphilitische Neurodictyitis am Auge rein da.
Sie ist bald einseitig, bald binoeulär. Eigenthümliche Symptome kommen ihr
ganz gewiss nicht zu, wie zum Theil schon daraus hervorgeht, dass die dies
behauptenden Autoren (Mauthner, Graefe, Mooren, Jacobson, Alexander u. A.)
in der Angabe derselben durchaus nicht übereinstimmen. Die syphilitische
Natur einer Netzhautentzündung lässt sich eben einzig und allein nur aus
dem Gegebensein oder Vorausgehen von Erscheinungen ermessen, welche
auf den Bestand der allgemeinen Lues hindeuten.
4. Ausserdem ist die diffuse Neurodictyitis gar oft ein secundäres,
von den Umgebungen aus im Sehnerven oder in der Netzhaut angeregtes
Leiden.
ffl) Die entzündliche Wucherung beginnt nicht selten innerhalb der
Schädelhöhle und schreitet von hier dem Stamme des Nerven entlang zur
Netzhaut vorwärts. Neurodictyitis descendens ist der für solche Vorgänge
gebräuchliche Name.
Am seltensten gescliieht es wohl, dass ein entzündlicher Herd von den
eigentlichen Centralorganen des Gesichtssinnes oder von anderen von Opticus-
bündeln durchzogenen Theilen des Gehirnes sich unmittelbar auf die Faser-
züge des Sehnerven fortsetzt und in den bindegewebigen Hüllen der ersteren
auf die Wurzeln und den Stamm übergeht, um weiterhin bis zur Netz-
haut zu gelangen. Meistens beschränkt sich bei centralen Herden der mani-
feste Wucherungsprocess schon innerhalb des Gehirnes oder in einem der
beiden Tr actus; im Orbitalstücke des Nerven und in der Netzhaut kömmt
es blos zur grauen Atrophie (Siehe Netzhautschwund). Doch kommen Fälle
der ersten Art ohne Zweifel vor (Blessig, Leber, GalezowskiJ.
Den anatomischen Verhältnissen entsprechend sind es selbstverständlich am
öftesten Krankheitsherde, besonders Tumoren, im Bereiche der mittleren Schädel-
gruhe und in der Umgebung der Vierhügel , welche zur Neurodictyitis descendens
führen (Galezoicski). Demgemäss sind neben Erbrechen, Ko]ifschmerz , epileptifor-
men Anfällen und Convulsionen , Lähmungen des 3. bis 8. Gehirnnerven und,
falls eine Sehnervenwurzel durch den primären Herd leitungsuufähig geworden ist,
hemiopische Erscheinungen sehr gewöhnliche Begleiter.
Neurodictyitis descendens; Meningitis. 199
Yiel lüiufig-er ist eine neben dem Centralleiden einhergehende Menin-
gitis die Vermittlerin des Uebergaiiges. Durch solche Hirnhautentzündungen
können übrigens auch die verschiedenartigsten Affectionen von Gehirn-
theilen, welche den optisclien Centris ferne liegen, mit der J^euritis optica
combinirt werden. Ueberhaupt muss die Meningitis hasalis als eines der
wichtigsten pathogenetischen Momente der Neurodictyitis bezeichnet werden, ja
man geht wahrscheinlich nicht zu weit, wenn man behauptet, dass die
hasilare Meningitis sich in der Mehrzahl der Fälle am Augengrunde wider-
spiegelt und dass das Ophthalmoscop demnach ein wichtiges Hilfsmittel
für die Diagnosis der Hirnhaidentzündung abgibt. In der That finden sich bei
letzterer häufig starke Erweiterungen der Netzhautgefässe und Oedem der
Papille; oft sind schon Haemorrhagien, ja sogar diffuse Trübungen und
bisweilen selbst massigere Anhäufungen entzündlicher Producte in Gestalt
weisser Flecke nachzuweisen, und dies zwar zu einer Zeit, wo die Symp-
tome der Meningitis noch nicht klar ausgesprochen und die Diagnose des
Grundleidens noch schwierig ist (Bonchut, Clifford, Galezowslci.)
Man kann sagen, dass Alles, was eine Meningitis hervorzurufen vermag, auch
eine Qiaelle des entzündlichen Sehnervenleidens werden könne, z. B. Tramnen mit
Fractur der Schädelbasis {Manz, Jacohij, Tnberculose (Bouchuf, Galezoivski) u. s. w.
Auch die epidemische Cerehrasj^inahneningitls spielt insoferne eine Rolle in der Patho-
genese der Neurodicf.yitis {Schinner). Doch trägt diese unter solchen Umständen
meistens den stqjpurativen Charakter und wird darum besser bei der eitrigen Pan-
ophthalmitis erörtert. Sonst ist die Uehereinstimmung zwischen den Producten der
basalen Meningitis inid einer davon abhängigen Neurodictyitis Teeineswegs eine Noth-
wendigkeit, im Gegentheile können diffuse Formen der letzteren ganz wohl im Gefolge
tiiherculnser oder eitriger Hirnhautentzündungen auftreten.
Es wird übrigens die absteigende Ketzhautentzüudung nicht selten
auch bei Meningitis an der Convexität der Hemisphären (Bouchut, Blessig),
bei Tumoren etc. in den verschiedensten Theilcn des Gross- und Kleinhirns
(Blessig, Leber, Galezoivski, Benedikt), überhaupt unter Verriältnissen beobachtet,
welche einen directen Zusammenhang des primären Herdes und des Augen-
leidens nicht annehmen lassen. Noch mehr, gar oft erweiset sich bei mani-
fester Neurodictyitis descendens das Orbitalstück des Sehnerven ganz frei,
oder ist doch nur in geringem Grade und blos streckenweise durch leichte
Kernanhäufungen im Neurileme oder durch partielle Verfettung einzelner
Nervenbündel als erkrankt zu erkennen (Iwanoff, Leber). Der manifeste
Entzündungsherd erscheint dann also auf den vordersten Theil des Opticus,
die Papille und Netzhaut beschränkt und ist jedenfalls von dem primären
intracraniellen Herde durch nicht entzündete Theile getrennt. Es liegt auf
der Hand, dass unter solchen Umständen von einer Fortpflanzung der Ent-
zündung per contiguitatem nicht die Rede sein könne ; dass hier vielmehr
nervöse, insonderheit vasomotorische Einflüsse ebenso im Spiel sein mögen
(Benedikt), wie bei dem unter gleichen Verhältnissen häufig auftretenden
Netzhautschwunde.
Das Gefässleiden offenbart sich wirklich in nicht wenigen derartigen
Fällen durch ausserordentlich starke Erweiterung der Centralvenenstämme
und der die Papille durchwebenden Blutadernetze, durch Extravasate etc.
Dazu gesellt sieh in der Regel bald Oedem, in Folge dessen die Papille
öfters zu einem steilrandigen mächtigen Walle aufschwillt, welcher nur
gegen die Macula lutea hin offen ist. In diesem Zustande kann der Seh-
nerveneintritt ohne Betheiligung der nachbarlichen Netzhautzone sogar
200 Neiu-odictyitis diffusa; Ursachen; Stauungspapille; Orbitalleiden.
längere Zeit fortbestehen, während das bindegewebige Gerüste leicht hyper-
trophirt. Früher oder später kommt es aber meistens zur wahren Ent-
zündung, die Nervenfasern hypertrophiren und verfettigen zum Theile, während
sieh mehr minder bedeutende Mengen neoplastischer Zellen im Gefüge
häufen, der geröthete Wall trübt sich mehr und mehr und späterhin
nimmt auch die Netzhaut an den ^^eränderungen Theil (Iwanoff, Leber).
Man h.at die eben geschilderte , wallartig aufgetriebene Papille als einen
eigenthümliclien Zustand unter dem Namen Staiiungsneuritis oder StaziungyjapiUe
beschrieben (GraefeJ , indem man annahm , dass die colossale Getasserweiterung
nur durch mechanische Circulafionshindernisse begründet sein könne. Der Umstand,
dass das Leiden in der Mehrzahl der anfänglich beobachteten Fälle bei Tumoren
sich entwickelt hatte, welche in der mittleren Schädelgrube sassen und möglicher-
weise oder thatsächlich auf den Simis cavemostis drückten (Graefe, Hidke), war ganz
geeignet, eine solche Ansicht zu stützen. Doch ist der Mangel aller Stauungser-
scheinungen im ciliaren und orbitalen Stromgebiete sowie die Anastomose der Vena
centralis retinae mit den beiden Venis ojjhthalmicis und mittelbar mit der Vena
facialis ant. und post. [Sesemann) schon längst als ein triftiger Einwurf geltend
gemacht worden (0. Becker). Dazu kommt, dass bei anatomisch nachgeioiesenen
Stauungen im Bereiche des Sinus cavernosus, bei Thromhose (Knapp) oder Com-
piression desselben von Seite nachbarlicher Geschwülste etc. (Siehe pulsirende
Orbitaltumoren) wohl das Polster der Augenhöhle so wie die Bindehaut und die Lider
alle Erscheinungen einer höchstgradigen Blutüberfüllung und ödematösen Schwellung
darboten, das Sehvermögen in der Regel aber nicht gelitten hatte, und der Augen-
spiegelbefund entweder negativ ausfiel oder, mit Bezug auf die Thrombose, Symptome
lieferte, wie sie sonst bei der Embolie und Ischaemie gefunden werden (Kncqjp).
Auch ist bei Hydrocephalus (Galezoivski) und Gehirntumoren, welche unter Erhöhung
des intracranielltn Druckes einhergehen, die Stauungspapille eine Ausnahmserscheinung ;
während sie umgekehrt wieder bei Aftergcbilden gefanden wurde, welche ohne alle
Steigerung des Gehirndruckes vei'liefen, und ihrer Lage nach unmöglich einen DriTck
auf den Sinus cavernosus oder auf einen Theil des Sehnerventraktes ausüben
konnten. Hat man sie doch bei Erweichungsprocessen und Geschwülsten im Klein-
hirn (Blessig, Leber), ja sogar bei Meningitis basilaris (Manz) beobachtet. Ueber-
dies sprechen einige Beobachtungen dafür, dass die mit ihr verknüpften Gefäss-
erkrankungen gleich den den pulsirenden Orbitalgescliwülsten zu Grunde liegenden
auch jvimär, ohne alle Stauungsursache, aufzutreten vermögen (Wecker).
In neuester Zeit glaubt man nun den Schlüssel zur Erklärung der Stauungs-
papille in der Vertheilung der Lymphgefässe gefunden zu haben (H. Schmidt).
Wenn nämlich das in der Lamina cribrosa verzweigte dichte Lymphnetz wirklich
durch den Zwischenscheidenraum des Opticus mit dem Arachnoidalraume zusammen-
hängt, so lässt sich das Oedem der Papille und damit auch die Stauung der retinalen
Gefässe im Bereiche des Sehnerveneiutrittes in der einfachsten Weise mit eiuem
krankhaft gesteigerten Gehirndrucke in pathogenetischen Zusammenhang bringen.
In der That sprechen Versuche an Thieren für die Richtigkeit dieser, möglicher-
weise tief in die Pathologie des Auges eingreifenden Theoi'ie (Manz). Der Umstand,
dass die sogenannte Stauungspapille bei entschieden gesteigertem Hirndrucke ver-
hältnissmässig selten auftritt und umgekehrt sich auch bei voller Normalität des
letzteren ßndet , ist jener Ansicht jedoch nicht günstig. Vorderhand mag daher die
Stauungsneuritis nur als eine Variante der Neurodictyitis, ausgezeichnet durch die
coUossale Getasserweiterung und ödematöse Infiltration gelten. Wirklich sind auch
Mischformen nicht ungewöhnliche Vorkommnisse und nicht selten geht die eine in
die andere über (Graefe, Leber).
b) Seltener geht der Process von den orbitalen Weichtheilen aus; die
Neurodictyitis wird von Aftergebilden (0, Becker, Mauthner, Hirschberg), von
reinen oder durch Knochencaries, Periostitis etc. bedingten Abscessen,
(Hulke), von erysipelatösen Schwellungen des Bindegewebes in der Augen-
höhle (Arlt, Wecker, Graefe) angeregt, sei es dass der Wucherungsprocess
als solcher unmittelbar auf die Scheiden und das innere Neurilem des
Opticus übertragen oder durch mechanische Einwirkungen, Druck, Zerrung
vciUuif. 201
des Nerven beg-vüiidet wird. Im letzteren Fülle ptiegoii Stmtunysphüuomene
im Bereiche der Netzluuitgefiisso sehr deutlich ausgesprochen zu sein (Graefe,
Pagenstecher).
c) Endlich ist die Neurodictyitis sehr häufig- ein von der Uvea über-
kommenes Leiden. In der That gelangen Adcrhaiitenf Zündungen kaum jemals
zum Abschlüsse, ohne dass die Netzhaut, und weiterliin der Opticus in Mit-
leidimschaft gezogen würde. In der Hegel geschieht dies sogar schon sehr
frühzeitig. Insoferne spielt die Neurodictyitis, wenn ihre Symptome vor-
schlagen, auch in der Bedeutung einer sympathischen Ophthalmie eine liolle
(Graefe, Mooren).
Bei Iridoch orioiditis und Iridokyklitis kann man die vorderen Netzhautzonen
oft schon weit vorgeschiitten sehen im entzündlichen Processe, ja bisweilen sind
sie bereits in Schimmd übevgegano-en, während die hinteren Theile der Retina noch
iu einem befriedigenden Znstande verharren {Itvanoff).
Der Verlauf ist in der Mehrzahl der Fälle ein eigentlich chronischer.
Sclion das erste Auftreten ist öfters ein ganz unmerkliches, indem sehr
hervorstechende Symptome fehlen und der Process sich nur durch eine
ganz allmälige Abnahme der Sehschärfe verräth.
Bei einseiliger chronischer Retinitis wird daher das Leiden anfänglicli sehr
leicht übersehen, ja thatsächlich geschieht dieses auch nicht ganz selten bei hino-
culärer Affection, wenn die betroffenen Individuen weniger aufmerksam und durch
ihren Beruf nicht gezwungen sind, sich viel mit kleinen oder fernen Objecten zu
beschäftigen. Es Ijesteht dann bisweilen die Krankheit Wochen und Monate, ehe
die zunehmende Sehschwäche, die Schwierigkeit sich bei nächtlichem Dunlvel zn
führen, das Auftreten dunkler Flecke im Gesichtsfelde oder namhafte Einschränkmi-
gen desselben weitere Zweifel an dem Vorhandensein eines krankhaften Zustandes
unmöglich machen. Oefters wissen ungebildete Leute gar nicht den Zeitpunkt
anzugeben, in welchem die Sehstörnng begann.
Täuschungen sind übrigens um so leichter denkbar, als die Functionsabnahme
durchaus nicht immer eine stetige ist, sondern vielmehr in ziemlich häufigen Fällen
periodenweise Verl)esserungen und Verschlimmerungen eintreten je nach Gunst oder
Ungunst der Verhältnisse, unter welchen der Kranke jeweilig sich befindet. Insbe-
sondere sind als solche, auf den Grad der Sehstörung zeitweilig Einßuss nehmende
Momente zu nennen: Körperliche und geistige Aufregungen, übermässige Mahlzeiten,
Räusche, geschlechtliche Ausschreitungen imd vorzüglich passive Congestionen im
Bereiche der oberen Hohlvene.
In anderen Fällen entwickelt sich der Process rascher bis zu einer
gewissen Höhe, geht dann aber in den chronischen Verlaif über und schreitet
unter allmähger Steigerung der Netzhautalteration und der dadurch be-
gründeten Sehstörung langsam, mit oder ohne zeitweilige llemissionen, den
Ausgängen zu.
Es macht sich öfters x^^'^tzlich, ohne anderweitige auffällige Symptome, eine
bedeutende Verminderung der centralen Sehschärfe und der Deutlichkeit des excen-
trischen Sehens geltend; die Functionstüchtigkeit der Netzhaut fällt von Tag zu
Tag und ist binnen Kurzem auf ein Geringes gesunken. Oder es beginnt das Leiden
unter Kopfschmerzen, Ciliarneurose, Lichtscheu, Chromopsie und Photopsie. Diese
Symptome halten unter rascher Abnahme des Sehvermögens einige Zeit an, treten
dann aber zurück, während die Sehstörung fort und fort, aber langsam steigt.
Ersteres wird häufig bei der syphilitischen Dictyitis, letzteres bei jenen Netzliaut-
entzündungen beobachtet, welche durch intensive functionelle Schädlichkeiten an-
geregt wurden.
Den absteigenden Formen gehen selbstverständlich in der ßcgel die
Sj^mptome des primäreri Leidens voraus. Doch geschieht es ausnahms-
weise wohl auch, dass das letztere eine Zeit lang verborgen bleibt, dass
die Sehstörung mit den charakteristischen Veränderungen des Nervenkopfes
202 Neurodictyitis difFusa; Ausgänge.
in erster Linie hervortritt und erst später deren Abhängigkeit von einem
innerhalb der Schädelhöhle verlaufenden Processe unzweideutig zur Aeusse-
rung kömmt. Die Neurodictyitis und die damit vergesellschaftete Seh-
störung entwickeln sich dann häufig überaus rasch, ein oder mehrere Tage
genügen zur völligen Ausbildung des eigenthümlichen Krankheitsbildes
und zur Herabsetzung des Gesichtes auf quantitative Lichtempfindung
oder völlige Erblindung. Auf diesem Punkte angelangt pÜegt der Process
einen mehr chronischen Gang einzuschlagen und den Ausgängen zuzu-
schreiten.
Ausgänge. Die diffuse Netzhautentzündung ist mit gewissen Beschrän-
kungen unter die heilbaren Ki'ankheiteu zu zählen. Vornehmlich gilt dieses
von den mehr chronisch auftretenden und verlaufenden Formen, bei welchen
die Producthildung eine minder reichliche und gleichmässig vertheilte ist, vor-
ausgesetzt, dass der Process nicht schon seit Monaten besteht. Bei massen-
hafter Anbildung von Producten, diese mögen nun gleichmässig vertheilt oder
fleckweise angehäuft sein, ist die Aussicht auf eine völlige Eückkehr zur
Norm schon minder wahrscheinlich, eine Lichtung des über dem Gesichtsfelde
lagei-nden dichten Nebels ist gewöhnlich die Grenze des Erreichbaren. Es
werden nämlich unter solchen Umständen die nervigen Elemente meistens
schon frühzeitig arg beschädigt.
Im Ganzen ist unter sonst gleichen Umständen die Dauer des Processes
von grösserem Einfl.usse auf die Prognose als der Grad, in welchem die
centrale Sehschärfe und die Deutlichkeit des excentrischen Sehens abge-
nommen hat. In der That schliesst die Reduction des Sehvermögens auf
quantitative Lichtempfindung in Eällen jüngeren Datums die Möglichkeit
der Heilung nicht aus. Unterbrechungen und besonders Einschränkungen des
Gesichtsfeldes haben jedoch eine schlimmere Vorbedeutung. Sie bekunden
nämlich eine starke Betheiligung der nervösen Elemente. Einschränkungen gehen
wirklich nur selten oder niemals vollständig zurück ; eine Aufhellung der
übrigen umnebelten Theile des Gesichtsfeldes ist alles, was angehofft werden
darf. Unterbrechungen des Gesichtsfeldes werden ebenfalls nur schwierig
vollständig beseitigt, doch gelingt dieses in frischen Fällen noch eher, vor-
ausgesetzt, dass es sich um eine rein diffuse Neurodictyitis und nicht etwa
um exsudative Zwischenformen handelt.
Die Unterbrechung nimmt dann an Umfang ab, die betreffende Stelle des
Sehfeldes wird lieller, durchsichtiger und verliert sich endlich ganz in den klareren
Umgebungen. Nicht selten ist diese Aufhellung eine ungleichmässige, der blinde Fleck
zerfällt in mehrere kleinere, zwischen welchen die Objecte deutlicher und deutlicher
hervortreten, und welche endlich in den an Ausdehnung gewinnenden hellen Zwischen-
räumen sich auflösen ; oder es hellt sich der Fleck vom Centrum her auf, verwandelt
sich in einen Ring, welcher allmälig an Breite und Dunkelheit verliert, in Bogen-
theile zerfällt und gleichsam zerfliesst.
Immerhin bleibt selbst in dem günstigsten Falle eine Neigung zu Eeci-
diven zurück, welche die geringste äussere oder innere Schädlichkeit zu
einer Quelle neuer Erkraiikungen machen kann und darum die grösste
Vorsicht erheischt.
Ueberhaupt ist selbst bei Abhandensein von Einengungen und Unter-
brechungen des Gesichtsfeldes eine Wiederherstellung der vollen normalen
Fauctionstüchtigkeit nur in der Minderzahl der Fälle erreichbar. Oftmals
bleibt neben einiger Trübung der Netzhaut eine mehr minder auffällige
Umnebelnng des Gesichtsfeldes zurück, welche durch keinerlei optische Hilfs-
Trüber Scliwiiiicl; Beliandlung. 203
mittel noiitralisirt werden kann und nicht nur die Fernsicht wesentlich
beeinträchtiget, sondern auch den Kranken zu dauernder Beschäftigung- mit
Meinen Objecten, zum Lesen, Schreiben, Nähen u. s. w. untauglich macht.
Auch erweiset sich die Aufhellung des Gesichtsfeldes nicht gar selten
als eine blos vorübergehende, indem die Umwandlung und die tlicilweise
Aiifsaugung der entzündlichen Producte oft schon unter der Aogide des
trüben Schwundes vor sich geht, welcher nicht uugerne dem Wucherungs-
processe auf dem Fusse folgt und bei seinem allmäligen Vorschreiten mehr
und mehr nervöse Elemente zu Grunde richtet. Selbstverständlich ist dieser
Ausgang um so mehr zu fürchten, je grösser die Intensität des Processes
und je grösser die Menge der Producte war, je länger die Infiltration der
jSTetzhaut bestand und je weniger entsprechend das Verhalten des Kranken
während und iiach der Behandlung ist.
Der solchcnnassen begründete Schwund stellt sich jedoch nicht nothwendig
in der trüben Form dar. Oefters trägt derselbe in den späteren Stadien mehr
den Stempel der reinen oder grauen Atrophie, und zwar wird dies gerade bei den
absteigenden Formen der Neurodictyitis häufiger beoljachtet. Die entzündlichen Pro-
ducte im Nervenkopfe und der angrenzenden Netzhautzone werden dann völlig
resorbirt, der Schrumpfungsprocess aber schreitet unter dem Einflüsse des py-imären
Herdes weiter.
Behandlung. Die leitenden Indicationen der Therapie sind bei der
Dictyitis, sowie bei jeder anderen Entzündung, gerichtet: auf Fernhaltung
und Beseitigung aller Schädlichkeiten, welche den Process anzuregen, zu
untei"halten und zu steigern geeignet sind ; auf Beschränkung und Unter-
drückung der Geioehswucherung ; auf Rückbildung und Aufsaugung der krank-
haften Producte ohne Geftihrdung der noch bestehenden normalen Elemente.
Vor allem ist zu ermitteln, ob die Dictyitis die Bedeutung eines
secundären Leidens habe, und dann das etwa vorhandene primäre oder
Grundleiden wirksam zu bekämpfen. Insonderheit muss die Häufigkeit einer
sgphilitischen Basis im Auge behalten und, wo diese erwiesen oder wahr-
scheinlich ist, eine kräftige antlsgx)hilitische Behandlung eingeleitet werden.
In jedem Falle ist durch Anordnung eines entsprechenden Regimens
auf Hintanhaltuiig und Beseitigung aller Anlässe zur Steigerung der vor-
handenen Circulationsstörungen und des entzündlichen Reizzustandes hinzu-
wirken. In letzterer Beziehung ist es von grösster Wichtigkeit, das Sehorgan
in functionelle Unthätigkeit zu setzen. Es liegt dieses im Interesse nicht
blos der Causalindication, sondern auch der Indicatio morbi. Ruhe ist
nämlich anerkannt ein ganz vortretfliches, ja das am wenigsten entbehr-
liche Antiphlogisticum. Zu diesem Ende empfiehlt sich das Tragen eines
gut anliegenden und beide Augen vollkommen schliessenden Schutzver-
bandes. Soll derselbe aber seinen Zweck erreichen, so ist es unerlässlich,
dass er unverrückt liegen bleibe. Nur behufs der Reinigung des Gesichtes
und der Erneuerung der Charpie darf derselbe im Dunklen und bei ge-
schlossener Lidspalte abgelegt werden. Oeftere Abhebungen, besonders im
hellen Räume, oder gar Sehversuche sind gefahrlich, da durch das lange
Geschlossensein der Augen die Contrastwirkung hellen Lichtes sich bedeuteiTd
steigert und dessen reizenden Einfluss vermehrt. Leichtsinnige und dumme
Kranke verderben dadurch oft binnen wenigen Minuten, was 8 Tage lange
Abhaltung des Lichtes nützen konnte; daher denn auch bei solchen
Individuen die Prognose um ein Namhaftes ungünstiger ist, als bei sorg-
204 Neuro dictyitis diiFusa; Beliaudluiig ; Sclimierkur.
liehen und vernünftigen Kranken. Im Allgemeinen dürfte es gerathen sein,
ein finsteres Zimmer zum Aufenthaltsorte anzuweisen und überdies den
Schutzverband anzulegen.
Die blosse Versetzung der Kranken in ein verdunkeltes Zimmer entspricht im
Ganzen weniger dem Zwecke, als ein gut applicirter Scliutzvcrband. Der Kranke
fühlt sich nämlich bei offenen Äugen fortwährend versucht, seine Sehkraft zu
prüfen und strengt dabei seinen lichtempfindenden Apparat nicht wenig an. Es
ist aber auch kaum tliunlich, ein Wohnzimmer völlig gleichmässig zu verdunkeln
inid alle Contraste in der Erleuchtung auszuschliessen, ohne der nothwendigen
Lüftung entgegenzutreten und so den Kranken bei längerer Behandlung in anderer
AVeise zu gefährden.
Viele lassen den Kranken zwar mit offenen Augen frei herumgehen und legen
ihm blos die Vermeidung grellen Lichtes, aller Erlcuchtungscontraste und jedweder
die Augen stärker in Anspruch nehmenden Beschäftigung ans Herz. Doch treten
selbst bei der gewissenhaftesten Befolgung dieser Regeln die Heilwii-kungen ge-
meiniglich v:eniger rasch hervor und dies fällt bei einem Processe, bei welchem
eine längere Dauer anerkannt von schlimmstem Einflüsse auf die Prognose ist,
schwer in die Wagschale.
Als directe Mittel werden fast allseitig, und zwar ohne alle Rücksicht
auf syphilitische Begründung des Leidens, MercuriaUen für nothioendig er-
achtet. Es ist nun zwar erwiesen, dass bei nicht syphilitischen und nament-
lich auch bei frischen diifusen Netzhautentzündungen durch die erwähnten,
mehr diätetischen Massregeln ganz ausgezeichnete Resultate erzielt werden
können. Immerhin jedoch muss bei einem so gefährlichen und besonders
durch längere Dauer verderblich werdenden Leiden die den Mcrcurialien
beigemessene antiiihlogislische und ihre erprobte resorptionshethätigende Wir-
kung als ein erwünschter Behelf angesehen werden. Es erscheint insoferne
zum mindesten räthlich, dem oben vorgezeichneten Verfahren eine Innnctionskur
(S. 31) oder den innerlichen Gebrauch des Sublimates in auf- und ab-
steigender Dosis beizufügen. "■
Oertliche Blutentziehungen und andere antiphlogistische Mittel leisten kaum
etwas und werden am besten gemieden.
Im Allgemeinen ist dieses Verfahren durch 10 — 14 Tage in seiner
ganzen Strenge ohne Unterbrechung fortzusetzen. Nach dieser Zeit sind die
Augen im Dunklen zu lüften und vorsichtig auf die Zunahme der Sehkraft
zu prüfen, dabei aber ist jede stärkei'e Anstrengung zu meiden. In günsti-
gen Fällen zeigt sich dann meistens schon eine erhebliche Zunahme in der
Deutlichkeit der Wahrnehmungen und öfters auch einige Aufhellung etwa
vorhandener Unterbrechungen. Ist dieses nicht der Fall, so darf man in
der Regel nicht viel mehr hoffen ; eine Erhaltung des noch gegebenen
Grades von Functionstüchtigkeit ist dann meistens das Maximum dessen,
was erreicht werden kann.
Nun darf auch das Lästige der Cur einigermassen gemildert werden.
Während der Kranke noch einige Zeit den Sublimat oder, im Falle die
Schmierkur angewendet wurde, das Jodkali fortbraucht, wird die Diät
etwas aufgebessert und dem Kranken gestattet, täglich eine oder die andere
Stunde mit offenen Augen im verdunkelten Zimmer oder, bei günstigem
Wetter und nach Untergang der Sonne, im Freien umherzuwandeln. AU-
mälig wird die Zeit für diese Befugnisse verlängert und endlich ein Spazier-
gang bei Tageslicht an schattigen Orten erlaubt. Der Ki-anke wird sich
dabei mit Vortheil einer rauchgrauen Brille bedienen. Directes und auch
grelleres diffuses Sonnenlicht, iMmpenlicht etc. ist noch auf das sorgfältigste
Quellen. 205
abzuhalten, und wo sich der Kranke demselben nur schwer entziehen
kann, wird am besten der Schatzverhand applicirt. Wenn dann der Kranke
sich nach und nach an helleres Licht g-cwöhnt hat, darf er unter dem
Schutze eines breitkrämpigen Hutes und rauchgrauer Gläser sich frei im
Tageslichte umherbewegen, wird aber immer noch gut thun, grelles Licht
zu meiden.
Für einigermassen anstrengende Arbeiten, anhaltendes Schreiben, Lesen,
Nähen etc. bleibt der Kranke nicht gar selten untauglich, und wird am
besten gleich von vorneherein darauf aufmerksam gemacht. Ueberhaupt
kann auch lange nach Eintritt vollständiger Reconvalescenz eine rigoi'ose
Augendiät und Vermeidung aller Excesse in der Kahrung und dem Regimen
nicht genug an's Herz gelegt werden, will man Recidiven hintanhalten.
Wo Eefractionsfehler vorliegen, ist bei Wiederaufnahme der Arbeiten selbst-
verständlich eine genügende Correction durch entsprechende Brillen an-
zustreben.
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206 Neurodictyitis exsudativa; Krankheitstild.
2. Die exsudative Netzliantentzündung'.
Kranktieitsbild.. CharaJderistisch sind heller gefärbte, meistens von
Haufen dunMen Pigmentes besetzte Flecke, welche während oder nach dem Ab-
laufe einer diffusen oder mehr umschriebenen entzündlichen Netzhauttrübung am
Augengrunde hervortreten und von dem Untergänge des Tapetes, weiterhin aber
auch von dem Schwunde des Aderhaiitstroma abzuleiten sind.
Die ophthalmoskopischen Erscheinungen wechseln sehr, sind fast in
jedem Falle und in den yerschiedenen Stadien des Processes andere. Doch
lassen sich die Differenzen unschwer auf gewisse Typen zurückführen, welche
eben so viele Varianten des entzündlichen Vorganges vertreten.
a. Das Augenspiegelbild gleicht ursprünglich oft vollkommen dem
einer diffusen Xeurodictyitis : erst später, nachdem die gleichmässige Trübung
der Xetzhaut und Papille sich gelichtet hat, kommen die mittlerweile er-
folgten Veränderungen des Tapetes und des Aderhautstromas zur Wahr-
nehmung^. Der gelbrothe Ton des Augengrundes erscheint streckenweise
mehr, streckenweise weniger abgeblasst, oder ist an manchen Stellen einer
graugelb li clien , selbst fahlweissen Färbung gewichen. Häufig lässt sich
darin noch das Getäfel der Vasculosa erkennen. Es ist dasselbe entweder
blos schwach angedeutet, von zarter, schmutzig graubräunlicher Färbung ;
oder es sticht mit dunklen Schattirungen das Braun sehr stark hervor;
doch sind die Umrisse der einzelnen Täfelchen, stellenweise wenigstens,
minder regelmässig oder ganz zerworfen. Dazwischen sieht man gewöhn-
lich noch einzelne Wirbelgefässe streichen. Ueber den gefleckten oder mehr
gleichmässig gebleichten Augengrund sind ganz uni'egelmässig geformte,
kleinere und grössere, an den Grenzen köruige Pigmenthaufen zerstreut,
welche in allen Schattirungen vom hellen Braun bis zum Kohlenschwarz
wechseln, und bald spärlich, bald überaus zahlreich (Fig. F) sind.
b. In anderen Fällen tritt das Leiden unter den Erscheinungen einer
diffusen oder nephritischen Neurodicfyitis hervor; doch machen sich gleich
im Beginne die Exsudatanhäufungen in Gestalt kleinerer (Fig. C) odei
grösserer, oft figurirter Flecken bemerkbar, welche eine der umgebenden
Trübung ähnliche, aber viel gesättigtere, graulichweisse, grauröthliche oder
gelblichweisse Färbung haben. Sie sind bald regelmässig , bald unregel-
mässig gestaltet, bald scharf, bald verschwommen begrenzt und nicht selten
von Pigmentanhäufungen, welche anfänglich nur schwach durch die trübe
Masse durchschimmern, umsäumt oder durchstreut. "Wenn sich dann im
weiteren Verlaufe die infiltrirte Eetiua aufhellt und auch die ausgeschwitz-
ten Massen durch Aufsaugung und Schrumpfung mehr und mehr schwinden,
erhalten die einzelnen Herde das im ^Vorhergehenden oder im Xaclifolgen-
gen geschilderte Aussehen.
Manchmal, und wie es scheint besonders gerne bei der nejjliritl'schen Ent-
zündungsform, setzen sich derartige Flecke zusammen aus lauter kleinen, sehr
hellen, bei völliger Ausbildung weissgelblichen oder rein weissen und dann stark
glänzenden, länglichen, eckigen Figuren, welche bald abgerundete, bald ganz
scharfe Winkel (Fig. J) haben und, indem sie sich reihenweise an einander
ordnen, eine Art Stern oder Schmetterlingsfiügel formiren, dessen Strahlen alle
gegen die Fovea centralis oder einen dei'selben nahen Punkt convergiren und nach
Disseminirfo, circnmscriiili' Form. , 207
oben und vmten sicli viel weiter, als in querer Richtung erstrecken, so dass der
ganze Fleck eine längliclie Gestalt mit senkrechter Axe erhält. Man glaubt diesen
Zustand auf Verfettigung der Stützfasern der Netzhaut zurückführen zu dürfen
(ManÜmer).
c. Minder häufig entwiclcelt sich der entzündliche Process gleich ursprüng-
lich in umschriebenen Herden und fördert daselbst Producte in reichlicher
Menge, welche tlieils ivfiltrirt, tlieils an die liintere Oberfläche der Netz-
haut und unter Umstünden auch in das Gefuge der Aderhaut abgelagert
werden. Es erscheinen die Herde daher anfänglich nicht selten merklich
erhaben, ja in einzelnen Fällen frischen Datums kann man an ihren Grenzen
ein Emporsteigen der darüber hinwegstreichenden Netzhautgefässe wahr-
nehmen. Sie präsentiren sich bisweilen als rötlilichweisse, häufiger als
bläulich- oder gelblichweisse, selbst orangegelbe (Mauthner) matte Elecke,
welche mit schmalem verwaschenen Saume sich deutlich von den umgebenden,
normal gefärbten oder eine Strecke weit überilorten Theilen des Augen-
grundes abgrenzen (Fig. D). Das Tapet ist vermöge der Massenhaft! gkeit
und Opacität der Producte im Bereiche der Herde noch verhüllt, docli
kommen bisweilen schon frühzeitig einzelne Gruppen wuchernder Pigment-
zellen der Oberfläche nahe und werden als kleine überilorte blauschwarze
oder braune Inselchen gesehen. Späterhin, nach theilweiser Resorption des
Exsudates werden die Herde durchscheinender. Man erkennt dann in ihrem
Bereiche öfters ganz deutlich das Getäfel der Vasculosa und zwischendurch
einzelne der Wirbelgefässe (Fig. D). Häufiger jedoch geht daselbst das
Pigment ganz verloren, die Aderhaut atrophirt mehr und mehr und die
Grundfarbe der Flecke wird ein ziemlich gleichmässiges Grauroth, Weiss-
roth, Weissgelb (Fig. E) oder schmutziges Gelbgrau, seltener mit einem
deutlichen Stiche ins Grüne. Die Gefässe der Vasculosa sind dann , so
weit der Herd reicht, meistens völlig geschwunden. An- und ausser-
halb der Grenzen der Flecke zeigt sich fast immer dunkles Pigment in
Klumjjen, welche ganz unregelmässig zerstreut umherstehen, ausnahmsweise
die Umrisse der Knochenkörperchen nachahmen (Fig. E) oder baumartig
verzweigt sind. Einmal hat man in den Flecken hellgelbe stark glänzende
Krystalle gesehen. (Nagel).
Gewöhnlich fehlt den einzelnen Herden alles Typische in der äusseren
Gestaltung. Die Figur ist eine ganz unregelmässige (Fig. D, E). Die Zahl
der Herde ist meistens eine geringe, oft findet sich gar nur ein einziger.
Dafür aber erreichen dieselben häufig einen sehr bedeutenden Umfang, ja
decken nicht selteii den ganzen Hintertheil des Augengrundes (Disseminirte
Form).
Nicht gar selten beschränkt sich der Process lediglich aif die Macula
lutea und nimmt dann ganz eigenthümliche Formen an. So findet sich
bisweilen daselbst ein kohlschwarzer, meistens ganz scharfbegrenzter rund-
licher oder auch winkeliger Fleck von geringem Umfange, welcher bisweilen von
einem mehr weniger breiten hellweissen Hof umsäumt ist, dessen äusserer
Rand öfters wieder von körnigem Pigmente besetzt erscheint. In anderen
Fällen zeigt sich in der Gegend der Macula lutea ein bläulicher (Fig. B) oder
ein rother rundlicher Fleck umgeben von einem scharf begrenzten hellen
Ringe. Ausnahmsweise hat man in der Gegend der Macula lutea wohl
auch mehr weniger ausgebreitete rundliche Herde gefunden, in welchen das
208 Keurodictyitis exsudativa; Krankheitstild ; Areolare Form; Sehstörungen.
Tapet gänzlich untergegangen war und dem zu Folge die Wirbelgefässe
der Chorioidea bloszuliegen schienen (Ed. Jaeger).
Es vinterliegt kaum einem Zweifel, dass diese Formen (Retinitis circumscrip-
ta, Förster) als exsudative zu betrachten seien. In der That hat man in einem
Falle Wucherung der Körnerschichten , Vernichtung des Zapfenstratums und die
Ablagerung eines in seinen äusseren Lagen stark pigmentirten gefässreichen Ge-
webes zwischen Ader- und Netzhaut als Grund eines umschriebenen schwarzen
Fleckes in der Macula lutea nachgewiesen (SäviischJ.
Eine andere Reihe von Fällen charakterisirt sich durch das Auftreten
meistens sehr zahlreicher, ziemlich scharf begrenzter Herde, welche sämmt-
hch eine rundliche oder ovale Form haben und von einem Saume dunklen
Pigmentes und jenseits desselben bisweilen auch noch von einem hellen
Hofe, wenigstens theilweise, eingefasst werden. Es sind diese Herde bis-
weilen so dicht an einander gedrängt, dass sie zu grossen Flecken zusammen-
fliessen und nur mehr an deren äussersten Grenzen von einander gesondert
werden können (Fig. H). Oder man findet nur in der Gegend der Macula
lutea einige grössere rundliche Herde zusammengehäuft; in einiger Ent-
fernung von diesem Orte werden die Herde sparsamer, stehen mehr zer-
streut und sind auch um vieles kleiner (Fig. <?), ja viele derselben stellen
nur kleine rundhche Tüpfel dar, welche von einem breiten Pigmentsaume
umgeben werden; oder sie präsentiren sich gar als solide Pigmenthäufcheu.
In einigen Fällen will man eine nähere Beziehung der Herde zu den
Netzhautgefässen bemerkt haben (Nagel, Areolare Form).
Wo die Neuro dictyitis exsudativa rein dasteht, ist mit den geschilder-
ten ophthalmoskopischen Erscheinungen die objeetive Seite des Krankheits-
bildes ziemlich erschöpft. Von aussen her betrachtet erscheint der Bulbus
wirklich in der Eegel völlig normal, selbst Hyperämien werden meistentheils
vermisst. Doch stösst man in dem entzündlichen Stadium und während den
nicht seltenen Nachschüben des Processes häufig auf diffuse Trübungen des
Glaskörpers, welche die ophthalmoskopische Untersuchung sehr erschweren.
Bisweilen kömmt es auch Avohl zu einer regeren Mitleidenschaft der Uvea,
es gesellen sich zu den Erscheinungen der exsudativen Netzhautentzün-
dung jene einer Iridochorioiditis.
Unter den subjectiven Symptomen spielen partielle Umnebelungen oder
Verdunkelungen des Gesichtsfeldes die Hauptrolle, ja sind geradezu charakteristisch.
Sie entsprechen der Lage nach ganz gewöhnlich, seiteuer dem Umfange
und der Form nach, den Exsudatherden. Die Kranken beschreiben sie als
mehr weniger dichte, weissliche oder graue, selten als farbige, grünliche,
bläuhche etc. Nebelhaufen, oder als dunkle rauchfärbige, bräunliche bis
mattschwarze Wolken, Flecke, als unregelmässige und wohl auch unter-
brochene Ringe u. s. w., welche über einem ganz bestimmten Theile des
Gesichtsfeldes lagern, mid die daselbst befindlichen Objecto decken. Oft
ist innerhalb dieser Flecken der Farbensinn auffallend gestört (Leber).
Hinter den dunkleren Stellen verschwiriden dem Kranken die betreffenden
Objecttheile völlig, während sie an den helleren Stellen wie durch einen Nebel,
Schleier, Rauch gesehen werden. Durch günstige Beleuchtung und richtige Stellung
der Objecte zum Lichte können diese helleren Stellen öfters um ein Bedeutendes
verkleinert und so weit aufgeklärt werden, dass die dahinter gelegenen Object-
theile um vieles deutlicher heraustreten. Stehen die Flecke im Centruvi des Ge-
sichtsfeldes, was bei der Vorliebe der Neurodictyitis exsudativa für die Gegend
der Macula lutea häufig der Fall ist, so wird das Lesen, überhaupt das Erkennen
sehr kleiner Objecte, sehr schwierig; der Kranke muss dann öfters sich dadurch
Ursaclifii; Voihuif. 209
helfen, dass er die optische Axe falsch einstellt, die Bilder also auf excentrische,
noch g-esunde Netzhautstellcii leitet. Ist aber das Centrum frei, so kann der Kranke
oft noch die feinste Schrift lesen; es fehlt ihm aber die Uebersicht, das Gesichts-
feld erscheint nach einer oder mehreren Richtungen unterbrochen und dalicr ist
besonders das Erkennen grösserer Objecte erschwert. Es mindern sich diese Hin-
dernisse in dem Masse , als die Grenzen der verdunkelten Stelle vom Centrum
liinwegrücken ; ja einigermassen iceiter abstehende Flecke werden in der Kegel nur
bei genauerer Untersuchung zur Wahrnehmung gebracht, sonst aber von dem
Kranken völlig übersehen. Die Peripherie der Netzhaut bleibt in ihren Functionen
gewöhnlich vollkonnnen unlieirrt^ A.i\ daselbst Exsudationsherde nicht leicht vor-
kommen und da die Nervenfasertichiclite im Bereiche gegebener Herde erst spät,
wenn überhaupt, zu leiden pflegt. Kommt es Ider bis zur vollständigen Atrophie
der Netz- und Aderhaut, so fehlen auch periphere Einschränkungen des Gesichts-
feldes nicht.
Eine eigenthümliche Erscheinung ist das Krummsehen von Linien , so weit
diesellien in die den einzelnen Herden entsprechenden Aichungen des Gesichts-
feldes fallen. Es wird dasselbe ziemlich häufig bei der Neurodictyitis exsudativa
beobachtet und macht sich dann insbesondere an den Grenzen der Unterbrechungen
geltend. Man bezieht es auf Niveaiwerschiedenheiten der Netzhaut im Bereiche der
Exsudationsherde und auf damit gesetzte Lageveränderungen der lichtempfindenden
Elemente (Förster), welche wieder bald auf die Anhäufung von Producten (Classen),
bald auf die mit der nachfolgenden Schrumpfung der Netz- und Aderhaut ver-
knüpfte Einziehung (Knapij) zurückgeführt werden.
Selbstverständlich kommen die erwähnten charakteristischen Sehstöriin-
gen nur bei umschriebenen Exsudations- Processen zur Beobachtung und ge-
hören vornehmlich den späteren Stadien des Leidens an, wo die Entzün-
dung als solche bereits gewichen ist. Wo die Netzhaut ihrer ganzen x\us-
dehnung nach in der Wucherung begriffen und etwa noch der Glaskörper
diffus getrübt ist, dort verschwimmen die Unterbrechungen in dem aller-
w'drts dicht umnebelten Gesichtsfelde, ja häufig ist das Sehvermögen gar
auf quantitative Lichtempfindung herabgedrückt.
Ursachen. Die Aetiologie fällt grossen Theiles mit jener der diffusen
Neurodictyitis zusammen, die exsudative Form entwickelt sich häufig nehen
und mit der ersteren. Wo die letztere mehr selbstständig auftritt, scheint
öfters allgemeine Syphilis, sowohl erworbene als hereditäre (Hutchinson), den
Grund abzugeben. Eine wichtige Kolle spielt jedenfalls auch die Ent-
wickelung des hinteren Scleralstaphyloms. Bei höheren Graden desselben und
namentlich bei vorgerückterem Alter des Trägers sind in der That die der
exsudativen Netzhautentzündung und ihren Folgen eigenthümlichen Ver-
änderungen am Augengrunde sehr häufig zu beobachten (Donders). In ein-
zelnen Fällen von Retinitis circumscripta geben ohne Zweifel Haemorrhagien
in die Macula lutea den nächsten Anlass zur Entzündung. Auch glaubt
man, dass sympathische Einflüsse (Graefe) ja selbst Tuberculosis (Coccius)
zur Neurodictyitis exsudativa führen können. Im Grossen und Ganzen ist
jedoch der Nachiveis eines genügenden, oder auch nur einigermassen ent-
sprechenden ätiologischen Momentes nicht gar häufig möglich. Oft entzieht
sich nicht nur die Gelegenheitsursache, sondern auch die Zeit des Beginnes
der Krankheit der Erörterung.
Verlauf. In der Mehrzahl der Fälle entwickelt sich das Leiden
unter ganz unscheinbaren, ausserdem aber auch rasch wieder schwindenden
Reizsymptomen und schreitet nur sehr langsam und unvermerkt weiter.
Fallen die Exsudationsherde nicht zii nahe dem Centrum der Netzhaut
oder gar in dasselbe, so übersieht der Ki'anke oftmals die vorhandenen
stell wag, Augenlieilkunde. 14
210 NeuroJictyitis exsudativa; Verlauf; Ausgänge.
Gesichtsstörungen und es vergehen mitunter Jahre, bis der Zufall oder
die allmälige Ausbreitung der Nebelflecke über centrale Partien des Seh-
feldes die Aufmerksamkeit auf den Defect lenken und die ophthalmo-
skopische Untersuchung den Bestand veralteter Producthaufen erweiset.
In anderen Fällen, namenthch wo eclatante Schädlichkeiten die Ver-
anlassung waren, tritt die Neurodictyitis exsudativa plötzlich unter auf-
fälligen und wohl auch alarmirenden Entzündungserscheinungen in reiner
Form oder in den erwähnten Combinationen auf, der Process steigert sich
rasch bis zu einer gewissen Höhe, verliert dann aber wieder an Intensität,
die Reizsymptome schwinden mehr und mehr, die Entzündung selbst ist
erloschen, es bleiben nur ihre Folgen, insbesondere die charakteristischen
Exsudatfladen und die davon abhängigen partiellen Umnebelungen oder
Verdunkelungen des Sehfeldes zurück. Hat die etwa nebenhergehende
Iridochorioiditis , Hyalitis etc. nicht dauernde Schäden gesetzt, so bessert sich
in der Regel sogar das Sehvermögen um ein Beträchtliches, die verdunkel-
ten Stellen des Sehfeldes zerreissen gleichsam, verlieren an Umfang, hellen
sich stellenweise auf und früher blos umnebelte Theile des Gesichtsfeldes
werden wieder klar.
Auf diesem Puncte angelangt, steht der Process gleichsam still. Es
braucht dann oft Monate und Jahre, ehe irgend welche erhebliche Ver-
änderungen im Krankheitsbilde sich ergeben. Häufig ist der Abschluss ein
vollständiger , es kömmt nicht mehr zur Bildung neuer Exsudatherde, und
die alten schreiten mehr und mehr dem Schwunde zu. In anderen Fällen
jedoch recidivirt die Krankheit, der Process gewinnt mit oder ohne nach-
weisbare Ursache wieder einen Aufschwung, es entwickeln sich neben den
alten neue Herde, worauf die Entzündung zurückgeht, um nach einer längeren
oder kürzeren Remission abermals aufzuflackern u. s. f.
Besonders häufig sind solche Nachschübe, wo Staphyloma posticum oder
Syphilis die Veranlassung war, oder wo die Krankheit ohne erweisbare
Ursache sich schon während der Jugendperiode in umschriebenen Herden
ganz unmerklich entwickelt hat. In solchen Fällen geht der Process
auch gewöhnlich auf das andere Auge über. Wo hingegen Traumen den
Grund abgaben, bleibt die Entzündung gewöhnlich auf das betroffene Auge
beschränkt.
Ausgänge. Auf eine Herstellung der Norm ist bei Bestand der charak-
teristischen Exsudatfladen wohl niemals zu hofTen. In frischen Fällen wird
unter Beihilfe geeigneter Therapie das entzündliche Product allerdings
nicht selten zum grössten Theile oder wohl gar völlig wieder resorbirt' doch
rehabilitiren sich damit die betreffenden Portionen der Netzhaut kaum jemals
vollständig • auch wird die Chorioidea durch Atrophie fast immer sehr hart
mitgenommen und verstärkt dann durch abnorme Lichtreflexionen die in
den Netshautalterationen wurzelnden Sehstörungen. Dem zu Folge bleiben
die Objectbilder im Bereiche der Herde zum mindesten umschleiert oder
verschivommen. Bisweilen zeigen sie sich daselbst auch verzerrt.
Gewöhnlich ist die Resorption eine blos theilweise, der Rest des Pro-
ductes geht ständige Formen ein und führt die betrefi'enden Portionen der
Aderhaut und der Retina allmälig zum Schwunde. Von der Netzhaut bleiben
dann die vorderen Schichten öfters iutact, während die hinteren, so weit die
Herde reichen, melu* und mehr degeneriren. In anderen Fällen greift der
Verlauf; iiariiclle Netzliaiitatroiiliii' ; [riilochorioditis. 211
Schwund am Ende durch die ganze Dicke der Netzhaut, ja diese wird inner-
halb den Grenzen der Exsudatliaden gar nicht selten in ein höchst zartes
bindegewebiges Häutchen verwandelt, welches, von der oft durchlöcherten
Limitans g-edeckt, der imtcrlagerndon höclisf gradig atrophirten Aderhaut fest
anhaftet und neben Haufen neugcbildcten Pigmentes nur wenige Gefässe zu
enthalten pÜegt, die überdies zum Theile atheromatös entartet, oder in
bindegewebige, von iiügelförmigen Anhängseln begleitete Stränge verwan-
delt sind. Zum Glücke ist dieser degenerative Process in der Regel ein
sehr langsamer. Es bestehen in der That derlei Herde häufig sehr viele
Jahre, ehe die betreffenden Netzhauttheile das Lichtempfindungsvermögen
völlig verlieren, ja man hat guten Grund anzunehmen, dass der Schwund
der nervösen Elemente überhaupt kei7ie nothwendige Folge sei, die Ver-
bildung der Retina vielmehr in den verschiedensten Stadien für immerdar
sistirt werden könne.
Die ausserhalb den Grenzen der Exsudatfladen gelegenen Portionen
der Ader- und Netzhaut vegetiren in einfachen Fällen meistens ganz
normal weiter und pflegen auch ihre Functionstüchtigkeit ungeschivächt zu
erhalten. Ist die Netzhaut im Bereiche der Exsudatherde nicht gar zu
sehr alterirt worden, sind diese überdies vielleicht excentrisch gelagert und
nicht übermässig ausgedehnt, so kann das Auge nach dem Mitgetheilten
zeitlebens einen ziemlichen Grad von Brauchbarkeit bewahren, und bewahrt
ihn unter günstigen Umständen factisch gar nicht selten, ja mitunter
scheinen bei abgelaufenen Processen die Gesichtsstörungen mit den ophthal-
moskopisch nachweisbaren Alterationen des Augengrundes in keinem Ver-
hältnisse zu stehen.
Tritt die Neurodictjitis exsudativa jedoch in der Jugend auf und ist
obendrein die Sehstörung wegen mehr centraler Lagerung der Herde eine
sehr fühlbare: so kömmt es in dem allei7i oder vorwiegend afficirten Auge
sehr oft zu functioneller Stumjifheit der frei gebliebenen Netzhauttheile,
indem der Kranke im Interesse der Deutlichkeit der Wahrnehmungen die
Eindrücke des fraglichen Aut>;es bald unterdrücken lernt und dieses sohin
gewissermassen ausser Uebung gesetzt wird. Auch strabotische Ablenkungen
sind unter solchen Verhältnissen nichts ungewöhnliches. Ebenso werden
die frei gebliebenen Theile der Retina im späteren Verlaufe der Krankheit
ziemlich oft sehr merklich an ihrer Functionstüchtigkeit geschädigt, wenn
die Exsudationsherde sehr ausgebreitet sind, sich über den ganzen hinteren
Theil des Augengrundes ausdehnen. Die Ursache scheint dann in gestörten
Ernährungsverhältnissen der gesammten Netzhaut zu liegen. Man findet unter
solchen Umständen nämlich sehr häufig die Hauptgefäss stamme der Retina
in auffallender Weise verdünnt und oft auch an Zahl vermindert, oder
theilweise durch Collateralen ersetzt.
Am schlimmsten fährt der Kranke begreiflicher Weise, wenn die
exsudative Netzhautentzündung in irgend einem Stadium des Verlaufes oder
gar wiederholt sich mit Iridochorioiditis vergesellschaftet und diese nicht
rasch genug getilgt werden kann. Es concurriren dann nämlich die schweren
Folgen dieser Krankheit mit jenen der Neurodictyitis und das Endresultat
ist gar nicht selten völlige Erblindung oder gar Schwund des gesammten Aug-
apfels, also Ausgänge, welche bei der reinen Form der exsudativen Netz-
hautentzündung kaum jemals zu beklagen sind.
14*
212 Neurodictyitis exsudativa; Behandlung; Quellen.
Die Behandlung muss immer den jeweiligen Verhältnissen angepasst
werden und fällt fast durchwegs mit jener der diffusen Neurodictyitis
zusammen (Siehe diese.) Auch hier ist die Schmierkur während den eigent-
lich entzündlichen Stadien das am meisten oder eigentlich ausschliesslich zu
empfehlende Mittel. Bei zweckmässiger Durchführung derselben ist in frischen
Fällen wirküch die Aufsaugung der Exsudatmassen und die Aufhellung
der Flecke im Gesichtsfelde häufig eine überaus erfreuliche. Wo derlei
Zustände schon längere Zeit bestehen, ist selten mehr als eine merkliche
Besserung zu erwarten. Ist die Atrophie im Bereiche der Herde schon
weit vorgeschritten und eigentlich kein Product mehr da, welches auf dem
Wege beschleunigter Resorption zu beseitigen wäre, so ist das erwähnte
Verfahren natürlich eben so unwirksam, als jedes andere und kann nur
gerechtfertigt werden, wenn Verdacht auf Syphilis besteht und es darauf
ankömmt, den Becidiven des Processes durch Tilgung des Grundleidens
zuvorzukommen. Im Allgemeinen wird man dann sich am besten auf ent-
sprechende Augendiät beschränken, um die Ursachen von wiederholten Ent-
zündungsanfällen möglichst ferne zu halten und von dem vorhandenen
Sehvermögen solchermassen zu retten, was noch zu retten ist. Recidivirt
dennoch der Process, so ist eben so vorzugehen , als wäre die Krankheit
in ihren ersten Phasen begriffen.
Die localen Blutentziehungen leisten wenig oder nichts. Die Revtilsiva, inson-
derheit die neuerlich wieder anempfohlene Application eines Haarseiles in den
Nacken (Pagenstecher), sind jedenfalls entbehrlich und werden am besten gemieden.
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Krankheitsbild.. Als charakteristisch gelten stippchenförmige und fleck-
weise Anhäufungen eines trüben Productes, welche sich neben zahlreichen hämor-
rhagischen Extravasaten unter starker localer Blutüberfüllung und beträchtlicher
Abnahme des Sehvermögens in der diffus getrübten Netzhaut, besonders reich-
lich um den Sehnerveneintritt herum, zu bilden pflegen.
Nenrodictyitis iH>pIiriticii; Kiiinkhcitsbild. 213
1. Das ophthalmoskopische Bild ist je nach dem Zeitpunkte der Untor-
sucliung ein ziemlich wechselvolles. Im ersten Beginne der Netzliautaifection
fällt die starke Blutüberfüllung auf; der Sehnerveneintritt und die umgehende
Zone der Netzhaut zeigen sich geröthet von zahlreichen injicirten feineren
Gefässen. Die Ve^ien erscheinen ausgedehnt, sehr geschlängelt und deuten
durch lichtere und dunklei-e Stellen nicht selten ein Auf- und Niedersteigen
in hügelartig geschwellten lletinalportioncu an. Die Arterieii hingegen
sind kaum erweitert, eher dünner als in der Norm. Alsbald kömmt es
auch zu Blutextravasatev, welche theils die Form zarter Spritzer, theils die
Gestalt von Flecken darbieten und sich oft so häufen, dass sie die Gefässe
decken. Dazu tritt alsbald eine ausgebreitete ditfuse, bläulichgraue oder
gelblichgraue, schleierartige Trübung der Netzhaut, welche sich längs der
Gefassstämme und in der Umgebung des Sehnerveneintrittes an ver-
scliiedenen Stellen rasch verdichtet und kleinere und grössere, weissgraue
oder milchweisse Flecke mit unregelmässigen Grenzen darstellt, welche, so
weit sie reichen, die Gefässe und den Augengrund theilweise verhüllen
(Fig. J, K). An anderen Orten, namentlich in der Umgebung der Macidn
lutea, bilden sich gerne kleine weissgraue oder milchweisse Tüpfel, welche
sich rasch vermehren, zu Haufen gruppiren und oft unter wachsender
Trübung ihrer Zivischenräume zusamracntliessen.
Schreitet der Enfzündungsprocess noch weiter vor, so schwillt die über-
florte und geröthete Papille so wie die nachbarliche Zone der Netzhaut
immer mächtiger an, die grauweissen oder milchweissen Flecke nehmen
an Umfang und Zahl zu, breiten sich über den Sehnerveneintritt aus,
verhüllen denselben mehr und mehr, wechseln ihre Farbe ins helle Weiss-
gelb, werden völlig opak, fettglänzend, ziehen sich dabei aber oft in die
hinteren Schichten der Netzhaut zurück, so dass die verhüllten Gefassstämme
und Extravasate wieder theilweise oder ganz hervortauchen mid in klaren
Bildern gesehen werden.
Ausnahmsweise fliessen diese Flecke und nach ihnen auch die in der Gegend
der Papille gelegenen Tilpfelgruppen zusammen zu einem gegen die Macula hitea
hin meistens offenen (Iwanoff) , fettglänzenden gelblichweissen und graubräun-
lich schattirten Wall, welcher sich nur undeutlich von dem angeschwollenen und
zum Theile röthlich durchschimmernden, oder durch das Infiltrat ganz verfärbten
Nervenkopfe abgrenzt, nach dem Aequator hin aber gewöhnlich in einer zackigen
Linie endet, deren Vorsprünge den grösseren Gefässen zu entsprechen pflegen.
Diese Grenze ist bald eine ganz scharfe , bald ist sie strahlig streifig oder wolkig
verschwommen, oder sie löst sich in Tilpfelgruppen, oder in eine marmorirte Zeich-
nung auf. Die peripheren Netzhautportioneyi sind oft völlig normal oder doch nur
wenig getrübt; oft sind sie deutlich schleierartig getrübt und stellenweise von grau-
weissen Tüpfeln besäet (Liehreich).
Das Augenspiegelbild wird während dem eigentüchen Entzündung sstadium
häufig durch Glaskörpertrühungen sehr verundeutlichet. Im Uebrigen bietet
der Bulbus in der Regel keine hervorstechenden objectiven Krankheits-
symptome dar.
Subjectiv äussert sich das Leiden durch ein allmäliges, von zeitweiligen
Stillständen und Besserungen unterbrochenes Sinken der Sehkraft, durch
eine meistens uvgleichmässige Umnebelung oder Verdunkelung des Gesichts-
feldes mit oder ohne periphere Einschränkung desselben. Zu einer völligen
amaurotischen Verfinsterung des Sehfeldes kömmt es jedoch selten durch die
Dictyitis an sich.
22^4: Neurodictyitis nepliritica; Ursachen.
Ursachen. Die geschilderte Form der Netzhautentzündung kann sich
nach den bisherigen Erfahrungen möglicher "Weise unter den mannigfaltigsten
phathogenetischen Verhältnissen entwickeln. Man hat ähnliche ophthalmo-
skopische Bilder bei der Zuckerruhr (Ed. Jaeger, Noyes, Bouchut), ja bei
Neuro dictyitis descendens als Folge von Cerebralleiden beobachtet (Graefe,
H. Schmidt). In der Regel jedoch steht die beschriebene Form der Dictyitis
in Abhängigkeit vom Brigth'schen Nierenleiden. Sie tritt öfters schon in sehr
frühen Stadien der albuminosen Nephritis auf; gewöhnlich aber sind es die
späteren Perioden chronisch verlaufender Fälle, in welchen sie sich geltend
macht, ja sehr häufig kömmt sie erst zu Stande, nachdem bereits fettige
oder choloide (amyloide) Degeneration eingetreten oder die Nieren in der
Schrumpfung weit vorgeschritten sind.
Es ergibt sich hieraus unmittelbar, dass die nephritische Netzhautentzündung
nicht ivohl in directem iirsächlichen Zusammenhange mit dem Eiweissgehalte des
Harnes stehen könne. Die klinische Beobachtung bestätigt dies, insoferne thatsächlich
genug Fälle vorkommen, in welchen das Albumin im Harne bereits fehlt oder, wenn
es vorhanden ist, in seinem procentarischen Verhältnisse steigt oder fällt, ohne dass
sich irgend welcher Einfluss auf den Gang des Netzhautleidens erkennen Hesse.
Eben so Avenig kann vor der Hand die anomale Blutmischung (Graefe) als letzter
Grund ang-enommen werden, da die zur Zeit bekannten Veränderungen des Blutes
allen Fällen Bright'scher Krankheit gemeinsam sind, während die Neurodictyitis
nicht zu den constanten, ja nicht einmal zu den häufigsten Folgezustäuden der
albuminosen Nephritis gehört. Eine Zeit lang glaubte man die nächste Veranlassung
in organischen Herzfehlern (Iman, TrauheJ und damit begründeten Blutstauungen,
Oedem, Hämorrhagien suchen zu müssen, um so mehr, als Hypertrophie des linken
Ventrikels, Klappenfehler etc. als co»w/a7ite Vorläufer und Begleiter der nephritischen
Neurodictyitis galten ( Schweig g er). Es steht aber fest, dass das Herzleiden sehr wohl
fehlen könne (Nagel, Homer, Secondi, Pagenstecher) und dass das überaus himfige
Zusammenfallen desselben mit der in Rede stehenden Form der Netzhautentzündung
sich einfach daraus erkläre, dass die Bright'sche Krankheit in ihrem weiteren Ver-
laufe sehr gewöhnlich zu Herzfehlern führt, letztere aber umgekehrt auch ein wich-
tiges pathogenetisches Moment der ei'steren abgeben (Rokitansky).
Zu den entfernte^-en Ursachen der nephritischeu Neurodictyitis gehört selbst-
verständlich alles, was das Bright'sche Nierenleiden anzuregen vermag. Man findet
beide gelegentlich neben Marasmus und Cachexie im Gefolge des Typhus, des
Wechselfiebers, protrahirter Eiterung, Tuberkulose etc.; vornehmlich aber als
secundäre Leiden nach exanthematischen Krankheiten und darunter besonders des
Scharlachs, nach Cholera, Pyämie, nach häufigem Genüsse geistiger Getränke oder
scharfer harntreibender Mittel u. s. w. (Rokitansky). Auch in den letzten Monaten
der Schwangerschaft wird die Netzhautentzündung neben Albuminurie beobachtet
(Pagenstecher, Secondi, Galezowski) und die Nephritis dann, ahnlich wie bei Herz-
fehlern, auf mechanische Strömungshinderuisse in den Nieren, insbesondere auf
Erweiterung der Spermaticalvenen zurückgeführt (Virchow).
Verlauf und Ausgänge. Bisweilen ist die Entwickelung des Netz-
hautleidens eine wahrhaft acute, schon binnen wenigen Tagen nach dem
Auftreten der Sehstörung haben sich iinter Zunahme der letzteren grosse
Mengen von entzündlichen Producteu in der hinteren Netzhauthälfte ge-
sammelt. In der Regel jedoch ist der Verlauf von Anbeginn an ein lang-
samer, selbst chronischer und dazu sehr oft auch von Stillständen, oder
wohl gar von theilweisen Rückgängen schon gebildeter Productanhäufungen
unterbrochener.
Ist der Process zu einer gewissen Höhe gediehen, so verharren die
Theile öfters wochenlang ohne erhebliche Veränderungen, liöchstens kömmt
es zu weiteren Blutergüssen, welche sich über kleinere und grössere Por-
tionen des Walles ausbreiten. Am Ende macht sich die regressive Metamorphose
Verlauf; Ausgänge; Amaurosis uraemica. 215
geltend, die Producie werden allniälig wieder resorbiri, die verhüllt, ge-
wesenen Gefässstücke tauchen hier und da wieder hervor, die Flecke
werden stellenweise durchscheinend, verlieren ihre helle fettigweisse Farbe,
zerklüften wohl auch, kurz der Process schreitet seinen Ausgängen zu.
Es ist jedoch durchaus nicht nothwendig, dass jene charakteristischen
Tüpfel und Flecke sich wirklich ausbilden. Gar nicht selten trägt die
nephritische Neurodictyitis während ihrem ganzen Verlaufe blos die Symptome
der einfachen diffusen Netzliautentzündung zur Schau. Haben sich die Pro-
ducte zu Tüpfeln und tladenförraigen Exsudalhaufen verdichtet, so lösen
sich dieselben meistens theilweise wieder auf, ohne zu einem Walle zusammen-
geflossen zu sein. Aber auch vollständig ausgebildete und ausgedehnte Fett-
wälle können sich unter günstigen Umständen zurückbilden, so dass keine
Spur oder doch nur eine zarte Trübung übrig bleibt, welche die Functions-
tüchtigkeit der Netzhaut wenig beirrt.
Verhältnissmässig am günstigsten sclieinfc die Progjnose zu sein, wenn sich die
albuminose Nephritis im Gefolge acuter Exantheme (Homer, HöringJ oder im Ver-
laufe der Schwangerschaft entwickelt und nicht sehr weit gediehen ist, so dass die
Herstellung der normalen Functionstüchtigkeit der Nieren keine sonderlichen Schwie-
rigkeiten findet. Es geht dann bisweilen das Netzhautleiden zurück, während die
Albuminurie noch lange fortbesteht (Secondi).
Im Ganzen sind Heilungen kein gewöhnliches Vorkommniss ; in der
Regel bleiben ausgedehnte Trübungen mit entschiedener Functions Störung, in
weiterer Instanz aber Atrophie der Netzhaut zurück. Manchmal kömmt
es auch zu Abhebtmgen der letzteren und dieses zwar bisweilen schon sehr
frühzeitig.
Gar nicht selten zeigen sich nach Aufhellung der getrübten Netzhautpartien
die der exsudativen Neurodictyitis eigenthümlichen Flecke am Aderhautgrund. Sie
bekunden eine streckenweise Exsudation des entzündlichen Productes auf die
äussere Oberfläche der Netzhaut. Sie haben bald ganz die Eigenschaften der disse-
minirten Form, bald sind sie durch einen auffallenden Glanz und hellweisse Farbe,
so wie durch den Mangel von Pigmentanhäufungen und durch höchst unregelmässige
fetzige Umrisse ausgezeichnet. Relativ häufig findet sich die aus kleinen eckigen
Plättchen zusammengesetzte strahlige Figur in der Gegend der Macula lutea (S.
•206, Fig. J).
Sehr oft gelangt das Netzhautleiden gar nicht zu den Ausgängen,
indem der Kranke früher dem Allgemeinleiden erliegt.
Häufig stellen sich im Verlaufe des Bright'schen Nierenleidens urämische
Amaurosen ein. Es sind dieselben, wie schon der Name andeutet, an die
Entwickelung der Urämie gebunden und erklären sich aus dem Einfliisse
eines mit Harnstoffen geschwängerten Blutes auf die betreffenden Gehirn-
theile. Sie treten daher auch immer in Gesellschaft mit anderen Symptomen
der Urämie auf, zumal während Anfällen von heftigen Kopfschmerzen,
Schwindel, Bewusstlosigkeit , Lähmungen, Convulsionen , maniacalischer
Aufregung etc. Zum weiteren Unterschiede von der durch nephritische
Dictyitis und Neuritis bedingten Sehstörung ist ihre Entwickelimg meistens
eine sehr rapide, sie gedeihen nicht selten innerhalb einiger Stunden, ja
Minuten, bis zur completen Erblindung, können umgekehrt aber eben so
rasch wieder zurückgehen.
Es ist hierbei wohl zu merken, dass die Urämie nicht nothwendig zur Amau-
rose führt; dass die nephritische Dictyitis sehr oft völlig abläuft, ohne dass es zu
einer intercurrenten urämischen Amaurose gekommen wäre und dass sich diese über-
haupt gerne erst in den späteren Stadien der Netzhautentzündung einstellt; während
umgekehrt urämische Amaurosen ohne entzündliche Affection der Retina selten
216 Neurodictyitis nephritica; Behandlung.
beobachtet werden. Merkwürdia: ist jedenfalls, dass ein grosser Theil der mit nephri-
tischer Netzhautentzüudung Behafteten bald nach der Entwickelung dieses Local-
leidens an Urämie zu Grunde geht, und dass zuweilen kurz nach urämischen Zu-
fällen Xetzhautentzmidinig auftritt.
Die Behandlung muss selbstverständlich in erster Linie auf das
Grundleiden gerichtet werden. Die Regeln liiefür gibt die specielle Therapie.
Im Allgemeinen wird von den Oculisten der innerliche Gebrauch von Säuren
und in Bezug auf das Augenleiden eine derivatorische Kur, insonderheit die wieder-
holte Application natürlicher oder des Heurtelloupschen Blutegels anempfohlen. Die
Blutentziehungen müssen bei dem gewöhnlich sehr herabgekommenen Zustande
der Kranken für bedenklich erklärt werden, um so mehr, als sie kaum etwas nützen.
Dagegen kann unter Umständen das Eisen vielleicht Yortheil bringen (Homer).
Das Seeale cornutum (WiUehrand) ist wirkungslos. In mehreren Fällen, wo das
Nierenleiden in sichtlicher Abnahme begritfen war und die Nutritionsverhältnisse
der Kranken nicht sonderlich gelitten hatten, wurde die Schmierkur in Verbindung
mit dem Schutzverband (S. 203) mit günstigem Erfolge durchgeführt, indem die
Aufhellung und Zurückziehung der Exsudatfladen sehr rasch vor sich ging.
Quellen: Heymann, A. f. O. II. 2, S. 137, 146. — Liebreich, ibid. V. 2. S. 265;
VI. 2. S. 318; Atlas der Ophth. Berlin, 1863. Taf. 10. — Nagel, A. f. O. VI, 1.
S. 191, 195, 200, 229, 230. — Graefe und Schioeigger, ibid. VI. 2. S. 277, 282, 285 ;
XII. 2. S. 120. — Schiceigger, ibid. S. 294, 311; Vorlesungen über den Gebrauch
des Augenspiegels. Berlin, 1864. S. 101. — Iman, Nedei-1. Lancet. 1852. S. 356. —
Rokitansky, Lehrb. der path. Anat. Wien, 1861. III. S. 325. — Virchow, Monat-
schrift f. Geburtskunde und dessen Archiv. X. S. 1 70. — Traube, Deutsche Klinik
1859. Nro. 7. — Beckviann, Virchow's Archiv XIII. S. 97. — Ä. Wagner, ibid. XII.
S. 218. — Pagenstecher und Sämisch, kl. Beobachtungen. Wiesbaden, 1861. S. 52;
III. S. 80. — Secondi, Clinica oc. di Genova. Riassunto. Torino, 1865. S. 58. —
Homer, kL Monatbl. 1863. S. 11. — Höring, ibid. S. 215. — Zehender, ibid. 1866.
S. 136. — Oalezoicski, ibid. S. 150. — WiUehrand, A. f. O. IV. 1. S. 341. — F.
d. Laan, Zesde Jaarlijksch Verslag. Utrecht, 1865. S. 161, 166, 194, 213, 216, 226.
— Noyes, Transact. amer. ophth. soc. 1869. S. 71. — Boiichut, ibid. S. 72. —
Alexander, kl. Monatbl. 1867. S. 223. — Iwanoff, ibid. 1868. S. 423. — Mooren,
Ophth. Beob. S. 285. — Mauthner, Lehrb. d. Ophth scop. S. 362, 366. — Ed.
Jaeger, Handatlas, Fig. 64. — H. Schmidt, A. f. O. XV. 3. S. 252, 263, 266.
Die Netzhautabhebung, Hydrops subretinalis.
Pathologie. Unter Netzhautabhebung, auch Ämotio retinae genannt,
versteht man eine Trennung der Xervenhaut von der Chorioidea, bedingt
durch Zwischenlagerung einer wässerigen, mit proteinigen Stoffen geschwänger-
ten Flüssigkeit.
Die Abhebung ist anfönglich immer partiel, schreitet aber gerne nach
allen Richtungen weiter. Sie kann an jedem Punkte der N^etzhaut beginnen,
wird jedoch wegen Senkung der Flüssigkeit in nicht ganz frischen Fällen
nur selten anderswo, als an der unteren Hälfte der Retina beobachtet.
Die Grenze des abgehobenen Xetzhauttheiles umschreibt mitunter eine
rundliche oder mehr gestreckte ovale, gewöhnlich aber eine ganz unregel-
mässige Figur und ihr hinterer Abschnitt streicht in dem letzteren Falle
meistens in einer geraden oder leicht gekrümmten Linie horizontal oder
schräg unter der Sehnervenpapille vorbei.
Der Zwischenraum zwischen der abgehobenen Netzhautpartie und der
Chorioidea ist oft nur ein sehr geringer, oft aber ragt die betreffende
Retiualportion beutelähnlich weit in den hinteren Augenraum hinein. Der
Netzhantal)he'bung ; Pathologin. 217
Fuss der Abhebiinp; ist darum bald steil, bald steigt er nur ganz sachte
empor. Beim Wachsthum der Ablösung rückt die hintere Grenze derselben
an den Umfang des Sehnerveneintrittes heran , umgreift diesen allmälig
von beiden Seiten und zuletzt bleibt nur mehr der obere innere Quadrant
der Retina mit der Chorioidea in Berührung, ja bisweilen wird auch dieser
abgetrennt und die Netzhaut faltet sich zu einem unregelmässigen Trichter
zusammen, dessen wellig gebogene Wände einerseits an der Ora serrata,
andererseits an dem Umfange des Sehnerveneintrittes festhaften (S. 162).
Bei frischen Abhebungen kleiner Netzhautpartien können die letzteren
für das freie Auge noch ziemlich durchsichtig ei'scheinen. Häufiger aber ist
die abgehobene Portion und deren nächste Umgebung deutlich florig getrübt,
von milchweisslicher oder graugelblicher Färbung. Bei längerem Bestände
und grösserer Ausdehnung des Hydrops ist die Trübung gewöhnlich eine
gesättigtere, bald glcichmässige, bald wolkige, fleckige, streifige.
Der abgehobene Theil der Ketina präsentirt sich, falls er klein und
umschrieben ist, als eine prall gefüllte flache Blase ; bei grösserer Aus-
dehnung jedoch erscheint er fast immer schlaff und faltig, er schwankt bei
raschen Bewegungen des Augapfels und zwar mit um so grösseren Excur-
sionen, je grösser der Umfang der Abhebung ist und je weiter er in das
Innere des Augapfels hineinragt. Es geht nämlich die Dislocation der Re-
tina auf Kosten des Glaskörpers vor sich, dessen Oberfläche häufig eine
Strecke weit durch eiweisshältige Flüssigkeit von der Limitans retinae ab-
gelöst erscheint (IwanoffJ, so dass der abgehobene Retinaltheil demnach
beiderseits von Flüssigkeit umspült wird.
Bei sehr Meinen Abhebungen sind die Oscillationen zu gering und von zu
kurzer Dauer, als dass sie mit freiem Auge wahrgenommen werden könnten , doch
bestehen sie sicherlich. Wenn grössere abgelöste Netzhauttheile nicht schwanken,
was in sehr seltenen Fällen allerdings vorkömmt, so scheint der Grund darin zu
liegen, dass ihre Grenzen ringsum fest mit der Aderhaut verwachsen sind, das
Fluidum demnach abgesackt ist und die bezügliche Portion der Retina gespannt
erhält ( Schweig g er ) ; gewöhnlich aber handelt es sich nicht sowohl um einen Hydrops
subretinalis, sondern die Netzhaut wird durch einen Aderhautturnor, einen Cysticer-
cus etc., überhaupt durch ein festes krankhaftes Product aus ihrer Lage gedrängt.
Meistens schimmert dies dann auch mit der ihm eigenthümlichen Farbe durch das
trübe Gefüge der darüber gespannten Netzhaut durch. Kömmt es aber unter solchen
Umständen zu Ergüssen wässeriger Flüssigkeit, welche die Retina von der Ober-
fläche der Geschwulst trennen, so macht sich das Schlottern ebenfalls bemerklich.
Die subretincde Flüssigkeit ist in frischen Fällen serumähnlich, wasserhell,
farblos, leicht gelblich oder röthlich iind enthält, wie Analysen derselben
unmittelbar nach der operativen Abzapfung ergaben (Bowman) , viel
Eiioeiss, welches bisweilen schon während des Lebens gerinnt (Liebreich)
und sich als dichtere Flocken oder streifige Massen den Wandungen des
Hohlraumes anhängt. Bei veralteten und namentlich bei totalen Abhebungen
wechselt es häufig seine chemisch-physikalischen Eigenschaften, indem die
proteinigen Stoffe gewisse Wandlungen eingehen und von den umgebenden
Membranen mancherlei geformte Elemente beigemischt erhalten.
Die den Hydrops subretinalis bildende Flüssigkeit enthält dann als vornehm-
lichste Bestandtheile neben Wasser: wechselnde, meistens aber grosse Mengen
eines fibrinähnlichen Stoffes, welcher sich sowohl an der Luft als durch Kochen in
Form von Gerinnungen ausscheidet; choloide Massen (BudnewJ; gelöstes Hämatin,
welches dem Fluidum eine gelblich röthliche oder, bei bereits erfolgter chemischer
Umwandlung, braune Farbe gibt; frische und alte, in verschiedenen Stadien der
Umwandlung begriffene, theils discrete theils klumpig zusammengebackene Blut-
218 Netzhautabheljung ; Pathologie; HaenioiThagisi-he Abhebung.
körperchen, mitunter in solcher Menge, dass die Flüssigkeit mehr verdünntem Blute
gleicht; gelöste Salze, welche sich öfters herausfällen und an der Oberfläche der
chorioidalen Grenzhaut förmliche Beschläge bilden; Pigmentkörner von verschiede-
ner Farbe, theils frei, theils in Klumpen, theils in Zellen von bedeutender Grösse
eingelagert, welche wahrscheinlich neugebildet sind, möglicher Weise aber auch
metamorphosirte Reste des Tapetes vorstellen; neugehildete pigmentlose Zellen und
Kerne nebst Körnchenzellen; Fett in Tröpfchen, grossen Tropfen oder in Krystallen,
bisweilen so reichlich, dass dasselbe schon dem freien Auge in Gestalt von grossen
Kugeln bemerkbar wird oder dass die ganze subretinale Masse in einen breiigen
Klumjien glitzernder Cholestearinkrystalle umgewandelt scheint.
Die Trübung der abgehobenen j^etzhanttheile kann sicherlich nur auf
Veränderungen des retinalen Gefüges beruhen, wenn gleich etwaige Färbungen
der unterlagei'nden Flüssigkeit einen modificir enden Einfluss üben müssen.
Massgebend kann dies letztere nicht sein, da, abgesehen von den häufig
sehr deutlichen Zeichnungen der vorgebauchten Partien, die gesättigtesten
Stellen nicht den Falteniirsten , sondern den Wellenthälem entsprechen.
Sitzt aber die Trübung in der Netzhaut selbst, so liegt wohl nichts so
nahe, als deren Zurückführung auf einen entzündlichen Process, um so mehr,
als die bisherigen anatomischen Untersuchungen, allerdings nur veralteter
Fälle, stets die charakteristischen Erscheinungen der Wucherung oder des
davon abhängigen trüben Schwundes (siehe diesen) in meistens eminentem
Grade erkennen Hessen.
Berücksichtigt man, dass die Trübung fast constant schon im ersten
Beginne der Abhebung deutlich nachweisbar ist, mit dieser also mindestens
gleichzeitig auftritt, wenn nicht gar vorausgeht: so gelangt man nothwendig
zu dem Schlüsse , dass der Hydrops subretinalis zur Dictyitis in einem
gewissen Abhängigkeitsverhältnisse stehe oder geradezu ein Product der Ent-
zündung abgebe.
Die Netzhautabhebung kömmt nach neueren Untersuchungen bisweilen mit
dem circumscripten Oedeme der Netzhaut (S. 190) combinirt vor und wird von dem-
selben ausnahmsweise wohl auch vorgetäuscht. Es tritt dieses Oedem nämlich mit-
unter in Gestalt mächtiger Cysten auf, welche von den äusseren Schichten der
Netzhaut ausgehend diese Membran blasenartig in den läuteren Augenraum hervor-
bauchen und ophthalmoskopisch, ja selbst am anatomischen Präparate, ganz den
Eindruck eines umschriebenen Hydrops subretinalis machen können (Iwanoff).
Eine Zeit lang hat man Blutergüsse zwischen Retina und Aderhaut für die
eigentliche Ursache der Amotio retinae gehalten und diese Meinung gegen bessere
Einsicht mit Hartnäckigkeit vertheidigt (Graefe). Dermalen ist man hiervon ganz
abgekommen, da sowohl das Krankheitsbild, als der klare Augenschein bei der
operativen Durchtrennung der vorgebauchten Netzhautpartie und bei der Abza-
pfung des Hydrops das Irrthttmliche jener Behauptung zwingend dargethan haben.
Doch soll damit nicht geläugnet werden , dass mitunter massenhafte subretinale
Blutergüsse vorkommen, welche die Netzhaut heutelförmig abheben, oder gar
ringsum (Stavenhagen) von der Aderhaut loslösen. Man findet solche haemoj-rhagische
Ahhehungen namentlich nach Verletzungen des Auges und tlieilweiser Entleerung
der Binnenmedien, ausnahmsweise auch bei progressivem Staphyloma posticum.
Krankheitsbild, a) Die abgehobene Netzhautpartie kann, besonders
bei künstlich erweiterter Pupille, oft schon mit freiem Auge ohne Zuhilfe-
nahme des Ophthalmoskopes deutlich und mit allen Details wahrgenommen
werden. Es ist dieses namentlich dann der Fall, wenn dieselbe durch Ent-
zündung stark getrübt und innerhalb der Brennweite des dioptrischen
Apparates weit nach vorne gerückt worden ist. Hat sie sich im Gegen-
theile nur loenig von der Aderhaut entfernt, oder ist sie in höherem Grade
durchsichtig geblieben, so zeigt sich der Augengrund auch bei erweiterter
KranklK'itsliild ; oiilitliiilmoskopisclie Erscheinungen. 219
Pupille blos leicht getrübt. Netzhautabliebungen begünstigen sehr das
Leuchten des Auges.
h) Beleuchtet man den Augengrund aus einiger Entfernung mit dem
Spiegel, so gewahrt man, dass an einer Stelle, gewöhnlich nach unten, der
gelbrothe Schein sich plötzlich in einen solchen von grauer oder grünlicher
Farbe mit dunkleren Schattirungen verwandelt (Fig. N). Darauf sieht man
häufig ein oder das andere Gefäss. Der Uebergang ist entweder ein un-
mittelbarer oder durch eine dunkle Schattenlinie markirter. Bei genauerem
Einblicke kömmt dann der abgehobene Theil der Netzhaut bisweilen als
eine pralle glatte Blase zur Anschauung. In der Regel stellt er sich als
eine schlaffe faltige Fläche dar, welche sich über die Umgehung erhebt und
bei jeder Bewegung des Auges erzittert oder in grossen Excursionen schwankt,
gleichsam aufwallt. Höhergradig entwickelte Abhebungen bilden meistens
einen oder mehrere Hügel, welche an der Basis zusammenstossen und zwischen
deren Gipfeln Zungen des normalen Augengrundes hineinragen (Fig. 0).
Ist der abgehobene Netzhauttheil noch sehr durchsichtig und steht er nur
wenig von der Aderhaut ab, so entzieht er sich wohl auch dem Blicke,
nur die Umbiegungen und Schwankungen der in seinen Bereich fallenden
Gefässe sind sehr auffällig, im Uebrigen erscheint der Augengrund wenig
verändert, höchstens etwas matter oder zart florig überhaucht. Hier und
da jedoch bemerkt man öfters feine Falten als zarte hellere oder weissliche
bewegliche Streifen, die nach einer Seite hin verwaschen, nach der anderen
scharf begrenzt und mitunter auch dunkel gesäumt sind. Eagt eine solche
diaphane Blase tiefer in den Glaskörperraum hinein, so wird das gleich-
massige Roth der Aderhaut und allenfalls auch das Netz der Wirbelgefässe
nur bei senkrechtem Auffallen des Spiegellichtes und daheriger starker Er-
leuchtung des subretinalen Fluidums wahrgenommen ; sonst bleibt die Sack-
höhle dunkel und die abgehobene Netzhautpartie zeigt sich zwischen den
heller gefärbten Falten blaugrau schattirt oder ins schmutzig Grüne spielend.
Oft ist indessen die Trübung eine viel dichtere, der Sack tritt im Augen-
spiegelbilde deutlich hervor, erscheint schmutzig gelblichweiss mit schiefer-
farbigen Schattenstellen oder ganz opak, fahl graugelb, mit helleren und
dunkleren Partien.
Häufig erstreckt sich die Trübung über die Grenzen des Hydrops hinaus
und verwäscht sich ganz allmälig in dem sonst normalen Augengrunde, oder
überzieht diesen mit wechselnder Dichtigkeit in seiner ganzen Ausdehnung.
Bei unterwärts gelagerter Abhebung findet man oft ein grösseres oder kleineres
Stück einer seitlichen oder der oberen Netzhauthälfte diffus getrübt und es ist
dann wahrscheinlich, dass die Abhebung ursprünghch hier entwickelt wurde,
das Fluidum sich aber später nach abwärts gesenkt habe. Nicht selten
fällt auch der Sehnerveneintritt in den Bereich der Trübung und bietet
dann die Zeichen der diffusen Entzündung dar , während er sonst ausser
einiger Röthung keine Veränderung oder, in veralteten Fällen, die Zeichen
der Atrophie zur Schau trägt. Oefters machen sich wohl auch in der
gesammten Netzhaut, einschliesslich der Papille, die Charaktere der diffusen
Neuro dictyitis geltend.
Bei partiellen Abhebungen fällt oft schon auf den ersten Blick die
hintere Grenze derselben als eine dunkle, fast schwai'ze, nach einer Seite hin
verwaschene , unregelmässige Linie auf und macht den Contrast zwischen
der abgelösten Portion der Netzhaut und den nachbarlichen Theilen des
220 Netzhantabhebnng ; Krankheitsbild; ophthalmoskopische Erscheinungen.
Augengrundes noch deutlicher hervortreten. Es ist diese Linie besonders
scharf und dunkel bei steil aufsteigendem oder gar überhängendem Fusse der
Abhebung und kann bei grosser Beweglichkeit des Sackes je nach der
jeweiligen Lagerung der betreffenden Waudtheile in ihrer Länge, Richtung
und Dunkelheit wechseln, ja zeitweise ganz verschwinden. Sie ist nämlich
der Schatten, welchen die von dem gradelinig sich fortpflanzenden Spiegel-
lichte nicht getroffenen Fusstheile der Abhebung werfen. Wo diese Fuss-
theile sehr sanft aufsteigen, fehlt die dunkle Grenzlinie und wird nur
durch das Umbiegen der Gefässe und etwaiger Zeichnungen in dem
getrübten jS'etzhautgefüge angedeutet.
Durch das Ueberhängen, so wie durch die Bewegungen des Sackes
wird übrigens nicht selten die Papille und der gelbe Fleck dauernd oder
vorübergehend gedeckt. Falls diese Deckung der Papille eine blos theil-
weise ist, wechselt der Sehnerveneintritt bei dem Hin- und Herwogen der
abgehobenen jSTetzhautportion beständig seine Gestalt, erscheint bald in
seiner natürlichen Kreisform, bald nach einer Seite hin geigenförmig ein-
gebuchtet und dieses Spielen macht bisweilen täuschend den Eindruck, als
wäre er selbst in Bewegung, als verlängere er sich bald, bald aber zöge
er sich zusammen.
Bei totalen Abhebungen fallen alle diese Einzelnheiten weg, der ganze
verfärbte Augengrund schwankt hin und her und die Papille ist gewöhnlich,
wenn überhaupt, nur zeitweise auf Augenblicke an der eigeuthümlichen
Anordnung der centralen Gefässstücke zu erkennen.
Die Gefässe der Netzhaut zeichnen sich scharf ab auf der schwankenden
Fläche. Sie erscheinen gewöhnlich viel dunkler als in der Xorra, strecken-
weise selbst schwarz und dies zwar besonders, wenn Theile derselben fixirt
werden, welche über dunkle Stellen der abgehobeneil Netzhautportion
hinweg streichen. Im Bereiche dicht getrübter opaker Flecke, oder wenn
bei grosser Durchscheinbarkeit der abgehobenen Netzhautpartie das Spiegel-
licht senkrecht auffallt und so der hintergelegene Kaum hell erleuchtet
wird, reflectiren sie eine hell blutrothe Farbe und bekunden somit einen
gewissen Grad von Integrität (Liebreich). "Wo die dioptrischen Medien
klar geblieben sind, erscheinen sie in scharfen und deutlichen Bildern,
seltener von Trübungen der innersten Netzhautschichten überflort oder
unterbrochen. Bei vorgeschrittener Atrophie des abgehobenen Theiles sind
sie theilweise wohl auch unsichtbar, oder zeigen sich in Gestalt dicker weisser
oder schwarzer körniger Stränge mit baumartigen Verzweigungen. Sie folgen
natürlich den sie bergenden Netzhaut abschnitten. Man sieht sie darum
im Bereiche der Abhebung häufig vielfach gekrümmt, indem sie, einen
Hügel hinauflaufend, im Bogen nach vorne treten, dann sich wieder in
einer Furche nach liinten senken, darin verschwinden, an einer anderen
Stelle hervordringen, abermals nach vorne ausbiegen etc. Bei Bewegungen
des Auges tanzen sie förmlich in dem Grunde des Bulbus herum.
Sind in der abgehobenen Netzhautpartie etwa Pigmenthaufen, Extravasate,
Cholestearinkrystallnester etc. eingesprengt, so gibt dieses ein höchst eigeuthümliches
überraschendes Bild. Es ist ein Auf- und Durcheinanderwirbeln der verschieden-
sten Objecte, gleich wie in einem bewegten Kaleidoskop. Wird der Bulbus aber
fixirt, so vermindern sich die Excursionen und die einzelnen Oltjecte treten wieder
in ihr früheres relatives Lagerungsverhältniss zu einander. Dadurch unterscheiden
sich eben auf der Netzhaut haftende derartige krankhafte Producte von ähnlichen,
frei im verflüssigten Glaskörper suspendirten Massen. Auch diese können aufwirbeln,
Olaskörpertrübungen; Selistörungon. 221
sinken zuletzt aher immer zu Boden, oline ein hestimmtes gegenseitiges Lagerungs-
verliältniss zu Ixjhauptcu.
Es setzen alle diese Erscheinungen natürlich die Durchsichtigkeit der
dioptrischen Medien voraus. Diese Bedingung ist aber nicht häufig erfüllt.
Vielmehr sind Glashorpertrühungen sehr gewöhnliche Begleiter des Hydrops
subrctinalis, ja gehen ihm häufig schon voraus und sollen im letzteren
Falle durch ihr plötzliches Auftreten, durch ihre scharfe Umgrenzung und
das Schwanken unschwer als Vorboten der Netzhautabhebung zu erkennen
sein (Graefb). Sie sind bisweilen partiel und lagern wie ein zartes Wölkchen
über der abgehobenen Netzhautportion. Oefter jedoch sind sie über einen
grossen Theil oder den gesammten Augengruud ausgebreitet. Sie pflegen
gleichfalls zu erzittern oder förmlich zu wogen, wenn sich das Auge
bewegt , sind übrigens nicht sehr stetig, sintemalen sie sich bald ver-
dichten und ausdehnen, bald wieder zusammenziehen und lichten, oder
zeitweilig ganz verschwinden. Vor wie während etwaigen Nachschüben des
entzündlichen Grundprocesses pflegen sie an Umfang und Dichtigkeit zuzu-
nehmen und geben insofern ein nicht zu vernachlässigendes prognostisches
Zeichen ab.
Häufig wird der Einblick iu das Auge auch durch Staare beirrt, namentlich
durch polare und capstdare, seltener durch einfaclie Linsencataracten. Die polare
Form kömmt grösstentheils auf Rechnung der zur Abhebung disjyonir enden Zia-
stände; der Kapselsfaar resultirt gewöhulich aus der in späteren Perioden gerne
hinzutretenden Iridochorioiditis. Der Linsenstaar ist meistens wohl Folge der im
Augapfelschwunde sich äussernden tiefen Ernährungsstörungen.
c) Die subjective Seite des Krankheitshildes ist nicht minder ausgezeichnet,
vorausgesetzt, dass die Netzhaut nicht durch ausgebreitete in- und extensive
Entzündungen oder Atrophie bereits ihre Functionstüchtigkeit eingebüsst
hat. Die Abhebung markirt sich dann im Gesichtsfelde als ein heller aber
leerer, öfters als ein dunkler und, bei V^orhandensein von Blutextravasaten,
wohl auch als ein rother oder bräunlicher Fleck, welcher bei Betrachtung
des Himmelsgewölbes oder einer hellen fernen Wand das Ansehen einer
Wolke mit unregelmässigen Umrissen gewinnt. Selten functionirt der abge-
hobene Theil der Netzhaut noch so weit, dass in seinen Bereich fallende
Gegenstände in gröberen Zügen erkannt werden (Pagenstechtr). Diese
Unterbrechung des Gesichtsfeldes entspricht ihrer Lage nach stets der abge-
lösten Ketinalportion. Sie sitzt darum in frischen Fällen gewöhnlich, bei
längerem Bestände des Leidens aber so constant in der oberen Hälfte des
Gesichtsfeldes, dass man aus dieser Localisation allein mit einiger Wahr-
scheinliclikeit auf das Vorhandensein einer Netzhautabhebung rückschliessen
kann (Graefe). Der Umfang der Unterbrechung hingegen ist häufig grösser,
als der Grundfläche des mit Flüssigkeit gefüllten Eaumes zukömmt, was
sich daraus erklärt, dass die materiellen Veränderungen des Netzhautgefüges
über die Grenzen des Hydrops hinausreichen.
Die Deutliclikeit der Wahrnehmungen in den übrigen Theilen der Netzhaut
kann dabei noch ziemlich mit der Norm übereinstimmen und, falls die
Gegend der Macula lutea noch ausser dem Bereiche der Abhebung ist, selbst
ein gewisser Grad von Scharf sehen erübrigen. In der Regel jedoch , und
bei längerem Bestände der Abhebung fast immer, ist die Sehschärfe bedeutend
gesunken und, da die Abhebung sehr gewöhnlich bis zum horizontalen
Meridian heran oder darüber hinausreicht, ist auch die Fixation eine
222 Netzhautabhebung; Kranklieitsbild ; Ursachen.
excentrische. In vielen Fällen ist die Function sogar bis auf quantitative
Lichtempfindung reducirt, oder es fehlt auch, diese. Der Grad der Ab-
hebung und die Ausdehnung ihrer Grenzen ist hierbei jedoch keineswegs
massgebend. Man hat bei totaler Abhebung noch einen gewissen Grad
von Lichtempfindung beobachtet. Merkwürdiger Weise werden die Ein-
drücke dann oft annähernd in der Richtung der Sehaxe nach aussen
projicirt (Graefe).
Wo die Netzhaut theilweise noch einen höheren Grad von Functions-
tüchtigkeit bewahrt hat, klagen die Kranken sehr häufig über Krumm- und
Farbigsehen. Die Objecto erscheinen ihnen in der ganzen Ausdehnung des
Gesichtsfeldes oder blos an den Grenzen der Unterbrechung farbig gesäumt,
gebogen, geknickt, verzerrt, theilweise gedeckt ; öfters verschwinden sie
theilweise, tauchen wieder auf und winden sich in Schlangen- oder Zickzack-
linien, wenn das Auge sich bewegt.
Es bekunden sich damit Stellungsver'dnderungen eines Theiles jener Retina-
elemente , welche die Aufnahme und Localisation der Lichteindrücke vermitteln ;
daher denn auch bei eingetretener Ruhe des Augapfels sich oft eine sehr nahe
Uebereinstimmung der scheinbaren Objectkrümmungen mit dem Orte und der Rich-
tung der Abhebung nachweisen lässt fClassenJ.
Die Farhensäume und die Schicankungen der Objectbilder sind für die von
Netzhautabhebung herrührende Form der Metamorphopsie charakteristisch (Knapp).
Nebenbei offenbart sich sehr häufig vom ersten Beginne des Leidens
an ein gewisser Erregungszustand des lichtempfindenden Apparates, der Kranke
wird im hohen Grade belästigt durch die subjective Erscheinung farbiger
oder weisser Kugeln, Tropfen, flimmernder Sterne, feuriger Eäder, auf-
schiessender Raketen u. s. w., welche oft das Gesichtsfeld umkreisen und
besonders stai'k nach heftigen Bewegungen, bei Aufregungen des Kreislauf-
systems etc. hervortreten.
Ursachen. Die Abhebung der Netzhaut ist gleich jener des Corpus
vitreum, mit welcher sie in naher pathogenetischer Beziehung steht, ent-
weder eine secundäre und dann auf Schrumpfimg des mit der Netzhaut
vorläufig verwachsenen, sehnig entartenden (?^asÄ-örpe?'s zurückzuführen (S. 162) ;
oder sie resultirt aus dem Drucke eines flüssigen Entzündungspjroductes, welches
zwischen Netzhaut und Aderhaut ergossen worden ist, und kann dann
gewissermassen als eine primäre bezeichnet werden. Von der letzteren allein
ist hier die Rede, da die erstere nicht wohl Gegenstand der klinischen
Behandlung ist und ihre Erörterung bereits gefunden hat.
Die primäre Netzhautabhebung wird ohne Zweifel im hohen Grade
begünstigt durch Ectasien der Bulbuskapsel und durch Verminderung der
Binnenmedien. Dieselbe findet sich nämlich in der Mehrzahl der Fälle an
Augen, welche mit Staphyloma posticum, besonders mit rasch progressivem,
behaftet sind und scheint hier durch die gewöhnlich bestehende Glas-
körperabhebung vorbereitet zu werden. Auch wird sie oft beobachtet nach
zufälligen und operativen, so wie nach geschwürigen Durchbrüchen der
Bulbuskapsel, wenn dieselben mit grösseren Glaskörperverlusten verknüpft
waren. Es ist hier jedoch nicht, wie bei den Glaskörperablösungen, blos
eine vermehrte seröse Transsudation als der Grund der Abhebung anzu-
nehmen, da der Amotio retinae in solchen Fällen stets eine sehr merkliche
Trübung des Glaskörpers und auch wohl des Netzhautgefüges vorausgeht,
welche ganz unzweifelhaft entzündlichen Ursprunges ist.
Vi'ilauf; Ausgänge. 223
♦
Es scheint, dass dieser Umst.'nid zu dem Glaul)en verleitet hat, jedwede Netz-
hautabiiebmig ohne Unterschied sei ans dem Z»<^e des entzündlicli verdiciiteten
und schrumpfenden Glaskörpers abzuleiten. Es roide7-sp7-icht dieser Ansicht jedoch
mit aller Bestimmtheit die durch Senkung; vermittelte Ortsveränderiing und die Heil-
barkeit des primären Hydrops subretinalis.
Uebi'igens wird die Netzhautabhebung nicht gai- selten auch in völlig
normal gebauten und vorläufig sclveinbar völlig gesund gewesenen Bulbis
beobachtet. Sie stellt auch einen nicht ganz ungewöhnliclien Folgozustand
der verschiedensten und namentlich der productiveren Formen der Neurodic-
tyitis dar.
Ausnahmsweise sind Abscesse (Graefe, Berlin) oder Tumoren (Hirschberg)
der Augenhöhle Veranlassung des zur JTetzhautabhebung führenden entzünd-
lichen Processes gewesen. Oefter jedoch entwickelt sich der Hydrops
subretinalis unter dem Einflüsse chorioidaler Aftergebilde.
Wenn unter solchen Verhältnissen zwischen Tumor und Netzhaut eine grössere
Menge von Flüssigkeit ergossen wurde, macht die Abhebung gewöhnlich den Ein-
druck einer einfachen, auf reiner Entzündung beruhenden und die richtige Diagnose
ist sehr erschwert. Doch findet man öfters Anhaltspunkte an der, trotz längerem
Bestände innerer Entzündungen und sehr ausgedehnter Abhebung, fortdauernden
und stark ausgesprochenen Vermehrung des Binnendruckes mit Abflachung der vor-
deren Kammer: an dem Abgrancre der sonstigfen ursächlichen Bedingfungen zur Amotio
retinae (Graf^fe); an der öfters überaus raschen Ausbreitung des Uel>els über den
ganzen Umfang der Netzhaut (Alf. Graefe)- an der ungewöhnlichen Lage des
Sackes und an der etwaigen starken Ausdehnung der episcleralen Gefässe in seiner
Nachbarschaft.
Verlauf und Ausgänge. Der Hydrops subretinalis entwickelt sich
öfters ganz allmälig unter sehr unscheinbaren Symptomen, so dass er bei
minder intelligenten Kranken längere Zeit völlig unbeachtet bleibt. Gewöhn-
lich fällt die von Glaskörpei'trübungen herrührende zarte Ueberschleierung
und Undeutlichkeit, oder das Krumm- und Farbigsehen excentrisch gelagerter
Gegenstände zuerst auf, die Unterbrechung des Gesichtsfeldes aber stellt
sich erst bei eingehender Untersucliung heraus, während die Abhebung
selbst noch kaum angedeutet ist und nur bei sorgfältiger Handhabung des
Augenspiegels erkannt wird. Es vergehen dann oft Wochen, bis das
Leiden in objectiver und subjectiver Richtung scharf ausgeprägt erscheint.
Andererseits kömmt es mitunter auch sehr rasch zu massenhaften subretinalen
Ausschwitzungen, namentlich wenn Traumen mit Glaskörperverlust oder
das plötzliche Wachsthum eines Staphyloma posticum die nächste Ver-
anlassung waren.
Wurde nicht gleich ursprünglich ein Theil der unteren ISTetzhauthälfte
abgelöst, so ändert der Hydrops im Laufe von Wochen oder Monaten
meistens seinen Ort, die Flüssigkeit senkt sich theilweise nach abwärts, eine
secundäre Abhebung begi'ündend, während der Rest der Aufsaugung anheim-
fällt. Der früher abgehobene Theil der Retina legt sich dann wieder an
die Aderhaut an. Er kann sein normales Aussehen und auch seine volle
Eunctionstüchtigkeit wieder gewinnen. Oft aber bleibt er im wechselnden
Grade trüb und liefert nur mehr undeutliche Bilder, ja öfters besteht sogar
die Unterbrechung des Gesichtsfeldes fort, lässt dann jedoch meistens eine
sehr beträchtliche Flächenverminderung nachweisen. War die primäre Ab-
hebung dem gelben Flecke sehr nahe gestanden oder dieser blos durch Ueber-
hängen des Sackes gedeckt worden, ohne selbst mitzuleiden, so kann aus
der Senkung der Flüssigkeit und der Functionsherstellung des sich wieder
224 Netzliautabhebung ; Verlauf; Ausgänge.
anlegenden Netzhauttheiles eine sehr ivesentliche Besserung des Sehvermögens
resultiren. Indem nämlich der Hydrops die tiefste Stelle aufsucht, diese
aber dem Aequator bulbi und beziehungsweise einem sehr excentrischen
Abschnitte der Retina entspricht, fällt die secundär zu Stande gekommene
Unterbrechung in einen der Mitte des Sehfeldes fernen Theil der oberen
Sehfeldhälfte und wird leicht übersehen, um so mehr, als sie an Umfang
der primären nicht gleichkömmt.
Die Senkung ist übrigens, ganz abgesehen von ursprünglich nach unten
erfolgten Ausschwitzungen, Icein notliwendiges Ereigniss. Vielmehr können
Netzhautabhebungen an jedwedem Orte durch Resorption verschwinden, sie
mögen primär oder durch Senkungsprocesse dahin gelangt sein. Dieses ist
der Weg, auf welchem eine dauernde und xvahre Heilung angebahnt wird.
Leider betritt ihn der subretinale Hydrops selbst bei zweckmässigster
Behandlung nicht immer oder verfolgt ihn nicht bis zum Ziele. Es wieder-
holen sich liierbei die oben angedeuteten Verhältnisse. Oefters legt sich
der abgehobene Theil wohl wieder an, sein Gerüste hellt sich aber nicht
vollständig auf, oder es stellt sich die Eunctionstüchtigkeit nicht wieder
her, indem die nervösen Elemente durch den Grundprocess hart mitgenommen
worden sind.
Mitunter geschieht es wohl auch, dass die Flüssigkeit Gerinnsel zurücklässt,
welche die Retina mit der Chorioidea fest verkleljen und als wolkig verschwommene
trübe Streifen und Blätter neben einiger Tapetzerwerfung zur Anschauung kommen.
Ausnahmsweise ist die Anlegung eine unvollständige, doch kehrt in dem Sacke ein
gewisser Grad von qualitativer Lichtempfindung zurück (Pagenstecher).
Eine solche unvollständige und um so mehr eine luahre Heilung darf
nur in Aussicht genommen werden bei frischen oder doch nicht veralteten
Fällen und bei geringem Umfange der Ablösung. Allerdings werden der-
artige günstige Ausgänge mitunter auch bei sehr ausgedehnten und gar
totalen Netzhautabhebungen nach Monate und selbst Jahre langem Bestände
derselben durch entsprechende Behandlung erzielt, doch sind dies eben nicht
gar häufige Ausnahmen, welche die Vorhersage nicht zu bestimmen ver-
mögen. Höhere Trühungsgrade und übermässige FunctionsbeschrÜnkung sind
insoferne von schlimmer Bedeutung, als sie mit Grund tiefe materielle Ver-
änderungen des Gefüges voraussetzen lassen. Wo sich der Hj'drops sub-
retinalis auf sehr schadhaftem Boden ausbildet, vielleicht gar nur eine
Nebenerscheinung des sich schon vorbereitenden oder in vollem Gange
befindhchen Augapfelschwundes ist, da ist die Hoffnung auf Null gesunken,
wenngleich auch hier zeitweilige Besserungen und Stillstände des krank-
haften Vorganges zu den Möglichkeiten gehören.
Bisweilen kömmt es zu dauernden Stillständen oder unvollständigen
Heilungen in Folge von spontan eintretenden Berstungen des abgelösten Netz-
hautstückes. Das ungeliinderte Ueberströmeu der subretinalen Flüssigkeit
in den Glaskörperraum vermindert nämlich oder beseitigt die Zerrung und
Spannung, welchen die Fusstheile der Abhebung von Seite des, in praller
Blase fixirten oder in schlaffem Sacke hin und her schwankenden hydropischen
Ersusses ausgesetzt sind. Damit wird aber nicht nur eine Quelle von
Eeizungszuständen , sondern auch ein directes mechanisches Moment für das
Fortschreiten der Ablösung weggeschafft.
Ausgänge; Dui'clilinich des Sackes; BehanJIung; Schraierkur. 22o
Bei sehr grosser Flüchenausdehnunq des Hydrops tritt die günstige Wirkung
des Dnrclilinu'li(\s allerdings nur locnig licrvor, denn da bestellt eine Gelegenheit
zu Zerrungen der Fusstheile fort, indem die abgelösten Netzhautstiicke selbst ver-
möge ihrer Eigenschwere in excursive Bewegungen gerathen , so oft der Augapfel
rasch seine Stellung wechselt. Bei kleineren oder dioch massigen Abliebungen hin-
gegen , wo die Scliwingungsweiten der losgetrennten Netzliautal)schnitte geringe
oder unerhebliche werden, ist der Effect oft ein sehr aiiff'üUiger, der Sack sinkt ein,
seine Wände legen sich von dem Fusse her allmälig an die Aderhaut an und ver-
kleben mit derselben, ja nicht selten wird die neue Verbindung eine vollständige,
es bleibt nur an der Perforationsstelle eine kleine klaffende Oeffnung mit unregel-
mässigen Umrissen, indem die Wundränder sieh unter Faltung und theilweiser
Einrollung etwas zurückgezogen haben. Dieselben bilden sonach eine Art Wall,
welcher vermöge der Trübheit der Retina und der Verlöthungsmasse eine helle
weissliche oder gelbliche Farbe zeigt und stark absticht von der normalen oder
durch Zerwerfung des Tapetes figurirten Aderhaut, die im Bereiche der fraglichen
Oeffnung blosliegt (Liehreich).
Bei mangelhafter oder ganz vernachlässigtei' Beliandhing schreitet
das Leiden in der Mehrzahl der Fälle unaufhaltsam vorwärts, die Abhebung
dehnt sich unter wiederholten Aufüackerungen dos entzündlichen Vor-
ganges immer mehr aus, oder es trübt sich die Netzhaut und die Papille
in wachsendem Umfange, ohne dass der Hydrops an Fläche gewinnt, die
Functioustüchtigkeit des Auges sinkt immer mehr und wird endlich ganz
vernichtet. Gewöhnlich stellen sich über kurz oder lang Erscheinungen
ein, welche auf Chorioiditis oder Iridochorioiditis hindeuten. Dann ist es um
den Aiigapfel geschehen, er wird iveicher und sein Schrumpfen ist unab-
wendbar.
Häufig bleibt es gar nicht bei dem Verluste des einen Auges, es wird
auch das zweite früher oder später in den Process einbezogen, es kömmt
auch hier zur Netzhautabhebung und schliesslich zur Atrophie. Bei normal
gebauten Augen und wo der Hydrops sich in directer Abhängigkeit von
äusseren Schädlichkeiten entwickelt hat, ist dieser misslichste aller Ausgänge
allerdings nicht leicht zu fürchten, doch kann die Entwickelung einer
secundären Iridochorioiditis das zweite Auge auf sympathischem Wege
gefährden (Mooren). Wo aber progressive hintere Lederhautectasien dem Pro-
cesse zu Grunde liegen, und dies ist die grösste Mehrzahl der Fälle, wird
das zweite Auge in der Regel ebenfalls ergriffen, da die Ursache fast immer
beiderseitig wii'kt.
In den späteren Stadien , nach Eintritt der Atrophie, zeigen sich bisweilen
höchst intensive Licht- xiud Feiiei-erscheimmgen, welche dem Kranken überaus qual-
voll werden, in dem Grade, dass man sich zur Durchschneidung des Opticus ver-
anlasst gefühlt hat (Gh-aefeJ. Leider bewährt sich dieses Verfahren nicht , indem
man kurz darnach dieselben Phosphene auftreten, iiud auch wohl Iridochorioiditis
sich entwickeln gesehen hat (Landesberg).
Die Behandlung ist auf Hintanhaltung von Reizungen, welche
den entzündlichen Process unterhalten und steigern können, auf möglichste
Beschränkung excursiver Augenbewegiingen, welche das Fortschreiten der Ab-
lösung in mechanischer Weise fördern, und auf kräftige Anregung der
Resorption zu richten. Nach vielen Erfahrungen scheint sich bei einfachen
und mit Staphyloma posticum combinirten Netzhautabhebungen das gegen
Neurodictyitis diffusa empfohlene ^"erfahren (S. 203), nämlich die Schmier-
kur in Verbindung mit strengster Augendiät und dem systematischen Tragen
des hinoculären Schutzverhandes, am besten zu bewähren. Es liefert in
frischen Fällen der genannten Art höchst befriedigende Kesultate, und hat
stellwag, Augenlieilkunde. 15
226 Netzhantabhebung; Behandlnng: Operative Verfahren.
mitunter selbst bei veraltetem und hochgradigem Zustande über alle Erwartung
günstige Erfolge erzielt.
Einstens bat man empfohlen, die Lederhaut in der Gegend des abgehobenen
Netzhautstückes mittelst eines feinen Messers anzustechen und so die subretinale
Flüssigkeit abzuzapfen (Sichel), hierauf einen Schutzverband anzulegen und gleich
wie nach anderen Augenoperationen ein strenges antiphlogistisches Verhalten anzu-
ordnen. Nöthigenfalls soll die Operation 1 — 2 mal wiederholt werden. Es hat sich
jedoch dieses Verfahren nicht bewährt (Graefe, SecondiJ, obgleich es in einzelnen
Fällen voi-übergehende Besserungen erzielte. Es wird daher die „Ophthahnocenthese^^
besser gemieden.
Der günstige EinÜuss, welchen spontane Berstungen der abgelösten
Netzhautpartie in einigen Fällen auf den ferneren Verlauf des Leidens
genommen haben, hat die Idee einer operativen Spaltung des Sackes an-
geregt (Graefe) und einige damit erzielte Erfolge machten den Netzhautstich
ziemlich allgemein beliebt. Doch leistet dieses Verfahren viel weniger
(^Pagenstecher, Hasner, Landesberg), als die pharmaceutische Behandlung bei
entsprechendem Regimen, versagt ziemhch oft gänzlich und hat nicht selten
durch Anregung degenerativer Iridochorioiditis den Schwund des Auges
herbeigeführt oder wenigstens beschleunigt.
Die Operation ist behufs besseren Einblickes in die Tiefe des Auges stets
bei maximaler Erweiterung der Pupille und in sitzender Stellung des Krauken vor-
zunehmen. Das dazu dienliche Instrument ist eine feine Sichelnadel oder noch
besser eine zarte zweischneidige Dalrymple'sche Stopfnadel, wie sie bei der Dis-
cission von Staaren mittelst Keratonyxis gebraucht wird. Dieselbe wird bei gehöriger
Fixation des Kopfes, der Augenlider und des Bulbus 4'" — ö'" hinter der Hornhaut-
grenze senkrecht durch die Sclera gestossen, etwa 8'" weit in den Glaskörper vor-
geschoben und dann gegen die abgehobene Netzhautpartie gewendet, um letztere
in leichtem Zuge zu durchtrennen (Graefe), wobei mit Sorgfalt eine Durchschneidung
grösserer Netzhautgefässstämme und etwaige Verletzungen der Aderhaut zu ver-
meiden sind, was bei dem steten Zurückweichen des Sackes allerdings die ganze
Aufmerksamkeit des Operateurs erheischt.
Da solche scharfe lineare Zusammenhangstrennungen erfahrungsmässig leicht
wieder verlöthen, -wird anstatt dem einfachen Netzhautstiche von Manchen eine Zer-
reissung der abgelösten Partie für nothweudig erachtet. Zu diesem Eude sollen zwei
Nadeln in zureichendem gegenseitigen Abstände durch die Lederhaut gestossen und
dann unter gegenseitiger Annäherung der Spitzen durch den Glaskörper zur Sack-
oberfläche geführt werden, um diesen unter geeigneten Hebelbewegungen der In-
strumente in genügender Ausdehnung zu spalten (Bowman).
Auch hat mau versucht, die Abzapfung der subretinalen Flüssigkeit mit der
Durchschneidung des abgelösten Netzhautstückes zu verbinden. Man bediente sich
dazu einer Troikarnadel, die in der Regel zwischen dem oberen und äusseren
geraden Augenmuskel, 4'" — 5'" hinter der Cornealgrenze, in die Lederhaut einge-
stochen und durch den Glaskörper in den Sack geleitet wurde , worauf man die
subretiuale Flüssigkeit entweichen liess (Wecker) oder mit der Fravaz'schen Spritze
auspiTmpte (Arcoleo) und den Einstich in der Retina erweiterte.
Die Nachbehandhmg nach solchen Eingriffen kömmt mit jener nach ander-
weitigen Operationen am Bulbus überein. Bettlage, strenges antiphlogistisches Ver-
halten und besonders das mehrere Tage foi'tgesetzte Tragen eines binocularen
Schutzverbandes sind die Hauptmomente.
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Lehrb. der Ophthscop. S. 388. — Ed. Jaeger, Handatlas, Taf. XVIII. — Stavenhagen,
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träge, S. 155, 318; Ueber symp. Ophth. S. 41. — Arcoleo, Conference clin. 1869.
S. 9. — Landesberg, A. f. O. XV. 1. S. 194, 201, 202. — Hasner, Prag. Viertel-
jahrschrift 93. Bd. Mise. S. 75.
Der Schwund des Sehnerven und der Netzhaut.
Pathologie. Man unterscheidet fast allgemein den reinen, nervösen,
auch pelluciden iSchwund und die frühe Atrophie.
Der reine, besser graue oder gallertige Schwund charakterisirt sich
ursprünglich stets durch Massenzunahme des bindegewebigen Gerüstes. Es
quillt dieses in Folge der Einlagerung einer graulichen klebrigen feuchten
Masse, welche eine grosse Anzahl kleiner schimmernder Kerne und ein-
zelne zarte helle Kernzellen führt, in wechselndem und oft sehr auffälligem
Grade an und wird sulzähnlich durchscheinend. Die nervösen Elemente
zeigen sich auseinander gerückt, oft geradezu zertrümmert, varicös, und
zerfallen schliesslich in verschieden gestaltete, meistens aber kugelige glatte
Massen, welche theilweise verfettigen, sich in kernlose Fettkörnchenconglo-
merate verwandeln, theilweise aber sclerosiren, in choloide und amjdoide
Kugeln übergehen. Es überwiegt hierbei bald die Wucherung des Neurilems,
bald die Verfettigiuig und Sclerose des Markes. Schliesslich schrumpft das
bindegewebige Fachwerk zu einer dichten graulichen, mattem Glase ähn-
lichen, starren, beim Drucke schollig blättrig zerfallenden Masse oder zu
einer derben opaken faserigen Schwiele, welche die Reste der entzündlichen
Zellenwucherung und der verfettigten und sclerosirten Marksubstanz in
sich birgt (Rokitansky).
Bei dem trüben Schwunde verhalten sich die nervösen Elemente, wenn
sie nicht schon während der Entzündung verfettigt sind, ganz ähnlich;
der Unterschied liegt hauptsächlich in dem Hervorstechen der bindegewebigen
Neubildung; der Process stellt sich eigentlich als eine degenerative Hyper-
trophie des bindegewebigen Gerüstes dar und bewahrt diesen Charakter auch
in der Folge, nachdem es bereits zur Schrumpfung gekommen ist.
1. Der Nervenstamm wird bei der einen wie bei der anderen Form
am Ende auf einen derben sehnigen Strang reducirt, in welchem die
Nervenfasern und oft aucli die meisten Gefässe untergegangen sind. Indem
16*
228 Sehnervenschwund ; Pathologie des reinen Schwundes; Atrophische Excavation.
die äussere Scheide des Orbitalstückes sich nicht in entsprechendem "N'er-
hältnisse zusammenzieht, passt dieselbe nicht mehr an den Stamm,
schlottert förmlich und faltet sich um ihn herum, wie ein halbgefüllter
Schlauch. Die Verbindung zwischen beiden wird durch ein höchst zartes
lockeres weitmaschiges Strickwerk tou feinen Bindegewebsfasern Termittelt,
welches wahrscheinlich von einer wechselnden ^lenge serösen Fluidums
umspült wird.
Bei sehr hochgradiger Atrophie wird in Folge der fortgesetzten Gewebs-
schrumpfung sogar der Grund des Zwischenraumes beider Nervenscheiden in der
Kichtung gegen die Aderhautebene gehoben und weitet sich wegen der Volums-
verminderung des vorderen Nervenendes beträchtlich aus, so dass das vordere
Ende des Scheidenzwischenraumes einen breiten ringförmigen Sinvis bildet, welcher
innerhalb der hinteren Scleralöfihung, hinter der Lamina cribrosa, gelegen ist.
Auf Durchschnitten des atrophisch gewordenen Sehnervenstamraes erkennt
man noch sehr deutlich die parallel zur Nervenaxe neben einander lagernden Züge
der ehemals vorhanden geicesenen Nervenbündel und das sie umhüllende neurile-
viathche Gefüge; doch sind die ersteren wegen Massenzunahme des letzteren mehr
aus einander gerückt , als in der Norm. Statt der Nervenfasern findet man eine
durch die Scheiden in Stränge formirte, bräunlich gelbe durchscheinende Substanz,
welche hauptsächlich aus molekulirter organischer Grundlage, choloider oder amyloi-
der Masse und geschrumpften Kernbildungen besteht. Nebenbei trifft man daselbst
öfters Haufen freien oder in Zellen eingeschlossenen Pigmentes , welches von
haemorrhagischen Extravasate^i oder von Neubildungen herrührt, obsolescirte und
oft verkalkte Gefösse, Cholestearinconglomerate und Kalkdrusen. In einzelnen
Fällen überwiegt stellenweise der Kalk und bäckt zu mächtigen Concrementen zu-
sammen, welche in das atrophische Mark des Nerven oder des Nervenkopfes ein-
geschaltet erscheinen. Ausnahmsweise kömmt es vielleicht auch zu theilweisen
Verknöcherungen des geschrumpften Bindegewebes.
2. Im Nervenkopfe und der Netzhaut sondern sich beide -Formen der
Atrophie sowohl anatomisch als symptomatisch viel schärfer.
Der reine oder graue Schwund pflegt sich auf den Kopf und die
eigentliche Ausbreitung des Xerven , also auf die Faser- und Ganglien-
schichte der Netzhaut zu beschränken {H. Müller), die musivischen Schichten
der letzteren dagegen sowie das Tapet und die Chorioidea unberührt zu
lassen. Der Untergang der nervösen Elemente und die Schrumpfung des
bindegewebigen Stützwerkes begründen nothwendig eine Volumsverminderung,
die denn auch besonders im Nervenkopfe auffällig wird. Indem nämlich
die Cauda equina des Opticus auf eine dünne Lage obsoleten Bindege-
webes reducii-t wird, welche blos einige choloide Kugeln und Kernreste
enthält, flacht sich die Papille ab, sinkt ein, erscheint muldenförmig ver-
tieft. Die tiefste, meistens der Gefässpforte entsprechende Partie der Mulde
reicht dabei gewöhnlich nicht über die Ebene der hinteren Chorioidal-
grenze hinaus (H. Müller). Doch kommen solche Fälle vor. Es nimmt
nämlich die Siebmembran gerne Antheil an dem Gewebswucherungspro-
cesse des Neurilems. Sie wii'd dann ähnlich diesem aufgelockert und ver-
liert dadurch selbstverständlich an Widerstandskraft. Erreicht die Besistenz-
venninderung einen gewissen Grad, so genügt schon der normale intraoculare
Druck, um jene Haut zum Kachgeben zu zwingen, es weicht die letztere
mit dem ihr nach vorne auflagernden obsoleten Stratum weiter nach
hinten, das Eesultat ist eine sehr tiefe Mulde, ausnahmsweise aber auch
eine Excavation mit steilen Rändern, wie selbe beim Glaucom constant sich
zu entwickeln pflegt.
I'<atliologie (los trüteii Scliwundes. 229
Die Behauptiinjij, dass sicli eine derartige Excavation ausschliesslich nur hei
glauconiatöseii Leiden finde (Grnefe), miiss auf Gnin{llaj]fe thatsächliclier Beobach-
tungen (Maulliner) mit Be5.tinuntheit zurückgewiesen werden.
Von (It'ii zahlreicheu Ideinen Gefässen des Nervenkopfe.s und der Netz-
haut geht immer ein grosser Theil völlig unter und dies ist ein Hauptgrund
der eigenthümlichen Blässe, welche die im grauen Schwunde begriffene
Papille darbietet. vVn den Stämmen und grösseren Aesfen der Centralgefässe
erscheint die Adventitia gewöhnlich um ein Eeträchtliches verdickt, indem
sie an dem ursprünglichen Wucherungsprocesse des Stützwerkes participirt.
Bei vorgeschrittenem Sehwunde verengert sich in Folge der Schrumpfung
öfters die Lichtimg und bisweilen kömmt es gar zur völligen Obliteration
einzelner Hauptäste.
Der trübe Schwund erstreckt sich sehr gewöhnlich, aber nicht constant,
über sämmtliche Schichten der Netzhaut und meistens leidet dann auch das
Tapet und die Uvea in sehr äufFälligem Grade mit, der Netzhautschwund
ist nur die Theilerscheinung einer den ganzen Bidbus betreffenden Atrophie.
An der Papille ist das Einsinken minder deutlich, auch wenn, wie dieses
oft geschieht, die Siebmembran rückwärts gedrängt worden ist, indem die
Höhlung wegen der Massenzunahme des bindegewebigen Stützwerkes aus-
gefüllt erscheint.
Am schärfsten ausgepi'ägt treten die anatomischen Charaktere des
trüben Schwundes an völlig abgehobenen Netzhäuten hervor.
Nach Ablauf des entzündlichen Qewebswuchemngsprocesses erscheint nämlich
die tricliter- oder klöppelförmig zusammengefaltete Retina aufgequollen^ sulzähnlich
getrübt, von reichlichem Fettgehalte ins schmutzig Gelbgraue verfärbt und neben-
bei von zahlreichen kleinen Bltdexiravasaten wie getiegert oder wohl auch von
circumscriptem Oedem (S. 190) in Form von Blasen aufgetrieben. Die Stützfasern
bestehen dann gewöhnlich nur mehr streckenweise in deutlich hypertrophirtem Zu-
stande (S. 183); zumeist sind sie in der Wuchen;ng aufgegangen und werden
sammt der grauen Bindesubstauz ersetzt durch ein undeutlich faserstreifiges, oder
durch völlig ausgebildetes bindegewebiges Stroma, in welchem zahlreiche, zum
Theile in Verfettung oder Sclerose begriffene ovale oder spindelige Kerne , oder
wohl auch schön entwickelte Bindegewebskörper lagern. Das Stroma zeigt bei völliger
Ausbildung" gewöhnlich ein areolares Gepräge; in Aer Zicischenkörnerschichte ]e.Aoch.
eine radiäre, senkrecht auf die Oberfläche streichende Faserung und bündelweise
Anordnung. In der Gegend des Sehnerveneintrittes sammelt sich das Bindegewebe
häufig zu laugen und dicken verzweigten Bündeln , welche von der Siebmembran
aus sich strahlig verbreiten und in dem areolaren Gefüge verlieren. Es schiebt
sich dieses neoplastische Bindegewebe allenthalV)en zioischen die übrigen Elemente
hinein und umspinnt sie ; anderseits aber setzt es sich durch die lückenhaft gewor-
dene Limitans in den degenerirten Glaskörper fort und verbindet die Netzhaut mit
diesem. Die innere Grenzhaut, so weit sie erhalten ist, erscheint oft verdickt und
getrübt in Folge der Auflagerung molekularer Detritusmassen auf die hintere Ober-
fläche. Nicht selten sind diese Auflagerungen in mannigfaltiger Weise figurirt und
von geschrumpften Gefässresten durchwebt. Von den nervigen Elementen der Netz-
haut ist anfänglich, besonders in den vordereji Zonen, oft noch ein grosser Theil
nachweisbar; doch zeigen sie fast immer schon allenthalben die Charaktere fort-
geschrittener Verfettung und Sclerose. Namentlich gilt dieses von den Nervenfasern
und den Ganglienzellen. Die Elemente der Stabschichte erscheinen zum Theil abge-
löst, aufgebläht imd fettig getrübt. Die Körner hingegen pflegen sich länger zu
erhalten und verrathen dann ihre Theilnalime an dem krankhaften Processe
gewöhnlich durch starken fettigen Glanz. Neben und zwischen den nervigen Ele-
menten, eingestreut in das bindegewebige Stroma, findet man grosse Mengen
choloider Körper, freier Fettkörner und Fettkörnchenkugeln, welche letztere theil-
weise schon wieder im Zerfalle begriffen sind, oder wohl gar schon in Cholestearin
sich umgewandelt haben, dessen Krystalle nesterförmig gruppirt herum liegen.
230 Sehnervenschwuiul ; Pathologie; Netzliautnarben.
Ausserdem machen sich allenthalben Blutextravasate alten und jungen Datums,
seltener aber grosse Mengen neoplastischen Pigmentes bemerkbar. Die kleineren
Gefässe sind gewöhnlich zum grossen Theile untergegangen oder entartet, und
selbst von den Stämmen sind oft nur einzelne durchgängig. Ihre Wandungen sind
meistens stark verdickt, in lockiges Bindegewebe verwandelt, welches mit dem
areolaren Stroma zusammenhängt und zahlreiche, zum Theile in Verfettung oder
Sclerose begriffene Kerne enthält. Ausserdem ist es sehr gewöhnlich von Fett-
körnern iiud Pigment, oft auch von Kalksalzen durchstreut und mit choloiden
scheibenartigen Anhängseln versehen. In manchen Fällen laufen die degenerirten
Gefässwandungen durch blattartige bindegewebige Neubildungen , wodurch sie das
Aussehen geflügelter Blattstiele bekommen, oder sind mit papillösen Auswüchsen
besetzt. Nicht selten sind die Gefässe streckenweise gänzlich obliterirt, in solide
bindegewebige Stränge verwandelt, oder von nekrotischen Blutkörperchen oder
von choloiden Massen gefüllt. Mitunter sind einzelne atheromatös entartet und
präsentiren sich dann schon dem freien Auge als verzweigte kreideweisse derbe
brüchige Stränge (Wedl, H. Müller).
Im loeitere^i Verlaufe gehen die nervösen Elemente durch fortgesetzte Ver-
fettung und Sclerose mehr und mehr verloren, so dass endlich nur mehr geschrumpfte
Körner in wechselnder Menge gefunden werden. Die Fettkörnerkugeln zerfallen,
lösen sich auf; ebenso die Blutextravasate, ja sogar die choloiden Körper werden
nach vorläufiger Körnung immer spärlicher. Nicht minder macht sich in dem
bindegewebigen Stroma und seineu zelligen Elementen die Verfettung und Resorption
geltend; es nimmt dasselbe beträchtlich an Masse ab und schrumpft endlich theil-
weise oder ganz auf ein undeutlich faseriges oder indifferentes derbes zähes Ge-
füge, welches von einzelnen dicken sehneuähnlichen Strängen imd degenerirten
Qe fassen durchsetzt wird und nur geringe Mengen freien Fettes, körnigen Pig-
mentes, geschrumpfte Kerne und Nester von Körnern , hier und da auch Gruppen
choloider Massen enthält, übrigens fest mit dem entarteten Glaskörper verlöthet
ist. Ausnahmsweise kommen darin auch kleine Knochenplättchen vor , ja so weit
die degenerirte Netzhaut mit den die Aderhaut überkleidenden Knocheuschalen in
Berührung steht, geht sie wohl auch ganz in der Verknöcherung unter.
Wo die Netzhaut der Aderhaut anliegend geblieben ist, springen die
Merkmale der Degeneration in der Regel weniger in die Augen. Im
Gefolge sehr productiver Entzündungen, insbesondere der nephritischen Form,
erscheinen allerdings bisweilen die hinteren Portionen der Netzhaut sammt
dem Gefdge der Papille mächtig verdickt, völlig opak und matt, ins
Graugelbliche oder Grauweisse verfärbt, ja in einzelnen Fällen kann man
innerhalb solcher verdickter iSTetzhauttheile schon mit freiem Auge ganz
deutlich eine faserige Streifung oder gar dicke verzweigte sehnige Stränge
und Blätter bemerken, welche vom Sehnerveneintritte aus sich strahlig
in die Netzhaut verbreiten und mit ihren fransig zerfahrenen Enden
über die Grenzen der opaken Flecke hinausreichen. Hier und da stösst
man wohl auch auf derbe, sehnenähnlich glänzende, milchweisse und
mannigfaltig figurirte Narbenmassen, welche durch die ganze Dicke der
Retina dringen. Doch das sind Ausnahmen. In der allergrössten Mehrzahl
der Fälle, namentlich nach einfachen diffusen Netzhautentzündungen, bekundet
sich der degenerative Schwund blos durch einige Dichtigkeitszimahme, durch
eine höchst zarte und kaum merkliche sulzartige, oder durch eine schwache
weissliche schleier artige Trübung, welche nur im Bereiche des Sehnerven-
eintrittes und seiner nächsten Umgebung etwas dichter, mitunter auch leicht
streifig zu sein pflegt, und durch theilweise Entartung der Gefässe.
Bei niederen Oraden des Schwundes kann man dann oft noch sämmtliche
Schichten der Netzhaut mit den ihnen eigenthümlichen nervigen und bindege-
webigen Bestandtheilen unterscheiden , obgleich die einzelnen Theilorgane in der
oben angedeuteten Weise schon mannigfaltig verändert und durch choloide Massen
und Fettkörnerkugeln theilweise ersetzt worden sind. Bei fortschreitendem Schwunde
Pifjmciitanhaufungon ; Atrophie nach exsudativen Enfziindnngon. 231
geht a1)er die Schichtung mehr und mehr verloren. Je nach der Art der voraus-
gegangenen Entzündung sind l)aUl die inneren bald die imsseren Schichten aufge-
gangen in einem durcii molekulare Massen getrübten, indift'erentcn oder undeutlich
streifigen Gefüge; oder es hat sich die ganze Netzhaut in eine indifferente oder
leicht streifige, dünne aber zähe und derbe Haut verwandelt, in welcher von den
€liemali(/en Bestandtheilen luir mehr geschrum])t'to kernähnliclic Gel)ilde, und in der
Gegend des Sehnerveneintrittes geschrumpfte Gefässe und Bindegewebsbündel nach-
weisbar sind.
Sehr häufig kommen in dem clegenerirten Gefüge atrophirter Netz-
häute, welche der Aderhaut allenthalben anliegen, Anhäufungen von schwarzen
Pigmentzellen und Pigmentkörnern vor. Ocfters sind es nur einzelne wenige
zerstreute Spritzer, Häufchen oder klumpenähnliche Massen, welche zumeist
an den Gefässen oder an der Sehnervengrenze sitzen. In anderen Fällen
ist das Pigment vornehmlich auf die vorderen und mittleren Zonen der
Retina beschränkt und zeigt sich in lauter kleinen, den Knochenkörperchen
nicht unähnlichen, unregelmässig zackigen, länglichen Häufchen, welche
ihre lange Axe zumeist gegen die hinteren Theile der Netzhaiit kehren
und gleichsam concentrisch um dieselben gelagert sind. Oftmals endlich
sammeln sich grosse Mengen neoplastischen Pigmentes vorzugsweise in der
hinteren Hälfte der Netzhaut und bilden daselbst kleinere und grössere
Klumpen, welche ganz unregelmässig umherstehen, zum Theil auch wohl
zu mannigfaltigen Figuren zusammenfliessen und grosse Strecken des hinteren
Augengrundes überdecken.
Es scheint, als ob sich Pigment im Gefolge der degenerativen Atro-
phie selhstständig, durch Umwandlung des Inhaltes neoplastischer Zellen,
bilden könne {Donders, Schweigger). Es kommen Pigmentklümpchen nämlich
gar nicht selten in den vorderen Schichten der Retina, ausser aller Be-
rührung mit den Zellen des Tapetes und bei völligem Pigmentmangel
der hinteren Netzhautstrata, vor. Reichliche oder gar massige Entwickelungen
von Pigment in der Netzhaut finden sich indessen in der Regel nur nach
exsudativen Entzündungen und es ist dann die Umwandlung der in der Retina
gelegenen neoplastischen Zellen unter dem Einflüsse der prolificirenden
Tapetzellen von Statten gegangen und davon geradezu abhängig (S. 185).
Es ist nämlich durch mehrfache Untersuchungen ein directer Zusammen-
hang zwischen den Pigmenthaufen der Netzhaut und den wuchernden
Tapetzellengruppen erwiesen und öfters auch das allmälige Vordringen der
Pigmentbildung von den letzteren durch die einzelnen Schichten der Retina
constatirt worden {H. Müller, Pope, Rudnew, Iwanoff).
Besonders deutlich ist dieses Verhältuiss durchwegs bei grösseren confluij-en-
den Pigmeuthaufen. Die eigenthümlichen knochenköi-perähnlichen zarten Figuren hin-
gegen pflegen nur theilweise mit chorioidalen Pigmentansammlungen zusammenzu-
hängen. Sie scheinen nach den bisherigen Untersuclumgen an die feineren Gefässe
gebunden zu sein, welche im Laufe des Atrophisirungsprocesses grossen Theils
degeneriren und unwegsam werden. Dieser Umstand ei'klärt auch die eigenthüm-
liche Anordnung dcrsell)en und ihre radiäre Axenrichtung .
Es lässt sich nach exsudativen Entzündungen die Exsudatschichte häufig
noch nachweisen, welche die Chorioidea mit der atrophirenden Netzhaut verklebt.
In veralteten Fällen ist dieses ueoplastische Stratum jedoch nur selten mehr als
eine eigene Schichte zu sondern, die degenerirte und öfters schon auf ein zartes
trübes Häutchen reducirte Netzhaut scheint der hochgradig atrophirten Aderhaut
unmittelbar aufzulagern und oft ist die Verbindung eine so innige, dass sich beide
Häute nur schwer und fetzenweise von einander trennen lassen.
Der Glaskörper ist in Fällen, in welchen der Schwund der Netzhaut nicld
weit gediehen ist, gewöhnlich vollkommen erhalten, nur in seinen peripheren Theilen
232 Sehnervensclnvnnd ; Krankheitstild ; reiner Schwund.
finden sich häufig zarte florige Trühungen, welche durch Zellenwucherungen und
ihre Derivate bedingt sind. Wo die Netzlimd völlig entartet und auf ein zartes,
iinbestimmt faserstreifiges Häutchen reducirt ist, welches der hochgradig atrophirten
Aderhaut fest anhaftet, ist der Glaskörper hingegen fast stets verflüssigt, man findet
von ihm höchstens einige bindegewebige Reste, welche der inneren Limitansober-
fläche auflagern.
Das Krankheitsbild ist, den anatomischen Differenzen eutsprecliend,
im Ganzen ziemlich wandelbar, selbst wenn man blos jene Fälle ins Auge
fasst, in welchen die atrophirende Xetzhaut der Cliorioidea anliegend
geblieben ist und die dioptrischen Medien den Einblick in die Tiefe des
Auges gestatten. Charakteristisch ist eigentlich blos die starke Verfärbung
des Sehnerveneintrittes iiis Weisse, indem die übrigen Erscheinungen sehr
wechseln.
Der reine oder graue Schwund kündigt sich in der Regel durch auf-
fiillige Blässe der äusseren Papillenhälfte an. Im allerersten Beginne sieht
man im Bereiche des Sehnerveneintrittes öfters ein durch seine helle Fär-
bung von der Umgebung abstechendes queres Oval, welches mit seinem
inneren Pole die Gefässpforte umgreift, mit dem anderen Ende aber sich
gewöhnlich schon sehr dem Schläfenrande der Papille nähert. Die nicht
scharfe Grenze und das geradlinige Darüberstreichen der Geßissstämme
lassen eine Verwechselung mit physiologischen Excavationen nicht leicht
zu. Es breitet sich diese verblasste Stelle rasch aus, am schnellsten in
der Richtung gegen den gelben Fleck und erreicht bald den äusseren
Theil des Bindegewebsringes, über welchen sie jedoch niemals hinübergreift.
Das Oval geht so in die Form des Rundbogens über. Indem dann dessen
Schenkel immer weiter aus einander weichen, während sein Zenith gegen
die innere Papillengrenze vorrückt, reducirt sich die normale Färbung auf
einen mondsichelförmigen Saum an der iS^asenseite des Sehnerveneintrittes
und verschwindet endlich ganz, so dass die Scheibe ihrem vollen Flächen-
inhalte nach hellgrau oder weiss, oft mit einem Stiche ins Bläuliche oder
Grünliche, opak, im verkehrten Bilde seiden- oder perlmutterartig glänzend
und häufig auch ganz deutlich muldenförmig vertieft erscheint. Vermöge
dem Contraste hebt sie sich stark von dem übrigen Augengrunde, welcher
in der Regel keine Veränderungen erkennen lässt, ab und scheint auch
schärfer als sonst begrenzt (Fig. M). Hir Durehmesser wird beim grauen
Schwunde erst spät merkbar verkleinert. Vormals vorhanden gewesene
physiologische Excavationen verstreichen sich bei vorgeschrittener Atrophie
immer vollständig (Ed. Jaeger).
Der helle Reflex macht sich unter Umständen durch Aufleuchten des Auges
geltend, kann also die Erscheinungen des amaurotischen Katzenauges begründen.
Die im Normalzustande zahlreichen kleineren Gefässstämmchen pflegen
im Bereiche der Papille ganz oder grösstentheils zu fehlen. Die Haupt-
stämme und grossen Aeste der Arteria und Vena centi-alis hingegen sind in
der Regel vorhanden. Sie treten nicht mehr im Bogen aus der Pforte
nach vorne, sondern biegen gleich in der Ebene der Siebmembran um und
laufen, an diese knapp angedrückt, zur Netzhaut. Die etwaige Verdickung
ihrer Adventitia bekundet sich im Augenspiegelbilde durch einen zarten
hellen, oft glänzenden Saum, welcher die beiden Ränder der Gefässe ein-
rahmt (Liebreich). Ihr Caliber ist häufig nicht verändert. In anderen Fällen
jedoch zeigen sich die Arterien verengert, die Venen normal oder gar etwas
Augenspiegelliild dos triilien Sclnvumlos ; Holle Netzhautstränge. 233
erweitert; oder es sind die Blut- iind Schlagadern sehr verkümmert, dünn,
spärlich verästelt (Fig. M) und oft auch wesentlich verkürzt. ^Mitunter
scheinen wohl auch einzelne Stämme zu fehlen, es ist deren Zahl ver-
mindert oder man findet an ihrer Stelle andere, die in Lage, llichtung
und in dem Verhalten zur Gefiisspforte von der Norm sehr abweiclien und
der Vermuthung llaum geben, es handle sich um ausgedehnte Collateralen.
In höchst seltenen Fällen wurden A'w. Gefässe gänzlich vermisst (Graefe,
Mooren).
Beim trüben Schwunde ist das ophthalmoskopische Bild des Sehnei'ven-
eintrittes ebenfalls viel blässer, als im gesunden Zustande, die Farbe der
Papille neigt, wenigstens streckenweise, entschieden ins Weisse oder Graue.
Es fehlt aber, abgesehen von manchen veralteten Fällen, in der Regel der
der vorigen Art charakteristische starke sehnige Glanz und der überaus
scharfe Umriss. Es zieht sich nämlich eine mehr weniger autfällige, bald
zarte, bald dichtere schleierähnliche Trübung über den hinteren Theil oder
den ganzen Augengrund einschliesslich des Sehnerveneintrittes, wodurch
der Rand des letzteren meiir minder verhüllt und auch der Farbe des
Augengrandes ein weisslicher, gräulicher odei* fahlgelblicher Ton beigemischt
wird' (Fig. L).
Bisweilen jedoch sielit man im Bereiche der Papille die geschrumpfte und
oft etwas nach hinten gedrängte , also muldig vertiefte Siehmemhvan mit ilirem
sehnigen oder perlmutterähnlichen Glänze durch die darüber lagernde hypertrophirte
Bindegewebslage durchscheinen.
In einzelnen Fällen zeigen sich in letzterer dichtere und darum das Licht
stärker brechende Streifen oder Flecke, welche einen Theil der Scheibe decken
und sich öfters auch über diese hinaus in die eigentliche Netzhaut erstrecken. Es
hat dann ganz das Ausehen, als ob die Grenze des Sehnerveneintrittes hinaus-
gerückt wäre, oder als ob narbige Fortsätze sich aus der Mulde über die Retina
erstreckten.
Die Papille stellt sich beim trüben Schwunde nicht selten verkleinert
und auch wohl von ganz unregelmässiger eckiger Form dar.
Es ist diese Veränderung oft sicherlich nur eine scheinbare , durch das Aus-
wachsen der Pigmentzellen an der Aderhautgrenze bedingte. Wo aber der Opticus-
schwund neben Atrophie des gesammten Augapfels einhergeht und der iutraoculare
Druck sehr herabgesetzt ist, erweiset sich die Flächenverminderung mitunter als
tvirklich bestehend und auf Schrumpfung der Siebmembran und des überlagernden
obsolescirenden Bindegewebsstratums fussend.
Die Gefässe pflegen beim trüben Schwunde sowohl durch die voran-
gehende Wucherung als durch die nachfolgende Schrumpfung des Binde-
gewebes mehr zu leiden, als bei der reinen Atropliie. Viel häufiger als bei
dieser sind die Hauptäste der Arteria und Vena centralis verdünnt, zweig-
arm und auffällig verkürzt (Fig. L), oder fehlen theilweise im ophthalmo-
skopischen Bilde. Die noch vorhandenen Gefässe aber erscheinen durch
das umhüllende, stark getrübte bindegewebige Gerüste der Netzhaut und
der Papille wie im Nebel und abgeblasst. Im Bereiche dichterer sehniger
Massen werden sie wohl auch völlig gedeckt.
In einzelneu Fällen sieht man streckenweise statt ihrer ästige Streifen von
Pigvient oder mattweisse Stränge, welche entweder wirklich obliterirte Adern vor-
stellen, ode* noch durchgängig sind, aber vermöge der Dicke und Opacität der
Wandungen die Blutsäule nicht mehr durchscheinen lassen. Es sind diese atrophir-
ten Gefässe sehr wohl zu unterscheiden von zarten weissgelblichen verzweigten
und anastomosirenden Strängen, welche in mehr geradlinigem oder gewundenem
Verlaufe die atrophische Netzhaut ausnahmsweise nach den verschiedensten Rieh-
234 Sehnervenschwnnd ; Krankheitsbild; schwarzer Staar.
tuiigren durchsetzen, wahrscheinlich in den äusseren Schichten ihren Sitz haben,
und ihrem anatomischen Charakter nach bisher nicht aufgeklärt sind (Ed. Jaeger).
Ausserdem fallen beim trüben SchwTinde gewöhnlich die Pigment-
anhäufungen in der IS'etzhaut (Fig. L) und bisweilen auch in der Papille
{^Liebreich) auf. Es sind bald unregelmässig gestaltete grössere und kleinere
Klumpen, bald zarte Spritzer, zackige Linien und den Knochenkörperchen
ähnliche Massen, bald ausgebreitete und zum Theile zusammenüiessende
Fladen. Die ersteren beiden Formen treten im Augenspiegelbilde meistens
scharf heraus, da sie in den vorderen Schichten der Netzhaut zu sitzen
pflegen. Die letztere Form aber erscheint häufig von dem hypertrophirten
Stützwerke der Xetzhaut überflort und in Gesellschaft der der exsudativen
Keurodictyitis eigenthümhchen Veränderungen des Augengrundes.
Ausnahmsweise stösst man im Bereiche der Netzhaut a.ui narbige blattförmige
Einlagerungen und auf Cholestearinnester (Cocciiis). Die bläulich weisse Farbe und
der sehnige Glanz lassen die ersteren, das perlmutterartige Glitzern die letzteren
kaum verkennen.
Subjectiv äussert sich der Schwund immer durch Herabsetzung der
Sehschärfe und meistens auch durch zunehmende seitliche Einschränkung des
Gesichtsfeldes, in vorgerückten Stadien aber gewöhnlich durch vollständige
Amaurose. Doch steht der Grad und die Ausdehnung dieser Functions-
störungen keineswegs immer in geradem Verhältnisse zu den ophthalmo-
skopisch sichtbaren Veränderungen. Es gilt dies vornehmlich von dem reinen
Schwunde. Hier findet man neben hellweisser oder bläulicher Färbung
und muldiger ^'ertiefang der Papille gar nicht selten noch eine sehr
beträchtliche centrale Sehschärfe, die Kranken lesen bei guter Beleuchtung
anstandslos die feineren Xummern der Jaeger'schen Schriftscala und nicht
immer lässt sich eine Einschränkung des Sehfeldes nachweisen. Anderseits
aber kommen wieder genug Fälle vor, wo bei normalem Bestände der
Papille oder eben erst aitftauchenden Zeichen beginnender Atrophie das
Sehvermögen auf quantitative Lichtempfindung gesunken oder völlig erloschen
ist. Es geht eben die Leitungshemmung und Zerstörung der Xervenelemente
in der Papille und Netzhaut den ophthalmoskopisch sichtbaren Veränderungen
nicht immer parallel.
Uebrigens stehen die Functionsstörungen des lichtempfindenden Appa-
rates nicht blos im Zusammenhange mit den Ernährungszuständen der
Netzhaut und der Papille ; der hier zu Tage tretende Schwund ist sehr
häufio; blos die Theilerscheinun^ oder die Folsre eines in der Schädelhöhle
oder im Rückenmarkscanale verlaufenden, identischen oder auch ganz ver-
schiedenen Processes , welcher die Leitungsfiiliigkeit der Xei^ven oder die
specifische Thätigkeit seiner Centralorgane vernichten kann, bevor das Orbital-
stück des Opticus und seine Ausbreitung zu leiden beginnen. Es stehen diese
Sehstörunaren dann eine Zeit lancj scheinbar isolirt da und rechtfertigen so
einigennassen ihre Bezeichnung als schivarzer Staar.
Unter schwarzem Staare versteht man eben nichts anderes, als das
an gewisse materielle Veränderungen im Bereiche des lichtempfindenden
Apparates gebundene Unvermögen, Objecte, welche in bestimmten Aichungen
des Sehfeldes lagern, in einem der Beleuchtungsintensität und der Grösse des
Gesichtswinkels entsprechenden Grade von Deutlichkeit, wenn überhaupt,
wahrzunehmen (Amblyopie), oder gar Licht von Finsterniss zu unterscheiden
(Amaurose).
Untersuchung des Gesiclitsfeldes und dos Lichtempflndungsvermögens. 235
Im Uebrip;en wechselt die Sohslörung nicht nur dem Grade nach
innerhalb der weitesten Grenzen, sondern vertheilt sich auch oft sehr un-
gleichmässlg auf die eiuzohien Partien des Gesichtsfeldes, und zwar stehen
diese Verschiedenheiten in nahem Bezüge zu den pathogenetischen Verhält-
nissen ; daher das Sehfeld nach allen Kichtungen hin auf das Genaueste
durchforscht wei'den muss, soll eine klare Einsicht in die Grösse der
Functionsbehinderung gewonnen und damit vielleicht auch ein Rückschluss
auf den Sitz und die Ausbreitung des Grundleidens ermöglicht werden.
Ganz besonders wichtig ist die sorglichste Ermittelung der centralen Seh-
schärfe und des Verhältnisses, in welchem die Deutlichkeit der Wahr-
nehmungen auf jedem einzelnen Sector gegen die Peripherie liin abnimmt,
überhaupt also die Erforschung der Grösse und Form des ganzen Ge-
sichtsfeldes.
Die Messung der centralen Sehschärfe wird besser in Verbindung mit den
Refractionsfelilern (Siehe diese) erörtert werden. Es genügt hier auf eine Methode
hinzuweisen, welche es erhanbt, die Empfindlichkeit der Netzhautmitte gegen Licht
in Zahlenwerthen auszudrücken. Der Apparat ist eine schwarze Scheibe, auf welcher
ein mehrfach unterbrochener Strich von gleichmässiger Dicke aus dem Centrum
gegen die Peripherie liin gezogen ist. Wird diese Scheibe durch irgend einen
Mechanismus sehr rasch um ihren Mittelpunl^t gedreht, so erscheinen die einzelnen
Theile des Striches dem betrachtenden Auge als Kreise, deren Helligkeit mit ihrem
d
Durchmesser abnimmt und sich durch t: — ausdrücken lässt, wo d die Dicke des
2r7i '
Striches, r den Radius des Kreises, also die Entfernung des betreffenden Strich-
theiles vom Scheibenmittelpunkte, und tz die Ludolf'sche Zalil bedeutet. Die Em-
pfindlichkeit des kranken Netzhautcentrums gegen Licht ist dann durch das Ver-
hältniss bestimmbar, in welchem die Helligkeit des grössten von ihm noch wahr-
nehmbaren Kreises zur Helligkeit des grössten, von einem gesunden Auge bei gleicher
Beleuchtung und gleichem Abstand erkennbaren Kreises steht (Massen, Schelske).
Viel schwieriger ist es, in Betreff der Form und Ausdehmmg des Gesiclitsfeldes
zu ganz genauen Resultaten zu gelangen. Behufs einer vorläufigen Uebersicht reicht
es aus, wenn man sich bei seitlich einfallendem Lichte vor den Kranken hinstellt,
ihn mit dem kranken Auge, bei Verschluss des anderen, das gerade gegenüber-
liegende Auge des Beobachters fixiren lässt und nun einige Finger der Hand unter
wackelnden Bewegungen an der Peripherie des Gesichtsfeldes herumführt; oder
wenn man, während der Kranke eine hellbremiende, etwa 4 Fuss entfernte Lampe
unverrückt anblickt, die kleine Flamme eines Wachsstockes in nächster Nähe vom
Auge nach allen Richtungen hin bewegt (Berlin). Man wird dann leicht diejenigen
Stellen herausfinden und selbst umgrenzen können, in welchen das Wahrnehmungs-
vermögen hinter dem des beobachtenden Auges zurücksteht oder gar erloschen ist,
besonders wenn man Selbsttäuschungen des Kranken dadurch umgeht, dass man
stets die Zahl der Finger wechselt und von Letzterem nennen oder beziehungs-
weise die jeweilige Richtung der kleinen Flamme bezeichnen lässt, während sorg-
fältig verhütet wird, dass nicht etwa vorher die Gesichtslinien darauf gerichtet worden
sind. Zu gleichem Zwecke kann man vor das kranke Auge auf 1 — 1^2 Schuh Ent-
fernung einen Bogen Papier bringen, auf welchem Reihen von grossen schwarzeti
Punkten strahlenartig aus einem gemeinschaftlichen Centrum divergiren. Aus der Zahl
und Lage der Punkte, welche das kranke Auge in jeder einzelnen Reihe bei
Fixation des Centrums zu erkennen vermag, lässt sich leicht das Bild des Gesichts-
feldes construiren. Am besten dürfte es jedoch sein, das kranke Auge bei Verschluss
des anderen einer senkrecht stehenden, allenfalls quadrirten (Joy Jefiries) oder von
radiären, gegen den Mittelpunkt convergirenden hellen Linien durchzogenen (Wecker)
schwai-zen Tafel bis auf einen Schuh zu nähern, einen Punkt derselben fixiren zu
lassen, dann ein Kreidestück an der Peripherie des Sehfeldes wackelnd herumzu-
führen und die Stellen zu bezeichnen, an welchen das Kreidestück gerade in das
Gesichtsfeld eintritt. Man bekömmt so unmittelbar das Bild des letzteren. Doch ist
dieses nicht immer ein völlig genauer Umriss. Kleinere Mängel, geringe Leitungs-
hemmungen treten bei einem solchen Verfahren nicht deutlich genug heraus. Es
236 Seliuervenscliwund; Kranklieitsbild ; Sehstörungen; Perimeter; Farbenuntersclieidungsvermögen.
bedarf dazu der Prüfung bei sehr ahgesclnvächten und, falls schärfere Ergebnisse
verlaugt werden, bei verschiedenen, dem Werthe nach genau bestimmbaren Erleuch-
tungsintensitäten, also der Zuhilfenahme photometinsche}- Apparate (Graefe, Förster).
In neuerer Zeit hat man behufs graphischer Darstellung der Sehfelddefecte mehrere
sehr sinnreiche histrmnente construirt (Heymann, Iloudin). Die genauesten Resultate
liefert das Perimeter (Foerster, Moesei-), insoferne es abgesehen von andern Vor-
theilen auf die Sclialenform des Gesichtsfeldes Rücksicht nimmt und damit eine
Reihe von Fehlern vermeidet, welche aus den ungleichen Entfernungen des Probe-
objectes und aus falschen Projectionen seines Netzhautbildes nothwendig hervorgehen.
Bei cataractösen Trübungen, Pupillenverschlnss u. s. w. , wo das objective
Licht auf dem Wege zur Netzhaut optisch ungleichartige Medien durchdringen muss,
lassen sich nur gröbere Abweichungen ermitteln, am besten, indem man bei Ver-
dunkelung des umgebenden Raumes die Flamme eines Wachsstockes im Gesichts-
felde herumführt und genau die Richtungen anmerkt, von welchen aus das Licht
in verschiedenen Entfernungen nur sehr schwach oder gar nicht wahrgenommen
wird. Unter solchen Umständen kann übrigens auch die Reactionsfähigkeit der ein-
zelnen Netzhautabschnitte gegen äusseren Druck (Serres d'Uzes) oder gegen galvanische
Reizungen (Reviak) diagnostisch verwerthet werden. Doch sind die Resultate nicht
verlässlicher, als Jene, welche mit der Flamme erzielt werden. Einen sehr schätz-
baren Behelf geben sie nur ab, wenn es sich darum handelt, partielle Anästhesien
(Siehe diese) von eigentlichen Leitungshemmungen zu unterscheiden, da bei ersteren
die Phosphene in den der Lichtempfindung unfähigen Bezirken sich geltend machen,
während sie bei amaurotischen Defecten fehlen (Graefe).
Zur Vervollständigung der Diagnose ist endlich auch die Untersuchung des
Farhenunterscheidungsvermögens von einigem Belange. Es sinkt dasselbe nämlich im
Bereiche amblyopischer Stellen fast constant sehr beträchtlich, ohne dass jedoch ein
bestimmtes Verhällniss zwischen seiner Abnahme und der Herabsetzung der Seh-
schärfe bestände, indem das Farbenunterscheidungsvermögen öfters schon bedeutend
gelitten liat, ehe sich ein Ausfall in der Sehschärfe fühlbar macht und bisweilen
völlige Achromafopsie bei relativ wenig geschädigter Sehschärfe gegeben ist (Chisholm,
Quaglino). Es haben diese Ch'omatodesopsien schon vor langem die Aufmerksamkeit
auf sich gezogen und zu einer Reihe von Versuchen angeregt, welche ergaben, dass
die Empfindlichkeit gegen die an der äussersten Grenze des Spectrums gelegenen
Farben zvierst erlischt, dass hierauf die dem Centrum näheren Farben und zuletzt
das Gelb aus der Wahrnehmung verschwindet. Spätere Experimente haben diese
Resultate insoferne bestätigt, als sie herausstellten , das die amblyopische Störung
des Farbensinnes sich ztierst durch die charakteristischen Defecte der Rothblindheit
(Schelske, Benedikt) zum Ausdruck bringe, oder auch wohl das Violett (Galezoivski)
zuerst verschwinde. In neuerer Zeit haben Untersuchungen mittelst des Spectroskopes
und des i?ose'schen Farbenmessers diese Ergebnisse dahin berichtiget, dass im
Spectrum zuerst das Roth, dann das Gelb und Grün und zidetzl das Blau in der
Wahrnehmung verschwinde, dass die Farben also in derselben Reihe aufhören, die
Netzhaut qualitativ zu erregen, in welcher sie im Spectrum neben einander gelagert
sind, mit der einzigen Ausnahme, dass das Violett vor dem Blau erlischt. Es wieder-
holt sich damit dasselbe Verhältniss, welches in der Norm bei allmäliger Abnahme
der Beleuchtung s Intensität in Bezug auf das Farbenunterscheidungsvermögen nach-
zuweisen ist. Auch hat sich herausgestellt, dass die Chromatodesopsie bei Amblyopie
vom Centrum gegen die Peripherie hin wachse; dass sie bei Hemiojjie gewöhnlich
auf den amblyopischen Theil des Gesichtsfeldes beschränkt sei und bei centralen
Unterbrechungen der Abnalnne der Sehschärfe öfters um ein Beträchtliches voraus-
gehe; dass sie weiterhin sich öfter lediglich auf den Bereich der centralen Unter-
brechung beschränke oder aber über dieselbe in wechselnden Grenzen und Graden
hinausgreife, übrigens auch hier mit Rothblindheit beginne und durch Grün- und
Blaublindheit sich steigernd schliesslich in völlige Achromatopsie übergehe (Leber).
Bisweilen finden sich auch subjective Gesichtserscheinungen, Photopsien, Chro-
mopsien u. s. w. Dieselben geben weniger Aufschluss über die Grösse der Lei-
tungshemmung, als über die Art des Grundleidens und der dasselbe begleitenden
krankhaften Vorgänge.
Im Allgemeinen unterscheidet man Unterbrechungen und Einengungen
oder Einschränkungen. Unter ersteren verstellt man einen innerhalb des
monocularen Gesichtsfeldes völlig abgeschlossenen Defect, unter letzteren
Unterbrechungen und Einschränkungen des Sehfeldes. 237
aber Defcctc, welche von der äusscrsten Peripherie her mehr weniger weit
in das Gesichtsfeld hineinragen. Beide Arten machen sich öfters schon
beim gewöhnlichen Sehacte sehr fühlbar.
Die Unterbrechungen stellen sich dem Kranken als höchst mannigfaltig
gestaltete umschriebene kleinere oder grössere Flecke dar, welche unbeweg-
lich im Centrum oder an einer demselben nahen Aichiing des Gesichtsfeldes
haften. Die Patienten pflegen sie als leere Stellen im Sehfelde zu bezeich-
nen, oder als weissgraue, seltener farbige begrenzte Nebel, oder als dunklere
graue bis schwärzliche Wolken zu beschreiben, welche die Objecto entweder
vollständig deckest, oder in verwischten Bildern durchschimmern lassen und
sich nicht, wie die Scotome (Siehe diese) in figurirte Theile auflösen lassen.
In einzelnen Fällen umgeben dieselben rinyfüirmig eine normale oder doch
hellere Stelle und zwar meistens das Centrum des Gesichtsfeldes. Im Gegen-
satze dazu wurde indessen einmal eine centrale Unterbrechung beobachtet,
welche durch einen Gürtel mit wenig verminderter relativer Sehschärfe
von der erblindeten Peripherie geschieden war (Hirschnann).
Die Unterbrechungen treten am deutlichsten bei monocularem Sehen
hervor. Sind sie central gelagert, so beirren sie in höchst lästiger Weise
die Sehfunction, namentlich das Scharfsehen, indem sie immer gerade den
fixirten Objecttheil, beim Lesen z. B. den fixirten Buchstaben oder Wort-
theil, decken und sehr undeutKch machen oder ganz verhüllen.
Der Kranke wird dadurch gezwungen, die Gesichtslinie an dem Objecte vor-
heischiessen zu lassen, um demselben normal functionirende Netzhautstellen zuzu-
wenden. Bisweilen umkreiset er wohl auch mit der Gesichtslinie das Object, um
durch Bethätigung einer grösseren Anzahl von excentrischen Netzhautelementen
den Eindruck zw verstärken und das Urtheil zu berichtigen. Durch fortgesetzte
XJebimg können dann solche excentrische Netzhautstellen ein die Norm bei weitem
übersteigendes Distinctionsvermngen erlangen. Sind die Unterbrechungen aber sehr
excentrisch, so werden sie öfters übersehen und kommen nur zum Vorscheine, wenn
der Kranke darauf seine Aufmerksamkeit lenkt. Kleine excentrische Unterbrechungen
können sogar ganz immerklich werden, vielleicht, indem gleich wie beim Mariotte'-
schen Flecke (Wittich) die ErregungszustänciLe der nachbarlichen Elemente den
Vorstellungsact über die Eigenschaften der darauf fallenden Objecttheile ergänzen
helfen. Noch leichter werden solche excentrische Flecke aus selbstverständlichen
Gründen beim hinocidaren Sehen durch die Wahrnehmungen des anderen gesunden
Auges gedeckt. Bei centralen Unterbrechungen geht dieses schon schwieriger. Be-
sonders anfänglich pflegen dieselben das binoctdare Sehen ausserordentlich zu be-
helligen, indem sie die Wahrnehmungen der entsprechenden Stellen der gesunden
Netzhaut in ihrer Deutlichkeit herabsetzen, das gesunde Auge gleichsam blenden.
Die Einengungen sind, so lange sie sich auf die äusserste Peripherie
des Gesichtsfeldes beschränl^en, viel weniger auffallend, als die Unterbrechun-
gen, der Kranke merkt sie häufig gar nicht, es bedarf eingehender A'er-
suche, um sie mit Bestimmtheit nachzuweisen. In dem Masse aber, als
sie sich ausbreiten, gegen das Centrum vori'ücken, wird die Sehstörung von
Belang, zumal beim monocularen Sehen und, wenn der Ausfall vermöge seiner
Oertlichkeit beim gemeinschaftlichen Sehacte nicht durch einen entsprechen-
den Theil der anderen Netzhaut gedeckt werden kann. Auch sie präsen-
th'en sich dem Kranken als leere, oder umnebelte, oder ganz verfinsterte
Stellen, innerhalb deren Bereiche die Objecte entweder gar nicht, oder doch
nur theilweise, in sehr verwischten Bildern zur Wahrnehmung kommon. Hire
Grenze ist bald ganz scharf, bald verwaschen, d. h. die Deutlichkeit der
dahin fallenden Netzhautbilder nimmt an einer bestimmten Linie jäh zu
oder steigert sich innerhalb einer gewissen Zone ganz allmälig; ein hoch-
238
Sehnervenschwund ; Ki-ankheitsbild ; Sehstörungen; Einscliränkungen ; Hemiopie.
wichtiger Unterschied, da er mit einiger Wahrscheinlichkeit auf eine,
wenio'stens zeitweilige, Abmarkung und beziehungsweise auf das Fortschreiten
des Grundübels hindeutet.
Am häufigsten beginnen eigentlich amhlyopische Einschränkungen am
Schlaf enumfange des Gesichtsfeldes, oft aber auch an der Nasenseite, selten
nach oben oder unten. Greift der Defect um sich, so geschieht dies an
der äussersten Peripherie des Gesichtsfeldes meistens rascher, als an den
dem Centrum näheren Theilen, so dass das Gesichtsfeld schliesslich die
Gestalt eines kleinen unregelmässigen Dreieckes oder Schlitzes erhält, welcher
vom Fixirpunkte sich gegen den blinden Fleck hin ausbreitet.
Im Uebrigen ist die Form, welche das Gesichtsfeld bei den hier in Rede
stehenden Processen und in den verschiedenen Stadien derselben annimmt, eine
_. „„ ausserordentlich wa7icZe?/^are. So
Flg. 33. • i • T> 1 • j
neigt sie z. B. bei der pro-
gressiven Sehnervenatrophie
als Folge von Tahes zur Ge-
stalt eines Secfors , dessen
Spitze dem Mariotte'schen
Flecke (Fig. 33 M nach För-
sfer) zugewendet ist, und
welcher fast immer einen Qua-
dranten einnimmt, ziemlich oft
nach oben, oder ol)en aussen,
selten nach innen oder imten
liegt. Dieser Sector beginnt
als perii^here Einschränkung , welche mehr und mehr gegen das Centrum F hin
vordringt, während die seitlichen Grenzen an der Peripherie sich rasch ausdehnen
und schliesslich unter schwachem Winkel abbiegend einen Tlieil des Gesichtsfeldes
umgreifen, um ihn bis zur Schlitzform einzuengen (Förster).
In einzelnen Fällen stösst man auf concentrische Einschränkungen,
welche von dem äussersten Umfange des Sehfeldes mehr weniger gleicli-
mässia: segen dessen Centrum vorrücken und von vorneherein die gesammte
ö O o
Peripherie der Netzhaut in ihrer Functionstüchtigkeit sehr herabgesetzt
oder erblindet erscheinen lassen.
Nicht minder kommen hier und da hemiopische Einengungen vor, es ist
ein mehr weniger grosser Theil der einen Netzhautliälfte in beiden Augen
gleichzeitig oder kurz hin-
ter einander amblyopisch
oder amaurotisch geworden.
Äfeistens handelt es sich
dann um gleichseitige He-
miopien, sie betreffen die
Fig. 31.
linke oder rechte Hälfte
beider Netzhäute und kom-
men einer Erkrankving der
einen Sehnervenwurzel auf
Rechnung. Es fällt dabei die
Grenze der Einschränkung keineswegs mit der verticalen Trennungslinie
des monocularen Gesichtsfeldes zusammen. Sie geht allerdings dtirch den
Fixirpunct F senkrecht herab, wird ober- und unterhalb desselben jedoch
unregelmässig stumpfzackig, biegt daim in scharfen Winkeln ab und um-
greift an der Peripherie den noch functionirenden Theil in Gestalt eines
schmalen Saumes (Fig. 34 nach Foerster),
Temporale, nasale Ilemiopicn : Amaurosis simulata. 239
Es entspricht diese Form des iiemiopisclien Gesiclitsfeldes der Verf.lieilmig
der Nervenfasern. Die um/eJcveuzt durcli das Cliiasma gellenden Opticnsbündel ver-
sorgen nämlich nur einen kleinen Theil der ihiaseren NetzhanthäH'te ; der Rest der
letzteren erlinlt seine Fasern von den yekreuzten Bünd(dn, welche zumeist an der
inneren Seite der Papille eintreten und, theilvveise in Bögen auf die äussere Seite
der Netzhaut herüberbiegend , den Bezirk der ixngekreuzten Bündel gleichsam
innschliessen.
Ausnahmsweise werden auch gleichnamige oder laterale Hemio])ien
beobachtet. Es sind meistens temporale, bei welchen vorzugsweise die
Schläfenseiten der beiden monocularen Gesichtsfelder verdunkelt, also die
inneren Netzhauthälften functionsuntüchtig geworden sind. Sie sind aus
Leitungsunterbrochungen der im Chiasma gekreuzten Opticusbündel abzu-
leiten {Saemisch, D. E. Müller, Loewegren). Höchst selten kommen nasale
Hemiopien vor, bei welchen die Nasenseiten der beiden monocularen Ge-
sichtsfelder verdunkelt sind, also die äusseren Seiten der Netzhaut und die
nicht gekreuzten Opticusbündel leitungsunfähig geworden sind {Graefe, Pagen-
stecher). Ausnahmsweise werden auch Erblindungen der oberen oder unteren
Hälften heider Netzhäute beobachtet.
Es stehen die Unterbrechungen und Einschränkungen eigentlich nur
selten rein da, so dass man von einem partiellen schwarzen Staare sprechen
kann. Verhältnissmässig am häufigsten ist dies noch bei Unterbrechungen
der Fall; weniger oft bei Hemiopien oder gar bei seitlichen und concenirischen
Einschränkungen. Ueberdies erweiset sich ein solcher Zustand, wo er
wirklich vorkömmt, recht oft als ein blos vorübergehender. In der Regel
lehrt eine genauere Durchmusterung des Gesichtsfeldes, dass der Defect
an eine viel ausgedehntere und selbst über die Gesammtheit des letzteren
sich erstreckende Sehstörung geknüpft ist, also nur eine theilweise Steigerung
der Leitungshemmung symptomatisch zum Ausdrucke bringt. Insonder-
heit gewahrt man bei Einschränkungen ganz gewöhnlich einen sehr be-
trächtlichen Verfall der centralen Sehschärfe und nebenbei ein normwidrig
rasches Sinken des relativen WahrnehmungsvermÖ2;ens nach den übria-en
Theilen des monocularen Gesichtsfeldes hin. Bei Unterbrechungen, welche
im Centrum oder nahe demselben lagern, findet man liingegen sehr oft ein
nach allen Richtungen gleichmässiges, seltener ungleichmässiges Fallen der
relativen Sehschärfe.
Es sind derlei Zustände demnach meistens nur in Bezug auf den
Grad, nicht aber in Bezug auf die Ausbreitung von den sogenannten totalen
schwarzen Staaren verschieden , bei welchen das Wahrnehmungsvermögen
im gesammten monocularen Gesichtsfelde auf quantitative Lichtempfindung
herabgesetzt ist und endlich völlig erlischt.
So lange quantitative Lichtempfinduug besteht , kann die Reactionsfähigkeit
der Iris gegen Lichtcontraste völlig unbeirrt sein. Starrheit der Pupille findet sich
nur bei vollständiger Amaurose, oder wo Lähmungen des Ciliarsystems oder
mechanische Hindernisse die Bewegungen der Regenbogenhaut unmöglich macheu.
Dagegen liegt bei Reduction des Sehvermögens auf quantitative Lichtempfindung
und um so mehr bei ahsoluter Amaurose ein gutes objectives Merkmal in den
unsteten und zumal excursiven Bewegungen des betreffenden Augapfels. Es fehlt
dieses Zeichen unter so bewandten Umständen, und wenn das andere etwa noch
functionirende Auge gedeckt wird, nur selten; wähi-end eine auch nur theilweise
und undeutliche qualitative Lichtempfindung zureicht, um den Bulbus zeitweilig in
einer bestimmten Richtung zu bannen. Um eine simidirte Amaurose zu entdecken,
bedarf es also kaum täuschender Manöver mittelst Prismen oder des Stereoskopes,
wie Manche meinen. Sie suchen nämlich den Kranken zu verwirren, indem sie
durch Prismen , welche mit der Basis nach oben oder tmten vor das angeblich
240 Sehnervenschwnnd; Pathogenese des trügen Schwundes.
schwache Auge gesetzt werden, hinocidäre Doppelbilder erzeugen (Graefe)\ oder
indem sie mit der Kante eines horizontal gelagerten Prismas die Pupille des
normalen Auges unvermerkt bald /taZ6 bald gänzlich decken und so die Bedingungen
für monoculäre und hinoculäre Doppelbilder in einer für den Kranken schwer zu
beurtheilenden Weise wechseln lassen (Alf. GraefeJ ; oder indem sie bei Benützung
eines horizontal vor das kranke Auge gestellten Prismas Linien als Object wählen,
von welchen zwei parallel der Prismaxe laufen und eine dritte nahezu senkrecht
darauf steht, bei binocularem Sehact also uothwendig doppelt gesehen werden
muss (Berthold). Andere halten sich an die correctiven Addnctionen, welche ein
mit der Basis nach aussen vor das kranke Auge gestelltes Prisma behufs des
binoculareu Einfachsehens auslöst, um über die Functionstüchtigkeit urtheilen zu
können (Weh). Endlich will man dadurch zum Ziele gelangen, dass man ?;wischen
die Au^en und eine Druckschrift ein Lineal bringt und dasselbe für den Kranken
iinvermerkt so in seiner Lage ändert, dass bald das eine bald das andere Auge
gedeckt erscheint (Javal). Es ist niclit zu läuguen, dass mancher Kranke durch
diese Methoden bethöret iind der Simulation überwiesen werden könne. Doch ist
nicht zu übersehen , dass das Vorhandensein binocularer Doppelbilder nichts
Anderes beweist, als dass qualitative Licht emijfindung besteht; dass es aber keines-
wegs sehr beträchtliche Verminderungen der Sehschärfe ausschliessen lässt. Ueberdies
ist wohl zu beachten, dass alle diese 'N'ersuche vollständig versagen müssen, wo
Aev gemeinschaftliche Sehact fehlt, und dass monocular-es Sehen etwas sehr Gewöhnliches
in Fällen ist, in welchen das eine Aiige durch irgend welche Veranlassung in
seiner Function geschädiget ist. Jene Versuche können daher um so leichter zu
falschen Schlüssen führen, als erfahrungsmässig simulirte Leiden nur höchst selten
völlig eixlichtete sind, dagegen in der Regel üebertreibungen vorhandener Schwächen
darstellen.
Pathogenese. Der trübe Netzhaut- und Sehnervenschwund entwickelt
sich stets aus einer manifesten Iveuritis oder jSTeurodictyitis. Der Uehergang
aus einem Zustande in den anderen ist in der Regel ein sehr allm'üUger
und nicht immer in allen Tlieilen des ehemaligen Entzündungsherdes yöllig
gleichmässiger. Er ist gewöhnlich mit einer merldichen Aufhellung der ent-
zündlichen Trübung verknüpft, was sich aus der Resorption der fettigen
Producte allein zum grossen Theile erklärt ; zum anderen Theile aber auch
einer successiveu Umwandlung des bindegewebigen Stroma und der damit ver-
knüpften Zunahme der optischen Gleichartigkeit auf Rechnung gehört. In
der That sieht man nicht ganz selten im Laufe der Zeit unter fortwähren-
dem Sinken des Selivermögens die charakteristische Trübung des Augen-
grundes beträchtlich abnehmen und es kömmt mitunter sogar dahin, dass
der Umriss des sehnigweissen Sehnerveneintrittes wieder vollkommen scharf
und die Netzhaut fast unsichtbar, der ophthalmoskopische Befund also dem
des reinen Schwundes ganz ähnlich wird.
Die Umwandlung des trüben in den grauen Schwund erfolgt selbst-
verständlich um so leichter und vollständiger, je weniger productiv die
vorangehende Entzündung gewesen ist. Indem nun die Exsudation oft
eine überaus geringfügige und ophthalmoskopisch schwer nachweisbare ist,
so scheint es nicht selten, als ob die Neuritis oder Neuro dictyitis unmittel-
bar in den reinen Schwund übergegangen wäre.
Es ist damit eine Art Verbindungsglied zwischen dem entzündlichen
Schwunde und der grauen Atrophie gegeben, bei welcher letzteren das Reiz-
stadium sich nur durch eine wenig auffällige Hyperämie und Schwellung offen-
bart und öfters auch darum übersehen wird, weil sie anfänglich mit geringer
Sehstörung einhergeht und die Kranken häufig erst veranlasst werden, sich
der ärztlichen Untersuchung zu stellen, wenn die Schrumpfung bereits be-
gonnen hat.
Pathogenese des reinen Scli-wundes ; Verblassiiiig;, Decoloratio nerv. opt. 241
Nach allem dem scheint es, als ob nicht sowohl ein essentieller als
viclmehi" blos ein gradweiser Unterscliied zwischen dem entzündlichen und
dem primäi'cn Schwunde bestünde und dies zwar urasomehr, als man sehr
oft beide Formen in verschiedenen Stücken des lichtempfindenden Apparates
gleichzeitig, ja in demselben Stücke nebeneinander vorfindet.
Es kommen übrigens sehr häufig- Fälle vor, in welchen es überaus
schwierig ist, die ophthalmoskopischen Erscheinungen und die subjectiven
Symptome mit dem herkömmlichen Begriffe der Atrophie zusammenzureimen.
Oefters macht sich das charakteristische Merkmal des Schwundes, die
Blässe des Sehnerveneintrittes, so rasch nach dem Auftreten des Grund-
übels oder nach der Einwirkung einer ursächlichen Schädlichkeit geltend,
dass füglieh von einer mittlerweile erfolgten Verödung oder Schrumpfung
nicht wohl die liede sein könnte, auch wenn die natürliche Durchschein-
barkeit der Papille und der Abgang sonstiger objectiver Zeichen nicht
direct gegen eine solche Entartung spiiichen. Anfänglich auf einen kleinen
Theil der Papille beschränkt, greift die Blässe rasch um sich, ohne dass
in den dem Processe verfallenden Partien vorläufig irgend welche Zeichen
von Hyperämie und Schwellung zu bemerken wären, bis endlich die gaiize
Papille hellweiss erscheint und im aufrechten Bilde, besonders bei licht-
schwachem Spiegel, eine bläuliche oder grünliche Färbung erhält, welche
auf einer eigenthümlichen Vei'änderung der Nervenfasern beruhen soll
(Ed. Jaeger, Mauthner). Die Sehstörung ist dabei nach Grad und Zeit
äusserst wandelbar und kann sich thatsächlich mit oder ohne Rückkehr
der natürlichen röthlichen Färbung des Sehnerveneintrittes dauernd oder
doch für längere Zeit ivieder beheben, so dass die Sehschärfe, besonders im
Centrum, der Norm sich nähert. Li der Regel jedoch nimmt, während der
objective Befund Monate und selbst Jahre lang der gleiche bleibt, das Seh-
vermögen mit zwischenlaufenden Besserungen mehr und mehr ab, während
schliesslich die grösseren Gefässe zu schrumpfen beginnen und das Bild
in allen seinen Zügen die wahre Atrophie widerspiegelt.
Fasst man alles zusammen, so kanii man sich kaum der Vermuthung
erwehren, dass es sich anfangs hauptsächlich um Blutleere der kleinen Gefässe
handle, und dass die eigenthümliche Verfärbung der Nervenfasern sowie der
am Ende gewöhnlich sich ausbildende unzweifelhafte Schwund secundäre
Zustände seien, welche in der mangelhaften Blutzufuhr mitbegründet sind.
Insoferne nun blos in den seltensten Fällen Anhaltspunkte gegeben sind,
welche die Blutleere der kleinen Gefässe auf ein mechanisches Circulations-
hindeiniss zurückzuführen erlauben und weil, wo ein solches wirklich an-
nehmbar wäre, die zahh-eicheu Anastomosen zwischen den Gefässen des
Nervenkopfes und der Aderhaut die Umgehung desselben auf eollateralem
Wege in kürzester Zeit anbahnen müssten: so bleibt vorderhand nichts
übrig, als Gefässkrämpfe für das pathogenetische Moment der Blutleere
zu halten, obwohl die lange Dauer des ischämischen Zustandes schwer
damit in Einklang zu bringen ist.
Diese Hypothese als richtig vorausgesetzt würde sich die einfache Ver-
blassnng des Sehnerveneiutrittes zur wahren Atrophie wie Ursache zur Wirkung
verhalten und eine strenge Trennimg beider Zustände erheischen. In der Praxis
grenzen sich jedoch dieselben zu wenig von einander ab, als dass sich die
Scheiduno- folsrericlitisf durchführen liesse. Man will zwar die ivaJirnelimhare Schruvi-
pfung der grossen Gefässe als die unerlässlicJie Bedingung zur Anerkennung einer
St eil wag, Augenheilkunde. 16
242 Sehnervenschwnnd ; Ursachen; Verlauf; primäre Form.
wahren Atrophie erklären und, wo sie fehlt, blos von einer Decoloratio sprechen
(Ed. Jaeger, MauthnerJ; doch liegt es auf der Hand, dass bei unzweideutigem Her-
vortreten des fraglichen Symptomes der Schwund schon sehr weit vorgeschritten
sein müsse und es geht wohl nicht leicht an, die niederen Entwicklungsgrade
des Processes, welche sich von der Decoloratio nicht abgrenzen lassen, als ganz
verschiedene Zustände in das nosologische System einzureihen.
Bedenkt man, dass eine und dieselbe Ursache unter scheinbar ganz
gleichen Verhältnissen primär bald zur Verfärbung, bald zu rasch progressivem
Schwunde, bald zu manifester Entzündung führt, bedenkt man weiter,
dass diese Zustände auch unmittelbar in einander übergehen und durch
zahllose Zwischenforrnen mit einander zusammenhängen: so kann man an
der nahen Verwandtschaft derselben kaum zweifeln und man wird vielleicht
nicht fehl gehen, wenn man in ihnen blos verschiedene Reactionsformen des
sympathischen Nerven vermuthet. Dass der letztere dabei keine unwichtige
EoUe spielt, lässt sich übrigens aus der öfters nachweisbaren Empfindlich-
keit des cervicalen Grenzstranges und aus der noch allerdings kleinen
Anzahl von Fällen entnehmen, in welchen die Galvanisation des Hals-
sympathicus merkliche Besserung der fraglichen Zustände erzielt hat
(Benedikt).
Ursaehen und Verlauf. A) Das Sehnervenleiden, welches im aus-
gesprochenen Schwunde des Opticus und der Xetzhaut gipfelt, entwickelt
sich sehr häufig primär. Es beschränkt sich der Process dann oft auf das
Vorderstück des Sehnerven, greift nicht über das Chiasma hinaus. In
anderen Fällen aber schreitet er darüber hinweg auf den anderen Seh-
nerven und auf die gleichseitige Stria. Er lässt sich an der letzteren
gewöhnlich bis zu den knieförmigen Körpern, ausnahmsweise bis zu den
Ursprungskernen im Seh- und Vierhügel, oder gar längs den verbindenden
Faserzügen bis in die hinteren Rückenmarksstränge oder in die Hirnrinde
verfolgen.
1. Das primäre Sehnervenleiden ist sehr gewöhnlich insofeme ein
selbstständiges, als es alle seine Phasen durchmacht, ohne dass irgend ein
anderes Organ sich merklich dabei betheiligt, es wäre denn, dass die ur-
sächliche Schädlichkeit von vorneherein auf einen grösseren Bezirk ein-
wirkt. Die Sehstörung steht im ersten Falle mit den ophthalmoskopischen
Zeichen des Nervenleidens natürlich allein da, oder ist höchstens mit An-
fällen von Kopfschmerzen gepaart.
Auf diesen Mangel bedeutsamer Nebenerscheinungen stützt sich denn aiich
wesentlich die Diagnose des primären und reinen Sehnervenleidens. Doch ist dabei
wohl in Anschlag zu bringen, dass in der Schädelhöhle nicht selten höchst deletäre
Processe verlaufen , krankhafte Geschwülste zu beträchtlichem Umfange heran-
wachsen u. s. w., ohne sich durch auffällige Symptome zu verrathen. Andererseils
darf nicht übersehen werden, dass ausnahmsweise mehrere Gehirnnerven gleichzeitig
oder kurz hinter einander zu leiden beginnen, trotzdem ein gemeinsamer Herd weder
in den Centraltheilen noch in den Hüllen des Gehirnes gegeben ist.
Den Kopfschmerzen wird noch vielseitig eine grössere diagnostische Wich-
tigkeit beigelegt, als ihnen eigentlich gebührt. Sie können nämlich bei jeder pa-
thogenetischen Form des schwarzen Staares fehlen , ebenso gut aber auch vorhan-
den sein , ohne sich durch besondere und eigenthümliche Merkmale auszuzeichnen.
Auch ist wohl zu beachten, dass schon in der vermehrten Anstrengung amblyopi-
scher Augen behufs deutlicherer Wahrnehmungen eine Quelle von Reizungen liegt,
welche gleich wie bei der Asthenopie auf die vasomotorischen Nerven übertragen
werden können, wie denn auch die stärkere Blutfülle in den Gelassen der Con-
junctiva, der Netzhaut und Papille andeutet. In der That lassen sich solche
Schmerzen häufig durch Aufgeben jeder Bethätigung des Sehorganes beschwichtigen.
Erblichkeit ; fiinctionelle, mechanische Schädlichkeiten ; Congestivform. 243
In einzelnen Fällen mag indessen allerdings der Reiz von dem Localherde selbst
ausstrahlen und der Kopfschmerz bei primärem Sehnervenleiden eine ähnliche
Rolle spielen, wie die Rückenmarksschmerzen bei grauer Degeneration der Ilinter-
stränge (Graefe). Hier wie dort tragen die Schmerzen den congestiven Charakter,
steigern sich bei jeder Gelegenheit zu Kreislaufstörungen, beim Bücken, bei
raschen Bewegungen u. s. w., unterscheiden sich also nicht wesentlich von solchen,
welche bei anderweitig begründeten intracraniellen Hyperämien auftreten und oft
auch wohl wahre Encephalopathien oder Meningealleiden begleiten.
Es entwickelt sich das primäre Sehnervenleiden häufig, ohne dass sich
eine bestimmte und genügende Ursache auffinden liesse. Mitunter scheint
die Anlage dazu sogar ererbt zu sein.
So kommen nicht gar selten Fälle vor, wo mehrere Glieder Einer Familie
(Himly , Mooren, Graefe), selbst in mehreren auf einander folgenden Generationen
(Beer), während bestimmter Lebensepochen amblyopisch w'erden. Doch düifte es
sich hier nicht immer um eine primäre Erkrankung des Sehnerven handeln,
sondern oft um intracranielle Leiden anderer Art, Congestivzustände u. s. w. welche
erst mittelbar zur Wucherung im Opticus führen.
In anderen Fällen mögen ähnliche functionelle Schädlichkeiten den
Anstoss geben, wie selbe der diffusen (S. 197) Neurodictyitis zu Grunde
gelegt werden. Es wäre auch gar nicht abzusehen, warum derlei Schäd-
lichkeiten ihren Einüuss ledighch auf das Vorderende des Sehnerven geltend
zu machen fähig sein sollten. Anderseits gehen unter solchen Umständen
die Sehstörungen wirklich bisweilen der Entwickelung der charakteristischen
ophthalmoskopischen Erscheinungen voraus und gestatten die Annahme,
der Process sei allmälig von den tieferen Theilen des Nerven gegen den
Binnenraum des Auges hin vorgerückt.
Das Sehnervenleiden kann übrigens auch auf reiii mechanische Weise
durch Zusammenhangstrennung oder durch plötzliche Raumbeengung eines
Theiles des lichtempfindenden Apparates von Seite hämorrhagischer Extra-
vasate (S. 176), seröser Ausschwitzungen, entzündlicher Herde oder After-
gebilde in der Orbita oder innerhalb der Schädelhöhle (siehe Encephalopathien)
begründet werden. Gewöhnlich ist es dann jedoch nicht sowohl die Com-
pression als solche, als das Uebergreifen des krankhaften Processes, welches
das Nervenleiden begründet.
In einem Falle Hess sich das Sehnervenleiden auf ein Extravasat zurück-
führen, welches das Chiasma umhüllte und zusammendrückte (Stevenson). Zweimal
fand man die eine oder beide Wurzeln des Sehnerven d,urch Knochensplitter zer-
trümmert, welche in Folge einer stumpfen Gewalt vom Boden der Schädelhöhle ab-
gesprengt worden waren (Steffan, Chassaignac). Oefter lag die Quelle binocularer Amau-
rosen in apoplectischen Gewebszerstörungen oder in Compressionen des einen Seh-
hügels (Beck, Andrea und A,, Law) oder anderer Gehirntheile (Siehe Encephalo-
pathien).
2. In einzelnen Fällen glaubt man locale Hyperämien als das patho-
genetische Moment annehmen zu dürfen. Ohne Zweifel können Congestiv-
zustände sehr belangreich werden, wo die XJrsprungskerne der Nerven-
fasern, oder diese selbst in irgend einem Punkte ihrer Bahn schon vorläufig
eine Raumbeengung erlitten haben, sei es durch nachbarliche Geschwülste,
seröse Ausschwitzungen, seröse Producte u. s. w. Dem entsprechend
kommen denn auch wirklich Amaurosen zur Beobachtung, welche blos
hervortreten oder sich aufi'ällig verschlimmern, wenn in Folge stärkerer Auf-
regung der Herzthätigkeit Veranlassung zu Congestionen gegeben wird ; aber
wieder gänzlich oder auf den früheren Grad zurückgehen, wenn die Circulations-
störung vermindert oder getilgt worden ist. Im Uebrigen ist nicht zu über-
16*
244 Sehnervenschwund ; Ursachen; Verlauf; Congestive xi. anämische Formen.
sehen, dass intracranielle Blutüberfiüliingen mittelbar durch die sie be-
gleiteudeu ödematösen Infiltrationen zu mechanischen Functionshindernissen
werden können, besonders aber, dass sie sehr gerne Entzündungsprocesse
anregen und begleiten, welche sich nicht immer durch die charakteristischen
Merkmale der Entzündung verrathen, sondern recht oft lange verborgen
bleiben, auch wenn sie fiehx productiv wären, bis endlich die Erscheinungen
des grauen Schwundes oder gar einer manifesten N^eurodictyitis descendens
im Augenspiegelbilde zu Tage kommen. Doch steht es sehr dahin, ob
diese Erklärungen für alle Fälle zutreffen. Das Nebenher- und Voraus-
gehen gewisser Zeichen von fitrnhyperämie oder vielleicht partieller intra-
ocidarer Gefässüberfüllungen, das oft fast plötzliche Auftreten oder doch
überaus rasche Ansteigen der Sehstörung, der nicht seltene sehr auffiillige
Gradioechsel der letzteren, je nachdem die Umstände einer Ab- oder Zu-
nahme der Stockungen günstig sind, weiters das bisweilige schnelle Zurück-
gehen der Amaurose und die etwaigen Erfolge, welche örtliche Blutent-
ziehungen hier und da gehabt haben sollen, endlich der Mangel aller auf
Gewebsveränderungen hinweisenden Symptome sind Gründe genug, um für
einen Theil der Fälle an dem Congestivchar akter festzuhalten.
Unter solchen Vorbehalten mag man jene Amaurosen congestive nennec,
welche manchmal nach Unterhrechungen der Menstruation {Mackenzie , Himly,
Lawson, Graefe), in gewissen Perioden der Schicangerschaß (Mackenzie, Ringlaud
u. A., Laicson, Krauts), nach heftigen Gemüthshewegungen (Beer), nach Anfällen
von Husten, Niesen, Erbrechen, während der Geburtsarbeit (Ullersperger) oder über-
mässigen Muskelanstrengungen anderer Art, in Folge der Zusammensehnürung des
Halses durch enge Kleidungsstücke oder durch Würgen (HimJy, Mackenzie), nach
Ueberbürdungen des Sehorganes u. s. w. aufgetreten sind. Auch mag man unter
gleichen Rücksichten jene Amaurosen hierher zählen, welche man nach und wegen
der Unter driickung gewisser habitueller Secretionen und Hümorrhagien {Mackenzie,
Himly, Arlt, Graefe), insbesondere der Fussschweisse (Deval, Spengler, Mooren, Eris-
mann, Benedikt) und der Milcliahsondernng (Beer) beobachtet haben will. Nicht
minder lassen sich manche jener schwarzen Staare in diese Gruppe stellen, welche
man icährend (Seidel), häufiger aber nach Ahlaif von Pneumonien, chronischen
Lungenkatarrhen, Anginen etc., zumal bei Bläsern, entstehen sah (Sichel). Ob auch
die mit Wechselßeber einhergehenden und bisweilen intermittirenden Sehstörungen
(Himly, Zehend,er), so wie die bei Wechselßebercachexie vorkommenden Amblyopien
(Schreder) hier am geeigneten Platze sind, ist schwer zu errathen.
3. In anderen Fällen wird das Sehnervenleiden mit anämischen Zu-
ständen in ^"erbindung gebracht. Es zählen hierher Amaurosen, welche
sich mitunter bei sehr weit gediehener Blutarmuth, in den späteren Stadien
der Zuckerruhr und nach schweren Krankheiten, in Folge erschöpfender Säfte-
verluste {Mackenzie, Himly), bei höchstgradiger Bleichsucht (Cunier), insbe-
sondere aber nach Metrorrhagien {Ai-lt, Mooren), Haemoptoe {Rittmann), Ma-
genblutungen {Ed. Jaeger, Graefe, Fikentscher, Sellheim, Mooren, Jacobs,
Colsmann, Hutchinson) eingestellt haben, Sie waren meistens beiderseitig
und häu£g gingen ihnen Störungen in anderen Nervengebieten voraus, so
dass sie nur als eine Theilerscheinung ausgebreiteter intracranieller Leiden
betrachtet werden konnten. Der schwarze Staar bekundete sich oft als
ein allmäliges Sinken der relativen Sehschärfe im ganzen Umfange des
Gesichtsfeldes, meistens mit seitlichen Einschränkungen, schwankte aufiing-
lich nicht selten dem Grade nach oder ging wohl gar wieder vollständig
zurück. In anderen Fällen stios- die Sehstörung überaus rasch bis zum
völügen Erlöschen der Lichtempfindung, oder trat plötzlich auf, vei'harrte
einige Tage oder "Wochen auf diesem Höhenpunkte und verschwand allmäUg
Amaurosis n:iili liliitverlnstcn; A. diabetica; intoxicativa ; sahiiiiiiiii. 245
g-anz oder mit Hintorlassuiip; belangreicher Befecte. In der Regel jedoch
zeigten sich bei der einen und der anderen Verlaufsweise binnen kurzem,
die Merkmale begimienden Sc.hnervenschwundes, öfters, nachdem sich vorläufig
an der l*apille und der Netzhaut bestimmte Zeichen entzündlicher Wucherung
geltend gemacht hatten. ICs kam dann bisweilen allerdings zu einer
vorübergeheiiden Besserung des Sehvermögens , niemals aber zu einer
wahren llelluag; vielmehr erwies sich die Atrophie stets als eine fort-
schreitende, selbst wenn nachträglich das Grundleiden dauernd beseitiyt und
die Punction der übrigen mitergriffenen Nerven zur Norm zurückgefiihrt
worden wäre.
Was insonderheit nocli die mit Blutverlusten in Verbindung gebrachten
schwai'zen Staare betritlY, so kömmt in Betracht, dass dieselben öfters erst einige Zeit
nach der llämorrliagie zur Entwickhing kamen, ja nachdem die Blutmenge sich
wieder gehohen hatte und die unmittelbaren Folgen des Bkitverlustes theil weise zum
Ausgleich gekommen waren; dass weiters die veranlassende Hämorrhagie durchaus
nicht immer so bedeutend erschien, um aus ihr allein anaemische Zustände ableiten
zu können (Graefe). Es liegt darum sein- nahe, das Sehnervenleiden auf vasomo-
torische Störungen zurückzuführen. Die ausserordentliche Verdünnung der Netzhaut-
gefässe, welche in einzelnen Fällen beobachtet wurde (Graefe), steht damit im
Einklänge, und die auffällige Trübung der Retina und Papille, welche Andere sahen
(Ed. JaegerJ, lässt sich ebenso gut auf Entzündung als auf Verfettigung der Ele-
mente in Folge mangeiliaftcr Blutzufuhr beziehen.
Die diabetischen Amaurosen haben sich grossen Theiles als blosse Accom^no-
dutionsparesen enthüllt (Graefe, Nagel). In einzelnen Fällen handelte es sich um
manifeste Neurodictyitis (S. 198). Das öftere Nebenhergehen und isolirte Vorkommen
von Functionsbehinderungen in verschiedenen anderen Nervenbezirken (Seegen), so
wie die Beoliachtung hemiopischer Einschränkungen des Gesichtsfeldes (Graefe)
deuten darauf hin, dass das intracranielle Leiden, welches in dem Reste der
Fälle der Amaurose zu Grunde liegt und auch einige Male nachgewiesen worden
ist (Luys , Tardieu) , dem Sitze und der Grösse nach sehr wandelbare Herde
bilden kann.
4. In einer weiteren Reihe von Fällen sucht man das ätiologische
Moment in der Einivirkung gewisser, dem Blute heigemischter krankhafter
oder fremdartiger Stoffe auf die Centralorgane und den lichtempfindenden
Apparat.
In erster Linie steht die Amaurosis saturnina (Beer). Es ist allerdings
der Verdacht gerechtfertigt, dass viele der älteren Beobachtungen auf
blosse Lähmungen im Ciliarsysteme zu beziehen seien. In einzelnen Eällen
mag auch Albuminurie im Spiele gewesen sein (Danjoy), oder selbst eine
nephritische Neurodictyitis zu Grunde gelegen haben (Desmarres, Lancereaux,
Lecorche, FolUn, Danjoy, Ed. Meyer). Doch steht es fest, dass die Blei-
vergiftung loahre schwarze Staare veranlassen könne. Man hat selbe aus-
nahmsweise nach vorausgängigen heftigen Kopfschmerzen bei Mangel son-
stiger Nervensymptome entstehen (Deshois, Tanquerel) und wieder zurück-
gehen (Hirschler), aber auch ständig werden sehen (Rau). In der Regel
jedoch entwickelten sie sich erst nach wiederholten Anfallen von Kolik
oder anderen Formen der Bleikrankheit. Sie bildeten sich dann bisweilen
ganz allmälig aus und vergesellschafteten sich bald mit ophthalmoskopisch
nachweisbarem Opticusschwuude. Häufiger traten sie plötzlich neben ander-
weitigen allarmirenden Nervensymptomen während eines acuten Anfalles
von Bleikrankheit hervor und gediehen dann meistens rasch zur voll-
ständigen vorübergehenden oder bleibenden Blindheit. Wenn nicht alle
Zeichen trügen, so ist Anämie des Gehirnes mit oder ohne ödematöser
246 Sehnervenschwund ; Ursachen; Verlauf: Amaurosis intoxicativa, alcoiolica, taliacma.
Schwellung desselben die nächste Ursache nicht nur der verschiedenen
jS'ervensymptome und darunter der Sehstörung, sondern auch der Stuhh-er-
stopfung und der verminderten Harnsecretion. Die Anämie selbst ist wieder
aus der Einwirkung des im Gehirne chemisch nachgewiesenen Bleies
(Bouillaud) auf die kleinen Gefässe abzuleiten (Rosenstein).
Es schliesst sich daran die Amaurosis nrämica fß. 215), da diese
gleichfalls auf Anämie des Gehirnes zu beruhen scheint und aus der Ein-
Wirkung des im Blute zurückgehaltenen Harnstoffes auf die vasomotorischen
JS^erven abzuleiten ist (Traube).
In neuerer Zeit wird wieder dem Missbrauche geiüiger Getränke Schuld
an dem. Zustandekommen schwarzer Staare gegeben und als Beweisgrund
der Umstand betont, dass durch gänzliches Aufgeben des Sufes das Leiden
öfters zum Stillstande oder gar zur Heilung gebracht werden konnte (Sichel,
Erismann). So viel steht fest, dass die Amblyopie bei Gewohnheitssäufern
in einem auffallend grossen procentarischen Verhältnisse beobachtet wird.
Es gehen hier in der Hegel Zeichen der Hirnreizung voraus, auch lässt sich
anfänglich in der Mehrzahl der Fälle eine starke Hyperämie der Papille nach-
weisen. Späterhin deutet das Kjankheitsbild mehr auf Stumpfheit des Gehirnes,
während die Papille allmälig vprblasst und schhesslich alle charakteristischen
Symptome der Atrophie nachweisen lässt. Die Sehstörung äussert sich im
Beginne des Leidens öfters unter der Gestalt des Nachtnebels, bald aber
wird die Amblyopie ganz manifest. Die letztere steigt meistens langsam,
oft mit Unterbrechungen zu sehr beträchtlichen Graden, ohne dass sich
Einschränkungen oder Unterbrechungen des Gesichtsfeldes geltend machten.
Das Farbenunterscheidungsvermögen bleibt dabei in der Regel lange vöZZ/^» normal.
Mitunter jedoch lässt sich Chromatodesopsie, besonders Rothblindheit, in den
centralen jS'etzhautportionen nachweisen (Leber). Die Amblyopia potatorum
ist stets beiderseitig und in beiden Augen zu ziemlich gleicher Höhe ent-
wickelt. Es scheint, dass bei dem Zustandekommen dieses Zustandes neben
der Einwirkung des weingeistgeschiüängerten Blutes auf das Gehirn auch die
mannigfaltigen Vegetationsstörungen, zu welchen der Suf und das damit
verbundene unregelmässige Leben Anlass geben, von pathogenetischer Be-
deutung seien (Erismann). Manche glauben chronische Meningitis als einen
häufigen Factor in Betracht ziehen zu müssen.
Auch dem Missbrauche des Tabakes wird eine Rolle unter den aetiologischen
Momenten der Amaurose zugesprochen (Mackenzie, Sichel, Loureiro, Hutchinson,
Thielesen, Jackson) und diese Annahme mit dem öfteren Zurückgehen des Leidens
bei völliger Abstinenz von dem genannten Gemissmittel begründet. Es soll die
Amaurosis tabacina nur selten selbstM'dndig auftreten, vielmehr in der Regel mit
der aJcohoUca gepaart sein und überdies nur bei Leuten vorkommen, die sich der
ordinärsten Tabaksorten und sehr unreinlich gehaltener Pfeifen bedienen. Man
glaubt das Sehnerijßnleiden aus der Einwirkung grosser Mengen von Nicotiyi auf
das Gehirn erklären zu müssen (Erismann).
In Betreff der Amaurosen, welche durch den innerlichen Gebrauch starker
oder vieler Dosen des Opium, der Mydriatica, der Ignatiushohne, der Nux vomica etc.
(Beer, Himly), durch das Mutterkorn (J. Meyer) hervorgerufen werden sollen, gilt
Aehnliches. Doch sind dieselben noch viel weniger genügend untersucht und
man kann sich nur dahin mit Beruhigung aussprechen, dass die Mehrzahl der
Fälle durch Mydriasis vorgetäuscht worden sein möge. Zweimal hat man Amaurose
nach grossen Dosen von Chinin gesehen und glaubt aus der Heilwirkung ört-
licher Blutentziehungen auf Congestivzustmide als die Vermittler schliessen zu dürfen
(Graefe).
Amaurosis nach liebeihaften Krankheiten ; A. ischaemica. 247
5. Unzweifelhaft besteht ein pathogenetischer Zusammenhang zwischen
dem amaurotischen Sehnervenleiden und gewissen schweren fieberhaften
Kranlheiten, acuten l'^xanthemen, Typhus, Pucrpei'ium etc., selbst Pneumonien,
Anginen, acuten Darmcatarrhen u. s. w. Es kömmt in deren Verlaufe
nämlich bisweilen überaus rasch zu symmetrischen beiderseitigen und dann
mit hochgradiger Mydriasis gepaarten, selten zu einseitigen Erblindungen,
ohne dass andere Symptome auf ein Mitergriffensein irgend eines Hirn-
theiles oder der Meningen hinwiesen. Es gehen diese schwarzen Staare
manchmal ohne nachweisbare Veränderungen in den Binnenorganen des
Auges einher; manchmal beschränken sich diese auf leichte und obendrein
sehr wandelbare vorübergehende Anschwellungen und Trübungen der
Papille, sowie auf die Erscheinungen geringer Blutstauung. Der gewöhn-
liche Ausgang ist Heilung, häufig ohne Hinterlassung von Spuren {Graefe).
In einzehien Fällen glaubte man solche nach Typhus oder Scharlach auf-
tretende transitorische Amaurosen durch Oedem der Gehirnhäute oder des Opticus
erklären zu dürfen '(Betke, Ebert). Im Ganzen ist jedoch der massgebende Factor
dunkel. Der Umstand , dass die Iris bei dieser Form der Amaurose sowohl auf
reflectorische Reize als consensuelle Innervationen ausgiebig reagirt, deutet darauf
hin , dass die Leitungshemmung des Sehnerven jenseits der Vierhügel, näher der
Hirnrinde, stattfinde (Graefe).
B) In einer anderen Reihe von Fällen beruht das Leiden zweifels-
ohne auf einer plötzlichen Unterbrechung des arteriellen Btutstromes vi den
vordersten Partien des lichtempfindenden Apparates, indem die Sehstörung
immer blitzähnlich auftritt, oder doch sich binnen der kürzesten Zeit bis
zur vollständigen Amaurosis entwickelt und mit einer höchst autfälligen
Verengerung einzelner oder aller Hauptäste der centralen Netzhautschlagader
einhergeht.
Die betreffenden Aeste erscheinen unter solchen Verhältnissen ent-
weder vollkommen blutleer, zu feinen drehrunden weissen Fäden verdünnt,
oder es lässt sich in ihrer Axe noch eine höchst zarte continuirliche, aus-
nahmsweise wohl auch unterbrochene (Quaglino) Blutsäule als eine rothe
Linie erkennen. Die Verdünnung betrifft meistens die ganze Länge der
Arterien und ist so beträchtlich, dass die secundären Aeste sich schon völlig
der Wahrnehmung entziehen, oder dass selbst die Hauptstämme nur auf
dem Sehnerveneintritte und in dessen nächster Umgebung deutlich erkannt
werden können. In anderen Fällen beschränkt sich die Verdünnung auf
Theile der Schlagadern, es erscheint der der Gefässpforte nächste Theil
ziemlich gefüllt, während die peripheren Enden ganz verschwinden {Knapp),
oder es sind die Centralstücke nahezu blutleer und die Gefässe nehmen
gegen den Aequator hin wieder an Füllung zu (Blessig); oder es ist ein
Gefäss in der Mitte seines Verlaufes fadenförmig contrahirt und sowohl an
der Gefässpforte als an der Peripherie wieder bluthältig (Sämisch, Hirsch-
mann) ; oder endlich es findet das gerade Gegentheil statt, es zeigt sich
eine Arterie eine Strecke weit blutgefüllt und verdünnt sich von da ab
nach beiden Richtungen (Wecker^ Just). Als ein besonderes Charakteristicum.
des Leidens wird hervorgehoben, dass die verengten Arterien durch einen
auf den Bulbus ausgeübten starken Druck in der Regel nicht zum Pulsiren
gebracht werden können und dass bei diesem Manöver überhaupt keine Ver-
änderung in dem Caliber der Arterien und Venen zu bemerken ist (Knapp).
In einem Falle jedoch waren die Pulsationen sehr auffällig (Secondi).
248 Sehuervenscliwnnd; Ursachen; Verlauf; Amaurosis ischaemica.
Die Netzhautvenen sind dabei im Allgemeinen etwas schmäler als üi
der Norm, seltener gleichfalls zu dünnen Fäden verengert (Stefan, Landes-
berg). Mitunter erscheinen sie blos auf eine Strecke hin, besonders im
Bereiche der Papille, merklich zusammengezogen, stellenweise aber auch
wohl etwas verbreitert und zwar ist bald der centrale, bald der periphere
Theil, bald ein Stück aus der Mitte verengt oder erweitert. In einzelnen
Fällen ist ihre Füllung eine ganz ungleichmässige, es wechseln stark ge-
füllte mit fast leeren Partien ab, ja ausnahmsweise fand man die Blut-
säule in ihuen mehrfach unterbrochen und die einzelnen Abschnitte der-
selben in imregelmässigen stossweisen undulirenden Bewegungen (Ed. Jaeger,
Graefe, Steffan, Liebreich). In einem Falle enthielt eine Vene strecken-
weise blos in Umwandlung begriffene Blutgerinnsel (^Liebreich).
Die Sehnervenpapille erscheint kurz nach dem Auftreten der Seh-
störung bald verblasst, bald der des gesunden Auges gleichgefdrbt, bald
deutlich geröthet und pflegt überhaupt während dem Verlaufe des Leidens
ihren Blutgehalt zu wechseln. Ihre Grenze ist anfänglich vollkommen
scharf, doch bald, gewöhnlich schon nach Verlauf weniger Stunden oder
Tage, selten später (Graefe), beginnt im Bereiche derselben so wie in der
Gegend der Macula lutea das Xetzhautgefüge sich auffdlUg zu trüben. Die
Trübung ist sehr dicht, graulich oder bläulich weiss, ziemlich gleichmässig
oder leicht wolkig mit verschwommenen Eändern , ausnahmsweise fein
getüpfelt {Graefe) und im späteren Verlaufe bisweilen von Gefässen durch-
sponnen. Sie pflegt sich von den beiden genannten Ausgangspunkten auf
grössere Strecken der Netzhaut auszubreiten, kann sich aber auch auf den
Verzweigungsbezirk eines einzelnen Hauptastes beschränken, falls dieser
allein blutleer wäre, und überhaupt an jeder beliebigen Stelle des Augen-
grundes zur Entwickelung kommen [Just, Blessig).
Der Augengrund selbst erscheint in seiner normalen Färbung, wo er nicht
durch die getrübte Netzhaut schleierartig gedeckt ist. Im Bereiche der
Macula lutea jedoch verdunkelt er sich in der Eegel, aber nicht immer
(Schneller, Quaglino), zu einem tief blutrothen Flecke von verscliiedener
Grösse und wechselnder Form, in welchem sich öfters mit Bestimmtheit
Blutextravasate nachweisen lassen. Ueberhaupt sind hämorrhagische Herde
nichts seltenes und finden sich gelegenthch an den verschiedensten Stellen,
besonders im Bereiche der Papille. Sie treten mitunter erst sehr spät nach
dem Beginne des Leidens auf.
Das Sehvermögen ist fast constant von vorneherein vollständig ver-
nichtet. In einzelnen Fällen jedoch bleibt die Amaurosis eine partielle, und
stellt sich als eine Einschränkung dar, welche ihrer Lage nach dem ^^er-
zweigungsgebiete eines blutleer gewordenen Hauptastes entspricht.
Mitunter füllen sich die verdünnten Arterien mit der Zeit wieder
etwas an, gelangen jedoch nur sehr selten mehr zu einem annähernd
normalen Caliber {Fano, Landesberg). Die Venen dagegen erreichen häufig
wieder ihren früheren Grad von Völle. Die Netzhauttrübung verschwindet
sehr gewöhnüch binnen kurzem völlig oder lockert sich doch auf und erscheint
dann unter der Form eines feinen punktirten Nebels.- Auch der rothe
Fleck in der Gegend der Macula lutea verblasst allmäUg und wird schliess-
lich ganz unkenntlich. Das Sehvermögen jedoch stellt sich nur in den
seltensten Ausnahmsfällen (Schneller) wieder zu einem gewissen Grade her.
Embolia arteriae centralis; Iscliaemiii retinae. 249
höchstens wird eine zeitweilige Bessertcng desselben beobachtet, wclclic als-
bald wieder zurückgeht, wenn sich die ersten Anzeichen des constant nach-
folgenden grauen Schwundes geltend machen.
Die Erklärung für diese Erscheinungen hat man bald in einem Em-
bolus, bald in einem Uobergewichte der Gefässcontractilit'dt gegenüber dem
intravascularen Blutdrucke, bald endlich in einer Cornpression der Arteria
centralis als Folge einer retrobulbären Neuritis zu finden geglaubt.
Sieht man alle Fälle durch, welche über die sogenannte Einbolie der Arteria
centralis retinae veröffentlicht worden sind, so findet man, dass sich die Annahme
einer evihoUschen Verstopfung der Central arterie eigentlich nnr durch einen einzigen
Fall stützen lasse , in welchem ein Embolus thatsäclilich vorgefunden wor-
den sein soll (Schweigger). Betrachtet man aber die denselben erläuternde Abbil-
dung, so kann man an der Unzulänglichkeit der Beobachtung keinen Augenblick
zweifeln; denn es ist ganz unmöglich, dass ein Embolus nach anderthalbjährigem
Bestände sich wie eine Lehmkugel im Blasrohre darstellt. Nach einem solchen
Zeiträume muss ein Embolus immer in schrumpfenden Exsudatmassen völlig unter-
gegangen sein und eine Unterscheidung desselben von entzündlicher Thrombose
ganz unthunlich macheu. In den übrigen Fällen fehlten durchwegs directe Anzeichen
des Embolus ; dieser wurde lediglich aus dem Zusammentreffen der Umstände
diagnosticirt und in den retrolndtjären Theil der Arteria centralis verlegt. Bedenkt
man jedoch die inaige Verbindung, in welcher das Adergezweige der Netzhaut
mit den Nährgefässen des Nervenkopfes steht (S. 169), so wird es ganz unbe-
greiflich, wie eine Verstopfung des Hau2}tstammes allein die Blutzufuhr zur Retina
dauernd auf ein Kleinstes herabsetzen solle, um so mehr, als unter anderen Ver-
hältnissen, z. B. beim Glaucom, nach Durchschneidung des Opticus nahe am Bullnxs
(S. 197), die Entwickelung eines collateralen Kreislaufes unschwer gelingt. Durch
die Versetzung des Embolus in die Arteria opJithalmica (Stefan) wird aber die
Schwierigkeit einer folgerichtigen Erklärung nur gesteigert und völlig übersehen,
dass während des ganzen Verlaufes der einschlägigen Fälle auch nicht Ein Symp-
tom auf vorübergehenden Blutmangel der Aderhaut und der Hilfsorgayie des Bulbus
hindeutete. Dazu kommt, dass der Abgang der Arteria ophthalmica von der Carotis
unter fast rechtem Winkel erfolgt, und so der Verführung eines Embolus in die
überdiess äusserst dünne Arteria centralis ausserordentlich ungünstig ist (Knapp).
Endlich ist als Haupteinwand zu erwähnen, dass in einem ganz ausgesprochenen
Falle von sogenannter Embolie der Embolus von verlässlichen Händen gesucht und
nicht gefunden worden ist, zu sicherem Beweise, dass alle die genannten Erschei-
nungen auch ohne Verstopfung der Centralarterie sich entwickeln können (Iwanoß).
Zu Gunsten der Abhängigkeit retinaler Ischämien von Verminderung des Sei-
tendruckes in den Arterien hat man geltend gemacht, dass sich der Zustand bei
überaus schwachem, kaum fühlbarem Herzstosse und Pulsschlage zeigte; dass in
einem Falle höchstgradiges Darniederliegen der Gesammternährung und äusserste
Blutarmuth nach Typhus das pathogenetische Moment abzugeben schien (Hedäus) ;
endlich, dass durch Iridektomie (Alf. Graefe) oder wiederholte Cornealparacentese
(Secondi), beziehungsweise durch Hebung der Nutritionsverhältnisse, eine stärkere
Füllung der Netzhautschlagadern und damit auch eine beträchtliche Steigerung
des Sehvermögens, einmal sogar dauernde Heilung erzielt wurde. Man stellte sich
vor, dass die Arteria centralis durch den intraocularen Druck zusammengepresst
werde, wenn ihr Inhalt unter geringem Herzdruck anströmt und dass solchermassen
die Zufuhr des arteriellen Blutes unter das zur Functionsthätigkeit der Netzhaut
nothwendige Mass sinken könne (Alf. Oraefe). Insoferne nun aber der intraoculare
Druck seiner Grösse nach vom Blutdrucke bestimmt wird, leidet diese Hypothese
an einem inneren Widerspruche.
Was endlich die Cornpression der Artcria centralis von Seite retrohidbärer
neuritischer Exsudate (Graefe) betrift't, so fehlen nicht nur alle objectiven Belege
dafür, sondern mehrere Erscheinungen stehen damit in grellem Widerspruche. Dahin
gehören : die plötzliche Erblindung bei vorläufig normalem Sehvermögen, der Mangel
von Stauungssymptomen und besonders das Nichtzustandelcommen des collateralen
Kreislaufes trotz dem Vorhandensein der anatomischen Bedingungen für eine Ein-
spritzung der Netzhautgefässe von dem chorioidalen Stromgebiete aus. Wie wäre
übrigens die Blutleere eines einzelnen Hauptastes zu ei'klären?
250 Sehnerrenschwiind : Ursachen; Verlauf; Amanrosis ischaemica.
Fasst man alles zusammen, so gelangt man noth^endig zur Ueber-
zeugung, dass es sich um Gefässkrämpfe handle (Zehender'), welche sich
bald auf alle Stämme der centralen Xetzhautschlas:ader, oft sogar mit Ein-
schluss der zugehörigen Venen erstrecken, bald sich auf einzelne arterielle
Stämme oder selbst auf Theile derselben beschränken und vermöge der
activen Zusammenziehung der Gefässwände die collaterale Injection un-
möglich machen. Es stimmt mit dem spastischen Charakter des Leidens
übrigens sehr gut die plötzliche Erblindung und das öftere Voratisgehen
temporärer Anfälle {Schneller, Knapp, Mauthner^, sowie die Beobachtung
eines Falles, in welchem sich die ischämische Amaurose während längerer
Zeit unter der Form transitorischer Insulte häufig wiederholte und diu'ch
Kältewirknng sogar beliebig hervorgerufen werden konnte (Secondi). Weiters
lassen sich die drehrunde, nicht abgeplattete Gestalt der verengerten Ge-
fässe, die Fadenform der enthaltenen Blutsäule, der meistens fast unmerk-
liche Uebergang gefüllter Gefdssstücke in leere und die Verdünnung bald
centraler, bald peripherer, bald mittlerer Portionen der Arterien und Tenen
nur allein mit Erampfzuständen der musculären Wandungen in Einklang
bringen. Ebenso lässt sich die Unveränderlichkeit des Calibers bei einem
auf den Augapfel ausgeübten äusseren Druck und die Unmöglichkeit, dadurch
Pulsphänomene hervorzurvifen (Enapp'^, mit keiner anderen denkbaren Cir-
culationsstörung befriedigend zusammeni'eimen. Die mangelhafte Füllung der
Venen, soweit sie nicht selbst auf Krampfzuständen beruht, ergibt sich als
eine natürliche Folge der ungenügenden Blutzufuhr und die etwaige Unter-
brechung sowie die stossu-eise Fortbewegung der darin enthaltenen Blutsäule
lässt sich ganz einfach aus der Schwächung des von den Arterien aus
durch die Capillaren hindurch wirkenden Herzdruckes erklären. Der dun-
kelrofhe Fleck in der Gegend der Macida lutea und die nicht seltenen sub-
retinalen hämorrhagischen Extravasate sowie die in einem Falle beobachtete
Äderhautabhebung (Liebreich) kommen auf Rechnung einer starken Ueber-
füllung der Chorioidalgefässe, welche offenbar compensaforischer Xatur ist
(S. 3^. Die schleierähnliche Trübung im Bereiche der Papille und Xetz-
haut, welche immer über kxirz oder lang den Symptomen des grauen
Schicundes Platz macht, lässt sich übrigens, bis genaue Leichenbefunde
gesprochen haben, eben sowohl auf Verfettigung und Sclerose der Elemente,
als auf entzündliche Exsudationen beziehen.
Man muss diesen Erörterungen gegenüber nicht einwenden, dass bei einem
von aussen her auf den Bulbus wirkenden Drucke der arterielle Blutstrom dis-
cojUinuirlich werden müsse , um Verdunkelung des Gesichtsfeldes zu erzeugen und
dass in dem asphyctischen Stadium der Cholera bei sehr verminderter Blutzufuhr
das Gesicht des Kranken nicht wesentlich leide; denn es liegt die Annahme nahe,
dass der Krampf, welcher sich häufig in den Arterien und Venen gleichzeitig oflen-
bart, nicht minder auch in den Capillaren zur Geltung komme und damit die
Function der Netzhaut selbstverständlich viel mehr beeinträchtigen müsse, als dies
bei den oben genannten Zuständen der Fall ist, wo die Capillarnetze ohne Zweifel
wenis: von ihrer Füllung einbüssen, wie dies die normale Färbung: des Augen-
grundes rücksichtlich der Chorioidea unwiderleglich darthut. Zu allem dem kömmt,
dass spastische Coutractionen auch unter anderen Umständen thatsächlich beobachtet
worden sind und 'zwar während epileptischen Anfällen, wo sie mit Grund mit den
diese begleitenden Sehstörungen in Zusammenhang gebracht weTA.en ''Jackson', und
einmal bei Glaucom. wo die Venen das Ansehen einer Perlschuur darboten ''Lieh-
reichy und damit einen Zustand wiederholten , wie er bei Calabarvergiftungen au
den Darmget"ässen gefunden wird (Bauer).
Amaurosis cerebralis; A. ex meningitide. 251
C) Sehr oft ist das Sehnervenleiden ein Folgezustand gewisser, schon
vorläufig im Inneren der Schädelhöhle localisirter Processe.
1) Obenan steht in dieser Beziehung die basüare Meningitis, welche
ihrerseits wieder eine primäi'e oder secundäre sein kann. Dieselbe offen-
bart sich, wenn sie in mehr acuter Form auftritt, meistens ganz unzwei-
deutig. Bei der chronischen schleichenden Form hingegen fehlen mitunter
bestimmt darauf hinweisende Symptome, es sind blos wiederholte Fieber-
anfälle, andauernde, öfters exacerbirende Kopfschmerzen, welche sich manch-
mal durch Anschlagen an die Seitontheile des Schädels empfindlich steigern
lassen, Eingenommenheit des Kopfes, Hinfälligkeit, häufigeres Erbrechen, etc.
als diagnostische Behelfe gegeben. Bisweilen treten selbst diese Erscheinun-
gen sehr zurück, oder machen sich nur zeitweilig bemerklich, so dass das
Leiden leicht übersehen werden kann. Doch gibt dann der Umstand einen
Fingerzeig, dass entsprechend der grossen Neigung zur Flächenausbreitung,
welche die Meningitis auszeichnet, sehr gewöhnlich eine Mehrheit von Ge-
hirnnerven ergriff'en ist und dass hierbei meistens wandelbare Symptome
der Lähmung neben solchen der Reizung zum Vorschein kommen, was bei
anderen inti'acraniellen Krankheitszuständen weniger der Fall ist. Zumal
im Bewegungsapparate der Augen sind Paresen einzelner Muskeln mit
krampfhaften Zusammenziehungen anderer unverhältnissmässig häufig zu
beobachten und die Amaurose selbst geht gerne mit Zeichen der Opticus-
hyperästhesie, mit Photopsien, Chromopsien u. s. w. einher. Ein wichtiger
Umstand ist hierbei, dass die Gewebswucherung von den weichen Hirn-
häuten immer in die Eindensub stanz des Gehirnes eindringt und sich oft
selbst in ziemliche Tiefen versenkt, z. B. auch in den Sehhügeln etc. mit
Bestimmtheit nachgewiesen werden kann (L. Meyer). Das Sehnervenleiden
und die davon abhängige Amaurose treten unter solchen Umständen in der
Regel schon während dem Verlaufe der Meningitis hervor. Bei acuten
Formen der letzteren zeigt sich die Sehstörung oft sogar kurz nach dem
Ausbruche des Grundleidens und steigt rasch zur völligen Erblindung.
Bei chronischer Meningitis hingegen erhält sich der Opticus häufig sehr
lange in voller Integrität, oder es wechseln anfänglich die Sehstörungen,
steigen und fallen wieder oder verschwinden für eine Zeit wohl ganz,
bis sie endlich sich festsetzen und in langsamem oder raschem Zuge an
Ausdehnung itnd Intensität gewinnen. Im erstell Falle trägt das Opticus-
leiden fast immer den Charakter der Entzündung und spricht sich häufig,
wenn auch blos vorübergehend, als eine absteigende Neurodictyitis im
Augenspiegelbilde aus. Im anderen Falle scheint der Wucherungsprocess
im Bereiche des Nerven häufiger die Bedeutung des grauen Schwundes
zu haben, wenigstens macht er sich gewöhnlich unter dieser Form ophthal-
moskopisch geltend.
Ausnahmsweise jedoch kömmt es erst lange Zeit nach dem völligen
Ablauf der Meningitis zu amaurotischen Erscheinungen und entschiedenen
Zeichen progressiver Atrophie des Sehnerven. Es scheint, dass dann nicht
sowohl eine unmittelbare Fortpflanzung des entzündlichen Processes von
den Hirnhäuten auf die Hüllen der Nervenfaserzüge als pathogenetisches
Moment anzunehmen sei, als vielmehr eine Beengung intracranieller Opticus-
theile und der zugehörigen Nährgefässe durch Schrumpfung und Verödung
der entzündet gewesenen Meningealportionen. Die Leichenschau hat wieder-
252 Sehnervenschwund; Ursachen; Verlauf; Amaurosis hei Periostitis hasUaris.
holt förmliche Zusammenschnürungen der betrefFenden Nervenstränge durch
Narbengefiige erwiesen.
Es versteht sich nun wohl von selbst, dass die aetiologischen Momente der
Meningitis, alle wie sie sind, zu den entfernteren Ursachen der Amaurose gerechnet
werden müssen. Doch mögen die Tuberculose und Scrophiilose, das Rheuma, die
Pyämie, der Typhus, das Puerperium, anomal verlaufende acute Exantheme, Trau-
men (Pagenstecher) ihrer grösseren Häufigkeit wegen Erwähnung finden. Von den
enormen AnschwelbiDgen des Sehnerven bei entzündlich ödematösen Zuständen
der Hirnhäute, wie sie ausnahmsweise bei Morbus Brighti etc. vorkommen, war
schon die Rede (S. 175). Endlich dürfte auch noch das Erysipelas faciei an dieser
Stelle zu nennen sein , indem es sich sehr gerne mit Meningitis paart und so die
Veranlassung zu Amaurosen geben kann. Gewöhnlicher indessen scheint dasselbe
vom Orbitalhindegeioehe aus den Sehnerven zur Wucherung anzuregen und damit
zu schwarzen Staaren zu führen , deren anatomische Grundlage je nach Umstän-
den eine wahre Neuritis (S. 200) oder einfacher Schwund (Arlt) ist und öfters
auch wohl ein ganz transitorisches Leiden von nicht näher zu bestimmendem Cha-
rakter (FronmüÜQr) sein mag.
2) In einzelnen Fällen gibt Periostitis des Schädelgrundes mit ihren
Neben- und Folgeziiständen die Quelle für intracranielle Sehnervenleiden
ab. Entwickelt sich erstere in acuter Form, so treten anfänglich in der
Eegel sehr heftige Kopfschmerzen ein, welche meistens reissend genannt
werden, längere Zeit anhalten, dann aber zurücktreten und blos anfalls-
weise wiederkehren. Das Anschlagen an die Schläfengegend, zumal wenn
es von beiden Seiten zugleich erfolgt, pflegt sehr empfindlich zu schmerzen
und das Wehe von einer bestimmten Stelle des Schädelgrundes auszustrahlen.
Die Sehstörung stellt sich oft schon frühzeitig ein und steigt gemeiniglich
rasch zu einer gewissen Höhe. Nicht selten sind im Beginne auch diffuse
Eirnsymptome und ausserdem Lähmungen oder krankhafte Zusammenziehun-
gen einzelner von Hii'nnerven beherrschter Muskeln zu beobachten. Es
verbreitet sich nämlich bei acuter Periostitis der entzündliche Reizzustand
gerne iceit über die Grenzen des Hauptherdes hinaus und zieht selbst ferner
gelegene Theile in Mitleidenschaft. Ist aber einmal die Intensität des ersten
Anfalles gebrochen, so engt sich auch das Kraukheitsgebiet ein, und in den
zurückbleibenden fixen Störungen spiegelt sich ein mehr umschriebenes Lei-
den der Schädelbasis ab. Der schwarze Staar stellt sich dann je nach der
Oertlichkeit des letzteren bald als eine gleichseitige oder temporale (Graefe)
Hemiopie, bald als eine einseitige oder binoculare totale Erblindung dar.
Wo hingegen die Periostitis von vorneherein einen chronischen Ver-
lauf nimmt, können selbst die charakteristischen Schmerzen fehlen oder blos
episodenweise mit geringer Intensität und Dauer bestehen, auch das An-
schlagen an den Schädel ohne Reaction bleiben. Die Diagnose ist dann
gewöhnlich sehr schwierig, da die etwa vorhandenen, ganz vagen und dif-
fusen Hirnsjmptome so wie die Beschränkung der Functionsstörung auf
Nerven, welche eine bestimmte Stelle der Basis cranii überschreiten, auch
krankhaften Geschwülsten des Schädelgrundes zukommen und noch oben-
drein häufig dadurch verwischt werden, dass sich eine secundäre Meningitis
dazu gesellt, welche sich über weite Strecken ausbreitet.
Das Sehnervenleiden ist unzweifelhaft in der Mehrzahl der Fälle
durch unmittelbare Fortpflanzung der Gewebswucherung auf das Neurilem zu
erklären und hat bei acuter Periostitis sicherlich zumeist die Bedeutung
einer wahren Neuritis, bei chronischer Beinhautentzündung aber öfter die
Bedeutung grauen Schwundes. Doch ist es manchmal auch aus einem Drucke
Amaurosis bei Geschwülsten an der Schädelbasis. 253
auf den Nerven und seine Nährgefässe abzuleiten. Die günstigste Gelegen-
heit dazu bietet sich, wenn dei' Krankheitsherd sicli bis zum Sehloche aus-
breitet und dessen Lichtung durch Gescliwulstbildung verengt. ])och ist
aiicli selbst dann nicht immer Compressioji als das nächste und eigentliche
pathogenetische Moment anzuschuldigen, sondern gewiss eben so oft der
Uebergang des Wucherungsprocesses auf das interstitielle Gefüge des Op-
ticus (Homer, Koster).
Diese Verhältnisse und der unmittelbare Zusammenliang des Gesichtsskeletes
mit den Knochen der Schädelbasis liefern den Schlüssel für die folgerichtige Ab-
leitung manciier Amaurosen aus traumatischer Periostitis ortntae (Jlorner) , aus
Ozüna (JüngkenJ, ans Atiscessen der Highmorshohle mit corisecutiver Caries orbitae,
wie selbe öfters durch schadhafte Zähne gesetzt werden (Salter, BuzerJ u. s. w.
Im Uebrigen fällt die Aetiologie der basilaren Periostitis begreiflicher Weise mit
jener der Periorbitis (Siehe diese) zusammen.
3. Eine sehr hervorragende und überaus wechselvolle Eolle spielen
in der Pathogenese des Sehnervenleidens krankhafte Geschwülste der Schädel-
basis. Es gescloieht bisweilen, dass der Opticus selbst in die Afterioucherung
einbezogen, von dem Tumor gleichsam durchwachsen wird und seine Leitungs-
fähigkeit durch streckenweisen Untergang der nervösen Elemente verliert,
worauf dann das periphere Stück desselben gewöhnlich bald dem Schwunde
verfiillt, ausnahmsweise indessen auch zeitweilig die Erscheinungen einer
manifesten Entzündung ophthalmoskopisch zum Ausdruck bringen kann.
Viel häufiger beeinflusst die Geschwulst den Nerven in rein mechanischer
Weise, umschliesst einen Theil desselben und drückt ihn zusammen; oder
drängt ihn zur Seite und veranlasst so eine beträchtliche Dehnung ; oder
sie presst ihn gegen den unterlagernden Knochen ; oder endlich sie beengt
ihn innerhalb des Sehloches. Reagirt der Nerv auf diese Einwirkung, so
ist das Ergebniss fast dvirchwegs graue Atrophie, welche sich mehr oder
weniger rasch gegen den Augapfel hin fortsetzt. Es bedarf hierzu übrigens
gar nicht einmal einer unmittelbaren Berührung zwischen Geschwulst und
den intracraniellen Opticustheilen, vielmehr wird manchmal das Gehirn der
Vermittler. Lidern dieses nämüch vermöge der Massenzunahme des Schädel-
inhaltes und gesteigerten intravascularen Druckes mit vermehrter Kraft
gegen die knöcherne Unterlage presst, wird der Sehnerv oftmals an ein-
zelnen Stellen förmlich abgeschnürt, oder streckenweise abgeplattet (Siehe
Encephalopathien). Am häufigsten jedoch werden basilare Tumoren dem
lichtempfindenden Apparate durch die Beizungszustände verderblich, in welche
sie ihre Umgebungen versetzen. Es beschränken sich dieselben allerdings
in vielen Fällen auf die nächste Nachbarschaft. Eben so oft indessen greifen
sie in den weichen Hirnhäuten um sich und o;elano;en so unter der Form
von Meningitis auf ferne gelegene Nervengebiete; oder es werden die verdrängten
Hirntheile durch Entzündung, Erweichung, grauen Schwund, mit oder ohne
Apoplexien auf weite Strecken hin geschädigt (K. Fischer, H. Jackson).
Fällt dann der Sehnerv mit irgend einem Theile, seien es auch einzelne
Ur Sprung skerne oder centrale Verbindungsfasern, in diesen Reactionsgürtel,
so wird derselbe bald unter der Gestalt von grauer Atrophie oder manifester
Neuritis in Mitleidenschaft gezogen und der Process, einmal angeregt,
säumt nicht, sich in centrifugaler Richtung fortzupflanzen, so dass er sich
meistens auch binnen kurzem im Augenspiegelbilde bemerklich macht. Doch
entsprechen, wie bei anderen pathogenetischen Verhältnissen, die Ophthal-
2o4 Sehnervenschwund ; Ursachen; Verlauf; Amaurosis bei Geschwülst, an der Schädelhasis.
moskopischen Erscheinungen nicht jederzeit dem intracraniellen Vorgange.
Eine manifeste Entzündung der tiefen Opticustheile zeigt sich an der
Papille nicht selten als graue Atrophie. Mitunter wechselt wohl auch der
Charakter der objectiv wahrnehmbaren Veränderungen, die Merkmale
einer absteigenden Neurodictyitis machen jenen des Schwundes Platz ;
oder letztere beginnen den Reigen und werden im weiteren Verlaufe vor-
übergehend durch jene einer ausgesprochenen Entzündung gedeckt. Es ist
sicherlich ganz unrichtig, wenn jemand glauben sollte, dass das Hervor-
treten des grauen Schwundes im Bereiche der Papille die nachträgliche
Entwickelung einer manifesten Neuro dictyitis unmöglich mache, es ist nur
ein etwas selteneres Vorkommnis.
Es ergibt sich aus allem dem zur Genüge, dass eine genaue Uehereinstim-
mung zwischen der anatomischen Vertheilung der Functionsstönmgen und dem Sitze
eines basilaren Tumors nicht nothwendig, ja nicht einmal häutig besteht. Aller-
dings ist bisweilen die Gelegenheit geboten, aus einer teviporalen Hemiopie und
den Nebenerscheinungen auf ein in der Mittellinie des Schädelgrundes knapp vor
oder hinter dem Chiasma sitzendes , die gekreuzten Faserbündel allein beirrendes
Gewächs zu schliessen (D. E. Müller, Säniisch)\ oder eine gleichseitige Hemiopie
auf einen lateralen Herd zu beziehen, oder eine totale Eiblindung beider Augen
aus einer Compression des Chiasma als Ganzen abzuleiten. In der Regel jedoch
verwirren sich die Züge des Krankheitsbildes durch die Folgezustände ausserordent-
lich und die Diagnose wird um so schwieriger, als Tumoren oftmals der Fläche
nach sich weit ausbreiten und nach verschiedenen Richtungen hin sehr ungleich-
massig wachsen, auch Tochterlierde erzeugen und so direct oder unter Vermittlung
von meningealen oder cerebralen Erkrankungen die mannigfaltigsten Symptomcom-
plexe hervorrufen können; anderseits aber bei jugendlichen Individuen durch Ver-
drängung des knöchernen Schädelgehäuses sich Raum zu schaffen vermögen
und, selbst wenn sie einen ansehnlichen Umfang erreichen, nicht nothwendig ent-
sprechende Functionsbehinderungen mit sich bringen, da Verdrängungen, Dehnungen
und Zerrungen eines Nerven oder seiner Centraltheile, wenn sie allmälig erfolgen,
öfters in wahrhaft wunderbarer Weise vertragen werden (Lehert, JDuchelc). Ist doch
jüngsthin ein Fall veröffentlicht worden , wo das Chiasma und die angrenzenden
Theile beider Stämme und Wurzeln des Opticus von einem mächtigen Gliosarcome
bis zum Unkenntlichwerden der nervösen Faserbündel durchwachsen waren, ohne
dass Ein Symptom während des Lehens auf die Existenz eines inti'acraniellen
Leidens hingewiesen hätte (Graefe). Dazu kömmt, dass ein Tumor, wenn er
factisch zur Aeusserung kömmt, durchaus keine charakteristischen Erscheinungen
bietet, welche ihn mit Sicherheit von anderen intracraniellen Krankheitszuständen
unterscheiden Hessen. Es sind dies eben meistens über den ganzen Schädel ausge-
breitete, oft paroxismenartig sich steigernde, selten localisirte oder beim Anschlagen
an den Kopf von einer bestimmten Stelle ausstrahlende Schmerzen , Schwäche-
zustände einzelner Muskelconiplexe, welche gerne in förmliche Lähmungen über-
gehen etc., also Symptome, welche bei den verschiedenartigsten intracraniellen
Leiden in den mannigfaltigsten Combinationen beobachtet werden (Lehert, Duchek).
Es braucht wohl nicht erst betont zu werden , dass krankhafte Geschwülste
der allerverschiedensten Art hier in Rechnung kommen können. Am häufigsten sind
Sarcome und Krebse der Schädelbasis als mittelbare oder unmittelbare Veran-
lassung von Amaurosen nachgewiesen worden (Lehert, Ladame, Türck, D. E. Müller,
Sümisch, Cruveilhier, K. Fischer, H. Jackson, Graefe, Blessig, Koster). In seltenen
Fällen waren es Exostosen des Türkensattels, und zwar einmal ein stachelförmiger
Auswuchs, welcher das Chiasma durchbohrte (Beer-), Tnherkelmassen , welche letz-
teres umhüllten und zusammendrückten (Türck, Hjort); Aneurysmen der Carotis
(Stilling, Giraudet) oder eines intracraniellen Hauptastes derselben (Spurgin), welche
die eine Wurzel oder das Chiasma verdrängten. Dreimal sind Gummen gefunden
worden und zwar einmal im Bereiche des Türkensattels, von wo aus die Masse in
die Sehlöcher eindrang ; das andere Mal als eine mehrere Linien dicke Schichte,
welche den grössten Theil der mittleren Schädelgrube ausfüllte und fast sämmt-
liche dort streichende Gehirnnerven leitungsunfähig machte (Graefe, Arcoleo).
Amaurosis encephalopathica. 2fS0
4) Endlich sind eigentliche Gehirnleiden: Encephalitis, besonders Ab-
scesse, Erweichungen, Tuberkel, Gummen und Geschwülste jeder beliebigen
anderen Art, Blascnwüi"mer, Apoplexien etc. als Ui'sachen von Amaurosen
zu nennen. Es sind deren Beziehungen zu dem schwarzen Staare noch
viel verwickelter, als jene der basilaren Tumoren und wenn nicht die
vasomotorischen Einflüsse als die Vermittler angerufen werden dürften, so
fehlte sehr häufig der Schlüssel, um aus dem Leichenhefwide das während
des Lebens gegebene klinische Bild folgerichtig zu deuten , indem
scheinbar ganz gleiche ki'ankhafte Veränderungen in verschiedenen Fällen
verschiedene Störungen mit sich bringen und umgekehrt gleiche oder ähn-
liche Symptomcomplexe in höchst differenten Zuständen ihre Quelle zu finden
scheinen.
Ein Hauptgrund der noch herrschenden diagnostischen Unsicherheit liegt
ganz unzweifelhaft in der Mangelhaftigkeit der pathologisch anatomischen Grund-
lagen. Man hat sich mit wenigen Ausnahmen bisher darauf beschränkt, den Sitz
und die Ausdehnung der Krankheitsherde nach den mit freiem Auge oder der Loupe
wahrnehmbaren Veränderungen zu bestimmen, ohne die feinere Topographie der
einzelnen centralen Nervengebiete zu berücksichtigen und ohne den Zustand zu
prüfen, in welchem sich die innerhalb eines Herdes gelegenen Urspriingskerne , so-
wie die durchstreichenden Fasern der einzelnen Nerven befinden. Es ist nun aber
mit voller Bestimmtheit anzunehmen, dass solche Herde gar oft nervöse Elemente
in sich schliessen, welche ihre volle Leitungsfähigkeit beivahrt haben; sieht man
ähnliches doch alle Tage in der Netzhaut und dem Vorderende des Opticus, indem
hier die makroskopisch erkennbaren Veränderungen mit der Grösse und Ausdeh-
nung der Functionsstörungen keineswegs in einem geraden Verhältnisse stehen.
Anderseits aber entziehen sich feinere anatomische Abweichungen der Gehirntheile
sehr leicht dem Blicke, indem sie das Aussehen der letzteren nur wenig oder gar
nicht alteriren. Es kann daher sehr leicht geschehen, dass Erkrankungen bestimm-
ter Hirnregionen, welche nachgewiesener Massen Ursprungskerne oder Verbindungs-
fäden einzelner oder mehrerer Nervenstämme einschliessen, einmal ohne, das
andere Mal mit Functionsbehinderungen in diesem oder jenem Gebiete einher-
gehen; umgekehrt aber, dass während des Lebens Functionsstörungen aixftauchen,
welche sich nachträglich aus der makroskopisch bestimmbaren Lage und Ausdeli-
nung des Krankheitsherdes nicht erklären lassen. Dazu kömmt, dass die anato-
mische Vertheilung der centralen Nervenenden noch sehr unvollständig bekannt
ist, man sich also leicht denken kann, dass in gar manchem Falle Nerven betroffen
werden, welche nach dem gegenwärtigen Stande der Anatomie ihre Ursprungs-
kerne und Verbindungsfäden iveit ab von dem Herde liegen haben. Im Ganzen ist
daher die Zeit noch nicht gekommen, um aus gewissen Symptomcomplexen mit
einiger Bestimmtheit auf die Oertlichkeit und die Ausdehnung eines Gehirnleidens
hinweisen zu können; es muss erst eine anatomische Basis geschaffen werden und
bis dahin bleiben die diagnostischen Schlüssel (Lancereaux) in hohem Grade trüge-
risch , wie dies die neueren Zusammenstellungen langer Reihen von einschlägigen
Fällen (Lebert, Lancereaux, Ladanie, Duchek) sattsam erweisen.
Es Hegt auf der Hand, dass krankhafte Processe in jenen Partien des
Gehirnes, aus welchen der Sehnerve bekanntlich eine gewisse Anzahl von
Elementen bezieht, oder welche von einzelnen centralen Faserbündeln des-
selben durchstrichen werden (S. 166), viel häufiger directe Veranlassung
zu schwarzen Staaren geben müssen, als andere, welche den optischen
Theilgebieten fer7ie liegen. Es werden nämlich die optischen Elemente
leicht unmittelbar in den Process einbezogen ; oder sie fallen in den Reactions-
gürtel; oder werden auf mechanische Weise durch Verdrängung, also durch
Druck, Dehnung, Zerrung zu Wucherungsprocessen angeregt; oder sie
leiden in ihren Ernährungsverhältuissen unter den Reflexen, welche der
Krankheitsherd auf die Nerven der nachbarlichen Gefässverzwe.igungen aus-
256 Sehnervenschwimd ; Ursachen; Verlauf; Amaurosis encephalopathica.
Übt. Ist aber einmal iu einem ürsprungskerue oder centralen Nervenbündel
des Opticus graue Atropliie oder manifeste Entzündung eingeleitet, so pflanzt
sich der Zustand erfahrungsmässig ausserordentlich gerne längs den be-
treifenden Faserzügen in centrifugaler Richtung fort, greift dabei auf die
sich anlegenden, von anderen Ursprungskernen kommenden Fascikel über
und erscheint an der eigentlichen Wurzel meistens schon über den ganzen
Querschnitt verbreitet. Indem er dann gegen die Peripherie hin vordringt,
macht er sich gewöhnlich auch ophthalmoskopisch bemerkbar, die Papillen
zeigen die Charaktere des einfachen Schwundes oder der Neurodictyitis.
Ist der centrale Krankheitsherd ein einseitiger^ so betreffen die von ihm
direct ausgehenden Gewebsveränderungen ursprünglich unzweifelhaft nur
Elemente der Einen Wurzel ; daher sich die Sehstörungen auch auf Theile
der gleichseitigen Hälfte der einen oder heider Netzhäute beschränken müssen.
In der Regel jedoch schreitet der Process über kurz oder lang auf das
Gebiet des anderen Sehstreifens fort, da eben ausser den später zu erörtern-
den Gelegenheiten für Diffusionen das Chiasma einen überaus günstigen
Uebergangspunkt bietet.
Im Einklänge mit der anatomischen ^""ertheilung der optischen Central-
theile und laut den casuistischen Sammlungen {Lebert, Duchek, Ladame,
Lancereaux) sind Erkrankungen der Vierhügel fast constant und jene der
Sehhügel sehr häufig mit Amaurose gepaart. Aehnliches gilt auch von Ge-
schwülsten der Hypophyse. Pathologische Processe in den Lappen des Gross-
und Kleinhirnes führen in einem relativ geringeren Procente der Eälle zu
Functionsstörungen im lichterapfindenden Apparate, und wo dies geschieht,
sind abgesehen von vasomotorischen Einflüssen gewöhnlich mechanische Ver-
hältnisse, zumal vermehrter Hirndruck oder Verdrängung der Seh- und
Vierhügel, anzuschuldigen. Endlich vergesellschaften sich Rückenmarksleiden
nicht selten mit Amaurose, da bei fortschreitender Atrophie der Hinter-
stränge die dort gelegenen optischen Centra getroffen und in den Process
einbezogen werden.
Es ist klar, dass mangelhafte Entwickelung grösserer Hirnahschnitte , in wel-
chen Ursprungskerne des Opticus liegen, oder Entartungen derselben in Folge
fötaler Erkrankungen angehorne schwarze Staare zu begründen vermögen. Man
hat Fälle beschrieljen, wo Gesicht, Gehör und Geruch von Geburt aus fehlten
(Sichel).
Die Vierhügel sind bei einem Amaurotischen völlig zerstört gefunden worden
durch eine Bindegewebswucherung, welche sich bis in die Varolsbrücke erstreckte
und zahlreiche Tuberkelherde eingesprengt enthielt (W. Wagner). In einem ande-
ren Falle bestand Neurodictyitis descendens neben einem grossen apoplektischen
Herde des linken Mittellappens und kleineren Blutaustretungen in den Vierhügeln
(H. Jackson). In einem dritten Falle drang ein Tuberkel von dem linken Gross-
hirnschenkel aus in die Substanz der Corpora quadrigemina (Mohr). Mehrmals hat
man die letzteren von Geschwülsten der Hemisphären verdrängt und nebenbei
atrophirt (Johert de LamhaUe, Herrison) oder erweicht (Bahnbridge) oder, bei gleich-
zeitiger Verschiebung und Verflachung des Sehhügels, theiliveise zerstört (Ä. Weher)
getroffen. Sehr ausnahmsweise fehlte bei theilweisen tuberculosen Entartungen der
fraglichen Region die Amaurose (Henoch, Steffen). Insofern in den Vierhügeln ein
Centrum liegt, welches die Reflexe von dem Opticus auf die pupillaren Zweige des
Oculomotorius leitet (Flourens^ Budge), ist es wahrscheinlich, dass bei den hier-
her gehörigen Amblyopien die Reaction der Pupille auf Licht mehr weniger voll-
ständig vernichtet ist.
Die Thalami optici erschienen einmal bei einem Erblindeten in einer gefjiss-
reichen Aftermasse gänzlich aufgegangen (J. Hunter). In einem anderen Falle war
Neurodictyitis descendens durch ein Sarcom angeregt w^orden, welches den linken
Krankheiten der Thalami, der Hypophyse, der Grosshirnlappen. 257
Sehhügel o-anz einnahm und die Hirnwindungen, die Brücke und die intracraniel-
len Opticustlieile sehr verflacht liatte (Leijden). Einmal fand sich schwarzer Staat
begründet durch eine apoplektische Narhenmasse , welche den rechten Sehhügel
fast völlig ersetzte, während linkerseits ein kleiner frischer Bluterguss im Thalamus
sass (Quaglino). Auch sind Erweichungen beider Sehhügel mit Apoplexie als Ur-
sache von Amaurosis gesehen worden (Diifour). Dagegen sind genug Fälle bekannt,
wo trotz ziemlich ausgedehnter Zerstörungen eines Sehhügels Amaurosis fehlte. (La-
damej. Es ist besonders einer erwähnenswerth , wo der Thalamus opticus dexter
bei weit gediehener Atropliie des anliegenden Streifenhügels sehr abgeflacht war,
und im linken Sehhügel und den Vierhügeln mehrere a})oplektische Herde bestan-
den, ohne dass eine Sehstörung nachgewiesen werden konnte (H. Fischer). An-
schliessend an diesen Fall möge hier die Bemerkung erlaubt sein, dass Erkrankun-
gen des Streifenhügels gewöhnlich ohne Amaurose ablaufen, wenn sie eben nicht
den nachbarliciien Thalamus etc. beirren (DuchekJ ; dagegen meistens mit einer
Abweichung der Blickrichtimg beider Aiigen nach der dem Sitze des Herdes ent-
gegengesetzten Richtung gepaart sind, und wo diese Ablenkung sehr ausgesprochen
ist, zuweilen atich mit einer deutlichen Rotation des Kopfes nach der nicht para-
lysirten Seite einhergehen , eine Erscheinung, welche als Beginn der bei Streifen-
hügelerkrankungen häufigen Drehhervegungen (Manz) gedeutet wird (Prevost).
Geschwülste der Hypophyse und ihrer nächsten Umgebung verursachen in der
Regel Amaurose dadurch, dass sie das Chiasma nach oben treiben und in seinen
Ernährungsverhältnissen schädigen (Lehert, Duchek, Ladame, Leber, Michel). Selbst-
verständlich ist hier die Sehstörung immer eine doppelseitige oder wird es bald,
es sei denn, dass der Tumor sich aussciiliesslich nach Einer Seite hin entwickelt
(Michel, Hjort, Ladame), wo dann gleichseitige Hemiopie oder gar monolaterale
partielle Amblyopien das Resultat sein können. Manchmal drängen sich solche After-
gewächse in die überlagernden Geldrntheile hinein, schieben die Sehhügel und Vier-
hügel zur Seite und führen so zu krankhaften Veränderungen des Hauptlagers
der optischen Centra (Hahershon, Hoffmann). Auch kann es geschehen, dass beide
Opticusstämme kuiz nach ihrem Austritte aus dem Chiasma von den darüber hiu-
weglaufenden Arteriis corporis callosi förmlich abgeschnürt werden, da die Geschwixlst
sie nach oben gegen diese Schlagadern presst (Türck). Ausnahmsweise waren durch
Geschwülste der fragliclien Gegend bedingte Ama\irosen vorübergehend (Beck), ver-
schwanden plötzlich wieder, vielleicht indem der Tumor eine Lagerveränderung
erlitten hatte (Michel), z. B. nach unten durchgebrochen war und das Chiasma
entlastete; wenigstens sind derlei Perforationen in die Orbita u. s. w. nichts sehr
seltenes. Bei kleinen Geschwülsten der Hypophyse kann die Amaurose übrigens
auch fehlen (Dahl, Ladame).
hl den Laj^pen des Grosshirnes bestehen sehr oft i^mfangsreiche Krankheits-
herde bei völliger Integrität des Sehvermögens (Lebert, Lancereaux, Duchek, Ladame).
Oft genug indessen stellen sich Amaurosen ein, welche sich nachträglich nicht aus
den etwaigen Neben- xxnA i^o^^rezuständen erklären lassen, sondern in unmittelbar-em
Abhängigkeitsverhältnisse mit dem Primärherde gedacht, also auf materielle Ver-
änderungen einzelner Ursprungskerne oder der zu- und abstreichenden Verbindungs-
fäden bezogen werden müssen. Insbesondere wichtig scheint in dieser Beziehung
die obere äussere Umgebung des Sehhügels, da hier nachgewiesener Massen viele
optische Centralfasern durchgehen (Türck). Doch sind schwarze Staare auch nichts
Ungewöhnliches, der Herd möge im Vorder-, Mittel- oder Hinterlappen, in deren
Rinde (Ladame) oder im Marklager sitzen. Sie betreifen bei Einseitigkeit des
Herdes in der Regel nur das Ausstrahlungsgebiet der Einen Wurzel und, wo sie
gleich anfänglich bilateral auftreten oder gar in der gegenseitigen Hälfte des licht-
empfindenden Apparates auftauchen (Lancereaux), besteht kaum ein 7mmittelbarer
Zusammenhang, vielmehr sind in der Regel vasomotorische Einflüsse, oder eine
Mehrzahl von Herden, Meningitis, Hirndruck u. s. w. als nächste Quelle anzunehmen.
Es ist ein solches Uebergreifen besonders häufig bei massigeren Apoplexien zu
beobachten ; die Amaurose erscheint anfänglich bilateral, löst sich aber mit fort-
schreitender Aufsaugung des Ergiisses und Schrumpfung des Herdes in gleichseitige
Hemiopie oder in symmetrische Unterbrechungen und partielle Einschi-änkungen beider
Gesichtsfelder (Graefe); ja bei wiederholten Ergüssen oder Reactionssteigerungen
loechselt die Functionsstörung in Bezug auf Grad und Ausdehnung mehrmals. Bei
Erweichtingen (Türck, Graefe), Tuberkeln (Ladame), Gewächsen (Graefe, Duchek,
Ladame, Weickert) , Blasenwürmern verschiedener Art (Koster, Graefe, Griesinger),
Stellwag, Augenheilkunde. 17
258 Sehnervenschwund ; Ursachen: Verlauf; Enkephalopathien ; Kleinhimleiden ; Aminalis. sp.
kömmt dies seltener vor. Es liegt nahe, für die häufig beobachteten centralen
Unterbrechungen des Gesichtsfeldes kleine umschriebene Krankheitsherde innerhalb
des Gehirnes als Quelle anzunehmen, zumal in enge Grenzen eingeschränkte
Circulationsstörungen, Entzündung, graue Atrophie (Graefe)-^ doch ist darüber nichts
Positives bekannt.
Erlcranhungen des Kleinhirnes (Diichek, Ladame, Benedikt) sind sehr häufig
mit Amaurose vergesellschaftet und zwar meistens mit beiderseitiger, selten mono-
lateraler, welche letztere einmal die gegenständige Wurzel betraf und mit Neuro-
dictyitis apoplectica einherging fDemmeJ. Gewöhnlich findet sich dabei Erweiterung
der Pupille, weniger oft Ablenkung beider oder Eines Auges (Shearer, Leven, Ollivier,
Duchek). Es waren in den einzelnen Fällen Aftergew'dchse, welche in dem einen
Lappen (Demme, A. Weber, Blessig, Leber) sasseu oder denselben von aussen her
zusammendrückten (Beronius), oder vom Wurm ausgehend in beide Lappen ein-
drangen (H. Jackson); weiters Cysten des einen Lappens (MarcdJ, mächtige Tuberkel-
ablagerungen (Collin) mit Cystenbildung in beiden Hälften (A. Weber) u. s. w.
Man glaubt, dass die Sehstörung unter solchen Umständen durch Betheiligung der
Vierhügel zu Stande komme und durch den Einfluss zu erklären sei, welchen die
Reizung gewisser Theile des Kleinhirnes auf die Ernährung der Sehnervencentra
ausübt (Duchek). Druck ist wenigstens sicherlich nicht die Ursache und eben so
wenig lassen sich Ursprungskerne des Opticus im Kleinhirne vermuthen, da die
Sehstörung bei krankhaften Zuständen desselben sehr häufig mangelt (Duchek,
Ladame, Mosler), ja Fälle bekannt sind, wo ein oder beide Lappen vollständig
atrophirt waren (Lallemenf, Fiedler), oder von Oeburt aus fehlten (Combefte, Solly),
ohne dass sich eine Sehstörung äusserte. Im Allgemeinen charakterisiren sich Fälle
von Kleinhirntumoren hauptsächlich durch Kopfschmerzen, besonders im Hinter-
haupte und Motilitätsstörungen, welche sich gemeiniglich in Form von Convulsionen
und in Schwierigkeiten beim Gehen i;nd Stehen äussern. Oft findet man daneben
auch convergentes Schielen. Dagegen fehlen gewöhnlich Sensibilitäts- und Geistes-
störungen (Ladame).
In einzelnen Fällen ist Amaurose beobachtet worden bei Erkrankungen der
Varolshrücke (C'oindet, Boyer, Bright , Rosenthal) und des verlängerten Markes (La-
dame, Biermer, Bright u. A.). Es war dann der schwarze Staar höchst selten ein-
seitig (Mohr), meistens zeigte er sich gleich von vorneherein oder in kurzen Zwi-
schenpausen bilateral, es mochte der Herd in der Substanz der genannten Organe
selber sitzen, oder dieselben von aussen her drücken. Bei Brückenleiden findet sich
nebenbei häufig Vej-engei-ung der Pt/piUe und zwar ist dieselbe bei einseitiger
Aftection meistens monolateral und gegenständig (Duchek). Es scheint, dass der
pathogenetische Schlüssel dieser Sehstörungen in dem Durchzuge jener Nervenfäden
gesucht werden müsse, welche die im Hirne und Rückenmarke liegenden optischen
Centra miteinander verbinden.
Rückenmarksleiden, insbesondere Tabes dorsualis, sind seit Langem als
Quellen schwarzer Staare, der sogenannten. Amaurosis spinalis, bekannt. Es
gehen den solchermassen begründeten Sehstörungen gewöhnlich Erscheinungen
der Spinalerkrankung voraus, insbesondere Gefühlsparesen , zu welchen
sich meistens bald auch Muskellähmungen in den Extremitäten gesellen.
Oefters jedoch eröffnen Sehstörungen den Eeigen und die Verblassung der
Papille ist schon sehr merklich, wenn sich andere Zeichen der Tabes
geltend machen. Es besteht dabei häufig eine sehr ausgesprochene Em-
pfindlichkeit gegen beliebige äussere Keize, besonders gegen Druck, in der
Gegend des obersten Halswirbels. Bisweilen konnte sogar durch Drücken,
Kneipen etc. der nachbarlichen Weichtheile die Sehstörung vermehrt, umge-
kehrt aber durch Blutentziehungen an der empfindlichen Stelle des Rücken-
markes eine merkliche Besserung der Amblyopie erzielt werden (^Türck).
Bei der anatomischen Untersuchung findet sich progressive Atrophie der
Hinterstränge des Rückenmarkes, welche sich nach oben hin bis in die
Sehhügel verfolgen lässt und meistens schon sehr frühzeitig auf die Wur-
zeln, das Chiasma und die beiden Stämme des Sehnerven fortschreitet
Hirndruck; Hydroceplialus. 259
(Romberg), demgomäss auch ophthalmoskopisch unter den Erscheinungen des
grauen Opticusschwundcs zu Tage tritt. Es ist in Bezug auf die Pathoge-
nese der Amaurosis tabetica von grosser Wichtigkeit, dass die anatomischen
Veränderungen im Bereiche des Opticus vollkommen übereinstimmen mit
denen, welche in den tabctischen Partien des Rückenmarkes gefunden
werden (Leher). In den späteren Stadien zeigt sich die Pupille häufig
sehr verengt (Arlt) ; doch ist dies kein constantes Symptom.
Oftmals wird das Hirnleiden, ähnlich basilaren Geschwülsten, nicht
sowolil unmittelbar zur Quelle von Amaurosen, als durch Anregung einer
Meningitis (S. 251), welche sich rasch diffundirt und auf die intracraniellen
Theile des Opticus übergeht , oder gar den Entzündungsreiz auf deren
Centra überträgt.
In neuerer Zeit sind einzelne Fälle veröffentlicht worden , wo coenurns-
artige Blasenwürmer, welche sich in dem Hirne entwickelt hatten, und andere, wo
Hirnerweichung oder Hirntumoren auf diesem Wege zu Neurodictyitis descendens
geführt hatten (Grvefe, Koster).
Viel häufiger indessen werden Encephalopathien durch vermehrten
Hirndruck und damit gesetzte Ernährungshindernisse zur mittelbaren Ver-
anlassung von schwarzen Staaren. Es resultirt die Steigerung des Hirn-
druckes in vielen Fällen direct aus der Massenzunahme des Schädelinhaltes
und aus der Erhöhung des intravascularen Druckes. Die Wirkung dieses me-
chanischen Momentes kann eine locale bleiben, so dass blos die nächst ge-
legenen verdrängten Theile leiden, zumal solche, welchen ein entsprechendes
E"achgeben durch die Nähe des knöchernen Schädelgehäuses unmöglich
gemacht ist (Türck). Gewöhnlicher jedoch ist sie eine allgemeinere, es zeigen
sich sämmtliche Hirnwindungen verstrichen und eine grössere Anzahl der
an der Basis des Schädels verlaufenden Nervenstämme, insonderheit die
massigen tiud weithin über den knöchernen Schädelgrund hinziehenden
Optici, abgeflacht und atrophirt (Türck, Knster).
In anderen Fällen ist die Vermehrung des Hirndruckes durch Hydro-
cephalus veranlasst. Derselbe gesellt sich gelegentlich zu den verschieden-
artigsten Hirnkrankheiten, diese mögen sich an diesem oder jenem Orte
ausgebildet haben ; kann aber auch primär auftreten und ein wie das andere
Mal der eigentliche Grund des schwarzen Staares, oder genauer gesagt,
einer durch mechanische Beengung begründeten Atrophie der intracraniellen
Opticustheile werden. Es kömmt hierbei noch insbesondere in Betracht,
dass durch beträchtlichere Wasseransammlungen in den Ventrikeln die Innen-
flächen der beiden Sehhügel aus einander gedrückt, damit aber die Gross-
hirnschenkel mehr divergent gemacht und die an ihrer unteren Fläche strei-
chenden Sehnervenstreifen gezerrt werden können. Ausserdem wird gar oft
das Chiasma durch den nach abivärts gedrängten Boden der dritten Gehirn-
kammer und durch blasige Hervortreibung des Tuber cinereum platt gedrückt,
bisweilen sogar die obere Wand der Keilbeinshöhle und die Sattellehne durch
TJsur angegriffen. Endlich liegt noch ein weiteres Moment in der Ein-
schnürung der beiden Sehstreifen durch die unter ihnen hinweglaufenden
beiden Arteriae communicantes posteriores, welche Einschnürung zuweilen so
weit geht, dass tiefe Querlinien, ja nahezu völlige Unterbrechungen, im
Nervenmai'ke resultiren (Türck).
Die Ausgänge sind zunächst natürlich von der Art, dem Sitze und
der Ausdehnung des Grundleidens abhängig. Ist dies ein unheilbares oder
17*
260 Selnervenschwund ; Ausgänge.
gar unaufhaltsam fortschreitendes und sind intracranielle Theile des licht-
empfindenden Apparates in dem Processe bereits völlig aufgegangen, so kann
eine Wiederherstellung des am Sehvermögen verloren Gegangenen nicht
mehr angehofft werden, vielmehr wird meistens eine weitere Zunahme der
Störung in sichere Aussicht zu nehmen sein. Anders gestaltet sich jedoch
die Sache, wenn die Amaurose nur im mittelbaren pathogenetischen Zu-
sammenhange mit einem solchen Krankheitsherde steht und zunäclist begrün-
det wird durch local oder allgemein gesteigerten Hirndruck, durch reactio-
näre Gewebswucherungen, oder durch Kreislaufsbeirrungen, welche ihre Quelle
in den vom Primärherde auf die vasomotorischen Xerven der Nachbar-
schaft reflectirten Reizen finden, allgemein gesprochen, wenn die Functions-
behinderung des lichtempfindenden Apparates auf Eechnung von Secundär-
zuständen zu schreiben ist, welche der Bückbildung fähig oder gar nur vor-
übergehend sind. Da ist eine theilweise oder gänzliche Aufhellung der
verdunkelten Stellen des Gesichtsfeldes in der That nichts Ungeu-öhnliches.
Wird sie doch, wenn auch selten, selbst bei krankhaften Geschwülsten des
Gehirnes und der Schädelbasis beobachtet. Bei apoplekfischen Ergüssen ist
sie schon recht häufig. Die solchermassen begründeten schwarzen Staare
erstrecken sich anfänglich in der Regel über das gesammte Ausstrahluugs-
gebiet einer oder beider Sehnervenwurzeln, treten aber mit fortschreitender
Aufsaugung des Extravasates und Schrumpfung des Herdes in engere Gren-
zen zurück, beschränken sich allmälig auf die Eine Hälfte beider oder
Einer Netzhaut, oder gar nur auf Theile derselben und verschwinden schliess-
lich auch wohl gänzlich. Am öftesten jedoch ist ein solcher erfreulicher
Ausgang selbstverständlich dann zu verzeichnen, wenn die primäre Krank-
heit an sich einem vollständigen Ausgleiche günstige Bedingungen bietet,
z. B. eine reine Entzündung ist, welche entweder direct durch gewisse
Schädlichkeiten angeregt, oder durch anderweitige krankhafte Vei'hältnisse
mehr allgemeinen Charakters, durch Circulationsstörungen u. s. w. vorbe-
reitet worden ist.
Es setzt ein derartiger Rückgang des schwarzen Staares indessen
voraus, dass der lichtempfindende Apparat unter dem Einflüsse des eigent-
lichen pathogenetischen Momentes nicht schon zu sehr gelitten hat, beziehungs-
weise in krankhafte Processe verwickelt worden ist, welche, einmal angeregt,
sich gerne selbstständig fortentwickeln, auch wenn weitere Impulse von Seite
des mittlerweile regressiv gewordenen primären Leidens fehlen.
Wäre der ganze pathologische Vorgang in allen seinen Theilen aus
dem gegebenen Kranklieitsbilde immer mit Sicherheit zu ermessen, so Hesse
sich begreiflicher Weise in jedem einzelnen Falle das Kommende mit dem-
selben Grade von Wahrscheinlichkeit voraussehen, wie bei anderen mani-
festen Processen. Bei der Yerstecktheit intracranieller Leiden und der
Vieldeutigkeit ihrer symptomatischen Aeusserungen stösst aber schon eine
annäherungsweise Diagnose häufig auf unüberwindliche Schwierigkeiten und
gewöhnlich ist es ganz unmöglich, den näheren pathogenetischen Verband
des schwarzen Staares mit dem Primärherde auch nur vermuthungsweise
zu ergründen. Man muss sich dann darauf beschränken, aus den vorhan-
denen und fehlenden Erscheinun2:en den dermaligen Zustand des licht-
empfindenden Apparates zu erschliessen, um ein einigermassen treffendes
Urtheil über die Aussichten fallen zu können, welche das dem KranJien
peinlichste Symptom, die Sehstörung, für die Zukunft bietet.
!^
Prognostische Momente; Augenspiegel phaenomene. 261
Da ist denn das Aussehen der SehnervenpapiUe von höchster Bedeutung.
Zeigt sich hier bereits deutlich der graue Schwund, so müssen die HoiF-
nungen tief herabgestimmt werden, indem dieser Process eine sehr aus-
gesprochene Neigung zum Weiterschreiten hat und, falls er von tief gelegenen
Theilen ausgeht, sehr häutig auf die Klememte der zweiten Hehnervenwurzel
übergreift, so dass oft die Erblindung beider Augen zu befürchten steht, auch
wenn vorderhand nur Eines Functionsstörungen nachweisen lässt. Jedoch
darf hierbei nicht ausser Acht gesetzt werden, dass die Fortpflanzung einer
bereits eingeleiteten reinen Atrophie keineswegs eine Nothwendigkeit ist,
dass der Schwund unter günstigen Verhältnissen vielmehr in jedem Augen-
blicke stille stehen und für die Dauer begrenzt werden könne, daher nur
wiederholte und in längeren Zwischenpaiisen vorgenommene ophthalmosko-
pische Untersuchungen in dieser Hinsicht genügende prognostische Grund-
lagen gewähren. Zudem ist wohl in Anschlag zu bringen , dass die Seh-
störung, um welche es sich zunächst doch handelt, mit den objectiven
Merkmalen der Atrophie nicht immer in geradem Verhältnisse wachse, dass
überhaupt Verblassungen des Sehnerveneintrittes nicht nothwendig den
Schwund der Elemente andeuten und auf zeitweiligen spastischen Ischämien der
Nährgefässe des Opticus beruhen können (S. 241); dass im Einklänge
damit erfahrungsmässig der lichtempfindende Apparat trotz sehr weit ge-
diehener .,Decoloratio papillae"' (Ed. Jäger) öfters in ziemlich befriedigendem
Masse functionire und, falls er im höheren Grade amblyopisch wäre, einen
Theil seiner Leistungsfähigkeit icieder gewinne, ja auch erhalte, ohne dass
das Augenspiegelbild sich entsprechend verändert.
Ausserdem muss man sich auch vor Missdeutungen der ophthalmoskopischen
Merkmale hüten. Nicht jede auffällige partielle Verblassung der Papille deutet auf
Schwund; vielmehr zeigt sich auch im No^-vialzustande ein unregelmässiger periphe-
rer Abschnitt des Sehnerveneintrittes gar oft hellweiss und sehnenartig glänzend.
Die Unterscheidung einer solchen physiologischen Verblassung von einer krankhaften
ist dann nicht selten recht schwer und nur durch längere Verfolgung des Uebels,
d. i. durch den endlichen Nachweis einer allmäligen Vergrössertmg der entfärbten
Stelle ermöglicht. Häufig jedoch gibt gleich anfangs der Umstand einen guten
Fingerzeig, dass die atrophische Entartung von der Gefässpforte ausgeht, diese gleich-
sam umgreift und sich in Gestalt eines Spitzbogens oder Zwickels bis zum
Schläfenrande der Papille erstreckt, um weiterhin erst an Breite zu gewinnen
(S. 232).
Manifeste Neurodictyitis ist im Ganzen wohl überaus bedenklich ;
doch lässt sie immerhin noch einen weit grösseren Spielraum für günstige
Vorhersagen, als der unter ganz unscheinbaren Symptomen auftretende und
fortschleichende graue Schwund, es wäre denn, dass sie sehr productiv
ist, oder schon lange besteht, oder dass sich hinter der Trübung bereits
der charakteristische Sehnenglanz und die helle Färbung des entartenden
Gefüges geltend macht.
Verhältnissmässig am meisten darf man sich unter sonst günstigen
Umständen versprechen, wenn und so lange objectiv nachweisbare materielle
Veränderungen in der Papille fehlen.
Es fliessen übi'igens sehr werthvoUe prognostische Behelfe auch aus
dem jeweiligen functionellen Bestände, so wie aus der Art und Weise, in
welcher sich die Sehstörungen entwickelt haben (Graefe). Im Allgemeinen
darf man mit Rücksicht auf die pathogenetischen Momente sagen, dass
plötzlich oder doch sehr rasch entstandene totale Erblindungen eines oder
beider Augen keineswegs die schlimmste Bedeutung haben, indem sie gar
262 Sehnerrenschwund ; Ausgänge.
nicht selten vollständig oder doch theilweise wieder zurückgehen. Sehr
übel jedoch ist es, wenn sich bereits die Zeichen der grauen Atrophie an
einen oder beiden Papillen nebenbei bemerklich machen, obwohl auch dann
noch nicht jede Hoffnung auf partielle Aufhellung des Gesichtsfeldes ab-
geschnitten ist. Am wenigsten Aussicht auf eine derartige zeitweilige
oder gar dauernde Besserung des Zustandes gewähren natürlich völlige
Erblindungen, welche sich unter den 8jTnptomen progressiven reinen Seh-
nervensehwundes ganz allmälig entwickelt haben.
Auch Amblyopien mit proportionaler Abnahme der relativen Seh-
schärfe in den einzelnen Zonen des einen oder beider Gesichtsfelder lassen
im Ganzen eine günstigere Prognose stellen und schhessen, selbst wenn sie
mit concentrischen Einengungen sich paaren, noch keine unmittelbaren Ge-
fahren in sich. Doch machen letztere die Sache schon bedenklicher, indem
sie wohl allerdings häufig auf heilbaren Zuständen, z. B. blosser Anästhesie
(Siehe diese) beruhen, oft genug indessen auch Vorläufer progressiven Schwun-
des sind, zumal bei fortwirkender Ursache, z. B. beim Gewohnheitssufe
(Graefe). Sicher steht dieser zu erwarten, wenn sich unregelmässige seit-
liche Einschränkungen des Gesichtsfeldes hinzugesellen.
Ileberhaupt sind Unterbrechungen und seitliche Einengtmgen des Ge-
sichtsfeldes in hohem Grade misslich, nicht als ob sie immer nothwendig
ein Weitergreifen der Sehstörung in Aussicht stellten, sondern auch ver-
möge ihrer überaus geringen Xeigung zum Rückgange. Es gilt hier die
allerdings nicht ausnahmslose Erfahrungsregel, dass scharf abgegrenzte
Defecte viel weniger eine fernere Vergrösserung befürchten lassen, als
solche mit verwaschenen Umrissen, dagegen aber auch in einem viel ge-
ringeren procentarischen Verhältnisse sich wieder theilweise oder gänzlich auf-
hellen. Es scheinen erstere eben häufiger auf eng umschrieben bleibenden
Herden deletärer Processe, z. B. apoplektischen Zertrümmerungen des Ge-
füges, zu fussen; letztere aber gewöhnlicher in diffusionsfähigen Vorgängen
ihre Quelle zu finden, welche dann entweder vorübergehend und heilbar
sind, wie z. B. localer Druck, entzündliche Gewebs'micherungen, Ej'eis-
laufstörungen, oder die nervösen Elemente von vorneherein sehr hart
mitzunehmen und so eine Wiederherstellung der Xorm au^zuschliessen ver-
mögen, wie z. B. Bürnerweichung.
Unierirechungen , centrale und excentrische, wenn sie in einem sonst völlig
normalen Gesichtsfelde auftauchen, beruhen nicht leicht auf progressivem Schwunde.
Man kann letzteren sogar mit grösster Wahrscheinlichkeit ausschliessen , wenn sie
schon längere Zeit in gleicher Ausdehnung bestehen. Es gilt dabei gleich, ob sie
einseitig oder binocular sind und selbst eine partielle Verblassung der Papille
ändert nichts an der Sache. Falls sie aber mit beträchtlicher Verminderung der
relativen Sehschärfe in den übrigen Zonen des Gesichtsfeldes genaart sind, zumal
wenn die Herabsetzung der Function gegen die Peripherie hin in verschiedenen
Richtungen sehr ungleichmässig steigt, oder sich gar seitliche Einschränkungen
nebenbei zeigen: so handelt es sich fast immer um progressiven Schwund und
darnach ist die Prognose einzurichten.
Die den schwarzen Staar begründenden Processe drohen übrigens
dem Kranken noch weitere Gefahren. Diese gehören auf ein anderes Gebiet.
Hier nur so viel, dass der Opticusschwund, gleichviel wie er angeregt
wurde, allerdings in der Eegel die centrifugale Eichtung einschlägt, aus-
nahmsweise indessen auch rückläufig gegen einzelne abseits gelegene Ur-
Bi'liiuidlinii,'. 263
sprungskerne sich fortsetzt und, indem sich hier der Process ausbreitet,
Functionsstörungen in Nervengebieten veranlasst, welche zu dem Primär-
herde in keinem näheren Bezüge stehen. So erklärt man sich unter An-
derem das bisweilige Auftreten von Psychosen, namentlich paralytischen
Blödsinnes, oder von Tabes dorsualis^ im späteren Verlaufe progressiver
Amaurosis. Meistens gehen derlei Zustände indessen voraus und der schwarze
Staar fliesst mit ihnen aus gemeinsamer Quelle.
Die Behandlung ist selbstverständlich gegen das pathogenetische Mo-
ment zu richten und das Verfahren nach der Eigenthümlichkeit des letz-
teren ein sehr verschiedenes. Genauer darauf einzugehen, ist hier wohl
nicht am Platze, sondern Sache der speciellen Therapie. Nur soweit eine
Neuritis oder grauer Sehnervenschwund in Frage kömmt, hat die Augenheil-
kunde mitzusprechen. Was die erstere anbelangt, sind die therapeutischen
Kegeln bereits erörtert worden (S. 203). Der reinen Atrophie gegenüber
befindet sich der behandelnde Arzt in einer höchst misslichen Lage, da
der Process allen directen Heilversuchen hartnäckig spottet, ja durch kräf-
tige Eingriffe in die Vegetationsverhältnisse des Organismus mittelst Mer-
curialcuren, reichlicher methodischer Blutentziehungen etc. in vielen Fäl-
len eher gefördert und die Schrumpfung heschleunigt werden dürfte. Es
ist daher wohlgethan, wenn man dort, wo der Schwund unabhängig von
einem örtlichen Grundleiden aufgetreten oder dieses bereits getilgt und wenig-
stens seiner unmittelbaren Einflussnahme auf das Sehnervenleiden entrückt
ist, sich darauf beschränkt, alle erwiesenen und möglichen Schädlichkeiten
vom lichtempfindenden Apparate ferne zu halten und denselben überhaupt
unter die thunlichst günstigen Ernährungsbedingungen zu setzen. Beson-
ders wichtig sind in dieser Beziehung : entsprechende Augendiät, also gänz-
liche Vermeidung jeder anstrengenden Bethätigung des Sehapparates durch
Lesen, Schreiben, Nähen u. s. w., Fernhaltung starker Erleuchtungsinten-
sitäten des Gesichtsfeldes und zumal greller Lichtcontraste, versuchsweise
anfänglich ein mehrtägiges Verweilen im verfinsterten Baume oder mit
verbundenen Augen, später dauernder Aufenthalt an baumreichen, schatti-
gen Orten u. s. w. ; ferner streng geregelte Lebensweise, einfache Kost, ge-
nügender ruhiger Schlaf, viele aber nicht ermüdende Bewegung in freier
frischer Luft, allenfalls kühle Bäder, möglichst erheiterte Gemüthsstimmung
bei Vermeidung aufregender Affecte u. s. w. Sind Congestivzustände un-
zweifelhaft oder doch wahrscheinlich im Spiele, so würden eine entsprechende
Wahl und Beschränkung der Nahrungsmittel, nöthigen Falles methodische
Blutentziehungen durch natürliche oder künstliche Blutegel, nach Umständen
abführende Trinkkuren Günstiges leisten können und mindestens nichts
verderben. Haarseile, welche bedauerlicher Weise in der Neuzeit wieder
empfohlen werden (Graefe), sind sicherlich ganz entbehrlich und bereiten
dem Kranken nur unnöthige Qualen. Wo man Grund hat, gestörte Tran-
spirationsverhältnisse in Beziehung zu dem Sehnervenleiden zu bringen, will
man durch römische Bäder und, wo diese fehlen, durch frühmorgendliche Ver-
abreichung gewärmten Zittmannischen Decoctes, sowie durch stundenweise
Einhüllung des Kranken in wollene Decken, den Ausgleich fördern (Graefe).
Wo hingegen der Ernährungszustand des Kranken durch schwere Leiden,
ausschweifendes Leben etc. tief gesunken ist, erscheint ein kräftigendes Heil-
verfahren dringend geboten. Im Ganzen kann nicht genug vor dem Zuviel-
264 Sehnervenschwnnd ; Behandlung; Amaurosis alcoholica; tabacina.
thun gewarnt werden, es ist Tielleicht dem Arzte, keineswegs aber dem
Ej-anken zuträglich.
Bei der durch üheiinässigen Genuas von Alcohol und Tabak begründeten oder
doch wenigstens geförderten Form des Sehnervenleidens wird als unerlässliche
Bedingung zu einer möglichen Heilung neben strengster Augendiät gänzliche Ent-
haltung von jenen Genussmitteln und, wo dies nicht thuulich ist, jedenfalls grösste
Einschränkung ihres Gebrauches bezeichnet. Dabei legt man das grösste Gewicht
auf Begelung der Leboisiceise, daher es oft für erspriesslich gehalten wird, den
Krauken seinen häuslichen Verhältnissen zu entrücken, und eiue Zeit lang im Spitale
zu verpflegen. Bei aufgeregten Patienten wird absolute Ruhe im Bette, bei hoher
Pulsfrequenz Digitalis uud bei Schlaflosigkeit Morphium empfohlen, letzteres um
Schlaf zu erzeugen, welcher die an Spirituosa gewohnten Krauken bei eintretender
Abstinenz häufig flieht und wiederkehrend für ein günstiges prognostisches Zeichen
gehalten wird, auch wenn die Sehstörung noch keine Aenderung ergäbe. Ausserdem
sollen behufs starken Schwitzens alle Tage des Morgens Einwickelungen in nasse
Leintücher und warme Decken bei Verabreichung reichlicher warmer Geträpfee
vorgenommen werden, besonders bei ataktischen Potatoren mit schwachem Puls
und starker Ernährungsstörung. Wo Fussschweisse ausblieben, sollen die Füsse und
Unterschenkel in nasse Tücher oder Strümpfe gehüllt und so zum Schwitzen
gebracht werden. Auch glaubt man durch Verabreichung von Seuna- und Sassa-
pai'illaabgüssen die günstige Wirkung der Cur zu fördern. Bei Plethora soll neben-
bei durch den Heurteloup"schen Blutegel in Zwischenräumen von vier bis sechs
Tagen wiederholt eine örtliche Bluteutleerung vorgenommen werdeu, besonders
wenn der Opticuseintritt Zeichen von Hvperaemie erkennen lässt u. s. w. Die
Erfolge dieser Behandlungsweise werden im Ganzen als sehr zufriedenstellend ge-
schildert (Erisniann).
Als empirisches Mittel ist bei Spinalparalysen und der davon abhängigen
Amaurose auch der innerliche Gebrauch des Silhersalpeters zu erwähnen. Man glaubt
in einzelnen Fällen damit Gutes erzielt zu haben (Wunderlich, Herschel). Aehnliches
wird auch von hypodermatischen Einspritzungen einer Strychninl'ösung in die Su-
praorbitalgegend behauptet (Saemann, Späth, Talko, Lacerdaj. Doch sind die be-
treffenden Fälle pathogenetisch ganz unklar. Man thut wohl, sehr wenig von derlei
Behandlungen zu erwarten.
Der galvanische Strom möge in geeigneten Fällen mit Hinsicht auf die, aller-
dings noch sehr spärlichen Erfolge (Benedikt) versucht werden, und wo vasomoto-
rische Einflüsse im Spiele zu sein scheinen, besonders auf den Halssympathicus
gelenkt werden.
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824, 826, 827, 834. — Himly, 1. c. IL S. 412, 422. — Arlt, 1. c. IIL S. 152, 159,
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Alexander, kl. Monatbl. 1867. S. 88. — Laqueur, ibid. 1864. S. 275, 279. — Pagen-
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geschwülste. Würzburg 1865. S. 17, 43, 48, 56, 62, 94, 106, 122, 137, 144, 149,
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de med. 1864. III. S. 47, 64, 66, 67, 68, 190, 196—205. — Duchek, Wien. med.
Jahrb. Jahresbericht 1862. 1. S. 19, 21, 27, 28, 31; 1862. 4. S. 6, 11, 13. 14, 15;
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dame 1. c. S. 57. — Mohr, ibid. S. 108, 137. — Baimbrigde, Johert de Lamhalle,
Herrison, nach Laucereaux. 1. c. S. 199. — Hunter, Quaglino, Dufour u. A. ibid.
Typische Pigmententarhiiig ; Kraiikheitsbild. 267
S. 199, 201, 202. - Leijden, Virchow's Archiv 29. Bd. S. 202; kl. Monatl)!. 1865.
S. 121. — H. Fischer, nach Duchek 1. c. 1864. 4. S. 24. — Michel, ibid. 1862. 1.
S. 27. — Haherslion , kl. Monatbl. 1865. S. 57. — Hoßruann, Dahl u. A., nach
Duchek 1. c. 1864. 4. S. 27. — Beck, nach Ladame 1. c. S. 145. — Shearer, Leven,
Ollivier, nach Duchek 1. c. 1864. 4. S, 49-56. — Demme, ibid. S. 45 u. 1862. 4.
S. 14. — Colin, ibid. 1862. 4. S. 14. — Beronius, Marce ibid. 1864. 4. S. 45. —
Lallement, Duguet, ibid. S. 46. — Fiedler, ibid. 1862. 1. S. 34. — Comhette, ibid.
1864. 4. S. 54. — Solly, Canstatts Jahresber. 1864. III. S. 146. — Roseiühal, nach
Duchek 1. c. 1864. 4. S. 32, 44. — Coindet, Bright, Boyer, nach Ladame 1. c. S.
106, 110. — Biermer, Bright u. A. ibid. S. 143, 147. — Romberg, nach Arlt 1. c. III.
S. 168. — Arlt, kl. Monatbl. 1869. S. 92. — Hjorl, ibid. 1867. "S. 166. — Giraudet,
ibid. 1868. S. 101. — Arcoleo, Congres ophth. 1868; S. 183. — Zagorski, kl.
Monatbl. 1867. S 322, 325. — Testelin, ibid. S. 331. — Magnan, Gaz. med. de
Paris. 1868. S. 510. — Leber, A. f. O. XIV. 2. S. 165, 333, 339, 363; kl. Monatbl.
1868. S. 302. — Benedikt, Electrotherapie. S. 250, 252, 256. — Buzer, Centralbl.
1868. S. 399. — Prevost, ibid. 1866. S. 125; A. f. O. XII. 1. S. 6. — Manz, A. f.
O. XII. 1. S. 1,5. — Mosler, Virchow's Archiv, 43. Bd. S. 220. — Flourens, nach
Budge, Ueber d. Bewegung der Iris. S. 130.
Ausgänge, Behandlung: Graefe, A. f. O. II. 2. S. 296; VII. 2. S. 96; klin.
Monatbl. 1863. S. 9; 1865. S. 131, 132, 133, 136, 141, 144, 148, 150, 152, 155,
194—201, 203, 205, 208, 211, 220, 224, 260, 273. — Wunderlich, nach Duchek 1.
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kl. Monatbl. 1865. S. 118. — Späth, ibid. S. 248. — Talko, kl. Monatbl. 1368.
S. 79. — Lacerda, ibid. 1867. S. 239. — Erismann, Ueber Intox. Amaurosen. S. 32. —
Benedikt, Electrotherapie. S. 254.
Die typische Pig-mententartung.
Krankheitsbild. Objectiv ist diese ganz eigenthümliche Netzhaut-
afFection, welche man als Retinitis pigmentosa oder getiegerte Netzhaut zu
beschreiben pflegt und vielseitig mit dem trüben Schwunde zusammenwirft,
ausgezeichnet durch das Auftreten zahlreicher schwarzer Pigmenthäufchen,
welche bald rundlichen oder eckigen Körnern gleichen, bald ovale oder
langgestreckte Flecke mit zackigem Rande oder mit zarten ästigen Fort-
sätzen bilden und in ihren Umrissen sehr an Knochenkörperchen erinnern.
Es sitzen dieselben hauptsächlich in der peripheren Zone der Netzhaut und
sind besonders anfänglich sehr zerstreut, so dass sie leicht übersehen
werden können. Später häufen sie sich in der Regel dicht zusammen
und bilden in ihrer Gesammtheit ein vielfach unterbrochenes Netzwerk,
welches gürtelartig am vorderen Umfange der Netzhaut sich ausbreitet
(Fig. MJ. Sehr selten findet man solche Pigmenthäufcheu nesterartig auf
einzelne Stellen der Netzhaut vertheilt (Ed. Jaeger). Das Netzhautgefüge
selbst und der Sehnerveneintritt bieten im Uebrigen gewöhnlich die Charaktere
des reinen Schwundes dar. Die Stämme und grossen Aeste der Central-
gefässe sind frühzeitig hell gesäumt wegen Verdickung ihrer Wandungen,
späterhin oft schon in auffallender Weise verdünnt und werden bisweilen
ganz unsichtbar oder auf zarte weisse Stränge reducirt. Sie erscheinen
häufig streckenweise von Pigment gedeckt oder eingerahmt und setzen sich
gerne in verzweigte Pigmentstreifen fort. Die Aderhaut zeigt in reinen
Fällen älteren Datums das der Senescenz eigenthümliche getäfelte Aussehen,
indem das Tapet völlig zu Grunde gegangen ist. Nur ausnahmsweise stösst
man auf Stellen, wo neben dem Pigmentepithel auch das Chorioidalgefüge
268 Typische Pigmententartung: Krankheitsbild; Ursachen.
atrophirt ist, so dass Flecke zum Vorschein kommen, welche denen nach
Retinitis disseminata ähneln und auch wie diese gewöhnlich von massiger
angehäuftem Pigmente theilweise umsäumt sind. Mitunter macht sich auch
eine sehr auffällige helle Tüpfelung der Chorioidaloberfläche geltend
(Schweigger). Im Glaskörper finden sich mitunter flockige Trübungen und
sehr häufig die sogenannte Cataracta polaris {Mooren).
Siihjectiü charakterisirt sich das Leiden von seinem Beginne an durch
die Erscheinungen des Nachtnebels, durch eine ganz allmälig, aber unauf-
haltsam von der Peripherie gegen das Centrum vorrückende, kreisförmige
Einschränkung des Gesichtsfeldes und durch eine relativ geringe Abnahme
der centralen Sehschärfe.
In einzelnen Fällen wurde eine concentrisch gegen die Mitte vorschreitende
zo7ienföi~)nige Unterbrechung des Gesichtsfeldes mit verhältnissmässig guter centraler
und peripherer Sehschärfe nachgewiesen (Graefe).
Die concentrische Verkleinerung des Gesichtsfeldes und die im Allgemeinen
geringe Einbusse der centralen Sehschärfe unterscheidet die mit typischer Pigment-
entartung einhergehende Sehstörung wesentlicii von jenen Amblyopien, welche ihre
Quelle in dem grauen oder trüben Netzhaut- und Opticusschwunde finden. Bei
diesen ist die Einschränkung des Sehfeldes nämlich meistens eine seitliche und
sehr unregelmässige und reducirt das letztere schliesslich auf einen horizontal gele-
genen Schlitz.
Die concentrische Einengung des Gesichtsfeldes macht die häufigen Com-
plicationen des fraglichen Leidens mit Cataracta polaris und mit Myopie im hohen
Grade misslich. Beim Polarstaar fällt nämlich die Beschattung des Netzhautcen-
trums ins Gewicht, bei der Myopie aber der Umstand, dass die absolute Erwei-
terung des Gesichtsfeldes bei Fixation fernerer Objecte durch den Refractionsfehler
unnutzbar wird.
In einem Falle wurde statt Hemeralopie Nyctalopie mit Erweiterung des
Sehfelds im Dunklen beobachtet (Haase).
Ursachen. Die typische Pigmententartung hat sich in einer Reihe
von Fällen als erblich erwiesen (Alf. Graefe, Mooren, Graefe, Picard).
Statistische Zusammenstellungen ergeben, dass sie bei Kindern blutver-
wandter Eltern häufiger als im gegentheihgen Falle vorkomme (Liebreich).
Da sie übrigens auffallend oft mit Schwerhörigkeit, mit mangelhafter
Entwickelung der geistigen Fähigkeiten, mit Mikrophthalmie, mit Verkümme-
rung oder Ueberzahl einzelner Finger etc. vorkommt, so darf für die Mehr-
zahl ' der Fälle an dem Vorhandensein einer angeborenen Anlage kaum ge-
zweifelt werden.
Auch Syphilis wird von manchen als eine Quelle des Leidens bezeichnet
(Galezowski, Mannhardt). Doch scheint es, dass hier die typische Pigmententar-
tung mit dem nach Neurodictyitis exsudativa sich entwickelnden und bisweilen
mit massenhafter Ausbildung ganz ähnlicher Pigmenthäufchen einhergehenden trüben
Netzhautschwunde (S. 231) verwechselt wird. Vielleicht gilt dasselbe auch von den
Fällen, in welchen sich die typische Pigmententartung erst in späteren Jahren ent-
wickelt haben soll. In der That hat man bisweilen Gelegenheit, chronisch ver-
laufende Netzhautentzündungen zu beobachten, welche anfänglich, ganz das Bild
einer diffusen Form darbieten, allmälig aber zum trüben Netzhautschwunde führen^
und dann im Verlaufe der Zeit an Zahl stetig zunehmende Massen der charakte-
ristischen Pigmentliäufchen an der Peripherie der Netzhaut entwickeln, während
die Trübheit des Gefüges mehr und mehr abnimmt, so dass der Augenspiegel-
befuud am Ende dem der typischen Pigmententartung täuschend ähnlich wird.
Verlauf und Ausgänge. Ausnahmsweise kömmt die typische Pig-
mententartung mit völliger Amaurosis gepaart angeboren vor. In der Regel
jedoch entwickelt sich der eigenthümliche Zustand erst später. Die Anfänge
des Leidens datiren immer aus der ersten Kindheit und machen sich schon
Vorhnif; Ausgang«; Pathogenese. 269
wälivend dieser Periode durch auffällige Versohlechterung des Gesichtes
bei abnehmenden Erleuchtungsintensitäten bemerklich. Ueberhaupt scheint
die charakteristische Sehstöi'ung der Pigmentbildung um ein Bedeutendes
voravzuschreiteii, wenigstens fehlt die letztere oft noch bei Kindern, welche
schon an der ersteren kranken und tritt erst gegen die Pubertätsperiode
hervor. Im Ganzen steht die Masse des neugebildeten Pigmentes keines-
wegs immer im geraden Verhältnisse zur Entwickelung der subjecfiven
Erscheinungen oder zum Alter des Individuums und der Dauer der Krank-
heit. Es beginnt die Pigmentirung meistens an der Nasenseite der Netz-
haut nahe dem Aequator und schreitet in der Gleichei-zone , gleichzeitig
aber auch in meridionaler Richtung vor und rückwärts weiter. Der Gürtel
vervollständigt sich in solcher Weise mehr und mehr, ohne dass er sich
jedoch an der Schläfenseite immer nothwendig schlösse, und gewinnt an
Breite. Ausnahmsweise hat man die charakteristischen Häufchen sogar auf
der Papillenfläche gesehen {Secondi, Mooren). Mit dem Pigment geht in
der Regel auch die Sehstörung weiter, und meistens ist die concentrische
Einengung zur vollen Amaurose gediehen, ehe die sichtbaren Veränderungen
sich bis zum gelben Netzhautflecke fortgepflanzt haben.
Im Allgemeinen ist der Verlauf ein sehr langsamer, die Krankheit
führt gewöhnlich erst im reifen Mannesalter zur vollständigen Blindheit,
ja man hat einen Sljähi'igen Greis beobachtet, bei welchem das aus der
Kindheit herrührende Leiden auf dem einen Auge noch einiges Sehver-
mögen übrig gelassen hatte (Secondi).
In der Regel ist die Krankheit binocular und schreitet beiderseits
ziemlich gleichmässig vorwärts, aber so, dass in dem einen Auge die Ein-
schränkung des Gesichtsfeldes und die Abnahme der centralen Sehschärfe
stets etwas weiter gediehen ist (Mooren). Doch ist die typische Pigment-
entartung auch auf Ein Auge beschränkt gefunden worden [Pedraglia,
Mooren).
Pathogenese. Die anatomische Untersuchung eines hierher gehörigen Falles
hat Adhärenz der Netzhant an den Glaskörper; Atrophie der nervösen Elemente der
Retina, vollständiger in den äusseren Lagen, geringer in der Faserschichte, vom
Centrum nach der Peripherie hin allmählig zunehmend; Hyperplasie des hindege-
wehigen Stützwerkes mit Auftreten einer neugebildeten Bindegewebslage an der
Innenfläche der Faserschichte, Verdicknng und Sclerose der Gefüssioandnngen, netz-
förmige Pigmentirung in allen Schichten der Retina, hauptsäciilicli den Gefässen
folgend; theilweisen Untergang des Aderhavtfapets , theilweisen Verlust seines Pig-
mentgehaltes und streckenweisen Ersatz durch offenbar neoplastische Zellen ergeben,
welche in mehreren Schichten übereinanderlagernd in das Gefüge der Netzhaut
hineinragten und mit dem daselbst befindlichen netzförmig angeordneten Pigment-
zellenhanfen entschieden zusanimenhiengen. Dabei zeigte sich die Lamina elastica
chorioideae mächtig verdickt und an ihrer Oberfläche dicht besäet von choloiden
Drusen, welche in die hinteren Schichten der Retina eingriffen. Ausserdem fanden
sich , ophthalmoskopisch nachgewiesenen helleren Flecken des Augengrundes ent-
sprechend, fettig degenerirte Exsudate zwischen Chorioidea und Retina, während
die darunter gelegene Partie der Aderhaut von kleinen Zellen entzündlichen Ur-
sprunges dicht durchsetzt war (Leber).
Auf Grundlage dieses Befundes dürfte man kaum zweifeln, dass das Leiden
entzündlichen Ursprunges und den Exsudativformen der Retinitis sehr verwandt sei,
was sich übrigens auch in der formellen Aehnlichkeit des objectiven Kianklieits-
bildes mit dem des trüben und mit starker Pigmententwickelung einhergehenden
Netzhautschwundes beurkundet. In dem betreffenden Falle aber war der Zustand
angeboren und von vorneherein mit vollständiger Amaurosis gepaart. Es fragt sich,
ob derselbe zusammengeworfen werden dürfe mit der Mehrzahl der übrigen Fälle,
270 Iris; Anatomie.
in welchen sich das Leiden sehr allvi'dUg entwickelte, die höchst charakteristischen
subjectiven Merkmale zur Schau trug, und während dem ganzen Vei'laufe niemals
eine Spur entzündlicher Zufälle erkennen Hess?
Quellen: Graefe, A. f. 0. II. 2. S. 282; IV. 2. S. 250; XV. .3. S. 5. —
Alf. Graefe, ibid. IV. 2. S. 252. — Liehreich, ibid. V. 1. S. 110; Deutsche Klinik.
1861. Nro. 6; Atlas der Ophth. Berlin, 1863. Taf. 6. — Mooren, klin. Monatbl.
186.3. S. 93, 97, 104; Ophth. Beobachtg. S. 261. — Höring, kl. Monatbl. 1864. S. 233;
1865. S. 236. — Pedraglia, ibid. 1865. S. 144. — Stör, kl. Monatbl. 1865. S. 2.3. —
Pagenstecher und Sämisch, klin. Beobachtungen. Wiesbaden, 1861. I. S. 53; II.
S. 26. — Schiceigger, Vorles. über den Gebrauch des Augenspiegels. Berlin, 1864.
S. 112, 116. — Secondi, Clinica oc. di Genova. Torino. 1865. S. 60. — Haase,
kl. Monatbl. 1867. S 228. — Picard, Gaz. med. de Paris. 1868. S. 332. —
Joy Jefries, Boston med. and siirg. Journ. 1868. I. S. 193. — Galezoivski, Congres
ophth.' 1868. S. 162. — Mannhardt, A. f. O. XIV. 3. S. 48. — Ed. Jaeger, Hand-
atlas, Fig. 76—78. — Mauthner, Lehrb. d. Ophthscop. S. 383. — Leber, A. f. O.
XV. 3. S. 1, 7, 17.
FÜNFTER ABSCHNITT.
Entzündung der Regenbogenhaut, Iritis.
Anatomie. Die Regenbogenhaut, Iris oder Blendung (Fig. 2. g S. 54),
hat die Bedeutung eines Diaphragma, dessen Oeffnung, die Pupille, Sehe oder
das Sehloch , um ein Geringes vom Centrum nach innen abweicht und
durch Muskelwirkung verengert und erweitert wird. Der periphere oder
ciliare Rand hängt durch das Ligamentum pectinatum (Fig. 2 h) mit dem
Randfasernetze der Descemet'schen Membran (S. 56) zusammen und setzt
sich unmittelbar fort in das Stroma des Ciliarmuskels und der Strahlen-
fortsätze, deren Köpfen die Regenbogenhaut von vorneher aullagert. Der
Pupillarrand ragt bei maximal erweitertem Sehloche frei in den Kammer-
raum hinein; bei mittlerem Durchmesser aber berührt er die über die Ur-
sprungsebene der Iris hervorgewölbte Vorderkapsel m und schliesst die
hintere Kammer von der vorderen ab. Bei zunehmender Verengerung rückt
er an der Convexität der Kapsel hinauf, es kömmt eine breitere Zone der
Iris mit der Vorderfläche des Krystallkörpers in Contact und die Regen-
bogenhaut selbst erscheint kuppelig nach vorne gebaucht. Die hintere Kam-
mer besteht als gesonderter Raum also nur unter bestimmten Verhältnissen
und stellt dann einen engen , im senkrechten Durchschnitte dreieckigen
Kanal vor , welcher kreisförmig um den Linsenaequator herumläuft. Das
den Kammerraum erfüllende Kammerwasser , der Humor aqueus , ist eine
pellucide Flüssigkeit, welche nur Spuren von Eiweiss nachweisen lässt
und als verdünntes Blutserum zu betrachten ist.
Die vordere Fläche der Iris ist von netzföi'mig verzweigten vor-
springenden Leistchen und dazwischen liegenden seichten Grübchen un-
eben. Ihre Oberfläche deckt eine Lage kleiner granulii'ter unregelmässiger
Zellen, welche sich über das Ligamentum pectinatum hinaus in das Epithel
der Descemeti fortsetzt (Rollet, Iwanoff).
Tapet; Ligamentum pectinatum; Fontan'scher Kanal. 271
Die hintere Re2;enbogenhautflächc hing-cgen ist mit einem dicken
Stratum kleiner rundlicher, von dunklen Pigmentmolekülen diclit erfüllter
Zellen belegt. Die Summe dieser Zellen wird allgemein als Pigmentschichte
oder Tapet der Iris i beschrieben und ist eine Fortsetzung des die Clio-
rioidea und die Ciliarfortsütze überkleidendcn Pigmentsti-atums. Das Tapet
ragt am Pupillarrande etwas hervor und säumt denselben gleichsam ein.
Die Grundsubstanz ist schön lockig wellig gestreiftes Bindegewebe,
dessen Bündel in theils radiärem, theils circularem Verlaufe sich vielfach
durchflechten und ähnlich dem Stroma der Aderhaut von zahlreichen,
meistens spindel- oder sternförmigen, seltener rundlichen Kernzellen durch-
streut sind, deren Ausläufer sich netzförmig untereinander verbinden. In
der vordersten Schichte ist das Gefüge viel dichter gewebt, so dass es als
eine eigene Lage, als vordere Begrenzungsschichte der Iris, beschrieben wer-
den kann (Henle).
Die radiären Faserzüge der letzteren neigen sich am Rande der Schichte
mehr gegeneinander imd concentriren sich zu dichteren Balken, welche
an der äussersten Peripherie hakenförmig nach vorn umbiegen und fächer-
artig verbreitert am Rande der Descemet! sich festsetzen. Die Gesammtheit
dieser Balken , deren Gefüge von dem fibrillären Bindegewebe merklich
abweicht, stellt das Aufhängeband der Iris dar. Es präsentirt sich dasselbe,
wenn man die Iris straff spannt , unter der Form vorspringender Zähne,
deren Zwischenräume von minder dichtem Balkengewebe ausgefüllt und
gleich den dichteren Faserbündeln von einer continuirlichen Lage Epithel
überkleidet werden , so dass die Vorderkammer am Rande völlig abge-
schlossen erscheint. Nach hinten und aussen hin löst sich das Ligamentum
pectinatum in ein grobes Maschenwerk von kernlosen vei'zweigten und
anastomosirenden Balken auf, welches den Zwischenraum zwischen der
Peripherie der Iris und Sclera ausfüllt, mit dem bindegewebigen Stroma
des Ciliarkörpers zusammenhängt und ein Rudiment des bei Thieren oft-
mals wohl entwickelten Fontana' sehen Canales darstellt (Iwanoff, Rollet),
Die mittlere, mächtigste Schichte der Iris ist aixsnehmend locker,
schwammartig und weitmaschig. In ihr lagern die Gefässe, welche die
Hauptmasse der Iris ausmachen. Dieselben streichen , in 2 — 3 Reihen
übereinander geschichtet , mit radiärem Zuge gestreckt und bei weiter
Pupille im Zickzack oder in korkzieherartigen Windungen. Sie verzweigen
sich in spitzen Winkeln und zeichnen sich durch ganz enorme Mächtigkeit
der Adventitia sowie durch deren Zusammensetzung aus. Es ist dieselbe nämlich
verdichtetes Irisstroma und führt statt längsovalen Kernen die dem letzteren
zukommenden, ästig verzweigten Kernzellen zwischen den der Gefässaxe
parallel verlaufenden Bindegewebsbündeln. Es sind die Irisgefässe durch
die Cornea hindurch sichtbar und veranlassen die schönen strahligen Zeich-
nungen, welche besonders an hellen Augen sehr deutlich ausgeprägt sind.
Blaue Regenbogenhäute zeigen sich in ihrem Gefüge oft ganz pig-
mentlos, ihre Farbe ist ein Interferenzphänomen, eine Wirkung der parallelen
Anordnung sehr feiner, an sich farbloser Fasern in der vorderen Begren-
zungsschichte (Henle). Häufig jedoch finden sich, namentlich in der Pupillar-
zone, auch unregelmässig zerstreute, gelbbräunliche Flecken und Streifen,
die von der Ansammlung eines goldgelben, rostrothen oder bräunlichen,
körnigen Pigmentes in den verästelten Zellen und in den Lücken des
272 Iris; Anatomie; Muskeln; Gefässe.
Gefüges herrühren. In braunen und schwarzen Regenbogenhäuten sind diese
Zellen mit dunklem Pigmente dicht angefüllt und eine ansehnliche Menge
desselben lagert auch frei in dem Stroma.
Eingehüllt in die Grundsubstanz streichen Bündel glatter Muskelfasern
mit theils kreisbogenförmigem theils radiärem Verlaufe. Die ersteren sam-
meln sich grösstentheils um den Rand der Pupille und bilden daselbst
einen sehr auffälligen Sphincter oder Scliliessmjiskel. Die radiären Easern,
deren Gesammtheit den Erweiterer oder Dilatator pupillae darstellt, vereinigen
sich zu Bündeln, welche strahlenförmig vom Ciliarrande der Iiüs gegen
den Pupillarrand hinstreichen , sich auf diesem Wege durch spitzwinkelig
abzweigende Faserzüge vielfach unter einander verbinden, nach dem Pupillar-
rande hin unter Arcadenbildung sich in eine Art j^^etzwerk auflösen
und schliesslich in den Sphincter pupillae übergehen (Köüiker, Merkel,
Dogiel). Es bilden diese radiären Easern im Vereine mit anderen co7icen-
trisch verlaufenden, welche die ersteren unter fast rechtem Winkel schneiden
und mit ihnen vielfach verwebt sind, eine eigene dünne Schichte, die
hintere Begrenzungsschichte (Henle), welche zwischen die lockere Mittel-
schichte und die Pigmentlage eingeschoben ist und vielfach als ein der
Limitans chorioideae verwandtes Gebilde aufgefasst wurde.
Die Schlagadern kommen sämmtlich aus dem grossen Gefässkreise der
Iris, welcher noch innerhalb des Ciliarmuskels, hart an der Regenbogenhaut-
grenze, liegt und sich aus den beiden langen hinteren und aus Aesten der
vorderen Ciliararterien zusammensetzt. Sie streichen unter mehrmaliger
Theilung und gegenseitiger Verbindung bis zum Pupillarrande hin, wo sie
in die Venen umbiegen. Sie geben auf diesem Wege kleinere Aeste ab,
die sich in dem Gefüge der Iris und des Schliessmuskels in feine Capillar-
netze auflösen. In der Nähe des Pupillarrandes bilden einige ihrer Aeste,
welche unter nahezu rechten Winkeln von den Stämmchen abgehen, durch
gegenseitige Anastomosen einen zweiten, sehr oberflächlich gelagerten Gefäss-
kreis, den Circulns arteriosus iridis minor (Leber).
Die Venen der Ws haben einen ganz ähnlichen Verlauf, liegen jedoch
der hinteren Oberfläche näher als der vorderen. Sie stehen durch die Blut-
adern des Ciliarmuskels mit den vorderen Ciliarvenen in Verbindung, die
Hauptmasse ihres Blutgehaltes gelangt jedoch durch büschelförmig ange-
ordnete Stämmchen, welche vielfach unter einander communiciren, zur inneren
Oberfläche der Strahlenforts ätze ^ deren dichte A'enennetze sich unmittelbar
in die Wirbelgefässe der Aderhaut fortsetzen, um sich weiterhin in den
hinteren Ciliarvenen zu sammeln (Leber).
Die Nerven der Iris und des Ciliarmuskels sind Zweige des Trigemi-
nus, des Oculomotorius und des Sympathicus (S. 8).
Sie treten zumeist als Nervi ciliares breves aus dem Ganglion ciliare zum
hinteren Umfange der Sclerotica, um diese zu durchbohren und in der sogenann-
ten Lamina fusca der Aderhaut, wo sie eine Reihe von kleinen Ganglien durch-
laufen (S. 9), nach vorne zu ziehen. Nur ein, gewöhnlich aber zwei Stämmchen,
von welchen das eine in der Regel noch einen Nervenzweig von dem Ganglion
ciliare aufnimmt, gehen direct von dem Nasenaugennerven ab und dringen an der
inneren Seite des Sehnerven durch die Lederhaut, nachdem sie sich in mehrere
Aestchen gespalten haben. Man nennt sie Nervi ciliares lonyi. Aus den langen und
kurzen Ciliarnerven zweigen im Bereiche des Ciliarmuskels die Hornhautnerven ab.
Der Rest derselben löst sich in ein reiches und dichtes Geflecht auf, aus welchem
theils der Muskel selbst, theils die Iris mit Nervenfäden versorgt wird. Die eigent-
lichen Irisnerven verlaufen im Allgemeinen radiär, theileu sich aber vielfach und
Nosologie; Iritis serosa; Papillöse Auswüchse. 273
anastomosireu unter oiiiuiuler , so tlass zalilrciclic IJögen mit nach, dem Pupillar-
rande gerichteter Convexität und Maschennetze gebildet werden, welche sich bis
an den äussersten Rand der Iris fortsetzen.
Nosologie. Der Aicicjanc/spicnkt und der vornehmliche Sitz der Ent-
zünduiTg ist das bindegewebige Siroma, doch nehmen auch die musculösen
FaserzeUen sowie das Tapet an dem Processe thätigen Anlheil.
So weit die bisherigen Untersuchungen reichen, wiederholen sich l)ei der
Iritis nur jene Vorgänge, welche die Entzündung in anderen Organen mit hiiulege-
ivehiger Grundlage kennzeichne u. Es machen sich vorerst im Stroma wechselnde
Mengen neoplastischer, wahrscheinlich eingewanderter Zellen bemerkbar. Sie sind
öfters in Heiken geordnet, welche dem Laufe der Gefässe zu folgen pflegen; in
anderen Fällen häufen sie sich in Nesterforvi zusammen oder erscheinen in der In-
tercellularsubstanz regellos zerstreut. Ihre Form und ferneres Verhalten wechseln
ausnehmend je nach dem Charakter und dem Stadium der Entzündung. Gewöhnlich
sind es junge Kernzellen, welche zum Theil in Prolification und in den verschie-
densten Phasen der Höhergestaltung begriffen sind. Oft jedoch gelangen die neu-
gebildeten Elemente gar nicht zu höheren Entwicklungsformen, sie gehen viel-
mehr rasch in Verfettigung über und bilden mit einer mehr minder reichlichen
Menge flüssiger fetthaltiger Intercellularsubstanz eitrige Producte. In den pigmen-
tirten Stromazellen ist der Vorgang oftmals wenig markirt; der Umstand, dass
diese Zellen sehr lange ihr normales Aussehen bewahren , könnte so<rar die Ver-
c? 7 0
muthung stützen, dass sich dieselben gar niclit oder doch nur in sehr untergeord-
neter Weise betheiligen. Doch hat man häufig genug sehr auffällige Veränderungen
in Farbe und Menge des Pigmentes, Verfettigungen des Zelleninhaltes , selbst ein
Auswachsen und förmliche Prolification, andererseits aber auch ein partielles Zu-
grundegehen dieser Zellen zu beobachten Gelegenheit. Die Intercellularsubstanz
wird wegen der mehr minder massigen Infiltration mit einer serösen oder gelati-
nösen , fein moleculirten oder mit Fettkörnchen durchstreuten , mitvinter auch
durch gelöstes Hämatin röthlich gefärbten Substanz aufgelockert und schwillt an.
Mitunter ist die Production eine sehr spärliche, sie liefert keine Neu-
bildungen, welche sich von dem eigentlichen Gefüge der llegenbogenhaut
deutlich abheben, sondern äussert sich blos in Verfärbung und Schwellung
der Iris. Man hat diese Form der Iritis mit dem Namen der „serösen"
belegt. Weitaus in der Mehrzahl der Fälle führt die entzündliche Gewebs-
wucherung jedoch zur Eutwickelung von Neoplasien, welche mit freiem
Auge wahrgenommen werden können.
4. Es sind diese letzteren meistens bindegewebiger Natur. Ihre Form
ist ausserordentlich wandelbar. Am häufigsten sind es:
a. Papillöse Auswüchse, welche nahe dem Pupillarrande diffus im
eigentlichen Irisstroma wurzeln, die vordere oder die hintere Begrenzungs-
schichte durchbrechen und, mit der vorderen Kapsel in Berührung kom-
mend, dieser rasch ankleben, eine sogenannte hintere Sgnechie bedingen.
Sie sind ursprünglich warzen- oder kolbenförmig, werden nach ihrer
Verbindung mit der Kapsel aber oft zu Fäden ausgesponnen. Stehen sie
dicht aneinander, so iliessen sie gerne zusammen und bilden so mehr
minder breite Säume, welche vom Pupillarrande zur Kapsel hin streichen.
Bei massenhafter Entwickelung solcher Producte im ganzen Umfange des
Pupillarrandes wird das Sehloch meistens vollständig geschlossen, die papillosen
Auswüchse vereinigen sich zu einem Pseudohäutchen, welches die Kapsel-
mitte deckt und ihr entweder anklebt oder, was selten der Fall ist, sich
frei abheben lässt. Ausnahmsweise hat diese Neubildung vermöge ihrer
unverhältnissmässigen Dicke mehr Anspruch auf den Namen eines Pfropfes
als einer Haut.
Slellwaij, Auiiciilii-ilkunJo. 18
274 Iritis; Nosologie; Granulationen; Gummen.
Es bestehen die papiUosen AusivücJise in der Eegel aus einer structurlosen
feinkörnigen oder radial gestreiften Grundsubstanz , in welcher nicht selten ein-
zelne neoplastische Gefässe, immer aber wechselnde Mengen zelliger- Gebilde lagern.
Es sind diese letzteren zumeist stark pigmentirt, bald ganz iinregelmässig gestaltet
und theilweise ramificirt, kleiner und grösser; bald den normalen Stromazellen
ganz ähnlich, lang gestreckt und mit zahlreichen verzweigten Fortsätzen versehen.
Ausserdem finden sich in untergeordnetem Massenverhältnisse pigmentlose Kern-
zellen in den verschiedensten Entwickelungsstadien, freie Kerne, Haufen freien
Pigmentes etc. eingesprengt. Wo solche Auswüchse sich zu breiten Säumen oder
zu einer die Pupille verschliessenden Membran vereinigt haben, sieht man in deren
Gefüge niclit selten eine Anzahl von Faserbündeln, welche in i-adiärer Richtung
gegen das Centrum der Pupille hin streichen und sich dort zu einem ganz unregel-
mässigen Netzwerke verstricken , am Pupillarrande der Iris aber aus der Pseudo-
haut heraustreten und in Gestalt isolirter Stränge zur vorderen oder hinteren
Fläche der Pupillarzone der Regenbogenhaut laufen, um sich dort in das Stroma
einzusenken (Wedl).
h. Granidationen. Am häufigsten und schönsten entwickelt findet man
dieselben an vorgefallenen Iristheilen, welche dadurch nicht selten ganz
das Ansehen einer schön granulirenden Wundiiäche gewinnen. Wo aber
die Hornhaut ihre Continuität bewahrt hat, erheben sich eigentliche Granu-
lationen nur selten über die Oberfläche, in der Regel lockert sich die
Iris in Folge üppiger bindegewebiger Wucherung blos auf und schwillt,
mitunter nach Art eines Schwammes, an. Relativ am öftesten werden
wahre Granulationen an der Vorderfläche der Iris gesehen. An der hinteren
Irisfläche sind sie eine Seltenheit, kommen daselbst jedoch bestimmt vor,
in einzelnen Fällen als continulrliche Schichte, welche die ganze Iris von
hinten her überzieht und die Pupille schliesst. Sie wurzeln im eigentlichen
Sti'oma der Iris und heben sich von demselben in keiner Weise ab.
Die granulirende Iris erscheint ihrer ganzen Dicke nach dicht durchstreut
von neoplastischen Kernen und Zellen , welche theilweise in Reihen geordnet das
Stroma verdrängen land die mannigfaltig veränderten Kernzeilen desselben schein-
bar ganz unregelmässig durcheinander werfen, selhsi aber je nach Zeit und Um-
ständen die verschiedensten Grade der Entwickelung und Höhergestaltnng dar-
bieten, hier spindelig auswachsen und sich zu Strängen an einanderlegen, um
Gefässe zu bilden, dort Fortsätze treiben und den Bindegewebskörpern ähnlich
werden, oft auch durch reichliclie Production von Pigment sich zu dunklen Stroma-
zellen umwandeln, und eine grössere oder geringere Menge von Intercellularsub-
stanz ausscheiden, welche häufig durch deutliche Faserstreifung das Bild neopla-
stischen gefässhältigen und pigmentirten Bindegewebes vollendet. Die hintere
Begrenzimgschichfe und das Tajyet nehmen lebhaften Antheil an dem Processe und
gehen in der Wucherung wohl auch völlig auf.
c. Gummen. Es sind dieses Tcnotenartige Productanhäufungen von sehr
wandelbarem Umfange, welche tief im Stroma der Iris wurzeln, und über
die vordere Fläche der Regenbogenhaut hervorragen, sich auch wohl zu
grösseren Geschwülsten vereinigen, dann ansehnliche Portionen der Iris
decken und die Vorderkammer zum Theile füllen. Sie führen wechselnde
Mengen von Pigment und Gefässen.
Die gummöse Natur der bei Iritis syphilitica aufschiessenden Knoten wurde
schon früher vermuthet (Virchow). In neuerer Zeit haben genaue Untersuchungen
in der That den Bau solcher Gescliwülste übereinstimmend mit jenem wahrhaft
syphilitischer Gummen herausgestellt. Es erwies sich ein linsengrosser Tumor
dieser Art zusammengesetzt aus dichtgedrängten jungen Bindegewebszellen mit
stark lichtbrechenden Kernen, die in Prolification begriffen waren; aus spindeligen
Zellen mit deutlicher Zellenwand, welche meistens in bestimmten Zügen ange-
ordnet waren und auf beginnende Gefässneubildung hindeuteten; aus in Vermehrung
begriffenen Stromazellen und zerstreuten Pigmenthaufen. Die organischen Muskel-
Suppurative Form; Irisatscess ; Complicalionen. 275
fasern waren iin Bereiche der Geschwulst untergegangen. Dabei waren die Iris-
gefässe im Tumor selir ausgedehnt und durch neugehiUlete vermehrt, die GeschwuLst
also sehr blutreich (Üolherg). Anderseits werden auch Fälle beobachtet, wo die
Elemente durch die Trübung und den Fettgehalt des Zelleninhaltes den beginnen-
den Zerfall deutlich bekunden (lU^ypel, Neumann) oder wohl gar schon zum Theile
in fettigen Detritus aufgelöst worden sind. Jedenfalls ist das Verhalten dieser Ge-
schwülste nach Zeit und Umständen variabel, wie die verschiedenen Ausgänge der-
selben lehren. Auch ist das Auftreten ganz analoger Knoten durchaus nicht an
das Vorhandensein einer secundäreu Syphilis gebunden, während umgekehrt wahre
Gummen auch bei unzweifelhaft sißjhüitische?' Grundlage „nicJds darbieten, wo-
durch sie über das Gebiet einfach entzündlicher Producte hinausreichten" (Virchow).
2. lu einer anderen Reihe von Fällen tragen die Producte der Ge-
webswucherung gleich von vorneherein den Charakter des Eiters.
In einzehien Fällen hat man Eiterzellen, nach dem Verlaufe der
Gefässe in Zügen zusaniniengereiht, im Gefdge der Iris gefunden. Aus-
nahmsweise kommen wohl auch kleine Eiterherde, wahre Ahscesse, vor.
Sie brechen mitunter nach vorne durch und hinterlassen einen geschioür-
ähnlichen Suhstanzverlust oder ein förmliches Loch mit eitrig infiltrirten
fetzigen Rändern. Unter gewissen Umständen kann sogar die Iris als
Ganzes in einen Eiterstock verwandelt iverden und durch eitrige Schmelzung,
Phthise, zu Grunde gehen.
In der Regel jedoch tritt die Hauptmasse des Eiters an der Ober-
fläche der von neoplastischen Zellen dicht durchsetzten Iris zu Tage. Es
findet sich daselbst eine mehr minder mächtige Lage von verfettigenden
Kernen und Zellen, welche sich fort und fort abstossen und damit die
Quelle des am Boden der Kammer sich sammelnden Hypopyum liefern.
Das Hypopyum besteht öfters durcliwegs aus flüssigem Eiter, welcher
mit jeder Bewegung des Auges seine Lage wechselt. Oft jedoch enthält
der Hypopynmeiter dichtere placentaähnliche Gerinnungen, welche nicht be-
weglich sind, erstens wegen ihrer Schwere, zweitens aber wegen ihrer
Neigung, mit den Kammerwäuden zu verkleben. Bisweilen wiegen diese
Gerinnungen geradezu an Masse vor und stellen eine Art Fachwerk dar,
in welchem der flüssige Eiter gleichsam abgesackt ist, so dass er bei
Lageveränderungen des Auges seinen Sitz in keiner Weise ändert. Der
Eiter erscheint von extravasirtem Blute manchmal roth gestriemt oder auch
gleichmässig geröthet.
Es steht nunmehr fest, dass seine Quelle nicht immer ausschliesslich in der
Iris zu suchen, sondern öfters, wenigstens theilweise, aus dem Ligg. jjectinatuvt
(Iwanoff) und möglicher Weise auch aus dem Epithellager der Descemeti sowie
aus dem mitergriffenen Ciliarmuskel abzuleiten sei (Hasner, Roser, Graefe).
Complicationen. Ausser dem Ciliarmuskel, dessen Mitleidenschaft
wahrscheinlich zur Regel gehört, nimmt öfters auch der Strahlenkranz An-
theil an der Entzündung der Iris, im welchem Falle der Process den Namen
Iridokyklitis führt. Wird aber der Ciliarkörper in den Process hineinge-
zogen, so geschieht es nicht gar selten, dass auch die entsprechende
Portion der Lederhaut in einen entzündlichen Wucherungsprocess geräth,
dass selbst der Vordertheil des Glaskörjjers participirt und bindegewebige
oder eiterige Producte in seinem Gefüge zu Tage fördert. Auch Iridocho-
rioiditides kommen häufig vor; sie erscheinen immer mit Netzhautentzün-
dung und mit Hyalitis gepaart. Nicht selten ist die Iritis sogar nur
die Theilerscheinung einer Panophthalmitis des mannigfaltigsten Charakters.
Am häufigsten jedoch ist die Complication der Iritis mit Hornhautentzün-
18*
276 Iritis: Krankheits'bild : Verfärtung ; Motilitätsstörnng.
duiig, die sogenannte Keratoiritis, und die Complication mit Capsnlitis, die
Iridocapsulitis. Selten wird nebenbei eine Entzündung der gesammten Linsen-
rinde beobachtet.
Krankheitsbild. Charalcteristisch sind, neben den Erscheinungen einer
mehr weniger lebhaften Ciliarreizung: die eigenlh Um liehe Verfärbung der Ii-is,
die Verschioommenheit ihrer normalen Zeichnungen und die Trägheit oder Unbeweg-
lichkeit der meistens stark verengerten Pupille. Dazu kommen in der Mehrzahl
der Fälle Symjitome, ivelche durch die dem freien Auge loahrnehmharen, nach
Masse und Qualität wechselnden Producte bedingt werden.
1. Die von der Entzündung abhängige SchweUung und Trübung
des Gefüges macht, dass die arcadenförmigen Gefässverzweigungen weniger
deuthch durchscheinen, dass also die in der Korm so schön gezeichnete
Oberfläche der Iris ein mehr gleichmässiges, sammtähnliches, mattglänzendes
Ansehen bekömmt. Dabei wechselt die Farbe selbst. Blaue und graue Regen-
bogenhäute verfärben sich in ein schmutziges Schiefergrau oder Gelbgi'ün;
schwarze oder braune Ii-ides aber ins Ockergelbe, Zimmtbraune, Eostrothe
bis Braunrothe.
Um diese Symptome in jedem Falle mit Sicherheit zu constatiren, ist eine
Vergleichnng heider Begenhogenhänte unerlässlich nothweudig. Ohne diese Vorsicht
werden selbst bedeutende Verfärbungen häiifig übersehen. Uebrigens muss hervor-
gehoben werden, dass nicht überall, wo die Iris verfärbt und ihre Zeichnung ver-
schwommen erscheint, auch eine h-itls vorliege. Es gehören diese Erscheinungen
nämlich auch in die Symptomatologie von mancherlei ständigen Ausgängen der Iritis.
Ausserdem aber sind selbst sehr auffällige Verfärbungen und Verschwommenheiten
der Zeichnung häufig blos scheinbar und kommen bei völliger Integrität der Regen-
bogenhaut vor, gehören einzig und allein auf Rechnung einer gleichmässigen ent-
zündlichen Trübuno- der Hornhaut oder des Kammerivassers. Nur die genaueste
Berücksichtigung aller übrigen Symptome, insonderheit aber die Probe auf die
Beiveglichkeit der Pupille, kann hier vor Irrthum in der Diagnose bewahren.
2. Eine weitere nothwendige Folge der Entzündung ist die Un-
fähigkeit der Iris, auf Lichtwechsel zu reagiren, also Trägheit oder völlige
Unbeweglichkeit der Pupille. Wo die Beweghchkeit der Ii'is wenig gelitten
hat, kann in der That von einer Entzündung der Regenbogenhaut nicht
die Rede sein ; denn selbst in dem Falle, als die musculösen Elemente
ihre Integrität bewahrt hätten, müssten sie an dem durch Prolification
der Elemente und durch seröse Infiltration geschwellten Stroina sowie an
dem blut üb erfüllten Gefiissnetze der Iris eine sehr bedeutende Wirkungs-
hemmung finden. Grosse Trägheit oder völlige Unbeweglichkeit der Pupille
ist also eine unerlässliche Bedingung, um die Diagnose auf Ii-itis stellen
zu können. Doch ist hierbei in Anschlag zu bringen, das die Iritis bis-
weilen und namentlich im Beginne des Processes sich auf Theile der Regen-
bogenhaut beschränkt und demnach auch die Functionsstörung eine partielle
sein könne.
Bei der Erörterung dieses Symptomes ist grösste Vorsicht nothwendig, will
man sich vor Täuselnuigen bewahren. Um die Iris des kranken Auges auf ihre
Reactionsfähigkeit zu prüfen, muss der Kranke so gestellt werden, dass massig
starkes, am besten gewöhnliches Tageslicht nur von Einer Seite schief auf das
kranke Auge falle. Das gesunde Auge muss geschlossen und nicht blos mit der
Hand, sondern mit einem zusammengefalteten Tuche bedeckt werden , so dass mit
Sichei'heit jede Spur von Liclit von demselben abgehalten wird. Der Untersuchende
stellt sich dabei so vor den Kranken, dass er, während er mit der einen Hand
einen Kernschatten auf das unbedeckte Axige wirft , dessen Pupille neben der
deckenden Hand in Sicht behält. Während er nun den Rand der Pupille fixirt,
Untersuchung clor Irisreactiou; Schwellungsphaenomene. 277
wird durch Eiitfeniuiio- der Hand helles Licht ;iiif das Auge geleitet, das Auge
abermals beschattet u. s f. Ein zwei- oder dreimaliges Wechseln mit Schatten und
Liclit wird in der Regel über die Reactionsfähigkeit der Iris Ausschluss geben und
bei gehöriger Befolgung aller Vorsichtsuiassregeln wird auch selbst die leiseste
Kräuselung des Pupillarrandcs zur Wahrnehmung kommen. Die Bedeckung des
gesunden Auges mit einem gefalteten Tuche ist nothwendig, weil die blosse Schlies-
sung der Lider oder die Bedeckung mit der Hand nicht ausreicht, um alles Licht
abzuhalten, ein auf das gesunde Auge wirkendes Licht aber auch die Pupille des
kranken Auges verengt und den Contrast zwischen dem auf letzteres wirkenden
Lichte und Schatten mächtig abschwächt, so dass bei geringerer Reactionsfähigkeit
die Iris im kranken Auge fest gebannt erscheinen kann, obwohl sie noch beweglich
ist. Ein siäfkeres Licht und ein Kernschatten ist erforderlich, um einen genügenden
Contrast und dadurch eine möglichst starke Reaction zu erzielen. Der Pupillarrand
uuiss sowohl während der Beschattung als bei der Beleuchtung in Sicht behalten
werden, weil widrigenfalls bei der Entfernung der beschattenden Hand die Con-
traction des Pupillarrandcs in der Regel schon vorüber ist, ehe das untersuchende
Auge den letzteren scharf fixirt ha^, so dass selbst bedeutende Zusammenziehungen
der Beobachtung entgehen könnun.
Wo trotz aller dieser Vorsichten bei wiederholtem Licht- und Schatten-
wechsel keine Bewegung des Pupillarrandcs wahrgenommen wird, kann man mit
Wahrscheiidichkeit auf Jlea.ctior\sinif(lhigkeit der Iris schliessen. In zweifelhaften
Fällen gewährt übrigens eine Lösung von Ätropin das Mittel, um sich sicher zu
stellen. Wo sich auf dessen Anwendung die Pupille stark und gleichmässig er-
weitert, ist eine höhergradige totale Iritis bestimmt nicht vorhanden. Bei partiellen
Kegeubogenhautentzünduugen steht einer theihoeisen Erweiterung der Pupille durch
Atropin oder durch Beschattung natürlich nichts im Wege. Umgekehrt darf nicht
übersehen werden, dass ein Ausbleiben der Atropinwirkung nicht nothwendig auf
Iritis hindeutet, da die Unbeweglichkeit der Regenbogenhaut auch in mannigfal-
tigen arideren Zuständen ihren Grund finden kann, in hinteren Synechien, Paralysen,
Atrophie u. s. w. Auch ist wohl darauf zu achten, dass sehr heftige Reizzustände
des ciliaren Nervensystems, wie selbe nicht selten die Keratitis etc. begleiten, den
Effect des Atropins sowohl in Bezug auf Grösse als auf Dauer sehr vermindern,
oder wohl gar auf Null setzen.
3. Aus der entzündlichen Gewebswucherung und der damit eiuher-
gehenden Hyperämie und serösen Durchfeuchtung des Gefiiges resultirt ferner
auch eine Anschwellung. Diese macht sich sowolil durch Dickenzunahme, als
durch Verbreiterung der Iris, d. i. durch Verengerung der Pupille, bemerk-
lich. Die Verdickung ist meisthin eine sehr wenig auffällige. Allerdings
zeigt sich die entzündete Iris oft aufgelockert und auch wohl etwas her-
vorgetrieben, so dass die Kammer verengt erscheiiit. Dieses letztere Symptom
ist aber gewöhnlich mehr die Folge einer Abnahme des Humor aqueus.
Die Verengerung der starren Pupille jedoch ist meistens deutlich nachweisbar,
obwohl kein ganz constantes Symptom, denn die Iris kann bei jeder mög-
lichen Weite des Sehloches entzündet sein.
Mau hat die Verengerung der Pupille vielfach als ledige Folge einer ver-
stärkten Zusammenziehung des Schliessmuskels aufgefasst. Allein sie macht sich
oft erst in Stadien der Iritis geltend, in welchen man allen Grund hat, eine völlige
Functionsuntüchtigkeit des Sphincters vorauszusetzen. Uebrigens liegt der Beweis
für die Abhängigkeit des Phänomens von der Schwellung in dem Umstände , dass
selbst bei veralteter Lähmung oder gänzlicher Verbildung der Iris, wie selbe, z. B.
bei inveterirten Glaucomen vorkömmt, eine sich rasch entwickelnde Iritis bis-
weilen ein winkeliges Vorspringen einzelner Theile des Pupillarrandcs mit sich
bringt, und dass überhaupt nach erfolgter Anheftung zweier Punkte des Pupillar-
randes der zwischengelegeue Bogen des letzteren sich nicht nothwendig darauf
beschränkt, in die gerade Linie vorzurücken, sondern über diese hinaus mit einer
deutlichen Convexit'dt dem Centrum der Kapsel zurückt, ein Vorgang, welcher der
Muskclwirkung gerade entgegen ist. Es geht daraus hervor, dass die Muskelwir-
kung bei der entzündlichen Verengerung der Pupille nicht in Rechnung komme,
oder doch nur als ein beihelfendes Moment aufgefasst werden könne.
278 Iritis; Krankheitsbild ; Gefässsymptome ; Schmerzen.
4. Hyperämien können vermöge der Mächtigkeit der Gefässwände in
der Iris nicht leicht zur Wahrnehmung kommen, auch wenn sie bestehen.
Dass übrigens die hämodynamischen Verhältnisse des Binnenraumes einer
hochgradigen Entwickelung derselben nicht günstig sind, wurde bereits
erwähnt (S. 3).
Wirklich findet man nur sehr ausnaJimsiveise , dass ein oder mehrere stark
erweiterte , offenbar venöse Gefässstämmchen an der Oberfläche in einer Iturzen
Strecke ihres sehr unregelmässigen Verlaufes heraustreten. Namentlich ist dieses
bisweilen der Fall in den späteren Stadien chronischer Iritis, wenn das Gefüge der
Regenbogenhaut schon sehr gelitten hat und im Schivande weit vorgeschritten ist.
Blutextravasate , als mittelbare Folgen der Circulationsstörung, machen sich
daselbst jedoch nicht gar selten bemerklich. Sie erscheinen als blutfarbige ver-
waschene Flecke in dem Parencliyme der Regenl)Ogenhaut; mitunter äussern sie
sich durch blutige Färbung iritischer Producte oder als freie Ergüsse in den
Kammerraum, als sogenannter Hämopldlialmus oder Hi/poh'dma.
So wenig deutlich indessen die Hyperämie im Bereiche der Iris selbst
hervortritt, so auffällig macht sich dieselbe an den vorderen Ciliar gefässen
und deren collatcralen Aesten durch die Entwickelung eines äusserst fein-
maschigen und dünnaderigen Gefässnetzes in der vorderen Episcleralzone. Es
ist dieses eines der constantesten Symptome der Iritis, ja es findet sich
selbst schon bei einfachen Reizungen der Eegeubogenhaut und gehört über-
haupt zu den ersten Vorboten der fraglichen Entzündung. Das injicirte
Episcleralgefüge ist dabei meistens serös infiltrirt. Oefters nimmt wohl auch
das darüber gelegene Bindehautgefüye an der Hyperämie und ödematösen
Schwellung Antheil und erhebt sich in Porm eines breiten niederen Wulstes,
eines sogenannten Gefässkranzes rings um die Hornhaut.
Die hyperämische Röthe der episcleralen Gefässnetze ist in der Regel eine sehr
helle, offenbar arterielle und spielt wegen der tiefen Lage der Netze mehr weniger
ins Rosenfarbene oder ins Lila. Bisweilen zeigt die Röthe eine ganz entschiedene
Beimengung von Braun. Der conjunctivale Gefässkranz wechselt in seiner Farbe
vom hellen Blutroth zum bläulichen Roth, den mehr arteriellen oder venösen Cha-
rakter der Circulationsstörung andeutend.
Man hat früher den verscldedenen Tönen der episcleralen Injectionsröthe einen
ungebührlichen diagnostischen Werth beigelegt. Man glaubte aus der braunen Nuance
auf ein syphilitisches Grundleiden, aus der mehr bläulichen Farbe auf Begründung
der Iritis durch Gicht, aus der hellen Rosenröthe auf Rheuma u. s. w. schliessen
zu können. Es ist dieses entschieden unrichtig. Die bräunliche Nuance ist ihrer
Entstellung nach durchaus nicht aufgeklärt. Die mehr helle oder mehr bläuliche
Färbung resultirt aus dem Ueberwiegen der Störung in den arteriellen oder venösen
Gefässen; weiter deutet sie nichts an.
Wichtig ist noch zu bemerken , dass ausnahmsweise sehr intensive
Iritiden verlaufen können , ohne dass es zu einer auffälligen Hyperämie des
Episcleralgefüges kömmt. Im Verlaufe des Puerperium, des Typhus, der
Pyämie u. s. w. hat man öfters Gelegenheit, derartige Regenbogenhaut-
entzüudungen zu beobachten.
Umgekehrt beschränkt sich die Hyperämie häufig nicht auf den
Gefässkranz ; die BlndeJiaut ihrer ganzen Ausdehnung nach und selbst die
Lider erscheinen stark geröthet und geschwollen. Besonders der obere
Lidrand ist oft deutlich gewulstet und auffällig roth, seine äussere Decke
gespannt, glänzend und empfindhch.
5. Das inconstanteste Symptom der Iritis sind die Schmerzen. Es fehlen
dieselben nicht selten ganz oder sind so gering, dass sie kaum die Auf-
merksamkeit des Kranken erregen. In anderen Fällen erscheinen sie schon
unter den Vorboten und steigern sich allmälig zu den heftigsten Graden.
Sehslöruugeu ; rapillüse Auswüchse. 279
Ihrer Qualität nach werden sie von verschiedenen Kranken als reisseud, ])üh-
rend, stechend, drückend u. s. w. beschrieben. Jede das Auge treffende äussere oder
innere Scliädlichkeit vermclu't sie. Sehr oft verox\scllscliat'ten sie sich mit Lichtscheu
in weclisehider Proportion. Buhl stetig, bald mit Remissionen und Exacei-hationen
alternirend, bald intcrmittirend und in Form von Paroxysinen zu unregelmässigcn
oder bestimmten Tageszeiten wiederkehrend, schattiren sie das Krankheitsbild in
der manuiijraltigsten Weise. Dazu kömmt noch, dass sie selir oft nicht auf den
Aug-ajjful beschränkt bleiben, sondern nach verschiedenen Kichtunj^-en, am häuiiji'sten
nach dem Verlaufe des Stirnnerven, seltener nach der Verzweigung des Nervus
infraorbitalis oder iiiframaxillaris ausstrahlen.
Auch das Gehirn äussert sehr oft seine Mitleidenschaft durch mehr weniger
heftige Cephalalgie. Durch dessen Vermittlung participirt öfters der Darmtract an
dem krankhaften Processe. Appetitlosigkeit, Belegtheit der Zunge, Verstimmung
der Geschmacksnerven , Neigung zum Erbrechen oder wirkliches Erbrechen ver-
rathen diese Theilnalune. Selbst der gesaminte Organismus reagirt nicht selten unter
der Form von Fieber.
6. Niemals fehlen bei der Iritis beträchtliche Störungen des Gesichtes.
Sie sind bisweilen die einzigen Symjjtome, welche den Kranken auf das
A^orhandensein eines Augenleidens aufmerksam machen. 8ie resultiren einer-
seits aus der durch die Gewebswucherung bedingten Lähmung des Muskel-
systems, also aus der Aufhebung des Accommodationsvermögens und der
Fähigkeit , das Auge nach Bedarf zu blenden ; andererseits sind sie eine
Folge der im Bereiche der Pupille abgelagerten Producte (Siehe Kapselstaar.)
7. Die papiUösen Auswüchse am PiipiUarrande sind häufig so überaus
klein und so sparsam zerstreut, dass sie, so lange die Iritis besteht und
die Pupille unbeweglich bleibt , nur sehr schwer mit freiem Auge wahr-
genommen werden können , um so mehr , als sie wegen ihres reichlichen
Gehaltes an Pigment sich nur wenig von der schwarzen Pupille abheben.
Man muss sehr genau sehen und oft auch noch die schiefe Beleuchtung zu
Hilfe nehmen, um sie als winzige braune oder schwarze Erhabenheiten
zu erkennen.
Mit der Massenzunahme der Neubildung wächst natürlich die Auf-
^ö
fälligkeit derselben. Aus der Verschmelzung von dicht gedrängten Aus
»
wüchsen hervorgegangene Säume lassen sich bei einiger Aufmerksamkeit
kaum übersehen. Sie sind hellbraun bis dunkelbraun und selbst matt
schwarz, oft bis zu einer Viertellinie breit, umkränzen einen grösseren oder
kleineren Bogen des Pupillarrandes , allen seinen Ausbuchtungen folgend,
oder fassen das Sehloch seinem ganzen Umfange nach ein und zeigen auf
der Vorderkapsel eine zackigkerbige oder verwaschene Grenze. Gar nicht
selten ist an ihnen noch eine schmale centrale pigmentarme und darum
grauweisse Zone mit wolkig verschwommenem inneren Rande zu unter-
scheiden, in welcher sich nur bei schiefer Beleuchtung Haufen von Pigment
nachweisen lassen.
Oft erscheint bei Vorhandensein ausgebreiteter hinterer Synecluen
die Pupille zum grossen Theile oder ihrer ganzen Ausdehnung nach getrübt.
Meistens beurkundet sich dadurch nur eine neben der Iritis einhergehende
Capsulitis. Die von Pigment gefärbten neoplastischen Säume des Pupillar-
randes verwaschen sich dann gegen das Centrum der Kapsel hin in ein
reines oder gelbliches Weiss, welches, unregelmässig vertheilt, fleckig
streifige Zeichnungen bedingt, zwischen denen der Augengrund bläulich
durchscheint. Oefters jedoch ist diese Trübung wirklich durch iritische
Producte veranlasst und wird allenfalls durch eine complicirende Capsulitis
280 Iritis; KranklieitsWld ; Gummen; Gianulationen ; Eiterlieschlag.
nur auffälliger gemacht. Die unter solchen Verhältnissen gegebenen Auf-
lagerungen auf die Vorderwand der Kapsel lassen, wenigstens bei schiefer
Beleuchtung und bewaffnetem Auge , stets den Gehalt an bi'aunem oder
schwarzem Pigment nachweisen. Gewöhnlich ist der Farbestoff schon dem
freien Auge bemerklich.
Vermöge seiner ungleichm'dssigen Vertheihing- bildet er in der trüben Pupille
bräunliche bis schwarze Flecken, welche oft Frücliten ähnlich auf baumartig ver-
zweigten, gleichartig gefärbten Streifen sitzen; oder es zeigt sich in der Sehe
ein Netzwerk unter einander verflochtener pigmentirter Fäden, welche mit dem
pigmentirten Exsudatsaume des Pupillarrandes zusammenhängen und in ihren
Maschen den Augengrund durchschimmern lassen.
Bisweilen ist das Pigment aber auch mehr gleichmässig vertheilt und so dicht
eingestreut in die die Pupille schliessende hautartige Neubildung, dass das Sehloch
bei flüchtiger Betrachtung die normale Schwärze beibehalten zu haben scheint und
dass erst bei genauerer Untersuchung die dunkelbraune oder selbst matt dinten-
schwarze Neoplasie erkannt wird.
8. Die Gummen und Granulationen sind schon ihrer Grösse halber sehr
auffällig und kaum zu verkennen. Die eigentlichen Gummen sind meistens
mohn- bis hirsekorngross und stellen Knoten mit kegeliger Spitze vor;
mitunter jedoch sind sie mehr kolbig oder warzenähnlich mit rundlichem
Kopfe. Sie ragen deutlich über die Vorderfläche der Iris hervor. Oft
stehen sie einzeln. Mitunter findet man sie zu einem warzigen Kranze
verbunden, welcher die Pupillarzone der Iris theilweise oder ganz deckt.
Ihre Farbe ist in lichten Regenbogenhäuten meistens gelblich grau oder von
reichlichem Gefassgehalte röthlich , bisweilen wohl auch zimmtbraun ; in
dunklen Augen aber lohbraun bis dunkelbraun.
Die grösseren Auswüchse, es mögen nun Gummen oder einfache Fleisch-
wärzchen sein, pflegen mehr ein kohlblumenähnliches Aussehen darzubieten.
Ihre Oberfläche ist in der Regel sehr rauh, drusig warzig, es wäre denn,
dass sie bis an die Descemet! reichen , wo sich die Oberfläche dann aus
mechanischen Gründen glättet. Sie zeigen oft eine schmutzige Fleischfarbe.
Mcht selten jedoch wird die Eöthe durch den Pigmentgehalt des Gefüges
ins Bräunliche und selbst entschieden Braune umgewandelt, namentlich
bei dunklen Regenbogenhäuten und nach längerem Bestände der Excres-
cenzen. Bisweilen veranlassen sie wiederholt Blutungen (Secondi). Aus-
wüchse, welche vermöge ihrer Zusammensetzung mehr zur Eiterung neigen,
reflectiren meistens ein mehr schmutziges Gelb, das bisweilen von dunklerem
Pigment gesprenkelt ist.
9. Bei der Iritis mit eitrigem Producta erscheint die Regenbogenhaut
öfters nur von einem dünnen florähnlichen trüben Beschläge überkleidet,
der Eiter stösst sich rasch los, mischt sich mit dem Kammerwasser, trübt
dasselbe und gibt ihm das Ansehen einer trüben Molke. Nicht selten
zeigen sich darin auch lichtere Flocken , welche sich allenthalben an den
Wänden der Kammer, unter andern auch an der hinteren Wand der Des-
cemeti niederschlagen und bei reichlicher Entwickelung sich am Boden des
Kammerraumes in Gestalt eines Hypopyum sammeln.
In anderen Fällen findet man die Iris stellenweise oder ihrer ganzen
Ausdehnung nach von gelblichen schmierigen rahmähnlichen Massen überJdeidet,
welche von ihrem Gehalt an Pigment und extravasirtem Blute öfters fleckig
oder gestriemt erscheinen und secundär durch ihre Schmelzung das Hypopyum
erzeugen. Sie lagern häufig in Form eines ganz gleichmässig dicken Stratum
Hypopynra ; Ursachen. 281
von grösserer oder gex'ingerer Miiclitigkcii der Iris und Kapseliniite auf.
Nicht selten j(>do('.Ii ist die Autlagei'uiig auch eine sehr unffleichmäsfiige, ja
öfters sieht man blos hier und da einzelne Fladen mit. wolkigen oder
streifigen Rändern.
Am häufigsten erscheinen solche Massen auf den Pvp'dlartheil beschränkt.
Sie bilden daselbst oft mächtige P/röpfe, welche die Pupille völlig verlegen
und mit strahl igen Altsläufern sicli über den centi-alen Theil der liegen-
bogenhaut hinüber erstrecken,
10. De?" eitrige Niederschlag, das Hypopyum , erhebt sich oft kaum
über die Höhe des Limbus conjunctivalis und wird nur bei sorgfältiger
Untersuchung in Gestalt eines schmalen eitergelben Streifens an der unteren
Cornealgrenze gefunden. In anderen Fällen reicht das Hj'popyum bis zum
unteren Eande der Pupille, seltener über das Sehloch hinaus, oder es erfüllt
ausnahmsweise die Kammer völlig. Meistens ist es nach oben flächen-
artig begrenzt, namentlich, wenn der flüssige Eiter an Masse überwiegt,
wo die mit jeder Lage des Bulbus ihre Lage wechselnde obere Grenzfläche
eine Ebene ist. Falls aber die placentaähnlichen Gei'innungen überwiegen,
kann die obere Grenze des Hypopyum auch eine sehr unebene sein.
Ahgeselieii davon, dass das Hypopyum liäiifig aus der Zerfällniss fester, der
Iris anhaftender Producte hervorgeht, wird niimlich auch bei primären Hypopyen
der flüssige Eiter oft binnen kurzem zum grossen Theile aufgesaugt, während die
festeren Gerinnungen der Resorption widerstehen und sich alhiiälig über das Niveau
des Hypopyum erheben. Mau findet die letzteren dann meistens in Gestalt von
Kkimpen, welche der Irisvorderfläche auflagern oder die Pupille pfropfartig schliessen.
Es ist unter solchen Umständen oft schwer zu entscheiden, ob das Hypopyum das
Primäre war, oder aus der theilweisen Schmelzung jener solideren Massen liervor-
gegangen ist. Verwechslungen mit dem Onyx sind in der Regel nicht schwer zu
meiden (S. 85).
Ursachen. Die Aetiologie der Iritis ist ungemein reich, indem 1 . fast
jede erheblichere Schädlichkeit, loelche das Auge trifft, direct oder indirect zur
Regenbogenhautentzündung führen kann, a) Zu den mechanischen Schädlich-
keiten, welche am häufigsten eine Iritis anregen, gehören : fremde Körper,
welche längere Zeit im Conjunctivalsacke haften oder in der Cornea stecken;
Dehnungen, Zerrungen und wirkliche Zusammenhangstrennungen der Iris,
sie mögen nun zuföUig oder auf operativem Wege gesetzt worden sein ;
die mechanische Einwirkung eines in die vordere Kammer gelangten fremden
Körpei's (Homer) oder losgelösten Staai'stückes, einer vorgefallenen Linse;
Bloslegungeu der Kegenbogenhaut in Folge durchdringender Substanzverluste
oder ausgedehnter Zerstörungen der Cornea, b) Als chemische Schädlichkeiten
sind aufzufassen : die Einwirkung scharfer ätzender Stoffe auf das Auge,
namentlich unzweckmässige Anwendung reizender Salben , Augenwässer
Aetzmittel u. s. w. c) Unter den physikalischen Schädlichkeiten spielt
wahrscheinlich rascher Wechsel sehr verschiedener Temperaturgrade und
deren nächste Folge, Erhitzung und Verkühlung, eine Eolle. Ueberdies
ist auch die Einwirkung sehr hoher Lichtgrade und in specie greller
Lichtcontraste auf das Auge zu den möglichen Veranlassungen der Iritis
zu zählen, d) Unter den functionellen Schädlichkeiten stehen übermässige
Anstrengungen des Auges behufs deutlichen Sehens in erster Reihe.
2. Häufig ist die Regenbogenhautentzündung eine secundäre, die Folge
der Forlpflanzung des Processes auf die Iris von Organen, welche mit dieser
282 Iritis ; Ursachen ; Secundäre Iritis ; Syphilis.
in anatomischem oder functionellem Verbände stehen. Die Chorioiditis paart
sich in solcher Weise sehr oft mit Iritis, am häufigsten aber die Keratitis.
Die Fähigkeit, sich gegenseitig ßeizzustände mitzutheilen und so Ent-
zündungen anzuregen, ist übrigens nicht blos auf die einzelnen Organe
eines und desselben Augapfels beschränkt. Viele in neuerer Zeit gemachte
Beobachtungen sprechen dafür, dass Entzündungen des einen Bulbus,
namentlich die Iritis und die Iridochorioiditis , unter gewissen ausnahms-
iveisen Verhältnissen durch Vermittelung des Nervensystems auf sympathischem
Wege den anderen Bulbus in Mitleidenschaft zu ziehen und daselbst wieder
eine Iritis zu erzeugen im Stande sind (Siehe Iridochorioiditis).
3. Endlich sind noch gewisse Allgemeinleiden als mögliche Veranlassung
von entzündlichen Processen zu nennen, welche sich bald auf die Iris
beschränken, bald aber auch in der Eorm einer Panophthalmitis suppurativa
(siehe diese) sich geltend machen.
So soll Iritis mit Hypopyumbildung in intermittirender Form als Ausdruck
einer durch Malaria bedingten vasomotorischen Infectionsneurose vorkommen und
gleich anderen larvirten Wechselfiebern durch Chinin heilbar sein (Staub, Eulenhurg).
Am häufigsten unter allen sogenannten Dyscrasien führt die Syphilis
zur Regenbogenhautentzündung ; ja man kann sagen, ein ansehnliches
Procent aller vorkommenden Iritiden ruhe auf syphilitischer Basis. In
der Regel tritt unter solchen Verhältnissen die Iritis auf, ohie dass eine
nachweisbare äussere Schädlichkeit auf das Auge gewirkt hätte. Bisweilen
jedoch gibt eine der vorgenannten Gelegenheitsursachen den eigentlichen
Anstoss. Meistens kömmt es zur Iritis erst nach längerem Bestände und
mannigfachen anderweitigen Localisationen der allgemeinen Syphilis. Doch
kann auch das Gegentheil stattfinden , die Iris unter den erstergriffenen
Organen sein, oder geradezu den Reigen der örthchen secundär sypliiliti-
schen Leiden eröffnen.
Besonders häufig ist die Combination der Iritis syphilitica mit papulösen Haut-
sypMliden. Man hat darum auch vielseitig einen besonderen Causalnexus zwischen
diesen beiden Affectionen angenommen, um so mehr, als eben die Iritis gar nicht
selten gerade während der Eruption eines solchen Syphilides zu Stande kömmt. Es
lässt sich das Zusammentrefifen der Iritis und der Papula syphilitica indessen viel
leichter daraus erklären, dass dieses Syphilid überhaupt eine der häufigsten Kund-
gebungen des Allgemeinleidens ist. Uebrigens stösst man oft genug auf unab-
weisbar syphilitische Regenbogenhautentzünduugen, neben welchen sich keine Spur
eines vorhandenen oder abgelaufenen Haut syphilides entdecken , oder auch nur
auamnestisch nachweisen lässt ; der syphilitische Charakter des Augenleidens verräth
sich aber durch die Anwesenheit von syphilitischen Geschwüren im Rachen u. s. w. ;
oder bei Abgang aller anderen eigenthümlichen Localaffectionen durch die der
allgemeinen Syphilis fast durchwegs zukommenden Anschwellungen der Lymphdrüsen
in der Nacken-, Achsel-, Cubital- oder wenigstens in der Leistengegend und durch
die Nachweisbarkeit einer Schaukernarbe.
Wo die secundäre Syphilis sich durch keine der ihr eigenthümlichen Local-
affectionen, selbst nicht durch die Anschwellung der Lymphdrüsen, äusserlich kund
gibt, dort fehlt jeder Anhaltsjninkt , um eine vorhandene Iritis durch Syphilis be-
gründet zu erachten, selbst wenn ein primäres syphilitisches Geschwür vorhanden
oder vorausgegangen wäre. Es kann dann allerdings die Iritis noch den syphili-
tischen Charakter tragen und man wird Grund haben, dieses in der Therapie zu
berücksichtigen, wenn sie ohne entsprechende äussere Veranlassung während dem
Bestände des primären Geschwüres oder kurze Zeit nach dessen Verheilung hervor-
tritt; eben so gut kann aber unter solchen Umständen die Iritis auch eine genuine
im eigentlichsten Wortsinne sein. Die Entscheidung ist dann gewöhnlich erst auf
Grundlage der therapeutischen Resultate fällbar j die syphilitische Natur ergibt sich
Iritis sypliil. bei Neugel)ornen ; Vorkommen; Verlauf. 283
aus der Unzulänglichkeit der cinfaclicu Antiphlogose und der Nothwendigkeit und
Wirksamkeit antisyphilitischer Mittel.
Man hat vielfach behauptet, die Sijphilis drücke der Ite(jenhofjeiihantentzüudun<j
ganz hesondere, keiner andercH äüoloijisclien Form der Tritia rutkommende Merkmale
auf, und man könne sohin aus dem Kranklu^itsbilde der Iritis als solchem allein und
mit Bestimmtheit den syphilitischen oder nicht syphilitischen Charakter des Leidens
erkennen. Dies ist jedoch entschieden ein Irrfhiim, wie zum Theile sciion daraus
hervorgeht, dass verschiedene Augenärzte der Iritis syphilitica ganz vemchiedeae
Symptome beimessen. Es gibt kein locales Symijtom und keine C'ovdnnation von
localen Krankheitsey-scheinungen, welche eine gegebene Iritis zur syxihililischen stempeln
Hessen und umgekehrt kann jede Iritis, welches auch ihr specielles Krankheitsliild
wäre, durch Syphilis bedingt sein, folglich eine autisyphilitische Behandlung
erheischen.
Der syphilillsclie Charakter einer Iritis kann nur erschlossen werden aus
dem bestimmten Nachweis einer allgemeinen Syphilis. Dazu bedarf es gewisser
Veränderungen am ühricjen Körper, des Vorhandenseins von Hautsyplii-
liden, Rachengeschwüren etc. oder mindestens der eigenthümlichen An-
schwellungen der Lymphdrüsen. Im Allgemeinen kann man sagen, dass
dort, wo die Lues universalis durch derartige Localisationen dargethan ist,
der syphilitische Charakter einer gleichzeitig gegebenen Iritis mehr als
wahrscheinlich sei ; dass im gegentheiligen Falle aber aus der Anamnese
bisweilen wohl Verdachtsgründe sich ergeben , niemals aber Prämissen für
ein bestimmtes Urtheil.
Vorkommen. Die Iritis kömmt in jedem Lebensalter vor. Es ver-
eitelt dieselbe gar oft den günstigen Erfolg von Staaroperationen im höchsten
Greisenalter und wird auch während den ersten Lebenstagen an Neu-
geborenen beobachtet , ja es liegen sogar Erfahrungen vor , welche die
Möglichkeit einer Iritis während des Fötallebens annehmbar machen [Himly,
Pagenstecher). Jedenfalls liefert die mittlere Lebensperiode vom 21. bis zum
40. oder 50. Jahre das grösste Contingent, ein Verhältniss, welchem die
grössere Häufigkeit traumatischer Einflüsse und der allgemeinen Syphilis
in diesem Alter nicht fremd sein dürfte. Das Geschlecht scheint keinen
besoiideren Einfluss auf das leichtere oder schwierigere Zustandekommen
der Iritis auszuüben. Ob dunkle Irides und die linke Regenbogenhaut
besonders disponiren, wie Manche glauben, ist dermalen noch nicht genügend
aufgeklärt.
Eine specielle Erwähnung verdient das Vorkommen syphilitischer Iritiden bei
Kindern in den ersten Lebensm,onaten. Sie werden leicht übersehen, da sie unter
wenig auffälligen äusseren Erscheinungen sehr heimtückisch zu verlaufen pflegen.
Die gewöhnlichen Begleiter solcher Iritiden : syphilitische Hautausschläge, Aphthen,
Condylome am After u. s. w. lassen die Syphilis unschwer ermitteln. Es stammen
derlei Kinder in der Regel von Müttern, welche in einer der Geburtsperiode nicht
fernen Zeit syphilitisch geworden waren. Gut genährte Kinder sollen mehr disponiren,
als verkümmerte (Hutchinson).
Verlauf. Man spricht fast allgemein von acuten und chronischen Regen-
bogenhautentzündungen. In der That kommen häufig Iritiden vor, welche
binnen wenigen Tagen ihren Gipfelpunkt erreichen , rasch Produete setzen
und ebenso schnell wieder zurückgehen : während in anderen Fällen der
Process nur sehr allmälig Produete liefert und, bald remittirend bald exa-
cerbirend, Wochen und Monate dahinschleicht, ehe er sich seinen Ausgängen
zuwendet. Es sind dieses indessen blos Extreme, die durch eine unendliche
Zahl unmittelbarer mit einander zusammenhängender Zwischenglieder gegen-
seitig verbunden werden und in der Praxis häufig insoferne ihre Bedeu-
284 Iritis-; Verlauf; Ausgänge.
tung verlieren , als acute Iritiden nicht selten in den chronischen Verlauf
einlenken, umgekehrt aber exquisit chronische Processe zeitweilig exacer-
biren und alle Charaktere der acutesten Entzündung darbieten können.
Das ätiologische Moment hat jedenfalls EinfLuss aiif das raschere oder
langsamere Ablaufen des Processes. ßegenbogenhautentzündungen, welche
durch äussere reizende Schädlichkeiten veranlasst werden, neigen immer mehr
zum acuten Verlaufe und dieser pflegt um so rascher zu sein, je bedeutender
die durch die Schädlichkeit unmittelbar gesetzte Störung gewesen ist. Die
syphilitische Iritis ist auch in dieser Beziehung ein Proteus, bald acut, bald
chronisch in der ausgedehntesten Bedeutung des Wortes. Die secundären
Iritiden pflegen sich rücksichtlich des Verlaufes nach dem primären Leiden
zu richten. Wo passive Hyperämie oder Sympathie den vorwaltenden Grund
abgegeben haben, ist der A^erlauf meistens ein chronischer.
Mit vorderer Synechie gepaarte ectatische tlornhautnarhen sowie totale
oder nahezu totale hintere Synechien des Pupillarrandes pflegen die sie bedin-
gende Iritis Wochen und Monate laug zu unterhalten und jedenfalls
eine so bedeutende Neigung zu Recidiven zu begründen, dass die geringste
Schädlichkeit Jiinreicht, um den Process von Neuem wieder anzufachen. In
der That kommen solche Fälle ziemlich häufig vor, in welchen der Kranke
mit kürzeren oder längeren Unterbrechungen Jahre lang von chronischen
Regenbogenhautentzündungen geplagt wird. Meistens gesellt sich früher
oder später Chorioiditis und Netzhautentzündung hinzu, wenn diese nicht
schon von vorneherein die Iritis begleiteten oder ihr vorausgingen, und
dann ist gewöhnlich Atrophie des ganzen Bulbus das Endresultat (Siehe
Iridochorioiditis).
Ausgänge. Das procentarische Verhältniss der Heilungen ist bei der
Iritis im Allgemeinen ein günstiges. Oft genug jedoch hinterlässt die Ent-
zündung auch Folgezustände, welche die Functionsfähigkeit des Auges mehr
weniger in Frage stellen oder ganz vernichten. In Betreff dieser letzteren
muss man unterscheiden zwischen A'eränderungen, welche die constituirenden
Elemente der Iris selber erleiden und zwischen Alterationen, welche ihren
Grund in den weiteren Wandlungen der oben erwähnten, von der Iris
sich deutlich abhebenden, entzündlichen Neubildungen finden. Häufig genug
sind freilich krankhafte Zustände beider Arten in der mannigfaltigsten
Mischung das Endergebniss des Processes. Oefter jedoch kehrt das Regen-
bogenhaut gefüge als solches zur Norm zurück, während Neubildungen, in
ständige Formen übergehend, den Functionen des Auges hinderlich in den
Weg treten. Am seltensten büsst das Irisgefüge seine normalen Charaktere
ein, während die Gewebswucherung nicht reichlich genug war, um Neu-
bildungen zu Stande zu bringen.
1. Das entzündete Irisgewebe erlangt begreiflicher Weise seine Integrität
um so leichter wieder, je weniger es durch die Wucherung bereits alte-
rirt worden ist. Kurzer Bestand und geringe Intensität des Processes im
Vereine mit leichter Entfernbarkeit der die Entzündung unterhaltenden
Momente sind der Wiederherstellung der Norm besonders günstig. Im
Gegentheile aber gewähren längerer Bestand der Iritis trotz geringerer
Intensität derselben, sowie grosse Intensität des Processes und massenhafte
Entwickehmg neuer Elemente trotz kurzem Bestände des Leidens weniger
Aussicht auf vollständige Heilung, besonders wenn die Beseitigung des
Irisscliwuiitl ; Schwartenbildung. 285
ätiologischen Momentes Schwierigkeiten bietet. Unter solchen Umstünden
ist Atrophie ein sehr gewöhnlicher Ausgang. Am schlmmsten aber gestaltet
sich die Vorhersage, wenn die Iritis mit Chorioiditis cinhergeht, denn dann
werden die Ernährungsverhältnisse des gesammten Augapfels in hohem Grade
gefährdet (Siehe Iridochorioiditis).
Der Schwund als solcher lässt sich bald als ein Zerfallen der Elemente
in resorptionsfähige Stoße mit nachträglicher Abfulir derselben durch die
Gefasse definiren ; bald ist er eine Verwandlung des wucherndeii Gefüges in
derbe narbenähnliche Massen, eine Art Schrumpfung, Ohsolescenz. Häufig
finden sich beide Formen der Atrophie neben einander. Sie beschränken sich
bisweilen auf Theile der Iris, namentlich wenn dieselben einer Zerrung
durch Synechien ausgesetzt sind. In der Regel aber atrophirt die Regen-
bogenhaut ihrer Totalität nach.
Die Atrophie beurkundet sich in lichten Regenbogenhäuten durch Ver-
färbung derselben in sehr schmutzige Töne des Schiefergrauen bis Graphit-
farbenen ; während braune Irides ein schmutzig rost- oder lohfarbenes,
mitunter selbst fahles erdfarbenes Colorit annehmen. Die normale Zeich-
nung der Iris ist verschwunden, die mannigfaltig verzweigten, arcadenförmig
verbundenen Gefasse sind grösstentheils oder ganz zu Grunde gegangen.
An deren Statt findet man häufig ganz unregelmässig vertheilte, theils
geradlinige, theils bäum- und netzartig verzweigte, sehnenähnliche Streifen,
bisweilen untermischt mit eben solchen Flecken, deren Grenzen wolkig
verschwommen oder gefranst erscheinen. Diese sehnenähnlichen Neubil-
dungen stechen durch ihre weisse oder bläulich graue, bisweilen auch
ziemlich lebhaft gelbe Färbung und den seidenähnlichen Glanz sehr deut-
lich von dem matten dunkelfarbigen Grunde ab und modificiren je nach
ihrer grösseren oder geringeren Masse wesentlich das ganze Ansehen der
Regenbogenhaut. Sie sind sehr fest und zähe. Wo sie in reichlicher Menge
entwickelt wurden, erscheint die Consistenz der Iris vermehrt, oft in dem
Grade, dass letztere nur schwer einreisst und dabei ein knatterndes Ge-
i'äusch verursacht. Wo sie hingegen nur spärlich ausgebildet wurden oder
ganz fehlen, findet man die Regenbogenhaut gewöhnlich matsch, leicht zer-
reisslich, ja selbst zunderähnlich morsch, so dass sie beim geringsten Ein-
griffe schon in Fetzen zerfährt. Dabei ist die Iris meistens verdünnt, selten
schwammartig aufgebläht. Die Verdünnung geht bisweilen so weit, dass
die Regenbogenhaut nur mehr ein Üorähnliches, äusserst zartes, durch-
scheinendes Häutchen darstellt. Es ist diese Entartung in der Regel mit
Schwartenbildung an der hinteren Iriswand verknüpft und wird nicht leicht
bei einer einfachen Iritis gefunden, sondern ist fast constant ein Ausgang
von IridoJcyklitis oder Iridochorioiditis.
Die schmutzig graiie graphitähnliche Färbung der dünnsten Stellen ist eben
nur der Ausdruck für diese Durchscheinbarkeit, sie ist im Wesentlichen nichts
anderes, als das Durchschlagen des schwarzen Augengruudes durch das rariticirte
Irisgewehe. Dieses hat eine ganz structurlose moleculirte Grundlage, in welcher
nur hier und da Züge oder förmliche Netzwerke von Bindegewebe gefunden werden,
und welche freies Pigment, höchst mannigfaltig gestaltete , zum Theile im fettigen
Zerfall begriffene Pigmentzellen, Fettkörner, freie Kerne, Choloidkugeln etc. in
wechselnden Mengen enthält. Die sehnenälinliclien Streifen und Flecke, welche sich
mitunter als feine Pseiidohäutchen über die Oberfläche der Regenbogenhaut hinzielien,
gewöhnlich aber tief in deren Substanz eingreifen oder die Iris ihrer ganzen Dicke
nach durchsetzen, tragen gleich den au der Hinlerwand befindlichen Schwarten
(Schiess - Gemuseus) den Charakter pigmentführenden verödenden Bindegewebes.
286 Iritis; Ausgänge; Papillöse Auswüchse; Hintere Synechien.
An der Oberfläche ausgebreiteter neoplastischer Schwarten zeigt sich das Gefüge
bisweilen durchscheinend, überaus derb, unbestimmt faserstreifig oder völlig structur-
los und ähnelt sehr dem der Glashäute. Manche sehen dai'in wirklich neugebildete
Glashäiite, welche durch schichtweise Aussonderung eines eigenthümlichen erstar-
renden Productes an der Oberfläche der Schwarten zu Stande gekommen sind
(Donders, C'occiusJ. Es scheint jedoch, dass diese Erklärung nur für jene Fälle
Platz greifen könne , in welchen wegen völliger Aufhebung der Vorderkammer die
sehnenähnlichen Neoplasien in unmittelbare Berührung mit der Descemeti gelangt
oder mit dieser gar verMebt sind (Graefe), wo sonach eine Ausscheidung von Seite
dieser Membran annehmbar wird. Wo aber die Kammer als Raum noch besteht,
die Descemeti also ausser Spiel bleibt, hat jene Ableitung jedenfalls etwas gezwun-
genes und kann gegenüber dem direden Nachweise des Hervorgehens jener structur-
losen Schichte aus den obsolescirenden oberflächlichsten Lagen der neoplastischen
Schwarten (Junge) kaum aufrecht erhalten werden. Die viusculösen Faserzellen des
Schliessmiiskels findet man entweder in Verfetti^uno: be£crift'en, oder sie sind bereits
völlig geschwunden. Statt ihrer erscheint dann ein plattes Bündel zarter binde-
gewebiger Ringfasern mit zwischengestreutem fettigen Detritus und Pigment. Auch
die Nerven atropliiren gewöhnlich rasch und gehen ganz unter. Von den Gefässen
findet man häufig zahlreiche Reste in atheromatosem Zustande oder völlig obliterirt
und in regressiver Metamorphose weit vorgeschritten. Mitunter stellen solche Gefäss-
übei-bleibsel die Hauptmasse einzelner Irispartien dar. Dazwischen streichen nicht
selten andere noch gangbare Gefässe, welche dann oft enorm ausgedehnt sind, so
dass sie sogar mit freiem Auge und am Lebenden als ganz unregelmässig hin und
hergebogene Stämme venösen Ansehens an der Oberfläche der Iris wahrgenommen
werden können. Diese Alterationen der Gefässe erklären die bei Verletzungen der
atrophirten Iris vorkommenden sehr profusen Blutungen. Die hintere Begren-
zungsschichte ist fast immer in den schrumpfenden Schwarten aufgegangen.
Es versteht sich vou selbst, dass unter solchen Verhältnissen die
Functionen der Iris immer vollständig darnieder Liegen. Es bekundet sich
dieses einerseits durch völlige Unheweglichkeit der Pupille und Aufhebung des
Accommodatioiisvei-mögens, andererseits aber auch oft durch auffällige Lage-
veränderungen und dureli Verlust der normalen Spannung der Iris.
2. a) Papillöse Auswüchse am Puinllarrande bilden sich häufig wieder
vollständig zurück, so dass die durch sie bedingten hinteren Synechien zu
bestehen aufliören. Sie reissen unter der Wirkung der wiedererwachenden
Muskelthätigkeit der Iris ein, oft nachdem sie zvi dünnen Fäden ausgezogen
worden sind. Eire Ueberbleibsel werden leicht durch die Aufsaugung ent-
fernt oder schrumpfen, so dass sie dem freien Auge unmerkbar werden.
Doch geschieht es auch nicht gerade selten, dass an der Vorderkapsel als
Merkzeichen vorhanden gewesener dei'artiger Synechien stark pigmentirte
kleine Flecke zurückbleiben, welche bei der Untersuchung mit dem Augen-
spiegel oder mit scliiefer Beleuchtung sehr deutlich hervortreten.
Oft indessen werden solche papillöse Excrescenzen in ihrer ursprüng-
lichen Form, oder zu mehr weniger langen Fäden ausgesponnen, ständig.
Sie äussern sich durch bleibende Verziehungen der Pupille und, bei einiger
Erweitei'ung der letzteren, durch sehr scharf vorspringende Winkel, welche
der Pupillarrand an seinen Anheftungsstellen bildet. Bei stärker contrahirtem
Sphincter, also besonders bei heller Beleuchtung des Auges und kräftigen
Accoramodationsanstrengungen, entziehen sich kleinere Auswüchse gerne der
Wahrnehmung. Da sie nämlich zumeist an der Handfläche selbst sitzen,
geschieht es nicht selten, dass der nach Ablauf der Entzündung wieder
vollkommen tüchtig gewordene Schliessmuskel bei entsprechenden An-
regungen sich über die Anheftungen hinioeg dem Centrum des Sehloches
nähert, dass sonach die hinteren Synecliien durch die mitgezerrte Pupillar-
zone der Iris völlig gedeckt werden und die Sehe ganz rund erscheint.
Restirende Pupillarmembran; Centi'alkapsolstaar ; Falsche Staare. 287
trotzdem ihr Rand an vielen Stellen, und zwar in verschiedenen Ab-
ständen von dem Mittelpunkte, an der Kapsel festliängt. Es muss dann
der Sphincter durch M}driatica gelähmt werden , um die Synechien und
die dadurch bedingte Unregelmässigkeit der Pupillen zur Wahrnehmung
zu bringen.
Wenn unter solchen Verhältnissen die Iritis recidiviri, so kann es
leicht geschehen, dass Theile aus der Breite der Iris mit der Kapsel ver-
löthen und die Verbindungsmassen, zu Strängen ausgedehnt, wie Brücken
über den Pupillai-rand hinüberziehen (S. 274). Es scheint, dass solche
Gebilde es sind, welche in neuerer Zeit mehrfach als Reste der Fupillar-
memhran beschrieben worden sind (H. Colin, Keyser, Korn, 0. Becker).
Jedenfalls lassen sich dieselben mit den anatomischen Verhältnissen der
Pupillarmembran (Ammon, Schoeler) schwer zusammenreimen.
Ausnahmsweise indessen wird allerdings selbst eine totale hintere Synechie
durch Muskelwirkung der Iris icieder gelöst. War dabei die Pupille enge
gewesen und die Kapsel in deren Bereich von einer iritischen Neubildung
überdeckt worden, so bleibt diese nach Befreiung des Pupillarrandes bis-
weilen als ein kleiner, scharf begrenzter Fleck am Centrum der Kapsel
zurück, einen sogenannten Centralkapselstaar darstellend, welcher durch
cataractöse Umwandlung der hiutergelegenen Theile der Linse und deren
weitere Verkalkung an Dicke mächtig wachsen und selbst in einen
Pyramidenstaar übergehen kann.
h) Massenhaftere iritische Producte im Bereiche der Pupille werden immer
ständig. Sie schrumpfen dabei wohl etwas, behalten trotzdem aber nicht
selten eine ganz ansehnliche Dicke. Man pflegt diese neugebildeten Pfropfe
als rjalsche Staare'' zu beschreiben, ein Name, welcher durch die fast
constante Combination des fraglichen Zustandes mit Linsencataracta einiger-
massen gerechtfertigt erscheint. Falsche Staare sind demnach dasselbe,
was durch iritische Auflagerungen bedingte Kapselstaare, nur die Massenhaftig-
keit der Neoplasie unterscheidet erstere von den letzteren.
Man belegt die falschen Staare mit verschiedenen Specialnamen, welche sicli
auf die anatomischen Charaktere der Neubildung beziehen. So spricht man von
einem Lymphstaare, wenn die ständig gewoi'dene Neubildung ihrer äusseren Er-
scheinung nach sehnigem Geffige gleicht oder doch zum grössten Theile daraus
zusammengesetzt erscheint. Es ändert übrigens nichts an dem Namen, wenn eine
theilweise Verkreidung oder Verknöcheruvg aus den Symptomen wahrscheinlich wird.
Ist der Pfropf aber durch hämorrhagisches Extravasat blutig gefärbt oder gar der
Hauptmasse nach das Ueberbleibsel eines Blutcoagulums und wandelt sich dann
der Cruor in Pigment um, so führt die Neubildung den Namen Blutstaar, Cataracta
spuria cruenta oder grummosa. Als Pigmentstaar, Cataracta chorioidalis, wird gewöhn-
lich eine ständige, die Pupille schliessende, nicht sehr massenhafte Neubildung be-
schrieben, welche sehr reich an neoplastischem Pigmente ist und darum sehr
dunkle, baumartig verzweigte oder netzförmige Streifen, oder wohl auch eine
gleichmässige braune bis dintenschwarze Färbung wahrnehmen lässt.
c) Damit man von einem mit hinterer Synechie gepaarten Kapsel-
staare oder falschen Staare in der eben bezeichneten Bedeutung des Wortes
sprechen könne, wird vorausgesetzt, dass die Pupille als solche einen nicht
ganz unbedeutenden Durchmesser behalten habe. Es gescliieht nun aber nicht
gar selten, dass die Sehe bis auf Nadelkopfgi'össe zusammengezogen, oder
aber auf einen engen, meist zackig verlaufenden Spalt reducirt wird und
in dieser Form bleibend verharrt, indem eben durch neugebildetes Gefüge
eine Verwachsung des Pupillarrandes zu Stande gebracht wird. Diesen der
288 Iritis; Ausgänge; Atresia pupillae; Gummen; Hypopyum.
spontanen Heilung unfähigen Zustand nennt man Atresia pupillae, Ver-
schliessung des Sehloches. Die Atresie kömmt oft schon tvährend dem eigent-
lich entzündlichen Stadium zu Stande, eben so oft jedoch wird sie erst
nach dem Ablaufe der Iritis vollendet, indem das in das Sehloch ergossene
und in die Pupillarzone der Regenbogenhaut infiltrirte Product schrumpft
und so die Sehe mehr und mehr verengt.
Wo die Linse sammt Kapsel besteht, ist der Piipillarrand durch die das
Sehloch schliessende Neubildung immer mit dem Krystallkörper verwachsen und
darum auch gewöhnlich ein Kapselstaar gegeben. Es treten aber auch öfters nach
vöUigem Verluste der Linse Atresien der Pupille auf. Dann schwankt die Iris ent-
weder im Kamnierraume, oder sie ist trichterförmig nach hinten gezogen, indem der
Pfropf, welcher die Pupille schliesst, mit dem gewöhnlich sclion in bindegewebiger
Entartung und Schrumpfung begriffenen Olashörper in organischer Verbindung steht.
3. Gummen können auf den Ciliarkörper und die Chorioidea über-
gehen, ja sich über sämmtliche Gebilde des Augapfels verbreiten (Hippel).
In der Regel bleiben sie auf die Iris beschränkt und werden häufig rasch
wieder resorbirt. Sie können jedoch auch ständig werden, indem sie veröden. Die
kleineren schrumpfen dann in härtliche, mehr weniger pigmentirte Knötchen
zusammen, welche oft viel Fett und Kalk führen. Die grösseren Auswüchse
und die ihnen verwandten Granulationen hingegen verwandeln sich, wenn
sie veröden, in derbe sehnenähnliche pigmentirte Narbenmassen , welche
der Oberfläche der Iris entweder blos auflagern, oder in die Dicke der-
selben eingesprengt erscheinen.
Auch Eiterung ist kein ganz ungewöhnlicher Ausgang. Bei kleinen
Knoten kommt es freilich nur selten zur Eiterung und sohin zu geschioür-
ähnlichen Sxxbstanzverlusten, welche eine kleine strahlige Narbe zu hinter-
lassen pflegen ; grössere Gummen und flei schwär zchenähnllche Auswüchse
hingegen werden öfter durch Suppuration beseitigt. Namentlich neigen
jene Excrescenzen zur Eiterung, welche gleich von vorneherein eine mehr
gelbliche käseähnliche Fäi'bung zeigen. Das Resultat ist dann gewöhnlich
ein massiges Hypopyum.
4. Das Hypopyum als solches, es möge nun ein primäres oder ein
secundäres, d. i. aus der Schmelzung von entzündlichen Geschwülsten her-
vorgegangenes sein, bietet der Aufsaugung in der Regel keine besonderen
Schwierigkeiten. Diese sind um so geringer, je kleiner die in der Kammer
angesammelte Eitermasse ist und ein je geringeres Procent von festen
placentaähnlichen Gerinnungen sie enthält, je beweglicher sie also ist. In
der That reichen bisweilen wenige Stunden hin, um selbst ansehnliche
Hypopyen verschwinden zu machen ; während in anderen Fällen Tage und
auch Wochen dazu erforderlich sind. Uebrigens ist die Aufsaugung keines-
wegs immer eine stetig fortschreitende, öfters macht sich ein abwechselndes
Steigen und Fallen des Hypopyum bemerklich, ja nicht selten verschwindet
dieses im Laufe einer Iritis mehrmals, um immer wieder hervorzutreten,
bis endlich der Process zum Abschlüsse gelangt.
Häufig genug indessen führt die mit Hypopyum einhergehende Iritis
zu krankhaften Zuständen, welche die Functionstüchtigkeit des Auges sehr
beeinträchtigen. Einerseits nämlich sind in derartigen Fällen reichliche Ent-
wickelungen papillöser Auswüchse am Pupillarrande Regel , und überdies
degenerative Atrophien der Iris nach so intensiven Processen etwas sehr häufiges;
andererseits aber ist die Aufsaugung des Hypopyum nicht immer eine voll-
Ilypopyum; nehandlung ; Causalinclication. 289
ständige, es bleibon Tlicilc desselben im Inneren des Auges zurück. Nament-
lich bei massenhafleren Eiteransamralungen in der Kammer gehört ein völliges
Verschwinden zu den selteneren Ereignissen , obgleich ni(;]it zu läugnen ist,
dass mitunter selbst Hypopyen rasch und völlig rcsorbirt werden, welche
den ganzen Kammerraum ausfüllen. Es sind vorzüglich die placentaartigen
Gerinnungen im Hypopyum, welche gerne ständige Formen eingehen. Ein
Theil derselben wandelt sich nämlich zu derben sehnigen Massen um,
während der liest verkalkt und verfettiget.
Am häufigsten finden sich solche Neubildungen nach Hypopyum an
der tiefsten Stelle des Kammerraumes. Sie füllen hier die falzähnliche
Peripherie der Kammer in wechselnder Höhe aus und setzen sich in Gestalt
wolkig streifiger Flecken auf die Descemeti und Irisvorderfläche fort, diese
in grösserer oder geringerer Ausdehnung überkleidend. Nach sehr umfang-
reichen Hypopyen bleibt wohl auch die ganze hintere und vordere Wand
der Kammer von derartigen Auflagerungen gedeckt. Im Bereiche der Pupille
pflegen die letzteren dann besonders massenreich zu sein und einen
mächtigen Pfropf zu bilden, der das Sehloch völlig verlegt und eine
Cataracta lymphatica spuria darstellt.
Es setzen diese Zustände voraus, dass die Cornea ihre Integrität zu
bewahren im Stande war, was häufig der Fall nicht ist. Oft nämlich
entwickeln sich suppurative Iritiden gleich von vorneherein in Gesellschaft
von eiteriger Keratitis, oder aber es pflanzt sich im Verlaufe der Regen-
bogenhautentzündung der Process von der Iris auf die Cornea fort, diese
wird theilweise geschwürig zerstört, durchbrochen und so dem Ilypopijum-
eiter ein Abzugsweg eröffnet. Nicht gar selten findet damit der Process
sein Ziel , die Iritis geht zurück und zu deren Eolgezuständen gesellen
sich jene eines perforirenden Hoi'nhautgeschwüres. Oefter hingegen schreitet
der Process noch weiter, der Augapfel geht durch Atrophie oder durch
Phthise zu Grunde, indem auch die tiefer gelegenen Binnenorgane des Bulbus
in den Process verwickelt werden. Bei sehr grossen Eitei'ansammlungen
in der Kammer ist ein solcher TJebergang der Iritis in Parioplühalmitis
suppurativa sogar ziemlich gewöhnlich und erfolgt entweder vor dem eitrigen
Durchbruche der Cornea oder um so sicherer nachträglich. (Siehe Chorioiditis
suppurativa).
Behandlung. Die Aufgaben der Therapie sind: Entfeniung des etwa
noch fortwirkenden ätiologischen Momentes und Abhaltung aller Schädlichkeiten,
welche den Entzündungsprocess unterhalten oder gar steigern könnten ;
Beschränkung und Unterdrückung der Gewebswucherung , Herabsetzung des
quantitativ gesteigerten Ernährungsprocesses auf das normale Mass; Ver-
hütung der durch iritische Neubildungen möglicher Weise zu begründenden
Schäden und, falls dieses nicht gelingt, directe Beseitigung derselben oder
Verminderung der durch sie gesetzten Functionsstörungen des Auges.
1. Um der Causalindication zu genügen, werden a) nicht gar selten
operative Eingriffe nothwendig. Wo fremde Körper, welche in der Binde-
haut, in der Cornea oder im Inneren der Augapfelhöhle stecken, den
nächsten Grund der Iritis abgeben, ist deren operative Entfernung dringende
Pflicht des behandelnden Arztes, da widrigenfalls der Bulbus in der Regel
völlig zu Grunde geht oder doch functionsuutüchtig wird. Aehnliches gilt
auch von jenen Fällen, in welchen die Linse in die Vorderkammer gefallen ist,
S teil wag, Äugenlieilkunde. 19
290 Iritis; Behandlung; Oausalindication; Schmierkuj'.
oder Staarstücke sich losgelöst haben und in der ^'orderkammer lagernd die
Iris reizen, oder wo eine zerstückelte Linse sieh mächtig aufbläht und die
Eegenbogenhaut auf mechanischem Wege dehnt oder zerrt. Die Extraction
wird dann von Vielen als dringend anerkannt und so rasch als möglich
ausgeführt. Doch können später zu erörternde Gründe die Iridectomie oder
gar das Zuwarten als zweckentsprechender erscheinen lassen. Wo Grund vor-
handen ist, eine gegebene Iritis durch Mitleidenschaft an einem entzündlichen
Processe des anderen Auges begründet zu erachten, kann an letzterem die
Anlegung einer künstlichen Pupille geboten, unter Umständen sogar die Enucleation
des Bidbiis räthlich erscheinen. Bei chronischen , immerfort recidivirenden
Regenbogenhautentzündungen, die durch vorhandene Synechien des Pupillarrandes
unterhalten oder doch begünstigt icerden, säume man nicht mit der Coremorphose,
da bei deren Hinausschiebung die gegen die Entzündung gerichtete Therapie
einen nur zeitweiligen Erfolg zu haben pflegt, überdies aber mit jeder
Eecidive die Gefahr des Schwundes wächst und die Aussicht auf Her-
stellung eines gewissen Grades von Sehvermögen abnimmt. Man benützt
zur Dui'chführung der Operation am besten die erste bedeutendere Remission.
So lange die Entzündungserscheinungen noch einigermassen erheblich sind,
pflegt der Eingriff sehr schmerzhaft zu sein; oft kömmt es auch zu reich-
lichen Blutergüssen und in weiterer Folge zur Wiederverschliessung der neu
eröffneten Pupille ; überhaupt aber ist die Gefahr einer starken Eeaction
eine grosse und die Aussicht auf einen vollen Erfolg daher eine geringere.
b) Im Uebrigen fordert die Iritis ein strenges diätetisches Verhalten.
Bei der hohen Gefahr, welche jeder Regenbogenhautentzündung anklebt,
selbst wenn sie unter unscheinbaren Symptomen verläuft, kann die Wach-
samkeit des Arztes und die Sorge um thunlichste Abhaltung aller möglichen
Schädlichkeiten vom Auge nicht gross genug sein. Grösste körperliche und
geistige Eulie des Kranken, Aufenthalt desselben in einem dunklen Zimmer,
Bettlage, Vermeidung jeder, auch der geringsten Anstrengung der Augen,
Beseitigung aller Gelegenlieiten zu Blutwallungen und Blutstockungen etc.
sind sreradezu unerlässlich.
»^
c) Ganz besondere causale Indicationen fliessen aus der dyscratischen
Begründung vieler llegenbogenhautentzündungen.
Bei der Iritis syphilitica kömmt insbesondere die Schnelligkeit in
Betracht, mit welcher der Process Zustände begründen kann, die, einmal
gesetzt, nur schwer wieder beseitigt werden oder jedem therapeutischen
Verfahren widerstehen und die Functionen des Auges dauernd beirren
oder auflieben. Es handelt sich also darum, das Grundleiden mit Mitteln
anzugreifen, welche in der kürzesten Zeit möglichst kräftig und sicher ivirken,
dabei aber den Gesammtorganismus nicht leicht schädigen, also nur aus-
nahmsweise Nebenwirkungen entfalten, welche die Unterbrechung der Kur
gebieterisch fordern könnten zu einer Zeit, in welcher die Iritis noch
nicht behoben ist und das Grundleiden als solches fortbesteht. Am besten
entspricht erfahrungsmässig allen diesen Anfordeningen eine gut geleitete
Schmierkur (S. 31) , daher denn auch in einschlägigen Fällen sogleich mit
ihr zu beginnen ist, es wäre denn, dass die Unverträglichkeit derselben
bereits festgestellt ist. Das Hemmtändeln mit den übrigen Mercurialien
und andei'en unverlässlichen Mittelchen straft sich oft bitter.
Itulicatio moibi; Ahopiii; I'aracentosis corneae. 291
2. Die Indicatio mnrhl und dio ihr entRprechendo Behandlung der Iritia
als solchen richtet sich im Wesentlichen nach der Intensität des Processes
lind der denselben begleitenden Gefüss- und Nervenstörungen. Im Ganzen
genommen gelten hier dieselben Hegeln, welche bei der directen Behandlung
der Keratitis und jeder anderweitigen Entzündung zu beachten sind, der
Process ist allenthalben derselbe, nur das Substrat ist ein verschiedenes
(S. G6. 1).
Eine Reihe höchst wichtiger und vom Anbeginne der Iritis urgirender
Indicationen fliesst aus dem so häufigen Auftreten gewisser Neubildungen und
zielt auf die Verhütung fuiictionsstörender ständiger Ausgänge.
a) Die hervorragendste Rolle spielen in dieser Beziehung die papillösen
Auswüchse des Pupillarrandes und die dadurch bedingten Anheftungen der
Iris an die vordere Kapsel. Es gibt nämlich kaum eine Iritis, bei welcher
nicht eine oder die andere papillöse Excrescenz zu Stande käme oder
wenigstens die Gefahr einer theilweisen Verklebung des Pupillari'andes mit
der Kapsel drohte. Es ergibt sich daraus die Nothwendigkeit, von vorne-
herein die auf Beschränkung und Unterdrückung der krankhaften Gewebs-
wucherung zielende Therapie mit täglich ein bis zwei Mal wiederholten
Einträufelungen starker Lösungen von neutralem schwefelsauren Atropin zu ver-
knüpfen, um frisch entstandenen hinteren Synechien so rasch als möglich
entgegenzutreten.
Allerdings macht sich bei einer ivahren und totalen Iritis die Wirkung der
Mydriatica nicht gleich auflallend geltend, es erfolgt eine Erweiterung der Pupille,
erst wenn der Process als solcher seinen Culminationspunkt überschritten hat und
die Muskelfasern unter Rückbildung der neu gebildeten Elemente wieder functions-
tüchtig geworden sind. Allein es ist nicht möglich, den Eintritt dieser Verhältnisse
der Zeit nach genau zu bestimmen und jedes Versäumniss straft sich durch zu-
nehmende Festigkeit der Adhäsionen und Erschwerung der Lösung. Die vorzeitige
Anwendung des Mydriaticums bezweckt, abgesehen von der antiphlogistischen Wir-
kung (S. 38), eben nur, der Erweiterung der Pupille den Weg zu bahnen, um sie
in dem Augenblicke, als die Muskelfasern die dazu erforderliche Freiheit gewinnen,
ins Werk zu setzen.
b) Weit seltener, aber um so entschiedener, treten Eiteransammlungen
im Kammerraume mit speciellen Anforderungen an die Therapie heran.
Der alte Glaube an die „schmelzende" Kraft der Mercurialien und der
Jodpräparate hat sich in letzterer Zeit sehr gemindert ; dafür aber gewinnt
die directe Entleerung der Kammer durch die Paracentese der Hornhaut
immer mehr Freunde. Die Natur des Leidens bringt es mit sich, dass
diese Operation nicht stets von dem besten Erfolg geki'önt sein kann ;
immerhin darf man behaupten, dass die Paracentesis bei dem Hypopyum
die anderen Mittel an Wirksamkeit übertreffe und wo das Hj'popyum eine
bedeutende Grösse erreicht hat, thut man 2;ut mit der Entleerung nicht zu
zaudern und im Notlifalle dieselbe auch zu wiederholen. Je massenhafter
der angehäufte Eiter, je heftiger der Reizungszustand, je intensiver die
Circulationsstörung und die Nervenaufregung ist, um so dringender wird
die Anzeige, um so gefährlicher die Aufschiebung der Operation. Wo
bereits die tieferen Theile des Auges mitleiden, wo sich eine starke
Spannung der Bulbuskapsel bemerklich macht oder gar schon die Horn-
haut ergriffen ist und einen spontanen Durchbrueh befürchten lässt, da
ist die Gefahr auf das Höchste gestiegen und die sofortige Paracentese der
Hoimhaut in der Regel die Indicatio vitae für das betreffende Auge.
19*
292 Iritis; Nachbeliandlnng ; Lösung hinterer Synechien; Corelyse.
Die günstigen Resultate und die relative Gefahrlosigkeit der Paracentese
haben begreiflicherweise zu Erweiterungen der Indicationsgrenzen geführt. In
neuerer Zeit ist man bereits dahin gekommen, die fragliclie Operation als eine bei
Eiterablagerungen absolut angezeigte zu erklären und auf deren rasche Ausführung
bei den kleiyisten Hypopyen, ja selbst bei blossen Trübungen des Kammerwassers,
zu dringen. Es ist dies Verfahren nicht zu billigen, da bekanntlich kleine Hypopyen
sehr oft in kürzester Zeit spontan schwinden, ohne üble Folgen zu hinterlassen.
Die Paracentese wirkt einerseits dadurch günstig, dass sie den Eiter direct
aus der Kammer entleert und so veriiindert, dass sich die der Resorption wider-
strebenden placentaartigen Gerinnungen an den Kammerwänden niederschlagen und
daselbst consolidiren; andererseits ist aber auch die Annullirung des intraocularen
Druckes nicht gering anzuschlagen.
4. Die Nachbehandlung erfordert kaum weniger Sorgfalt, als die
Behandlung der Iritis selbst, und ist vorerst auf die Fernhaltuug aller
das Auge möglicherweise treffenden Schädlichkeiten gerichtet. Der Kranke
darf daher nur allmälig den gewohnten äusseren Einflüssen ausgesetzt
werden .
Ein höchst wichtiger Theil der Nachbehandlung zielt darauf hin,
gewisse ständige Ausgänge der Iritis, zumal die so häufig zu Stande
kommenden Verwachsungen des Pupillarrandes mit der Vorderkapsel , zu
beseitigen oder doch ihres verderblichen Einflusses auf das Sehvermögen
und auf die fei-neren Vegetationsverhältnisse des Auges zu berauben. Die
Mittel , um diesen Anzeigen zu genügen , liegen vornehmlich in der
Anwendung kräftiger Mydriatica und in der Durciiführung gewisser
Operationen.
In den Fällen, in welchen der äusserlich wahrnehmbare Zustand
des Irisgewebes den Fortbestand functionsfähiger Muskelfasern vermuthen
lässt, soll die Behandlung hinterer Synechien stets mit der Application
starker impillenerweitenider Mittel begonnen und fortgesetzt werden, bis
der Pupillarrand frei geworden ist oder das Mittel sich als unzulänglich
erwiesen hat. Meistens bedarf es einer längeren Zeit, um zum Ziele zu
gelangen. Darum darf man sich von der Erfolglosigkeit der ersten Appli-
cationen nicht gleich abhalten lassen, die Versuche zu wiederholen. Bei
2)cri2}herer Anlöthung der Iris können die Calabarpräparate ausnahmsweise
von Nutzen sein (0. Becker).
In neuester Zeit empfiehlt man hintere Synechien, welche sich in misslicher
Weise geltend machon und in der vorerwähnten Weise nicht beheben lassen , auf
02}erativem Wege zu lösen und dann die Piqjille durch kräftige Mydriatica längere
Zeit thunlichst erireitert zu halten, um die getrennten Theile von einander zu ent-
fernen und au der Wiederverwachsung zu hindern (Streatfield). Man rühmt sehr
die glänzenden Erfolge und die gänzliche Ungefährlichkeit des darauf berechneten
Verfahrens, welches man Corelyse genannt hat (Ä. Weber, Hasner, Passavant).
Die Nothwendigkeit einer starken und längere Zeit andauernden Mydriase,
um den Erfolg zu sichern, schliesst es schon in sich, dass die Corelyse nur dort
am Platze sein könne, wo das Mziskelsystem der Iris seine Functionstüchtigkeit
bewahrt hat und der Pupillarrand, wenigstens zum grossen Theile, leicht ausdelmbar
ist; dass die Corelyse demnach vornehmlich bei i^O'^'t'-Meii hinteren Synechien Gutes
erwarten lasse, es mögen diese durch zahlreiche zerstreute papillose Auswüchse,
oder durch zarte schmale saumartige Neoplasien vermittelt werden. So lange noch
Reizzustände in der Iris oder deren Nachbarorganen vorhanden sind, erscheint die
Corelyse loiderräthlich, da abgesehen von der Möglichkeit einer stärkeren Reactioir
die Muskeln der Regenbogenhaut in ihrer Function sehr beirrt sind und daher die
Wirkung des Atropins ungenügend ausfällt. Ebenso passt wegen der Unmöglich-
keit, eine ausgiebige Dilatation der Pupille zu erzielen, die Corelyse nicht, wo der
Pupillarrand ringsum oder seiner grössten Ausdehnung nach durch massigere Pro-
ducte mit der Kapsel verwachsen, oder auch nur auf grössere Strecken in seinem
Iriilcctomic^ <4"''"<'"- 293
Gefiifje deutlich .iltcrirt ist, oder wo die Irin im Ganzen (dropJiirt. erscheint. Wo
die Pupille nebstbei ihrer qanzen Ausdeiiuniifi^ n.icli von iritisclien Ablagorunf^cn
oder von l'rodueten einer Capsiilitis {^eth'clvt ist, kann di(! Jiö.sun<^ des J'upillar-
randes selbstverständlich nicht i^ureichen, nui ein nur eiiiici^erinassen befrieditrendes
Schverinöpfen herzustellen; die Corolyse kJinnte in einem solchen Falle also
höchstens dazu dienen, um die Veriafierung der rupille mö<;:li(;ii urul nutzljringend
zu machen. Im Allgemeinen gilt .•ilso noch dermalen wie früluir der Grundsatz:
Wo bei Ecsiaiul (>iiier totalen oder nahezu totalen hmteren Synechie die
Mydriatica entschieden ihre Dienste versagen, oder wo vin'möge dem Zustande
des Irisgofüges eine kräftige Zusammon^iioliung der Muskeln von vorne-
herein als unmöglich erkannt wird : ist die Anlegung einer künstlichen Pupille
geboten und soll auch nicht lange aufgeschoben werden, da es sich dabei
nach dem früheren nicht blos um HersteUung eines Weges für Licht-
strahlen und Verbessei'ung des Sehvermögens, sondern auch um die Ver-
hütung der aus jenem Zustande nicht selten resultirenden höchst misslichen
Folgen handelt. Mit jeder nachkommenden Eeeidive wird nämlich das
Irisgefüge mehr alterirt und dem endlichen Schwunde genäliert, die Auf-
lagerung auf die Vorderkapsel verstärkt und so der mögliche Erfolg einer
späteren Operation geschmälert. Die Hauptgefahr der Hinausschiebung der
Coremorphose liegt aber in der erfahrungsmässigen Neigung der Aderhaut,
an solchen Recidiven Theil zu nehmen. Ausserdem kömmt noch in Betracht,
dass bei längerem IJestande des fraglichen Zustandcs sehr häufig auch der
Linsenkern leidet und so eine totale Cataracta entwickelt wird , deren
Beseitigung wesentlichen Schwierigkeiten unterUegt, während bei zeitiger
Coremorphose ansehnliche Aufhellungen vorhandener Kapseltrübungen mit
einigem Grunde gehofft werden können.
Es ergibt sich hieraus zur Genüge, dass die Ausdehnung und Dichtig-
keit der vorhandenen Kapseltrübungen die Indication zur Coremorphose nur
in zweiter Reihe beeinfliissen und dass die Operation in Fällen, in welchen
sich Anfälle von lihitzündung und Ciliarneurose öfters wiederholen oder
gar ein Uebergreifen des Processes auf die tieferen Gebilde des Augapfels
befürchten lassen, auch dann räthlich erscheine, wenn das Sehvermögen
relativ wenig beeinträchtigt ist. Die Störungen, welche das Gesicht durch
die künstliche Pupille allenfalls erleiden könnte, werden leicht auf ein
Minimum dadurch beschränkt, dass die Pupille nach oben angelegt wird.
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Handbuch der Anatomie. 1866. II. S. 628, 685. — Bi-ücke, Beschreib, des m. Aug-
apfels. Berlin, 1847. S. 12. — Arlt, A. f. O. III. 2. S. 87, 97. — Cramer, Het
Accommodatievermogei). Haarlem, 1853. S. 61. — ■ Stelhcag, Zeitschrift der Wiener
Aerzte 1850. S. 125, 129; Cramer's Phys. Abhandl. über das Accommodationsver-
mögen der Augen, übersetzt von Dodeu. Leer, 1855. S. 89. — ./. Arnold, Virchow's
Archiv. 27. Bd. S. 345, 366. — Grünhagen, ibid. 30. Bd. S. 481; XXXI. S. 403,
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294 Iridectomie; Anzeigen.
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Die Operation der künstlichen Pupillenbildung,
Coremorpliüsis.
Anzeigen. Die Coremorphosis i^t unstreitig die am häufigsteu zur
Ausführung kommende Augenoperation. Sie dient nämlich nicht blos dazu,
den objectiven Lichtstrahlen einen neuen Weg zu eröffnen oder das krankhaft
verengte oder verlegte Sehloch zu eriueitern: sondern auch den normwidrig
gesteigerten intraocularen Druck herabzusetzen, so wie einer rigid gewordenen
Bulbuskapsel durch Einschaltung einer elastisch dehnbaren Narbe einen
gewissen Grad von Nachgiebigkeit zurückzuerstatten tind damit etwaige
Störungen in der Blutströmiing und in den vegetativen Verhältnissen der
Binnenorgane daiternd zu begleichen.
Im Allgemeinen erscheint die Anlegung einer künstlichen Pupille
geboten oder wird wenigstens mehrseitig empfohlen: 1. Bei dichten unavf heil-
baren Hornhauttrübungen, welche einen grossen Theil der Pupille oder das
ganze Sehloch verdecken, sie mögen mit vorderen Synechien der Iris ge-
paart sein oder nicht. 2. Bei Atresia pupillae, falschen Staaren, namentlich
bei totaler oder nahezu totaler hinterer Synechie des Ptipillarrandes mit oder
ohne gleichzeitiger Kapseltrübung und davon abhängiger chronischer Iritis,
Iridochorioiditis, Panophthalmitis, sowie bei sympathischer Mitleidenschaft
des anderen Auges. 3. Bei Verschicürungsprocessen in der Hornhaut, welche
die Entspannung der Cornea durch Paracentesis verlangen, ihrer Lage
und Ausdehnung nach aber eine Hornhauttrübung gewärtigen lassen, die
ihrerseits späterhin die Anlegung einer künstlichen Pupille nothwendig
machen würde. 4. Bei den verschiedenen Formen der Hornhaut- und Seleral-
ectasie. 5. Bei dem Glaticome. 6. Bei Seitenverschiebungen der Linse, wenn
ein Theil des durchsichtigen Krystalles die Pupille verlegt und dadurch
Ursache von Sehstörungen wird. 7. Bei partiellen Linsen- und Kapsel-
trübuvgen, welche das Gesicht im hohen Grade beeinträchtigen, dabei aber
Verfahren; Instrumente; Üphthalmostaten. 29o
entweder stationär sind oder doch nur äusserst langsam fortschreiten und
daher die Keife des Staares erst nach langer Zeit gewäi'tigen lassen,
übrigens nur unter namhaften Gefahren direct beseitigt werden können,
so lange der cataractöse Process nicht weiter gediehen ist. 8. Bei Aufblähungen
der in cataractöser Metamorphose begriffenen Linse, wenn die Kapsel durch
ein Trauma oder auf operativem Wege eröffnet worden ist, die Entleerung
des Magmas durch die Paracentesis der Cornea aber nicht gelingt, und
wenn die Staarmassen die Iris nach vorne drängen oder, in der Pupille
oder Kammer lagernd, die Iris mechanisch reizen und eine Schliessung
der Pupille auf entzündlichem Wege drohen. 9. Als Nebenbehelf bei den
verschiedenen Staaroperationen. 10. Bei der Extraction fremder Körper,
welche in der Kammer lagern oder in der Iris stecken und sich nicht
ohne Zerrung oder Verletzung der Regenbogenhaut entfernen lassen. 1 1 . Bei
hartnäckiger Myose.
Verfahren. Man hat bisher eine ganz unglaubliche Menge von
mehr weniger abweichenden Methoden ersonnen {Himly). Was Sicher-
heit des Erfolges und Gefahrlosigkeit betrifft, steht jedoch die sogenannte
Iridectomie, die Ausschneidung eines Irisstückes (Beer) obenan ; daher denn
auch die anderen ^'ei-fahrungsweisen fast ganz verlassen wurden und
zwar mit um so mehr Recht, als die Iridectomie sich fast unter allen Um-
ständen leichter, und mit nur ganz geringen Modificationen auch erfolgreich,
ausführen lässt.
Die erforderlichen Instrumente sind ein gerades oder, falls die künstliche
Pupille nach innen oder oben angelegt werden soll, ein nacli der Fläche
winkelig gebogenes Lanzenmesser; eine zarte gerade Haken- oder leicht ge-
krümmte Fischer'sche Irispince/te und eine kleine Louis'sche Schere.
Statt dei' Pincette ist vielseitig das Irishäkclien im Gebrauche. Seine Hand-
habung ist jedoch weit schwieriger, als jene der Pincette, gefährdet leicht die Inte-
grität der Kapsel und erlaubt weniger, die Grösse der neu anzulegenden Pupille
mit Bestimmtheit zu bemessen. Wer sicli übrigens desselben Ijedienen will , wählt
am besten ein Häkchen mit biegsamem Halse (Himly). Es ist nämlich häufig noth-
wendig, das Häkchen zu krümmen, um über die Nase u. s. w. eingehen zu
können.
In neuerer Zeit glaubt man den Linearschnitt besser mittelst dem schmalen
Staarmesser Graefe's durchführen zu können (Wecker, Le Gad). Besondere Vor-
theile verspricht man sich davon, wo bei ausgebreiteten Hornhautnarben nur ein
sehr kleiner peripherer Theil der Cornea durchsichtig geblieben ist, bei Geschwüren
der Hornhaut mit eitriger Iritis oder Iridokyklitis, bei Iritis mit Hypopyum und
Glaskörperleiden, bei Schwartenbildung an der hinteren Wand der Iris, behufs der
Entfernung eines Cysticercus oder fremder Körper aus dem Glaskörper u. s. w.
Beim Glaucom scheint dies Verfahren gefährlich wegen leichter Berstung der
Zonula, Einheilung der Iris, cystoider Vernarbung (Graefe).
Sogenannte Ojihfhalmostaten, d. i. Instrumente, um den Augapfel in einer
gewissen Stellung ruhig zu erhalten, sind besonders für den Fall zu empfehlen,
als man die künstliche Pupille nach oben anzulegen Grund hat. Es flieht nämlich
selbst bei sehr ruhigen Kranken das Auge gerne nach oben und verbirgt das
Operationsfeld unter dem oberen Lide ; ausserdem aber werden durch das Aus-
weichen des Auges nach oben Verletzungen der Kapsel trotz aller Vorsicht sehr
leicht veranlasst. Man ist wirklich beim Hornhautstiche nicht immer im Stande,
rasch genug das Messer zu neigen, wenn das Auge nach oben flieht, daher die
Spitze des Instrumentes in die Kapsel dringt; beim Herausziehen des Messers aus
der Kammer aber muss man, wenn das Auge gewaltsam nach oben gewendet wird,
die Spitze stark nach hinten wenden und reisst so die Kapsel leicht ein. Am besten
entspricht als Ophthalmostat eine federnde Zahnpincette, mit welcher die Conjunc-
tiva bulbi nahe der Cornea gefasst wiid. Sperrpincetten haben den Nachtheil, dass
296 Iridectomie; Terfahren.
man ihr Schloss nicht immer rasch genug öffnen nnd das Instrument beseitigen
kann, wenn der Kranke unverhofft abwehrende Bewegungen macht. Das Ansetzen
der Pincette in grösserer Entfernung Ton der Hornhaut und das Mitf<iggen eines
geraden Augenmtiskeh hindert zwar das Ausreissen der Bindehaut, veranlasst aber
gerne rollende Bewegungen des Auges, welche die Operation ebenfalls sehr er-
schweren. Bei sehr unruhigen Kran7:en und namentlich bei Kindern genügt die
Fixation überhaupt nicht, da sie schmerzhaft ist und der Kranke sich um so mehr
zur Wehre setzt oder doch die Muskeln übermässig spannt. Da ist die Nareose
unumgänglich nothwendig.
Eine besondere Vorbereitung zur Operation ist überflüssig. Doch ist
darauf zu sehen, dass die Operation weder bei ganz leerem Magen, noch
nach einer ansgiebigen Mahlzeit vorgenommen werde. Der Kranke kann
dabei sitzen, oder was vorzuziehen ist, liegen. Ein Gehilfe hat die Lider
bei weit geöffneter Spalte zu fixiren, während das andere Auge durch
einen Sehutzverband gedeckt wird.
Die PupiUe durch Calabarwirkung (Greife) zu verengem, wenn selbe vor-
läufig durch Mydriatica oder in Folge krankhafter Vorgänge, z. B. beim Glaucom,
sehr erweitert worden war, ist zwar unschädlich, aber auch von keinem beson-
deren Nutzen, da dort, wo die reactive Fähigkeit der Irismuskeln noch besteht,
der Abfluss des Kammerwassers nach dem Homhautschnitte genügt, um den Pupil-
larrand zu kräftigen Contractionen anzuregen.
Die Operation setzt sich ans zwei wesentlich verschiedenen Theilen
zusammen. Der erste besteht in der Eröffnung der Hornhaut durch einen
2'" bis 2*ö'" langen linearen Schnitt oder Einstich, der zweite in der
Hervorziehung und Äbschneidung des zu entfernenden Stückes der Iri^.
Die Schnittwunde in der Hornhaut muss immer senkrecht auf den Meridian
des auszuschneidenden Irisstückes angelegt werden. Wo die Coremorphose
den Zweck hat, den Lichtstrahlen einen Ducrchgang zu ermöglichen und
eine mehr centrale Pupille herstellbar ist, soll der Einstich etwas ausser-
halb der Mitte des Meridians der Hornhautkrümmung fallen. Wo man
sieh aber mit einer mehr excentrischen Pupille begnügen muss, ist es am
besten, eine Yiertellinie vom Eande entfernt in die Hornhaut einzustechen,
damit die dann stehen bleibenden peripheren Theile der Iris die äussersten
Kandstrahlen abblenden. Wo nur an der Comealgrenze ein kleiner Eaum
für die Pupille übrig ist, muss man etwa eine halbe Linie vom Homhaut-
rande entfernt in die Schrotica einsehneiden und das Messer so führen,
dass es genau an dem Ursprungskreise der Iris in die vordere Kammer
eindringt. Ton grösster Wichtigkeit ist die .strenge Einhaltung dieser Begel
in jenen Fällen, in welchen die Coremorphose den Zweck hat, die Druck-,
Circulätion-s- und Vegetationsverhaltnisse im Lineren des Auges in heil-
bringender Weise zu beeinflussen; wird unter solchen Umständen in oder
innerhalb der CorneaJgrenze eingestochen, so ist die Operation erfahrungs-
mässig stets fruchtlos.
Dem entsprechend ist das Lanzenmesser, wenn in die Sclerotica ein-
gestochen wird, schief aufzusetzen: fällt aber der Schnitt in die Cornea, so
muss das Instrument nahezu senkrecht durch die Hornhaut gestossen und,
sobald es in die Kammer gedrungen ist, sogleich gewendet und dessen
Spitze zwischen Iris und Descemeti so weit vorgeschoben werden, dass die
Schnittwunde die gehörige Länge erhalte.
Das Zurückziehen des Messers soll langsam geschehen, damit das Kammer-
wasser sich nicht zu rasch entleere. Sonst kann die urplötzliche Entspannung des
Bulbus leicht die Ursache intraocuiarer Blutungen mit allen deren üblen Zufällen
Verfahren.
297
Fig. 35.
werden, zumal wenn krankhafte Proces.se in der Uvea und Netzliaut deren Oe-
fässe bedeutend alterirt haben. Unter solchen Verhältnissen ist es auch gut, schon
während des Ausziehe7is des Messers durch einen leichten Finn;crdruck die Bullnis-
wandungen zu spannen und bis zur Anlegung des Verbandes gespannt zu erhalten.
(Graefe).
Der zweite Theil der Corcmorphoso erfordert, immer beide Hände des
Operateurs. Die eine Hand hat die Pincette, die andere aber die Schere
zu füliren. Die Pincette muss sehr leicht gehalten und mit gegen den
Augapfel gekehrter Convexität vorsichtig durch die Cornealwunde bis nahe
an den PupiUarrand des auszuschneidenden Irisstückes vorgeschoben werden.
Nun erst ist sie zu öffnen und zwar so weit, als es die beabsichtigte
Breite der künstlichen Pupille erfordert. Nachdem hierauf das betreffende
Stück der Regenbogenhaut nahe dem Pupillarrande sicher gefasst worden
ist, wird dieser iinter sanftem und allmäligera Zuge von seinen etwaigen
Verbindungen getrennt und (Fig. 35)
mit der Pincette langsam nach aus-
sen gezogen. Während dem wird die
Louis'sche Schere mit der Convexität
ihrer Blätter flach auf den Bulbus
aufgelegt und, sobald eine genügende
Portion der Iris hervorgezogen scheint,
diese rasch und knapp an den lüin-
dern der Hornhautwunde abgetragen.
Es muss dabei die grösste Sorgfalt
verwendet werden, dass nichts von
der Iris im Wundkanale zurückbleibe,
was besonders gern an den Winkeln
der Fall ist, damit die mit der Ein-
heilung verknüpfte Reizung und
weiterhin die sich in misslichster
Weise geltend machenden Zerrungen
der Regenbogenhaut vermieden werden. Zieht sich daher der etwa ein-
geklemmte Theil der Iris in Folge leiser Reibungen der geschlossenen
Augenlider nicht zurück, so muss der Daviel'sche Löffel aushelfen.
"Wo die künstliche Pupille den Zweck hat, den Lichtstrahlen einen
neuen Weg durch die dioptrischen Medien des Auges zu bahnen oder den
natürlichen nach einer Seite hin zu erweitern, genügt ein Ausschnitt von
1'" Breite, ja weitere Pupillen pflegen das Sehvermögen bedeutend zu
beeinträchtigen , indem sie bei grösseren Erleiichtungsintensitäten des Ge-
sichtsfeldes gerne Veranlassung von sehr lästigen Blendungserscheinungen
werden, überdies auch den aus dem Mangel des Accommodationsvermögens
resultirenden Zerstreuungskreisen der Netzhautbilder zu grosse Durchmesser
geben. Dieser Umstand lässt es dort , wo die Operation bei reiner Horn-
haut wegen ausgebreiteten oder totalen hinteren Synechien ausgeführt wird,
und der Centraltheil der Kapsel noch durchsichtig genug ist, um ziemlich
deutliche Wahrnehmungen zu ermöglichen, räthlich erscheinen, die Pupille
nach oben anzulegen. Bei centralen Hornhauttrübungen soll, wo es nur immer
thunlich ist, der innere untere Regenbogenhautquadrant ausgeschnitten wer-
den (S. 130). In jedem Falle sind stark getrübte oder narbige Theile der
Cornea zu vermeiden, damit nicht eine Narbenkeratitis angeregt werde (S. 125).
298 Iridectomie; Verfahren beliufs einer Druckminderujig ; Entfernung fremder Körper.
Wo man Grund hat, dicke Schwarten an der hinteren Wand der Iris zu ver-
muthen, welche sich schwer in Falten legen und fassen lassen, muss man die Pincette
sehr steil aufsetzen. Einer besonders construirten Pincette (Liehreich), deren Zähne
sicherer fassen, wird man kaum bedürfen. Da die Schwarten oft sehr pigmentreich
und nach Entfernung der darüber liegenden Irisschichten häufig überaus schwer
wahrnehmbar sind, ist es dringend nothwendig, sich bei der Operation dieser Fälle
der schiefen Beleuchtung zu bedienen (Knapp).
Wo es sich darum handelt, dem üblen Einflüsse zn begegnen, welchen
eine starre unnachgiebige Bulhuskapsel auf die Höhe des intraocularen Druckes
durch Störung der Circulations- und Vegetationsverhältnisse des Auges ausübt,
ist es unbedingt nothwendig, dem Lederhautstiche eine Länge von mehr
als 2'" zu geben. Oefters kömmt man auch damit nicht aus, die Leder-
haut spannt sich binnen Kurzem wieder und die misslichen Folgen treten
abermals hervor. Die Operation muss dann wiederholt, an der dem ersten
Einstiche entgegengesetzten Seite, oder besser in dem darauf senkrechten
Meridiane ein zweiter Einschnitt gemacht und der betreffende ßegenbogen-
hauttheil entfernt werden, will man das Ziel erreichen.
Ist ein fremder Körper aus der Kammer oder aus der Iris zu ent-
fernen, so muss der Einstichspunkt in dem entsprechenden Meridiane des
Lederhautrandes gewählt werden. Man thut dabei wohl, die Spitze des
Lanzenmessers nicht gerade gegen das Centrum der Pupille zu lenken,
sondern neben dem fremden Körper vorbei in schiefer Richtung vorzu-
schieben und sich damit möglichst nahe der hinteren Hornhautwand zu
halten, um den Eindringling nicht aus seiner Lage zu bringen und etwa
an Orte zu stossen, welche von der Wunde aus schwer mit Instrumenten
zu erreichen sind. Haben sich rino'sum vielleicht schon Granulationen
oder überhaupt vascularisirende Exsudate gebildet, so ist eine solche Los-
trennung des Splitters oft mit starken Blutungen verknüpft, welche das
Operationsfeld völlig verhüllen und die Ausziehung ausserordentlich er-
schweren oder ganz unmöglich machen. Diese Umstäude lassen auch den
V^ersuch, den fremden Körper allein zu fassen und zii extrahiren, gCAvagt
erscheinen. Es gelingt dies nämlich selten, ohne den Splitter mehrfach
zu wenden und, hat er scharfe Ecken oder Kauten, so veranlasst er ge-
wöhnlich arge Verletzungen der Iris oder auch wohl der Linsenkapsel,
um so mehr, als nach Abfluss des Humor aqueus die genannten Theile von
Seite des Glaskörpers nach vorne gedrängt werden, der Splitter also gleich-
sam eingeklemmt ist. Es erscheint daher klug, die Pincette mit geöffneten
Armen so in die Kammer einzufülu-en, dass der fremde Körper ruhig
zwischen letzteren liegen bleibt, sie bis zum Pupillarrande vorzustossen,
dann noch etwas weiter auseinander federn zu lassen und endlich zu
schliessen. Dieselbe fasst solchermassen die seitlich vom Splitter liegenden
Irisportionen, da diese von dem nach vorne andrängenden Krystalle zwischen
die Branchen gezwängt werden und der Splitter wird gleichsam in einer
schützenden Hülle nach Aussen gefördert (Homer). Bisweilen kann man
sich die Extraction des fremden Körpers dadurch erleichtern, dass man nach
vollendetem Einstiche das Messer rasch entfernt und damit einen schnellen
Abfluss des Kammerwassers erzielt. Es wird dann nämlich nicht selten
die betreffende Portion der Regenbogenhaut mit dem daran haftenden
SpKtter durch die Wunde nach Aussen getrieben und man hat blos den
Vorfall abzutragen, nachdem man ihn sammt dem fremden Körper mit der
Nachbehandlung ; Uehle Zufälle. 291)
Pincette gefasst hat. Uebrigens fordern besondere Verhältnisse auch besondere
Massnahmen und Handc/riffe.
Es ist nicht unwichtify, zu liemerkeu, dass die künstliclie Pupille tmmitlelhar
nach der Operation selten ihre ivahre Grösse und Gestalt zeigt, da die nachljar-
lichen Portionen der Ke<^enbogenliaut von der Pincette gegen die Wundöffnuug
gezerrt und daselbst von der an die Descemeti angepressten Linse festgehalten
werden. Dieselben kommen erst in ihre natürliche Lage, wenn der Einstich ver-
klebt und das Kammerwasser wieder angesammelt ist.
Nach Beendigung der Operation ist ein binocularer Schutzverbaiid
anzulegen. Nebstbei die Lidspalten durch zarte Streifen von englischem
Pflaster zu verkleben, ist nur bei unzuve.rlässlichen Kranken räthlich, welche
sich leicht zu vorzeitigen 8ehproben veranlasst finden oder aus Nach-
lässigkeit und Unverstand die Binde verschieben könnten. Wo die Gefahr
einer intraocularen Blutung besteht, ist der Druckverband fester anzuziehen
und erst nach Ablauf einiger Stunden etwas zu lockern. Der Verband
muss mehrere Tage liegen; doch soll der Charpiebausch öfters gewechselt
werden.
Mittlerweile muss der Kranke zu unbedingter körperlicher und geistiger
Ruhe angehalten werden. Am erspriesslichsten ist die Eückenlage im Bette.
Wo diese indessen sehr beschwerlieh fällt, ist es von Vortheil, den Kranken
auf der nicht operirten Seite liegen oder gar in einem Lehnsessel aufsitzen
zu lassen. Die Diät ist in den ersten Tagen nach der Operation auf Suppe,
leichtes Gemüse, gedünstetes Obst u. s. w. zu beschränken. Das laute
Sprechen , sowie überhaupt jede stärkere Bethätigung der Kau- und
Respirationsmuskeln des Gesichtes ist strengstens zu iintersageu.
Treten Erscheinungen eines Reizzustandes oder einer Entzündung
im Bulbus auf, so ist mit doppelter Strenge an diesen Regeln zu halten
und ein entsprechendes antiphlogistisches Verfahren einzuleiten. Im
gegentlieiligen Falle kann nach 4 — 5 Tagen der Vei'band abgenommen
und der Kranke allmälig in die gewohnten Lebensverhältnisse zurückver-
setzt werden.
Ueble Zufälle. 1. Ein zu schiefer Einstich. Dringt das Lanzenmesser sehr
schief durch die Dicke der Hornhaut , so dass der Ein- und Ausstichspunkt weit
von einander entfernt sind , so kann es wegen der Durchsichtigkeit der Cornea
leicht geschehen, dass man mit der Pincette statt der Iris die hintere Wundlefze
der Cornea fasst, quetscht, zerrt und so Veranlassung zu heftigen Entzündungen,
zu Trübungen der betreffenden Hornhaiitportion, zu Vereiterungen derselben und
sogar zur Atrophie des gesammten Bulbus gibt. Dieselbe Gefahr droht dann
übrigens auch, wenn man wirklich die Lis fasst, da diese der Pincette ohne Um-
stülpung und Zerrung der hinteren Wundlefze nicht folgen kann. Keisst die Iris
nicht aus, was in der Regel geschieht, und folgt sie dem Zuge, so kann es geschehen,
dass ihre Verbindung mit dem Rande der Descemeti und dem Ciliarkörper ^getrennt
wird, oder dass die Iris eine übermässige Dehnung erleidet und dass trotzdem die
Pupille einen ganz ungenügenden Durchmesser erhält, da ein grosser Theil des
hervorgezogenen Stückes innerhalb der Cornealwunde lagert und sich daher der
Schere nicht Preis gibt. Es droht dieser Uebelstand besonders, wenn mit dem nach
der Fläche gekrümmten Lanzenmesser ohne Berücksichtigung des Umstandes
operirt wird, dass, um mit diesem Instrumente senkrecht durch die Cornea zu
dringen, dessen Stiel etwas gegen die dem Einstiche entgegengesetzte Seite des
Auges hin geneigt sein muss.
2. Ausreissen des mit der Pincette gefassten Irisstückes. Bei dem Ge-
brauche der Pincette ist dieser Zufall weniger zu fürchten, als bei der
Anwendung des Häkchens. Er droht besonders bei hochgradiger Atrophie
der Iris, wo deren Gewebe nicht selten ganz welk und morsch wird.
300 Iridectomie; Ueüle Zufälle.
Das successive Hervorholen Icleiner Fetzen behufs der Erweiterung des künst-
lichen Sehloches ist meistens sehr schwierig, besonders wenn sich Hämor-
rhagien einstellen und das Blut alles verdeckt. Gewöhnlich führt es zu
heftigen ßeizzuständen. Wo die Iris ihrem äusseren Aussehen nach sehr
verändert ist, muss daher die Pincette weit geöffnet und ein breites Stück
gefasst werden, um, falls auch die Iris einrisse, eine hinlänglich grosse
Pupille zu erzielen.
3. Das Zurückbleiben der Pvpillarzone der Iris. Wo der Pupillarrand
fest an die Kapsel gelöthet ist, bleibt er trotz langsamem Zuge mit der
Pincette öfters sitzen. Es hat dieses nicht viel auf sich, wo wegen totaler
hinterer Synechie operirt wird. Eine gewaltsame Trennung mittelst des
Häkchens würde übrigens in der Regel zu Verletzungen der Kapsel und
weit übleren Folgen führen, daher man gut thut, jeden weiteren Trennungs-
versuch zu unterlassen. Wo aber der betreffende Thcil des Pupillarrandes
frei ist, muss, um die Brücke zu trennen, das Häkchen eingeführt und
die doppelte Pupille sofort in eine einfache vei'wandelt werden.
4. Das Zurückbleiben häutiger Neubildungen im Dereiche der künstlichen
Pupille. Es geschieht bisweilen, dass das faserige Gefüge der Iris in ge-
nügendem Umfange entfernt wird und die Pupille unmittelbar nach der
Operation schwarz erscheint. Nach Jlntfernung des Verbandes und erfolgter
Aufsaugung des etwa in die Kammer ergossenen Blutes aber zeigt es sich,
dass das neueröffnete Sehloch von einer mit Pigment reichlich durchsetzten
hautartigen Neubildung verlegt ist. Es ergibt sich dann die Nothwendig-
kcit, die Operation mit Hilfe künstlicher Beleuchtung und steil aufgesetzter
Pincette (S. 298) zu wiederholen.
5. Das Ähreissen der Lis vom Ciliarhande. Rasches Anziehen mit der Pin-
cette , besonders aber Unruhe des Kranken , während die geschlossene Pincette
nach aussen geführt wird, können dazu Veranlassung geben, dass die Iris in
grossem Umfange oder gänzlich von dem Ciliarbande getrennt wird. Um dem
auszuweiclien, ist es unbedingt nothwendig, die Pincette sehr leicht zu halten, um
in jedem Augenblicke loslassen zu können, den Bewegiingen des Auges rasch zu
folgen und besonders den Kopf des Kranken gehörig zu fixiren. Ist dennoch das
Unglück geschehen , so muss das abgetrennte Irisstück hervorgeholt und entfernt
werden.
6. Starke Blutungen. Wo das Irisgefüge nicht bedeutend durch
vorangehende Entzündungen verändert worden ist, sind die Blutungen
kaum jemals erheblich und von um so geringerer Bedeutung, als das
Extravasat in der Regel sehr bald aufgesaugt wird. Ist die Regenbogen-
haut im Schwunde weit vorgeschritten, vielleicht gar schwammig axifge-
lockert oder von ausgedehnten Gefassen durchflochten, so werden die Blut-
ergüsse oft schon während der Operation hinderlich, saugen sich übrigens
auch sehr schwer auf, werden leicht Veranlassung von Reizzuständen
und vereiteln nicht selten den Erfolg der Operation, indem ihre Coagula
in Verbindung mit iritischen Producten die künstliche Pupille pfropf-
artig schliessen. Mitunter geht sogar der Bulbus seiner Totalität nach
atrophisch zu Grunde. Wo der Bulbus nicht sehr gelitten hat, kann man
das Extravasat öfters dauernd beseitigen, indem man nach Vollendung
der Operation einen Daviel'schen Löffel in die Wunde einführt und durch
sanftes Niederdrücken der hinteren Wundlefze dem Blute den Austritt
gestattet, unmittelbar hierauf aber einen Druckverband anlegt. Wo die
Iris aber morsch, zerreisslich, schwammig aufgelockert, oder gar der Augapfel
Ueble Zufälle. 301
schon atrophirt und darum weicher anzufühlen ist, nützt das Auslassen des
Blutes nichts, da das Entleerte sich iraraer wieder durch neue Nachschübe
ersetzt. Da ist ein sicher anliegender Druckverband das einzige Mittel,
um übermässigen Extravasationen zu begegnen und auch die nicht
seltenen Wiederholungen derselben zu verhindern. In solchen Eällen thut
man mitunter wohl, das Abschneiden des mit der Pincetto hervorgoholten
Regenbogenhautstückes ganz zu vermeiden, letzteres also einfach in der
Wunde liegen zu lassen, damit es hier einheile. Es ist dies Verfahren
besonders zu empfehlen, wenn bei einer vorausgegangenen Iridectomie der
Abtrennung des Prolapsus eine starke Blutung gefolgt ist, welche den Er-
folg der Operation zu nichte und eine Wiederholung derselben nothwendig
machte. Mehrere Eälle haben diese Vorsicht durch überaus günstige Resul-
tate gelohnt.
7. Austritt des verflüssigten Glaskörpers. Es ist dieser Zufall besonders zu
fürchten, wenn die Uvea und Netzhaut durch vorausgegangene Entzündungen stark
mitgenommen worden sind, oder wenn die Linse fehlt, oder doch aus ihren nor-
malen Verbindungen gerissen ist. Entleert sich dann eine grössere Quantität Ghis-
körper, was besonders bei unruhigen Kranken, welche die Augenmuskeln stark
contrahiren, leicht geschieht, so faltet sich der Bulbus, die Hornhaut sinkt ein,
die Iris weicht zurück und es ist oft kaum möglich, letztere mit der Pincette zu
fassen.
8. Wiederverwachsung der Pupille oder übermässige Verengerung der-
selben. Dieses Ereigniss droht besonders dort, wo die Iris durch voraus-
gegangene Entzündungen atrophisch geworden, namentlich aber schwammig
aufgelockert worden ist und wo bei der Operation noch eine chronische
Iritis oder Irido Chorioiditis im Gange ist oder starke Blutungen ein-
getreten sind. Da ziehen sich bisweilen Pupillen von ganz ansehnlicher
Breite wieder völlig zusammen. Man muss hier daher gleich von vorne-
herein auf eine grössere Pupille antragen. Ist die Verschliessung aber
dennoch erfolgt, so muss, so wie dort, wo die Pupille vermöge ihrer Klein-
heit dem Zwecke nicht entspricht , die Operation wiedei'holt werden,
indem man unmittelbar neben der ersten Stichwunde der Hornhaut eine
zweite anlegt.
9. Aderhauthäviorrhagien, Netzhautcqwplexien und Abhebungen der Retina von
der Chorioidea durch subretinale Ergüsse. Sie setzen schon bedeutende Alterationen
der genannten Gebilde voraus. Verhinderung eines raschen Abflusses des Humor
aqueus und ein Druckverband sind die besten Vorbauungsmittel.
10. Heftige entzündliche Reactionen. Diese sind ausseiest selten bei
der Iridectomie, kommen jedoch vor und können möglicher Weise trotz
scheinbar günstigen Verhältnissen den Bulbus zur Vereiterung führen (Roth-
mund). Um sie zu bekämpfen dient kräftiges antiphlogistisches Verfahren,
1 1 . Trübungen der Hornhaut in der Umgebung der Einstichstelle.
Sie sind nach der Iridectomie ziemlich häufig, besonders in Fällen, in
welchen die Cornea durch vorhergehende krankhafte Processe sehr gelitten
hat, also vorzüglich, wo wegen partiellen Obscurationen die Coremorphose
vorgenommen werden musste. Sie gewinnen bisweilen eine so bedeu-
tende Ausdehnung, dass der Erfolg der Operation dadurch wesentlich ge-
fährdet wird, indem sie einen Theil der künstlichen Pupille wieder über-
decken. Sie stellen sich natürlich am häufigsten dann ein, wenn auf die
Operation stärkere entzündliche Reizungen folgen. Doch trifft man sie
302 Corelysis.
bisweilen auch, wo die Eeactiou eine ganz unbedeutende war oder schein-
bar fehlte.
Ersatzmethoden. Sie haben zum Theil den Zweck, UeheUtände zu
vermeiden oder zu vei'kleinem, welche der künstlichen Pupille als solcher
ankleben: zum Theile zielen sie darauf hin, gewisse Hindernisse, welche
der ÄiLs/iihrung der Iridectomie bisweilen im Wege stehen, zu umgehen und
so den Erfolg zu sichern und zu versrössem.
1. Die Coi-di/sis, oder die operative Loslösung des mit der Kapsel verwachsenen
Pitpillarrandes (Strealfidd, A. Weber) kann etwas leisten bei zahlreichen zerstreuten
und bei ausgedehnten partiellen hinteren Synechien, wenn die Irismnskeln nach dem
operativen Eingriffe frei zu wirken in der Lage sind und das Kapselcentrum in
grösserer Ausdehnimg durchsichtig geblieben ist (S. 292). Der Operation müssen
wiederholte Applicationen starker Atropirdösung vorausgeschickt werden, um die
Irismnskeln für eine möglichst ausgiebige Mvdriase vorzubereiten und alle freien
Stellen des Pupillarrandes thunlichst zu retrahiren. Die Operation selbst zerfällt in
zwei Momente, in die Eröffnung der Kammer durch einen linearen Hornhautschnitt
und in die instrumentale Trennung der Verwachsungen. Sie wird unter denselben
Cautelen ■wie die Iridectomie ausgeführt, fordert jedoch immer die Fixirung des
Bulbus und bei sehr unruhigen Kranken die Xarkose. Der Homhautschnitt wird
immer 7iach Aussen, etwa in der Mitte des horizontalen Meridianes der Cornea,
mittelst eines Lanzenmessers geführt. Hierauf wird ein eigenthümlicher Haken in
die Kammer eingeführt , welcher einem stärkeren Irishäkchen nicht unähnlich ist,
jedoch insofeme abweicht, als er der Fläche nach breitgeschlagen, aber nicht
schneidend ist: als weiters der freie, bei 3 Mill. lange Schenkel zum Schafte in
einen Winkel von weniger als 45'^ gestellt und die Umbiegungsstelle nach vorne
und hinten abgerundet ist. Mittelst dieses Hakens werden die Verwachsungen, am
besten von einer /rejeTi Stelle aus, leicht getrennt, indem man die Neubildungen
von der Kapsel mittelst der Convexität losstösst , oder mit dem freien Schenkel
losreisst. Es ist dabei von hohem Belange , dass die Neoplasien nicht einfach zer-
rissen, sondern unter vorsichtiger Manipulation von der Kapsel losgeschält werden,
da die Rückbleibsel derselben häufig für immer auf der Kapsel haften bleiben
und das Sehen trüben. Auch ist es von grösster Wichtigkeit . dass die Axe des
Instrumentes immer in der Ebene der Pupille bleibe und dass die Breitseite des
Hakens stets ßach auf der Kapsel aufliege, diese also niemals mit einer Kante
treffe; daher der Haken, im Falle eine Wendung seines freien Endes nothwendig
ist, in der Homhautwunde zarückgeschohen und nach der Wendung erst wieder
eingeführt werden muss. Unmittelbar nach der Trennune der vorhandenen Svnechien
wird das Auge mehrere Minuten lang unter eine starke Atropiulösung gesetzt,
hierauf mittelst eines Lappens verdeckt, das Zimmer vollständig verdunkelt und der
Kranke zn ruhiger Eückenlage angewiesen. Nach etwa "2 Stunden wird die Ein-
träufelung eines starken Mydriaticum wiederholt und das Auge nutersucht. Ist die
Pupille 7iicht enr eitert , so wird in kurzen Zwischenpausen noch öfter Atropin
applicirt, sodann aber ein leichter binocularer Schutzterband augelegt. Im Uebrigen
ist die Nachbehandlung gleich der bei der Iridectomie. Doch ist völlige Finstemiss,
grösste Körperruhe tind die Vermeidung kalter Ueberschläge dringend geboten und
vom .3. — 4. Tage an soll noch durch längere Zeit je nach Bedarf täglich 1—2 Mal
ein Mydriaticum applicirt werden.
In neuester Zeit empfiehlt man , den Haken ganz wegzulassen und durch
eine stumpfe Hakenpincette zu ersetzen, mit welcher man den angewachsenen Theil
der Iris einfach fasst und losreisst. Es soll diese Methode bei einfachen vorderen
und hinteren Synechien ganz gefahrlos dnrchtührbar sein und ganz vorzügliche
Resultate Uefern (Passaiantj. Immerhin dürfte sich bei der grossen Empfindlich-
keit, welche die Iris selbst leisen Quetschungen gegenüber durch heftige und oft
auch verderbliche Entzündungen geltend macht, grösste Vorsicht empfehlen.
2. Die Verlagerung der ganzen Pupille durch künstliche Erzeugung eines
Prolapsus iridis hat den Zweck, die Pupille unbeschadet ihi-er Beweg-
lichkeit aus dem Bereiche stark verkrümmter oder getrübter Theile der
Cornea oder Linse zu bringen und so die dadurch bedingten Sehstörungen
Verlagoruiiy der l'uiiilln. 303
aufzuheben oder wenigstens auf ein Kleines zu reduciren. Sie findet
ihi'G specielle Anzeige bei gcwisseii Füllen von Schichtstaar, bei Ectopia
lentis; hauptsächlich bei Keratoconus, Ectasia corneae, bei partiellen Ver-
krümmungen tmd Trübungen der Hornhaut, wenn der Pupilhirrand frei ist
(S. 129). Auch wird sie bisweilen mit Vortheil der Iridectomie substituirt,
wenn die Ausschneidung der Eegenbogenhaut starke Blutungen befürchten
lässt (S. 301).
Die Verlagei'ung des Sehloches ist nicht denkbar ohne eine Zerrung
des Pupillarrandes und vornehmlich der dem künstlichen Prolapsus gegen-
über liegenden Irisportion. Soll nämlich die Operation dem Zwecke voll
genügen, so darf man sich nicht dai'auf beschränken, einen Theil des
Pupillarrandes der inneren WundöfFnung zu nähern (Critchett), sondern der-
selbe muss durch den Stichkanal herausgezogen werden (Fagenstecher, Berlin).
Die Dehnung ist dann so gross, dass die Iris bei einem raschen unvor-
sichtigen Zuge bisweilen theilweise von ihren ciliaren Verbindungen los-
getrennt wird {Alf. Graefe). Im Gaiizen wird sie ziemlich gut vertragen,
höchstens atrophirt die am meisten gespannte Partie der Eegenbogenhaut
und es zeigen sich dann im weiteren Verlaufe einzelne sehnenähnliche
graue pigmentlose Streifen oder Flecke in das Gefüge eingeschaltet. Nicht
ganz selten werden jedoch auch Entzündungen angeregt, ja man hat in
einzelnen Fällen sogar deletäre Irldochorioiditls und Schwartenbildung an
der hinteren Wand der Iris und des Strahlenkörpers mit gänzlicher
Erblindung des Auges und sympathische Gefährdung des zweiten Auges
(Mooren) beobachtet {Alf. Graefe, Steffan, Höring, Worlitschek, Secondi).
In Anbetracht dessen wurde schon vor Langem die Nothwendigkeit
hervorgehoben, den gespannten Wstheil einige Zeit nach der Verlagerung
einzuschneiden {Himly). Neuerer Zeit empfiehlt man im drohenden Falle
die Iridectomie nachzuschicken (Alf. Graefe). Es liegt jedoch auf der Hand,
dass durch diese Nachoperation der eigentliche Zweck der Verlagerung,
die Abbiendung getrübter oder verkrümmter Partien der dioptrischen
Trennungsflächen, vereitelt wird. Es hat daher die ^'e^■lagerung der Pupille
neuerer Zeit sehr viel an Ruf verloren und die Meisten ziehen es mit
gutem Grunde vor, ihr durchwegs die Iridectomie zu substituiren.
Die Gefalir Ijestelit ganz besonders, wenn eine vordere Synechie gegeben
oder wenn ein Theil des Selilochrandes an die Kajjsel geheftet ist und man nicht
mit Sicherheit darauf rechnen kann , denselben xinter dem Zuge der Pincette los-
zureissen. Es kann sich dann nämlicli die Dehnung- nicht über die gesammte Iris
vertheilen, dieselbe betrift't hauptsächlich die zwischen der krankhaften Anheftung
und dem künstlichen Vorfalle gelegenen Portionen. Vorzugsweise aber leidet der
Pupillarrand, da die der Schnittwunde gegenüberstehenden Theile der Iris nicht
nachrücken können. Derselbe verträgt die übermässige Zerrung aber iim so weniger,
als er oft in weiten Strecken narbig degenerirt oder doch von schrumpfenden
Wucherungsproducten durchsetzt und darum minder nachgiebig geworden ist. Es
werden daher auch vordere und unlösbare hintere Synechien fast allgemein als Gegen-
anzeigen der Verlagerung anerkannt.
Manche empfehlen, bei hinteren Synechien der Verlagerung der Pupille die
Corelysis vorauszuschicken (Ad. Weher). Damit wird aber der Zerrung des Pupillar-
randes nicht genügend gesteuert, indem sich eben die mit hinteren Synechien ver-
knüpfte narbige Rigidität der Pupillarzone nicht beseitigen lässt.
Die Verlagerung der Pupille nach zwei Seiten durch Erzeugung eines künst-
lichen Vorfalles an jedem Ende eines Cornealdurchmessers (Bounnan) ist in Anbe-
tracht der vorerwähnten Gefahren einer übermässigen Zerrung nicld zu empfehlen.
304
Iridodesis.
Die Operation wird von den Augenärzten in sehr verschiedener Weise
durchgeführt. Im Allgemeinen sind zivei Hauptmethoden zu unterscheiden,
die Iridodesis (Critchett, Pagenstecher), bei welcher der künstliche Prolapsus
durch einen umschlungenen Faden fixirt wird, und die Lidenkleisis (Himly,
Wecker), bei welcher auf die Einklemmung des Vorfalls von Seite des Wund-
canales gerechnet wird.
Behufs der Iridodesis wird an dem für die Pupillenverlagerung geeigneten
Bogentbeile des Cornealrandes mittelst einer zarten krummen Nadel ein feiner
Seiden- oder Zwirnsfaden durch
Fig. 3G. den Linihns conjiinctivalis ge-
führt und dessen Enden einst-
weilen über die Stirne und
Wange gelegt. Nun wird knapp
neben dem im Bindehautsaume
lagernden Fadenstücke der
Homhaufsfich gleichwie bei
der Iridectomie gemacht. Hier-
auf schürzt man den Faden
zu einer Schlinge und geht
durch diese hindurch mit der
Fischer'schen Pincette in die
Kammer ein, fasst die Iris
nahe am Pupillarrande und
zieht einen Theil derselben
aus der Wunde (Fig. 36), wor-
auf die Schlinge zugeschnürt
und der Prolapsus sonach
fixirt wird. Die Fadenenden
werden dann selbstverständlich
mit der Schere abgeschnitten
(Snellen). Die Operation wird
am besten während der Nar-
kose, jedenfalls bei sicher
üxirtem Augapfel ausgeführt. Der eine Assistent hat hierbei eines der beiden Lider
abgezogen zu erhalten und mit der anderen Hand das eine Fadenende anzuziehen,
wenn die Schlinge zugeschnürt werden soll. Der Operateur kann, während eine
Hand die Pincette führt, mit dem Ring- und Mittelfinger der anderen Hand das
zweite Lid fixiren, gleichzeitig aber mit dem Zeigefinger und Daumen der letzteren
das zweite Fadenende anziehen. Zur Fixation des Bulbus gehört ein zweiter
Assistent.
Die Nachbehandlung ist der bei Iridectomie vollkommen analog. Schon nach
24 Stunden fällt gewöhnlich die Schlinge ab. Mitunter jedoch bleibt sie auch hängen
und muss dann nach mehreren Tagen künstlich entfernt werden. Die Reaction ist
meistens eine sehr geringe und bedingt kaum eine Gefahr.
Die Durchführung des Fadens durch den Limbus conjunctivalis erleichtert
wesentlich die richtige Anlegung der Ligatur und macht die verschiedenen Schiingen-
schnürer (Schuft, Förster) entbehrlich, welche man erfunden hat, um die Schwierig-
keiten bei der Anlegung der Schlinge mit freier Hand zu umgehen.
Leider gewährt die Knotenschlinge keine Garantie gegen ein theilweises
Zwückziehen des künstlich erzeugten Iris Vorfalles, vielmehr wird der Erfolg der
Operation durch ein solches Ereigniss gar nicht selten gefährdet. Es fällt eben die
Schlinge, besonders wenn sie etwas kräftiger zugeschnürt wurde, häufig zu rasch
ab, als dass die betreffende Irisportion in dem relativ kurzen Wundkanale sich
schon hinlänglich befestigt haben könnte, um dem Zuge der übrigen Regenbogen-
hauttheile zu widerstehen. Der Umstand, dass die prolabirte Irisportion knapp an
der äusseren Wundöffnung in ein schmales Bündel zusammengedrückt wird, welches
den Wundkaual nur zum kleinen Theile ausfüllt und der Verwachsung blos schmale
Flächen bietet; weiters der Umstand, dass der verhältnissmässig weite Wundkanal
zur Zeit des Schlingenabfalles kaum immer schon fest genug verklebt ist: sind
einem solchen theilweisen Zurückziehen des Prolapsus jedenfalls sehr günstig.
Iriilenkloisis; iiitnioculäre Myotoinio; Iridoctomio mit, Exlnictiou der Linse.
305
Fig. 37
■=-i-— .1^
Es ergiebt sich hierans die Malmung, den Wundkaiial möglichst lange und
enge zu machen. Gescliieht dieses aber, so ist nach einer Reihe von einschlägigen
Versuchen die Umschlingung des ProLapsus mit einem Faden ganz üherflüssig , der
Vorfall lieilt rasch und jedenfalls sicherer als hei der Iridodcsis ein. Das Resultat
ist übrigens dem einer gelungenen Iridodesis vollkommen entsprechend und dauernd.
Behufs der Iridenldeisis, oder der Einklemmung eines künstlich erzeugten
Prolapsus iridis in einen langen und engen Wundkanal, wird ganz so'^vor-
gegangen wie bei der Iridecloniie.
Doch wird der Einstich etwa '^/x'"
von der Cornealgrenze in der Leder-
haut gewählt und das Lanzenmesser
sehr schief nnd nur so weit vorge-
schoben , dass die innere Wund-
öifnung wenig mehr als 1''' Länge
bekömmt. Hierauf wird mit der
Irispincette die Regenbogenhaut nach
Bedarf aus der Wunde hervorgezogen
(Fig. 37), der Prolapsus aber ein-
fach liegen gelassen. Die Nachbe-
handlung ist der nach Iridectomie
gleich. Der Vorfall stösst sich
nach mehreren Tagen ab; falls er
längere Zeit fortbesteht und am
Ende lästig wird , kann er einfach
abgetragen werden. Reaction folgt in
der Regel keine.
3, Die intraocidare Myotomie oder Durchschneidung des CiUarmuskels (Hancock,
Solomon) soll eben so sicher und dauernd eine Entsjjannung der BuUniswände nach
sich ziehen, als die Iridectomie, also überall, wo es sich um Verminderung des
intraocularen DriTckes handelt, der Coremorphose substituirt werden können und
den Vortheil haben, dass sie bei gleicher Leistung gar keiner Nachbehandlung
bedarf und ambulatorisch vorgenommen werden kann (BirkheckJ und dass das Auge
weniger entstellt wird, als durch die künstliche Pupille. Insbesondere wird sie
mehrseitig empfohlen bei Glaucovi , bei Sclerochorioidalstcqjhj/lomen, bei Staphyloma
posticum sclerae, ja selbst als Mittel, ^xn^\ Asthenopie und fortschreitende Bathi/moiphie
zu bekämpfen. Sie wird ausgeführt, indem man ein Staarmesser am unteren äusseren
Rande der Cornea mit nach hinten und unten gerichteter Spitze einsticht und an
dem Linsenrande vorbei bis in den Glaskörper vordringen macht. Nach Einigen
soll die Fläche des Messers bei der Schnittführung in der Ebene des Meridianes
stehen, so dass eine etwa l'^'" lange meridionale Wunde in der Scleralvorderzone
resultirt (Hancock). Andere stellen die Klingentlächen senkrecht auf den Meridian,
so dass die eine nach der Sclera, die andere nach dem Linsenrande sieht, können
also auch ein Lanzenmesser benützen. Das Messer soll in letzterem Falle so tief
eingesenkt werden, dass eine 2'" — 2^/2'" lange Wunde gebildet wird (Solomon).
Auch muss es langsam ein- und ausgeführt werden. Es entleert sich in der Regel
Glaskörpersubstanz. Die Operation soll schmerzlos sein und keine starke Reaction
im Gefolge haben.
4. Die L-idectomie durch den peripheren Linear schnitt mit Extraction der
Linse (Graefe) ist in Fällen am Platze, in welchen derbe sehnige Neu-
bildungen die hintere Fläche der Iris überkleiden, die Pupille völlig obliteriren
und mit der Kapsel in weiterem Umkreise verlöthen. Wo man solche
Pseudomembranen an der Plinterwand vermuthet, oder von deren Xov-
handensein durch eine frühere misslungene Iridectomie Kcnutuiss gewonnen
hat, muss mittelst eines Staarmessers au der oberen Grenze der Cornea
Stellwag, Augenheilkunde. 20
306 Irüleotiimie mit dem peripli. Lim^arsrliiiitt u. Linseiipxtvnotion; Iridotomie.
ein LinearscJmitt, wie behufs einer Staai'extraction, gefülu't werden, wobei
jedoch das Messer sogleich durch die Iris gestossen und gegen die Contrapunc-
tionsstelle geführt wird. Selbstverständlich ist dann die Kapselhöhle in der
Regel eröffnet und es quillt bereits etwas Linsenmasse aus der Wunde
heraus. Es wird nun mit einer scharf fassenden, quer gerifften Pincette
so eingegangen, dass der eine Arm derselben vor, der andere hinter der
Iris zu liegen kömmt. Der gefasste Theil wird etwas vorgezogen und
davon mit einer feinen geraden oder besser vielleicht stark nach der Fläche
gekrümmten Schere ein möglichst grosser Zwickel ausgeschnitten, worauf
die Linse durch das bei der Linearextraetion gewöhnliche Manöver ent-
fernt wird (Graefe), Hierauf wird ein Schutzverband angelegt und die
Nachbehandlung gleich wie nach einer einfachen Staarextraction geleitet.
Im Ganzen ist diese Operation eine gefährliche, weil sie fast immer mit
grösstenfheiliger Entleerung des verflüssigten Glaskörpers verknüpft ist, also einen
Collapsiis biilbi mit allen dessen Gefabren , Gefässberstung-en , Netzbantablösnngen
u. s. w. zur unmittelbaren Folge hat. Sie ist aber auch nur ein letztes Mittel in
verzweifelten Fällen, bei welchen nicht viel zu verlieren ist.
5. Die Iridotomie oder einfache Einschneidung der Iris wird neuerer
Zeit bei verzweifelter Iridolcylditis mit Abfiachung des vorderen Augenab-
schnittes und retroiritischen Schwarten nach Staaroperationen, überhaupt
bei Aphakie, als ein vorzügliches Verfahren gerühmt (Homer). Sie kann
ebensowohl mit einem sichelförmigen als mit' einem Lanzenmesser ausge-
führt werden, indem dieses steil durch die Hornhaut und die Iris in den
Glaskörperraum eingesenkt und sofort zurückgezogen wird. Die Gebilde
sind meistens retractil genug, um mit Hilfe des in den Spalt sich vor-
drängenden Glaskörpers eine bleibende Oeffnung zu bilden, welche den
Lichteinfall gestattet. Die geringere Verletzung, die unbedeutende Blutung
u. s. w. machen auch die Reactiou und die Neigung zur Wiedervei'schliessung
der Wunde geringer, als dies bei forcirten Ausschneidungen eines Irisstückes
der Fall zu sein pflegt.
Quellen. Beer, Lehre von den Augenkrankheiten. II. Wien. 1817. S. 200. —
Hinily, Krankheiten u. Missbildungen d. m. Auges. II. Berlin. 1843. S. 127, 156,
160. — Oraefe, A. f. O. II. 2. S. 177, 202, 227, 239, 241, 244, 246, 247, 248, 251 ;
III. 2. S. 548; IV. 2. S. 271; VI. 2. S. 150; VIII. 2. S. 261, 262; IX. 3. S. 126;
XII. 2. S. 159; XIV. 3. S. 139, 141, 147. — Hasner, Kl. Vorträge. Prag. 1860. S. 153,
291 ; Prager Vierteljahrschft. 76. Bd. S. 137. Congres intern, d'ophth. Paris. 1863.
S. 75. — Knax>p, klin. Monatbl. 1863. S. 165, 167; A. f. O. XIV. 1. S. 262. —
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1863. S. 395, 396, 402; 1868. S. 325; 1869. S. 431. — Hetjmann, ibid. 1864. S. 365.
— Rothmund, Deutsche Klinik. 1865. S. 170. — Streatfield, Ophth. Hosp. Rep. 1857.
Nro. 11. — Boxmnan, ibid. 1859. Nro. 9. S. 154. — Crif.chett, ibid. 1859. Nro. 9.
S. 145; klin. Monatbl. 1863. S. 466. — A. Sichel, Les indicat. de l'iridectomie etc.
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Ann. d'oc. 1864. S. 1. — Alf. Graefe, A. f. O. IX. 3. S. 199, 205, 207. — Stefan,
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Krüger 1. c. S. 35 und Seitz, Handbuch der Augenheilkunde. Erlangen. 1855.
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Utrecht. 1862. S. 280; Congres intern, d'ophth. Paris. 1863. S. 235. — Wecker,
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beck, Schmidt'« .Talirhiichor. 1 10. Hd. 8. 310. — Secondi, 8nlla cnra del clicratocono.
S. 8, 16, 20.
SECHSTER ABS( HNITT.
Entzündung der Aderhaut und des Strahlenkörpers,
Chorioiditis und Kyklitis.
Anatomie. Die Aderhaut, Chorioidea, liegt der Imienwand der Sclerotica
enge an und ist lose mit derselben verwachsen. An ihrem hinteren Umfange
lässt sie durch das runde Foramen opiicum chorioideae den Sehnerven durch-
treten und hängt daselbst durch elastisch-bindegewebiges Gefüge, welches
in conceutrischen Faserzügen den Lochrand umgibt und einen förmlichen
Ring, den sogenannten Faserring, bildet, mit der Lamina cribrosa und dem
Neurilem des Sehnerven innig zusammen. Nach vorne findet die Aderhaut
eine imaginäre Grenze an der Ora serrata, allwo sie auch mit der Netz-
haut fest verwachsen ist. Das Uvealgefüge setzt sich jedoch über diese
Grenze fort und bildet die als Ciliarforlsätze bekannten Anschwellungen,
deren Summe als Strahlenkörper beschrieben wird.
Man unterscheidet an der Aderhaut eine Anzahl von Schichten, welche
der Reihe nach von aussen nach innen gezählt als äussere Pigmentschichte
oder Lamina fusca, als eigentliche Gefässlage oder Tunica vasculosa, als
Membrana choriocapiUaris oder Ruischiana, als Lamina elastica oder Grenz-
haut und als Stratum pigmenti oder Tapet aufgeführt werden.
Die Lamina fusca oder Suj)rachorioidea ist ein lockeres flockiges bräunliches
bis schwai-zes Gewebe, welches die zwischen Aderhaut und Sclera ziehenden langen
Ciliargetasse und Nerven umhüllt und, indem es aus der äusseren Oberfläche der
Aderhaut hervorgeht und theilweise in das innerste Stratum der Sclerotica eindringt,
diese beiden Häute mit einander verbindet. Es besteht aus einem elastischen
Fasernetze (Heule) und einer dessen Lücken ausfüllendeir structurlosen hyalinen
Intercellularsubstanz. Eingebettet in dieses Gefüge findet sich eine grosse Anzahl
wahrscheinlich eingewanderter Lymphkörner (C^^erny, Haase) und höchst mannigfaltig
gestalteter, zum Theile sternförmiger, ganz farbloser oder mehr weniger pigmentirter
kernhaltiger Zellen, welche mit längeren und kürzeren, meist sehr zarten, bisweilen
anastomosirenden Fortsätzen versehen sind.
Nach neueren Untersuchungen ist zwischen der Chorioidea und der Sclera
ein mit dem charakteristischen Endothel überkleideter Lymphraum gelegen. Es
communicirt derselbe durch Lymphwege, welche an den Wirbelvenen nach aussen
gehen, mit dem Lymphraume der Tenon'schen Kapselhölile, ist aber sonst völlig
abgeschlossen und steht in keiner Verbindung mit den Kammern, welche gleichfalls
als ein Lymphraum betrachtet werden (Schicalhe).
Die stets minder gefärbte eigentliche Gefässlage und die farblose zarte Chorio-
capiUaris stellen den eigentlichen Körper der Aderhaut vor. Das Stroma derselben
ist dem der Lamina fusca ähnlich. Doch drängen sich die Zellen in der Tunica
vasculosa schon mehr zusammen, werden grossentheils farblos, haben nur kurze
Ausläufer und gehen nach innen hin allmälig in ein ganz homogenes oder leicht
20*
308 Aderhaut; Anatomie; Greiizhaut; Tapet; Strahlenkörper.
streifiges, zum Theile noch kernhaltiges Gewebe über, welches von gewissen elasti-
schen Lamellen der innersten Gefässhaut nicht mehr zu unterscheiden ist. Auf der
inneren Oberfläche dieses Stratums, etwas eingesenkt in dasselbe, liegt das ungemein
dichte CapiUarnetz, welches der fraglichen Schichte seinen Namen gegeben hat. Die
Gefässe desselben haben ein sehr gleichmässiges Caliber und ordnen sich theilweise
sternförmig um einzelne Knotenpunkte, meistens aber bilden sie ein feines Strick-
werk ohne deutliche Mittelpvinkte.
Die Lamina elastica oder Grenzliaut der Chorioidea ist ein zartes, vollkommen
hyalines, structurloses, mit einzelnen sehr hellen Kernen belegtes Häutchen, welches
in seinem Verhalten den Glashäixten ganz analog erscheint. Es überzieht die innere
Oberfläche der Choriocapillaris ihrer ganzen Ausdehnung nach, hängt mit derselben
innig zusammen, lässt sich aber, besonders in macerirten Aderhäuten, leicht in
grossen Fetzen abziehen.
Es trägt auf seiner Innenwand das Stratum pigmenti, das aus regelmässig
sechsseitigen, dicht an einander gedrängten, äusserst dünnwandigen Zellen besteht,
welche braunschwarze Pigmentkörner in grosser Menge, theils suspendirt im flüssigen
Zelleninhalte, theils angelagert an die gegen die Netzhaut sehende Wand, enthalten;
daher der Kern meisthin nur als ein heller Fleck erscheint. Die Pigmentkörner
sollen an frischen Thieraugen die Gestalt länglicher scharfkantiger Krystalle haben
und ihre Axe senkrecht auf die Oberfläche der Netzhaut kehren {Frisch). Die
Pigmentzellen werden durch eine feste zähe homogene Bindesubstanz zusammen-
gehalten. In der Gegend der Macula lutea stehen sie dichter, ändern ihre Form,
werden höher als breit und vimhüllen zum Theil die Elemente der Stabschichte
der Netzhaut. Die Pigmentkörner dieser Zellen sind grösser und mehr länglich
als in den übrigen Theilen der Ader- und Regenbogenhaut (Henle, RosowJ. Durch
Chlor lassen sie sich bleichen (Wittich, Rosow). Vom Standpunkte der Entwicke-
hmgsgeschichfe aus erscheint das Aderhauttapet als ein Theil der Netzhaut (O,
Ritter, BabuchinJ.
Der Strahlenkörper (Fig. 2. k, S. 54) ist eine unmittelbare Fort-
setzung der Chorioidea, als deren Ciliartheil er betrachtet werden kann.
Von hinten besehen, erscheint er zusammengesetzt aus etlichen und siebenzig
innig mit einander verschmolzenen, meridionaliter gelagerten keulenförmigen
Anschwellungen, welche in die von der Zonula gebildeten Faltenthäler
eingebettet sind und dieselben bis auf geringe Distanz vom Linsenrande
ausfüllen. Ihre Köpfe berühren letzteren unter keinen Umständen (Arlt,
0. Becker). Es sind diese Anschwellungen, die Ciliarfortsätze, eigentlich
nur Falten, in deren vordere Concavität sich der Ciliarmuskel einsenkt.
Die freie Oberfläche derselben trägt einen der Grenzhaut der Chorioidea
analogen üeberzug, auf dem ein Stratum pigmentirten Epithels ruht, welches
mit dem Ciliartheile der Retina ziemlich fest verklebt ist und beim Abziehen
des Kranzes auf der Zonula haften bleibt.
Die Structur der Strahlenfortsätze ist jener der Aderhaut sehr analog. Es
lassen sich in ihnen dieselben Schichten nachweisen, mit Ausnahme der Choriocapillaris,
welche an der Ora serrata endet und durch meridional ziehende, verhältnissmässig
sparsam verzweigte Gefässe ersetzt wird. Die Grundlage der Ciliarfortsätze bildet
ein sehr gefässreiches, lockig welliges Bindegeivebe, das in feine parallele, in meri-
dionaler Richtung streichende Bündel geordnet ist. Von der inneren Fläche dieser
Bindegewebshaut erheben sich schon in der Nähe der Ora schmale und niedrige
Leistchen, die sich vielfach unter einander kreuzen und ein nach vorne hin immer
feiner und enger werdendes Gitterwerk, das Reticulum des Strahlenkranzes, dar-
stellen. Ueber dieses Maschennetz hinweg, allen Vertiefungen und Erhabenheiten
sich anschmiegend, streicht die structurlose Grenzhaut, welche ihrerseits wieder von
der Pigmentschichte gedeckt wird. Die Zellen der letzteren füllen die Gruben des
Reticiilum aus und lassen die Oberfläche der Processus glatt und eben erscheinen.
Die Pigmentkörner sind hier rund (Rosow).
Eingebettet in die vordere Concavität der Strahlenfortsätze lagert der
Ciliarmuskel (Todd-Bowman) oder Aderhautspanner (Brücke, Fig. 2, l, o),
Ciliarmuskel ; Ciliargefässe. 309
welcher früher als Ligamentum ciliare beBchrieben wurde. Es stellt sich
derselbe als ein ziemlich dicker und breiter, im senkrechten Durchschnitte
dreiseitig prismatischer King von weissgrauer Farbe dar. Er besteht aus
glatten Muskelfaserbündeln, welche theils eine meridionale Richtung haben,
theils aber kreisförmig verlaufen. Sämmtliche Faserzüge entspringen in
Form eines dreikantigen Muskelringes von der Cornealgrenze. Der Ansatz
Avird durch Bindegewehe vermittelt, welches sich in derbe Platten ordnet.
Nur ein sehr kleiner Theil dieser Platten steht mit der Descemeti in Ver-
bindung, die Hauptmasse geht unmittelbar in die Hornhautsubstanz und
eine andere untergeordnete Portion in die vordere Scleralgrenze über. In
dem dreikantigen Muskelringe laufen alle Faserbündel meridional, die vor-
dersten oder äussersten Bündel behalten diese Richtung und schliessen enge
aneinander, eine dichte, mehr weniger mächtige Lage von Längsfasern l
bildend, welche sich an der Chorioidea festsetzt und von der Lederhaut
blos durch eine dünne Schichte lockeren, oft noch pigmentirten Bindege-
webes, einer Fortsetzung der Fusca, getrennt wird. Nach innen hin lösen
sich von dieser Platte meridionaler Faserzüge die einzelnen Bündel immer
mehr ab, ziehen mehr gerade nach hinten oder nach hinten innen, in ihrer
Richtung der freien Oberfläche der Ciliarfortsätze sieh zuwendend, treten
fächerförmig auseinander, verflechten sich und bilden ein grobes Maschen-
werk, dessen Lücken vom Bindegewebe ausgefüllt werden. Bei dieser
Verflechtung wechselt auch allmälig die Richtung der Fasern, geht aus
der meridionalen in die circuläre über. Sie wird in den vordersten Zügen
des Muskels und in jenen, welche den Muskel der Fläche nach von dem
Gefüge der Ciliarfortsätze abgrenzen, eine rein circuläre; die Fasern streichen
hier in der Breite und vereinigen sich wieder zu einer stärkeren Muskel-
faserlage, welche den Körper des ganzen Muskels gleich den Catheten
eines rechtwinkeligen Dreieckes nach vorne innen und nach hinten innen
abgrenzt. Dazu kommen dann die MiUler^schen Kreisfasern o, welche ausser-
halb des Muskelkörpers, vor der vorderen inneren schmalen Faserplatte
mehr isolirt lagern, und netzförmig sowohl unter sich als mit dem Haupt-
muskelköi'per verbunden sind. Die meridionalen Fasern der äusseren vorderen
Platte ziehen die vordere Chorioidalgrenze nach vorne, erschlaffen also
die Zonula; die Kreisfasern wirken gleich einem Sphincter iind ziehen
die Theile gerade nach innen, die Abspannung der Zonula erhöhend
{F. E. Schnitze, Iwanoff, Rollet).
Die eigentliche Chorioidea wird vornehmlich von den kurzen hinteren
Ciliararterien versorgt ; der CiUarmuskel, der Strahlenkörper und die Lris
aber von den langen hinteren und den vorderen Ciliararterien. Der grösste
Theil des venösen Blutes passirt die Wirbelgefässe der Aderhaut und gelangt
durch die hinteren Ciliarvenen zu den orbitalen Geflechten; ein kleiner
Theil desselben, und zwar besonders der aus dem CiUarmuskel rückströmende,
hat einen eigenen Abfluss durch die vorderen Ciliarvenen.
Die hinteren Ciliararterien treten in Gestalt kleiner verästelter Stämmchen,
welche unmittelbar von der Augenschlagader kommen, an den Bulbus heran. Die
kurzen durchbohren die Lederhaut an ihrem hinteren Umfange in ziemlich senk-
rechter Richtung. Die zahlreichsten und stärksten dringen in der Gegend des
gelben Fleckes ein. An der inneren Oberfläche angelangt, streichen sie eine Strecke
weit an der Aderhaut hin, zertheilen sich mehr und mehr, senken sich allmälig
zwischen die Wirbelgefässe der A^asculosa und lösen sich endlich in der Chorio-
capillaris zu einem feinen Netze auf. Die hintersten derselben anastomosiren
310 Aderhaut; Anatomie; Ciliargcfässc; Sclilemni''adier Canal.
reichlich mit dem liinteren Gefässkranze der Sclera und den Nährgefässen des
Nervenkopfes , stehen also mit den Netzhautgefässen in Verbindung. Die mehr
nach vorne gelegenen Stämrachen reichen mit ihren Verzweigungen bis zur Ora
serrata, ja einzelne gehen über diese hinaus und vereinigen sich mit dem arteriellen
Gezvveige des Ciliarmuskels und der Strahlenfortsätze. Die zwei hinteren langen
Ciliararterien dringen etwas weiter nach vorne in die Sclera ein, durchsetzen die-
selbe in sehr schiefer Richtung, ohne Zweige abzugeben, und laufen im horizon-
talen Augendurchmesser, je eine auf jeder Seite, an der äusseren Aderhautfläche
gerade nach vorne. Im Ciliarmushel spalten sie sich gabiig und gehen seitlich
abbiegend zur vorderen Grenze des Muskels, um hier den grossen Gefüsskranz der
Iris zu bilden. Die vorderen Ciliararterien kommen aus den Bäuchen der vier
geraden Augenmuskeln, durchbohren deren Sehnen und verästeln sich in der vor-
dersten Zone des Episcleralgewebes. Eine Anzahl von Zweigen tritt dann in
ziemlich gerader Richtung durch die Lederhaut hindurch. Im Ciliarmuskel zerfah-
ren sie in kleinere und kleinere Reiser und lösen sich endlich in ein Capillarnetz
auf, welches den Aderhautspanner durchstrickt. Ein Theil der Aestchen verbindet
sich mit solchen der langen hinteren Ciliararterien und vervollständigt den Circulus
arteriosus major iridis. Ein anderer Theil bildet weiter nach hinten und zwar
ungefähr in der Mitte der Muskelbreite einen zweiten, oder unvollständigen Gefüss-
kranz, zu welchem gleichfalls das Gezweige der hinteren langen Ciliararterien
beiträgt. Ein dritter Theil endlich geht rüclcläiifig zur Chorioidea, anastomosirt hier
mit Endästen der hinteren hur^xn Ciliararterien und speiset die vordere Zone der
Choriocapillaris mit arteriellem Blute (Leher).
Die Venen streichen in der Vasculosa der Aderhaut strahlig , doch mit vor-
waltend meridionalem Zuge, gegen gewisse Punkte hin und bilden solchermassen
die bekannten Wirhel, von welchen man ö — 6 grosse und 1 — 6 kleinere zählt.
Die Stämmchen, in welchen sich die einzelnen Vortices sammeln, durchbrechen die
Sclera in sehr schiefer Richtung, vereinigen sich innerhalb der Emissarien mit an-
deren nachbarlichen Stämmchen und treten endlich , etwa 6 an der Zahl , am
Augengleicher in die Orbita heraus, um in die beiden Venae ophthahnicae zu mün-
den. Selten communiciren sie direct mit dem Sinus cavernosus, stehen dann aber
sowohl unter sich als mit den beiden vorgenannten Blutadern in Verbindung
(Sesemann). Die zarten Venen, welche aus dem hinteren Umfange der Lederhaut
herauskommen , gehören lediglich dieser an und haben Iceine Zuflüsse aus der
Chorioidea. Sie entsprechen also nicht den hinteren kurzen Ciliararterien. In
gleicher Weise fehlen lange hintere Ciliarvenen. Alles durch die Wirbelgefässe
strömende Blut ist durch Capillaren gegangen; ein unmütelhares Umbiegen von
Arterien in Venen (Brücke) ündet im Bereiche der Uvea nicht statt. Die Haupt-
quelle für die fraglichen Adersterne ist selbtsverständlich die Choriocapillaris.
Doch liefern auch die Regenbogenhaut, die Strahlenfortsätze und der Ciliarmuskel
sehr erhebliche Zuflüsse. Von der Iris geht kein Venenblut direct durch die vorderen
Ciliarvenen, vielmehr verflechten sich deren abführende Gefässe särnmtlich mit
jenen der Strahlenfortsätze zu einem groben Netze, das unterhalb des Muskels zur
Aderhaut hinzieht und sich hier mit den vorderen Strahlen der Wirbelgefässe ver-
knüpft. Es nimmt dieses Netz jedoch auch Venenäste aus dem Ciliarmuskel auf,
dessen Blutadergeflechte den grössten Theil ihres Inhaltes auf directem Wege durch
die Vorderzone der Sclera nach aussen senden. Es treten nämlich aus dem Muskel
zahlreiche Stämmchen in die Lederhaut und verbinden sich innerhalb derselben
theilweise zu dem Plexus ciliaris venosus p (fälschlich Canalis Schiemmi genannt),
theilweise aber durchsetzen sie die weisse Augenhaut in gerader Richtung durch
selbstständige Emissarien. Die sämmtlichen an der vorderen Bulhuszone heraustre-
tenden Blutäderchen werden als vordere Ciliarvenen beschrieben. Sie stehen mit
den vorderen Scleralgefässen, so wie mit den Geflechten der Cpnjunctiva und Cornea
in Verbindung. Unter normalen Verhältnissen entleeren die vorderen Ciliarvenen
also in überwiegendem Masse ))los Venenblut aus dem Aderhautspanner , aus den
übrigen Theilen vermitteln sie nur dann einen beträchtlicheren Abfluss, wenn der
Strom in den Stämmen der Wirbelgefässe gestaut ist (Leber). Der jüngst sehr her-
vorgehobene Zusammenhang der Venae vorticosae mit den Venen der Cornea
(Winther) ist jedenfalls ein sehr entfernter, mittelbarer.
Die arteriellen Gefässe der Aderhaut führen eine verhältnissmässig mächtige
Ringmuskelschic] de. Ausserdem ist ihre Adventitia von Bündeln muscularer Faser-
zellen gesäumt. An den langen hinteren Ciliararterien stehen diese Bündeh in
Ciliarnorven ; Augeiisiiiogt'Uiild. 311
flirectem Zusammenhange mit dem Adcrhautspannei-. Im hinteren Theile der Chorioidea
anastomosiren sie gcgenseitio; netzartig- (II. Müller). Neuerer Zeit wird das Vor-
kommen chorioidaler Muskelfasern wieder stark bezweifelt (F. E. ächuU-:e, Ilippel,
GnlnhagenJ.
Die Ciliarnerven (S. 9) verzweigen sieh in ihrem Tjaufe durch die Lamina
fusca sehr stark und geben selbst rilclcuHiit.s streichende Aestchen ab, welche
theiis dunkelrandige, theils blasse Primitivfasern enthalten. Sie hängen mit einem
Netze blasser Fasern zusammen, welches vorzugsweise in der hinteren Hälfte der
äusseren Pigmentschichte lagert und dessen feinste Aeste sich in den Arterien zu
verlieren scheinen. In diesem Netze, sowie in den Stämmen der Ciliarnerven finden
sich zahlreiche kleine GaiKjlien eingestreut (IL Müller, Schweigger).
Ophthalmoskopische Erscheinungen. Die Aderhaut bestimmt ver-
möge ihres reichen Gehaltes an Bhit und dunklem Pigmente die Farbe
des AugengTundes im ophthalmoskopischen Bilde. Es ist diese in der
Eegel ein helles Gelbroth (Fig. ^1) mit einer mehr oder weniger auffälligen
Beimischung von Braun, Die gelbrothe Farbe ist Reflex des in den
Gefässen der Vasculosa und Choriocapillaris circulirenden Blutes, die bräun-
liche Beimischung aber rührt von dem Stratum pigmenti und zum Theile
auch von dem Farbestoff der eigentlichen Chorioidea her. Sie macht sich
um so deutlicher bemerkbar, je reicher der Pigmentgehalt der Chorioidea
ist. Während der Augengrund bei Hellblonden sehr licht gelbroth erscheint,
zeigt er bei dunkelhaarigen Individuen mit brauner oder schwarzer Iris
meistens einen hell braunrothcn Ton. Die Art der Beleuchtung und die
Qttalität des verwendeten Lichtes ist dabei von grösstem Einflüsse. Im
umgekehrten Bilde erscheint die Farbe dunkler, als im aufrechten und am
hellsten, wenn Tageslicht benützt wird.
Das Pigmentstratum erweiset sich soliin als diaphan, was sich daraus er-
klärt, dass die Pigmentmoleküle innerhalb der Zellen nicht dicht gehäuft sind und
dass die Pigmentzellen durch eine , wenn auch sehr sparsame pellucide Inter-
cellularsubstanz von einander getrennt werden, somit Zwischenräume bestehen,
durch welche das Licht in jeder beliebigen Richtung zu passiren vermag. Je
dichter die Pigmentkörner in der Zellenhöhle an einander gedrängt sind, je grösser
ihr Massenverhältniss gegenüber dem flüssigen Zelleninhalte ist, um so mehr muss
natürlich die Durchscbeinbarkeit des Tapetes sinken und dessen Farbe im ophthal-
moskopischen Bilde zur Geltung kommen. In der That zeigt sich der Augengrund
bisweilen fast schivarz mit einem darül:)er schwebenden bläulichen Hauche, welcher
von der Netzhaut herrührt. Bei Negern ist dies besonders auffällig (Liebreich).
Sehr häufig trifft man bei schwarzhaarigen Individuen mit dunkler
Hautfarbe den Augengrund getäfelt (Fig. G, B, S). Es rührt dieses von
stäi'kerer Pigmentirung des Aderhautstroma's und vermindertem Farbstoffge-
halte des Tapetes her (Mauthner). Indem nämlich das pigmentführende
Aderhautstromä nur in den Maschen der grösseren Geftisse in reichlicher
Menge vertreten ist, zeigt sich der Augengrund als ein Gitterwerk von
breiten verschlungenen rothen Bändern, dessen Lücken von eckigen Flecken
mit körniger Grenze ausgefüllt werden. Diese Flecke wechseln in ihrer
Farbe von hellem Braun bis zum dunkelsten Schioarz. In der Gegend der
Macula lutea sind sie kleiner, mehr rundlich eckig, gegen die Vorder-
grenze der Aderhaut hin jedoch wachst ihr Umfang und sie werden gestreckt
mit meridionaler Längsaxe. Die regelmässige Anordnung dieser Flecke
ixnd deren genaue Einfügung in die Maschen des Venengezweiges lassen
Verwechselungen mit krankhaften Zerwerfungen des Pigmentes nicht leicht
aufliommon.
Uebrigens gehört es nicht zu den Seltenheiten, dass unter ganz normalen
Verhältnissen an den verschiedensten Stellen des Augengrundes, namentlich um
312 Aderhaut; Senile Veränderungen.
den Sehuerveneintritt hervim, sich die Stromazellen häufen und einzehie uni-egel-
mässige, körnig begrenzte dunkle Flecke bilden. Die Gegend der Macula lutea ist
in der Regel etwas tiefer gefärbt und mitunter sogar sehr auffällig ins Braune
schattirt.
Senile Veränderungen treten, gleichwie in anderen Körperth eilen,
so anch in der Aderhant bei verschiedenen Individuen bald früher bald
später ein, erreichen in gleichen Altersperioden bald niedere bald höhere
Grade der Ansbildnng nnd kommen fast vollständig überein mit einfacher
Atrophie, wie selbe so häufig durch krankhafte Processe begründet wird.
Das Gefüge der Aderhaut und der Strahlenfortsätze wird dabei steifer,
brüchiger, trockener; einzelne der grösseren Gefässstämme werden oft
atheromatös entartet und auch völlig obliterirt; die CapiUarnetze veröden
häufig, namentlich in der Choriocapillaris, streckenweise; die Grenzhaut
erscheint an einzelnen Stellen oder im ganzen Umfang der Chorioidea
verdickt, von choloiden Auflagerungen rauh und trübe, und in merklichem
Grade spröde. Am autFälligsten leidet aber das Pigment. Es ändert das-
selbe allmälig seine Farbe, bleicht und geht theilweise zu Grunde. Das Tapet
wird solchermassen, durchscheinender, daher denn auch das oben erwähnte
Getäfel des Aderhautstroma in senilen und atrophirenden Augen ganz
besonders deutlich hervorzutreten pflegt. Vermöge der Wandlungen und
theilweisen Auflösung der Farbestoffkörner zeigt es sich häufig in lichteu
Schattirungen des Braun. Bei weiter gediehener Involution geht es in
den Zellen des Stroma und des Tapetes wohl grösstentheils unter und man
findet die Aderhaut auf grösseren oder geringeren Strecken gleichmässig
schmutzig grauweiss gefärbt und so diaphan, dass die unterliegende Leder-
haut bloszuliegen scheint (Wedl, H. Müller). Es machen sich diese V^er-
änderungen im Augenspiegelhilde selbstverständlich geltend und modificiren
dasselbe in der mannigfaltigsten Weise.
Die Stromazellen erhalten sich gewöhnlich sehr lange. Doch erscheint ihr
Inhalt oft getrübt und von Fettmolekülen durchsetzt. Der Farbstoff ist dann
meistens sehr verblasst oder fehlt gänzlich. Zwischen den Zellen zeigen sich
häufig ausgebreitete Lager freier Fettkörnchen, ausnahmsweise wohl auch zerstreute
Choloidkugeln. Die athei'omatösen Gefasse werden oft schon mit freiem Auge als
dicke verzweigte rigide weisse Stränge erkannt. Sie laufen bisweilen in athero-
matöse Netze aus, fehlen jedoch nicht selten ganz. Ihre Wandungen erscheinen
sehr verdickt, faserig und mit Fett und Kalksalzen, oft auch mit Pigment durchsetzt.
Die Choriocapillaris ist oft auf weite Strecken blutleer. Die Capillaren er-
scheinen in ihr häufig zusammengefallen und auf ein ganz schwach markirtes un-
regelmässiges Netzwerk reducirt , welches sich kaum abhebt von der zwischen-
gelagerten feinkörnigen structurlosen und oft fetthaltigen Molecularmasse. In ande-
ren Fällen treten die unwegsamen Gefässreste noch sehr deutlich heraus als ein
zartes nettes Balkenwerk, welches bald das Ansehen hat, als wäre es aus Binde-
gewebe geflochten, bald aber jeder Structur entbehrt und aus Strängen einer homo-
genen, das Licht stark brechenden Substanz gewoben scheint. Immer hängen diese
Netze sammt der molecularen Zwischensubstanz der Elastica fest an.
Die Verdickung der Grenzhaut erweiset sich als die Folge einer abnormen
Auflagerung hyaliner Massen, welche ursprünglich weich sind, aber allmälig er-
starren und dann in ihrem ganzen Verhalten mit der Grenzhaut selber, mit welcher
sie ein Continuum bilden, übereinkommen. Es sind diese Auflagerungen bald mehr
diffus, mit welliger Oberfläche, bald formiren sie kugelsegmentähnliche, mehr
weniger dicht gedrängte Drusen oder selbst gestielte stalaktitenähnliche Auswüchse,
welche dem freien Auge den Eindruck von feinen Sandkörnern machen, meistens
durchscheinend sind, oft aber auch Kalkkörnchen und Pigmentmoleküle enthalten,
welche sie bedeutend trüben. Sie heben die überlagernden Pigmentzellen empor
und schieben sie zur Seite , so dass ihr Fuss oft wallartig von Pigment umsäumt
Chorioiditis ; Nosologie. 313
erscheint niid das Pigmentstratum ein reticulirtcs Avissehen gewinnt. Sehr oft macht
sich diese Alteration im ganzen Umfange der Grenzhant bemerklich. In anderen
Fällen ist sie auf einzelne Partien derselben beschränkt. In vielen Fällen erscheint
sie an den Lauf der Gefässe gebunden, indem sie besonders mächtig in den
Zwischenräumen der Stämme der Vasculosa hervortritt. Sie veranlasst so im
Verein mit der Pigmentmetamorphosc die auffälligen reticulirten Figuren an der
inneren Aderliautoberfläclie. An dem elastischen Ringe des Foramen opticum
chorioideae und ebenso am Reticnlum des Strahlenkörpers pflegt sie sehr deutlich
ausgesprochen zu sein und namentlich letzterem ein ganz drusig-warziges Aus-
sehen zu geben (Wedl, Donders, H. Mülle?'). Bisweilen kann man die rundlichen
Lücken, welche diese kugeligen Auflagerungen auf die Grenzhaut durch Verdrän-
gung des Pigmentes verursachen , auch ophtiialmoskopisch erkennen. Bei sehr
reichlicher Eutwickelung stellen sie eine fein reticulirte Zeichnung mit rundlichen
Maschen dar (Liehreich).
Die Zellen des Tapetes sind mehr weniger weit in der Verfettigung vorge-
schritten. Ihr Pigment ist au den helleren Stellen schon auffällig vermindert und
überdies ins Lichtbraune, Lohfarbige, Rostgelbe etc. verfärbt. Zwischen den Pig-
mentmolekülcn treten dann die Fettkörnchen des Zelleninhaltes deutlich heraus.
Streckenweise fehlt in den Zellen das Pigment ganz und wird von Fett ersetzt.
An einzelnen Zellengruppen sind bisweilen schon die polygonalen Begrenzungen
der Zellen, vielleicht durch Berstung, verloren gegangen. An anderen Gruppen
fehlt der Zellenkörper und der Kern, die Umrisse der Zellen aber haben sich als
ein zartes polygonales Netzwerk erhalten, welches der Grenzhaut fest anhängt.
Auf weiten Strecken ist wohl auch die letzte Spur der Zellenwaudungen beseitigt,
die Grenzhaut liegt Mos, oder ist nur mehr von freien Pigmentkörnern oder von
Fettkügelchen bestreut.
Im Bereiche der Strahlenfortsätze und des CiUarmusTcels werden ganz
analoge Veränderungen beobachtet.
Auch hier ist die Verfettigung der Stroma- und muscularen Faserzellen, die
Rarefication und Verblassung des Pigmentes , die atheromatose Entartung der Ge-
fässe, die Ablagerung choloider Massen in das Gefüge sehr deutlich. Dazu kömmt
eine sehr auffällige Verdichtung und Massenzunahme des Retictdum, dessen Leist-
chen an Höhe und Dicke beträchtlich wachsen und der Innenwand des Strahlen-
körpers oft ein drusig warziges Aussehen geben. Häufig kommt es auch zur Ein-
und Auflagerung von Kalksalzen, bisweilen in solchem Masse, dass dadurch die
Maschen der Leistchen ganz ausgefüllt werden (H. Müller, Wedl).
Nosologie. Die Chorioiditis und Eylditis sind fast immer blos Theile
eines über grössere Abschnitte oder über den gesammten Bulbus ausgebreiteten
Processes. Am aufTälligsten pflegt sich die entzündliche Mitleidenschaft
des Glaskörpers und der Retina zu offenbaren, häufig tritt auch jene der
Iris und der Linse sehr deutlich heraus, weniger oft aber jene der Leder-
haut. Gemeiniglich schlagen die entzündlichen Veränderungen der Nachbar-
organe in dem Masse vor, dass sie für das Gesammtbild der Krankheit
geradezu bestimmend werden. Die älteren Augenäi'zte pflegten darum
nicht sowohl von Chorioiditis i;nd Kyklitis, als vielmehr von inneren
Ophthalmien zu sprechen und selbe je nach dem vorwiegenden Sitze und
nach ihrer Ausdehnung in vordere, hintere und allgemeine zu unterscheiden.
Die modernen Xamen Iridokyklitis , L-idochorioiditis, Chorioiditis und Panoph-
thalmitis sind in ihrer durch Uebereinkommen festgestellten Bedeutung jenen
Bezeichnungen nahezu gleichwerthig.
Das constante Hinausgreifen des entzündlichen Vorganges über die
Grenzen der Aderhaut und des Strahlenkranzes ist zum Theile in dem
innigen anatomischen Verbände begründet, in welchem das Gefüge und die
Gefässe der Uvea mit jenen der Nachbarorgane stehen. Zum anderen
Theile aber ist es eine natürliche Folge der Störungen des regulatorischen
b 1 4 Chorioiditis : Nosologie ; Seröse Foiin.
Einflusses (S. 3), welchen die Aderhaiit und der Strahlenkörper anf die
gesammte Blutströmung und mittelbar durch diese auf die Ernahrungs-
verhältnisse im Liueren des Augapfels ausüben.
-4, Die Gewebswucherung ist im Inneren der entzündeten Chorioidea
und des Strahlenkranzes meisthin eine sehr loenig productive, so zwar, dass
deren Ergebnisse nur mit dem Mikroskope ersichtlich gemacht werden
können. Man hat solchen Entzündungen einen vorwiegend secretorischen
Charakter beigemessen und sie seröse genannt, indem man annahm , dass
ein seröses oder gelatinöses Product durch die ISTetzhaut in den Glaskörper
übertrete.
Die Stromazellen zeigeu sich Lierbei iu der Regel wenig verändert, höchstens
findet man sie streckenweise etwas aufgebläht; ihr flüssiger Inhalt erscheint ge-
trübt oder gar mit Fettkügelchen durchsetzt, während der Farbstoff abgenommen
hat lind verblasst ist. Nur ausnahmsweise hat man in ihnen eine Mehrheit von
sprossenden und sich theilendeu Kernen gesehen. In einzelnen Fällen jedoch
wachsen sie gruppenweise aus und werden durch Vermehrung ihres Pigmeutge-
haltes dunkler gefärbt, oder sie gehen im Gegentheile zu Grunde. Daneben hat
mau häufig Gruppen von wahrscheinlich eingewanderten, zum Theil prulificirendeu
Lymphkörpern beobachtet, die haufenweise im Parenchyme lagerten oder in Züge
geordnet den ausgedehnten und oft theilweise atheromatösen Gefässen folgten. Sie
sind manchmal stark pigmentirt. In der Choriocapillaris sind die Capillaren gewöhn-
lich stark erweitert , zum Theile sackartig ausgedehnt. Die Zwischensubstanz er-
scheint von Lymphkörpei'n und Fettmolekulen durchstreut. Die Gvenzhaut ist
meistens verdickt, trüb, mit Choloidmassen überkleidet. Die Tapetzellen verfettigeu
öfters und büssen theilweise" ihren Farbestoffgehalt ein, oder derselbe bleicht, wird
ins Hellbraune oder Gelbe verfärbt. In Folge der Zerstörung ihrer Wände sieht
man in sjydteren Perioden häufig Gruppen freier Kerne so wie freier Farbestoff-
körner an der Oberfläche der Lamina elastica. Es nehmen übrigens die Tapetzellen
gar nicht selten, wenigstens streckenweise , directen Antheil an dem Wucherungs-
processe (Luhinslci). Sie wachsen unter mehr weniger üppiger Kerntheilung aus
und vermehren sich unter Beihilfe der Einwanderung bisweilen sehr beträchtlich.
Die jungen Zellen pflegen sich dann an einzelnen Orten zu häufen, während sich
die alten ringsum in den verschiedensten Phasen der Prolification befinden. Sie
erscheinen kleiner, sind meistens oval, seltener rund oder eckig. Ihr Pigmentgehalt
wechselt ausnehmend, ist bald sehr reichlich, bald spärlich, bald fehlt er ganz.
Die Farbestofl'körner sind in Gestalt und Grösse sehr wandelbar (Eosoic). Im
Strahlenkranze bedingt die Wucherung der bindegewebigen Grundlage ausserdem
eine sehr aufi'ällige Entwickelung des Eeficulum. Am dliarmuskel äussert sich der
Process durch Kerntheilung und Fettablagerung in den Faserzellen, sowie durch
mehr minder massenhafte Einwanderung von Lymphkörpern in die bindegewebige
Intercellularsubstanz und durch deren seröse oder gelatinöse Infiltration. Die darin
streichenden Ciliarnerven zeigen gewöhnlich in ihrer Jseuroglia mehr w^eniger
massenhaft angehäuft junge Zellen. Oft ist ihre Markscheide schon zu Grunde
gegangen, in Tropfenfoi'm oder als molekulare Masse neben den nackten Axeu-
cylindern zu sehen (Wedl, Schiceigger, Iwanoff).
Die weitere Gestaltung des Processes hängt zumeist von den Circulations-
verhältnissen im Binnenstromgebiete ab. Ist der venöse Rückfluss in irgend
einer Weise beengt oder auch nur die Beschleunigttng desselben bei ein-
tretendem Bedarfe gehindert, so muss mit jeder arteriellen Pulswelle das
Quantum des im Inneren des Bulbus kreisenden Blutes um ein Kleines
wachsen und der Binnendruck sich einem gewissen Maximum nähern, auf
welchem er dem effectiven Seitendrucke des Schlagaderblutes während
der Arteriendiastole entspricht. Es gewinnt dann der Process ein eigen-
thümliches Gepräge , indem schliesslich sämmtliche Gebilde des Aug-
apfels in Mitleidenschaft gezogen werden, er trägt fortan den glaucomatösen
Charakter.
Glaxicoinatöser Procoss; Excavatio glaucomatosa.
315
Der auf den Ciliavncrven lastende höhere Druck und viellciclit auch
eine abnorme Spannung- derselben bedingt nämUch LeUungshemmwxjen,
welche in der verminderten runctionstüclitigkGit der betretfenden Tlieile,
insbesondere in der Anästhesie der Hornhaut und bisweilen selbst in ncuro-
paralytischen Verschwärungen derselben zum Ausdrucke kommen. Mit der
Zunalime der Kapselspannung sinkt weiters die disponible Q,uotc der elastischen
Dehnbarkeit und der regulatorische Eintluss, welchen Cornea und Hclera
auf die Bimienströme ausüben, es wird der Elutlauf ungleichmässig und
bekundet dieses durch das Auftreten oder wenigstens die Neigung zu
Pidsphänomenen. Die vermehrten Widerstände, welche der arterielle Blut-
strom findet, bedingen eine Verlangsamung des Blutwechsels in den feinsten
Capillaren und damit eine weitere Herabsetzung der functionellen Energien,
schliesshch aber auch die Neigung zum Schwunde. Die Venenstauung be-
günstigt eine Steigerung der Filtration und die vermehrte Auswanderung
weisser Blutkörperchen; es trüben sich die dioptrischen Medien und in den
bluthältigen Organen sammeln sich streckenweise entzündliche Producte.
Dabei nimmt der Glaskörper entsprechend dem überwiegenden Gefässgehalte
der Aderhaut merklich an Masse zu, während das Kammerwasser in Folge
vermehrter Transfusion durch die Hornhaut (S. 5) vermindert, der Kammer-
raum also verengert wird.
Uebersteigt der intraoculäre Druck eine gewisse Höhe, so wird auch
der am wenigsten widerstandskräftige Theil der Bulbuskapsel, die Siebhaut,
nach hinten gedrückt, ausgedehnt und die nachbarliche hinterste Zone der
inneren Scleralschichten nachgezerrt, es entwickelt sich die charakteristische
glaucomatöse Excavation und der dazu gehörige, aus der Dehnung und
schliesshchen Atrophie des hintersten Aderhautgürtels zu erklärende soge-
nannte Bindegewebsring .
Die Excavation der Sehnervenpapille ist anfänglich oft eine partielle,
begründet durch das Zurückweichen eines kleineren oder grösseren Ab-
schnittes der Peripherie des Sehnerveneintrittes. Bei völliger Entwickelung
ist sie immer eine totale, wodurch sie sich wesentlich von den angeborenen
Excavationen unterscheidet. Der Sehnerveneintritt ist nämlich seiner ganzen
Fläche nach zurückgedrängt und präsentirt sich als eine mehr weniger
tiefe Grube (Fig. 38, nach
Ed. Jaeger) mit mulden-
förmig ausgehöhltem Grunde
und steilen, mitunter selbst
überhängenden Rändern a,
die unter einem sehr ausge-
prägten abgerundeten Win-
kel in die concave Fläche des
AugengTundes einbiegen.
Die Wandung dieser Grube
wird durch die ansehnlich
ausgedehnte und nach hinten gedrängte Lamina cribrosa gebildet. Ueber
dieser finden sich als ein dünner Belag h bisweilen stellenweise Züge von
Nervenfasern , welche in die Retina übergehen ; in der Regel aber sind
daselbst die Sehnervenfasern ganz untergegangen und werden durch eine
zarte Schichte von Bindegewebe ersetzt, welches dem Boden und den Wän-
Fig. 38.
a c h
316 Chorioiditis: Nosologie; Iridokyklitis : Iridochorioiditis.
den der Grube fest anhaftet und mit den atrophirten Vorderschichten der
Netzhaut im Zusammenhange steht. In diesem Bindegewebe ziehen die
Aeste der Centralgefässe c imd werden an die Wandungen der Excavation
festgelöthet , daher sie in ihrem Verlaufe eine doppelte Knickung erleiden.
Einzelne dieser Aeste werden im späteren Verlaufe des Processes gerne in
der vorhin geschilderten Weise verändert oder verschwinden ganz , ja es
kommt vor, dass alle IIav;ptstämme im Bereiche des Sehnerveneintrittes
untergehen. Als Ersatz findet sich in letzterem dann gewöhnlich eine wan-
delbare Anzahl von Gefässen, welche durch ihre abnorme Lage und Ver-
laufsrichtung sich als Collateralen ergeben, die in Folge der TTnwegsamkeit
der normalen Hauptäste sich bedeutend erweitert haben.
Die Kesselfo7-m der Excavation hängt davon ab, dass das vordere Ende des
Nerven kegelig zulänft, nach hinten also breiter wird. Oefters soll nebst der Sieb-
membran auch noch der Poi-us opticus ausgehöhlt werden, so dass der Boden der
Excavation trichterförmig und die Gefä-sse gegen die Nasenseite gedrängt erscheinen
fSchweiggerJ.
B. Der serösen Aderhautentzündung stehen Formen von Uveitis gegen-
über, bei welchen die Producte nicht nur deutlich wahrnehmbar, sondern
für die ganze äussere Gestaltung des Processes geradezu bestimmend sind.
1. Von einer dieser Formen, der Retinochorioiditis exsudativa, war
schon die Rede (8. 187).
2. Eine andere Form kennzeichnet sich durch mehr minder massige
organisirbare Producte, welche von Seite der vorderen Uvealtheile zu Tage
gefördert werden, während die eigentliche Aderhaut entweder ganz unver-
ändert scheint (Iridozyklitis), oder unter den Erscheinungen der Chorioiditis
serosa an dem Processe Autheil nimmt, oder endlich gleichfalls entzüud-
Kche Producte in grösserer Menge nachweisen lässt (Iridochorioiditis).
So findet man bisweilen sowohl in der Fusca als in der Vasculosa ziemlich
beträchtliche Anhäufungen pigmentloser rundlicher junger Zellen , besonders in
nächster Xähe der Gefässe, deren Adventitia öfters in den Zelleumassen völlig
untergegangen scheint. An den Wirbelvenen schreitet die Wucherung nicht selten
auf die Sclera, ja selbst auf die Fascia bulbi fort. Nicht minder birgt zuweilen die
Choriocapillaris grosse Mengen junger Zellen und manchmal ist das sonst stark
erweiterte capillare Netz derselben in der Neubildung fast iinkenntlich geworden.
Es ist dann die Elastica über solchen Nestern öfters durchbrochen, so dass die
bald vascularisirende Zelleumasse in die Netzhaut hineinwuchert, während das
umliegende Tapet theils zu Grunde geht, theils durch Proliferation sich vermehrt
(Czei~ny).
Im Bereiche der Iris bringt sich die Wucherung vornehmlich durch
papillose Auswüchse zur Geltung, welche den Pupillarrand in grösserem
Umfange oder ringsum an die Vorderkapsel anlöthen (Pupillarabschluss),
häufig aber auch in Gestalt eines Kapsel- oder falschen Staares das Seh-
loch völlig ausfüllen (Pupillarverschluss). Nebenbei finden sich bisweilen
auch Gummen, Granulationen oder Hypopyen. In der Regel jedoch zeigt
sich die Regenbogenhaut blos entzündlich aufgelockert und verfällt bald
dem Schwunde (S. 285), wird theilweise sehnig entartet, theilweise zunder-
ähnlich morsch und zerreisslich. Nicht selten auch schwillt sie nach Art
eines Schwammes an und wird ganz matsch, während deren Gefässe völlig
degeneriren, sich mächtig ausdehnen und nach Art der Krampfadern an der
Oberfl.äche der Membran hervortreten. An der hinteren Wand der Iris
kömmt es dann in der Regel zur Bildung derber, zäher sehnenähnlicher
Schwarten. Dieselben zeigen grosse Neigung zur Schrumpfung, zur Obso-
Schwartenbildmig; Veriiiuleningeu des Ciliarmiiskels. 317
lescenz. Ihre Dicke wechselt sehr. Die dünneren sind öfters in dem Grade
pigmentreich, dass sie fast gleiclimässig dintenschwarz erscheinen. Die
dickeren verhalten sich ganz wie Sehnengewebe nnd haben gewöhnlich
eine graue, dunkel geÜeckto Färbung. Sie hängen oft nur lose an der
atrophirten Iris an, oder vielmehr die zunderähnlich morschen Reste der
vorderen Regenbogenhautschichtcn lassen sich in grossen Fetzen oder im
Zusammenhange von den sehnig verdichteten obsoleten Ueberresten der
hinteren Strata leicht trennen. In anderen Fällen jedoch greifen die
sehnigen Massen durch die ganze Dicke der Iris durch, die Pseudohaut
ist nur stellenweise mit kurzfaserigen morschen Rudimenten von lockerem
atrophirten Stroraa überkleidet. Es stehen diese Membranen immer in
directem Zusammenhange mit den die Pupille schliessenden Neubildungen,
stellen gleichsam nur eine Fortsetzung derselben dar. Sie hängen der
Vorderkapsel bisweilen bis nahe zum Rande an; häufiger jedoch ist ihr
peripherer Theil durch Flüssigkeit von der Kapsel getrennt, die Ver-
wachsung beschränkt sich auf die Pupillarregion.
Im Bereiche des Strahlenkranzes wiederholen sich ganz ähnliche Ver-
hältnisse. Der Wucherungsprocess äussert sich hier vornehmlich durch
Auflockerung des Reticuhim oder vielmehr jener dichten Lage von Binde-
gewebe, welche die hintere Wand des Ciliarkörpers bildet. Es wachsen
aus derselben zahlreiche halbkugelige oder eliptische, oft auch gestielte
kolbige Papillomata hervor, welche dem Organe ein sehr rauhes, drusig
warziges Aussehen geben. Gewöhnlich aber ist die Prolification eine weit
üppigere und die Neubildungen gestalten sich unter allmäliger Verdichtung
und Schrumpfung zu pigmentirten mächtigen Schwarten, welche mit jenen
der Iris zusammenhängen und nach hinten hin sich in ein zottiges Balken-
werk auflösen, das in den mitwuchernden getrübten Vordertheil des Glas-
körpers hineinwächst (S. 157). Die Schrumpfung dieser Massen bedingt
nicht selten streckenweise Ablösungen des Ciliarkörpers von der Sclerotica
und Füllung des so entstandenen Zwischenraumes durch ein plastisches
Exsudat, welches sich theilweise in ein bindegewebiges Maschenwerk organi-
sirt (Iwanoff, Knapp, Hirschberg).
Es bestehen diese Schwarten aus einer mehr weniger deutlich faserigen, von
Molecularmasse land Fettkörnern in wechselndem Grade getrübten und von freiem
Pigmente durchstreuten bindegewebigen Grundlage, welche in grösserer oder ge-
ringerer Menge theils auswachsende und in Kerntheilung begriffene, theils junge
runde oder ovale Kernzellen und freie Kerne in sich schliesst. Dieselben sind
zumeist pigmentlos , führen hier und da jedoch auch beträchtliche Quantitäten von
FarbestofF und stellen dann ganz eigenthümliche sparrige Gebilde dar. Die 2^^gment-
losen Formeleraente häufen sich an manchen Orten an, bilden förmliche Lager, an
anderen Orten ordnen sie sich zu Strängen, welche oft schon hohl sind und meist
mit blindem, kolbig angeschwollenem Ende absetzen. Es sind dies die Anfänge
der sieh neubildenden Gefässe, welche sich allmälig mit Blut füllen, weiter sprossend
sich verzweigen und in den Glaskörper hinein verlängern fWedl, Schiess- Gemusens,
Iwanoff.)
In dem bindegewebigen Stroma des Ciliavmuskels und an den Wandungen
der daselbst streichenden Gefässe weiset die Vermehrung der Kerne und die Infil-
tration mit einer serösen oder gelatinösen , oft stark getrübten und fetthaltigen
Substanz auf die entzündliche Mitleidenschaft hin. Bisweilen kömmt es liier auch
zu massenhaften Ansammlungen neoplastischer Zellen und zu reichlicher Gefäss-
entwicklung. Die Faserzellen des Muskels widerstehen oft lange, schliesslich werden
sie in den Process einbezogen, getrübt und verfettigt. In den Ciliarnerven hat man
bald gar keine Veränderungen (Schiess- Gemuseiis , Hirschberg) , bald sehr auffällige
318 Chorioiditis; Nosologio; Aderliaiitabhetung.
Verdickungen der Schwann'schen Membran mit mein* minder deutlicher Massenzn-
nahme der Kerne, Zerfall der Markscheiden (Iwanoff), und schliesslich Atrophie
der Fasern gesehen.
Die Degeneration des Strahlenkörpers und der Iris macht alsbald
den Humor aqueus versiegen, so dass die vordere Kammer sich mehr und
mehr verengert. Dafür wird aber öfters ein ziemlich stark klebriges
gelbliches, an Eiweiss reiches, gerinnbares Fluidum in den abgeschlossenen
hinteren Kammerraum ergossen und die Iris dadurch in Form eines Kreis-
toulstes nach vorne gestaut, oder bei ungleicher Resistenz ihres Gefüges
stellenweise zu kropfigen Buckeln ausgedehnt.
3) Ein nicht ganz seltenes Vorkommniss sind Abhebungen der Aderhaut.
Anatomisch sind sie bereits vor langer Zeit nachgewiesen worden (Amman); doch
hat man ihnen eine grössere Aufmerksamkeit erst ziigewendet, seitdem sie ophthal-
moskopisch beobachtet wurden (Graefe, Liebreich). Sie haben manche Analogien
mit iVefe/jaw^abhebungen, mit welchen sie auch öfter combinirt vorkommen. Es ist
nämlich ein seröses oder sidzähnliches eiweissreiches Exsudat welches , von dem
Aderhautgefüge ausgeschieden, sich vornehmlich in der äusseren Pigmentschichte
ansammelt, deren Elemente auseinander zerrt, endlich durchreisst und die Chorioidea
mehr und mehr von der Lederhaut trennt. Es hat meistens eine gelbliche Farbe
und setzt kleine Gerinnsel an den Wänden der selbstgebildeten Höhle ab. In den
festeren Massen zeigen sich wellige Gebilde mannigfaltiger Art, untermischt mit
pigmentirten Resten der Fusca und freiem Farbstoffe. Das Gefüge der Aderhaut
trägt dabei nach den bisherigen anatomischen Untersuchi;ngen die Charaktere
eines mehr minder üppigen Wticherimgsprocesses, ist bisweilen sogar beträchtlich hyper-
trophirt und von einem ähnlichen Producte aufgequollen. Man hat solche Abhebungen
unter den Ausgängen der h-idochorioiditis, neben vorgeschrittenem Augajjfelschwund
und neben Sderochorioidalstaphylomen, so wie in Gesellschaft von Äderhautgeschwülsten,
von orbitalen Tumoren (Hirschberg) und in Folge grosser Glaskörjjerverluste (Gouvea)
gesehen. Sie erreichen bisweilen eine bedeutende Höhe und Ausdehnung, ja es kann
geschehen, dass die Aderhaut ihrer ganzen Fläche nach von der Sclera losgetrennt
und nach innen hin gedrängt wird, so dass die Verlnndnng nur mehr von einzelnen
Gefässen hergestellt wird (Iioanoff). Mitunter entwickeln sie sich jedoch auch
2)rimär und sehr rasch. Sie sind dann beschränkteren Umfanges und stellen sich
als kugelsegmentähnliche Erhebungen von wechselnder Höhe und Fläche dar, deren
Wände straß' gesparmt und jeder flottirenden Bewegung unfähig sind. Die Netzhaut
läuft glatt über die Blase hinweg oder erscheint blos an deren Fusse etwas ab-
gehoben. Bei richtiger Einstellung des Augenspiegels sieht man die Netzhautgefässe
an dem Tumor emporklimmen und an der entgegengesetzten Wand wieder herab-
steigen. Unmittelbar dahinter aber gewahrt man in dem röthlichen Grunde das
Gezweige der Wirbelgefässe deutlich durchschimmern. Damit ist denn auch die
Diagnose eines wässerigen oder sulzigen Ergusses unter die Aderhaut gesichert
und eine Verwechselung mit Blutextravasaten oder mit geformten Neubildtmge^i,
welche die Chorioidea in ähnlicher Weise nach vorne bauchen können, ausge-
schlossen (Liebreich). Als Nebensymptome sind Blutextravasate in der Netzhaut und
Aderhaut etwas gewöhnliches. Subjectiv äussert sich der Process durch starke
Herabsetzung des Sehvei'mögens bis zur vollen Erblindung.
4. Eine vierte Form der Aderhautentzündung endlich, die Chorioiditis
suppurativa, charakterisirt sich durch eiteriges Product. Sie lagert dasselbe
theils in das Aderhautgefüge selbst ab, theils scheidet sie es an die freie
Oberfläche der Chorioidea aus. Es zeigt sich der Eiter gewöhnlich zuerst
an den Gefässen der Vasculosa und Fusca, seine Elemente sind massenhaft
in dem die Gefässe begleitenden Bindegewebe zusammengedrängt und
erfüllen nicht selten auch die Lichtung des Rohi-es, so dass einzelne Stamm-
theile auf weite Strecken hin schon mit freiem Auge als verzweigte eiter-
gelbe Stränge verfolgt werden können. Bei fortschreitendem Processe aber
wird auch bald das Stroma von Eiter durchsetzt und dieser entweder
gleichmässig im Gefüge diffundirt, oder stellenweise in so grosser Menge
CliDi'ioiditis suppiiraliva; I':inoiililli:iIiiiilis. ol9
angesammelt, dass üov KcM-d Imchelförmig in den hinteren Augenvaum
hervorspringt. Der Eiter ist übi'igens bald von vorneherein flüssig oder
rahmartig, bald ist das Producl anfänglich derb und schmiltzt erst fip'dter.
Sehr oft ist es durch ausgetretenes Blut gleichnüissig verfärbt oder gcstriomt.
Ist der Eiter flüssig, so geld das Slroma der Aderhaut im Bereiche grösserer
Herde meistens alsbald bis auf wenige pigmentirte fetzige Reste völlig unter und
selbst die Gefasse widerstehen niclit lange dem Sclunelzungsprocesse. Ist der Eiter
aber consistenfer, so kann man die Elemente des Stroma öfters noch deutlich er-
kennen. Die pigmentii't.en StromazeUen sind ganz uiiregelmässig durch einander
geworfen und auseinander gedrängt von Massen neoi)lastischer Elemente , welche
den Charakter der Eiterlcörperchen tragen und in einer trüben fettreichen, mehr
minder consistenten, fibrinösen Zwischensiibstan?: lagern, die oft in üheratis reicJdicher
Menge das Gefüge durchdringt und aufquellen macht. Die Pigmentzellen als solche
ersclieinen dabei oft ganz unverändert oder blos etwas blässer, ihres Farbestoffes
theilweise beraubt; oft aber aiich bis in ihre Ausläufer von i^eid erfüllt; seltener
in Kermoucherung begriffen. Die pigmenflosen StromazeUen hingegen sind bei der
Wucherung in voi-nmttendem Masse betheiligt. Streckenweise, namentlich in den
inneren Stratis der Vasculosa, fehlen sie oft ganz, indem sie in dem Prolifications-
processe völlig vernichtet worden sind, bis auf ihre Fortsätze, welche als ein zartes
feines Netzwerk die neoplastischen Elemente umspinnen. Wo sie noch vorhanden
sind, erscheinen sie sehr aufgetrieben, s^jindelig ausgewachsen und enthalten zioei
oder mehrere trübe Kerne, die später unter Zerstörung der Zellenhülle frei werden
und sich in wahre Eiterkörper umwandeln. Die Gefüsse der Vasculosa gehen hier-
bei gewöhnlich zum grossen Theile völlig unter, werden von den in ihrer Adventitia
und in den Intravascularräumen angehäuften ueoplastischen Massen comprimirt,
einzelne streckenweise auch thrombosirt, oder wenigstens von weissen Blutkörperchen
erfüllt (Iioanoff) und endlich ganz zerstört. Die Clioriocapnllai'is behauptet mitunter
ziemlich lange ihre Integrität, eben so die Elaslica und das Tapet. Doch früher
oder später verfallen im Bereiche grösserer Herde auch diese Strata fast immer
der Zerstörung. Die Choriocapillaris wird dann in dem eitrigen Producte ganz
unkenntlich, die Elastica theilweise durchbrochen und aufgelöst. Indem der Eiter
nach innen vordringt, wird das Tapet theilweise verschoben, seine Elemente über-
und durcheinander geworfen und zum Theile nach innen geschwemmt. Ein Theil
der Zellen löst sich auch durch Verfettung auf, während ein anderer wuchert und
zur Ausbildung grösserer Pigmenthaufen Veranlassung gibt, oder etwa bei der
Entwickelung der an der freien Aderhautfläche vorkommenden Eiterablagerungen
mitwirkt (Wedl, Schweigger, C Ritter, Schiess, Knapp, Berliii).
Oefters beschränkt sich die Eiterbildung auf eine oder die andere Portion
der Aderhaut, der Rest dieser Membran so wie der Strahlenkranz bieten
die Erscheinungen einer einfacli serösen Entzündung dar, sind dabei stark
hyperämirt, ecchymosirt, sehr saftreich, aufgequollen, von einer trüblichen
Flüssigkeit durchtränkt. In anderen Fällen ist bereits der grösste Theil
der Aderhaut in umfangsreichen Eiterherden zu Grunde gegangen ; zwischen
diesen finden sich nur einzelne Stellen, an welchen die Aderhaut als solche
noch besteht, aber ihres Pigmentes theilweise verlustig geworden ist, stark
hyperämirt, ecchymosirt, serös infiltrirt und überdies von kleinen Eiter-
tröpfchen und bisweilen von eitererfüllten Gefässen durchsetzt erscheint.
Endlich trifft man nicht selten Fälle, in welchen die Chorioidea ihrem
ganzen Umfange nach zerstört worden ist und gleichsam ersetzt wird von
einem mehr weniger dicken, mitunter zu mächtigen Knoten anschwellenden
Stratum eiteriger ecchymotischer und von pigmentirtem Fetzenwerk durch-
streuter Masse.
Sowie die übrigen Formen der Aderhautentzündung ist auch die Chorioi-
ditis suppurativa niemals rein, immer leiden die anderen Bulbusorgane in sehr auf-
fälliger Weise mit, und zwar sehr oft in dem Grade und in der Ausdehnung,
dass der Process die Bedeutung einer suppurativen Panophthalmitis gewinnt.
320 Chorioiditis; Nosologie; Panophthalniitis supp; Aderliauttnberciilose.
Die Netzhaut erscheint in Folge der entzündlichen Theilnahme stark
getrübt, ecchymosirt und oft auch von ausgesprochen eitrigem Intiltrate
verdickt oder gar zu käseähnlichen Knollen aufgetrieben. Gemeiniglich
wird sie hierbei in Folge reichlichen Ergusses einer fettig trüben, dünn
eitrigen Flüssigkeit ihrem ganzen Umfange nach von der Aderhaut abgehoben
und zusammengefaltet. Streckenweise schmilzt sie, so dass ihre TJeberreste
in Gestalt fetziger Lappen im Glaskörperraume tlottiren oder, falls die
Schmelzung vornehmlich den hinteren Theil beträfe, sich an der hinteren
Krystallwand zu einer dichten Masse zusammenballen (Schweigger). In
den späteren Stadien des Processes geht die Netzhaut in der Eiterung wohl
auch völlig unter. In der Pars ciliaris retinae kommt es sehr gewöhnlich
zu einer sehr reichlichen Ablagerung neoplastischer Elemente, welche die
Ciliarfortsätze in Form eines mächtigen Eiterlagers von der Zonula ab-
trennen. Der Glaskörper zeigt sich immer schon im ersten Beginne stark
getrübt, indem seine zelligen Elemente in einen überaus üppigen Wucherungs-
process verwickelt werden und ein massenhaftes Einwandern von Eiter-
elementen aus den membranösen Umgebungen stattfindet (Ritter, Schiess-
Gemuseus). Dann und wann trifft man ihn streckenweise von compacteren
Eitermassen durchsetzt oder zu einer von eiterigen Flocken geschwängerten
ti'üben Flüssigkeit geschmolzen. In einzelnen Fällen wird der ganze Vorder-
tlieil des Corpus vitreum in einen Eiterstock verwandelt, die Vitrina daselbst
völlig verdrängt von einer käsigen Eitermasse. Diese letztere erfüllt dann
gewöhnlich auch den Petit'schen Canal. Im Strahlenkranze und der Iris
lagern meistens sehr beträchtliche Eitermassen, die mitunter zu kleinen
Abscessen sich häufen und in Folge der Schmelzung Substanzlücken be-
gründen, oder das Gefüge gleichmässig durchsetzen und die genannten
Organe durch Suppuratioii völlig zerstören können. Nebenher gehen immer
massige Hypopyen, ja dieselben füllen die Kammer gar nicht selten voll-
ständig aus. Auch die Hornhaut ist gewöhnlich schon frühzeitig von eitrigem
Producte infiltrirt und abscedirt. Sehr häufig verwandelt sie sich ihrer
ganzen Ausdehnung nach in einen Eiterstock und schmilzt oder geht durch
Brand zu Grunde. Selbst die Lederhaut infiltrirt sich öfters unter auf-
fälliger Yermehrung ihrer zelligen Elemente mit einem fettigen trüben
Producte, erweicht und wird ausgedehnt oder schwillt zu ganz erstaunlichen
Dicken an. Oft verschwärt sie theilweise und gestattet dem intraocularen
Eiter den Ausgang. Bisweilen wird sogar das den Bulbus umgebende
Orbitalgewebe in einen Eiterstock verwandelt.
6) Die Tuberculose localisirt sich in der Aderhaut theils in Form
mehr diffuser starrer und schliesslich schmelzender Infiltrate, theils in
Gestalt discreter oder knollig zusammengehäufter Knoten.
Die erste Form ist sehr selten und bisher immer nnr in den letzten Stadien
der allgemeinen Plithisis tuberculosa beobachtet worden. Sie tritt gewöhnlich auf
ein Auge beschränkt als Fan Ophthalmitis mit geringen Reizerscheinungen auf, ent-
wickelt sich ziemlich schnell , wird aber in ihrem weiteren Verlaufe gemeiniglich
durch den eintretenden Tod unterbrochen. Es erscheinen sihmntliche Organe des
Augapfels infiltrirt, der letztere ist seiner Totalität nach bald in einen käsigen
Tuberkelstock verwandelt, in welchem die einzelnen Bulbusbestandtheile öfters nur
schwer auseinanderzuhalten sind. Nach km-zem Bestände beginnt die Masse an
einzelnen zerstreuten Orten zu verfettigen und zu einem schmierigen Eiterbrei zu
schmelzen. Es entstehen so rundliche Höhlungen, innerhalb welchen die einzelnen
Organe, wo sie noch zu erkennen sind, völlig zerstört und mit scharfen zerfressenen
Rändern abgesetzt erscheinen. Namentlich in der Hornhaut und in der Aderhaut
Discreter Aderhauttuberkel. 321
zeigen sich öfters wie mit ciiicin Locheisen gesclilagcne rundliche Substanzverhiste
mit stark intiltrirten steilen Rändern. Die einzelnen Höhlungen tliessen stellen-
weise bald ineinander und entleeren, wenn durch die Bnlbuskapsel bereits ein
Ausgang eröffnet ist, einen Theil ihres Inhaltes; doch fällt dann der Augapfel
wegen der Massenhaftigkoit und Starrheit der noch vorhandenen Producte nicht
zusammen, sondern bleibt einige Zeit annähernd in seiner Form, während die
Oeffnung in der Bulbuskapsel weit klaft't und in eine tiefe unregelmässigc Höhle
blicken lässt, aus welcher sich verhältnissmässig geringe Mengen schmierigen und
unter dem Einflüsse der atmosphärischen Luft ranzig gewordenen, nach Buttersäure
penetrant stinkenden Eiters entleert. Schliesslich bleibt, wenn der Kranke nicht
früher stirbt, von dem Augapfel nur die auf das Mehrfache verdickte Sclerotica
übrig. In einem Falle war auch die Sclerotica bis auf ihre hinterste Zone zCi-stört
worden und diese bildete im Verein mit dem Opticus eine Art Präsentirteller mit
ganz unregelmässig zackigen Rändern, in dessen Oeffnung ein etwa haselnuss-
grosser Knollen von Tuborkclmasse lagerte. Die Oberfläche dieses starren und mit
der Sclerotica fest zusammenhängenden Knollens war drusig warzig, stellenweise
angefressen und reichlich mit Pigment von der völlig unkenntlich gewordenen
Aderhaut durchstreut. Die Zweifel, welche gegen die wahrhaft tnhei-culöse Natur
dieser Producte mehrseitig erhoben werden (Graefe, Leber), sind ungerechtfertigt
und lassen sich durch eine einfache Musterung der vorhandenen Präparate sowie
durch die Berücksichtigung der Krankheitsgeschichten leicht zerstreuen.
Der discrete Tuberkel ist bei der chronischen allgemeinen Tuberculose
selten (Ed. Jaeger, Cohnheim, Arcoleo, Vernon), dagegen häufig, aber durch-
aus nicht constant, bei der acuten Miliartuherculose (Manz, Cohnheim u. A.)
im Bereiche der Aderhaut beobaclitet worden. Er entwickelt sich unter
solchen Verhältnissen bald sehr frülizeitig, bald erst wenige Tage vor dem
Tode des Kranken und kann, wo er auftritt, als ein sehr werthvoUes ja
entscheidendes Zeichen der bisweilen überaiTS schwer zu diagnosticirenden Allge-
meinkrankheit betrachtet werden, wogegen sein Fehlen nach dem Mitge-
theilten das Vorhandensein der letzteren keineswegs ausschliesst (Steffen).
Im Augenspiegelbilde präsentirt sich der discrete Tuberkel in der Form
ziemlich regelmässig rundlicher Flecke von sehr variabler Grösse. Die
Meineren derselben erscheinen als gelbliche oder gelbröthliche Verblassungen
des Augengrundes, die grösseren hingegen als deutlich prominente helle
Kiiötchen, welche von einer mehr weniger saturirten bräunlichen Zone
umgeben sind. Nur die grössten, stark hervorragenden Knoten haben aus-
nahmsweise einen dunkler pigmentirten Saum. Uebrigens wechselt das
ophthalmoskopische Bild einigermassen mit den Nachschüben (Graefe, Leber,
Coccius). Sehstörungen erheblicher Art scheinen nach den bisherigen Er-
fahrungen durch den Process nicht veranlasst zu werden, auch wenn die
einzelnen Knoten sich zu verhältnissmässig beträchtlichem Umfange ent-
wickeln (Fränkel).
Nach den anatomischen Untersuchungen sind meistens beide Augen befallen.
Man findet bald einen, bald mehrere Knoten und diese im letzteren Falle bald
zerstreut, bald gruppirt. Ihr Lieblingssitz ist die Umgebung der Papille und des
gelben Fleckes, doch kommen sie auch peripher vor (Steffen). Sie sind meistens
sehr Hein und dann durchscheinend ; erreichen sie ein grösseres Volumen, so werden
sie käseähnlich. Sie gehen immer von der Choriocapillaris aus (Busch, Cohnheim)
und wachsen erst, wenn sie sich vergrössern, in die anderen Schichten der Ader-
haut hinein. Anfangs bedingen sie keine Hervorwölbung der Elastica, später ist
dies aber der Fall und dann wird das Pigment der überlagernden Tapetzellen
rareficirt, während letztere selbst keine Veränderung erleiden. Nur bei grossen
Knoten erscheint das Pigment am Umfange gehäuft. Es entwickeln sich die Tuberkel
durch Wucherung und wahrscheinlich durch massenhafte Einwanderung der kleinen
rundlichen, auch in der Norm vorhandenen Zellen; die ^x-en Stromazellen werden
dabei primär wenig oder gar nicht afficirt (Cohnheim).
S t e 1 1 w a g , Augenheilkunde. 2 1
322 Aderhaut; Nosologie; Aderhaiitberstungcii.
7. Eine specielle Erwähnung- verdienen die nicht g;anz selten vorkommenden
Fälle von Aderhaidberstung. Anatomisch hat man derlei Rupturen bei unverletzter
Lederhaut und Netzhaut erst einmal nachgewiesen (Ammon), doch liegen bereits
eine Reihe von ophthalmoskopischen Beobachtungen vor. Die Veranlassung ist stets
ein Schlag, Stoss, Wurf u. s. w. , welcher das Auge mit grosser Gewalt trifft und
zu einer plötzlichen Formänderung mit Dehnung der Bulbuskapsel zwingt. Kurz
darnach finden sich im Hintertheile des Binnenraumes Blutergüsse, welche sich
gewöhnlich alsbald mit Tvühnng des Glasköi'pers vergesellschaften und den Augen-
grund verhüllen. Weitei'hin saugen sich aber die Extravasate auf und hinterlassen
oft zerstreute Fladen von dunkelgefärbten Gerinnseln, \velche der Aderhaut auflagern
und sich allmälig, wenigstens theilweise , in Haufen schwarzbraunen körnigen
Pigmentes umwandeln. Sie treten, indem sich auch die dioptrischen Medien mehr
und mehr aufhellen, am Ende klar hervor und daneben zeigen sich im Augen-
spiegelbilde die Aderhatärisse in ihrer höchst eigenthümlichen und kaum zu ver-
wechselnden Foi'm. Sie erscheinen nämlich als schmale lange helle Streifen, welche
von dem iimgebenden, meistens wenig veränderten Augengrunde sehr stark abstechen.
Sie liegen mit seltenen Ausnahmen (Saemischj in der hinteren Hälfte der Aderhaut
und zwar fast immer an der äusseren Seite der Papille, in verschiedenem Abstände
von derselben. Ihre Axe steht gewöhnlich fast senkrecht oder doch in grossem
Winkel zur Richtung der Meridiane und ist oft merklich gekrümmt, bildet einen
dem Rande des Sehnerveneintrittes concentrischen Bogen. Nur sehr selten laufen
sie schräg oder gar horizontal (Ed. Jaeger, Mauthner). In einem Falle war, in Folge
des Anspringens eines Eisenstückes an den inneren Umfang des rechten Bulbus, in
der Aequatorialgegend nach innen von dem Sehnerveneintritte ein zweischenkeliger
Riss in der Aderhaixt zu Stande gekommen, dessen längerer Schenkel zwei- bis
drei Fapillendurchmesser lang war und vertical verlief, während der kurze, etwa
einen Fapillendurchmesser lange Schenkel horizontal strich und mit dem oberen
Ende des ersteren einen fast rechten Winkel bildete. Die Wundränder der Aderhavit
waren raiah und stark pigmentirt. In einigem Abstände davon zeigten sich die
wulstigen glänzenden fettweissen Ränder der ganz unregelmässig durchrisscnen
Netzhaut, den rothen Augengrund eine Strecke weit verhüllend. Jenseits des äusseren
Rissrandes bis nach vorne zur Ora serrata war die Netzhaut in Form einer faltigen
Blase ahgehohen. Der Glaskörper schien dabei leicht getrübt. Suhjectiv bekundete
sich das Leiden durch eine sehr beträchtliche Herabsetzung der Sehschärfe und
durch eine ausgedehnte Einschränkung der äusseren Peripherie des Gesichtsfeldes.
Die Grundfarhe der Streifen ist das helle Sehnenweiss der hier blosliegenden
Lederhaut. Darauf sieht man schmutzig gelbliche oder bräunliche Zeichnungen mit
wolkig verschwommenen Grenzen, unregelmässige Haufen dunklen Pigmentes, dann
und wann auch ein Aderhautgefäss, welches aus der Sclera hervortritt und sogleich
in den Rissrand der Chorioidea übergeht, oder quer über die ganze Breite des
Streifens hinwegstreicht. Die Ränder der Ruptur sind streckenweise scharf, bisweilen
etwas aufgeworfen, häufig stark pigmentirt. Streckenweise jedoch erscheinen sie
oft fetzig rauh oder roth verwaschen. Die Risse theilen sich manchmal in zwei oder
drei Schenkel oder Zacken, welche jedoch im Allgemeinen die Richtung des Haupt-
theiles ziemlich beibehalten. Die einzelnen Enden laufen bald spitz zu und bewahren
ihre scharfen Grenzen , bald verlieren sie sich ganz allmälig in dem normalen
Augengrunde, setzen sich als hellrothe, wolkig gezeichnete Bänder eine Strecke weit
fort. Bald berstet die Aderhaut an einer einzigen Stelle (Amman, Graefe, Saemisch,
Schweigger, Knapp, Mauthner, Fig. 39); bald sind zwei Rupturen vorhanden
(Tlirschler, Frank, Streafßeld, Knapp, Saemisch, Wilson). Nicht minder kommen
Fälle vor, wo die Chorioidea an di-ei (Haase, Saemisch, Ed. Jaeger, StavenhagenJ
und mehr Stellen (Fig, 40) eingerissen ist. Die Netzhautgefässe streichen mit
seltenen Ausnahmen (Graefe) ohne Unterbrechung oder Ablenkung quer über die
hellen Streifen hinüber, vorausgesetzt, dass die Netzhaut nicht ebenfalls geborsten
ist (Saemisch). Die Retina nimmt im Uebrigen gerne unter der Form von Neuro-
dictyitis an dem Processe thätigen Antheil. Diese geht jedoch häufig bald wieder
zurück und hinterlässt dann oftmals keine auffälligen krankhaften Veränderungen.
Selbst die Functions Störung ist in solchen Fällen zuweilen eine verhältnissmässig
geringe; ja es kann sich die centrale Sehschärfe fast wieder zur Norm heben
(Saemisch, Knapp). In der Regel jedoch bleibt die Functionstüchtigkeit der Netz-
haut in hohem Grade geschädigt. Das Sehvermögen, welches unmittelbar nach der
Schädlichkeitseinwirkung durch die Blutergüsse und die nachfolgende entzündliche
Aderhautrisso ; Blntextravasate.
323
Reactioii gcwöhnlicli auf (}iianfi(afive Liclitempfiiiduiij^ Iiorahf^oflriickt ist, hebt sich
mit dem Fortschreiten der Kesorptiuii nur wenig-, das Gesichtsfeld bleibt in Nebel
Fig. 39.
Fig. 40.
/ /"
oder Rauch gehüllt und nicht selten lassen sich in ihm ausgebreitete periphere
Einschränhungen (Hivschier) oder Unterbrechungen (Talko) nachweisen. Als spätere
Consequenzen des Leidens hat man abgesehen von den Folgen der Irldocliorioiditis
wiederholt Nelzhautahhehunfien (Saemisch) , einmal progressiven Sehnervenschwund
(FrankJ und einmal Glaucom {Streatfield) beobachtet. Die häufig vorhandene Träg-
heit, Erweiterung und nnrcgelmässige Gestalt der Pupille kann möglicherweise von
einer Dehnung oder Berstung der in der Fusca streichenden Ciliarnerven abhängig
sein i^Ammon, Hirsclder).
Der Grund, warum bei einwirkenden stumpfen Gewalten gerade der hintere
Theil der Aderhaut zu Berstungen neigt, ist nicht hinlänglich aufgeklärt. Es scheint,
dass die straffere Verbindung mit der Lederhaut dabei eine Rolle spiele. Jedenfalls
hindert dieselbe eine rasche Vertheilung der Zugwirkung, welche bei einer gewaltsamen
Dehnung der Bulbuskapsel nothwendig auf die innen anliegenden Membranen
ausgeübt werden muss. In dem lose anhaftenden vorderen Aderhautgürtel und in
der blos leicht angeklebten Netzhaut ist eine rasche Vertheilung der Spannung
viel leichter möglich. Anfänglich scheinen die Rissränder nicht zu klaffen (Amnion),
sondern erst später, möglicher Weise in Folge von Schrumpfung, aus einander zu
weichen. Die hellrothen Streifen und die verwaschenen röthlicheii Enden der sehnisf-
weissen Rissstellen dürften nicht sowohl auf wirkliche Substanzlücken, als vielmehr
auf Schwund des Gefilges, veranlasst durch starke Dehnung, zu beziehen sein. In
einem Falle wurde eine Anzahl weisser gestreifter Narlenbäuder beobachtet, welche
sich über die sichelförmige Fläche der Ruptur ausstreckten , sehr deutlich einige
der Netzhautgefässe einhüllten und unverkennbar etwas über das Narbengewebe
hervorragten (Knapp)).
8. Von nicht minderem Interesse sind einfache Gefässherstungen im Aderhaut-
gefüge und dadurch bedingte hämorrhagische Extravasate. Es stellen sich dieselben
bisweilen spontan, oder in Folge plötzlicher Circulationsstörungen durch heftiges
Niessen, Husten, Erbrechen, überhängende Kopflage u. s. w. ein; setzen dann aber
wohl immer Erkrankungen der Gefässwände durch atheromatose Processe oder ent-
zündliche Aiiflockerung etc. voraus. Oefter jedoch sind sie traumatischen Ursprunges,
oder aus einer Aufhebung des intraocidaren Druckes in Folge pathologischer Verhält-
nisse oder wegen tlieiXy^- eisev Entleeru7ig der dioptrischen Medien durch eine Oeffnung
der Hörn- oder Lederhaut abzuleiten. Wo der Bulbusinhalt sich vermöge eingetretener
Atrophie der Theile oder wegen einfachem Abflüsse durch eine Substanzlöcke der
Kapsel vermindert hat, können die Extravasate überaus massenhaft werden, die
Grenzhaut der Chorioidea durchbrechen und die Netzhaut vor sich treiben oder
zerreissen und in den Glaskörper austreten (S. 159), bei durchbohrenden Hornhaut-
21*
324 Aderhaut; Nosologie; Blutestravasate.
wunden luich wohl den Ciliarmuskel absprengen und bedenkliche Blutverluste
begründen. Wo jedoch die Bulbuskapsel unverletzt und der intraoculare Druck
nicht weit unter das Normale gesunken ist, sind reichlichere Ergüsse und dadurch
gesetzte Berstuugen der Grenzhaut und der Netzhaut Ausnahmen; die liämostatischen
Verhältnisse des Binnenraumes lassen dieselben schwer zu (S. 3) , es seien denn
die Bedingungen einer raschen Aufsaugung des Glaskörpers günstig, wo allerdings
Blut in dem Masse nachrücken kann, als der normale Inhalt des Augapfels sich
vermindert. Es sitzen die Extravasate in der Regel zwischen der Aderhaut und Sclera,
oder theilweise in der eigentlichen Gefässschichte, äusserst selten zwischen der
Grenzhaut und Vascnlosa, sind bisweilen recht zahlreich und pflegen sich in nicht
langer Zeit bis auf kleine Pigmenthaufen aufzusaugen. Ophfhalvioskopisch stellen sie
sich im frischen oder doch nicht veralteten Zustande als dunkel blutrothe Flecke mit
unregelmässigen, bisweilen verwaschenen Umrissen dar. Sie unterscheiden sich von
Netzhauthämoi'rhagien dadurch, dass die retinalen Gefässe in ihrem Bereiche ganz
deutlich mit ihren scharfen Grenzen wahrgenommen werden, also nicht wie bei
letzteren in den Extravasaten verschwinden. Wo aber kein solches Gefäss über
den Erguss hinwegläuft, gibt die tiefere Lage und der Umstand einen diagnostischen
Anhaltspunkt, dass die Netzhauthämorrhagien an ihren Rändern oft gestrichelt
erscheinen, indem sie sich in den Lücken zwischen den Nervenfasern auszubreiten
pflegen. Selten schimmern grössere Aderhautextravasate durch die Lederhaut durch
und lassen sich so direct erkennen. Sehstörungen werden durch einfache Aderhaut-
blutungen nicht leicht unmittelbar begründet. Wo sich solche geltend machen, sind
meistens die nebenhergehenden Verletzungen oder die nachfolgende, wenn auch
geringe, entzündliche Gegenwirkung der nächste Grund. Selbst in dem Falle, als
wegen grösserer Massenhaftigkeit des Ergusses die Netzhaut hervorgestaut würde,
kann sich die damit gesetzte Functiousbeirrung nicht offenbaren, weil ein solches
Ereiguiss tiefe krankhafte Veränderungen voraussetzt und die damit verknüpften
Hemmungen des Wahrnehmungsvermögens jene völlig verhüllen.
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Ophth. Hosp. Rep. H. S. 241 — Frank, ibid. III. S. 84. — WiUon, nach
Knapp, Arch. f. Aug. und Ohrenheilkunde I. S. 10.
1. Iridokyklitis, Iridocliorioiditis.
Krankheitsbild. Charakteristisch sind neben den Erscheinungen der
exsudativen L-itis unverhäUnissmässig hohe Grade von Sehstörung und ent-
zündliche, Trübungen des Glaskörpers.
1. Das Bild der Regenbogenhautentzündung wechselt je nach der In-
tensität des Processes und nach dem Verlaufsstadium sehr bedeutend. Stetig
ist nur die meistens ziemlich vollständige Verlöthung des Pupillarrandes
mit der Vorderkapsel. In den ersten Perioden zeigen sich nebenbei bis-
weilen Hypopyen, gummöse Knoten u. s. w. ; späterhin jedoch fehlen derlei
Productanhäufungen fast immer, indem die vorderen Uvealpartien rasch
Ö2K) Iridochorioiilitis; KranklieilsliiUl.
dem Schwtmde zix verfalleii pflegen und so das Bchaffungsvcrmögen tlieil-
weise eiubüssen. Wo die Kraiikheit einige Zeit besteht, findet man daher
gewöhnlich die Symptome der Entzündung mit jenen des Schwundes (S. 285)
gepaart. Dazu kommen bei den bösartigeren Formen die Merkmale tiefer
Gefässentariung. Es treten einzelne mächtig ausgedehnte Stammtheile an
der Oberfläche der ßegenbogenhaut hervor, verlaufen daselbst eine
Strecke weit, verzweigen sich und verschwinden wieder in der Tiefe. Auf
ihre Kechnung sind die nicht seltenen, zeitweilig sich wiederholenden
Blutergüsse ^u setzen, welche im Kammerraume beobachtet werden. Mit
der Atrophie im Zusammenhange steht eine beträchfliche Verminderung
der wässerigen Feuchtigkeit, die Kammer wird immer enger, bis die Iris
am Ende der Wasserhaiit anliegt. Die sehr verfärbte und stellenweise sehnig
entartete Ecgenbogenhaut erscheint dann oft in flacher Wölbung straff
gespannt. In anderen Fällen ist sie von einer im hinteren Kammerraume
gesammelten gelblichen eiweissreichen klebrigen Flüssigkeit an einzelnen
Orten buckelig vorgebaucht; oder sie tritt ihrer Gesammtheit nach in
Gestalt eines Ringwulstes an die Cornea heran, dessen centrale Wand
gegen die Verschlussmasse des engen, meist zackigen Sehloches steil ab-
fällt, Avähreud die äussere Wand sich fach gegen die Peripherie hin ab-
dacht. Mitunter ist die ins Schiefergraue oder Fahlbraune entfärbte Regen-
bogenhaiit sichtlich gelockert oder hat ein kropfig geblähtes Aussehen, ihre
Oberfläche ist voll von drusigen Erhabenheiten und einspringenden Furchen,
sammtähnlich rauh oder bisweilen auch von einem missfärbigen schimmel-
artigen Belege überkleidet.
2. Rings um die Hornhaut macht sich immer eine mehr minder
starke episclerale Gefässeinspritzung bemerkbar. Oft nimmt auch der vordere
Gürtel der Augapfelbindehaut an der Congestion Antheil und bedingt die
Entwickelung eines mächtigen Gefässkranzes, ja mitunter geht entzündliches
Oedem der Conjunctiva bulbi und selbst der Lider nebenher. Die Hyper-
ämie ist nur selten und dann immer blos anfänglich vortviegend arteriel,
in der Regel trägt sie entschieden den venösen Charakter. Oefters und
namentlich in den späteren Stadien des Processes sieht man eine auffallend
grosse Zahl stark ausgedehnter, von dunklem Blute strotzender Zweige aus
der Vorderzone der Lederhaut hervortreten, sich zu groben J^etzen ver-
schlingen und dann, zu grösseren Stämmen vereinigt, geschlängelten Laufes
am Augapfel nach hinten streichen. Es weiset diese üeberfüllung der
vorderen Ciliarvenen auf Strömungshindernisse in den Wirbelgefässen hin,
hat eine ausgesprochen collaterale Bedeutung und ist von den Verände-
rungen im Bereiche der eigentlichen Aderhaut abhängig.
3. Die Spannung der Bulbuskapsel ist in den ersten Perioden des
Leidens häufig etwas vermehrt, wechselt aber dem Grade nach im Einzeln-
falle imierhalb kurzer Zeiträume, bringt also Veränderungen in den
Binnendruckverhältnissen zur objectiven Wahrnehmung. In dem späteren
Verlaufe wird der Augapfel in der Regel auffallend loeich und deutet damit
auf eine Abnahme des Bulbusinhalt.es, also auf tief greifende Störungen
der osmotischen Verhältnisse hin, welche ihrerseits häufig schon die Folge
vorschreitenden Schwundes der Binnenorgane sind.
4. Ophthalmoskopisch verräth sich der Process, falls das Sehloch für
directes Licht noch durchgängig ist, nur durch starke Trübung des Glas-
Aiigenspiegelliilil ; Sulijoctivp Erscheiumigpn. 327
kör^ters, da dioso (l(^n Aiigeiinrimd vöHij^ verhüllt. J)io Trübung ist ge-
meiniglich diffus, nur hier und da zu uubeslinimt begrenzten ntrang- oder
blattartigen Zügen verdichtet. Seltener erscheint sie figurirt, man sieht in
dem dichten Nebel hinter der Pupille verzweigte Zotten oder grobe
Balkennetze mit zwischongestreuten llockigen Massen. Sie ist meistens
über den ganzen Glaskörper verbreitet, concentrirt sich jedoch bisweilen
an einzelnen Stellen, besonders in der Nähe des Strahlenkörpers. Hellt
sie sich im weiteren Verlaufe so weit auf, dass man mit dem Spiegellichte
durchzudringen vermag, so zeigt sich ausser einer auffällig starken Rothung
der Papille, welche aus dem Zusammenhange der Aderhaufgefässe mit jenen
der Nährgefässe des Opticus zu erklären ist, in der Regel keine weitere er-
hebliche Veränderung am Augengrunde.
5. Die Sehschärfe ist stets tief gesunken, viel tiefer, als dass sich der
Verlust lediglich aus den Exsudationen im Bereiche des Sehloches und
selbst aus der Trübung der dioptrischen Medien überhaupt ei'kUiren Hesse,
das Auge ist im eigentlichen Wortsinne amblyopisch geworden und offenbart
so die Mitleidenschaft des lichtempfindenden Apparates. Es lagert sich, so
klagen die Kranken, über das Gesichtsfeld ein dichter Nebel oder Rauch,
welcher anfänglich heller zu sein pflegt und auch wohl dem Grade nach
stark wechselt, mit der Zeit aber immer dunkler wird und das Erkennen
von Gegenständen mehr und mehr erschwert, wenn nicht ganz unmöglich
macht. Bei genauerer Untersuchung erkennt man oft schon ganz deutlich
Einschränkungen des Gesichtsfeldes, welche von einer peripherischen Stelle
beginnend sich allmälig ausbreiten, endlich über das Centrum hinweg-
schreiten und das Sehvermögen auf quantitative Lichtempfindung zurück-
führen oder gänzlich vernichten. Es handelt sich dann meistens nicht mehr
blos um eine einfache entzündliche Mitleidenschaft der Retina und des
Opticus, sondern um viel tiefere Vegetationsstörungen, welche den Process
namentlich in den späteren Verlaufsstadien zu begleiten pflegen, um pro-
gressiven Nervenschwund, um Netzhautahhehung , um eine Excavation der Pajnlle.
Der Ort und die Umrisse der Gesichtsfeldbeschränkung lassen den einen
oder den anderen der genannten Zustände manchmal mit Wahi'scheinlich-
keit diagnosticiren.
G. Mt der Abnahme des Sehvermögens stellen sich oft subjective
Lichterscheinungen ein, farbige oder weisse Punkte, Sterne, Räder, Elammen,
Blitze u. s. w. Sie treten vorzugsAveise im Dunklen hei'vor und steigern
sich, bei circulatorisohen oder nervösen Aufregungen des Kranken.
7. Spontane Schmerzen sind oft vorhanden und wechseln ausnehmend
dem Grade und der Art nach. Sie sitzen bald im Auge selber, bald
strahlen sie nach den einzelnen Zweigen des fünften Nerven aus. Sie
machen gerne paroxysmenartige Anfälle, welche typisch oder zu unregel-
mässigen Zeiten wiederkehren und mehr weniger vollständige Remissionen
zwischen sich haben. Sie finden sich gewöhnlich nur so lange, als die
Consistenz des Bulbus vermehrt ist. Es zeigt sich dabei öfters eine geringe
Empfindlichkeit gegen Druck auf die Ciliargegend, was man aus der
stärkeren Spannung der Nerven und der damit verknüpften Leitungsbe-
hinderung peripherer Eindrücke erklären will. In den späteren Stadien,
wo der Bulbus bereits loeicher geworden ist, pflegen die spontanen Schmerzen
geringer zu sein oder ganz zu fehlen; wogegen sich die Ciliargegend häufig
328 Iridochorioiditis ; Ursachen: Mechanische Schädlichkeiten.
ausserordentlich empfindlich gegen' jeden äusseren DrucTc, wenigstens an ein-
zelnen Stellen, erweiset, was man mit der besseren Leitxmgsfähigkeit der
entspannten Xerven in Znsammenhang bringen zn dürfen glanbt (Graefe).
Bisweilen beobachtet man ausserdem einige Verstimmung der Magennerven,
welche sich durch Appetitlosigkeit, Ueblichkeiten, Erbrechen beurkundet. Fieber-
bewegungen sind bei acuten Fällen etwas Gewöhnliches.
8. Häufigerscheint die Iridochorioiditis eotühxniit mit Keratitis punctata,
mit den Erscheinungen der Hgdromeningitis, der Capsulitis und manchmal
auch mit jenen der Phakeitis. Auch sind in den späteren Stadien der
Polar- und Glaskörperstaar nichts ganz Ungewöhnliches. Es werden eben
bei Entzündungen der Uvea fast sämmtliche Organe des Auges in Mitleiden-
schaft gezogen und bringen dies mehr oder weniger deutlich zur objectiven
Wahrnehmung.
Ursachen. Die Aetiologie der Iridochorioiditis fällt grossen Theiles
mit jener der einfachen Eegenbogenhautentzündung zusammen. In der That
können dieselben Schädlichkeiten, welche als gewöhnliche Anlässe der Iritis
aufgefühi't werden (S. 281). unter Umständen auch den Strahlenkranz und
die Aderhaut zur entzündlichen Wuchemng anregen.
Mitunter ist die In- und Extensität der Beizicirkung der Grund, dass
sich der Process nicht auf die Iris beschränkt, sondern sich rasch über
den ganzen üvealtract ausbreitet, oder gleich von vorneherein die Bedeutung
einer Iridochorioiditis gewinnt. Am häufigsten geschieht dies in Eolge
starker Erschütterungen des Auges ; in Folge durchdringender Wunden,
besonders wenn sie mit ZeiTung, mit Quetschung der Theile, mit Verlust
sehr beträchtlicher Mengen von Glaskörperflüssigkeit verbunden sind; wenn
ein fremde)' Körper in den Vordertheil des Augapfels eindringt und einige Zeit
daselbst verweilt, oder wenn massenhaft Blut in den Binnenraum ergossen
wii'd ; wenn der Ery stallkör per dislocirt wird und auf gefitss- und nerven-
reiche Organe drückt, wenn die Kapsel verletzt wurde, die Linse sich
nachträglich aufbläht und die Eingeweide des Bulbus mechanisch reizt
u. s. w. Es spielen danim auch Staaroperationen eine wichtige Eolle in
der Aetiologie der Iridochorioiditis, namentlich solche, bei welchen mächtige
Trümmer oder der ganze Krvstall im Auge zurückbleiben, oder behufs der
HerausbefÖrderung eines grossen Kernes eine ausgedehnte Wunde gesetzt
werden muss, der operative Vorgang ein sehr schwieriger, an Hindernissen
reicher, oder roher gewaltsamer ist.
Auch die Oertlichkeit der Reizeinwirkung ist nicht ohne Einfi.uss, Ver-
letsrungen der CHiargegend, selbst ganz unscheinbare, sind erfahrungsmässig
weit gefährlicher, führen viel öfters zur Iridochorioiditis, als analoge Ver-
wundungen der Eegenbogen- oder Aderhaut. Es scheint, dass der sehr
grosse i^ervengehalt des Strahlenkranzes in dieser Beziehung von hoher
Bedeutung ist.
Häufiger indessen, als die In- und Extensität so wie der Ort der
Schädlichkeitsein wii'kung, ist die Dauer des Reizes der Grund, dass der
entzündliche Process von der Iris aus sich allmälig auf den Strahlenkranz
und die Aderhaut fortpflanzt. Wo nach Ausbmch der Eegenbogenhaut-
entzündung das ätiologische Moment oder andere Irritarnente in ihrem ver-
derblichen Einflüsse beharren, gewinnt der Process in der That gar bald
die Bedeutung einer Iridochorioiditis. Diese trägt darum auch häufig den
Hintorc Syiu'cliien; Socuniliirc Funiion; Oplitlialniia postfebrilis. 329
syphilitischen Charnkfer, ist eine Folg'o der VernachlässigUTig oder unzweck-
mässigen Eeliaudlung einer specifischon Iritis.
Uebrigens liegt in den Verlöthungen des Fupillarrandes mit der Vordcr-
kapsel, wie selbe durch Iritiden so häufig begründet werden, ein überaus
tuirksamer Factor für fortdauernde Reizzustände, folgerecht also für allmälige
Ausbreitung des entzündlichen Vorganges über den gesammten Uvealtractus
und damit auch über den ganzen Augapfel (Graefe). Theilweise und zerstreute
hintere Synechien sind in dieser Beziehung laut täglicher Erfahrung
loeniger bedrohlich, wohl aber totale oder nahezu totale. Wo ein solcher
Abschluss oder Verschluss des Sehloches besteht, wiederholen sich in der
Regel fort und fort Anfälle von Iritis und bald nehmen auch die tieferen
Bulbusorgane Antheil, es gesellen sich zu den Erscheinungen der Regen-
bogenhautentzündung jene der Kyklitis und Chorioiditis, ja sehr oft wird
auf sympathischem Wege auch der andere Augapfel in entzündliche Mit-
leidenschaft gezogen. Jedenfalls sind derlei hintere Synechien ein überaus
kräftiges disponirendes Moment, welches macht, dass geringfügige äussere
oder innere Reize, welche sonst ohne allen Schaden leicht vertragen
werden, die vorhandenen Störungen zu einem manifesten Wucherungs-
processe anfachen. Doch bedarf es dann zur Anregung der Recidiven wahr-
scheinlich nicht immer eines äusseren Anstosses; die Zerrung und Dehnung,
welcher die verwachsene Iris ausgesetzt ist, genügen möglicher Weise an
sich, um heftige Reizzustände und weiterhin Entzündungen zu veranlassen.
Der Umstand, dass Hebung der Spannung durch theilweise Ausschneidung
der Regenbogenhaut die Neigung zu Recidiven vermindert oder tilgt,
spricht sehr für eine solche Annahme. Andererseits werden erwiesener
Massen auch vordere Synechien gerne die Ursache recidivirender Iritiden,
wenn durch Vorbauchung eines narbigen Theiles der Cornea die eingewachsene
Partie der Regenbogenhaut einer höhergradigen Spannung ausgesetzt wird.
Diese Iritiden nehmen auch einen ganz ähnlichen Verlauf und machen
ganz gleiche Ausgänge, wie die durch hintere Synechien vorbereiteten oder
direet begründeten (Graefe).
Die Iridochorioiditis ist ausserdem oft insoferne eine secundäre, als
der Uvealtract erst in zweiter Linie ergriffen wird, oder ursprünglich in
einer anderen Form erkrankt war. Ihr Auftreten bildet sehr oft die
Schlussscene mannigfaltiger anderer Processe, der Netzhautabhebung, der
exsudativen Retinochorioiditis, des Glaucoms, ectatischer Vorgänge in der
Lederhaut u. s. f.
Ein unmittelbarer Zusammenhang mit Scrophulose (Arlt), Rheuma-
tismus, Gicht etc. besteht nicht, wohl aber mit der sogenannten Febris
typhosa recurrens, deren Hauptursache in Hungersnoth und Elend gesucht
wird (Mackenzie, Blessig, Estlander).
Es scheint die Oijhthcalmie nicht bei allen Epidemien dieser Krankheit gleich
häufig aufzutreten. Sie macht sich meistens erst mehrere Wochen oder gar Monate
nach dem letzten Fieberanfalle , also nachdem der Kranke bereits reconvalesci7-t
scheint, selten früher geltend, befällt am häufigsten Individuen zwischen 10 und
30 Jahren, ist gewöhnlich auf Ein Auge beschränkt und charakterisirt sich durch
starke Glaskörpertriibungen und die Symptojne einer mehr weniger heftigen Iritis.
Die Glaskörpertriibungen sind anfänglich diffus, figiiriren sich jedoch bald zu
Flocken und dichteren Haufen, ja in einzelnen Fällen verdichten sie sich zu eiter-
ähnlichen oder weissen, das Licht stark reflectirenden Massen, welche am Boden
des Augengruudes lagern. Sie gehen mit sehr beträchtlichen Sehstöriingen einher,
330 Iiidochorioiditis ; Verlauf.
welche sich anfänglich in der Form von Nebel - und Flockensehen äussern , bei
weiterem Fortschreiten der Krankheit aber bis zu gänzlicher Erblindung steigen
und die Mitleidenschaft des lichtempfindenden Apparates unzweideutig bekunden. Die
Iritis entwickelt sich in manchen Fällen erst spät nach dem Auftreten der Glas-
körpertrübungen, oder bleibt ganz aus fExflanderJ ; in anderen l'^ällen ist sie schon
vom Beginne der Ophthalmie an deutlich ausgesprochen (Maclcenzie, Blessig). Sie
trägt im Allgemeinen keinen malignen Charakter, sondern beschränkt sich auf
theilweise Anlöthungen des Pupillarrandes , führt selten zu vrdligem Abschlüsse
des Sehloches, öfter aber zu Hypopyum. Im letzteren Falle kann es ausnahmsweise
zu Phthlsis hulhi kommen; sonst geht das Leiden in der Regel, ohne sonderliche
Schäden zu hinterlassen, wieder völlig zurück, indem die hinteren Synechien durch
Atropinisirnng des Auges sich beheben lassen und die Glaskörpertrübungen bald
zu zerfallen und sich allmälig aufzulösen beginnen. Nur die dichten eiterähnlichen
Massen bleiben gewöhnlich eine unbestimmte Zeit lang im Glaskörper zurück und
machen sich durch Sehstörungen geltend. Im Ganzen verläuft die Krankheit suhacuf,
mit Sc! iir anklingen des iniraocularen Druckes, indem der letztere öfters deutlich
vermindert, kaum jemals aber erhölit erscheint. Die Dauer der Krankheit wechselt
zwischen 2 und 3 Monaten. Sie pflegt bei Kindern kürzer zu sein, wo sich aber
die hinteren Synechien durcli Atropin nicht lösen lassen, sich über diesen Termin
hinaus zu erstrecken. Eine specielle Localhehandlung soll im Ganzen überflüssig,
weil ohne Einfluss auf den Verlauf sein (EsthmderJ. Doch wird auf energische
Anwendung des Atropins behufs der Lösung der Synechien gedrungen.
Das Bindeglied zwischen der Ophtlialmia xjosffehrilis (Mackenzie, Blessig) und
dem recurrirenden Fiel>er ist unbekannt. Die Annahme, dass Veränderungen des
Blutes, namentlich reichlicher Gehalt desselben an weissen Zellen, die nächste Ursache
abgeben, wird dadurch in ihrer Glaubwürdigkeit sehr geschädigt, dass die Ophthalmie
gewöhnlich erst lange nach dem letzten Fieberanfalle, also nachdem das Blut sicher-
lich seine krankhafte Beschaffenheit wesentlich gebessert hat, zum Vorschein kommt.
Liesse sich jedoch diese Hypothese (Estlandei-) erweisen, so würde sich die
Ophthalmia postfebrilis mit den bei Leucaemie vorkommenden Erkrankungen der
tieferen Bulbusorgane (S. 189) in eine Klasse zusammenstellen lassen. Thatsächlich
ist bei letzteren eine Mitleidenschaft des Uvealtractes beobachtet worden (S'dviisch).
Verlauf. Entwickelt sich die Iridochorioiditis in Folge einer das
Auge treffenden intensiven reizenden Schädlichkeit, so ist ihr Auftreten meistens
ein acutes, sie trägt den sthenischen Charakter, steigt binnen kurzem unter
sehr heftigen Schmerzen und den Erscheinungen einer intensiven localen
Blutwallung zu ihrem Höhepunkte und führt ebenso rasch zu ständigen
Ausgängen ; oder lenkt allmälig in den chronischen Verlauf ein und schleicht
dann unter zeitweisen Exacerbationen und Remissionen sowie unter
merklichen Schwankungen der fühlbareii Bulbushärte Wochen, Monate und
Jahre lang fort, bis endlich ein Stillstand eintritt, oder die völlige Atrophie
der Bulbusorgane der Entzündung wenig Boden mehr bietet.
In den übrigen Eällen und namentlich bei den secundären Formen
stellt sich die Iridochorioiditis oft in subacuter Weise ein, neigt aber gleich
von vorneherein schon zum chronischen Decurse, in welchen sie alsbald
übergeht, um dann nur zeitweilig, spontan oder in Folge von Schädlich-
keitseinwirkungen, wieder aufzuflackern. Oft jedoch treten diese Er-
scheinungen der Iridochorioiditis nur ganz allmälig hervor, gesellen sich
beziehungsweise zu jenen der primären Krankheit. Besonders ist dies bei
den höchst bösartigen degenerativen Formen der Fall.
Hier geschieht es öfters, dass die Kranken anfänglich über einen auffällig
raschen Verfall des Sehvermögens an einem oder dem anderen Auge klagen ; es
lagert sich, so sagen sie, ein dicker Nebel oder Rauch über das ganze Gesichts-
feld und nimmt von Tag zu Tag zu. Sclimerzen pflegen zu fehlen oder doch uner-
heblich zu sein ; dann und wann geht einige Lichtscheu nebenher. Ohjectiv zeigt
sich eine meist sehr geringe episclerale Gefässeinspritzung, welche überdies oft
auf einzelne Bogentheile des vorderen Lederhautgürtels beschränkt ist. Dagegen
Bösartige (li'fji'in'riilivi' rnnu: KyUlitis. * 331
erscheint der Thimor oquens ^owohnlicli dcutlicli und mitunter floekif^ <r('trül)t;
öfters ist iiel)stbei d;is (^oniPdlepltliH nicrlvlicii j^'idocivert oder ^ar gesfij)j)t, wüiirond
die eigentliche Hornhavtiuhfifan:: ilire Durclisiciitigkeit vermindert und ein sulz-
iihnliches Anseilen gewonnen hat. In einzehien Fällen kommen auch schon die
charakteristischen Exsudathäufchen der KeraÜf.is puncfala, einer hävßc/en Begleiterin
der xpüieren Processstadien , zum Vorscliein. Die Regenhogenliaid ist an einer oder
der anderen St(dle, der Episcleralciuspritzung eutsprechc^nd, sichtlich aufgequollen,
im hohen Grade entfärbt und nicht selten von einem fahlen schiminelähnlichen
Belage überkleidet, dabei überaus träge beweglich, die Pupille sell)st durch Atropin
nur wenig erweiterbar und ihr Rand fast immer schon durch einzelne papillose
Auswüchse an die Vordorkapsel geheftet. Alsbald entwickeln sich im Bereiche der
missfärbigen Irispartie einzelne mächtig ausgedehnte, von dunklem Blute gefüllte
Gefässe, welche sich an der Oberfläche verzweigen und gerne Blutergüsse in die
Kammer veranlassen. Der Glaskörper, soweit er dem Augenspiegel zugänglich ist,
zeigt sich diffus getrübt. Einmal an diesen Punkt angelangt, schreitet der Process
entweder in yleichmUssigein Tempo weiter, oder unter zeitweiligen auffälligen Ver-
schlimmerungen, während welchen die Injection der Ciliargegend zunimmt, oft auch
der vielleicht schon merklich herabgesetzte, im Ganzen aber noch toandelhare in-
traoculare Druck wieder erheblich steigt und, besonders wegen merklicher Ver-
dichtung der Glaskörjjertrübung, die Sehstörung wächst. Dabei breitet sich der
ursprüngliche Herd in der Iris mehr und mehr aus, die an seiner Oberfläche her-
vortretenden Blutadern kriechen gleichsam weiter, oder es bilden sich neue Herde
und fliessen nach und nach zusammen. Die Aufquellung des Regenbogenhautge-
füges wird dabei immer deutlicher, so dass die Iris am Ende in Gestalt unregel-
mässiger kropfähnlicher Buckeln in die Kammer vorspringt, ein schwammähnlich
aufgelockertes Ansehen gewinnt. Mittlerweile vermehren sich auch die Anheffungen
des Pupillarrandes an die Vorderkapsel, das Sehloch wird enger imd unregel-
mässiger, bis es endlich nur mehr als ein kleiner zackiger Sehnenpfropf in der
Mitte der aufgeblähten und nach vorne getriebenen Regenbogenhaut zur Wahr-
nehmung kömmt. Von hier aus beginnt nun das Irisgefüge sehnig zu entarten, es
schrumpft stellenweise zu derben grauen Streifen und Fladen, wobei die ausge-
dehnten Gefässe wieder verschwinden; an der Hiuterwand der Iris und des Ciliar-
körpers ziehen sich die mächtigen Schwarten immer mehr zusammen, und machen
die Peripherie der Regenbogenhaut nach hinten rücken; das Sehvermögen sinkt
mehr und mehr auf quantitative Lichtempfindung; in der vorderen Episcleralzone
zeigen sich mächtig ausgedehnte, unter einaiader verschlungene Venenstämme und
die stetige Abnahme der Bulbusresistenz lässt keinen Zweifel mehr, dass der ganze
Augapfel bereits im Schwunde begriffen sei.
In anderen Fällen hebt die Krankheit mit einer starken Qefässeinspritzung
der vorderen Episcleralzone und einer mehr oder minder heftigen Ciliarneurose an.
Die h-is erscheint dabei etwas entfärbt, besonders wenn gleichzeitig das Kammer-
wasser getrübt ist, bewegt sich aber noch ziemlich gut und lässt nur spärliche
papillose Auswüchse, wenn überhaupt, am Pupillarrande erkennen; oder es bilden
sich unter den genannten Erscheinungen von Zeit zu Zeit llypopyen, welche rasch
wieder verschwinden oder doch in ihrer Grösse sehr wechseln. Die auffällige
Röthung und die Empfindlichkeit der Ciliargegend beim Betasten, zusammengehal-
ten mit den nachträglich erweisbaren flockigen Trübungen der vorderen Randtheile
des Glaskörpers und der davon abhängigen unverhältnissmässigen Abnahme der
perijjheren Sehschärfe, sprechen für ein vorzugsweises Ergriffensein des Strahlen-
kranzes und daher hat man denn auch diese Fälle in neuerer Zeit als reine und
beziehungsweise als eitrige Kyklitis beschrieben (Graefe). Der Process geht häufig
wieder zurück, obgleich er sich bei der letzteren Form oft recht hartnäckig erweiset.
Oft jedoch und zwar vornehmlich bei der ziveiten Form greift er weiter, die Be-
theiligung der Regenbogenhaut wird immer deutlicher und endlich treten die auf
Chorioiditis zu beziehenden Erscheinungen hinzu, die Krankheit verläuft fürder als
Iridochorioiditis in der oben beschriebenen Art.
Das Leiden ist anfänglich in der Regel auf Ein Auge beschränkt
und bleibt es auch öfters. Häufiger jedoch wird über kurz oder lang das
zweite Auge in Mitleidenschaft gezogen. Unzweifelhaft liegt in vielen dieser
Fälle der Erkrankung des zweiten Auges das Walten gleicher pathogeue-
332 Iridocliorioiditis ; Verlauf: Ophthalmia sympathica.
tischer Becliuguugen und der gleichen Ursaclie zu Grunde. Oefter jedoch
lässt sich der sympathische Ursprung, d. i. die Ueberpflanzung der Ent-
zündung durch Vermittelung der Ciliarnerven, namentlich durch Reflexe,
welche von den sensitiven Zweigen des Ciliargebietes auf die vasomotorischen
Aeste des zweiten Auges geworfen werden, nur schwer abweisen.
Gewöbnlich geben materielle Veränderungen der Ciliarnerven, manifeste Ent-
zündungen des Neurilems (Iwanoff), Verkalkungen u. s. w. den Erklärungsgrund
für die nervösen Reizzustände ab. Bisweilen jedocb finden sich in den einschlägigen
Fällen die Ciliarnerven vollkommen ^inver'ündert (Schiess-Gemuseus, Czerny) und
man muss von Aussen her auf die Nervenenden wirkende Reize als die Quelle des
Leidens betrachten.
Der Uebergang auf das zweite Auge erfolgt nicht selten schon sehr
frühzeitig, bevor der Process am erstergriffenen Auge die Begenbogenhaut
überschritten hat. Gewöhnlich aber geschieht dies erst, wenn der krankhafte
Vorgang im ersten Auge sich zur Bedeutung einer Iridochorioiditis empor-
geschwungen hat. Es trägt dann die Ophthalmie des ziveiten Auges meist-
hin einen gutartigen Charakter und erschöpft sich häufig in der Ent-
wicklung mehr weniger zahlreicher liinterer- Synecliien, welche allerdings
die Neigung zu ferneren Recidiven mit sich bringen.
Viel mehr bedroht ist das zweite Auge, wenn das Leiden des ersten
ein vorwiegendes Ergriffensein des Strahlenkörpers annehmen lässt, vornehm-
Hch wenn es mit massiger Anhäufung entzündlicher organisirender Producte
an der Hinterwand der Iris und der Ciliarfortsätze einhergeht ; indem dann
die sympathische Ophthalmie sehr oft, wenn auch nicht immer, gleichfalls
die Bedeutung einer hypeiplastischen Kyklitis hat und durch die nachträg-
liche Schrumpfung der Schwarten gewöhnlich auch den Ruin des zweiten
Auges anbahnt. Die sympathische Ophthalmie kann dann schon während
des ersten Sturmes zum Ausbruche kommen, zumal wenn das Schädliclikeits-
moment, welches das erste Auge betroffen hat, einen heftigen Reiz auf
die sensitiven Ciliarnerven auszuüben und zu unterhalten im Stande ist,
wie dies z. B. bei in den Strahleukörper eingedrungenen fremden Körpern,
bei Risswunden der CiUargegend, bei dislocirten Staaren u. s, w. häufig
der Fall ist. Im Ganzen jedoch scheinen die acuten Formen der hyper-
plastischen Iiidochorioiditis von minderer pathogenetischer Bedeutung für
die sympathische Mitleidenschaft des zweiten Auges zu sein. Thatsache
ist, dass die letztere sich viel seltener zur Geltung bringt, so lange der
Process am erstergriffenen Auge unter den Zeichen einer sthenischen Ent-
zündung, unter wüthendeu Schmerzen und vielleicht merklicher Spannungs-
zunahme des Bulbus einhergeht ; dass sie hingegen sehr häufig sich in den
späteren Stadien einstellt, namentlich wenn der Bulbus unter dem Fort-
schreiten des degenerativen Processes bereits zu schrumpfen beginnt und
dies durch stetige Abnahme seiner Consistenz bekundet, während die
anhaltende und auffällige Empfindlichkeit der Ciliargegend beim Betasten
auf das Gegebensein einer chronischen schleichenden Kyklitis hindeutet
(Graefe). Es wird diese Kyklitis in vielen Fällen unzweifelhaft durch die
mechanische Zerrung unterhalten, welcher der Ciliarkörper und vielleicht
auch die I^erven von Seite der schrumpfenden Schwarten ausgesetzt sind
und welche öfters bis zur völligen Ablösung des Strahlenkranzes von der
Sclerotica gedeihet. In anderen FäUen jedoch ist der Bulbus bereits zur
Ruhe gelangt und die Kyklitis wird durch eine neue äussere Schädüchkeit,
Amaurosis sympathica; Ausgänge. 333
z. B. durch das Tragen eines künstlichen Auges (Mooren, Lawson), durch
intraoculare Blutungen (CritchettJ etc., oder durch Verkalkung der im Ge-
füge des Strahlenkörpers oder gar im Neurilem der Ciliarnerven (Schicss-
Gemuseus) abgelagerten Producte wieder angefacht.
Am meisten gefährdet ist der zweite Augapfel bei den eigentlichen
degenerativen Formen der Iridocliorioiditis (S. 331). Wahrscheinlich ist auch
hier die Schrumpfung der mächtigen Schwarten der gewöhnliche Motor des
sympathischen Leidens. Doch tritt nicht selten die Erkrankung des zweiten
Auges zu einer Zeit auf, wo von einer Verödung der Schwarten und dadurch
bedingten Zerrung der Ciliarfortsätze noch lange nicht die llede sein kann.
JS'icht minder fehlen gar oft spontane Schmerzen und das eigentliümlichc
Wehe bei Betastung der Ciliargegend, welches auf degenerative Kyklitis ge-
deutet wird ; daher kein Grund vorliegt, manifeste Reizungen der Ciliarnerven
als ausschliessliche Quelle der Sjanpathic in diesen Fällen anzunehmen.
Ueberliaupt ist in der Lelire von der Ophthahnia sympathica noch gar
Vieles dunkel und einigermassen sonderbar, dass sowohl acute als mehr schleichende
Eiterungsprocesse im Binnenraume nur äusserst selten, wenn überliaupt jemals, das
zweite Auge auf sympathischem Wege gefährden, obgleich sie öfters mit sehr auf-
fälligen Reizzuständen der Ciliarnerven verknüpft sind.
Dem eigentlichen Ausbruche der sympathischen Iridocliorioiditis gehen
sehr häufig prodromale Erscheinungen voi'aus. Das zweite Auge bekundet
seine Mitleidenschaft vorerst eine Zeit laug durch grosse Empfindlichkeit
und Unverträglichkeit gegen helleres Licht und gegen jedwede Anstrengung
des Accommodationsapparates, durch zeitweilige Umnehelungen des Gesichts-
feldes, durch lästige Gefühle von Druck und Spannung ; weiterliin durch
öftere Anfälle von über den Kopf ausstrahlenden Schmerzen und episclerale
Congestionen, oder gar durch vorübergehende auffällige Verfärbungen der
Iris bei vollständiger Erweiterbarkeit der Pupille durch Atropin (Mooren),
schliesslich nach öfterer Wiederholung dieser Anfälle durch Entwickclung
wahrer . Iritiden mit Synechienbildung.
Nicht immer jedoch führt die sympathische Erregung der Nerven zur exsu-
dativen Iritis und schlieslich zur Iridochorioiditis mit deren weiteren Folgen. In
manchen Fällen offenbart sich die Theilnalune des zweiten Auges eine lange Zeit
blos durch die lieftUjde Lichtscheu und vollständige GehraiichsunfähigJceU (Donders,
Maats), oder durch Photophobie mit rhythmisch-periodischen Verdunkelungen des
Gesichtsfeldes während einer halben bis ganzen Minute (Liebreich), oder durch
Amblyopien mit concentrischer Einschränkung des Gesichtsfeldes (Mooren). Auch
kommen Fälle vor, in welchen sich eine rasch zunehmende Amblyopie unter Ent-
wickelung einer glaucomatösen Sehner oenexcavation ausbildet (Graefe, Homer). Der
letztgenannte Zustand findet sich relativ am öftesten bei älteren Individuen und ist
stets an eine merkbare Härtezunahme des Augapfels geknüpft. Es liegt nahe anzu-
nehmen, dass die Rigidität der Lederhaut es sei, welche den Process in die ab-
weichende Form eines einfachen Glaucoms gedrängt hat (S. 314). In einzelnen
Fällen soll am zweiten Auge auf sympathischem Wege Nefzhautentsündung ver-
anlasst worden sein (Graefe). Endlich will man sogar epileptoide Anfälle aus den
Reflexen erklären, welche von dem erkrankten Bulbus auf die vasomotorischen
Nerven des Gehirnes geworfen werden können (Mooren).
Ausgänge. Die Iridochorioiditis kann durch zweckmässige Therapie
geheilt werden, möglicher Weise wohl auch spontan heilen. Eine völlige
Herstellung des IS'ormalzustandes setzt aber voraus, dass die constituirenden
Elemente des Uvealtractes und vornehmlich jene der Ketzhaut noch nicht
sehr gelitten haben, lässt sich also nur bei frischen Fällen mit Grund
erwarten. Wo die Iridochorioiditis schon längere Zeit besteht und überdies
vielleicht gar in secundärer Weise aufgetreten, durch materielle Veränderungen
334
Iridocliorioitlitis ; Ausgänge; Sclerochorioidalstaphylome; Atrophia bulti.
wichtiger Augapfeltheile vorbereitet worden ist, sind die Aussichten auf
vollständige Heilung und beziehungsweise selbst auf Besserungen des Func-
tionsvermögens des Auges nur sehr geringe, der Process führt vielmehr
in der Eegel zu ständigen Verhildungen.
Ein häufiger Ausgang sind Sclerochorioidalstaphylome. Sie kommen
besonders gerne bei jugendlidien Individuen zu Stande, obwohl sie auch
bei Leuten des reiferen Alters nichts ganz Ungewöhnliches sind. Sie
können sich in jedem Stadium des Processes entwickeln, so lange der intra-
oculare Druck nicht unter das normale Mass gesunken ist. Oft treten
sie schon in dem ersten Beginne der Iridochorioiditis hervor, häufiger
jedoch in den späteren Stadien und dann meistens während den entzünd-
lichen Exacerbationen.
Der gewöhnlichste Ausgang ist der Schwund des gesammten Augapfels.
Es vermindert sich hierbei vorerst das Kammerwasser und die Vitrina, der
Bulbus wird weicher , schlaff und faltet sich wohl auch unter dem Zuge
und Drucke der Augenmuskeln , während sein Umfang sich verkleinert.
Im Glaskörper entwickeln sich in Folge fortschreitender Gewebswucherung
bindegewebige Balken und Häute (S. 162), welche allmälig schrumpfen;
das Corpus vitreum (Fig. 41a) zieht sich daher auf ein kleineres Volumen
Eig. 41. zusammen. Die Netzhaut b , welche mit
dem metamorphosirten Glaskörper strek-
kenwcise fest verwachsen ist, folgt dem
letzteren, wird von der Aderhant abge-
hoben, faltet sich und legt sich in Gestalt
eines Trichters zusammen. In dem
Zwischenräume, welcher durch die Ab-
hebung der Retina zwischen dieser und
der Aderhaut erzeugt wird, sammelt sich
eine wässerige oder mehr sulzähnliche,
gelbliche röthliche oder braune Flüssigkeit,
ein sogenannter Hydrops subretinalis (S.
y,':./^ 216). Gleichzeitig, oder im späteren
Verlaufe der Krankheit setzen sich faserstoffähnliche Producta an der Ober-
fläche der Chorioidea ab. Besonders häufig kommen dieselben in der Umge-
bung des Sehnerveneintrittes vor und bilden dann mehr weniger ausgebreitete
Schwarten mit zugeschärften , oft Avolkig verschwommenen Rändern. Gar
nicht selten überziehen sie in Gestalt einer continuirlichen Schichte von
wechselnder Dicke den grössten Theil der inneren Aderhautfläche, oder diese
ihrem ganzen Umfange nach. Ihr Gefüge trägt stets den Charakter mehr
minder entwickelten Bindegewebes , führt eine wechselnde Menge von Ge-
fässen , die grösstentheils mit den Gefässen der wuchernden oder bereits
atrophirten Aderhaut zusammenhängen, und pflegt frühzeitig zu verknöchern.
Die Aderhaut selber erscheint, so lange der Process noch im Gange ist,
hyperämirt und bietet alle Charaktere einer üppigen Geiod/swueherung (8. 314)
dar. In den sjjüteren Stadien findet man sie sehr gewöhnlich liypertrophirt , sie
stellt ein gefässreiches lockeres, streckenweise aber auch verdichtetes Bindegewebs-
stratum dar, in welchem meistens noch sehr reichliche Mengen wuchernder Kern-
zellen, ausserdem aber freie Kerne, freies Pigment, Fett, choloide Kugeln und
Kalksalzdrusen, selten auch neugebildete Knochensplitter (Pagensfecher) lagern.
Die Gefässwandungen sind theilweise sehr verdickt und enthalten oft in sehr grosser
Menge choloide Massen oder sind verkalkt (Wedl). Die Oberfläche der Chorioidea,
ralli. Anatomie d. Augiipfelschwuiules ; Verknüclionulo Adorhautschwurten. 33o
SO weit sie nicht Schwarten träo;t, ist von der sehr verdickten Lumina elastica
überkleidet, auf deren innerer Wand sehr häufig nebst spärlichen Kesten des
Tapetes zahllose choloidc Kugeln (S. 312) sitzen. Dieselben erreichen bisweilen
einen ganz erstaunlichen Entwicklungsgrad, so dass es das Ansehen gewinnt, als
wäre die Aderhaut mit kleinen trül)en glasigen Körnern dicht übersäet. Diese
glasähnlichen Körner sind daini mitvinter so hart, dass sie unter einem darauf hin-
gleitenden harten Körper rauschen. Man fand sie in einzelnen Fällen (/estielt, im
Inneren geschichtet und zum Theile auch von Pigmentkörnern, Kalksalzen und
eckigen Krystalicn, wahrscheinlich fettiger Art, durchstreuet (Khhfi).
Der Ciliurlcüijjer und die Iris erweisen sich unter solchen Verhältnissen in
der Regel }iochgradig alrojjhirt. Ihre hintere Fläche ist in den meisten Fällen von
dichten sehnigen, zum Theile schon kallchältigen oder gar von Knochenschüppchen
durchsetzten Sclavarlen bedeckt, welche gewöhnlich mit jenen der Adorhaut
im Zusammeuliange stehen und nach vorne hin sich bis zu dem das Sehloch
schliessenden Pfropfe fortsetzen, mit ihm in Verbindung treten. "N^on der inneren
Wand dieser Schwarten treten immer zahllose bindegewebige Flocken und Balken
in den sehnig entarteten Glaskörper ein , oder die Schwarten gehen unmittelbar
über in eine dicke sehnige Scheibe, welche dem Krystalle von hinten her ai;f-
lagert und aus der Verdichtung des sehnig degenerirten Corpus vitreum resultirt.
Der Ciliarmuskel ist meistens bis auf wenige in Verfettigung begriffene Fascr-
zellen im Schwunde aufgegangen , oder stellt blos mehr eine Lage von obsoles-
cirendem Bindegewehe dar, das mit geschrumpften Kernbildungen, Fett und Kalk
durchstreut ist. Die Gefässe desselben verhalten sich ähnlich jenen der Aderhaut;
die Nerven sind ihres Markes beraubt oder gänzlich zerstört, nnkennbar geworden.
In einem Falle hat man AUagerungen von Kalksahen im Neurilem gefunden, die
theils zu spindeligen Auftreibungen der Nerven , theils zu excentrisch gelegenen
Anhängseln derselben Veranlassung gaben (Schiess-Gemiisevs).
Die Schwarten folgen, falls der schrumpfende Bulbus schon gefaltet ist,
allen Unebenheiten der inneren Scleralwand und gewinnen ganz das Ansehen, als
hätten sie sich erst nach der Bmizehmg der Sclerotica aus der Flüssigkeit, welche den
Zwischenraum zwischen Aderhaut und Netzhaut ausfüllt, durch faserstoffige Nieder-
schläge gebildet. An der Stelle des Sehnerveneintrittes sind sie immer durclihohrt,
um die Netzhaut durchtreten zu lassen. Anfänglich erscheinen dieselben ziemlich
weich, werden aber bald derb und gleichen dann äusserlich ganz gekochtem Eiiveisse
oder einem Knorpel. Sie wachsen, nachdem sie einmal zur Entwickelung gekommen
sind, in der Regel fort, sowohl nach der Fläche, als auch nach der Dicke und er-
reichen nicht selten eine sehr bedeutende Mächtigkeit, von 1 und selbst 2 Linien.
Auf senkrechten Durchschnitten macht sich gewöhnlich eine Schichtung bemerklich,
welche darauf hinzudeuten scheint, dass ein Stratum nach dem andern neu ange-
bildet wird; was übrigens auch schon darum wahrscheinlich ist, weil die gegen
die subretinale Flüssigkeit sehenden Schichten als die jüngsten in der Regel be-
deutend weicher, als die tieferen, und oft noch ganz sulzähnlich gefunden werden.
Die VerJcnöcherung dieser Neubildungen beginnt von den äusseren Lagen aus,
während sich an der inneren Oberfläche neicc bindegewebige Schichten (Fig. 42 a)
ansetzen. Sie erfolgt bald von einem, bald pj^ ^2 f
von mehreren Punkten aus; bald ver-
knöchern die äusseren Strata ihrem ganzen
Umfange nach gleichzeitig und gJeichmässig.
In Fällen, in welchen die Knochen-
schale bis nach vorne an die Ciliarfort-
sätze reicht, verknöchert bisweilen auch der
an der Hinterfläche der Linse anliegende j
scheibenförmige Theil b des bindegewebig n^^c*- - ,r
umgewandelten Glaskörpers und dessen e — 7, * \ 1-'
Peripherie tritt mit den Rändern der kno-
chigen Aderhautschale in Verbindung. Das
Resultat ist eine geschlossene Kapsel,
welche nach aussen von der Aderhaut c " ^^ X' -^s;*»^
überkleidet wird, mit ihrer Vorderwand an ' '■' /
die Ciliarfortsätze und die Hinterkapsel
stösst, nach hinten aber im Bereiche des Sehnerveneiutrittes ein kleines Loch be-
sitzt, durch welches die Netzhaut in die Höhlung der Kapsel eindringt. Diese
336 Iridochorioiditis; Ausgänge; AtropMa 'bulbi.
Höhlung ist, was ihre Räumlichkeit betrifft, je nach dem Umfange des Bvilbus und
je nach der bisweilen sehr bedeutenden Dicke der Neubildung sehr wandelbar. Sie
wird immer von der oben geschilderten Flüssigkeit erfüllt. Umspült von der letzte-
ren findet man in der Axe des Kapselraumes die trichter- oder straugförmig zu-
sammengedrängte Netzhaut d, welche nach vorne hin sich flächenartig ausbreitet
und so die hintere Fläche der vorderen Knochenkapselwand überkleidet.
Von dem sehnigen Belage der inneren Oberfläche der knochigen Kapselwan-
dungen erheben sich bisweilen zotfenähnliche trübe weissgraue Auswüchse, Avelche
frei in dem Hohlräume flottiren. Mitunter findet man wohl auch ein förmliches
Balkenwerk e von Fäden und Häuten bindegewebigen Aussehens , welche von der
Innenwand der Knochenkapsel zur äusseren Oberfläche der Netzhaut ziehen und
den Zwischenraum zwischen beiden nach den verschiedensten Richtungen hin
durchkreuzen. Dieselben sind meistens structurlos, lassen öfters jedoch schon eine
deutliche Streifung und Kernbildungen erkennen.
Ganz ähnlich verhält sich auch die bisweilen nachweisbare gallertähnliche
innerste Schichte der Knochenschalen selbst. Die darunter gelagerten sehnen- oder
hnoi-pelälinlichen Strata treten mitunter stellenweise auseinander und bilden menis-
coide Räume, welche mit einem Fluidum gefüllt sind, das jenem des Hydrops
subretinalis völlig gleicht. Die einzelnen Schichten sind zum Theile structurlos, zum
Theile aber schon deutlich gestreift und zerfahren dann an den Rändern der Prä-
parate in Faserbündel. In dieser Masse erscheinen oft ganz deutliche Bindegewebs-
Jcörxie.r neben wechselnden Mengen dunkler Moleküle, Pigmentkörnern, Fettkugeln,
Kalksalzdrusen und metamorphosirten Blutkörperchen. In einzelnen Fällen finden
sich hier und da auch Bhdgefässe, bisweilen in so reichlicher Menge, dass die
Schwarten .schon dem freien Äuge lebhaft geröthet erscheinen.
Die knochigen Lagen sind gewöhnlich sehr compact und bestehen dann aus
einer festen, anscheinend structurlosen oder deutlich faserstreifigen Grundlage, in
welcher Kalksahdrusen und Knochenkörperchen von verschiedenen Entwickelungs-
gradeu ordnungslos unter einander geworfen sind. In anderen Fällen, namentlich
wenn sie sehr bedeutende Dicken erreichen, erscheinen sie ganz nach Art der
Diploe oder der Wirbelkörper porös, zusammengesetzt aus einer Unzahl knochiger
Balken und Blätter, welche sich in den verschiedensten Richtungen durchkreuzen
und aus einer structurlosen oder streifigen bindegewebigen Grundlage und zahl-
losen eingestreuten Knochenkörperchen bestehen. Bisweilen findet man in diesen
Neubildungen eine deutliche coticentrische Schichtung mikroskopischer Lamellen mit
Andeiitungen Eavers^scher Kanäle (WedlJ. Oft enthält die organische Grundsub-
stauz Pigment. Es sitzt das Knochenstratum in der Regel unmittelbar auf der
C'horioidea auf. Selten erscheint zioischen Knochen und Aderhaut eine sehnige Schichte
zwischengeschoben. Ebenso selten ist der Knochen an beiden Oberflächen des seh-
nigen Ueberzuges bar. Die innere Ober^fläche pflegt dann sehr rauh zu sein, ja
mitunter erscheinen sogar zackige Ausicüchse auf derselben. Viniev Aexa Polarisations-
mikroskope verhalten sich diese Neubildungen ganz wie gewöhnliche Knochensub-
stanz (KlebsJ. Die Gefässe derselben stehen zumeist in Verbindung mit jenen der
Aderhaut (Pagenstecher). Die Fettzellenbildung ist im Knochen bisweilen eine sehr
reichliche (Pagenstecher).
Die Veränderungen der Netzhaut und des Glaskörpers sind schon anderwärts
(S. 162, 229) beschrieben worden.
Derlei Stümpfe bestehen oft zeitlebens fort, ohne den Kranken irgend-
wie zu heiästigen. Sie sind oft sogar in hohem Grade unempfindlich, ver-
tragen z. B. ohne den mindesten Schaden das Tragen eines passenden
künstlichen Auges. In anderen Fällen jedoch bleibt der Stumpf sehr reizbar,
es kömmt sehr oft zu heftigen entzündlichen Anfällen, welche schliesslich
nicht selten zur Vereiterung und zum Durchbruche führen, häufig auch
das andere Auge auf sympathischem Wege gefährden.
Bisweilen stellen sich in atrophischen Augen mit Kalkschwarten und Netz-
hautablösung überaus heftige Licht- und Feuererscheinungen ein , welche lange Zeit
anhalten und den Kranken in dem Masse quälen, dass man die subcutane Durch-
schneidung des Opticus für gerechtfertigt hält (Grraefe).
Bohandlung; Iridectomie ; Schmierkui-. 337
Behandlung. Die therapeutischen Indicationen zielen theils auf die
Beseitiginig der den Process vorbereitenden und unterlialtenden krankhaflen
Zustände, theils auf die dlrecte Bekämpfung des entzündlichen Vorganges und
der nebenhergehenden Circidations- und Nervenstörungen. Ihre specielle Auf-
zählung wäre nur eine Wiederholung dessen, was bei Gelegenheit der
Begenbogenhautentzündung, der gewölinlicben Forläuferin der Iridochorioiditis
(S. 289), gesagt wurde. Es soll deshalb nur darauf hingewiesen werden,
dass dort, wo neben einem Abschlüsse oder Verschlusse des Sehloches sich
bereits die Zeichen einer Mitleidenschaft der tieferen Bulbusorgane geltend
machen oder gar eine Steigerung des intraocnlären Druckes offenbar wird,
die Anzeige zu Iridectomie als eine drängende zu erachten ist.
In der That genügen dann der antiphlogistische Apparat und die
Mj^driatica nicht mehr, um die Krankheit zu einem befriedigenden Abschlüsse
zu bringen, sie können nur als Nothbehelfe dienen, um Exacerbationen des
Processes zu beschwichtigen und so den Augapfel zur Operation vorzu-
bereiten. Während eines heftigeren entzündlichen Anfalles zu operiren, ist
nämlich aus bereits (S. 290) angeführten Gründen nicht rathsam. Man
will bei Ausserachtlassung dieser Vorsicht wiederholt sogar Kyklilis und
später selbst sympathische Erkrankung des zweiten Auges als die missliche
Eolge der Iridectomie beobachtet haben (Mooren). Nur wenn ein fremder
Körper, eine dislocirte Linse etc. einen intensiven lieizzustand anregen
und unterhalten, wird in Anbetracht der dringenden Gefahr bisweilen jede
Rücksicht bei Seite gestellt und die Entfernung des Irritamentes ange-
strebt werden müssen, wobei man gut thut, die Iridectomie damit gleich
zu verbinden.
Oben an steht unter den entzüudungswidrigen Mitteln eine gut geleitete
Schmierkur, besonders wenn sie mit dem systematischen Tragen eines Schutz-
verbandes combinirt und überhaupt nach den bei der JSTeurodictyitis ange-
gebenen Regeln (S. 203) strenge durchgeführt wird. Sie empfiehlt sich
ganz vorzüglich bei sehr dichten Glaskörpertr Übungen, indem diese unter
ihrem Einflüsse rasch zurückzugehen pflegen. In Anbetracht dessen findet
sie auch häufig nach der Iridectomie eine sehr wirksame Verwendung, wenn
die Aufhellung der dioptrischen Medien eine unvollkommene geblieben ist.
Wo Syphilis dem Processe zu Grunde liegt, erscheint es klug, sie der
Operation in jedem Falle vorauszuschicken.
Wo die Iris durch dichte sehnige Neubildungen, welche ihrer hinteren
Fläche anlagern, straff gespannt, sehr stark desorganisirt, entfärbt und von
dicken Gefässen durchzogen erscheint, erweiset sich die Iridectomie meistens
überaus schwierig, ja sie ist nicht selten ganz unausführbar, indem die ein-
geführte Pincette nichts zu fassen vermag oder die Iris fetzenweise abreisst,
während jene Neubildungen stehen bleiben. In manchen Fällen kann man
sich dadurch helfen, dass man die Kammer peripher durch das Linear-
messer eröffnet und sich so die Möglichkeit schafft, eine gut fassende
Pincette steil aufzusetzen. In aphakischen Augen fährt man auch bisweilen
gut mit der einfachen Iridotomie (Homer, S. 306). Wo aber der Krystall
noch im Auge vorhanden ist, genügt es häufig nicht, in jene neoplastische
Membranen und in die Iris eine Oeffnung zu machen, indem die Linse
häufig schon cataractös entartet ist oder es binnen nicht langer Zeit wird
und indem überdies in manchen Fällen die vordere Zone des Glasköi-pers
stell wag, Augenlieilkunde. 22
338 IriJochorioiditis; Beliaiullung ; Enucloatio bulbi; Iridectomie bei Oiilitli. symiKitli.
von bindegewebigen Häuten durohseizt erscheint. Es ist daher räthlich,
die Iridectomie in solchen Fällen gleich mit der Extraction der Linse zu
combiniren (S. 305) und, wenn sich nach der Entfernung des Krystalles
neoplastische Membranen im Glaskörper durch die schiefe Beleuchtung nach-
weisen lassen, diese mittelst eines starken Sichelmessers nach verschiedenen
Kichtungen durchzuschneiden, um der dahinter lagernden V^itrina Gelegen-
heit zu geben, in die OefFnungen einzudringen und selbe klaffend zu erhalten.
Es liegt auf der Hand, dass ein solcher Eingriff nicht ohne die Gefahr einer
heftigen entzündlichen Gegenwirkung durchzuführen ist, um so weniger,
als die Linse häufig nur wwollständig entleert werden kann und die in
der Kapselhöhle zurückbleibenden Eeste eine Quelle sehr verderblicher
ßeizzustände abgeben. Das Verfahren eignet sich daher nicht, wo es sich
darum handelt, einer sympathiscJien Ophthalmie des zweiten Auges vorzu-
hauen. Droht diese vielleicht gar schon, so muss vor der fraglichen Methode
dringend gewarnt werden. Sie lohnt sich eben am besten, wenn seit längerer
Zeit gar keine Reizzustände mehr bestehen und die ganze Aufgabe sich in
der Herstellung eines massigen Grades von Sehvermögen concentrirt.
Wo die Symptome einer an Schwartenbildung geknüpften Kyklitis in
einem Auge deutlich hervorstechen, da wird überhaupt die Rücksicht für
das zweite Auge in Bezug auf das fernere therapeutische Verfahren mass-
gebend, besonders wenn der erstergriffene Bulbus bereits unheilbar erblindet
ist und wenn sich vielleicht gar schon die Prodromen der sympathischen
Mitleidenschaft am. anderen Auge manifestiren. Man geht dann relativ
am sichersten, wenn man alsbald zur Enucleation schreitet, vorausgesetzt
dass der gegebene entzündliche Process nicht einen mehr sthenischen
Charakter bekundet, oder überhaupt unter heftigen Gefäss- und Nerven-
symptomen verläuft. In einem solchen Falle thut man besser, sich vorerst
auf ein rein antiphlogistisches Verfahren zu beschränken und vielleicht
die von manchen Seiten sehr empfohlenen warmen Cataplasmen mit narco-
tischen Abgüssen (Mooren) zu versuchen, um vorerst die Intensität des
Processes zu brechen. Erfahrungsmässig wird die Enucleation nämlich
mit der relativ grössten Aussicht auf Erfolg während einer ausgiebigen
Remission des entzündlichen Processes durchgeführt (Oritchett).
Die Iridectomie am erstergriffenen Auge ist in derlei Fällen sicherlich
unzureichend, um das sympathische Leiden des anderen Auges zu bannen,
ja mau läuft Gefahr, dieses durch Anfachung des kj^klitischen Processes
am operirten Auge herauszufordern oder wenigstens zu begünstigen. Da-
gegen kann die Iridectomie am zweiten Auge von Nutzen sein, wenn sich
bereits die Prodromen der sympathischen Affection daselbst geltend machen,
indem sie vielleicht dazu beiträgt, den Process in milderen Formen zu er-
halten. Mau wird dabei gut thun, den Hornhautschnitt möglichst peripher
und die künstliche Pupille recht breit anzulegen, um die nachträgliche
Zusammenziehung derselben nicht leicht zu einem völligen Verschlusse
gedeihen zu lassen. Sollte indessen der Process am zweiten Auge nur unter
einigermassen heftigeren Gefäss- und Nervensymptomen einherschreiten, so
ist die Iridectomie gefährlich und jedenfalls zu verschieben, bis es durch
entsprechendes antiphlogistisches \^erfahren gelungen ist, den Process zu
tilgen oder wenigstens eine ausgiebige Remission zu erzielen.
In neuerer Zeit wurde als Ersatz der Eiuicleation die Durchschneidwng der
Oiliarnerven innerhalb des Binnenraumes angeregt (Graefe). Dieselbe kann sowohl
Durchschneidung dfv t'iliariiorvi'n ; Paracentesis corneae; Enucleatio bulln. 339
intraocidür mittelst eines feinen Nenrotoms, als dadurch ausgeführt werden, dass
man die sämmtUclien Formhäutc des Bulbus in dessen Aequatorialgegend von aussen
her mittelst eines feinen j\Iessi!rs eine Strecke weit qncv durchtrennt. Diese Operation
ist bereits wiederholt mit günstig-em P^rfolge durchgeführt worden (Ed. Meyer,
Laurence, Secondi), ist aber loenig verlässlich (CrUchett, Mooren), führt in der Hälfte
der Fälle zur Phthisis bulbi (Ed. Meyer) und kann überdies nur in jenen Fällen
einen vernünftigen Zweck haben, in welchen ein oder das andere Bündel der
Ciliarnerven in einem manifesten lleizzustande betroffen wird, welchen es auf das
andere Auge überträgt; sie muss aber ihr Ziel verfehlen, wo der IStrahlcnkörper
als Ganzes in den kyklitischen Process verwickelt ist und dies durch die Em-
pfindlichkeit gegen Betastung an jedem einzelnen Punkte der vorderen Scleralzone
bekundet.
Noch weniger lassen sich tviederholte Paracentesen der Kammer (Dohrowolsky)
empfehlen. Gleiches dürfte von der künstlichen Vereiterung des Auges (Graefe)
gelten, denn obgleich suppurative Processe sympathische Affectionen des zweiten
Auges nicht leicht im Gefolge haben, so muss doch die Steigerung eines bereits
vorhandenen und das zweite Auge schon bedrohenden kyklitischen Processes im
hohen Grade bedenklich erachtet werden.
Soll indessen die Enucleation ilir Möglichstes leisten, so wird man
gut thun, die Vorzeichen der sympathischen Ophthalmie nicht erst abzu-
warten, sondern prophylaktisch mit der Operation vorzugehen, wo die
chronisch schleichende Kyklitis sich an einem Auge bereits durch das
eigenthümliche Wehegefühl beim Betasten, durch beginnende Weichheit des
Bulbus und die übrigen Symptome unzweideutig zu erkennen gibt.
Jedenfalls kömmt mau mit der Operation zu spät, wenn auf dem
zweiten Auge das sympathische Leiden bereits im vollen Zuge ist ; denn
da hat erfahrungsmässig die Enucleation nur wenig oder keinen Einfluss
mehr auf den kj'klitischen Process am zweiten Auge, dieser schreitet selbst-
ständig vorwärts und der Erfolg beschränkt sich lediglich auf die Be-
schwichtigung etwa vorhandener Hyperästhesien im sensitiven Theile des
Ciliargebietes (Critchett, Graefe).
Man soll sich übrigens jedesmal, ehe man diese für den Kranken
höchst peinliche und kosmetisch verderbliche Operation in Vorschlag bringt,
sehr wohl vor Augen halten, dass ihr Erfolg durchaus kein völlig gesicherter
sei, auch wenn sie unter den scheinbar günstigsten V'crhältuissen vorge-
nommen wird ; dass mitunter die sj'mpathische Ophthalmie am zweiten
Auge trotz der rechtzeitig ausgeführten Enucleation zum Ausbruche kommt
und unauflialtsam weiter schreitet (Mooren, Sichel, Ainsiaux, Testeün); dass
umgekehrt aber das sympathische Leiden des zweiten Auges trotz Unter-
lassung der Operation lange nicht in jedem Falle sich entwickelt, auch
wenn dieser alle Bedingungen dazu darzubieten scheint und dass, wenn
es geschieht, die Ophthalmie öfters in der mildesten Form auftritt und
sich in der Ausbildung hinterer Synechien erschöpft. Ueberhaupt soll
man nicht ausser Acht lassen, dass die Lehre von der sympathischen
Ophthalmie noch vieles Dunkle enthält und ganz scharfe Indicationen auf-
zustellen kaum gestattet.
Am schlimmsten steht es um die Formulirung bestimmter Heilregeln
bei den eigentlich degenerativen Formen der Iridokyklitis (S. 330). Hier
darf man an dem Nutzen der Enucleation billig zweifeln. Jedenfalls ist die
Ausschälung des erstergriffenen Auges von sehr geringem Nutzen, wenn
das zweite Auge bereits deutlich in den Process verwickelt ist. Dies
participirt aber in der Regel sehr frühzeitig und meistens lange bevor
der Process am ersten Auge bis zur vollständigen und unheilbaren Er-
04)*
340 Iridochorioiditis: Beliandlung ; Iridectomie bei degenerativen Formen.
blindung gediehen ist, also dessen operative Entfernung rechtfertigt. Man
kann dann den zweiten Bulbus im Beginne seiner Affection vielleicht
besser durch alsogleiche Anlegung einer peripheren und sehr breiten kwist-
lichen Pupille schützen (Graefe). Doch ist in solchen Pällen die Iridectomie
eine nichts weniger als gefahrlose Operation. Die Entartung der Gefässe
begünstigt ausnehmend starke Blutungen, welche rasch die ganze Kammer
füllen und, so oft das Blut entleert wird, immer wiederkehren, indem die
Gefässe sich nicht zurückziehen können.
Es haben diese Ergüsse stets einen ausgeprägt venösen Charakter. Sie
saugen sich sehr schwer auf, da in dem Masse, als das Blutserum abgeführt wird,
immer neues Blut aus den degenerirten, der Zurückziehung ganz unfähig gewordenen,
durchrissenen oder durchschnittenen Gefässenden nachrückt. Stillt sich am Ende
aber auch die Hämorrhagie, so bleiben massenhafte Coagula zurück, welche vereint
mit den Producten der entzündlichen Reaction zu derben, stark pigmentirten Pfropfen
"werden und allemal die Pupille wieder verschliessen , aiich wenn sie gross aus-
gefallen wäre, was bei der ausserordentlichen Morschheit des Gefüges selten
gelingt. Das Endresultat ist also gewöhnlich Null, ja gar oft eine Verschlimmerung
des Zustandes. Jeder neue Versuch steigert die Gefahren, bis endlich der Schwund
des Augapfels sich unzweifelhaft kund gibt und dann auch unaufhaltsam weiter
schreitet.
Im Ganzen scheint man in solchen Fällen von degenerativer Iridocho-
rioiditis nicht schlechter zu fahren, wenn man sich auf ein entsprechendes
antiphlogistisches Verfahren beschränkt und geduldig die Ausgänge abwartet,
um dann den Umständen gemäss operativ vorzugehen. Es ist kaum klug,
die Operation zu wagen hecor die Producte sich vollständig consolidirt
haben. So lange sie nämlich noch weich und stark vascularisirt sind, ist
wohl eine Zertrümmerung derselben, aber keineswegs die Bildun'g einer
weiten und dauernden Oeffnung leicht möglich, abgesehen davon, dass
durch den operativen Eingriff an sich die Entzündung wieder mächtig
angefacht und durch die jenen begleitenden Blutungen in ihren verderb-
lichen Wirkungen wesentlich unterstützt wird.
Quellen. Graefe, A. f. O. II. 2. S. 203 u. f.; III. 2. S. 337, 353, 442, 453;
IV. 2. S. 150, 152; IX. 2. S. 105, 109; XII. 2. S. 149, 152, 156, 162, 168, 171;
XIV. 3. S. 139; klin. Monatbl. 1863. S. 447, 449; Congr^s ophth. 1867. S. 59. —
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Clinica oc. di Genova. 1865. S. 29; Di una neurosi simp. Torino. 1868. — Stellwag,
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klin. Monatbh 1869. S. 309. - DohrowoUky, ibid. 1868. S. 239. — Hirschberg, ibid.
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XIV. 1. S. 85, 92; Mooren's symp. Ophth. S. 131. — Mackenzie, ibid. S. 5; Traite
d. mal. d. yeux. II. S. 102. — Estlander, A. f. O. XV. 2. S. 108. — Berlin, A. f.
O. XIII. 2. S. 308. — Czerny, Wien. Augenkl. Ber. S. 178. — Lawson, Ophth.
Hosp. Rep. VI. S. 123. — Iwanoff, Mooren's symp. Ophth. S. 164, 166; A. f. O.
Glaiicom; Krankhcitsbilcl ; Druckpliiinoinene. 341
XV. 2. S. 8, 9, 26. — Cohmann, kl. Monatbl. 1869. S. 149. — Ed. Meyr, ibid.
1868. S. .380; VJrchow's Jahresber. 1868. S. 49.3; Congres ophth. 1867. S. 135. —
Mooren, klin. Monatbl. 1868. S. 393; Ophtii. Beob. S. 141 u. f.; lieber symp. Ophth,
Berlin. S. 12, 24, 36, 59, 143 u. f.
2. Das Glaucom.
Das Krankheitsbild setzt sich zusammen aus der fühlbaren Härtezu-
nahme des Auges, aus den ophthalmoskopischen Erscheinungen der Sehnerven-
excavation, aiis den Symptomen der Blutstauung und der Entzündung, so wie
aus mannigfaltigen Sehstör ungen.
1. Die Härte des Augapfels wird am besten durch das Tastgefühl
ermittelt, indem man die Zeigefinger der beiden Hände an die innere" und
äussere Seite der vorderen Bulbushälfte bei geschlossener Lidspalte auf-
setzt und einen leichten Druck gegen das Centrum des Augapfels wirken
lässt. Die zu gleichem Behufe erdachten Spanmmgsmesser, Ophthalmotonometer,
entsprechen nämlich durchaus nicht den Anforderungen, welche man billiger
Weise an sie stellen kann (S. 2).
In der Mehrzahl der Fälle ist die Kesistenzvermehrung des Auges
eine überaus auffällige, ja oftmals fühlt sich der Bulbus geradezu wie Bein
oder Holz an. Von diesem Extreme wechselt die Härte in den ver-
schiedensten Abstufungen bis zu Graden herab, welche nicht selten auch
an normal functionirenden Augen getroffen werden. Häufig schwankt sie
sogar in einem und demselben Falle innerhalb weiter Grenzen, steigt bald,
bald sinkt sie wieder. Ihr Mass wird nämlich ebensowolil von der Grösse
des Widerstandes bestimmt, welchen die Balbuskapsel einer Dehnung ent-
gegenstellt (S. 4), als von der Höhe des intraocularen Druckes (S. 1), und
der letztere ist beim Glaucome ein sehr ivandelbarcr, indem er wesentlich
abhängt von dem im Binnenstromgebiete herrschenden Seitendrucke und
von der Grösse der vorhandenen Venenstauung (S. 4), also von Momenten,
welche wie anderwärts so auch hier von den mannigfaltigsten Verhält-
nissen beeinflusst werden.
Wo das eine Auge noch völlig normal functionirt, ergibt der Unter-
schied unmittelbar, wie viel von der Härte im kranken Auge auf die
Zunahme des intraocularen Druckes zu schreiben ist, denn es ist wohl
mehr als wahrscheinlich, dass der andere Factor der Bulbusresistenz, die
Starrheit der Kapsel, beiderseits zu einem gleichen Grade gediehen sei. Wo
jedoch auch der zweite Augapfel glaucomatös oder anderweitig erkrankt ist,
lässt eine solche vergleichende Prüfung die Grösse der Binnendrucksteigerung
nicht mehr leicht abschätzen, ja es wäre oft unmöglich, eine Vermehrung
des intraocularen Druckes überhaupt zu erweisen, wenn an sie nicht gewisse
Erscheinungen geknüpft wären, welche des Charakteristischen genug haben,
um Rückschlüsse zu erlauben. Hierher gehören: sehr ausgesprochene Pulsa-
tionen in den Centralstücken der Netzhautgefässe, Verengerung des Kammer-
raumes, Erweiterung und Trägheit oder völlige Starrheit der Pupille, Ver-
minderung der Accommodationsbreite und oft auch des Refractionswerthes des
dioptrischen Apparates, endlich Anaeslhesie der Cornea.
34:2 Glancom: Kranklieitsbild ; Dmrtpliänomene ; Pnls; Cornealauästhesie.
Der Puls zeigt sich voruehmlich in den Venen (S. 4) und zwar ist
es immer nur einer oder der andere Hanptstamm, welcher nächst der Ge-
fässpforte den eigenthümlichen rhythmischen FüHungswechsel erkennen
lässt (S. 172). Bei den acuten und subacuten Formen des Glaucomes ist
er gewöhnlich auch in einzelnen Arterien nachzuweisen, während bei dem
einfachen nicht entzündlichen Glaucorae der spontane Arterienpul? meistens
fehlt und nur durch einen von Aussen her auf deu Bulbus wirkenden
Druck herrorgerufen werden kann.
Die Verengerung der Kammer bringt unmittelbar die Vermehrung der
Glaskörperflüssigkeit zur Anschauung, welche bei der Drucksteigerung eine
wichtige Rolle spielt (S. 5). In den Anfangsstadien der Krankheit ist sie
allerdings nicht immer deutlich, bei fortschreitendem Processe jedoch rücken
Iris imd Linse stets nach vorne imd endlich wird die Kammer wohl auch
fast gänzlich aufgehoben, indem mit dem Schwunde der vorderen Uveal-
theile die Quellen des Humor aqueus versiegen.
iS^icht minder spricht sich die Vermehrung des Biunendruckes in
den Motilitätsstörungen der Iris aus, die Pupille wird etwas weiter und
reagrrt sehr träge oder gar nicht auf Lichtwechsel. Es ist diese Mydriase
anfänglich zum Theile unzweifelhaft ein compensatorisches Phänomen, welches
die Blutüberfüllung des liinteren Uvealtractes equilibrh't (S. 3). In den
vorgerückteren Stadien des Processes wird sie meistens eine höchstgradige,
die Iris erscheint auf ein schmales Säumchen reducirt iind bekundet auch
gewöhnhch schon vorgeschrittenen Schwund. Die Erweiterung der Pupille
felilt natürlich, wenn sich im ^'erlaufe des Glaucoms oder schon früher
eine Iritis entwickelt und zu Anheftungen des Pupillarrandes gefülirt hat.
Die Verminderung des Brechzustandes im dioptrischen Apparate ist eine
nothwendige Folge der Abflachung der Hornhaut und diese wieder das
Resultat des mit wachsender Spannung eintretenden Strebens der Bulbus-
kapsel, sich der Kugelform zu nähern. Bei sehr beträchtüchen Steigerungen
des Binnendruckes lässt sich die TN'irkung dieses mechanischen Momentes
sehr oft unmittelbar an der Verstreichung der Rinne erkennen, welche der
Hornhautrand mit der vorderen Scleralgrenze bildet. Die Einschränkung
der Accommodationsbreite erklärt sich aus dem Drucke und vielleicht auch
aus der Zerrung, welche die Ciliarnei-ven im Inneren des Augapfels unter
den fragüchen Verhältnissen erleiden müssen. Es können jedoch nur
rasche Abnahmen dieser TTerthe auf Vermehrungen des intraocularen Druckes
bezogen werden, indem allmälige Verkleinerungen des Befractionszustandes
und der Accommodationsbreite sehr häufig dem Glaucome schon vorangehen
und der symptomatische Ausdruck für die senile Involution sind, welche
den ganzen Process gleichsam vorbereitet und im Krystallkörper den anerkannt
günstigsten Boden findet (Schelske, Haffmans).
Die Cornealanaesthesie findet sich in der Regel nur bei sehr beträcht-
lichen Steigerungen des intraocularen Druckes vor. Sie ist nicht immer
ganz gleichmässig entwickelt in den verschiedenen Sectoren der Hornhaut
und variirt dem Grade nach sehr bedeutend. Oft ist die Unempfindlichkeit
der Cornea bei völlig ausgebildetem Glaucom so gross, dass die Berührung
des Organes durch den Finger, einen Federbart u. s. w. kaum wahrgenommen
wird. Gleich den Motilitätsstörungen der Iris und des Accommodations-
muskels ist sie zum grossen Theile aus dem auf die Nerven wirkenden Drzicke
Excavatio glaucomatosa. 343
abzuleiten. Sic führt nicht ganz selten zu Verschwärungen, welche den
neuroparalytischen Chai-aktor (S. 10) tragen (Graefc).
2. Die glaucomatöse Excavation bekundet sich im Augenspiegelbilde
vornehmlich durch das Umbiegen der Netzhautgefäss stamme ara äussersten
Rande des Sehnerveneinlrittes, durch Seitwärtsrückung der Gefässpforte und
durch Umsäumung der Papille von einem breiten hellen Ringe (Ed. Jaeger).
Bei partiellen Excavationen bemerkt man blos an jenen Gefässslämmen,
■welche über den ausgehöhlten Tlicil der Papille hinwegstreichen, eine
Verlaufsabweichung-. Sie überschreiten die betreffende Randportion in einem
scharfen Bogen oder erscheineii daselbst förmlich geknickt (Fig. P). Die
übrigen Stämme streichen in gerader Eichtung über den Hand der Papille
hinweg der Gefässpforte zu, welche oft schon deutlich verrückt, gegen die
innere Grenze des Sehnerven eintrittes gewichen ist.
Ist die Excavation bereits eine totale geworden, aber in ihrer Ent-
wickelung noch nicht weit gediehen, so findet man sämmtliche Netzhaut-
gefässstämme am Rande des ' Sehnerveneintrittes nach hinten umgebogen,
aber noch nicht unterbrochen, man kann sie allesammt ihrer ganzen Länge
nach bis zur seitlich verrückten Gefässpforte übersehen.
Bei völlig entwickelteii ampullenförmigen Excavationen (Fig. Q) hingegen
scheinen die Gefasse am äussersten Rande der Papille scharf abgesetzt zu
sein und, falls sie ihn in schiefer Richtung überschreiten, sieht man ihr
Ende schnabelförmig umgebogen. Da das umgebogene Ende seiner Längs-
axe nach in Sicht kömmt, erscheint es meistens dunkler blutroth. Bestehen
noch die zugehörigen, im Bereiche der Papille gelegenen centralen Gefäss-
stücke, so zeigen sich diese bei der Betrachtung von der Seite her in der
Regel gegen die am Rande der Excavation umgebogenen Aeste verschoben.
Wird der Spiegel aber so gewendet, dass der betreffende Theil der Seiten-
loand der Excavation zum Vorschein kömmt, so erkennt maji oft leicht da.s
an dieser Seite herablaufeude und bei der Betrachtung von vorne durch
den überhängenden Rand gedeckte Verbindungsstück.
Die Centralstücke der Gefässe präsentiren sich, besonders in den ersten
Stadien des Processes, oft in ganz klaren \u\ä reinen Bildern. Die Arterien
sind von normalem Durchmesser oder etwas verengt, die Venen wegen
Abplattung merklich breiter und mitunter von einem Netze oder Convolute
kleiner, vielfach unter einander anastomosirender Nebenzweige umsponnen.
Im weiteren Verlaufe hingegen werden einzelne oder alle Centralstücke all-
mälig blässer, undeutlich begrenzt, sie zeigen sich von einem trüben grau-
lichen Gefüge mehr minder stark verschleiert. Am Ende verschwinden ein-
zelne Centralstücke wohl auch ganz, man findet im Bereiche der Excavation
nur mehr einen oder mehrere Gefässstämme, welche ihrer abnormen Rich-
tung nach überdies oft als Collateralen betrachtet werden können und
meistens venös sind. Oefters ziehen sich alle Gefässe von der zur Seite
gerückten Gefässpforte zurück, der ausgehöhlte Sehnerveneintritt erscheint
völlig gefässlos, sämmtliche Netzhautgefässe zeigen sich am Rande der Papille
scharf abgesetzt.
Die Excavation selbst macht bei völliger Ausbildung, in Folge einer von dei-
Liclitbrechung abhängigen Sinnestäuschung, im Spiegelbilde bisweilen den Eindruck
eines nach vorne vorspringenden Hügels (Ad. Weher). Doch erkennt man ihre
Goncavit'dt leicht an der Form des Schattens, dessen grösste Breite und Dun-
kelheit immer an jene Seite fällt, von welcher das Licht kömmt, somit nach
344 Glaucom; Krankheitsbild ; Excayation: Bindegewetsring; Staunngsphänomene.
der Lage des Spiegels zum Ange seine Stelle wechselt. Es ist dieser Schatten
ringförmig, mehr weniger breit, und umschliesst die meistens sehr auffällig nach
innen gerückte Gefässpforte in einem grösseren oder kleineren Abstände. An seinem
centralen Rande ist er immer verwaschen, gegen die Peripherie der Excavation
aber scharf begrenzt.
Wo sich die glaucomaföse Excavation an einer Papille entwickelt, welche
eine angeborene Excavation trägt, kann man anfänglich oft beide Foi-men neben
einander unterscheiden. Man gewahrt ganz deutlich die doppelte Einsenkung des
Sehnerveneintrittes , insbesondere die doppelte Knickung und Verschiebung der
Gefässe. Späterhin verwischt sich die angeborene Excavation mehr und mehr und
geht in der totalen Aushöhlung verloren (Ed. Jaeger).
Die Farbe des Sehnerveneintrittes neigt anfänglicli wegen der vor-
handenen venösen Stauungen stark ins Rothe, oder ist in Polge reichlicher
Extravasationen stellenweise gar eine hlutrothe. Späterhin spielt die Farbe
wegen fortschreitender Atrophie der Opticuselemente ins Graue oder Grau-
bläuliche, bisweilen, namentlich im aufrechten Bilde, ganz entschieden ins
Grüne, oder auch ins Sehnigweisse. Manchmal ist der Boden der Exca-
vation schmutzig graugelb gefleckt oder gewölkt.
Sehr charakteristisch ist auch ein heller gelblichweisser Bogen oder Bing
(Fig. P, Q), welcher den excavirten Sehnerveneintritt umsäumt (Ed. Jaeger^.
Es ist derselbe um so deutlicher ausgesprochen und um so breiter, je mehr
die Excavation ausgebildet und der Schwund der Theile vorgeschritten ist.
Er bringt den Schwund der hintersten Aderhautzone (Schweigger) zum Aus-
drucke, welcher durch die Dehnung der mit der Siebhaut ein Ganzes
bildenden inneren Scleralschichten begründet wird.
3. Die Blutstauung im Binnenstromgebiete offenbart sich durch starke
Erweiterung einzelner der vorderen Ciliar venenstämme. Man sieht eine
grössere Anzahl dunkler strotzender Gefässe am vorderen Umfange des
Bulbus plötzlich aus der Lederhaut hervorbrechen und unter gegenseitigen
Anastomosen geschlängelten Laufes den Aequator bulbi überschi'eiten.
Steigerungen des abnormen Spannungsgrades vermehren die Zahl und das
Caliber der ausgedehnten Blutadern. Besonders aufiallig aber ist die
Hyperämie während den entzündlichen Anfällen. Es tritt dann zwischenbei
ein feinmaschiges Gefässnetz hervor und bildet ringsum die Cornea eine
Art von Gefässkranz, welcher durch seine bläuliche oder bräunliche Fär-
bung deutlich den venösen Charakter verräth und nicht selten auch von
ödematöser Schwellung des umgebenden Gefüges und der Bindehaut begleitet
wird. In den späteren Stadieji des Glaucoms, wo die Degeneration in den
Binnenorganen des Bulbus und in den Gefässwänden schon weit vorge-
schritten ist, überwiegen gewöhnlich die collateralen Aeste, das Episcleral-
gefüge erscheint allenthalben durchzogen von sehr erweiterten Tenen-
zweigen , welche zum Theile direct aus den Emissarien der vorderen
Scleralzone hervortreten, sich zu weiten Maschen und unregelmässigen Bögen
verschlingen, nach hinten hin in mächtig erweiterte Stämme zusammen-
fliessen und in den verschiedensten Richtungen gegen den Augapfelgleicher
streichen.
4. Die glaucomaföse Entzündung verräth sich, abgesehen von den
nebenhergehenden Episcleralhyperämien , hauptsächlich durch eine mehr
weniger beträchtüche, gelbgraue oder graue, di£Puse Trübung des Glaskörpers,
der Cornea und des Kammerwassers. Bei grösserer Intensität des Entzün-
dungsprocesses ist dieselbe sehi" oft so bedeutend, dass schon die L:is in
Entzündnngserscheinungen ; Glaskörpertrübungen ; Sehstörung. 345
einen dichten Nebel gehüllt erscheint und die Untersuchnng des Angcn-
grundes ganz zur Unmöglichkeit wird. Beim ZurücJdreten der Entzün-
dung jedoch pflegt auch die Trübung sich beträchtlich zu vermindern; der
über dem Augengrunde schwebende Nebel wird dünner und dünner,
lässt am Ende die Umrisse der einzelnen Theile durchschimmern oder
verschwindet auch wohl völlig, so dass man ganz Jdare Augenspiegel-
bilder gewinnt. Besondere, auf die seröse Aderliautenizündung hindeutende
ophthalmoskopische Erscheinungen sucht man aber vergebens.
Die Trübung der dioptrischen Medien im Vereine mit der Erweiterung der
Pupille bedingt einen eiyenthüvilichen granhläuUchen, gravgelblichen oder gravgrlin-
lichen Reflex des Augengrundes. Es wurde dieser aus der Tiefe des Bulbus
kommende Reflex früher als das Hauptsymptom des Leidens betrachtet und nach
ihm der Process „ Glavcom, grüner Staar'^ benannt. Er kann jedoch fehlen und
ist im Ganzen nur dann auflallig, wenn es bereits zu ansehnlicher Erweiterung
der Pupille gekommen ist, kann daher nicht als pathognomonisches Zeichen aner-
kannt werden.
Er ist überhaupt nur eine Verstärkung des hei Mydriasis, Irideremle u. s. w.
wahrnehmbaren Widerscheines und diese Verstärkung resultirt eben aus der Trü-
bung der diojjtrischen Medien. Es sind hierbei Trübungen des Kammerwassers
von wesentlichem Einflüsse, wie die Resultate der Cornealparacentese mit Sicher-
heit darthun. Durch die senile Vergilbung des Linsenkernes wird die bläuliche
Trübung des Augengrundes in eine graugrünliche umgewandelt. Doch trägt die
nicht seltene gelbe oder bräunliche Färbung des Glasls^örpers jedenfalls dazu bei,
dass das Reflexphänomen oft in vorwaltend gelbem oder grünlichem Lichte zur
Wahrnehmung kömmt.
5. Sehstörungen gehören recht eigentlich zum Begriffe des Glaucoms.
Sie sind in der Regel vom Anfang an sehr auffällig. Bei der acuten ent-
zündlichen Form des Glaucoms geschieht es sogar nicht selten, dass das
Sehvermögen innerhalb weniger Tage oder Stunden bis auf quantitative
Lichtempfindung herabgedrückt wird. In der grössten Mehrzahl der Eälle
jedoch wird eine allmälige Abnahme des Sehvermögens beobachtet. Anfangs
klagen dann die Ki-anken oft nur über eine sehr störende Undeutlichkeit
ihrer Gesichtseindrücke, namentlich wenn es sich um kleinere Objecte,
Schrift u. s. w. handelt, eine Undeutlichkeit, welche sich durch Neutra-
lisation der vorhandenen Accommodations- oder Eefractionsanomalien nicht
völlig beheben lässt, wohl aber durch stärkere und zweckmässigere Beleuch-
tung der Gegenstände sowie durch beträchtliche Annäherung derselben an
das Auge, also durch Vergrösserung der Gesichtswinkel, einigermassen ver-
mindert wird. Zeitweilig nimmt die Undeutlichkeit der Wahrnehmungen
beträchtlich zu, bei gewöhnlichem Tageslichte lagert sich ein mehr minder
dichter Nebel über das Gesichtsfeld ; bei künstlicher Beleuchtung aber zeigen
sich die im dunklen Räume aufgestellten Flammen von einem Lichtscheine
umgeben, welcher oft in Regenbogenfarben spielt und zwar so, dass an der
äusseren Seite das Grünblau, an der inneren das Roth vorherrscht (Haffmans).
Ab und zu verdichtet sich der Nebel, so dass er die Objecte förmlich
verhüllt; oder es verdunkelt sich wohl gar das Gesichtsfeld in dem Grade,
dass die Selbstführung unmöglich wird, ja die qualitative Lichtempfindung
völlig aufhört.
Ehe es so weit kömmt, macht sich häufig schon eine Einschränkung
des Gesichtsfeldes geltend. Diese betriff't beim chronischen und subacuten
Glaucome meistens die ganze Peripherie, wenn auch mit Lücken. Später
schreitet sie gegen das Centrum vor und dies zwar besonders rasch an
346
Glaucom; Kranklieitsliild : Einschräiikuiigen des Gesichtsfeldes.
Fi;?. 43.
der inneren Seite des Gesichtsfeldes , öfters aber auch au der unteren,
selten ausschliesslich au der äusseren. Ist sie im ersteren Falle vou innen
her dem Ceutrum F nahe gekommen , so vrird
ihr Fortschritt gewöhnlich eine Zeit laug unter-
brochen. Die Einsclu'änkung setzt daselbst dann
mit scharfer Grenze ab, -während sie von Oben
und Unten her i^ich immer mehr dem blinden
Flecke 31 nähert und dabei einspringende Winkel
bildet (Förster, Fig. 43). Schliesslich wird das
Gesichtsfeld auf ein kleines Ellipsoid eingeengt,
dessen Längsaxe fast immer eine diagonale ist,
und in welcher noch mehr weniger deutliche
Wahrnehmungen ermöglichet sind. Früher oder
später schwindet weiterhin auch dieser Rest von Xetzhautseusibilität , es
kömmt zur absoluten Amaurose.
Oft genug jedoch fehlen Einschränkungen des Gesichtsfeldes gänzlich
(Laqueur), die Abnahme der Sehschärfe ist allenthalben eine ziemüch pro-
portionale ; oder es machen sich ganz unregelmässige, mehi" weniger scharf
abgegrenzte Defecte im Sehfelde geltend (Graefe, Landesberg).
Das NeheUehen steht ohne Zweifel im innigen Causalnexus mit den Trübungen
der diojJh-iscJien Medien, denn es pfle^^t mit den letzteren im Verhältnisse zu steigen
und zu fallen und auch «ohl zu verschwinden. Eben so kömmt der Lichtschein,
welcher um Flammen im dunklen Räume wahrgenommen wird, den Trübungen auf
Rechnung, er ist ein rein physikalisches Phänomen, das wahrscheinlich auf hiler-
ferenz der Strahlen beruht. Schon die Anordnung der verschiedenen Farben deutet
darauf hin. Insoferne der Farbenring verschwindet, wenn die Pupille sich verengert
oder der Kranke durch ein enges Loch sieht, ist anzunehmen, dass bei der Inter-
ferenz vornehmlieh die durch die peripliereii Theile der Medien gehenden, am
stärksten abgelenkten Strahlen betheiligt sind (Haffmans).
Die Wahrnehmung rauchühnlicher Ter düster ungen des Gesichtsfeldes und be-
sonders föiinliche Verdunkelungen des letzteren sind hingegen immer schon der
Ausdruck einer wirklichen Functionsstönmg des lichtempfindenden Apiparates. Sie
kommen zum Theile auf Rechnung der materiellen Veränderungen des Sehnerven-
und Xetzhautgefüges. Zum anderen Theile aber sind sie durch Steigerungen des
intraocularen Druckes zu erklären. Es steht nämlich fest, dass derlei Verdunkelungen
auch im normalen Zustande künstlich hervorgerufen werden, wenn die Spannung
der Lederhaut durch einen äusseren Druck bis zu dem Grade erhöht wird, dass die
Arterien zn pidsiren beginnen (S. 172^. Anderseits spricht dafür der Einfluss, welchen
die Entspannung der Kapsel auf die Sehstörungen nimmt. Es scheint, dass die
Vermehrung der Widerstände, welche das arterielle Blut beim Eintritte in den
Binnenraum findet, den nächsten Grund abgebe, insofern damit nothwendig eine
Verlangsamung des capillaren Blutstromes , also auch des NahrungsstoftVechsels,
gesetzt wird. Es dürften solche auf mechanische Weise begründete Störungen
insbesondere den , oft überaus rasch oder gar plötzlich zu Stande kommenden,
fast völligen Erblindungen bei acutem Glaucome zu Grunde liegen; denn hier lassen
sich in den Anfangsstadien des Processes weder eine Excavation, noch andere
materielle Veränderungen nachweisen, aus welchen die absolute Fnnctionsuntüchtig-
keit des lichtempfindenden Apparates abgeleitet werden könnte.
Die Einsch-änkungen des Gesichtsfeldes sind zum Theile gewiss eine Folge
der Zerrung und Knickung der Nervenfasern im Bereiche der Excavation.
Namentlich lassen sich die regulären Einschränkungen aus dem Umstände erklären,
dass die in grossen Bögen zur Peripherie der Netzhaut gehenden Nervenfasern die
Siebmembran in der Mitte, also gerade an jenem Theile zu passiren scheinen,
welcher bei der Excavation die grösste Verschiebung und Dehnung erfährt, während
die zur Macula lutea streichenden Fasern, wenigstens in der Nähe des Auges,
wahrscheinlich an der äussersteu Peripherie des Nervenstammes gelegen sind und
daher beim Zurückweichen der Membrana cribrosa verhältnissmässi^ wenifr leiden
Siibjcctive Nebenorsclioimmgoii ; Ursachen; Theorie des Glaucoms. 3-47
(Leber). Für die vielen Ähweichzmgen in der Crostalt und Laj^-e der Ein.scln'änkuns;en
reicht diese Hypothese jedocli nicht ans, es müssen hier noch andere Umstünde
mitwirken. Insbesondere gilt dies von den ganz ic7ire<jelmässi(jen, schart" abgesetzten
UnterhrechuiKjen. Neueren Untersuchungen zufolge scheint es, dass mit der Venen-
stauung im Zusanuuenhange stehende herdweise Froductahlagcruvfieu , welche die
Stabschichtc von den überliegenden Netzhautstratis abheben und mit der Aderhaut
verkleben, also an die Exsndafivformen der lietlnitis eriiniern, bei der licgriindung
jener Defecte eine wichtige KoUe spielen (Oraefe, Leber).
Die schliesslich aus dem Processe hervorgehende vollstäudifje und iinheilhare
Amaurosis hat ihren Grund in der Atrophie der Netzhaut und des Sehnerven.
Merkwürdiger Weise wird bei bereits ausgebildeter Amaurose der Kranke
öfters durch suhjective Erhelhmg des Gesichtsfeldes über den Zustand seines Auges
getäuscht. Er sieht zu gewissen Tageszeiten oder an gewissen typisch wieder-
kehrenden Tagen das ganze Gesichtsfeld in hellem weissgelblichen oder bläulichen
Lichte glänzen und ist nur zu geneigt, dieser Wahrnehmung Objectivität unter-
zubreiten. Es ist diese Sinnestäuschung der Ausdriack für die entzündliche Erre-
gung, in welcher die Elemente des Sehnerven durch den an ihnen in centripetaler
Richtung allmälig fortschreitenden glaucomatösen Process erhalten werden. Indem
dieses Fortschreiten in der Regel ein langsames ist, zählt der Kranke häi^fig noch
seine hellen und dunklen Tage, nachdem der Bulbus längst dem Schwunde anheim-
gefallen ist.
6. jS"ebenerscheimingen beim Glaiicome sind: Chromopsie, Photopsie,
Schmerzen. Es sind diese Symptome sehr inconstant und köuncn in allen
möglichen Intensitätsgraden variiren. Das Funken- und Farbensehen steht
theilweise mit den Circulationsstörungen im Znsammenhange und wird
' durch temporäre Steigerungen der letzteren bedeutend verstärkt. Die
Schmerzen können während dem ganzen Verlaufe fehlen. Beim entzünd-
lichen Glaucome sind sie indessen oft auch sehr heftig, ja zeitweilig gerade-
zu exorbitant. Oft irradiiren sie dann nach verschiedenen ]lichtungen.
Besonders sind wüthende Kopfschmerzen gewöhnliche Begleiter. Auch A^er-
stimmung der Magennerven kömmt oft vor und in einzehien Fällen ist
Brechneigiing bis zur Hyperemesis beobachtet worden.
Ursachen. Das reine Glaucom entwickelt sich in der Hegel nur in
Augen mit starrer, rigider Sclerotica. Es bietet eine solche unnachgiebige
Bulbuskapsel nämlich den günstigsten Boden für Stauungen im Binnen-
stromgebiete und diese sind als Bedingung für intraoculare Drucksteigerungen
eben der eigentliche Kern des Leidens. Eine starre Bulbuskapsel übt
einerseits einen viel geringeren regidaiorischen Einfluss auf die Circi;lations-
verhältnisse im Biunenraume aus, anderseits erschivert sie die Erweiterung
der Emissarien, wenn eine Steigerung des effectiven arleriellen Seitendruckes
die beschleunigte Abfuhr des Venenblutes verlangt (S. 2, 4). Dazu kömmt,
dass allem Anscheine nach die Rigidität nicht an allen Theilen der Sclerotica
sich gleichmässig entwickelt, sondern sich in den äusseren Schichten der-
selben concentrirt. In der That lässt sich an glaucomatösen Augen, welche
lange Zeit hindurch eine beinartige Härte bewahrten, nicht die mindeste
Vermehrung des Umfanges nachweisen ; vielmehr wollen einzelne sogar
eine Verkleinerung der Durchmesser erkannt haben und auf die Schrumpfung
der Sclerotica als Folge fettiger Entartung zurückführen (Coccius, Cusco).
Dagegen otFenbart sich in der Excavation eine überaus starke Dehnung der
Siebmembran und in der Entwickelung des Bindegeioebsringes eine beträcht-
liche Zerrung und Verschiebung der mit der Membrana cribrosa in unmittel-
barem Zusammenhange stehenden hinteren Zonen der inneren Sclerallagen.
Die mächtige Ausdehnung der Siebmenbran setzt nothwendiger Weise eine
348 Glaucom; Ursachen; Bigidität der Bulbuskapsel ; Gicht.
theilweise Verengerung ihrer Lücken und damit eine Ziisammenschnüi'ung
einzelner Hauptstämme der retinalen Venen, während ihre Hineinstülpung
in den Eaum des jSfervenkopfes leicht zur Compression jener Nährgefässe
führt, welche mit dem Chorioidalstromgebiete unmittelbar zusammenhängen.
Auch ist es leicht denkbar, dass die Zerrung und Verschiebung, welche
die hinteren Zonen der inneren Scleralschichten erleiden, eine Verengerung
der sehr schief durch den Lederhautäquator hindurchtretenden Wirbelgefässe
zu veranlassen im Stande ist. Es liegt also eine Quelle der Venenstauung
in der Excavation selbst und damit ist ein fehlerhafter Kreis gegeben, in
welchem Ursache und Wirkung sich gegenseitig unterhalten und steigern.
Besteht aber die Stauung längere Zeit, so kommt es mit oder ohne Bei-
hilfe entzündlicher Infiltrationen leicht zur Verstopfung und dauernden
Verödung einzelner Emissarien, was um so schwerer ins Gewicht fällt,
als die Zahl der letzteren eine sehr beschränkte ist. Die Stauung wird
dann eine ständige, es stellen sich die natürlichen Abzugswege nicht melu'
her, das yenöse Blut fährt fort auf den coUateralen Bahnen abzufliessen,
auch wenn die ursprünglichen Stauungsursachen längst beseitigt sind iTud
der Augapfel dem Schwunde verfallen, welk und weich geworden ist.
Die Rigidität der Bulhusl-apsel findet sich nicht selten hahituel und
ist in manchen Familien, ja Stämmen, z. B. dem jüdischen, als ererbter
Zustand sogar ziemlich häufig. Sie ist meistens nur in ihrer Anlage ange-
boren, pflegt sich mit wachsendem Alter aber sehr rasch auszubilden. Auf
ihre Rechnung kömmt das öftere sehr frühzeitige Auftreten des Glaucoms,
dessen Entwickelung zwischen dem 20. und 30. Lebensjahre oder gar im
kindlichen Alter. In der Regel jedoch ist der Verlust an elastischer Dehn-
barkeit auf die senile Involution der Bulbuskapsel zu beziehen und dem
entsprechend ist denn auch das Glaucom vorzugsioeise eine Krankheit des
höheren Alters, sein Auftreten fällt meistens hinter das 50. Lebensjahr.
Die innigen Beziehungen, welche sich überaus häufig zwischen der Rigidi-
tät der Lederhaut und atheromatösen Processen in den Wandungen der ab-
und zuführenden Gefässe nachweisen lassen, erklären die hervorragende
ätiologische Bedeutung , welche der Gicht von Alters her beigemessen
worden ist.
Wo die Starrheit der Lederhaut als habitueller Zustand auftritt, dürften
bestimmt nachiceisbare materielle Veränderungen des Lederhautgefüges fehlen. Im
anderen Falle mögen ihr ähnliche Vorgänge zu Grunde liegen, wie beim Greisen-
bogen und bei der atheromatösen Entartung des Gefässsystemes , um so mehr, als
derartige Zustände fast constante Begleiter sind. Das Mikroskop hat Verfettung der
Sclera als nächsten Grund erkennen lassen (Cocciusj. Es scheint jedoch nach
mikrochemischen Untersuchungen, dass es sich mehr um Kalkablagerungen, als um
Fettbildung handle (Donders).
Statistischen Ausweisen zu Folge sind die vom Glaucome heimgesuchten
Augen in vberuciegendem procentarischen Verhältnisse hjpermetropisch , kaum ein
Viertel in niederem Grade myopisch und nur sehr ausnahmsweise, wenn je stark
kurzsichtig (fLaqueur, Eydl). Es scheint, dass bei hypermetropischem Bau des Auges
die grössere Dicke der Sclerotica deren Unnachgiebigkeit steigere; auch kann der
Umstand von Belang sein, dass in Augen von kleinerem Umfange ein gleicher
effectiver totaler Seitendruck sich auf eine kleinere Anzahl von Masseinheiten ver-
theilt , die Spannung bei gleichem Binnendrucke also eine grössere wird als in
Augen von bedeutenderem Umfange.
Ist die Rigidität der Bulbuskapsel zu einer gewissen Höhe gediehen,
so reicht erfahrungsmässig schon der kleinste Anstoss hin, um das Glau-
Stauungsursaolion ; Kinfluss des Trigeminus; Secuiuläre Glaucomfonnen. 349
com zum Ausbruche zu bringeu. Es ist daher etwas sehr GewöliuU(;hes,
dass die Gelcgenheitsursache vou dem Kranken ganz unbeachtet bleibt und
das Leiden scheinbar spontan sicli entwickelt.
In vielen Fällen mögen allgemeine Circulationsstörungen, z. B. zeit-
weilige Steigerungen des Herzdruckes oder leichte Stauungen im Gebiete
der oberen Hohlvene die nächste Veranlassung abgeben, indem sie auf die
Binnengefässe sich fortptianzen, hier aber wegen der abnormen Verhält-
nisse nicht rasch genug ausgeglichen werden können, sondern sich im
fehlerhaften Zirkel vergrössern und ständig machen.
In anderen Fällen jedoch sind es gewiss rein locale Kreislaufstörungen,
welche sich innerhalb der starren Bulbuskapsel zum Glaucome gestalten.
Es lassen sich gar mannigfaltige Ursachen derselben denken. Ist doch die
geringfügige compensatorische Füllungszunahme der Aderhautgefässe nach
kräftiger Einwii'kung eines Mydriaticums bisweilen genügend , um in
disponirten Augen den glaucomatösen Process einzuleiten (Graefe, Hasket
Derby).
Am gewöhnlichsten jedoch dürften Gefässlähmungen in Rechnung
kommen, welche auf reflectorischcm Wege von den sensitiven Ciliai'nerven
im Binnenstromgebiete angeregt werden und vermöge der Erweiterung der
Gefässlichtungen sowohl eine Steigerung des effectiven Seitendruckes in den
Arterien, als eine Verlangsamung des venösen Rückflusses zu verursachen
im Stande sind.
Jedenfalls spielen Reizzustände des Trigeminusgebietes und insonderheit
der sensitiven Ciliarnerven eine hervorragende Rolle in der Aetiologie des
Glaucoms. Einei'seits sind nämlich Neuralgien des Quintus bereits wieder-
holt als die nächste Veranlassung zum Ausbruche eines Glaucoms nachge-
wiesen worden (Wegner, Hutchinson, Hippel, Grünhagen); andererseits aber
fungiren als evidente Gelegenheitsursachen des Leidens erfahrungsmässig
am gewöhnlichsten äussere Schädlichkeiten und Entzündungen der mannig-
faltigsten Art, welche ein starkes Irritament für die Ciliarnerven abzugeben
geeignet sind. Ueberdies ist es eine unbestrittene Thatsache, dass Traumen
und Entzündungen, welche an sich oder durch ihre Folgen Reizzustände
im Ciliarsysteme zu erregen und lange Zeit zu unterhalten vermögen, auch
in vorläufig nicht disponirten Augen ziemlich häufig zu intraocularen
Drucksteigerungen und zur Excavation des Sehnerveneintrittes, überhaupt
zu Zuständen führen, welche mit dem wahren Glaucome viel Gemeinsames
haben und darum mit Rücksicht auf ihren Ursprung als secundäre Glaucome
in das System eingereiht werden.
. Man hat diesen Einfluss , welchen die sensitiven Ciliarnerven unter krank-
haften Vei'hältnissen auf den Binnendruck auszuüben im Stande sind, als einen
Beweisgrund für die secretoriscJie Natur der glaucomatösen Drucksteigerung auszir-
beuten gesucht. Ausser den bereits erwähnten Einwänden (S. 5) und den Ergeb-
nissen neuer, mit verbesserten Instrumenten angestellter physiologischer Versuche
(Ädamük) lässt sich jedoch gegen die Abhängigkeit des Glaucoms von einer Art
Secretionsneurose der Umstand geltend machen, dass die Spannungsvermehrung
bei der genannten Krankheit Monate und Jahre anhält, also ein eben so lange
wirkendes pathogenetisches Moment voraussetzt. Als ein solches kann aber wohl
eine Venenstauung im Vereine mit dem continuirlich wirkenden Blutdrucke, kaum
aber ein Nervenreiz gelten.
Unter den pathologischen Zuständen , welche sich am häufigsten
mit glaucomatösen Drucksteigerungen und mit Excavation des Sehnerven-
350 Glaucom; Ursachi>n; Secnniläre Formen.
eintrittes coinbiniren, sind zu nennen: ausgebreitete oder mehrfache Ein-
klemmungen der Iris in Hornhautdurchbriiche ; veralteter Pannus so wie
dichte umfangsreiche und tiefgreifende Cornealnarhen , besonders wenn sie
Neigung zu progressiver Ectasie zeigen ; ferner zahlreiche und breite hintere
Synechien, insbesondere aber völliger Abschluss der Pupille; Schief Stellungen
der Linse wegen theilweiser Anheftung der Kapsel an ectatische Hornhaut-
narben, wegen ungleichmässiger Dehnung des Strahlenblättchens bei Staphy-
lombildung in der vorderen Bulbushälfte, oder wegen partieller Berstung
der Zonula, in den letzteren beiden Fällen vorzugsweise, wenn dem Krystall-
Systeme die Gelegenheit zu Schwankungen und folgerecht zu mechanischen
Beleidigungen der hinteren Fläche der Iris und des Strahlenkörpers ge-
boten wird ; Verletzungen der Linsenkapsel, insoferne sie ein Aufquellen der
luystallmasse, ein Hervortreten derselben aus der Kapselwunde und dadurch
ein Vordrängen der Iris veranlassen.
Es bestehen diese Verhältnisse allerdings in der Regel sehr lange
Zeit, besonders wenn sie jugendliche Individuen betreffen, ohne dass sich
irgend welche Zeichen des secundären Glaucoms bemerklich machen. Je
älter indessen das Individuum wird und je rascher sich die senile Involution
der Sclerotica entwickelt, um so grösser wird die Disposition, um so
leichtere Anstösse genügen, auf dass im fehlerhaften Kreise ständige Venen-
stauungen erzeugt werden. Uebrigens tritt das glaucomatöse Leiden unter
solchen Umständen bisweilen auch in Individuen auf, wo von der senilen
Involution füglich nicht die Rede sein kann und wo die normale Härte
des zweiten Auges eine hahituel starre Lederhaut verauszusetzen nicht ge-
stattet. Man muss also annehmen, dass entweder in der Gefässlähmung
selbst Bedingungen für ständige Venenstauungen liegen, oder dass secun-
däre Veränderungen der Sclerotica den Boden für den glaucomatosen Process
vorbereiten.
Wirklich deiitet das eigenthümliche porcellanartige Aussehen der weissen
Angenliaut in nicht wenigen Fällen von secundärem Glaucome auf Sclerose der
Lederhaut hin und diese lässt sich folgerichtig aus den häufig wiederkehrenden
und hartnäckigen Anfällen von intraoculären Entzündungen ableiten, zu welchen die
oben genannten Zustände durchwegs in hohem Grade disponiren. In anderen
Fällen führen die entzündlichen Insulte ^^?-!Hiä)- allerdings zur Lockerung des
Scieralgefüges so wie der Siebmembran, weiterliin jedoch zu staphylomatösen Aus-
dehnungen der Lederhaut und zur Excavation des Sehnerveneintrittes. Gerade in
diesen Ectasien liegt aber unter Umständen eine Quelle für ständige Verengerungen
oder gänzliche Unwegsamkeit einzelner Emmissarien , welche dann um so leichter
Venenstauungen zu Stande bringen, als sie ausserdem noch öfters durch die nach-
trägliche Sclerose des atrophirenden Lederhautgefüges begünstigt werden. In solcher
Weise mag das misnahmsweise Vorkommen der glaucomatosen Drucksteigerung und
Excavation bei hinteren Sclerahtapliylomen, besonders solchen, welche sich mit
ausgebreiteter Sclerochorioiditis combinirt liaben, zu erklären sein, ohne dass jedoch
gewisse hxdiituelle Dispositionen ausgeschlossen werden können, indem derlei Zu-
stände in manchen Familien erblich gefunden worden sind (Graefe). Endlicli liegt
es auf der Hand, dass Entzündungen mit massigerem Exsudate gleich Aftergehilden
der Chorioidea die Gelegenheit ziu- mechanischen Verschliessung einzelner Haupt-
venen bieten, vornehmlich wenn die Producte in grösserer Menge das Scleralgefüge
iniiltriren, ohne seinen Widerstand dem intraoculären Drucke gegenüber zu
vernichten.
Ein ätiologisches Moment von hervorragender Wichtigkeit sind spontane
Netzliauthämorrhagien , wie selbe bisweilen bei greisen, zu Gehirnapoplexien
geneigten Individuen vorkommen. Dieselben stellen sich gewöhnlich in
Glaucoiiui liiinioviliagiciiiii ; Vei-lauf: GlauiMiiia siiiiplcx. 351
grosser Monge in der Umgebung der Papille und Macula ein , bilden
meistens kleine Herde und combiniren sich sehr bald mit Ersclieinungen
Aon Netzhautentzünduug , welche durch die starke Trübung und durch
herdweise Exsudatanhäufung öfters das Bild einer nephritischen Neiirodictyitis
(0. Becker) täuschend vorspiegeln, gewölmlich aber sehr bald von den
Symptomen des liinzutretenden acuten oder subacuien Glaucoms völlig
gedeckt werden. Es ist diese Art des (llaucoms, welche als hämorrhagische
oder apoplectische bezeichnet wird , ganz abgesehen von den die Kranken
bedrohenden tödtlicheu Gehirnblutungen , insofern von der übelsten ]}ro-
gnostischen Bedeutung, als die aiisgebreiteten Gefässerkrankungen, welche
ihr zu Grunde liegen, fast in der Hälfte der Fälle dem zweiten Auge
binnen Kurzem ein gleiches Schicksal bereiten, nnd als das einzige thera-
peutische Hilfsmittel, die Iridectomie , mit wenigen Ausnahmen (Coccius,
Laqueur) das Ziel zu verfehlen pflegt. Die Operation führt nämlich gerne
zu massenhaften retinalen Blutergüssen, welche den eiidlichen Schwund des
Augapfels beschleunigen (Graefe). In anderen Fällen beseitiget die Iridec-
tomie wohl die bisweilen höchst intensiven Schmerzen , doch stellen sich
binnen Kurzem neue Anfälle mit gesteigerter Heftigkeit ein, gegen welche
die Operation nichts mehr vermag, so dass in mehreren Fällen zur Enucleation
geschritten werden musste (Pagenstecher, Homer).
Verlauf. Das Glaucom bietet in der Art seines Ävftretens, in seiner
Entioickelung und dem ganzen Verlaufe sehr grosse Differenzen dar, welche
von der höchsten praktischen Bedeutung sind, so zwar, dass man sie fast
allgemein als Eintheilungsgrund benutzt und nach ihnen eine Keihe ver-
schiedener Formen unterscheidet, die allerdings vielfach mit einander
zusammenhängen und oft auch in einander übergehen.
A. In einer gewissen Anzahl von Fällen tritt das Glaucom gleich von
vorneherein als solches hervor, ohne dass ihm eigentliche Vorboten voran-
gingen.
1. Die Entwickelung des Glaucoms ist unter solchen Umständen oft
eine ganz unmerkliche, schleichende, so dass der Kranke seinen Zustand leicht
übersieht und häufig erst beunruhigt wird , wenn das Leiden ziemlich
weit vorgeschritten ist. Gewöhnlich klagen die Patienten über eine rasche
Abnahme ihrer Sehkraft auf einem oder beiden Augen, welche zeitweilig
und vorübergehend besonders auffällig ist, sich sowohl beim Fernsehen als
ganz vorzüglich beim Nahesehen, beim Lesen, Schreiben u. s. w. fühlbar
macht und bei genauerer Untersuchung sich auf eine beträchtliche Abnahme
der Accommodationsbreite und des Refraciionswerthes des diopti"ischen Appa-
rates, häufig auch auf eine gewisse Stumjjfheit der Netzhaut zurückführen
lässt. Oft fühlt sich auch das schwächer gewordene Auge etwas härter an
und deutet damit auf eine Steigerung des intraoculareu Druckes. Die Pupille
ist gewöhnlicli, aber nicht immer, etwas erweitert und in ihren Bewegungen
träger ; die dioptrischen Medien jedoch sind ohne alle erkennbare Verände-
rung. Im Spiegelbilde erscheint eine partielle oder gar schon totale, wenn
auch noch nicht völlig ausgebildete, glaucomatöse Excavation mit oder
ohne merkliche Verrückung der Gefässpforte , starker Verbreiterung der
Venenstämme und der Möglichkeit, durch einen verhältnissmässig geringen
Druck des Fingers den Arterienpuls hervorzurufen. Es handelt sich in
diesen Fällen vorerst blos um Venenstauungen und die davon abhängige
352 Glaucom: Verlauf; Glancoma simplex n. inflammatorinm.
Druclcsteigerung, während entzündliche Vorgänge entweder noch ganz fehlen,
oder doch nur die Bedeutung jener Reizzustände haben, welche dem
reinen Schwunde vorangehen und denselben begründen. Man pflegt unter
solchen Umständen daher von einem nicht entzündlichen einfachen Glaucome
zu sprechen.
In diesem Zustande kann das Glaucom viele ilonate, ja noch länger
verharren, ohne dass das Ea-ankheitsbild sehr wesentlich verändert würde
und namentlich, ohne dass die Sehstörungen eine beträchtliche Zunahme
erführen ; nur die Excavation pflegt sich mehr und mehr auszubilden. In
der Regel jedoch macht sich alsbald eine sehr fühlbare Steigerung aller
Symptome geltend, die Krankheit schreitet ganz allmälig , oder mit zeit-
weiligen Exacerbationen und Re- oder Intermissionen vorwärts; der Bulbus
wird immer härter, die Stauungen treten deutlicher und deutlicher hervor,
die Cornea wird minder empfindlich, die Kammer enger, die Pupille weiter
und träger oder ganz starr, die excavirte Papille bekömmt die eigenthüm-
liche blasse Färbung des Schwundes, die Einschränkung des Gesichtsfeldes
nimmt überhand , während gleichzeitig auch die centrale Sehschärfe mehr
und mehr sinkt und endlich völlige Amaurosis gegeben ist.
Nicht selten gelangen alle diese Symptome zur maximalen Entwickelung,
der vollkommen erblindete Augapfel wird beinhart, die Cornea anästhetisch,
die Kammer fast XuU, die sonst unveränderte Iris auf ein schmales Säum-
chen reducirt, die tief excavirte Papille hochgradig atrophirt, ohne dass
jemals Merkmale einer Entzündung deutlich hervorgetreten wären. Mitunter
erhält sich der geschilderte Zustand sogar längere Zdt, mehrere Jahre, bis
endlich das Krankheitsbild unter allen Erscheinungen der Phlogose wechselt.
Weit häufiger indessen stellen sich schon viel früher manifeste Entzün-
dungen ein, das Leiden gewinnt den Charakter des inflammatorischen Glaueoms.
Es geschieht dieses entweder plötzlich unter der Form eines heftigen acuten
Entzündungsanfalles; oder aber successive und dann gewöhnlich schubweise,
d. i. unter dem Wechsel von leichteren und rasch vorübergehenden Insulten
und mehr minder vollständigen Intermissionen. Die Anfälle bekunden sich
unter solchen Umständen durch rasches Sinken der Sehkraft und häufig
auch durch Ciliarneurose ; objectiv durch rasche Steigerung des intraocularen
Druckes, durch starke Erweiterung und Starrheit der Pupille, sowie durch
Verfärbung der Iris , durch Blutüberfüllung der Episcleralgefässe und
Bildung eines Gefässkranzes, hauptsächlich aber durch Trübung der Augen-
medien. Es sind diese Symptome je nach der Intensität des jeweiligen
Aufalles mehr minder deutlich ausgesprochen und wechseln dem Grade
nach oft innerhalb weniger Stunden. Im Allgemeinen sind die Anfälle
anfänglich gelinder, steigern sich aber nach und nach, wenn auch nicht
regelmässig, in Bezug auf Intensität, Dauer und Frequenz, bis endlich
die Kranklieit dauernd den entzündlichen Charakter zur Schau trägt und
nur mehr remittirt.
2. In gewissen Fällen tritt das Glaucom gleich von vorneherein, ohne
dass irgend welche Vorboten vorausgegangen wären, unter der Form einer
mehr minder heftigen acuten Entzündung auf und entwickelt sich innerhalb
kurzer Zeit ganz vollständig.
Ausnahmsweise wird das Sehvermögen ganz normal functionirender
Augen sogar plötzlich in der acutesten Weise, innerhalb weniger Stunden,
Glaucom.a fulinlnans; Vorboten. 353
ja innerhalb einer einzigen Italien Stunde , völlig oder bis auf undeutliche
Spuren von Lichtempfindung vernichtet (Fulminirendes Glcmcom). Ohjectiv
ist dann manchmal nichts anderes als eine sehr beträchtliche Trübung der
dioptrischen Medien und, soweit möglich, eine Ueberfüllung der Netzhaut-
venen zu constatiren; die Drucksteigerung wird erst nachträglich auffällig,
nimmt aber 7'asch überhand, während sich eine mehr minder starke Ciliar-
neurose und Cong es tions er scheinungen in der Episclera ausbilden. Eben so oft
jedoch ist die Erblindung gleich von voiiieherein mit den letzterwähnten
Symptomen gepaart, das fulminirende Glaucom trägt von Anfang an den
Charakter des inflammatorischen Glaucoms und unterscheidet sich von der
gewöhnlichen acuten Form nur durch die plötzliche Erblindung und die
rajiide Entwickelung der anderen Erscheinungen, geht übrigens alsbald in
die letztere Form über. Man hat das fulminirende Glaucom vornehmlich
bei alten Leuten jenseits des 55. Lebensjahres beobachtet; es kömmt jedoch
bei erblich disponirten Individuen auch in der Mannesperiode vor. Es führt
immer innerhalb der kürzesten Zeit, innerhalb weniger Wochen oder Tage,
zur glaucomatösen Excavation und zur degenerativen Atrophie der Binnen-
organe des Bulbus (Graefe).
B. Li der grössten Mehrzahl der Fälle gehen dem Glaucome kürzere
oder längere Zeit Vorboten voraus. Den Reigen eröffnet gemeiniglich das
wiederholte Auftreten ganz exorbitanter Kopfschmerzen. Der Augapfel selbst
erscheint etwas gespannter und meistens auch von einzelnen ausgedehnten
episcleralen Venenstämmen übersponnen. Alsbald stellen sich dann mehr
minder deutliche entzündliche Anfälle ein, welche sich subjectiv durch rasche
und beträchtliche Abnahme der Accommodationsbreite und wohl auch des
Refractionszustandes, durch Nebelsehen, den eigenthümlichen farbigen Licht-
schein um Flammen, und oft auch durch wechselnde Grade von Ciliar-
neurose bekunden ; ohjectiv aber durch ansehnliche Steigerung des intraocu-
laren Druckes und der Stauungsphänomene, ferner durch Erweiterung und
Starrheit der Pupille, oft auch durch Verengerung der Kammer, besonders
aber durch mehr minder beträchtliche Trübwig des Kammerwassers und
des Glaskörpers zum Ausdrucke kommen. Bei grösserer Litensität der
Ophthalmie lassen sich oft schon Einschränkungen des Gesichtsfeldes, mitunter
auch der Arterienpuls, nachweisen.
Derlei Anfalle wiederholen sich häufiger oder seltener, mit oder ohne
äussere Veranlassungen , in unregelmässigen Intervallen oder periodisch ;
gehen aber gewöhnlich wieder vollständig zurück, oder hinterlassen höchstens
eine etwas vermehrte Spannung des Au,gapfels und eine auffällige Ver-
minderung der Accommodationsbreite oder vielleicht auch des Refractions-
zustandes. Das Prodromalstadium kann sich solchermassen geratime Zeit,
Jahre lang, hinausziehen. Gemeiniglich jedoch geht es frühzeitig zu Ende, ja
nicht selten ist schon nach dem zweiten oder dritten Anfalle das Glaucom
entwickelt, d. i. es kömmt nicht mehr zu einer förmlichen Intermission,
sondern es bleiben gewisse dem Glaucome zugehörende Symptome dauernd
zurück. In dieser Beziehung sind nun mehrfache wichtige Differenzen zu
bemerken :
1. In manchen Fällen verschwinden nach einem oder dem anderen
Anfalle wohl die exquisit entzündlichen Symptome, allein es bleibt der Bulbus
beträchtlich härter, die Kammer enge, die Pupille weiter und träge oder
stell wag, Augenheilkunde. 23
35-4 Glaucom; Verlauf; Glaucoma simplex, inflammatorium, absolutum.
starr; es entvrickelt sich ganz allmälig die charakteristische Excavation
des Sehuerveueintrittes, während gleichzeitig neben zunehmender Aceom-
modationsparese eine sehr störende Stumpfheit der Xetzhaut und eine
wachsende Einschränkung des Gesichtsfeldes zur Geltung kommen. Man
hat es dann also mit einem einfachen Glaucome zu thun, welches entweder
als solches längere Zeit fortbesteht und sich mehr und mehr entwickelt,
oder aber durch fernere manifeste entzündliche Anfälle , die sich von Zeit
■ zu Zeit wiederholen und wieder Tollständig ausgleichen, schubweise seiner
Vollendung zugeführt wird.
2. In anderen Fällen gehen nach mehreren Antillen auch die ent-
zündlichen Erscheinungen nicht mehr vollständig zurück, sie remittiren blos,
um über kurz oder lang wieder einen Aufschwung zu nehmen, ßehr oft
schwankt dann der Process in solcher Weise Monate und Jahre lang zwi-
schen Exacerbationen und Remissionen, bis er endlich unter höchstgradiger
Ausbildung der dem Glaucome zukommenden Merkmale zum Abschlüsse
gelangt. Man spricht in solchen Fällen von chronischem entzündlichen
Glaucome.
3. Endlich kommt es vor, dass nach längerer oder kürzerer Dauer
des Prodromalstadiums das Glaucom mit einem Male unter der Form eines
intensiven Entzündungsanfalles zum Ausbruche gelangt. Es stellen sich plötzlich
intensive Schmerzen im Kopfe, eine wüthende Ciliarneurose und oft auch
subjective Lichterscheinungen ein; das Sehvermögen sinkt um ein Bedeutendes,
oder es wird völlig aufgehoben ; das Episcleralgewebe und die Conjunctiva
zeigen sich dicht injicirt, letztere öfters bis zur förmlichen Chemose geschwollen;
der Bulbus ist auffallend hart geworden, die Hornhaut rauchig, die Kammer
verengt , der Humor aqueus trüb , die Iris stark verfärbt , die Pupille
unbeweglich, weit und verzogen, der Glaskörper undurchsichtig, so dass
die Untersuchung des Augengrundes zur Unmöglichkeit wird. Oft genügen
wenige Tage, ja selbst Stunden, um das Bild des Glaucoms in allen diesen
Zügen zu vollenden. Meistens ist es Eine qualvolle Xaclit, welche die
Krankheit in ihrer ganzen Grösse zur Entwickelung bringt. Man bezeichnet
diese daher unter solchen Verhältnissen mit dem Namen des acuten inflamma-
torischen Glaucoms. Sie bleibt einige Tage oder Wochen mit mehr weniger
deutlichen Remissionen auf dieser Höhe, oder steigert sich wohl auch noch.
Nach Ablauf jenes Zeitraumes aber nehmen die entzündlichen Erscheinungen
für die Dauer oder blos zeitweilig wieder ab ; doch kehrt der Bulbus und
seine Function nicht mehr zur Norm zurück, vielmehr schreitet der Process,
nachdem er früher oder später in den chronischen Verlauf eingebogen hat,
immer weiter, bis endlich jede Spur von Lichtempfindung geschwunden
ist und in den einzelnen Theilen des Auges der degenerative Schwund
mehr und mehr zu Tage tritt.
4. Objectiv charakterisirt sich dieser Zustand , welchen man als
abgelaufenes Glaucom (Gl. absolutum, consumatum) bezeichnen kann, durch :
Beinhärte des Augapfels ; Entwickelung eines sehr groben venösen Gefäss-
netzes auf der vorderen Scleralhälfte ; durch beträchtliche Rigidität, stellen-
weise Durchscheinbarkeit und ein eigenthümliches porcellanartiges Aus-
sehen der atrophirenden Lederhaut; durch Yerstreichung der zwischen ihr
und dem Cornealrande einspringenden Rinne ; durch rauchige Trübung der
ganz anästhetischen Cornea ; Aunulliruug der Kammer ; Retraction der Iris
Glaueoma socundarinni ; (<l. coiniilicatiiin ; Uebergang auf das zwoito Auge. oOö
auf eiu schmales Säiimchen , das immer sehr stark entfärbt und stellen-
weise des Pi2;raentes völlig beraubt ist, so dass das bindegewebige Stroma
in Gestalt eines bläulich weissen feinen Netzwerkes oder dichter sehnen-
ähnlicher Flecke zu Tage liegt; durch Pigmentatrophie der Aderhaut und
durch die Erscheinungen einer höchstgradig entwickelten giaucomatösen
Kxcavation mit theilweisem oder gänzlichem Untergange der centralen
Gefässstücke und Ersatz durch Collateraleii, mit beträchtlicher Verengerung
der pulsirenden Arterien und mit der der Atrophie eigenen Sehnenfarbe
des Excavationsbodens.
Das absolute Glaucom besteht oft viele Monate und Jahre, ohne dass
das Krankheitsbild eine wesentliche Veränderung erlitte, nur wird der
Schwund in den einzelnen Bestandtheilen des Augapfels, insbesondere in
der Iris, der Chorioidea und dem Sehnerveneintritte immer deutlicher und
früher oder später kömmt es auch zur cataractösen Trübung der Linse, es
entwickelt sich wegen der gestörten Ernährungsverhältnisse die sogenannte
Cataracta glaucomalosa. Häufig indessen wechselt das Krankheitsbild inso-
ferne, als sich von Zeit zu Zeit manifeste Entzündungen einstellen, welche
gewöhnlich unter heftigen Kopfschmerzen, wüthender Ciliarneurose und
subjectiven Lichterscheinungen verlaufen , oft lange Zeit anhalten und
dann dem Kranken sein Leben geradezu zur Qual machen. Sie treten
bald spontan auf, bald in Folge äusserer Veranlassungen und zwar genügt
oft die geringste äussere Schädlichkeit, ein kleiner Diätfehler, um sie her-
auf zu beschwören.
C. Das secundäre oder consecuiive Glaucom trägt im Allgemeinen den
Charakter der acuten oder chronischen entzündlichen Form, verläuft gleich
dieser und unterscheidet sich von derselben eben nur durch das Voraus-
und Nebenhergehen der primären Krankheitsprocesse.
Es darf nicht verwechselt werden mit dem Glaueoma compUcatum,
d. i. mit dem Glaucome, welches sich bisweilen neben anderen pathologi-
schen Processen im Auge entwickelt, ohne dass ein näherer Causabiexus
zwischen beiden Vorgängen bestünde. So kömmt es manchmal zum Glaucome
in Augen, deren Linse bereits cataractös geworden ist. Auch complicirt
sich in einzelnen Fällen das Glaucom mit Cerebralamauro se oder umgekehrt.
Die frühzeitige atrophische Verfärbung der sich aushöhlenden Papille und
die Einschränkung des Gesichtsfeldes von Aussen her geben dann neben den
Symptomen des Cerebralleidens die Mittel an die Hand, um den Zustand
diagnostisch gehörig beurtheilen zu können.
D. Das Glaucom entwickelt sich vorerst immer nur auf Einem Auge.
Es kann darauf zeitlebens beschränkt bleiben. Dieses ist jedoch wohl nur
äusserst selten und dort der Fall, wo das Glaucom secundär aus anderen,
auf das betreffende Auge gebannten Krankheiten hervorgegangen ist. Immer-
hin aber ist auch in solchen Fällen eine gewisse Disposition des anderen
Auges gegeben , indem sehr oft ein etwas heftigerer Eingriff, eine Staar-
operation , eine zufällige Verletzung u. s. w. den giaucomatösen Process
hervorruft, was in der Praxis sehr wohl zu berücksichtigen ist. Das
primäre Glaucom im Gegentheile bleibt kaum jemals monoctdar. Ist einmal
das eine Auge ergriffen, so ist auch das zweite in höchster Gefahr. Aller-
dings braucht es manchmal Jahre , ehe der Process sich in diesem an-
kündigt. Sehr häufig jedoch machen sich daselbst schon sehr frühzeitig,
23*
OoG Glancom; Ausgänge; glancomatose Degeneration; Behandlung.
wenige Tage oder ^Vocheu nach dem Ausbruche des Glaucoms auf dem
anderen Auge, die Vorboten bemerklich und nicht lange währt es, so ist
das Glaucom ein binoculares.
Ausgänge. Das Glaucom ist in seinen ersten Stadien unter Voraus-
setzung günstiger Verhältnisse und einer geeigneten Therapie beschränkt
heilbar. Wird es aber sich selbst überlassen oder unzulänglich behandelt,
so verfallen die einzelnen Bestandtheile des Augapfels allmälig dem Schwunde
und werden unfiihig, ihre Functionen wieder aufzunehmen. Die Schluss-
scene bilden gewöhnlich Anfälle von Iridochorioiditis mit mehr minder
massigen Exsudationen im Bereiche des Sehloches und der Strahlenfort-
sätze , worauf der Bulbus weicher wird , sich faltet und schrumpft,
während an der Innenwand der Aderhaut verknöchernde Schwarten abge-
lagert werden und die Netzhaut in Folge der bindegewebigen Entartung
des Glaskörpers klöppeiförmig zusammengezogen wird (S. 334).
Ausnahmsweise kommen in Folge heftiger oder oft wiederholter ent-
zündlicher Anfälle partielle oder totale Sclerochorioidalectasien zu Stande.
Sie entwickeln sich wegen der damit verknüpften Zerrung der Ciliarnerven
oft unter wüthenden Schmerzen, besonders wenn die Lederhaut frühzeitig
nachgibt, bevor die Xerven durch den glaucomatösen Process zu Grunde
gegangen sind. Xebenher gehen gewöhnlich ausgebreitete Gefässentartungen.
Dieselben verursachen öfters sehr beträchtliche Bhitergüsse im Lmeren des
Augapfels. Mitunter scheinen sie sich bis auf das Gezweige an der Schädel-
basis zu erstrecken, wenigstens deuten die Symptome der Cerebralhyperämie,
besonders andauernde intensive Kopfsehmerzen darauf hin. Die Atrophie
der einzelnen Theile ist dann immer sehr ausgesprochen, die Iris und die
Bindehaut werden oft ganz matsch, zunderähnlich zerreisslich. Man bezeichnet
diesen Zustand mit dem Namen „glaucomatöse Degeneration^^.
In einzelnen Fällen ist das Product der Wucherung Eiter. Man hat
denselben in der Aderhaut (Schweigger) gefunden. Meistens jedoch beschränkt
sich die Eiterung primär auf die Hornhaut und trägt den neuroparalytischen
Charakter fS. 10, Graefe). Die solchermassen gesetzten Geschwüre können
wieder zuheilen. Oft aber brechen sie durch und enden dann mit Phthisis
bulbi. Mitunter werden sie auch insofern gefährlich, als sie bei eintretender
Perforation excessive, ja erschöpfende Blutungen aus den gefässhältigen
Binnenorganen veranlassen (Rydl).
Behandlung. Die erste und u-ichtigste Aufgabe ist, den Verlust, welchen
die Bidbuskapsel an elastischer Dehnbarkeit erlitten hat, einigermassen aus-
zugleichen lind damit die Circulationsbedingungen im Binnenstromgebiete möglichst
normal zu gestalten. Das Mittel dazu liegt in der Einschaltung einer
lockeren bindegewebigen Narbenschichte in das sclerosirte Lederhautgefüge.
Es wird dadurch den äusseren Faserlagen der Lederhaut nämlich die
Möghchkeit geboten, bei eintretendem Bedarfe etwas nachzugeben und
solchermassen der fehlerhafte Kreis gelöst, in welchem sich Venenstauuugeu
und Binnendrucksteigerungen bei rigider Kapsel unterhalten und steigern.
Es genügt zu diesem Behufe eine mehrere Linien lange und möglichst
flach durch die vorderste Scleralzone geführte Schnittivunde, wie selbe eben
bei der Iridectomie giaucomatöser Augen vorgeschrieben ist (S. 296). Die
Ausschneidung eines Regenbogenhautsectors ist in Bezug auf die angestrebte
Heilwirkung von ganz untergeordneter Bedeutung (Wecker, StilUng, Hasner),
lli'ilwirkung der Iridectomie. 357
aber insofcrne für alle Fälle dringend zu empfehlen, ;ils die einfache Scleral-
paraccnto8c sehr häufig- schon im Momente der Operation, öfters jedoch
auch erst später, zu Vorfällen der Iris Veranlassung gibt, welche, da sie
meistens nicht zurückgebracht werden können, zu unliebsamen Reizzu-
ständen führen können und überdies eine der durch Iridectomie gesetzten
gleicliwerthigc Entstellung begründen.
ri'-
Man hat fiii- die Wirksamkeit der Iridectomie als solchen die Ergebnisse
physiologischer Experimente an Thiuren geltend zu machen gesucht (/hppelj. Doch
können dieselben hier nicht massgebend sein , da die Messungen mit ^anz unzu-
verlässigen Instrumenten, nämlich mit Manometern (S. 6), angestellt worden sind
und da neuere Experimente mit verbesserten Instrumenten das Irrthüniliche der
auf jene basirten Schlüsse nachgewiesen haben (Adaniük). Auch steht damit die
praktische Erfahrung im Widerspruche. Es wird nämlich allenthalben anerkannt,
dass selbst umfangsreiclie Irisaussclinitte bei ungenügend langer Sclei-alwunde, oder
wenn sie durch einen Cornealschnitt ausgeführt werden , gegen Glaucom nichts
vermögen. Man hat weiters gefunden, dass mitunter partielle Dialysen und sogar
gänzliche Ausreissungen der Iris einen Heilerfolg niclit erzielen (Arlt). Ausserdem
kömmt in Betracht, dass in England und vornehmlich in Amerika nicht wenige,
gewiss in hohem Grade urtlieilsfähige Augenärzte die intraocidäre Myotomie noch
dermalen der Iridectomie vorziehen oder ihrer Heilwirkung nach wenigstens gleich-
stellen. Man kann nun aber nicht behaupten, dass bei der Letzteren die Durch-
schneidmig des Cdiarmuskels das Wesentliche sei, da der Schnitt gewöhnlich sehr
flach durch die Sclerotica gelegt wird und jener Muskel dann gewiss nur zum
kleinen Theile in die Schnittebene fällt. Noch weniger aber darf man behaupten,
dass bei der kunstgerecht ausgeführten Iridectomie der Ansatz des Ciliarmuskels
irgendwie gelockert und so eine Entspannung der Binnenmuskeln bewerkstelligt
wird, da die Schnittfläche anatomischen Untersuchungen zufolge ganz ausser den
Bereich des Aderhautspauners zu liegen kömmt. Auch darf nicht vergessen werden,
dass der Einfluss des Ciliarmuskels auf deu Binnendruck ohne Einfluss ist (S. 14).
Es kann aber auch nicht die Paracentesis als solche, d. i. die Entleerung eines
Theiles der Biunenmedien als die eigentliche Quelle der Heilwirkung betrachtet
werden, da sonst die Eröffnung der Kammer durch einen Cornealschnitt dasselbe
leisten müsste, wogegen zahlreiche Erfahrungen mit aller Bestimmtheit dargethau
haben, dass selbst öfters iviederholte Cornealparacenteseu den intraoculären Druck
nur sehr vorübergehend annulliren und eine dauernde Heilung des Glaucoms nicht
zu bewerkstelligen vermögen (Graefe, Coccius, Secondi, Nagel). Es bleibt nach
allem dem nichts Anderes übrig, als die Durchschneidtmg der vordersten Zone der
äusseren Scleralschichlen als dasjenige Moment zu bezeichnen, welches bei Bekäm-
pfung glaucomatöser Zustände wirksam ist. Ilir Einfluss auf pathologische Druck-
steigerungen lässt sich im Einklänge mit der über die Pathogenese des Glaucoms
aufgestellten Theorie (S. 347) denn auch wirklich ungezwungen auf den Umstand
zurückführen, dass penetrirende Scleralwimden niemals durch directe Adhäsion ihrer
Ränder, sondern stets durch Ztoischenlagerung eines bindegewebigen N arbeng eicehes
heilen, welches von der Bindehaut und der Uvea ausgeht und sämmtliclie durch-
schnittene Theile durchdringt (LidAnski). Man darf übrigens gegen die Heilwirkung
der einfachen Scleralparacentese nicht einwenden, dass cystoide Vernarbungen den
Erfolg der Operation eher gefährden als verbürgen (Arlt), denn damit wird das
Streitgebiet völlig verrückt. Die Scleralparacentese kann nämlich so wenig wie
die sie involvirende Iridectomie die bereits eingeleiteten 2^athologischen Vorgänge in
directer Weise regressiv machen, sondern durch Wiederherstellung eines gewissen
Elasticitätsgrades nur eine Quelle der Venenstauung stopfen und damit die Be-
dingungen für den Ausgleich günstiger gestalten. Dieser Aufgabe wird aber bei der
cystoiden Vernarbung im üebermasse entsprochen, denn die damit behafteten Augen
fühlen sich in der Regel iveicher an als normale. Wenn übrigens nach der Scleral-
paracentesis die Abnahme der pathologischen Bulbushärte öfters eine unbefriedigende
bleibt, so trifft dieser Vorwurf in gleichem Masse auch die Iridectomie. Es muss
eben hier in Anschlag gebracht werden, dass eine stärkere Resistenz des Augapfels
nicht nothwendig eine Erhöhung des Binneudruckes in sich schliesst (S. 1); weiters
dass verschiedene Grade krankhafter Scleralrigidität nicht wolil stets durch eine
gleich dosirte Operation, also durch Einschaltung eines gleichen Quantums nachgie-
358 Glancom; Behandlung; Nachtheile der Iridectomie.
bisen Xarbengewebes neutralisirt werden können, und dass durch kunstgerechte
Scieralparacentesen oder Iridectomien in zicei einander gegenühei' stehenden oder
nachharUchen Quadranten die druckvermindemde Wirkung der Operation nachge-
wiesener Massen icesentlich verstärkt und dem entsprechend in nicht wenigen Fällen
ein Ausgleich angebahnt wird, in welchem die einfache Paracentesis oder Iridectomie
sich bereits als ungenügend erwiesen hatte.
Die Paracentesis scierae ist übrigens in Verbindung mit der Entleerung eines
Theiles des Glaskörpers schon vor Langem als Mittel zur Yerminderang der Bul-
bushärte empfohlen worden (Mackenzie). Sie konnte jedoch, da die Technik der
Operation daueinde Entspannungen der Sclerotica herbeizuführen ungeeignet war,
nur Torübei'gehende und darum unbefriedigende Resultate erzielen. Ihre Verbin-
düng mit der Iridenkleisis iCritchett, Coccius) hat theoretisch viel für sich, ist aber
wegen der Begünstigung cystoider Narben und nachträglicher bedrohlicher Reiz-
zustände zu meiden. Der Vorschlag, die Iris bei der Iridectomie stark anzuziehen,
um die Zonida zum Bersten zu bringen und so eine Verbindung des Glaskörper-
raumes mit der Kammer herzustellen (Coccius), dürfte in Anbetracht der Gefahren,
welche den Vegetationsverhältnissen der Linse und selbst des ganzen Bulbus aus
einer theilweisen Sprengung des Strahlenblättchens erwachsen können, wenig
Freunde finden.
Es klebeu der Iridectomie gevrisse Nachtheile an. Doch stehen diese
in gar keinem X'erhältnisse zu den segensreichen Wirkungen, welche eine
zeitlich genug und mit den nöthigen Vorsichten ausgeführte Operation
zu entfalten pflegt ; daher sie denn auch die Indicationsgrenzen keines-
wegs Terrücken, sondern nur in prognostischer Beziehung genauer beachtet
werden müssen.
a. So gibt die plötzliche Entspannung des Bulbus und die damit
gesetzte momentane Blutüberfüllung seiner Binnenorgane beim acuten und
namentlich beim fulrninir enden Glaucome in der Regel zu intraocidären
Hämorrhagien Veranlassung, und zwar kommen diese um so leichter zu
Stande und werden um so massenhafter, je stärker die Trübung der
Binnenmedien und je grösser die Spannung der Bnlbuskapsel war. Es
scheint, dass mit der Intensität des entzündliehen Processes die Brüchig-
keit der Gefdsse wachse, indem beim subacuten Glaucome viel seltener und
beim chronischen einfachen Glaucome nur ausnahmsweise und zwar Tor-
nehmhch bei Leuten mit atheromatösen Gefössen {Mauthner, Liehreich)
solche Blutungen zu Stande kommen, obgleich hier die fühlbare Bulbus-
härte gar oft eine excessive ist. In der Regel werden derlei Extravasate
rasch aufgesaugt, besonders in der Xetzhaut, und hinterlassen auch
meistens keine functioneHen Störungen. Bisweilen, vornehmlich wenn die
Blutung etwas reichlicher war, geschieht dieses indessen doch und das
Resultat sind dann theilweise Verdunkehingen des Gesichtsfeldes.
b. Wird die Iridectomie beim acuten entzündlichen Glaucome in den
früheren Perioden, während oder nach einem der ersten manifesten Ent-
zündungsanfälle ausgeführt : so beschleunigt sie in einem grossen Procent
der Fälle den Ausbruch des Leidens auf dem anderen Auge, vornehmlich
wenn dieses schon Prodromalzeichen nachweisen lässt, öfters aber auch in
dem Falle, als dieses Auge noch ganz gesund ist. Während sonsten beim
acuten entzündlichen Glaucome die ersten manifesten Entzündungsanfälle
an dem einen und dem anderen Auge durch Intervalle von einigen
Monaten und selbst Jahren getrennt zu sein pflegen, zeigen sich nach
der Ii'idectomie häufig schon binnen weniger Tage die Prodromen am
zweiten Auge, oder es bricht daselbst das Glaucom selbst in voller Ent-
wicklung aus. Xeueren Erfahrungen zufolge scheint am zweiten bis vierten
Staarbildnng ; Cystoide Vernarbung. 359
Tage nach tlor Operation die Neigung zuv Erkrankung des zweiten Auges
am stärksten zu sein (Graefe) und aus der Reizung erklärt werden zu
müssen, welche die, von Seite des entzündlichen Processes ohnehin schon
erregten Ciliarnerven durch den operativen Eingriff erfahren, und bei der
völligen Entspannung der Bulbuskapsel leicht auf das andere Auge über-
tragen können (Graefe, Mooren). Einzelne Autoren bezweifeln die Itichtig-
keit der fraglichen Beobachtungen (Arlt, LaqueurJ, doch mit Unrecht.
Nur beim chronischen einfachen Glaucome, wo die Entzündungserscheinun-
gen fast gänzlich zurücktreten, ist eine solche Succession des Processes
am zweiten Auge nicht zu fürchten. Der Nachtheil, welcher bei acuten
Processen daraus erwächst, wird übrigens reichlich aufgewogen durch den
Umstand, dass die Iridectomie gerade während den ersten Perioden des
acuten Glaucoms die besten Erfola;e erzielt und diese sowohl bei dem erst-
ergriffenen als bei dem anderen Auge ausgenützt werden können ; während
jede Versäumniss, jeder Aufschub der Operation unter solchen Verhält-
nissen sich bitter straft. Selbstverständlich darf jedoch der behandelnde
Arzt es nicht unterlassen, den Kranken vor der Operation auf die Mög-
lichkeit aufmerksam zu machen, dass das zweite Auge binnen kurzem er-
griffen werden und seinerseits die Operation erfordern könne.
c. Manche glauben, dass die Iridectomie öfters Veranlassung zur rasclien
Aushikhmg der Cataracta an dem operirten Auge gebe. Es ist jedoch gar kein
Zweifel, dass in der allergrössten Mehrzahl solcher Fälle eine Verletzung der Kapsel
die nächste Ursache der Staarbildung geliefert habe. In einzelnen seltenen Fällen
konnte indessen der rasclie Ahfluss des Kammerwassers eine Berstung der Kajjsel
oder der Zonula bedingt (Coccius) und damit den Grund des Staares gelegt haben
(Graefe).
d. Die j^cystoide Vemarbuny'-^ wird vornehmlich in jenen Fällen be-
obachtet, in welchen die Zeichen der intraocularen Drucksteigerung schon
vor der Operation stark ausgeprägt waren. Es bleiben in solchen Fällen
die beiden Wundtiächen des linearen Einstichskanales öfters nicht in un-
mittelbarer Berührung , vielmehr baucht sich das verbindende neoplastische
Gefüge in Gestalt eines zarten Wülstchens heraus, welches aus stärkeren
sehnigen Fäden und zwischeugelagerten, sehr dünnhäutigen, mehr pro-
minenten blasenartigen Buckeln besteht. Gewöhnlich wird diese ectatische
Zwischensubstanz von Zeit zu Zeit durchbrochen und das Kammerwasser
tritt unter die Bindehaut, dieselbe nach vorne hervortreibend. Es wieder-
holt sich dieser Zufall oftmals noch viele Monate nach der Operation, ja
es sind Fälle beobachtet worden, wo nach zwei und mehr Jahren noch derlei
Durchbrüche statt fanden. Gemeiniglich bleibt unter solchen Umständen
der Bulbus normwidrig weich, doch hat die Kammer ihre normale Weite.
Bei geringeren Graden der cystoiden Vernarbung wird in der Regel etliche
Monate nach der Operation das Gewebe zwischen den Narbensträngen
dichter, die Ergüsse von Hxrmor aqueus hören allmälig auf und es kömmt
endlich zu einem ziemlich normalen Abschlüsse der Wunde. Bei höheren
Graden jedoch braucht die Verdichtung und Verilachung des blasigen
Wulstes immer eine viel längere Zeit. Oefters besteht während der ganzen
Periode eine starke Conjunctivalivjection und eine sehr beträchtliche Reiz-
barkeit gegenüber äusseren Schädlichkeiten. Mitunter kömmt es dann
wohl auch zu fatalen Entzündungen, die sich bis zur Eiterbildung steigern
und den Bulbus zu Grunde richten können (Graefe).
360 Glancom; Behandlung: Torbamingscnr.
Um solchen üblen Ereignissen vorzubeugen, ist es nothwendig, in
Fällen, in welchen während den ersten Wochen nach der Operation sich
eine Tendenz zu cystoider Yemarbung zeigt, ein besonders strenges
diätetisches Verhalten anzuordnen, um äussere Schädlichkeiten thunlichst
zu beseitigen, ausserdem aber den Bulbus periodisch mittelst eines leichten
Druckverbandes zu comprimiren. Bei liöhergradiger Ectasie des Zwisehen-
gewebes, wenn gleichzeitig ein starker Conjunctivalreiz besteht, ist es
räthlich. die normale Wundheilung dadurch anzubahnen, dass man bei
gut fixirtem Bulbus den Wulst mittelst eines Staarmessers an dem einen
Eande spaltet, sodann die Blasenwand mit der Schere abträgt und nun
nach Anlegung eines leichten Druckverbandes durch mehrere Tage
strengste Kühe bei Bettlage einhalten lässt, überhaupt wie nach schwereren
Augenoperationen vorgeht. Für die Behandlung heftiger Entzündungen
gelten die allgemeinen Eeseln CGraefe.)
Im Allgemeinen kann man sagen, die Iridectomie leiste beim Glaucom
um so mehr, je früher sie ausgeführt vrird und je weniger die Binnenorgane
des Bulbus materielle Veränderungen erlitten haben. Ihr Haupteffect besteht
eben blos in der Herbeiführung günstigerer Circulations- und Xutritions-
verhältnisse. Sie erleichtert nur den Ausgleich der vorhandenen Ernährungs-
störung; sollen die Elemente vdeder functionstüchtig werden, so müssen sie
als solche noch bestehen. Es ergibt sich daraus als eine allgemeine Begel,
dass die Operation möglichst zeitig ausgeführt icerden müsse.
1. In den ersten Zeiten des Prodromalstadiums, bei geringer Ent-
wickelung der \'orboten und langsamer Steigerung derselben, wird man
allerdings keine grosse Gefahr laufen, wenn man das therapeutische ^'er-
fahren vorderhand auf Femhaltung aller Schädlichkeiten, welche zur
Gelegenheitsursache des glaucomatosen Processes werden könnten, so wie
auf Verminderung und Beseitigung der Circulationsstörungen oder eines
bereits vorhandenen Beizzustandes richtet.
In ersterer Beziehung kann nicht genug strenge das alUogleiche Aufgehen
jeder das Auge nur eimgermassen anstrengenden Beschäfligung, z. B. des Lesens,
Schreibens, Nähens n. s. w. gefordert werden. Gleichzeitig muss der Kranke thun-
lichst vor der Einwirkung intensiver Lichtgrade, directen Sonnenlichtes, greller ße-
flexe, sowie starker Lichtcontraste , vn.G sie beispielweise künstliche Erleuchtungen
bedingen, verwahrt werden, sei es durch Vermeidung der Gelegenheiten zu der-
artigen Einwirkungen, sei es im Falle der Noth durch Abschwächung dieser
Schädlichkeiten mittelst zweckmässiger Anwendung schützender Apparate. Aber
auch Wind, Hauch, Stauh, scharfe Dämpfe, starker Temperaturwechsel u. dgl. können
erfahrungsgemäss zur Gelegenheitsursache der ohnehin schon vorbereiteten Ent-
zündung werden, oder wenigstens die vorhandene H^-perämie und Reizung der
Theile, somit auch die Disposition zum Glaucome steigern. Sie müssen demnach
bei der Vorschreibung des einzuhaltenden Regimens wohl berücksichtigt werden.
Empfehlenswerth ist insofeme für die bessere Jahreszeit der Aufenthalt auf dem
Lande, in einem nicht zu warmen Klima, massige Bewegung im Freien, an wind-
und staubfreien schattigen Orten und während der kühleren Tageszeit. Mit Rück-
sicht auf die gegebene locale Hyperämie sind körperliche und geistige Aufregungen
thunlichst zu meiden. Auch die Kost ist von hohem Belange. Der Genuss unge-
wässerten Weines, des Bieres, starken schwarzen Kaffee's, starken Thee's, des
Branntweines ist ganz zu untersagen. Kleine Dosen eines leichten gewässerten
Weines, des 3Iilchkaffee's, schwachen Thee's dürften jedoch kaum eine Gefahr mit
sich bringen. Die Malzeiten sollen ans leicht verdaulichen, leicht kaubaren, nicht
stark gewürzten, nicht blähenden, vornehmlich pflanzlichen Speisen zusammen-
gesetzt werden. L'eberfüllung des Magens ist streng zu meiden; dafür können sich
die Malzeiten öfter im Tage wiederholen. Des Abends bleibt der Kranke am besten
Iridectoinio im Prodromalstadium und beim Ausbrucho des Glaucoms. 361
diät. Auch ist es von Wichti<2;kcit, class derselbe niclit nach di'm Rlittagsmale schlafe.
Bei der nächtlichen Rahe ist erhöhte La<je des Kopfes und Vermeidung der Rücken-
lage zu empfehlen. Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Es sind dieselben,
welche eine leichte hequeme Kleidunr/ nothwendig machen und beengende, nament-
lich den Hals einschnürende und zu warme Kleidung in hohem Grade gefährlich
machen.
Unter den directen Mitteln ist die zeitweilige Application Jcühler Uehei-schläge
auf die Augen und den Vorderkopf hervorzuheben. Es ist die locale Wärmeeut-
ziehung jedoch nur am Platze, wenn die Erscheinungen der Hyperämie, namentlich
örtlicher Blutivallmtgen, im Auge und Gehirne deutlicher hervortreten >ind mit
erhöliter Temperatur vergesellschaftet sind. Das Vorhandensein von Gicld contra-
indicirt dann die kühlen Ueberschläge durchaus nicht. Immerhin jedoch fordert
deren Anwendung Vorsicht und stete Rücksichtnahme auf die örtliche Temperatur.
Douchen sind ihrer reizenden Wirkung halber zu meiden. Audi, kalte Bäder l)e-
dingen nicht selten temporäre Blutwallungen und werden in solchem Falle am
besten unterlassen. Sind heftige Schiuerzen zu bekämpfen, so können hijpoderviatische
Einspritzungen von Morj^hiumlösungen verwendet werden. Mydriatica sind zu ver-
meiden (S. 38).
Ueberdies verlangt das die örtlichen Hyperämien bedingende Grundleiden
häufig eine eingehendere Behandlung. So wird z. B. bei Unterleibsleiden oft die
systematische Anwendung leicht lösender Mittel, namentlich gewisser Mineralwässer,
bei Herzleiden die Application der Digitalis u, s. w. erforderlich. Die Indicationen
dafür zu stellen, ist Sache der spociellen Therapie. Doch muss hier erwähnt wer-
den, dass der Gebrauch ivarvier Bade- und Trinkquelleu eine üljeraus grosse Ge-
fahr in sich scliliesst; dass diese daher in Fällen, in welchen das Grundleiden auf
ihren Gebrauch hinweist, stets durch kühlere und möglichst wenig aufregende Quellen
zu ersetzen sind.
llücken einmal die Auflillc von Verdunkelung des Gesichtsfeldes näher
an einander, so ist es klug, die Operation nicht länger mehr zu verschieben,
denn der Ausbruch des Glaucoms ist bald zu erwarten und es steht dahin,
in welcher Form derselbe erfolgt und ob er nicht vielleicht rasch Ver-
änderungen setzt, gegen welche die Iridectomie nur wenig mehr vermag.
Nach der Operation bleiben die Anfälle in der Hegel aus und die Func-
tionstüchtigkeit der Netzhaut wird meistens auf den früheren Grad der
Vollliommenheit gehoben, so dass die Kranken wieder ihren gewohnten
Beschäftigungen nachzugehen vermögen. Nur ausnahmsweise geschieht es,
dass trotz dauernder Verminderung der ßulbushärte doch ein glauco-
matöses Sehnervenleiden und allmälig Atrophie der Papille mit mehr
minder bedeutenden Sehstörungen zur Entwickelung kömmt, oder dass
neue Nachschübe mit Druckvermehrung die Wiederholung der Operation
verlangen.
2. Ist der glaucomatöse Process in aciäer Form zum Ausbruch gekommen,
so ist das Kuriren mit Antiphlogisticis, Narcoticis, Mydriaticis etc. meistens
Zeitverlust ; die Verzögerung der Operation verlängert das intensive
Leiden des Kranken und vermindert die Möglichkeit einer Wiederher-
stellung, da sie den degenerativen ^''erändorungen Zeit zur Entwickelung
gönnt. Namentlich beim fulminirenden Glaucom ist ein allsogleiches opera-
tives Einschreiten dringendes Gebot, da hier oft schon wenige Tage hin-
reichen, um unheilbare Schäden zu setzen. Beim gewöhnlichen acuten Glaucom
kann man eher noch einige Tage zuwarten, um den ärgsten Sturm in den
localen Gefass- und Nervenbahnen vorüber gehen zu lassen ; ja in vielen
Fällen hat sich sogar die vorläufige Beschwichtig itng der heftigen Entzündung
und der wüthenden Ciliarneurose dem EndefFecte günstig erwiesen. Doch
ist erfahrungsmässig ein solches Zögern nur dann gestattet, wenn der
362 Glaucom; Behandlung; Iridectomie im Ausbrnclisstadium der acuten Form.
entzündliche Anfall keine allzugi'osse Abnahme des Sehvermögens mit sich
gebracht hat. Wo dieses im raschen Laufe bis auf quantitative Licht-
empfindung gesunken ist, oder sich Einschränkungen des Gesichtsfeldes
geltend machen, wäre es gefährlich, die Operation aufzuschieben, um mitt-
lerweile die Intensität der Entzündung und Ciliarneurose durch Anti-
phlogistica und Narcotica zu bekämpfen. Zudem hat sich die Operation
selbst als das sicherste -owdi kräftigste antiphlogistische und schmerzstillende
Mittel ei-wiesen.
In der That hören die bis dahin oft unerträglichen Schmerzen gewöhnlich
unmittelbar nach der Operation fast g-änzlich auf. Höchstens bleiben 1 — 2 Tage
leichte Stirnschmerzen oder Empfindungen zurück, wie selbe nach jeder Operation
vorkommen. Aiich die Entzündungsersclieinungen gehen meistens in der kürzesten
Zeit zurück, oder werden in sehr erfreulicher Weise vermindert. Eben so nimmt
auch das Sehvermögen unmittelbar nach der Operation zu, soweit nämlich die Stö-
rung desselben von der Trübung des nunmehr abgeflossenen Kammerwassers und
von der Steigerung des intraocularen Druckes abhängig gewesen war. Das Zurück-
gehen der entzündlichen Alterationen und der in solchen Fällen sich fast immer
einstellenden Netzhautecchymosen bedingt dann iceiters eine albn'dlige Zunahme,
welche sich besonders innerhalb der ersten 14 Tage deutlich nachweisen lässt,
aber auch nach dieser Zeit noch fortzuschreiten pflegt, so dass in den meisten
Fällen erst nach 6 — 8 Wochen der Höhenpimkt erreicht wird.
Ist zeitlich genug opcrirt tvorden, sü gelingt es beim acuten Glaucome
häufig, dem hchtempfindenden Apparate nahezu seine frühere Functions-
tüchtigkeit zurück zu geben und dieselbe auch dauernd zu erhalten.
Erfahruugsmässig kann man beim gewöhnlichen acutentzündlichen Glaucome
auf ein so glänzendes Eesultat mit Wahrscheinlichkeit rechnen, wenn die
Iridectomie in den ersten 14 Tagen nach dem ersten Anfalle zur Aus-
führung kömmt, und zwar ist die Hofinung eine um so mehr gerecht-
fertigte, je früher innerhalb dieses Zeitraumes der Eingrifi" geschieht, immer
vorausgesetzt, dass es sich um ein Auge handelt, welches vor dem Aufalle,
in den Intervallen der prodromalen Insulte, normal functionirte, dass der-
malen das Gesichtsfeld nicht bereits eine merkliche Einschränkung erhtteu
hat und dass die Lichtempfindung noch eine sehr prompte ist. In minder
frischen Fällen und überhaupt, wo sich bereits eine Einschränkung des
Gesichtsfeldes nachweisen lässt, allenfalls auch die Fähigkeit, qualitative
Lichtunterschiede wahrzunehmen, verloren gegangen ist, wird ein so aus-
gezeichneter Erfolg nur ausnahmsweise erzielt, erwarten darf mau ihn nie;
in der Kegel bleibt die Sehschärfe ansehnlich vermindert, das Gesichtsfeld
erhält auch nicht mehr seine frühere Ausdehnung. Es sind unter solchen
Umständen eben fast immer schon degenerative "S^eränderungen des licht-
empfindenden Apparates im Spiele und diese werden durch die Iridectomie
wenig berührt.
Diese Ohnmacht der Iindectomie gegenüber degenerativen Alterationen zeigt
sich übrigens auch sehr auflfällig an den mehr oberflächlich gelegenen Organen. Selbst
in verhältiiissmässig frischen Fällen stellt sich öfters die normale Empfindlichkeit
der Cornea nicht mehr her, die Kammer bleibt sehr oft etwas verengt, die 7m
erscheint constant nach wie vor der Operation etwas verfärbt , die Pupille etwas
erweitert und träge beweglich oder ganz staar und die Functionsbeschränkung des
Accomviodationsmuskels äussert sich durch sehr auffälliges Fernstehen des Nahe-
punktes.
Uebrigens darf nicht verschwiegen werden, dass die Operation, trotz-
dem sie zeitlich genug:, nüt den crehörisen Vorsichten und unter scheinbar
günstigen Auspicien vorgenommen wurde, auch versagen könne. Abgesehen
Iridectoinio in den späteren Stadion der aeutou iMuin. o6t3
Ton dorn apophctischen Glaricomc, bei welchem dio Operation überhaupt
von sehr zweifelhaftem Erfolge ist und dinn Auge bisweilen geradezu
verderblich wird (S. 351), kommen Fälle voi-, in welchen nach der Ope-
ration sich neue acute Entzündungsanfälle mit mehr minder starker Ciliar-
neurose einstellen und dann nicht immer durch eine loicderholte Irldectomie.
beschwieliligt werden können, sondern dauernde Schäden setzen. Auch
werden Fälle beobachtet, und diese sind nicht einmal gar so selten, in
welchen nach der Iridectomie das Glaucom sich in der chronisch inflamma-
torischen oder einfachen nicht entzündlichen Form mehr und mehr ausbildet.
Es ist dann dringend nothwendig, die Operation baldmöglichst an dem
nachbarlichen oder entgegengesetzten Quadranten zu wiederholen und solcher-
massen die Nachgiebigkeit der Bulbuskapsel zu vergrössern.
3. In den späteren Perioden des acuten Glaucoms ist die Aussicht
auf eine Herstellung der vollen Functionstüchtigkeit des lichtempfindenden
Apparates und auf deren dauernde Erhaltung schon sehr gesunken. Aller-
dings führt der glaucomatöse Process nicht immer gleich rasch zu dege-
nerativen Vei'änderungen im lichtempfindenden Apparate ; vielmehr kommen
bisweilen Fälle vor, wo nach wiederholten acuten Anfällen das Sehvermögen
auf einige Zeit wieder spontan einen höheren Grad erreicht und auch eine
Excavation nicht nachgewiesen werdeii kann. Unter solchen Verhältnissen
vermag dann auch die Iridectomie sehr viel zu leisten, das Auge selbst
vollständig zu rehabilitiren. Dieses sind jedoch «eitoie Ausnahmen ; in der
Kegel findet man in den späteren Perioden des acuten Glaucoms schon
das Gesichtsfeld eingeengt und die Papille auffällig ausgehöhlt. Eine Zurilck-
führung zur Norm liegt dann bereits ausser den Grenzen der Möglichkeit.
Doch gelingt es noch bisweilen, wenn die Excavation wenig entwickelt und
die Einengung des Gesichtsfeldes eine geringe, namentlich concentrische ist,
die centrale Sehschärfe dauernd um einiges zu erhöhen und auch wohl das
Gesichtsfeld etwas zu erweitern. Man darf sich um so mehr dieser Hoff-
nung hingeben, je grösseren Antheil an der Sehstörung die Trübung der
dioptrischen Medien und die Steigerung des intraocularen Druckes zu haben
scheint. Wo das Gesichtsfeld jedoch beträchtlich, besonders von der einen
Seite her, eingeengt oder wohl gar excentrisch geworden ist, oder wo die
Lichtempfinduug schon sehr undeutlich zu werden beginnt, so wie dort,
wo die Excavation schon weit in ihrer Entwickelung gediehen ist; muss
mau sich in der Regel damit begnügen, den Frocess zum Stillstande zu bringen.
Uebrigens sind die mit der Iridectomie unter so bewandten Umständen
erzielten günstigen ßcsultate nicht immer von langem Bestände. In vielen
Fällen beschränkt sich das Gesichtsfeld über kurz oder lang unter Abnahme
der centralen Sehschärfe wieder auffällig, reducirt sich wohl auch auf einen
kleinen excentrischen Theil und am Ende schwindet nicht selten jede
Spur von Lichtempfindung. Die dem freien Auge zugänglichen Symptome
des Glaucoms können sich dabei allmälig weiter und weiter ausbilden, so
dass die Krankheit später unter der Form des einfachen nicht entzündlichen
oder chronisch inflammatorischen Glaucoms in die Erscheinung tritt. In anderen
Fällen verwischen sich die charakteristischen Merkmale mehr und mehr ;
auch verflacht sich die gegebene Excavation, wenn sie fi'isch ist, nicht selten
in sehr auffälligem Grade, sie wird muldenförmig; der degenerativen
Atrophie der Elemente jedoch vermag die Operation nicht zu steuern, ein-
364 Glaucom; Behandlung; Iridectomie beim chronisehen Glaucom.
mal bis zu einem gewissen Grade vorgerückt, geht dieselbe in der Regel
weiter und früher oder später verräth der Sehnerveneintritt durch seine
selinigweisse Farbe und den leichten seidenähnlichen Glanz die binde-
gewebige Entartung der Papille.
Es ist hierbei wichtig zu bemerken, dass derlei sehnige Verfärhungen
der Papille nach der Iridectomie bei Glaucom fast regelmässig (Liehreich)
vorkommen, ohne dass damit nothwendig eine Gefahr für das Sehvermögen
ei'wüchsc. Bedenklich tind wirklich auf progressiven Schwund zu beziehen
sind sie nur, wenn damit eine Abnahme der Sehschärfe gleichen Schritt
hält. Manchmal jedoch erfolgt der Verfall des Sehvermögens nach der
Iridectomie überaus rapid und führt in der kürzesten Zeit zu völliger
Erblindung des Auges (Berlin, Mauthner).
4. Bei dem chronisch inflammatorischen und hei dem einfachen nicht
entzündlichen Glaucome ist der Umstand sehr misslich, dass die Kranken
meistens erst spät die ärztliche Hilfe ansuchen, zu einer Zeit, wo die
materiellen ^Veränderungen der Binnenorgane des Auges schon weit vor-
geschritten sind. Immerhin gelingt es auch liier nicht selten, seit kurzem
bestehende centrale Sehschwächen und selbst seitliche Einschränkungen aufzu-
hellen oder doch um ein Bedeutendes zu vermindern; wenigstens kann man
in der Mehrzahl der Fälle auf einen Stillstand des Processes, auf eine
dauernde Erhaltung des noch bestehenden Grades des Sehvermögens und
der materiellen Zustände der Binnenorgane hoffen. Im Ganzen hat man
um so mehr Grund zu einer günstigen Vorhersage, je früher die Operation
ausgeführt wird, je grösser die daraus rcsultirende Entspannung ist und je
rascher sich nach der Operation die Vorderkammer vneder füllt.
Wo der Entspannung nach Ablauf des Kammerwassers eine unvollständige
bleibt, da ist die Aussicht auf einen nur einigermassen günstigen Erfolg auf das
Tiefste herabzustimmen; meistens stellt sich die Kammer gar nicht mehr her und
die Biilbnsorgane verlieren unter den fortdauernden misslichen Verhältnissen als-
bald ihre Functionstüchtigkeit gänzlich (Oraefe, Mooren, Ed. Meyer). Es scheint,
dass unter solchen Umständen die Lederhantsclerose schon sehr weit vorgeschritten
sei und die einfache Iridectomie nicht mehr ausreiche, um der Bulbuskapsel einen
genügenden Grad von Elasticität wiederzugeben. In einzelnen Fällen mag dann
vielleicht die wiederholte Iridectomie am nachharlichen oder entgegengesetzten Quadran-
ten das Fehlende nachholen. In der Eegel jedoch genügt diese Operation nicht,
um die Degeneration aufzuhalten. Eine wichtige praktische Regel ist es, in diesen
Fällen unmittelbar nach der Operation den Druckverhand zu meiden , indem er
geeignet ist, den im Inneren des Bulbus herrschenden Druck missliebig zu steigern.
Auch wird in derlei Fällen dem künstlichen Blutegel Günstiges nachgerühmt
(Graefe).
Ausnahmsweise geschieht es auch wohl, dass tmmitfelhar nach der Iridectomie
die Resistenz des Bulbus bedeutend zunimmt, ja der Bulbus steinhart wird. Es ver-
laufen solche Fälle nach den bisherigen Erfahrungen überaus ungünstig (Liebreich).
Nach einigen Beobachtungen zu urtheilen scheint die Resistenzzunahme auf
massigen Blutaustretungen in den Glaskörper zu beruhen (Nagel).
Nicht selten stellt sich nach der Iridectomie die vordere Kammer nur lang-
sam und unvollständig oder gar nicht her, oder es verschwindet der mittlerweile
angesammelte Humor aqueus nach Ablauf von Wochen und Tagen wieder und
die Kammer hleiht entleert. Es sind solche Fälle von übler Bedeutung, da der
Defect des Kammerwassers auf tief greifende Störungen in den osmotischen Ver-
hältnissen der gefässreichen Binnenorgane und mittelbar auf weiter gediehene
materielle Veränderung-en derselben hindeutet. In der Tliat gelangen derlei Augen
nur selten zu einem befriedigenden Sehvermögen, obgleich diese HofFnunc; nicht
gänzlich ausgeschlossen ist (Maicthner),
Iridectomio licini sooniulüvoii, absoluten lilancoiii, Ihm glaucoinatOscr Degeneration. 3Gi)
Im Allg'omoincn treten beim chronisclicn einfaelien Glaueome die
günstigen Wirkungen der Irideciomie iveniger rasch hervor, als bei der
acuten Form, wo die Trübung der Medien, die zeitweiligen beträchtlichen
Circulationsstörungen etc. bei der Sehstörung concurriren und in der Iridec-
tomie ein rasch icirJcendes Gegenmittel finden. Es braucht oft Monate
und selbst länger, ehe die Besserung des Sehvermögens oder auch nur
der Stillstand des früher stetig fortschreitenden üebels mit Gewissheit nacli-
gewiesen werden kann. Es ist nothwendig, auf diesen Umstand den
Kranken aufmerksam zu machen, damit er von der Operation nicht zu
viel erwarte.
5. Für das secundäre Glaucom gelten im Grunde genommen die-
selben therapeutischen und prognostischen Regeln wie für das primäre und
reine Glaucom, so weit es sich nämlich um das Glaucom als solches handelt.
Auch hier ist es dringend nothwendig, die Drucksteigerung und die Exca-
vation nicht zu weit in ihrer Ausbildung vorschreiteu zu lassen oder abzu-
warten, bis die Circulationsbedingungen im Inneren des Auges durch die
Sclerose der Lederhaut sich für die Dauer minder günstig gestaltet haben.
Am besten thäte man freilich, wenn man die Iridectomie gleich 2^^'^I'^^y-
laläisch in Ausführung brächte. Jedenfalls soll man nicht länger zaudern,
wenn sich die Drucksteigerung deutlich kenntlich macht oder gar die Exca-
vation der Papille beginnt. Ohnehin verlangt das i)rimäre Leiden nicht
selten die Operation, um zur Heilung oder doch zum Stillstande gebracht
zu werden.
6. Gegen das absolute Glaucom, d. i. das Glaucom der ältei'en Schrift-
steller, vermag die Iridectomie nichts; man wird daher besser thun, die
Operation zu sparen, es wäre denn, dass häufige acute Anfälle, heftige
Schmerzen, lästige Chromopsien, Photopsien etc. zu einem directen thera-
peutischen Einschreiten aixtfordern. Bleibt dann aber die Operation ohne
Erfolg, so erscheint in dringenden Fällen die Enucleatio bulbi gei*eeht-
fertigt (Graefe).
7. In Fällen glaucomatöser Degeneration verschlimmert die Iridectomie
eher das Leiden, indem sie gemeiniglich zu reichlichen intraocularen
Blutungen Veranlassung gibt. Wo fortwährend entzündliche Anfälle oder
häufige Ciliarneurosen ein therapeutisches Einschreiten nothwendig machen,
ist die Enucleatio bulbi bei weitem vorzuziehen. Mitunter ist diese Operation
vom günstigsten Einflüsse auf die Therapie des anderen etwa noch heilungs-
fähigen Auges, da sie eine ergiebige Quelle sympathischer Reizungen stopft.
Wenn das zweite Auge frei, oder durch Iridectomie vor sympathischen
Reizungen einigermassen sicher gestellt, oder ebenfalls schon erblindet ist,
kann mau statt der Ausschälung wohl auch die künstliche Vereiterung des
Bulbus mittelst eines durchgezogenen Fadens (Graefe) in Ausführung bringen.
(Siehe Therapie des Sclerochorioidalstaphyloms.)
Quellen: Havier, Donders, kl. Monatbl. 1863. S. 502; A. f. O. IX. 2. S. 215. —
Dor, kl. Monatbl. 1865. S. 351. — Stdlwag, lieber doppelte Brechung etc. Denk-
•schriften der Wien. k. Akad. der Wiss. V. Wien, 1853. S. 62; der intraocul.
Druck. Wien. 1868. S. 34, 44, 47, 52. — Schehke, A. f. O. X. 2. S. 1, 18, 26,
44. — Jacobson, ibid. X. 2. S. 54. — Eaffmans, ibid VIII. 2. S. 124, 143, 147,
151, 153, 154, 156, 162, 165, 168, 171, 173. — Ed. Jaeger, Staar und Staarope-
rationen. Wien, 1854. S. 103, 104; "Wien. med. Wochenschrift. 1854. S. 36; Zeit-
.schrift der Wiener Aerzte. 1858. S. 465, 467, 486, 491 ; Einstellungen des diopt.
Apparat. Wien, 1861. S. 37, 42; Fig. 12—17; Handatlas, Fig. 52—60. — Graefe,
366 Glaucom; Quellen: Chorioiditis snppnrativa.
A. f. O. I. 1. S. 371, 375; I. 2. S. 299; II. ?. S. 291; IH. 2. S. 456: IV. 2.
S. 127; VI. 2. S. 150, 254; Vm. 2. S. 242; IX. 2. S. 105, 110; XU. 2.
S. 153; XIV. 2. S. 116; XIV. 3. S. 147; XV. 3. S. 108. — .4. Weher, ibid.
II. 1. S. 133, 141. — Sclmeigger, ibid. V. 2. S. 233; Vorlesungen über den Ge-
branch des Augenspiegels. Berlin, 1864. S. 127, 130. — Förster, A. f. O. III. 2.
S. 81; Congres ophth. 1867. S. 128. — Coccius, der Mechanismus d. Accom. S. 92,
95, 98; A. f. 0. IX. l. S. 1, 8, 12; Ueber Glaucom, Entzündung etc. Leipzig,
1859. S. 11, 15, 16, 18. — G. Braun, A. f. O. IX. 2. S. 222, 225, 226. — Alf.
Graefe, ibid. '^71. 2. S. 113. — Pagenstecher, Klin. Beobachtungen. Wiesbaden,
1860". I. S. 26, 39; H. S. 13; kl. Monatbl. 1869. S. 392, 396. — Mackenzie, Prakt.
Abhandl. etc. Weimar, 1832. S. 689. — Rothmund, Jahresbericht 186',. München,
1863. S. 10. — Tetzer, Wiener allg. med. Zeitschrift. 1862. S. 210. — Boinnan,
British med. journ. 1862. S. 377,'' 381; klin. Monatblätter. 1866. S. 267. —
Knapp. Dritter Jahi'esbericht. Heidelberg, 1865. S. 19; Canstatt's Jahresbericht.
1864. in. S. 155. — Crüchett, Ophth. Hosp. Rep. 11. S. 59. — Solomon, kl.
Monatbl. 1866. S. 116, 118. — Secondi, Clinica di Genova. Riassunto. Torino,
1865. S. 39, 51. — Busindli, Zeitschrift der Wien. Aerzte. 1859. S. 267, 269. —
Laqueur, Centralbl. 1869. S. 361—363. — Bydl, kl. Monatbl. 1869. S. 395; Wien.
Augenklinik. Bericht. S. 132, 142, 151, 153.— O.Becker, ibid. S. 29; kl. Monatbl.
1869. S. 397. — ArU, Wien. Augenkliuik Ber. S. 39; kl. Monatbl. 1869. S. 386. —
Mooren, ophth. Beob. S. 96, 177, 187, 195; über sjmp. Ophth. S. 141. 145. —
Heymann, kl. Monatbl. 1867. S. 147, 155. — Wegner, A. f. O. XII. 2. S. 1, 15,
18, 21. — Hutchinson, ibid. S. 1. — Homer, ibid; kl. Monatbl. 1869. S. 391,
396. — Wecker, ibid. S. 385, 387, 395. — Nagel, ibid. S. 388. 394. — Meyer,
ibid. S. 390. — Liehreich, ibid. S. 393, 400, 403. — Berlin, ibid. S. 402. — Reuss,
ibid. S. 400. — Hippel, ibid. S. 376. — Adamük, ibid. S. 380, 383; 1867. S. 327. —
Luhinski, A. f. O. XIII. 2. S. 378. — Arcoleo, Conferenze clin. S. 8. — Hacket Derhy,
Transact. am. ophth. soc. 1869. S. 35. — Cusco, nach Coccius, der Mech. etc.
S. 93. — Leher, A. f. O. XIV. 2. S. 216. — Landesherg, ibid. XV. 1. S. 204, 208. —
Maidhner, kl. Monatbl. 1869. S. 392, 402; Lehrb. d. Ophthscop. S. 271 u. f. —
StiUing, A. f. O. XIV. 3. S. 266. — Hasner, Prag. Vierteljahrschrift. 101. Bd. Lit.
Anz. S. 21.
4. Chorioiditis (Pauuplithalmitis) suppurativa.
Krankheitsbild. CJiarakteristiseh ist ausser den Symptomen der Entzün-
dung überhaupt, namentlich einer mehr weniger beträchtlichen ödematösen oder
chemotischen Schwellung der Lider und Bindehaut, das Auftreten einer gesät-
tigten eiterfarbigen Trübung in der Tiefe des Auges und die rasche völlige
Erblindung des letzteren.
1. Der directe Xachweis der chorioidalen Eiterherde ist wohl nur sehr
ausnahmsweise gestattet, da die dioptrlschen Medien von Anbeginn an mitleiden
und vennöge ihrer Trübung die ophthalmoskopische Untersuchung des
Augengrundes behindern. Ehe sich noch durch den Augenspiegel erkenn-
bare Eiterherde in der Aderhaut bilden können, wird immer der Glaskörper
in Folge entzündlicher Gewebswucherung seiner Durchsichtigkeit verlustig
und beurkundet auch wohl eine merkliche Volumsvergrösserung. Man findet
die entfärbte Iris sammt der Linse mehr weniger nach vorne gedrängt
oder gar der Cornea anliegend, und hinter der starren und gewöhnlich
auch beträchtlich erweiterten Pupille eine dißuse, an Dichtigkeit rasch
zunehmende, meistens gelblich grünliche Trübung, welche oft von einem
stärker refLectirenden Balken- oder Fachwerke durchzogen wird.
Doch ist auch dieses Symptom häufig unnachweisbar, indem neben
der eitrigen Aderhautentzündung gerne ähnliche Processe in den vorderen
Kr:iiil;li.>itsbiUl. 367
Theihn des Augapfels auftreten, die Kapsel »ohin oft gotvübt, die Pupille
geschlossen oder yerlegt, das Kamracrwasser cinfacli getrübt oder von einem
massigen Hj^popynm verdrängt, die Cornea durch eitrige Infiltrate opak,
theilweise vielleicht verschwärt oder gänzlich geschmolzen gefunden wird.
Die Diagnose der Chorioiditis suppurativa stützt sich dann nur auf
Symptome, welche in ihrer Gcsammtheit mittelbar auf jenes Leiden hin-
deuten, es wäre denn, dass bereits eine Oetfnung in der Augeukapsel
gegeben ist und das Hervorquellen von Eiter jeden Zweifel über das Vor-
handensein eines Eiterstockes im liintcren Augenraume beseitigt.
2. Ton diesen mittelbar auf Chorioiditis suppurativa hindeutenden
Erscheinungen ist nur eines ganz constant, nämlich das frühzeitige rasche
Erlöschen der Lichtempfindung ; alle anderen Symptome sind wandelbar und
machen das Bild der fraglichen Krankheit zu einem höchst wechsel-
vollen.
So trägt die Chorioiditis suppurativa sehr oft den Charakter einer
athenischen Entzündung und schreitet mit intensivem Fieber und heftiger localer
Nervenreizung einher. Die Lider ei'scheinen hoch aufgescliAVollen, tief gcröthet,
gespannt, heiss und sehr empfindlich gegen jeden Druck. Die Bindehaut
des Augapfels ist zu mächtigen bläulichrothen Wülsten aufgetrieben, welche
zur Lidspalte herausragen und den Bulbus ganz verdecken. Die Secretion
der Conjunctiva stockt, jene Wülste erscheinen daher trocken und von grau-
lichen, oft zu Krusten verdorrten und von ausgetretenem Blute gefärbten
Exsudatschwarten belegt. Der Augapfel selbst ist vermöge der entzündlichen
Anschwellung des Orbitalgefüges um ein Bedeutendes aus der Augenhöhle
hervorgedrängt, unbeioeglich und sehr empfindlich. Im Falle die Cornea und
Sclera ihre Continuität noch bewahrt haben, findet man ihn enorm gespannt
und hart; oft auch schon ansehnlich vergrössert. Die Hornhaut ist trüb
oder bereits in einen Eiterstock verwandelt. Der Kranke wird durch
Chromopsie und Photopsie gepeinigt und leidet an fürchterlichen Schmerzen,
welche nach dem Kervus frontalis und infraorbitalis ausstrahlen und
während den entzündlichen Exacerbationen oft geradezu unerträglich
werden.
In anderen Fällen sind trotz gleich rai^cher und massenhafter Eiter-
bildung alle Erscheinungen vjeit milder. Das Fieber ist schwach oder es fehlt
ganz, die Lider und die Bindehaut sind nur leicht geröthet, ödematös
angeschwollen, teigig weich. Die Conjunctiva sondert mehr weniger eiterigen
Schleim ab. Der Bulbus ist, falls kein Durchbruch statt fand, massig
gespannt, nur wenig oder gar nicht hervorgetrieben, beweglich und etwas
empfindlich gegen Druck. Die subjectiven Lichterscheinungen sind wenig
intensiv und machen sich nur zeitweise bemerklich. Die Schmerzen fehlen
bisweilen ganz oder beschränken sich auf ein Gefühl von Druck, Ziehen,
Pochen etc. mit geringer, nur periodenweise sich steigernder Heftigkeit.
Endlich kommen ausnahmsweise Fälle vor, wo die Lider und die
Bindehaut nur ganz wenig injicirt und geschwellt erscheinen, die Hyperämie
im Episcleralgewebe unbedeutend ist, der intraoculare Druck kaum merklich
zugenommen hat und die subjectiven Reizerscheinungen fast gänzlich mangeln,
obgleich vielleicht der Glaskörper und das Kammerwasser bei-eits von Eiter
völlig verdrängt sind.
368 Chorioiditis suppurativa ; Ursachen; Fremde Körper im Bulhus.
Ursaclien. 1. Als GelegenJieitsursachen fuugiren häufig in- und extensive,
traumatische oder chemische Schädlichkeiten: Erschütterungen, Schläge, Stösse,
Hiebe , Prellschüsse etc. mit und ohne Continuitätstrennung der Bulbus-
wand ; chemische Anätzungen , Verbrühungen , ^'erbrennungen ; die
mechaiusche Eeizeinwirkung einer zufällig oder künstlich in die Vorder-
kammer getriebenen oder lose in dem Augapfelraume herumschweifenden
Linse, eines intraocularen Cysticercus u. s. w.
Obenan stehen in dieser Beziehung jedoch verunreinigte Wunden. Fremde
Körper , ivelche an oder in dem Bulbus stecken gehlieben sind, führen der
Regel nach zu ausgebreiteten suppurativen Entzündungen und schliesslich
zur Phthisis des Augapfels, wenn sie nicht zeitlich genug entfernt iverden. Falls
der fremde Körper in der Hornhaut haftet, ist die Gefahr für den Bestand
des Auges als Ganzen allerdings eine mehr mittelbare, insoferne die eitrige
Entzündung sich häufig vorerst auf die Cornea beschränkt, der Eindringling
unter fortgesetzter Schmelzung des ihn umgebenden Gefüges gerne losge-
stossen und solchermassen weiteren Zerstörungen vorgebeugt wird. Oft genug
aber ptianzt sich der Wucherungsprocess fort auf die tieferen Organe, es
kommt zur Iritis, Iridochorioiditis und weiterliin nicht selten auch zur Phthise
des gesammten Aiiges. Ist der fremde Körper in die Kammer gelangt oder
in der Iris stecken geblieben , so ist der Augapfel gleich von vorneherein
mehr bedroht und geht am Ende meistens durch Eiterung zu Grunde ; nur
ausnahmsweise gescliieht es , dass die Entzündung sich in der nächsten
Umgebung des fremden Körpers abgrenzt und , indem sie blos plastische
organisirbare Producte liefert, eine Einkapselang anbahnt. Haftet der fremde
Körper in der Linse, so zerfällt diese gewöhnlich cataractös. Mitunter
kömmt es dann wohl vor, dass jener, von secundär metamorphosirten
Staarresten umhüllt, in der Kapselhöhle liegen bleibt und dauernd unschäd-
lich gemacht wird; gewöhnlich aber wird er unter fortschreitender
staariger Auflösung des Krystalles wieder flott, senkt sich, fällt in dem
Kammerraume zu Boden und veranlasst die heftigsten Eeactionen, welche
gemeiniglich mit A^ereiterung des Bulbus enden. Am grössten ist wegen
der schwierigeren Entfernung die Gefahr, wenn der fremde Körper in der
Ciliar gegend festsitzt oder im hinteren Binnenraume des Augapfels (S. 158)
lagert. Dann sind suppurative Processe in der Regel die unmittelbare Folge.
Es beschränkt sich wohl bisweilen die Eiterablagerung aitf den Wundkanal
und die nächste Umgebung des fremden Köipers. Gewöhnlich aber werden
über kurz oder lang auch die übrigen Bestandtheile des Augapfels in den
Eiterungsprocess verwickelt. Abkapselungen bei normalem Fortbestande oder
geringfügiger Betheiligung der entfernteren Partien des Bulbus kommen
allerdings auch hier vor. Allein sie sind eben so Ausnahmen , als
wenn der fremde Körper eine längere Zeit im Auge verharrt, ohne über-
haupt eine auffällige entzündliche Gegenwirkitng anzuregen und ohne von
Exsudaten umhüllt zu werden, vielmehr blosliegend mit Hilfe des Spiegels
im Augengrunde wahrgenommen werden kann (Graefe, Jacobi). Uebrigens
haben solche Einkapselungen im hinteren Binnenraume, auch wo sie gehngen,
nur selten Bestand, über kurz oder laug stellen sich wieder heftige Ent-
zündungen ein, welche den Ausgang in Phthise nehmen. Am ersten noch
ermöglichen kleine Metallsplitter und rundliche Körper ohne vorspringende
Ecken und Kanten, z. B. Schrottkörner, eine dauernde Incapsulation durch
Operationen; Covnealdurchbrücbe ; Secundäre Formen. 369
umschriebene Entzündung ; bei zackigen Splittern ist dies kaum jemals zu
gewärtigen ; am allerwenic/sten bei Trümmern von Zündhütchen , da bei
diesen ausser dem mechanischen Keize auch der chemische der anhaftenden
Stoffe verderblich wirkt (Graefe). Zündhütchen sind aber gerade die weit-
aus häufigsten fremden Körper, welche in den Augapfel eindringen ; die
Zahl der durch sie gesetzten Verletzungen, besonders bei Kindern, über-
wiegt um ein Vielfaches jene aller übrigen verunreinigten Bulbuswunden
zusammengenommen und ist auch absolut eine erstaunlich hohe (Boissoneau,
Cunier).
Ausserdem gehören zu den gewöhnlicheren Veranlassungen operative
Eingriffe. Abgesehen von der grösseren oder geringeren Reizwirlcung der
Operation als solchen concurriren hierbei mannigfaltige Verhältnisse. Vor-
erst lässt sich eine gewisse Disposition nicht läugnen. Wichtiger ist die
mit theilweiser Entleerung des Bulbusinhaltes verbundene und nach
Umständen wohl auch einige Zeit andauernde Herabsetzung des intraocularen
Druckes sammt deren unmittelbaren Eolgen , Circulationsstörungen , Bbit-
austretungen u. s. w. Die erste Rolle aber spielt in dieser Beziehung die
mechanische Reizwirkung von Linsentheilen , welche durch Wunden der
Kapsel Gelegenheit finden, in den Kammerraum zu dringen und dort mit
der Iris in Berührung kommen (Siehe Staaroperationen).
2. Durch Herabsetzung des intraocularen Druckes werden oft auch
geschwürige Durchbrüche der Cornea , namentlich wenn sie mit Entleerung
der Linse oder gar eines Theiles des Glaskörpers verknüpft sind, eine Quelle
für suppurative Augapfelentzündungen. Die letzteren können dann in
gewisser Beziehung als secundäre Affectionen aufgefasst werden, welche
ihre Begründung in einer Keratitis ulcerativa und weiterhin in einer
Ophthalmoblenorrhoe, Diphtheritis conjunctivae u. s. w. finden.
3. Es ist indessen kein Zweifel, dass die Chorioiditis suppurativa sich
auch im wahren Sinne des Wortes secundär, durch Fortpflanzung des ent-
zündlichen Processes von der Bindehaut, Hornhaut, Iris, vom Orbitalgefüge
{Biermann) etc. auf die Aderhaiit entwickeln könne. Bei der epidemischen
Cerebrospinalmeningitis (S. 199), bei der Encephalitis infantilis (S. 87) und
in manchen mit Meningitis einherschreitenden Eällen von Typhus, Puer-
perium, Pyaemie etc. scheint die Entzündung sogar von den weiclien Hirn-
häuten längs den Nervenscheiden auf die Binnenorgane des Bulbus über-
gehen und hier zu reichKchen Productausscheidungen Veranlassung geben
zu können.
Jedenfalls sind die unter den letztgenannten Verhältnissen auftretenden Oph-
thalmien ihrer Pathogenese und dem Wesen nach nicht immer vollkommen gleich.
In gewissen Fällen handelt es sich gewiss blos um heftige Blndehautcatarrhe , die
sich weiterhin mit Ve7-schiüärungen der Cornea paaren und so möglicher Weise das
Auge zu Grunde richten. Es dürften hier ähnliche Factoren zusammenwirken, wie
bei der neuroparalytischen O^ihtliahnie, vorzüglich beim Spedalsked (S. 88), da die
gefahrdrohenden Zustände immer erst dann zum Vorscheine kommen, wenn die
Lider nicht mehr geschlossen werden, also die Nervenleitung eine sehr beschränkte
geworden ist und mannigfaltige Schädlichkeiten auf den biosliegenden Bulbus
ungehindert einwirken können (Schirmer).
In anderen Fällen trägt jedoch die Ophthalmie von Anbeginn an den Cha-
rakter einer siqypurativen Iridochorioiditis , entwickelt sich unter heftigen Entzün-
dungssymptomen, unter starker Röthung, Schwellung der Lider und Bindehaut,
führt stets rasch zur Verlöthung des Pupillarrandes mit der Vorderkapsel, und
fördert mansenhaft eiterähnliche Producta, welche theils als Hypopyum in die
Stellwag, Augenheilkunde. 24
370 Chorioiditis suppurativa; Ursachen; Metastasen; Verlauf.
Kammer ergossen werden (Kreitmair) , theils den Glaskörper, namentlich den vor-
deren Theil desselben infiltriren; während das tiefe Sinken oder völlige Verlöschen
des Sehvermögens die innige Theilnahme des Uchtempfindenden Apparates bekundet.
Das Glaskörperinfiltrat verräth sich durch einen sehr auÖalligen hellgelben Wider-
schein, welcher sichtlich von einer dichten geschlossenen concaven Trübung aus-
geht, die unmittelbar der hinteren Linsenfläche anliegt und durch ihre Gefässlosig-
keit sich deutlich von einer ahgehoheiien, und au den Krystall herangedrängten Netz-
hautpartie unterscheiden lässt (Jacobi). Es ist dieser Reflex als charalcteristisch an-
erkannt, da er niemals fehlt, es wäre denn, dass die Linse bereits in den Wuclie-
rnngsprocess einbezogen und staarig getrübt ist , oder dass die Ophthalmie sich
nicht vollständig entwickelt hat, sondern aixf die //■('* heschränlct bleibt, ohne auf
die tieferen Bulbusorgane überzugehen. Man hat derlei suppurative Augenentzün-
dungen im Gefolge von Meningitis in den verschiedensten Stadien des Grundleidens
auftreten gesehen (Jacohi). Sie sind es vornehmlich, welche man durch Fortleitung
des Wucherungsprocesses längs der Nervenscheiden erklären zu müssen glaubt,
um so mehr, als auch anatomische Untersuchungen für einen solchen Hergang
sprechen (Schirmer).
4. Nicht selten hat die suppurative Panophthalmitis die Bedeutung
einer Metastase, sie ist durch Thrombose einzelner Binnengefässe begründet
{Virchow). Sie zeigt sich dann fast immer in Gesellschaft von Eiterherden
ähnlichen Ursprunges in anderen Körpertheilen. In diese Categorie gehören
die meisten Fälle jener suppurativen (3phthalmien, welche sich im Verlaufe
von pyämischen und puerperalen Processen, von anomal verlaufenden Blattern,
Masern, Scharlach, von Typhus, der Rotzkrankheit (Graefe) u. s. w., über-
haupt dann entwickeln, wenn die obwaltenden A'erhältnissc eine Aufnahme
deletärer, insbesondere eitriger und j au eiliger Stoffe in und durch das
Blut ermöglichen und begünstigen.
Manche Epidemien der genannten aaden Exantheme sind durch die Häiifig-
keit solcher eiteriger Augapfelentzündungen und sonstiger Eiterablagerungen über-
aus verheerend. Dann und wann dürfte auch die im Gefolge der epideinischen
Cereh7'Osj)inalmeni7ifjitis auftretende Ophthalmie den Charakter einer Metastase
tragen. Manche halten dies auf Grundlage einzelner beobachteter Epidemien sogar
für die Regel und stützen sich dabei auf den Umstand, dass auch hier wie bei
Pyaemie etc. eitrig seröse Ergüsse in die Gelenksböhlen, Pneumonie, Pleuritis u. s. w.
häufige Complicationen sind (Jacohi).
6. EndHch kömmt die Chorioiditis suppurativa als Folge eitriger
Schmelzung intraocularer Geschwülste, so wie als Ausgang tuberculoser
Localisationen (S. 320) vor.
Der Verlauf bis zur Acme ist fast immer ein sehr acuter; nur sehr
ausnahmsweise bedarf die Krankheit mehrerer Wochen, um ihren Höhenpunkt
zu erreichen und von da ab in subacuter oder chronischer Weise ihren
Ausgängen zuzuschreiten. Die hauptsächlichsten Differenzen, welche sich
im Verlaufe der Chorioiditis suppurativa geltend machen, betreffen den
Charakter des Processes und hängen mit diesem grösstentheils ab von dem
ätiologischen Momente.
1. So ist die durch intensive traumatische oder chemische Schädlich-
keiten hervorgerufene suppurative Aderhautentzündung in der Regel durch
sthenisehen oder gar hypersthenischen Charakter ausgezeichnet. Doch gibt es
von hier ab eine Menge von Gradahstufungen und es kann sogar geschehen,
dass die traumatische Chorioiditis suppurativa unter relativ unscheinbaren
Symptomen abläuft.
Bei Staaroperationen wird man dadurch in der That bisweilen über den Zu-
stand des Auges getäuscht. Die Lider schwellen blos ödematös an, sind wenig
geröthet, die Bindehaut sondert schleimigen Eiter ab, die Schmerzen sind gering
Verlauf; Ausgänge. 371
oder nur 'zeitweise lästig, die subjectiveii Licliterscheinuno'en sehr vveni^ auftällig,
das Fieber Null ; eröffnet man aber die Lidspalte, so findet man alle Zeichen einer
bereits weit vorgeschrittenen eiterigen Aderlianteutzündung.
Steckt ein fremder Körper im Auge, so Avocliseln jTcwölinlicli Anfälle
der lieftigstcii Kiitzüiulung' und oft auch wütliendcr Schmerzen mit mehr
minder betrüclitliclien Nachlässen und selbst gänzlichen Unterbrechungen;
weniger oft nimmt der Process einen mehr chronischen V^ erlauf, sein
Charakter schwankt Monate lang zwischen dem einer subaeuten Tridoehorioi-
ditis mit vorwaltend organisirbaren schrumpfenden Productcu und zeit-
weiligen Exacerbationen mit reichlicheren Eiterausscheidungen, bis der A.ug-
apfel in Folge eitrigen Durchbruches und der Entleerung des Eindringlings
oder in Folge der Umhüllung des letzteren von mächtigen neoplastischen
ScliAvarten, wenigstens zeitweilig, zur Ruhe gelangt.
2. Die Chorioiditis suppui'ativa, welche sich nach geschwürigen Durch-
brachen der Hornhaut entwickelt, bietet selten den stheyiischen Charakter dar,
meistens sind die Reizerscheinungen viel milder und namentlich die sub-
jectiven Symptome von geringerer Intensität. Der Verlauf ist gewöhnlich
ein subacuter.
3. Die metastatische Form entwickelt sich öfters unter ähnlichen
stürmischen Erscheinungen, wie die traumatische. Oft aber stehen die
begleitenden Erscheinungen ihrer Intensität nach in gar keinem Verhält-
nisse zu den Leistungen des Processes. Häufig kommt es sogar vor, dass
die Schwellung und Röthung der äusseren Hüllen des Bulbus unbedeutend
zu nennen sind und dass erst die rasche oder fast plötzliche Erblindung
des Auges den Arzt aufmerksam macht und ihn bestimmt, den Alterationen
in den Binnenorganen nachzuspüren, welche dann gewöhnlich schon xveit
vorgeschritten sind und oft den Augapfel im Laufe weniger Tage durch
Eiterung zerstören.
Diese Form der suppurativen Chorioiditis ist gleich der von epidemischer
Cerebrospinalmeningitis abhängigen häufig binoculär, indem entweder gleich
ursprünglich beide Augen ergriffen werden, oder indem der Process sich
erst nach Verlauf einiger Tage auf das andere Auge fortsetzt. Die übrigen
Arten der Chorioiditis suppurativa bleiben in der Regel auf ein Auge
beschränkt.
Ausgänge. Eine Heilung im engeren Wortsinne ist wohl nur in höchst
seltenen Ausnahmsfällen und dann möglich, wenn die Gelegenheit zum
Ausgleiche der Störungen im ersten Beginne der Krankheit, ehe diese noch
bedeutende Alterationen gesetzt hat, geboten wird. Im Allgemeinen wird
man sich zufrieden stellen müssen, wenn es gelingt, den Process in seinen
Anfängen zu ersticken, und wenn der erblindete Augapfel seine Form behalt,
oder in Folge eintretenden Schwundes nur wenig an Volumen einbüsst.
In den allermeisten Fällen schrumpft der Bulbus auf ein kleines miss-
staltetes Knöpfchen zusammen und dieses zwar in Folge einfacher Atrophie
durch entsprechende Verkleinerung sämmtlicher Formbestandtheile, oder in
Folge ivahrer Phthise, d. i. eitriger Schmelzung und theilweiser Entleerung
des Inhaltes des Augapfels.
Möglicherweise kann es vxnter luigünstigen Verhältnissen zur Aufnahme von
Eiterpartikehi in das Blut und zu deren höchst gefährlichen Folgen kommen. In
einzelnen Fällen hat man auch eine Fortpflanzung des Suppuratiousprocesses auf
die Gehii-nhäute mit meist tödtlichem Ausgange beobachtet (Qraefe).
24*
o
/2 Chorioiditis snppttrativa ; Ausgänge: Phthisis linlbi; Eiterdurchbrnch.
Am schlechtesten ist die Prognose bei der metastatischen und ganz
besonders bei der tuberculosen Form. Gewöhnlich geht der Kranke in Folge
des Allgemeinleidens früher zu Grunde, als der LocaJprocess im Auge bei
seinen Ausgängen angelangt ist. Kömmt der Patient mit dem Leben durch,
so wird der Bulbus meistens phthisisch oder ati'ophisch; selten, ja aus-
nahmsweise nur und bei sehr geringer Eiterproduction im Bulbus, wird
dieser bis zu einem gewissen Grade wieder functionstüchtig.
Bei der durch epidemische Cerebrospinalrneningitis begründeten Form
ist Schwund der reguläre Ausgang und macht sich oft schon frühzeitig durch
sehr auffällige Weichheit des Augapfels geltend. Doch wird mitunter auch
eitriger Durchbruch und in weiterer Folge Phthise des Bulbus beobachtet
CLindström).
Die phthisische Zerstörung des Bulbus wird nicht immer auf dieselbe
Weise eingeleitet. Meistens infiltrirt sich die Hornhaut ihrer grössten Aus-
dehnung nach, wird in einen Eiterstock verwandelt und schmilzt, worauf
sich der Inhalt des Bulbus zum grossen Theile entleert und der Rest der
intraocularen Gebilde unter fortgesetzter Eiterung consumirt und aus-
gestossen wird. Oefters geschieht dieses erst, nachdem die Sclerotica sich
unter der Wirkung des gesteigerten intraocularen Druckes theilweise oder
dem ganzen Umfange nach beträchtlich ausgedehnt hat. Deren Spannung
ist dann bisweilen so gross, dass die Berstung der Cornea unter einem
hörbaren Knalle erfolgt und der Inhalt des Augapfels auf eine grössere
Distanz herausgeschleudert wird. Auch kömmt es vor. dass in Folge dieser
abnormen Druckverhältnisse die Circulation und Xutrition eine wesentliche
Störung erleiden, die Cornea mit oder ohne einem Theile der Sclerotica brandig
abstirbt und so ein Ausweg für den eiterigen und theilweise vielleicht
schon nekrotischen Inhalt des Augapfels geschaffen wird. Xicht minder
werden auch Fälle beobachtet, wo der intraoculare Eiter sich durch ein
erweitertes Emissarium der Lederhaut eine Bahn bricht, oder wo die Sclerotica
in grösserem oder geringerem ITmfange durch Eiterung förmlich aufgelöst
wird und so die Entleerung der Augapfelhöhle ermöglichet.
Nach dem Durchbruche dauert die Eiterung immer noch eine Zeit
lang fort. Doch pflegen die entzündlichen Reizerscheinungen rasch und
stetig abzunehmen; die vordem oft unerträglichen Schmerzen sind häufig
sogar wie abgeschnitten. Immerhin kommen oft Fälle genug vor, in
welchen während der Dauer der intraocularen Eiterung eine beträchtliche
Schwellung und Eöthung der Bindehaut und Lider fortbesteht imd sich
übrigens auch eine sehr grosse Empfindlichkeit geltend macht, ja wo zeit-
weilig wohl auch heftige Schmerzen auftreten. Es geschieht dieses bis-
weilen trotz freiem Abflüsse des Eiters. Verlegt sich die AusgangsöflEnung
oder verwächst sie gar, so steigern sich die entzündlichen Erscheinungen
um so sicherer bis zum neuerlichen Durchbruche. Manchmal wiederholt sich
der ganze Vorgang sogar öfters, besonders wenn ein fremder Körper im
Auge steckt. Mitunter bringt der Durchbruch auch gar keine oder doch
nur eine sehr vorübergehende Erleichterung des Kranken mit sich, die Schwellung,
Eöthung etc. der Augengegend bleibt eine sehr bedeutende, die Schmerzen
bestehen ungeschwächt fort oder potenziren sich wohl gar, wüthen Tag
und Xacht mit geringen Eemissionen fort, strahlen über den ganzen Kopf
aus, rauben dem Kranken den Schlaf und brinsren ihn um so mehr her-
Anatomie phthisisclier Stümpfe.
373
Fig. 44.
a
unter, als das qualvolle Lcidcu unter solchen Umständen sich oft Wochen,
ja selbst Monate hinauszieht und überdies gerne mit Fieber einhergeht.
Zu allem dem kommt dann noch, dass bei Bestand einer heftigen Ciliar-
neurose und vornehmlich bei Vorhandensein eines fremden Körpers im
Biunenraume nicht gar selten der andere Bulbus in Mitleidenschaft ge-
zogen und durch Iridochorioiditis dem liuine zugeführt wird. Am Ende
schrtimpft der Bulbus mehr und mehr zusammen, die entzündlichen Reiz-
erscheinungen treten zurück, der Eiterausfluss hört auf und die Durchbruchs-
öffnung schüesst sich.
Der atrophische oder phthisische Stumpf zeigt sich als ein erbsen- bis
haselnussgrosses Knöpfchen mit glatter oder runzeliger Oberfläche, welches
meistens tief in die Orbita eingesunken erscheint. Die Lider sind dem
entsprechend nach hinten gezogen, unbeweglich und geschlossen. Bei
jugendlichen Individuen verengt sich mit der Zeit auch die Orbita, selbst
bis zu einem so hohen Grade, dass das ganze Gesichtsskelet eine auffällige
Difformität erlanart.
Bei der Untersuchung phthisischer Stümpfe (Fig. 44) findet man die Scierotica
meistens sehr verdickt, indem sich die Elemente derselben bei der Schrumpfung gleich-
sam über einander schieben. Die vordere Oeffnung der Sclera i.st mit einem kleinen
Scheibchen a neoplastischen Gefüges geschlossen, das
sich nur durch seine Trübheit und durch seinen Gehalt
an Pigment — aus der Iris — von der normalen
Hornhautsubstanz unterscheidet. Es wird oberflächlich
sehr oft von einem Stratum lockeren Bindegewebes,
; scheinbar einer Fortsetzung der Bindehaut, über-
kleidet. In der Höhle b des geschrumpften Bulbus
findet man fetzige Reste der pigmentirten Uvea, ge-
mischt mit neugebildeten sehnigen Balken und Häuten,
mit Klumpen organischer amorpher kernhaltiger, von
Fett und Kalkmolekiilen durchsetzter Masse. Auch
wahre Knochenconcreiuente c kommen darin bisweilen
vor. Aus dem atrophischen Sehnerven tritt meistens
ein Büschel bindegewebiger Stränge hervor, welche sich in der pigmentirten Aus-
füllungsmasse des Bulbus verlieren und die Ueberreste der untergegangenen
Netzhaut darstellen.
Stümpfe nach diffusen eitrigen Entzündungen verhalten sich meistens
viel indifferenter, als solche, welche aus chronischer Iridochorioiditis mit
Schwarten- und Knochenbildung hervorgegangen sind. Doch kommen aus
gleichen Ursachen wie bei diesen (S. 334) mitunter auch bei jenen heftige
Entzündungen vor, welche dann zu neuerlichen Durchbrüchen führen und
dem zweiten Auge auf sympathischem Wege gefährlich werden können.
Am meisten zu fürchten sind solche Ereignisse, wenn der Stumpf einen
fremden Körper in sich birgt. Da bleibt der geschrumpfte Augapfel auch
wohl zeitlebens sehr reizbar.
Behandlung. Die hauptsächlichsten therapeutischen Aufgaben zielen
natürlich auf Behinderung und Unterdrückung des rapid fortschreitenden
Wucherungsprocesses, somit auf Entfernung alles dessen, was die Eiterung
anregen und unterhalten könnte, weiters auf direcfe Bekämpfung der Entzün-
dung und auf Herbeiführung von für den Ausgleich der bereits vorhan-
denen Störungen möglichst günstigen ^Verhältnissen.
1. Die Causalindication fordert häufig schon im prophyl actischen
Interesse, eine sich aufblähende Cataracta zu extrahiren oder durch Iridec-
tomie unschädlich zu machen, wegen eines massigen Hypopyums oder eines
Ol-± Chorioiditis suppurativa: Behandlung: Entfernung fremder Körper.
Comealabscesses die Hornhaut zu paracentesiren, einen Orbitalabseess zu
eröfBaen etc. Von der allergrössten Wichtigkeit und niemals sw vernach-
lässigen ist die schleunigste und möglichst schonende Entfernung eines etwa
eingedrungenen fremden Körpers.
Das hierzu dienliche Verfahren wechselt selbstverständlich je nach dem
Sitze des Eindringlings. Lagert dieser in der Kammer oder ragt er fass-
bar in selbe hinein, so ist die Ausziehung durch einen linearen Hom-
hautschnitt zu bewerkstelligen und in der Eegel mit der Iridectomie zu
verbiuden (S. 298}. Haftet er in der Linse oder Kapsel, so empfiehlt mau
die Extraction des KrystaUes durch den Lappenschnitt unter gleichzeitiger
Ausschneidung eines Irisstückes. Letztere erscheint insbesondere nothwendig,
wenn der staarige Zerfall noch nicht weit vorgeschritten ist und wegen
drohendem Flottu: erden des Splitters auch nicht abgewartet werden darf.
Ist der fremde Körper in das Corpus ciliare eingedrungen und sitzt er
daselbst fest, was sich, abgesehen von dem Wundorte, öfters direct durch
die Sonde ermitteln oder aus der Empfindlichkeit der betreffenden Stelle
gegen leisen Druck errathen lässt, so muss unmittelbar darauf eingeschnitten
und der Schnitt nach Richtung und Länge dem Zwecke der Extraction
mögüchst genau angepasst werden.
Steckt der fremde Körper im HintertheHe des Binnenraumes, so kömmt
es vorerst darauf an, sich über seine Lage thunlichst zu orientiren.
Anfänglich kann er öfters noch mit dem Augenspiegel wahrgenommen werden,
oder man erkennt seinen Sitz aus einer dichten umschriebenen klumpigen
Glaskörpertrübung. Später ist diese oft schon sehr atisgebreitet, diffus und
verhüllt alles vollständig. Ein Sondiren der Eingangswunde ist dann sehr
geföhrlich, weil der vielleicht unmittelbar dahinter hegende Splitter leicht
losgestossen und tiefer in den Binnenraum hineingedrängt werden kann.
Mitunter hilft wieder das Betasten der Sclera mit einem Sondenknopfe
aus, indem sich der Sitz des fremden Körpers, falls er nahe an der äusseren
Bulbuswand hegt, gerne durch eine aufiallige Empfindlichkeit der bezüg-
lichen Lederhautpartie andeutet. Bisweilen findet man diese der Einschlags-
wunde gerade gegenüber und erhält so einen Fingerzeig dafür, dass der
Spütter dturch den Glaskörper hindurch bis zum entgegengesetzten Theile
der Bulbuskapsel vorgedrungen sein mag. In der Mehrzahl der FäUe jedoch
lagert der fremde Körper am Boden der Glaskörperhöhle etwas vor dem
Aequator (S. 158, Berlin). Ist die Lage des Eindringlings halbwegs fest-
gestellt, so kann die Lederhaut in nächster Nähe desselben, am besten
parallel dem Comealrande, eingeschnitten werden, wobei man jedoch wegen
dem Laufe der hinteren langen Ciliargefässe wohl thut, den horizontalen
Meridian des Auges zu meiden. Es entleert sich hierauf ein Theil des
Glaskörpers entweder von selbst oder unter einem leichten Drucke, welchen
man mittelst eines an geeignetem Orte der Sclera angelegten Daviel'schen
Löffels atif das Auge wirken lässt. Oft folgt auch schon der fremde Körper,
oder legt sich nahe an die Schnittwunde, so dass er gefasst werden kann.
Widrigenfalls bleibt freilich nichts übrig, als ihn mit den Armen der Zange
zu suchen und hervorzuholen. Im Ganzen jedoch scheint man besser zu
fahren, wenn man sich den Zugang zur Glaskörperhöhle durch die lineare
Extraction der Linse beschafft (Graefe, Berlin).
Directe Behaiullung. 375
Es lässt sich iiiclit liiugnen, dass nach ciiieni solchen Miiigriifo, namont-
üch wenn sich der Aiisziehiing grosse Schwierigkeiten in den Weg legen,
wenn sehr viel Glaskörper heransÜiesst, oder reichliche Blutungen eintreten,
der Augapfel sehr häufig ebenfalls durch Eiterung zu Grunde geht. Immcr-
liin geluigt es bisweilen, einen Theil der EunctionstüchtigkeiL oder wenigstens
die Form des Auges zu erhalten und im schlimmsten Falle läuft der Kntzün-
dungsprocess rascher und unter weit milderen Erscheinungen ab, gefährdet
nicht so leicht den zweiten Bulbus und setzt einen Stumpf, welcher weit
weniger empfindlich und zu neuerlichen Entzündungen minder geneigt ist,
als wenn der Splitter im Auge sitzen bleibt.
Im Falle der fremde Körper trotz aller Mühe nicht gefunden und
gefasst werden konnte , gebietet die Rücksicht auf die bevorstehenden
dauernden Leiden des Kranken und die Gefahr für das zweite Auge, den
fruchtlosen Extractionsversuchen unverweilt die Enucleation des Augapfels
nachfolgen zu lassen. Diese letztere Operation soll daher von vorneherein
schon in Aussicht genommen und der Kranke auf die eventuelle Nothwendig-
keit derselben aufmerksam gemacht werden.
Die schlechteste Politik ist jedenfalls, mit der Entfernung des fremden
Körpers zu zaudern und sich etwa mit der Hoffnung auf die Ausstossung
desselben durch Eiterung (Tetzer) odel* auf eine dauernde Einkapselung zu
tragen, da mit dem Fortschreiten der Entzündung, besonders bei der Neu-
bildung dichterer Hüllen und deren ^"erwachsung mit den Binnenoi'ganen,
die Bedingungen für eine Extraction immer ungünstiger werden und diese
am Ende ganz unausführbar wird ; weiterhin aber die Leiden des Patienten
und die Bedrohung des zweiten Auges schliesslich doch die Ausschälung
des Bulbus zur unabiüeisbaren Nothtvendigkeit machen können.
2. Die directe Behandlung ist im Wesentlichen eine entzündungswidrige.
Das Verfahren richtet sich vornehmlich nach dem jeiveiligen Charakter des
Processes. Bei geringer Hyperämie, leichter ödematöser Schwellung der
Umgebungen des Augapfels, bei schwacher oder ganz fehlender örtlicher
Temperaturerhöhung genügt es, neben gewissenhafter Erfüllung der Causal-
indication den kranken Bulbus mit einem trockenen lÄlppchen oder einem
Schutzverbande zu bedecken. B'ei stärkerer Hyperämie und Schwellung der
Theile und merklicher Temperatursteigerung sind zeitweilig und nach Bedarf
kalte lieber schlage zu appliciren. Diese können nöthigenfalls auch durch
örtliche Blutentziehungen unterstützt werden. Wo indessen die nervöse Reizimg
vorwiegt, oder die Ciliarneurose gar ausser Verhältniss zu den übrigen Ent-
zündungssymptomen ist, pflegen laue Ueberschläge besser zu bekommen.
Wo sie nicht genügen, ist die Anwendung der Narcotica zu empfehlen.
Bei wahrhaft sthenischem Charakter der Entzündung ist continuirliche und
energische Anwendung von Eisüberschlägen, wiederholte Application von Blut-
egeln, Verabreichung innerlicher kühlender Mittel, absolute antiphlogistische
Diät, mitunter auch wohl die Anwendung der Narcotica nothwendig.
3. Es reicht dieses Verfahren jedoch nur so lange aus, als der intra-
oculare Druck keine beträchtliche Steigerung erlitten hat und es auch zu
keiner massigen Eiteransammlung oder zu reichlichen Hümorrhagien im Ivmeren
des Auges gekommen ist.
Wo die Härte des Bulbus fühlbar zunimmt, oder sich ein massigeres
Hypopyum in der Kammer zeigt, muss die Cornea ohne Zaudern paracentesirt,
376 Chorioiditis suppurativa; Bebandlung ; Paracentesis ; Nachliehandlung.
und diese Operation nöthigenfalls mehrmals wiederholt werden, will man
die gänzliche Zerstörung des Augapfels hindern und den Kranken von
seinen oft wüthenden Schmerzen befreien.
Hat man Grund, einen nur einigermassen umfangreicheren Eiterherd
oder massenhafte Blut austretungen im Bereiche des hinteren Augenraumes zu
vermuthen, dehnt sich vielleicht gar schon die Sclerotica stellenweise aus,
so ist keine Zeit zu versäumen, sondern allsogleich ein meridionaler, mehrere
Linien langer Einstich in die Lederhaut zu machen, und so unter Abspannung
der äusseren Bulbuskapsel ein Ausweg für den Eiter zu schaifen.
4. Steht dem Ausflusse des Eiters kein Hinderniss mehr im Wege, so
muss je nach der Intensität des noch vorhandenen Entzündungspro cesses
entweder ein blosser Druchverhand angelegt und ein entzündungswidriges
Regimen eingehalten werden, oder es wird ein eingreifenderes antiphlogisti-
sches Verfahren nothwendig.
In Fällen, in welchen die Eiterung schon weiter gediehen ist, so dass
die Phthise des Bulbus unvermeidlich scheint, empfehlen sich ganz besonders
warme feuchte Ueberschläge , gleichviel loelches der Charakter des Pi'ocesses
sei. Sie sind dem Ki-anken oft angenehmer als kalte Fomente, fördern wohl
auch die Eiterung und kürzen sonach die Dauer des Processes ab.
5. Sollte sich die Eiterung sehr in die Länge ziehen und vermöge einer
übermässigen Production dem Kräftezustande des Kranken verderblich
werden, oder ein andauerndes qualvolles Leiden begründen und damit
etwa gar den zweiten Bulbus gefährden, so ist es vielleicht gerechtfertiget,
wenn man zur Ausschälung des Bulbus schreitet. Die Vermuthung eines
fremden Körpers im Binnenraume verschärft die Indication. Doch ist es
immer klug, einen Nachlass der heftigen Entzündungserscheinungen abzu-
warten, da die Operation , während dem Höhestadium des Processes vorgenom-
men, gerne übermässige Reactionen nach sich zieht und in einigen
Fällen sogar den Tod des Kranken durch Fortpflanzung der Entzündung
auf das retrobulbäre Zellgewebe und consecutive Meningitis herbeigeführt
hat (Graefe).
6. Hat die Litensität des Entzündungsprocesses sehr abgenommen und
befindet sich der im Inneren des Bulbus abgesonderte Eiter bereits auf
dem Wege der Resorption, oder ist die Eiterung unter allmäliger Schrumpfung
des Augapfels bereits sparsam geworden, so genügt immer ein einfacher
Druckverband. Er ist zu tragen, bis entweder Heilung eingetreten, oder
der Augapfel atrophisch oder phthisisch zusammengeschrumpft ist. Er
hält die äusseren Schädlichkeiten vom Auge fern, beschränkt einiger-
massen die Gewebswucherung, befördert die Eesorption, verkleinert auch
die eiternde Fläche und begünstigt gegenseitige Verwachsungen der sich
berührenden entzündeten Theile. Xur wenn eine bedeutende Erschlaffung
und krankhafte Secretion der Bindehaut zu bekämpfen sind , werden
nebenbei adstringirende Mittel anzuwenden sein.
7. Ist der Augapfelstumpf gegen Betastung der Ciliar gegend sehr
empfindlich, gelangt er eigentlich nie zur völligen Euhe, wiederholen sich
öfters ohne äussere Veranlassungen Anfälle von heftiger Ciliarneurose oder
förmliche Entzündungen, oder steht gar schon eine Betheiligung des anderen
Auges in Aussicht , so ist die Enucleation des Stumpfes dringend anzu-
rathen.
Quellen; Sclera; Anatomie. 377
Entwickelt sich in einem solchen Stumpfe plötzlich ein unter lebhafter
Gefäss- und Nervenreizung einhergehender Eiterungsprocess, welcher den
gewölinlichen antiphlogistischen Mitteln widersteht, so thut man vorerst
am besten, durch einen Einstich in den Bulbus eine theilweise Entleerung
des Inhaltes zu erzwingen. Die Leiden des Kranken werden solchei-masscn
oft rasch beschwichtigt und die Entzündung geht unter Anwendung lauer
Ueberschläge leicht zurück. Hat man Grund, Wiederholungen des Anfalles
zu fürchten, so kann man dann immer noch die Entfernung des Stumpfes
durch Enucleation bewerkstelligen, ohne die Gefahr einer übermässigen
Eeaction zu laufen.
Quellen: Graefe und Schweigger, A. f. O. VI. 1. S. 134, 144, 145, 154; VI.
2. S. 2(51, 267, 276. — Graefe, A. f. O. I. 1. S. 406, 408, 411; III. 2. S. 337, 353,
418; IX. 2. S. 79; XIV. 2. S. 120; 3. S. 146; kl. Monatbl. 1863. S 456; 1865.
S. 384. — Heymann, A. f. 0. VII. 1. S. 127. — Ed. Jaeger, Oesterr. Zeitschrft. f.
prakt. Heilkd. 1857. Nr. 2. — Schön, Beiträge zur prakt. Augenheilkunde. Ham-
burg. 1861. S. 92, 107. — Zander und Geissler, Die Verletzungen des Auges.
Leipzig und Heidelberg. 1864. S. 202, 211, 213. — Boissonneau und Cnnier, nacfi
Zander 1. c. S. 18. — Rothimmd, Jahresbericht 1861/2. München. S. 19. — Schir-
mer, kl. Mntbl. 1865. S. 275, -277. — Kreitmair, ibid. S. 384; Aerzt. lutelligenzbl.
f. Baiern. 1865. Nr. 21, 22. — Knapp, kl. Monatbl. 1865. S. 378; Canstatt's
Jahresbericht. 1864. III. S. 144; A. f. O. XIII. 1. S. 127, 173. — Jacohi, A. f. O.
XL 3. S. 156, 162, 165; XIV. 1. S. 138, 142. — Lindström, nach Jacobi 1. c. —
Virchoiü, dessen Archiv. X. S. 181. — Nagel, A. f. O. VI. 1. S. 220. — Arlt, Zeit-
schrift der Wien. Aerzte, 1859. S. 149. — Critchett, kl. Mntbl. 1863. S. 440, 442.—
Tetzer, Wiener med. Jahrb. 1866. 4. S. 9, 11. — Wecker, kl. Monatbl. 1867.
S. 36. — Biermann, ibid. 1869. S. 146. — Berlin, A. f. O. XIII. 2. S. 275, 298;
XIV. 2. S. 275, 279, 319, 324; Arch. f. Aug. u, Ohrenheilkde. L S. 150. — Schiess-
Gemuseus, A. f. O. XIII. 2. S. 389. — Wilson, Prag. Vierteljahrschrift. 97. Bd.
Ann. S. 66. — Diichek, Wien. med. Jahrb. 1868. 5. 6. S. 30, 31. — Eudneio,
Burzew, Virch. Arch. 41. Bd. S. 73.
SIEBENTER ABSCHNITT.
Die Entzündung der Lederhaut, Scleritis.
Anatomie. Die Lederhaut, Sclerotlca, Sclera, weisse oder harte Haut
des Auges, bildet eine sehr zähe und feste, wenig dehnbare elastische
Kapsel, welche allenthalben der Aderhaut und dem Ciliarkörper sehr enge
anschliesst und mit diesen Gebilden in organischer Verbindung steht. Sie
besteht aus Bindegewebe, dessen Elemente zu breiten Bändern vereinigt in
der ganzen Dicke der Membran ziemlich regelmässig abwechselnd der
Länge und Quere nach verlaufen und so auf senkrechten Durchsclmitten
eine Art lamellösen Baues hervortreten lassen , dessen einzelne Schichten
jedoch vielfach mit einander zusammenhängen. Ln Allgemeinen kann man
sagen, dass die Streichung der Fasern in den äusseren Schichten vor-
waltend meridional, in den inneren vorwaltend aequatorial sei. Eingewebt
3/8 Sclera; Anatomie; Schleram'scher Kanal; Hinterer Scleralkranz.
dariu findet sich ein feiues und dichtes Netz elastischer Elemente, welches
nach innen hin immer enger wird und die Lederhaixt gegen die Chorioidea
abschliesst (Henle). Von ihm gehen zahlreiche elastische Fäden in die
Aderhant ein. Zwischendurch lagert in dem Gefüge allenthalben körniges
Pigment in Klümpcheu , die ihrer Gestalt nach an die Stromazellen der
Uvea erinnern.
In einzelnen seltenen Fällen häuft sicli das Pigment in der innersten imd
äussersten Schichte des Scleralgefüges, so dass das Weisse des Auges fleckweise
ein dunkles, hläulichgraues oder schieferähnliches Colorit bekömmt (Talko).
Am vorderen Rande gehen die Bindegewebsfasern der Sclera unmittel-
bar in jene der Hornliaut über, wandeln sich in Cornealelemente um. Sie
haben daselbst einen fast ausschliesslich aequatorialen Verlauf und bilden
so einen festen Reif, welcher den Eaud der Hornhaut umfasst. Von dem
elastischen Netze dieses Reifes gehen einzelne Fasern in Begleitung von
Gefässen und Nerven in die Hornhautsubstanz ein. Vor dem Ringe, aber
noch innerhalb des Lederhautgefüges und ganz nahe der inneren Fläche der
Sclera, weichen die Bindegewebsbündel auseinander, um den Plexus eiliaris
venosus aufzunehmen, welcher früher als Schlemm' scher Kanal (Fig. 2,
S. 54: p) beschrieben wurde. Es setzt sich dieses Geflecht aus einer Anzahl
feiner Venen zusammen, von welchen die eine in der Regel die anderen
an Umfang übertrifft (Iwanoff, Rollet). Es läuft dasselbe rings um die
Peripherie der Cornea und stellt einerseits mit den Venen des Ciliar-
muskels, andererseits mit dem oberflächlichen Blutadernetze der Sclerotica
in Verbindung (Leber, Winther). Es wird von einer mehrschichtigen Lage
einer feinfaserigen elastischen, der inneren Gefässhaut ähnlichen Membran
begrenzt (Henle).
Nach hinten hin, iu unmittelbarer Nähe des Sehnerveneintrittes, ist
die Lederhaut am dicksten, da sich hier die äussere Scheide des Opticus
anlegt und in directen Verband mit dem Scleralgefüge tritt. Innerhalb
dieser Lederhautpartie liegt, den Nervenkopf umkreisend, der hintere Scleral-
gefüsskram (Ed. Jaeger). Er wird von zwei oder mehreren kleinen Gefässen
gebildet, welche nahe dem von der Scheide des Nerven und der Sclera
gebildeten Winkel in die Lederhaut eintreten und in ihrem Laufe um
den Nervenkopf herum zahlreiche Aeste sowohl zu diesem, als auch zur
Aderhaut abgeben, somit eine directe Verbindung des Ciliargefässsystems
mit jenem der Netzhaut herstellen (Leber). Ihre Verzweigung wechselt
sehr und so kömmt es, dass der Kranz öfters sehr unvollständig oder gar
nicht ausgebildet ist.
Ausserdem wird die Lederhaut von einer grossen Anzahl von Kanälen
durchbohrt, welche den Gefässen und Nerven der Uvea (S. 309) den Ein-
und Austritt gewähren und gleich dem Schlomm'schen von dichten Netzen
elastischer Fasern umsponnen sind (Henle). An der vorderen und hinteren
Zone sind diese Emissarien besonders dicht an einander gedrängt, aber fein
und ihre Richtung ist meistens ziemüch senkrecht auf die Oberfläche. Näher
dem Aequator sind sie spärlicher, aber von grösserem Caliber und gehen
sehr schief durch die Membran.
])ie Sclerotica enthält viele Nerven, welche in Bündel geordnet und
vielfach mit einander anastomosii'end ein weitmascliiges Netz bilden. Die
meisten dieser Nerven dringen, nachdem sie eine Strecke weit in der
Lederhaut verlaufen sind, durch, um zu den Binnenorganen zu gelangen.
Scleralgefiisse ; Episclcralgewebe; Senile Veriindcniiippii. 379
Eine Anzahl derselben jedoch endet im S der aJ gefüge selber, nachdem sie
ihre Markscheide verloren und sicli in feinste Fasern zugeschärft haben
(Helfreich). Nicht minder verzweigen sich in der Sclerotica zarte Gefässe,
welche aus den Ciliargefässen stammen.
Die äussere Oberfläche der Sclera löst sich in ein Stratum flockigen
Bindegewebes auf, welches am mittleren und hinteren Umfange der Leder-
haut sparsamer, locker und zottenähnlich ist und die Verbindung mit der
Scheidenliaut des Auges herstellt; am vorderen Ende aber kurzfaseriger,
dichter erscheint und unmittelbar in das subconjunctivale Gewebe über-
geht. Man kann diese Schiclite Episcleralgewebe heissen. Sie enthält ein
sehr feines und dichtes Adernetz, welches grossentheils aus den in diesem
Gewebe streichenden Ciliar gefäss stammen gespeiset wird. Am Umfange der
Hornhaut ist das Episcleralgewebe sehr stark entwickelt und ganz besonders
gefässreich, so zwar, dass es sich bei stärkeren Hyperämien wulstartig her-
vorwölbt und dann als Gefässkranz beschrieben wird.
Im gesunden Zustande wnci namentlich bei jugendlichen Individuen sieht man
von diesen Gefässen meistens blos die vorderen Clliararterien , welche gewöhnlich
zu zweien von den Stämmen der 4 geraden Augenmuskeln ausgehen, sehr geschlän-
gelten Laufes in der Richtung dieser Muskeln nach vorne ziehen und sich ein-,
seltener zweimal theilen, um dann mit 12 oder 15 Aesten , '/j — ^ Mill. von dem
Cornealrande entfernt, in die Lederhaut einzutreten. Da sie von der Bindehaut
bedeckt werden, erscheinen sie ziemlich dunkel gefärbt. Das ausserordentlich zarte
Nelz^ durch welches sie unter einander anastomosiren, wird nur bei einer Reizung
des Auges sichtbar, Ist eine solche Gelegenheit zu stärkerer Gefässeinspritzung
gegeben, so treten meistens auch die sonst unsichtbaren subconjunctivalen oder
episcleralen Venen heraus. Sie bilden ein zartes, durch bläuliche oder violette Farbe
ausgezeichnetes Geflecht um die Hornhaut herum, in welchem sich deutlich stärkere
Aeste unterscheiden lassen, die theils bogenförmig die Peripherie der Cornea um-
greifen, theils baumartig verzweigt erscheinen, theils direct aus der Lederhaut her-
vortreten und sämmflich in stärkere Stämme übergehen, welche vrnter zahlreichen
gegenseitigen Anastomosen in wenig geschlängelter Richtung nacli hinten ziehen,
um dann in der Uebergangsfalte zu verschwinden. Es sind diese Gefässe , sowohl
Blut- als Schlagadern, wegen der Straft'heit des Gefüges, in welchem sie lagern,
loenig oder nicht verschieblich und unterscheiden sich dadurch wesentlich von den
überlagernden Gefässen der Bindehaut, mit denen sie jedoch theilweise in Vei'bin-
dung stehen (Leber, Donders).
Senile Veränderungen. Die Greiseninvolution der Lederhaut äussert
sich vornehmlich durch Verminderung der dem Gefüge eigenthümlicheu
elastischen Dehnbarkeit und wird so Veranlassung zu Aenderungen der
haemostatischen Verhältnisse, welche bei Gegebeusein krankmachender
Ursachen gerne zu glaucomatosen Processen führen (S. 348). Der materielle
Grund dieser Elasticitätsabnahme steht im Zusammenhange mit Kalk-
ablagerungen, welche bei alten Leuten, namentlich im hinteren Theile der
Lederhaut, niemals fehlen sollen (Donders).
Nosologie. Die Entzündung der Sclerotica charakterisirt sich durch
Anhäufung junger Zellen, welche sieh durch Theilung und Endogeuese
vervielfältigen, die Intercellularsubstanz mehr imd mehr verdrängen und
dann auf Durchschnitten in Gestalt von Nestern eingelagert erscheinen. Die
Intercellularsubstanz scheiiit dabei wenig in ihrem Gefüge alterirt zu werden.
Nur bei in- und extensiven Processen trübt sich dieselbe durch mole-
culare Niederschläge und mehr minder reichliche Ausscheidungen von
körnigem Fette; auch wird dann eine gewisse Auflockerung, eine Art
Aufquelluug durch seröse Flüssigkeit mit daheriger Verminderung der
380 Scleritis: Nosologfie; Herpes: Episcleritis ; Sclerocliorioiditis.
normalen Eesistenz , und einige Vermehrung des Blutgehaltes auffällig.
Am Lebenden wird das Vorhandensein einer Scleritis häufig übersehen
oder doch erst in den Ausgängen, Ectasie oder Atrophie, erkannt.
Doch kommen allerdings auch Fälle vor, wo unter einem rapiden
Wucherungspro cesse das eigenthümliche Gefüge der Sclerotica nach vor-
läufiger starker Auflockerung und molecularfettiger Trübung stellenweise
fast ganz untergeht , und dann in eine matsche , in Fetzen zerreissliche,
brüchige eitergelbe Masse verwandelt wird, welche entweder den Charakter
des Eiters oder zerfliessenden Tuberkels (S. 320) trägt und von den
eigentlichen Elementen der Sclerotica kaum mehr eine Spur erkennen lässt.
Es ist ungewiss, ob die Scleritis jemals selbständig aufzutreten ver-
möge : bisher ist sie nämlich stets nur in Begleitung mid Abhängigkeit von
Entzündungen der nachbarlichen gefässreicheren Gebilde nachgewiesen worden.
Neben diesen Processen ist sie aber eine ganz gewöhnliche Erscheinung.
In der That scheint es, dass jede nur einigermassen heftigere Ent-
zündung der Hörn- und Bindehaut sich constant mit Scleritis vergesell-
schafte. NameutUch verläuft kaum eine Blenorrhöe, Diphtheritis, ohne
dass es zu nachweisbaren Zellenliäufungen in dem vorderen Scleral-
theile käme.
Ebenso ist auch der Conjunctivalherpes gar nicht selten von entzünd-
lichen Infiltrationen des Scleralbindegewebes und namentlich der Episclera
begleitet. In manchen Fällen entwickeln sich innerhalb dieser Herde
dichtere umschriebene Knoten , welche unzweifelhaft die Bedeutung her-
petischer Effloreszencen haben und mehr weniger tief in das derbe
eigentliche Lederhautgefüge eingreifen. Es sind diese Knoten dann mannig-
faltiger Ausgänge fähig. Oefters nämlich bilden sie sich einfach zurück. In
anderen Fällen obsolei-ciren sie , werden sehnen- oder knorpelartig, oder
verkalken förmlich. Manchmal vereitern sie, bilden kleine subconjunctivale
Abcesse, welche sich rasch ausbreiten. In einzelnen Fällen endlich kömmt
es zu tiefgreifenden Verschwärungen, welche zu partiellen Scleralectasien
oder gar zu Vorfällen der Uvea führen können.
Es scheint, dass dieser Process es ist, welchen man mehrseitig als Episcleritis
beschrieben hat (Mooren, Mannhardt). Mehr Berechtigung zu diesem Namen scheint
eine andere, viel seltenere Krankheitsform zu haben, welche sich durch ihren
chronischen Verlauf, durch äusserste Hartnäckigkeit so wie durch Neigung zu
Recidiven sehr lästig macht und durch ein mehr diffuses gelbliches gelatinöses Product
auszeichnet. Es entwickelt sich das letztere unter den Erscheinungen leichter
Ciliarreizung bei starker lujection des Episcleralgefüges und ödematöser Schwellung
der Bindehaut. Es sammelt sich au einer oder mehreren Stelleu zu grösseren
Mengen und hebt daselbst die Conjuuctiva bulbi empor (Heymann).
In ganz ähnlicher Weise wird die Lederhaut auch bei entzündlichen
Processen der Aderhaut und des Ciliarkörpers in Mitleidenschaft gezogen.
Es tritt dann die entzündliche Gewebsalteration bisweilen sehr deutlich in
der Lederhaut hervor und rechtfertigt die Bezeichnung des Processes als
Sclerochorioiditis.
Die Scleritis, wenn sie nicht zur Vereiterung fühi-t, hinterlässt häufig
keine Spur ihrer Existenz. Mitunter führt sie zu einiger Hypertrophie des
Gewebes oder wohl auch zu einer partiellen Sclerose desselben, sehr aus-
nahmsweise zu Verkalkungen (Pagenstecher). Häufiger sind theilweise Atrophien
der Endausgang, die Sclera wird an den betreffenden Stellen dünner und
scheint darum blaugrau durch. Selir oft ist die Scleritis auch der nächste
Scleralstaphylom ; Nosologie. 381
Grund von Ausdekmmgen der Lederhaut, indem sie durch Autlockerung die
Ilesistcnz des Gefüg'cs bedeutend vermindert und so dem intraoculareu
Drucke das Uebergewicht verschafft.
Die Unselbständigkeit der Scleritis macht eine genauere Erörterung
der Symptome, der Ursachen, des Verlaufes und der Therapie an diesem
Orte überflüssig.
Quellen: KölUker, Mikr. Anat. Leipzig. 1852. II. S. 606. — Ilenle, Hand-
buch der Anat. Braunsehweig. 1866. II. S. 588, 607. — Helfreich, Ueber die Nerven
der Conj. und Sclera. Würzburg. 1870. S. 24. — Pelechin, A. f. 0. XIII. 2. S. 423. —
Winther, Experimentalstudien etc. Erlangen. 1866. S. 13. — Rollet, Iwanoff, A. f. O.
XV. 1. S. 54. — Leber, Denkschriften der Wiener k. Akad. d. Wiss. 24. Bd.
S. 318, 324; kl. Mntbl. 1864. S. 426; A. f. 0. XL 1. S. 35, 38, 42, 47. — Ed.
Jaeger, Einstellungen des dioptr. Apparates. Wien. 1861. S. 52, 55. — Donders, Vijfdn
Jaarlijksch Verslag etc. Utrecht. 1864 S. 231, 260; kl. Monatbl. 1864. S. 422;
A. f. 0. IX. 3. S. 217. — Schehke, A. f. 0. X. 2. S. 33. — Wedl, Atlas, Cornea-
Sclera. — Sichel, A. f. O. III. 2. S. 226. — Graefe, ibid. S. 409. — Fugenstecher,
ibid. VII. 1. S. 117. — Talko, kl. Monatbl. 1869. S. 204, 209. — Biermann, ibid.
S. 91, 97. Schiess-Gemuseus, ibid. 1867. S. 83. — Knapp, A. f. O. XIII. 1. S. 136. —
Mannhardl, ibid. XIV. 3. S. 26. — Stavenhagen, kl. Beob. Riga. 1868. S. 69, 77. —
Mooren, Ophth. Beob. Berlin. 1867. S. 111.— Hegmann, Ophthalmolog. 1868. S, 22.
Das Scleralstaphylom.
Nosologie. Die Entwickelung eines Scleralstaphyloms setzt erstens
eine Verminderung der normalen Resistenz der Lederhaut, zweitens aber den
Fortbestand des normalen intraocularen Druckes voraus (S. 1, 132). Ver-
stärkungen dieses Druckes, wie selbe bisweilen durch Vermehrung des
Bulbusinhaltes sowie' durch kräftige gleichzeitige Zusammenziehungen der
vier geraden Augenmuskeln bedingt werden, begünstigen wesentlich solche
Ausdehnungen.
Es genügt bei Entzündlicher Auflockerung der Bulbuskapsel schon der
normale intraoculare Druck, um derlei Ectasien zu begründen. Nimmt nämlich die
Resistenz der Bulbuskapsel und sohin auch der Widerstand ab, welchen der Sei-
tendruck in den Binnengefässen findet, so muss bei unverminderter Triebkraft des
Blutes das intraoculare Stromgebiet sich so lange erweitern, oder Flüssigkeiten in
den Augapfelraum ausscheiden, als die Spannung der Bulbuskapsel mit dem intra-
ocularen Drucke nicht ins Gleichgewicht gekommen ist, mit anderen Worten: es
muss der Binnenraum so lange wachsen, bis die Cornea und Sclera der weiteren
Dehnung einen Widerstand entgegensetzen, welcher dem intraocularen Drucke die
Wagschale hält. Je grösser der letztere, um so mehr wird die Dehnung der Sclera
vorgeschritten sein müssen, ehe jenes Aequilibrium herbeigeführt ist, um so rascher
wird sich die Ectasie entwickeln und um so beträchtlicher wird sie sein.
Es sind diese Ectasien jedoch niemals auf die Lederhaut beschränkt;
immer wird das entsprechende Stück der Chorioidea mit ausgedehnt, da
Sclera und Aderhaut ihrer ganzen Fläche nach in innigem organischen
Zusammenhange mit einander stehen ; daher denn auch der Name Sclero-
chorioidalstaphglom ein mehr bezeichnender ist. Gewöhnlich indessen benützt
man diesen Namen nur für jene Ectasien, welche ihren nächsten Grund
in entzündlichen Geivebslockerungen der genannten Eormhäute finden, oder
doch entzündlich alterirte Theile zum Substrate haben, und stellt ihnen das
sogenannte Staphyloma posticum Scarpae gegenüber, welches in seiner Anlage
angeboren wird und bei welchem die partielle ßesistenzverminderung der
382
Totales Sclerochorioidalstaphylom: Pathologie.
Lederhaut auf einen ursprünglichen Bildungsfehler, auf eine mangelhafte
Enticickelung des Bulbus zu beziehen ist.
I. Das Sclerochorioidalstaphylom.
Pathologie und Krankheitsbild. Die Leder- und Aderhaut wird
bisweilen ihrem ganzen Umfange nach ausgedehnt. In anderen Fällen be-
schräiLkt sich die Eetasie auf einen oder den anderen Theil dieser Mem-
branen. Man unterscheidet daher totale und partielle Sclerochorioidal-
staphylome und theilt letztere je nach ihrem Sitze in vordere, seitliche
und hintere.
a. Das totale Sclerochorioidalstaphylom.
Es charakterish't sich durch bedeutende Vergrösserung und Gestalt-
veränderung des ganzen Äugapfels. Gewöhnlich nimmt nämhch die Cornea
oder eine die Hornhaut ersetzende Xarbe unter der Form eines Kerato-
globus (S. 133) oder beziehungsweise eines Narbenstaphylomes (S. 142) an
der Ausdehnung Theil; daher man ein derartiges totales Sclerochorioidal-
staphylom auch gerne mit dem Xamen „durchsichtiges oder narbiges Total-
staphylom des Bulbus" (S. 133) belegt.
Der Augapfel erscheint unter solchen Verhältnissen bald eiförmig
(Fig. 45), bald verkehrt eiförmig (Fig. 46), bald walzig, bald rundlich,
bald ganz irregulär. Die vordere Scleralöffnung ist fast immer sehr stark
erweitert, was eine beträchtliche Ausdehnung des Strahlenkranzes, der Ws
Fig. 45.
Fi-. iR.
und Zonula mit sich bringt. Die vordere LederiMur^'jne stellt sich dabei
in einen kleineren Winkel zur optischen Axe, oder wird dieser wohl auch
Krankheitsl)ilil ; Aiiatfuiüselie Voiliältnisse. 383
parallel, so dass die Sclerolica olinc Chviizfurclio uiimillelhar in die Periplierie
der Cornea übergeht.
Vermöge der enormen Vergrössorung springt der Bulbus aus der Orbita
hervor, baucht die Lider nach aussen und erschwort die Scliliessung der
Lidspalto. An seiner Oberfläche zeigen sich einzelne stark erweiterte
CiUargefässstämme. Die Sderotica wird entsprechend ihrer FUlchenzuiiahme
verdünnti und bekömmt wogen dem Durchscheinen des dunklen Augen-
grundes einen bläulichen oder schiefergrauen Ton. Ist der dioptrische
Apparat durchsichtig geblieben und die Stellung zur Lichtquelle eine
günstige, so reflectirt der des Pigmentes grossentheils beraubte Augen-
grund gerne rothes Licht oder er leuchtet förmlich auf (Amaurotisches
Katzenauge). Das Sehvermögen ist stets auf ein Kleinstes herabgesetzt,
gewöhnlich fehlt sogar jede Lichtempfindung.
Beim durchsichtigen Totalstaphylome ist die mächtig vorgetriebene
Cornea sehr verdünnt und hat oft einen leichten Stich ins Flaschengrüne.
Der Limhus conjunctivalis ist sehr verbreitert, da er an der Ectasie Antheil
nimmt. Die vordere Kammer zeigt sich in Tiefe und Umfang sehr ver-
grössert, von wasserklarem Humor aqueus ausgefüllt. Die liegenbogenhaut
ist häufig missfärbig wegen vorgeschrittener Atrophie. Ihre Breite hat
sehr zugenommen, indem ihr Ursprungskreis gewachsen ist, während die
immer sehr träge oder ganz starre Pupille nur wenig grossere Durch-
messer aufweiset. Nicht selten flottiri die Iris, da die Linse wegen Er-
weiterung der vorderen Scleralöftnung und der damit verbundenen Durch-
reissung der Zonula ihren Halt verloren hat und jene nicht mehr zu
stützen vermag. Oft findet man die Vorderkapsel sehr getrübt von ent-
zündlichen Auflagerungen, mit dem Pupillarrande verlöthet und die Linse
bereits staarig entartet.
Beim totalen Narben staphylome besteht selbstverständlich keine Vorder-
kammer, die Iris ist in dem den Bulbus nach vorne abschliessenden ecta-
tischen Narbengewebe aufgegangen (S. 143). Oft hängt der hinteren
Narbenwand die fast durchwegs cataractöse und nicht selten schon ver-
kalkte Linse an, ist demnach weit aus ihrem normalen Staudorte heraus-
gerückt, indem das Strahlenblättchen bei der allmäligen Ausdehnung der
vorderen Augapfelhälfte durchrissen und der Krystall nach vorne gezogen
wurde (Fig. 45, 46).
Die weiter hinten gelegenen Binnenorgane zeigen sich bei beiden Formen
des Totalstaphylomes immer weit vorgeschritten im Schwunde. Dieser kömmt
theils auf Rechnung der voraiisgegangenen heftigen Entzündungen, theils ist
er zweifellos aus der Dehnung und Zerrung der Häute zu erklären. Die
Vernichtung des Sehvermögens ist hauptsächlich darin begründet.
Der CiliarmusJcel ist meistens auf ein dünnes ki'eisförmiges Band geschrumpft,
das der musculären Faserzellen gänzlich entbehrt und lediglich den hindegewebigen
Charakter trägt, oder durch Obsolescenz in eine starre hyaline, zart faserstreitige
Masse übergegangen ist. Die Strahlenforts'dlze sind in die Breite und Länge gezogen,
aus einander gewichen, sehr abgeplattet und hei ungleichmässigev Dehnung der
Bulbuskapsel wohl auch aus ihrer meridionalen Richtung gedrängt und mannig-
faltig verkrümmt. Ihre innere Oberfläche ist öfters , doch hei weitem nicht immer,
mit kyklitischen Schwarten (S. 317) überkleidet, welche dann mit zottcnälmlichen
Fortsätzen in den Vordertheil des Glaskörpers hineinwachsen. Die Chorioidea ist
ausnahmsweise auf einzelnen Strecken noch erhalten, wenigstens kann man die
Choriocapillaris und Vasculosa mit der Fusca noch wohl unterscheiden. In der
Regel jedoch offenbart sich allenthalben loeit gediehene Atrophie, die Gefässe der
384 Partielles Sclerochorioidalstaphylom : Pathologie: Krankheitsbild.
Choriocapillaris und Vasculosa sind bis auf geringe Reste oder völlig unterge-
gangen; die Stroviazellen finden sich nur mehr spärlich und zumeist im Zustande
der Verfettung; das Pigment ist verblasst und sehr vermindert, oder bis auf ein-
zelne Häufchen von Körnern vollkommen verschwunden; als Grundlage fungirt ein
zartes Fasernetz, welches von der elastischen Membran gedeckt wird und mehr
minder fest der Sclera anhaftet. Mitunter ist die Chorioidea wohl auch auf eine
dünne Lage hj'aÜner starrer trockener Substanz geschrumpft, in welcher sich blos
eine undeutliche Faserstreifung wahrnehmen lässt und welche sich von der Leder-
haut nur in kleinen Schuppen und Bröckeln abtrennen lässt. Doch stösst man
manchmal auch auf Fälle, wo die Aderhaut in Folge vorausgegangener üppiger
Witcheiungsprocesse und späteren Schwundes sich als eine streckenweise ziemlich
mächtige Schichte einer blassen krümlichen, von Kernbildungen durchstreuten
Masse darstellt, die von einem zarten weitmaschigen Fasernetze, dem L'^eberbleibsel
des Aderhautstromas, zusammengehalten wird. Die Laraina elastica verhält sich oft
ziemlich normal, eben so oft jedoch ist sie sehr verdickt und dann gewöhnlich mit
zahlreicheu choloiden Kugeln bedeckt. Das Tapet ist immer in sehr hohem Grade
rareficirt , die einzelnen Epithelzellen sind auseinander gerückt und bilden oft
grosse Lücken ; einzelne erscheinen vergrössert, abgeplattet und mit ganz unregel-
mässigen L^mrissen; ihr Farbstoff ist sehr verblasst, die einzelnen Körner desselben
sind ohne Ordnung in der Zellenhöhle vertheilt und im Ganzen vermindert;
stellenweise erscheinen die Tapetzellen ganz pigvientlos, geschrumpft und mit einem
trüben I;: halte gefüllt, stellenweise jedoch kommen mitunter auch Gruppen von
Zellen vd'-, welche von dunklem Pigmente vollgepfropft sind und ihrer massigen
Anhäufunc: sowie der sehr wandelbaren Gestalt nach für neugebildet erklärt werden
müssen. Die unter der Aderhaut ziehenden Ciliamerven sind zum Theile marklos,
hyalin und durchscheinend, zum Theile ganz iintergegangen ; daher denn auch
Ahnahme der Sensibilität der Hornhaut und Iridoplegie zu den gewöhnlichen Er-
scheinungen gehören. Die Netzhaut ist iu der Regel auffällig trüb und gefässarm,
merklich atropldrt und verdünnt, bisweilen gerade in nächster Nähe der Gefässe,
so dass diese beiderseits von florähnlichen durchscheinenden Bändern eingefasst
erscheinen (Schiess). Die Limitans ist oft lückenhaft (Wedl). Manchmal ist die
Retina von der Chorioidea abgehoben. In anderen Fällen lassen sich von ihr nur
mehr bindegewebige pigmentirte Reste nachweisen, welche der Aderhaut fest an-
kleben. Mitunter ist die Retina wohl auch gänzlich untergegangen, oder auf wenige
fetzenähnliche Ueberbleibsel reducirt, welche, ^n dem Sehnerveneintritte haftend,
in dem hinteren Augenraume flottiren. Die Sehnervenpapille ist, da der Nervus
opticus in den meisten Fällen atrophirt, gewöhnlich stark verfärbt. In sehr vielen
Fällen erscheint sie ausgehöhlt, ähnlich wie beim Glauconi. Der Glaskörper ist,
wenigstens in seiner Idnteren Hälfte, fast immer verflüssiget und das Fluidum
flockig getrübt. Die vordere Hälfte des Corpus vitreum pflegt sich länger zu er-
halten und zeigt nicht selten bindegewebige Neubildungen in ihrem Inneren (Wedl,
Schweigger, Schiess- GenuiseusJ.
b. Das partielle Sclerochorioidalstaphylom.
Dasselbe präsentirt sich als ein dünnwandiger, bläulichgrün bis dunkel
schiefergrau gefärbter , durchscheinender also durchleuchtbarer Hügel,
welcher sich mehr weniger über die Oberfläche der umgebenden Scleral-
partien erhebt. Es tritt oft steil oder gar mit halsförmig eingeschnürtem
Fusse hervor und stellt dann, einen scharf begrenzten rundlichen blasenähn-
üchen Knopf von Hirsekorn- bis Bohnengrösse dar, dessen Oberfläche bald
glatt, bald von einspringenden, kreuz und quer ziehenden Sehnenstreifen
gefurcht ist und so das Aussehen einer Beerentraube gewinnt. In anderen
Fällen stellt das Staphylom einen flachen Buckel mit glatter Oberfläche und
ganz undeutlichen Grenzen dar, dessen Durchmesser oft kaum eine Linie
erreichen, oft aber auch sehr bedeutende sind, indem die vordere oder
hintere Hälfte eines Quadranten der Lederhaut, ja noch grössere Portionen
Pathol. Aiiatomii'
385
Fig. 47.
derselben, ectatisch werden. In manchen Fällen formirt das Staphylom
einen langen und breiten, durch einspringende sehnige Balken in unregel-
mässige blasige Vorsprünge abgetheilten
Wulst, welcher den Augapfel in kleinerem
oder grösserem Bogen umgibt. Man findet
solche Wülste in den verschiedensten Zo-
nen der Lederhaut, z. B. in der äquato-
rialen (Fig. 47). Am häufigsten kommen
sie aber in der vordersten Scleralzone vor
(Fig. 48, h).
Die Wandung des Staphylomes besteht
aus meistens stark pigmentirtem Lederhaut-
gefüge, welches durch die vorausgängigen
Entzündungen und die beträchtliche Dehnung
mehr weniger gelitten hat. Es scheint gewöhn-
lich stai'k gebilbt durch moleculäre Nieder-
schläge und oft ist auch seine Fase7-ung min-
der deutlich oder blos nach gewissen Richtun-
gen scharf ausgeprägt. Die innere Oberfläche
der Blase erscheint constant überkleidet von
einem pigmentirten, bräunlich oder schwarz
gefleckten , innig anhaftenden zarten Häutchen , dem Reste der mit der Sclera
ausgedehnten Uvealpartie. Es lässt sich dieses Häutchen in der Regel kaum
mehr trennen von der unterlagerndeu Sclerotica. Das Uvealgefüge ist in demselben
bereits ganz unkennbar geworden , in eine unbestimmt faserstreifige , gefäss- und
nervenlose Masse atrophirt, in welcher wechselnde Mengen von Pigmentzellen ein-
gelagert sind, die zum Theile noch rundlich und reich an Farbestofl", zum Theile
pigmentarm, eckig, sehr in die Länge gezogen oder gar zu spindeligen pigmen-
tirten Fasern ausgesponnen erscheinen. Oft unterscheidet man noch deutlich die
Lamina elastica, auf deren Innenwand das stark rareficirte Tapet sitzt. Die Höhle
des Staphyloms ist selten mit festen entzündlichen Producten , fast immer mit
wässerigem Fluidum gefüllt. Die Netzhaut zieht bisweilen frei über den Fuss des
Staphyloms hinweg. Nicht selten aber zeigt sie daselbst eine entsprechende Aus-
bauchung, welche sackartig in die Concavität des Staphyloms hineinragt. Oefters
ist die Netzhaut auch mit der Innenwand des Staphylomes fest verwachsen, sie
überzieht die letztere als ein zartes florähnliches Häutchen, das aus netzförmig ge-
webten Bindegewebsfasern mit eingelagerter Molecularmasse besteht, keine Spur
von nervigen Elementen und Gefässen, wohl aber wechselnde Mengen Pigment ent-
hält und von der meistens lückenhaft gewordenen Limitans überkleidet wird (Wedl,
Schweigger, SchiessJ.
In der nächsten Umgehung des Staphyloms findet man die Sclera öfters stark
hyperämirt, von einem trüben serösen Infiltrate aufgelockert und von entzündlich
veränderten Bindegewebskörpern durchsetzt. Die Aderhaut pflegt im weiten Um-
kreise oder ihrer ganzen Ausdehnung nach die Charaktere des entzündlichen
Schivundes, besonders durch starke Pigmentrareßcation, zu verrathen. Doch kömmt
es auch vor, dass trotz der Dehnung, welche die Aderhaut im Ganzen zu erleiden
hat, die Vasculosa und Choriocapillaris gut erhalten ist, die Gefässe der letzteren
wohl gar erweitert scheinen, und überdies die Tapetzellen bei auflfälliger Kleinheit
dicht aneinander gedrängt stehen, also offenbar auf eine reichliche Neubildung hin-
weisen (Schtoeigger). Die grösseren Gefässe der Vasculosa brechen an dem Fusse
des Staphyloms rasch ab, oder überschreiten denselben nur um ein geringes, um
dann zu verschwinden. Dasselbe geschieht auch mit den in der Lamina fusca
streichenden Ciliarnerven, daher bei einigem Umfange der Staphylomöftnung in der
Regel eine Verminderung der Cornealsensibilität und Motilitätsstörungen der Iris
bemerkt werden. Auch die Netzhaut ist oft in weitem Umfange oder der ganzen
Ausdehnung nach atrophirt. Nicht selten hängt sie streckenweise der Aderhaut an
und ist dann innerhalb dieser Bezirke immer auf ein zartes bindegewebiges, mit Pig-
ment durchsetztes Häutchen geschwunden. Der Sehnerveneintritt erscheint häufig
excavirt.
Stellwag, Augenheilkunde. 25
386 Sclerochorioidalstaphylom ; Symptome; Ursachen; Entzündung; Hyperämie.
Im Ganzen zeigt die anatomische und ophthalmoskopische Unter-
suchung des Auges gewöhnlich deutliche Spuren einer abgelaufenen aus-
gebreiteten und intensiven Entzündung der Uvea und Netzhaut nebst
Trübungen der dioptrischen Medien, Verflüssigung des Glaskörpers u. s. w.
In Folge dieser Veränderungen ist das Auge meistens bis auf quantitative
Lichtempfindung oder völlig erblindet. Doch kommen ausnahmsweise auch
Fälle mit vorderen Sclerochorioidalstaphylomen vor, in welchen die hinteren
Partien der Netzhaut noch normal functioniren, also blos Einschränkungen des
Sehfeldes gegeben sind.
Falls Trübungen den Augengnind nicht decken, erkennt man derartige Sta-
phylome mit dem Augenspiegel leicht an einem mehr weniger scharf begrenzten, oft
ringsum stark pigmentirten, verschieden geformten, schmutzig grauvveiss oder bräun-
lichgelb gefärbten und mit dunklem Pigmente ganz unregelmässig bestreuten Fleck,
dessen Ausbauchung sich durch die Lage der darüberziehenden Netzhautgefässe,
jedenfalls aber durch die nach der Richtung der Spiegelaxe wechselnden Schatten
beurkundet. Bei sehr umfangreichen Staphylomen macht sich die Ectasie nicht
selten schon dem freien Auge durch den Reflex weissen Lichtes bemerklich. Die
Diagnose bedarf übrigens dieser Symptome kaum. Selbst hintere Staphylome wer-
den nämlich leicht dadurch in Sicht gebracht, dass man das Auge möglichst stai'k
nach einwärts oder auswärts richten lässt und dann die betreifende Lidcommissur
stark zurückdrängt.
Ursachen. 1. Einige seltene Ausnahmsfalle abgerechnet, ist die frag-
liche Ectasie constant eine Folge der Sclerochorioiditis, genauer gesagt, der
mit der Entzündung verbundenen Lockerung des Scleralgefüges und des
intraocularen Druckes. Totale Sclerochorioidalstaphylome resultiren immer
nur aus einer totalen Sclerochorioiditis. Das partielle Sclerochorioidalstaphylom
hingegen kann ebensowohl aus einer totalen als partiellen Sclerochorioiditis
hervorgehen.
aj Die durch Entzündung allein begründeten Ectasien können an
jedem beliebigen Punkte der Lederhaut auftreten. Charalcteristisch ist ihnen
eine sehr geringe Convexität des Gipfels und grosse Flachheit der Seiten-
wandungen, welche letztere sich ganz allmälig, ohne deutlich markirte
Grenze, in die nicht ausgedehnten Lederhautportionen verlieren. Es hängt
dieses damit zusammen, dass die Entzündungsherde in der Regel nicht
scharf begrenzt sind, dass also auch die Resistenz nur ganz allmälig gegen
das Centrum des Herdes hin abnimmt.
h) In sehr vielen Fällen wirken nehst der Eitzündung passive
Hyperämien der Ciliargefässstämme bei der Entwickelung von Sclerochorioidal-
staphylomen mit. Wo nämlich eine grössere Anzahl von Gefässen dicht
an einander gedrängt die Sclerotica durchbohrt, ist das Gefüge der Leder-
haut ohnehin sehr porös und somit weniger widerstandsfällig. Kömmt
dann noch eine Ausdehnung dieser Gefässe und sohin auch ihrer Durch-
gangscanäle hinzu, so bedarf es nur einer geringen serösen Durchfeuch-
tung und entzündlichen Lockerung, um selbst dem normalen intraocularen
Drucke das Uebergewicht zu verschaffen und die betreffende Stelle der
Sclera zum Nachgeben zu zwingen. Die solchermassen entstandenen
Ectasien sind in der Regel scharf begrenzt und steigen steil, oft mit hais-
förmig eingeschnürtem Fusse, aus der Sclerotica empor, stark convexe
Blasen bildend. Entsprechend der anatomischen Vertheilung der Gefäss-
canäle finden sich derlei Staphylome auch vorwaltend an der hinteren und
vorderen Lederhautzone, ausserdem aber im Aequator der Sclerotica.
Stapliyloma corporis ciliaris, aiiriuhuv; l'ath. Anatomie.
387
Die an der vorderen Zone der Lederhaut vorkommenden Kctasien
dieser Art, auch Staphylomata corporis ciliaris <)'enannt (Sichel), treten
gewöhnlich haufenweise auf und bilden einen zusammenhängenden, mehr
weniger breiten Wulst, welcher die Hornhaut in kleinerem oder grösserem
Bogen umgürtet und darum auch mit dem Namen Staphyloma annulare
belegt 'ZU werden pÜegt.
Bei der anatomischen Untersuchung im Entstehen begriifener Ectasien dieser
letzteren Art findet man an der inneren Fläche der vorderen Lederhautzone eine
Menge von Lücken in den innersten Scleralschichten , welche durch zwirnfaden-
dicke bis ^/^ Linien lange, meridional ziehende, den innersten Schichten zuge-
hörige Balken von einander getrennt sind und in blinde taschenartige Räume
führen, die von den ectatischen äusseren Scleralschichten gebildet und von aussen-
her als jene bläulich durchscheinenden Wülste gesehen werden.
c) Oft entwickelt sich das Staphyloma sclerochorioidale anticum oder
annulare aber auf eine andere Weise. Wenn bei Vorhandensein einer
Hclerochorioiditis die Lockerung des Gefüges noch durch Blutstauungen im
Bereiche der Ciliargefässe erhöht wird, berstet bisweilen unter dem Ein-
flüsse des intraocularen Druckes die dünne Scleralschichte, welche den
venösen Ciliarplexus von innenher überkieidet, worauf dann die mehr dehn-
baren misseren unverletzt gebliebenen Substanzlagen der Lederhaut ausge-
baucht und hervorgetrieben werden.
Im ersten Beginne erscheint die äussere Oberfläche der betreffenden Scleral-
zone völlig vinverändert. Bei der anatomischen Untersuchung findet man knapp
hinter dem Rande der Descemeti, gedeckt von dem Ciliarmuskel, im Scleralgefüge
eine mehr weniger lange, der Hörn-
hautperipherie concentrisch ver- - ^'
laufende flache Furche (Fig. 48 a)
mit etwas wulstigen burgzinnen-
ähnlich gezackten Rändern, welche
von den auf sich selbst zurück-
gezogenen Enden der geborsteneu
Faserlagen gebildet werden. Unter
fortgesetzter Wirkung der mecha-
nischen Verhältnisse wird die
Furche immer breiter, indem die
den Boden bildenden äussei-en
Scleralblätter mehr in meridionaler
Richtung gedehnt werden und so
auf Kosten ihrer Dicke sich ver-
längern. Am Ende werden sie
durchscheinend und machen, dass
ein bläulicher Bogen am vorderen
Scleralrande äussei'lich sichtbar
wird. Während dieses geschieht,
nimmt die Furche auch an Länge
zu und schreitet an beiden Enden
im Umkreise der Hornhaut fort.
Weiterhin bauchen sich
die solchermassen gespannten
äusseren Schichtlageu der Leder-
haut nach aussen in Form von bläulichen oder selbst schwärzlichen Längsbuckeln,
welche, durch sehnige weissgraiie von voi'ne nach hinten ziehende Fäden getrennt,
eine abwechselnde Reihe von vorspringenden Längsriffen und einspringenden
Zwischenthälern formiren und einen grösseren oder geringeren Bogen der Corneal-
peripherie, höchst selten dieselbe ihrem ganzen Umfange nach umsäumen.
Bisweilen geht die Ausdehnung stellenweise noch weiter, während die Furche
sich um die Cornea herum fortsetzt und mehr und mehr verbreitert. Es verschwin-
388 Sclcrocliorioidalstiiphylom; Ursachen: Geschwüre u. Dnrchhruche der Lederhauf.
den dann an der Aussenfläche die regulären Längsriffe und es tritt an dieser Stelle
die Lederhaut in Gestalt eines sclimutzigbläulichen, drusigen, beeren- oder trauben-
ähnlichen, erbsen- bis nuss grossen Tumors h hervor, welcher sich in die Lidspalte
drängt und deren Schliessung oft erschwert, jedenfalls aber die Axe des Auges
schief stellt.
Diese enorme Flächenvergrösserung der vorderen Scleralzone ist nicht blos
durch Dehnung der ursprünglicli den Boden der Furche bildenden Theile der
äusseren Lederhautschichten zu erklären, es findet auch ein Zuzug von Scleralsuh-
stanz an die Wandung des Risses statt. Während nämlich die durchrissenen inneren
Blätter der Sclera völlig entspannt sind und ihre Rissenden in Gestalt zweier
Wülstchen c und d sich von der Furche zurückziehen, haben die äusseren Blätter
die ganze Gewalt des intraocularen Di'uckes auszuhalten. Es dehnen sich dem-
zufolge auch die jenseits der Grenzen der Furche gelegenen Theile derselben aus.
Indem diese aber dem Zuge nachgeben, werden sie von den unterliegenden Schich-
ten abgetrennt vind deren Rissränder weichen immer mehr aus einander. Besonders
deiitlich wird dieses an der vorderen Grenze des Staphyloms. Es werden nämlich
durch den Zug der äusseren Scleralblätter die vorderen Lamellen der Cornea ge-
zerrt und nicht selten so bedeutend gedehnt, dass der Limbus conjunctivalis an der
betreffenden Stelle das Drei- und Vierfache seiner normalen Breite erreicht; wäh-
rend die hinteren Cornealschichten ihre normalen Dimensionen behalten. Die Grenz-
fläche zwischen Cornea und Sclera wird so im Bereiche der Ectasie mächtig ver-
breitert und endlich trennen sich die Com ealhl älter am Fusse des Staphyloms, ein
Theil der Innenwand des Staphylomes e wird von den blosgelegten Randtheilen
der oberflächlichen Cornealbl'ätter gebildet und zeigt sich blätterigfetzig, uneben
und durchscheinend.
Durch die Ausdehniing der vorderen Scleralzone leiden begreiflicher Weise
auch die damit im innigsten Zusammenhange stehenden Theile, die Gefässe, Ner-
ven und der Ciliarkörper. Die Gefässe und Nerven atrophiren im Bereiche der
Ectasie, gehen völlig unter, oder werden wohl auch durchrissen. Der Strahlen-
Icörper ist im Bereiche weitgediehener Ectasien bisweilen quer dm-chrissen, so dass
die Köpfe der Ciliarfortsätze mit der Iris am vorderen, der Rest des Strahlen-
körpers am hinteren Grenzwulste festhaften. Häufiger erfolgt die Trennung an der
Grenze zwischen Iris und dem Strahlenkranze, so dass erstere an dem vorderen,
letzterer an dem hinteren Grenzwiilstchen hängen bleibt. Mitunter fällt indessen
der Riss in die vordere Aderhautzone, so dass die Iris mit dem Corpus ciliare nach
vorne gezogen erscheint. Mit Ausnahme dieser letzteren Fälle wird der Ciliar-
muskel immer durchrissen. Die Rissränder der Uvea stehen mit einander stets durch
ein feines pigmentirtes Häutchen f in Verbindung, welches die hintere Wand des
Staphyloms überkleidet und aus ectatischen Resten der Uvea besteht.
2. In einzelnen seltenen Fällen sind oberflächliche geschwürige Substanzver-
luste der Lederhant die Ursache partieller Sclerochorioidalstaphylome. Im Ver-
hältnisse zur Dickenabnahme der betreffenden Scleralportion vermindert sich deren
Resistenz , der Geschwürsboden sammt der unterlagernden Uvea wird ausgedehnt,
blasenartig hervorgetrieben, es entwickelt sich eine Ectasie, welche, da der intra-
oculare Druck fortwirkt, der Gelegenheit entbehrt, sich zurückzubilden und darum
ständig wird. Sind die umgebenden Scleralportionen entzündet, so geben sie auch
nach, die Grundfläche des Staphyloms wird grösser, als das ursprüngliche Geschwür
es war.
3. Bisweilen ist ein Durchbruch der Lederhaut und Vorfall der Uvea
das pathogenetische Moment. Der Durchbruch kann geschwürigen Ursprunges
sein. Häufiger ist er eine penetrirende Wunde der Sclera. Die dadurch
biosgelegte Partie der Uvea wird unter dem Drucke der Augapfelcontenta
nach aussen gedrängt, blasig ausgedehnt, sie beginnt zu wuchern, Fleisch-
wärzchen anzubilden, welche sich allmäüg in sehniges Gefüge umwandeln
und die Staphylomwand am Ende als eine Fortsetzung . der eigentlichen
Lederhaut erscheinen lassen. Je nach der Form der DurchbruchsöfFnung
ist ein solches Staphylom bald rundlich, bald oval, bei linearen Zusammen-
hangstrennungen in der Regel wulstförmig. An seinem Fusse erscheint
Aderliautvorfalle; Vorhiuf; Ausgänge. 389
es nieisthiii halsförmig eingeschnürt (Traumatisches Sclerochorioidalstaphylom,
Sichel) .
Nach der Lage des Durchbruches ist die vorgefallene Portion der
Uvea bald ein Theil der Aderhaut, bald ein Theil des Strahlenkranzes oder
der Iris. Es ist zu bemerken, dass auch bei ziemlich weit von der Corneal-
grcnzc entfernt liegenden Sclei'aldurchbrüchen Portionen der Iris vorfallen
können. Die Pupille ei'scheint dann colobomähnlich nach dem Durch-
bruche hin verzogen. Oft ist ein Tlieil der Iris seiner ganzen Breite
nach sammt dem zugehörigen Stücke des Pupillarrandes in die Lederhaut-
öffnung eingewachsen.
Verlauf. In Folge acut und mit grosser Intensität auftretender Pro-
cesse entwickeln sich 8clerochorioidalstapliylome bisweilen sehr rasch und
dann meistens unter sehr heftigen Schmerzen, nicht selten auch unter
lebhaften subjectiven Lichterscheinungen. Innerhalb Monatsfrist erreicht
die Ectasie unter solchen Umständen bisweilen eine ganz ansehnliche Grösse
und bleibt dann, während das Grundleiden in den chronischen Decurs
übergeht, stehen oder schreitet allmälig vorwärts.
In der Regel aber ist die Entstehung und Vergrösserung des Sclero-
chorioidalstaphyloms eine langsame. Oft geschieht es sogar, dass das ent-
zündliche Grundleiden schon lange besteht oder scheinbar bereits zurück-
getreten ist, wenn die Ectasie anfängt, sich bemerklich zu machen. Ist
dieses geschehen, so vergehen oft Monate und Jahre, ehe eine Vergrösserung
auffällig wird.
Die Zunahme ist bald eine allmälige, bald eine ruckweise. Letzteres
ist besonders dann der Fall, wenn die zu Grunde liegende chronische
Sclerochorioiditis öfters exacerbirt. Während solchen scheinbar acuten
Anfällen pflegt die Ectasie unter sehr heftigen Schmerzen i'asch zu
wachsen, mit eintretender Remission aber wieder stehen zu bleiben, oder
gar etwas zurückzugehen, um mit der nächsten Exacerbation wieder eine
Zunahme zu erfahren.
Ausgänge. Eine spontane wirkliche Heilung ist wohl kaum zu erwarten.
Nur Vorfälle der Aderhaut, so lange sie frisch sind, können wieder zurück-
gehen, indem das auf und in ihnen wuchernde neoplastische Gefüge
schrumpft und sich zu einer flachen Narbe zusammenzieht. In der Regel
muss man froh sein, wenn der Bulbus nach Jahre langem Leiden endlich
zur Ruhe kömmt, die zu Grunde liegende Sclerochorioiditis zurückgeht, die
entzündlichen Anfälle ausbleiben und die Ausdehnung nicht weiter fort-
schreitet, indem die intraocularen Gebilde durch ihren völligen Schwund
die Neigung zur Entzündung verlieren.
Oft pflanzt sich der entzündliche Process auf den Sehnerven fürt und
veranlasst dann bisweilen ganz unerträgliche subjective Lichterscheinungen.
Das Endresultat ist meistens Schwund des Opticus, häufig mit Excavation
der Papille.
Nicht ganz selten kömmt es während heftigen entzündlichen Exacer-
bationen zur Eiterung und weiter zur Phthise des Auges. Häufig wird
der Bulbus in Folge einer zwischenlaufenden Iridochorioiditis welk, weich
und schrumpft späterhin.
Ausserdem liegt noch eine Berstung der ectatischen Scleralpartien im
Bereiche der Möglichkeit. Man hat diese am öftesten bei partiellen
390 Sclerochorioidalstaphyloiii; Berstung: CSrsophthalinus ; Behandlung.
StaphTlomen und ntir ansnaluasweise bei totalen Ectasien beobachtet. Die
gewöhnlichste Veranlassung ist eine momentane bedeutende Steigerung des
intraocularen Druckes, z. B. durch einen Stoss, einen Schlag auf das Auge,
durch eine kräftige Zusammenziehung der Augenmuskeln. Seltener erfolgt
der Durchbmch spontan. Nach der Berstung entleert sich ein grosser Theil
der Bulbuscontenta und in Folge der plötzhchen Herabsetzung des intra-
ocularen Druckes kömmt es nicht selten zu profusen Blutungen, welche
Stunden und Tage anhalten und den Kranken sogar tödteu können, wenn
ihnen nicht zeitlich genug Einhalt gethan wird. Gewöhnheh sind heftige
Entzündungen, welche den Bulbus auf dem Wege der Eiterung oder Atrophie
schrumpfen machen, das Endresultat einer solchen Berstung. Doch können
die Wundränder auch wieder rerheüen und das Staphylom kann neuer-
dings hervortreten, ja dieser Torgang kann sich öfters wiederholen, ehe
Eiterung oder Atrophie eintritt.
Jene Blutungen in Verbindung mit der bläulichen Farbe und der äusseren
Form der partiellen Staphylome waren Veranlassung, dass man in diesen ausge-
dehnte Venen, Varices, zu sehen glaubte und den Zustand Cirsophihalmus nannte.
Krebsbildungen gehören nicht zu den Ausgängen, wohl aber zu den möglichen
Veranlassungen der Sclerochorioidalectasie.
Behandlung. Deren Hauptaufgaben sind Bekämpfung der die Gewebe
lockernden Eatsündung und Herabsetzung des intraocularen Druckes auf oder
unter das normale Alass. Am meisten verspricht in dieser Beziehung die
Iridectomie mit entsprechender Xachbehandlung.
1. Schon im prophglactischen Interesse sollte die Anlegung einer künst-
lichen Pupille nie unterlassen werden, wo bei Vorhandensein einer Chorioiditis
der Bulbus aufTällig härter erscheint, heftige Schmerzen auf Zerrung der
Nerven deuten oder gar schon der Beginn einer Ectasie nachweisbar wird.
Paracentesen der Cornea, selbst wiederholte, gewähren weit weniger Sicher-
heit des Erfolges, da ihre Wirkung eine mehr vorübergehende ist. In
wie weit die Durchschneidung des Ciliarmuskels (S. 305) dem Zwecke genügt,
müssen weitere Erfahrungen nachweisen.
Um bei Durchbrüchen der Sclei-a einen Vorfall der Uvea zu verhüten, wird
man am besten thun, den Kranken im Bette zu halten, grösste Körperruhe zu
empfehlen und nebstbei einen Schutzverband anziilegen oder, bei grosser Inten-
sität der Entzündung, ein entsprechendes directes antiphlogistisches Verfahren ein-
zuleiten. Eepositionsversuche sind fast immer fruchtlos und wegen der mit ihnen
verbundeneu Eeizwirkung oft auch gefährlich.
Bei sehr kleinen und ganz frischen Vorfällen gelingt es indessen bisweilen
durch leichte Reibungen der Bulbusoberfläche mittelst eines über den geschlossenen
Lidern hin und her bewegten Fingers den prolabirten Theil zur Eetraction zu
veranlassen. Uebrigens bringen derlei kleine Vorfälle, besonders wenn die Durch-
bruchsöffnung linear und kurz ist, wenig Gefahr, sie werden vielmehr häufig unter
Schrumpfung der neoplastischen Hülle wieder abgeflacht.
Bei umfangsreicheren Durchbrüchen und Vorfallen ist deren Abtragung mittelst
einer krummen Schere nach allenfälliger Spaltung der darüber sti-eichenden unver-
letzten Bindehaut das sicherste, ja einzig zu empfehlende Mittel. Die Xachbe-
handlung besteht in dem Tragen eines Schutzverbandes und in Vermeidunsr von
ki-äftigen Muskelcontractionen, anfängÜch bei Bettlage. Sie ist bis zur Consoli-
dirung der Narbe fortzusetzen.
Aetzungen des Prolapsus mit Höllenstein , Opiumtinctur etc. sind , abgesehen
von ihrer Reizwirkung uud Fähigkeit heftige Entzündungen anzui'egen, gefährlich,
da der mit ihnen verbundene Schmerz gerne kräftige Contractionen der Augen-
muskeln hex-von'uft.
Olicrativo Motliodcii; Iridectomie; Siiiiltiiiig; Abtnij^ung. 391
5. Ist das Sclerocliorioidalstaphjlom einmal entwickelt, so kann os nur
auf operativem Wcs^o entfernt werden.
a) Bei Ideinen, nicht veralteten Sclerochorioidalstax)hijlomen genügt bis-
weilen die Iridectomic mit längerem Tragen eines Schutzverbandcs, um dio
Ectasie völlig rückgängig zu machen. Ocfters jedoch entwickelt sich nach-
träglich das Staphj'lom von neuem an der alten Stelle oder daneben.
Etwas mehr Sicherheit gewährt die Iridectomie mit einmaliger oder luieder-
hoher Paracentese der ectatischen Lederhautportion ; doch auch diese Operation
verhütet nicht immer Recidiven.
h) Bei veralteten umfangreicheren und besonders bei steil aufsteigenden
Sclerochorioidalstaphylomen reicht die Iridectomie in Verbindung mit der
Paracentese nicht mehr aus, es ist neben der Iridectomie die Spaltung der
ectatischen Portion, häufig sogar deren Abtragung nothwendig.
Die Spaltung kann bei Staphylomen mit flacher Wölbung mittelst eines
Staarmessers vorgenommen werden, welches in meridionaler Richtung die
Wandung trennt ; bei Staphylomen mit steil aufsteigenden Wänden lässt
sie sich jedoch zweckmässiger mit einem Lanzenmesser ausführen, welches
flach auf die Lederhaut aufgelegt und dann so vorgeschoben wird, dass
seine Spitze knapp am Pusse des Staphyloms eindringt und an der ent-
gegengesetzten Seite ausfährt.
Behufs der Abtragung dient am besten ein Staarmesser, welches
geradeso wie bei der Excision eines Cornealnarbenstaphyloms flach durch
die Staphylomwand hindurchgestossen wird, so dass ein Lappen entsteht,
welcher nun mit der Pincette gefasst und mittelst einer Schere abgetragen
wird. Es ist dabei nicht nothwendig, dass das ganze Staphylom exstirpirt
wird , bei umfangreicheren Ectasien wäre dies sogar gefährlich ; im
Allgemeinen soll vielmehr die erzeugte Lochwunde den Umfang einer
kleinen Erbse nicht übersteigen.
Fliesst während der Spaltung und Abtragung des Staphyloms nur
wenig aus, so genügt ein Schutzverband; entleert sich aber eine grosse
Menge des Bulbusinhaltes und sinkt dem zu Eolge der Augapfel sehr
zusammen, so muss der Verband fester angezogen werden, um den intra-
ocularen Di'uck einigermassen zu ersetzen und massenhaften Blutaustretungen
so wie heftigen Entzündungen möglichst zu steuern. Ganz ist diese Gefahr
überhaupt nicht zu vermeiden, ja es ist nicht einmal ein seltenes Ereigniss,
dass unmittelbar nach der Eröffnung der Bulbuswand grössere Gefässzweige
unter dem plötzlichen Andränge des Blutes bersten und Extravasate setzen,
welche einen grossen Theil des Augapfelraumes ausfüllen, indem sie sich
zwischen Netz- und Aderhaut oder zwischen dieser und der Lederhaut
sammeln und die nach innen gelegene Membran beuteiförmig von der
Bulbuswand abheben. In einzelnen Fällen reisst die das stetig wachsende
Extravasat deckende Membran wohl auch, das Blut ergiesst sich in die
Augapfelhöhle und dringt durch die Scleralöffnung nach Aussen, mitunter
in erschreckender Menge. Es sind dann gewöhnlich alle Mittel, die er-
schöpfende Hämorrhagie zu stillen, fruchtlos ; will man den Kranken nicht
geföhrden, so bleibt nichts übrig, als sogleich den Bulbus zu enucleiren.
In anderen Fällen jedoch genügt die Resistenz der von dem Extravasate
abgehobenen Ader- oder Netzhaut, iim die Blutung zu sistiren. Das massen-
hafte Extravasat führt dann meistens zu eitriger Zerstörung des Bulbus.
392 Sclerochorioidalstaphylom; Künstliche Vereiterung des Bulbus.
Wesentliche Bedingung zu einem günstigen Verlaufe der Heilung ist
ruhiges Verhalten des Kranken und namentlich Vermeidung von Mtiskel-
anstrengungen; daher für die ersten Tage Bettlage sehr zu empfehlen ist.
Auch antiphlogistische Diät gebietet die ^'ersieht, selbst wenn sich keine
heftige Entzündung einstellt, welche zu kräftigen directen Eingriffen auf-
fordert. Der Verband darf in keinem Falle früher abgelegt und der
Kranke nicht den gewohnten Beschäftigungen zurückgegeben werden, bevor
sich die JS'arbe consolidirt hat.
Bei der Spaltung geschieht es öfters, dass die Wundränder rasch verheilen
und das Staphylom in seiner früheren Gestalt und Grösse wieder hervortritt. Es
wird dann eine Wiederholung- der Operation nothwendig. Einige Autoren em-
pfehlen nach Ablauf der Reizung Aetzungen der Sfaphylomivand , um eine reich-
lichere Gewebswucherung und damit eine kräftigere Narbe zu erzeugen. Bei
Mangel von Reactionserscheinungen kann eine wöchentlich 2 — 3mal wiederholte
vorsichtige Aetzung der oberflächlichen Strata mit Höllenstein jedenfalls den Erfolg
der Operation begünstigen.
Nach der Abtragung überzieht sich in günstigen Fällen die Scleralöflfnung
bald mit einer graulich trüben Haut, welche sich mehr und mehr verdickt und
contrahirt. Bisweilen entwickeln sich Fleischwärzchen und so bildet sich eine
derbe und feste Narbe, deren Umfang in der Regel kleiner ist, als es die Scleral-
öfi'nung war. Zögert diese Neubildung, so kann man sie bei Abhandensein von
Reizerscheinungen durch Betupfen der Stelle mit Opiumtinctur oder Höllenstein
fördern (Sichel).
c) Bei Totalstaphylomen gelingt es bisweilen, durch Iridectomie in Ver-
bindung mit wiederholter Paracentese der Lederhaut oder mit Ausschneidung
eines kleinen lanzettförmigen Lappens aus der Seitenwand, der Sclera dem
Bulbus eine der jS^orm näherstehende Form und Grösse zurückzugeben.
In der Eegel aber bleibt diese Operation erfolglos, oder sie führt zu
intraocularen Blutungen und heftigen Entzündungen , welche nach dem
oben Erwähnten bedenkliche Folgen haben können.
Die Phthisis bulbi an sich ist nun freilich kein sonderlicher Verlust.
Sie kann sogar als ein Gewinn betrachtet werden , wenn der Augapfel
damit zur Euhe gelangt und von den höchst peinlichen entzündlichen
Eecidiven befreit wird ; um so mehr , als der Stumpf späterhin vielleicht
die Einlegung eines künstlichen Auges gestattet und diesem einige
Beweglichkeit ermöglichet.
In Anbetracht dessen empfiehlt man neuerer Zeit wieder, die Ver-
eiterung des Bulbus direct dadurch anzustreben , dass man in der Ciliar-
gegend einen Faden durch die Sclerotica und den Glaskörper zieht und
ihn 1—4 Tage, d. i. so lange liegen lässt, bis Chemosis als das erste
Zeichen einer beginnenden eitrigen Chorioiditis sich zu entwickeln beginnt
(Camper, Ford). Ein- und Ausstich sollen im Ciliarkreise liegen und etwa
3 Linien von einander entfernt sein (Graefe).
Es ist dabei jedoch sehr wohl zu berücksichtigen, dass der Eiterungs-
process nicht immer ganz glatt abläuft. Abgesehen von der möglichen
Gefahr einer Pyämie, zieht sich der Suppurationsprocess öfters unter höchst
qualvollen Leiden des Kranken lange hinaus und kann schwächlichen
Kranken durch übermässigen Säfteverlust gefährlich werden. Zu allem dem
schliesst die Eiterung keineswegs die Gewissheit einer völligen Schrumpfung
und Verhinderung weiterer Eecidiven in sich.
d) Im Ganzen kann wegen der nicht gering anzuschlagenden Gefahr
und der Zweifelhaftigkeit der Erfolge nicht genug vor leichtsinniger Vor-
Enucleatio bulln; Staphyloiiui posticuin Scarpae; Pathologie.
393
nähme dieser Operationsmethoden gewarnt werden. Reclitfertigen lassen sich
derlei operative Eingriffe nur, wo das kosmetische Interesse geradezu
gebietend auftritt.
3. Wo fortwährende Recidiven, oder sich immer wiederholende Anfälle
heftiger Schmerzen, oder subjective Lichterscheinungen den Zustand unerträglich
machen, noch mehr aber, wo die Gefahr einer sympathischen Affection des
anderen Auges bestellt, oder diese schon vorhanden ist : erscheinen die
fraglichen Operationsmethoden wegen der Unsicherheit ihres Erfolges und
der Möglichkeit einer anhaltenden Steigerung des Reizzustandes sehr
bedenklich oder geradezu verwerflich; da schwinden alle Rücksichten auf
kosmetische Interessen und wird die ungesäumte Enucleation des Bulbus zum
dringenden Gebot. Es bietet diese Operation den Vortheil, dass sie sicher
und rasch zum Ziele führt, ohne sonderliche Gefahren heraufzubeschwören.
Der Haupteinwurf, dass sich späterhin schwerer ein Icünstliches Auge ein-
legen lässt, hat nicht allgemein, sondern nur dort Giltigkeit, wo das Fett-
polster der Orbita durch vorwaltende Ausdehnung der hinteren Augapfel-
theile stark zusammengedrückt und zum Schwunde gebracht worden ist.
Quellen: Ammon, Klin. Darstellungen etc. I. Berlin. 1837. Taf. 3, 4, 7, 10. —
SteUwag, Zeitschrift der Wiener Aerzte. 1852. II. S. 305; Wien. med. Wochenschrift.
1864. Nro. 11; Ophth. II. S. 711, 716, 718. — Wedl, Atlas, Cornea-Sclera, Iris-
Chorioidea. — Graefe, A. f. O. II. 1. S. 242, 245, 249; IV. 2. S. 156; IX. 2. S. 105,
109; XII. 2. S. 151, 155; XV. 3. S. 136; kl. Monatbl. 1868. S. 165. — Sichel,
A. f. 0. III. 2. S. 211, 216, 223, 228, 232, 236, 240, 251, 254. — H. Müller, ibid. IV.
1. S. 364, 365. — Schweigger, ibid. V. 2. S. 219; IX. 1. S. 192, 197, 198. —
Graefe und Schweigger, ibid. VI. 1. S. 156, 158, 160, 166. — AUhof, ibid. VIII. 1.
S. 114, 122. — Schiess-Gemuseus, Virchow's Archiv. 24. Bd. S. 561; A. f. O. IX.
3. S. 171, 175, 178, 184, 188, 192, 196; XI. 2. S. 47, 51, 57, 61, 68, 72, 75. —
Iwanoff, ibid. XI. 1. S. 144, 145. — Ed. Jaeger, Zeitschrift der Wien. Aerzte. 1858.
S. 487. — Arlt, ibid. 1859 S. 148. — Pagenstecher u. Säinisch, kl. Beobachtungen.
Wiesbaden, 1861. II. vS. 87, 89. — Caviper, Ford nach Himly, Krankheiten und
Missbildungen. II. Berlin. 1843. S. 194.
2. Das Staphyloma scleroticae posticum Scarpae.
Pathologie. Das Substrat dieser Ectasie ist ursprünglich jene schmale
ringförmige Zone der inneren Lederhautfaserlage, welche den Zwischenraum
heider Nervenscheiden (Fig. 28. S. 167) nach vorne zu abschliesst (Ed. Jaeger).
Die Ausdehnung beginnt mit sel-
Fig. 49
h
tenen Ausnahmen an einem Punkte
der äusseren Zonenhälfte und
schreitet von hier aus an dem
Umfange des Sehnerveneintrittes
allmälig nach oben und unten
fort. Der fragliche Zonenbogen
wird dabei breiter und gewinnt
Aehnlichkeit mit einer Mondsichel,
welche sich mit ihrem inneren
concaven Rande unmittelbar an
den Bindegewebsring der Opticus-
papille anschliesst, während der
entsprechende Theil des Scheidenzwischenraumes eine äquivalente Auswei-
tung erfährt und in meridionalem Durchschnitte (Fig. 49 nach Ed. Jaeger)
394 Staphyloma posticum ; Path. Anatomie.
kolbig a oder spaltähnlich b erscheint. Bei fernerem Wachsthume der Ectasie
nimmt die Mondsichel, auch Conus genannt, gewöhnlich die Gestalt eines
abgerundeten Spitzbogens an, indem die Ausdehnung rascher in me-
ridionaler, als in circularer Richtung vor sich geht. Mitunter jedoch
wird der Flächenumriss des Conus mehr dem Absclinitte eines Kreises
oder einer Ellipse ähnlich, oder erscheint ganz unregelmässig und selbst
buchtig. Zugleich rückt die Wandung des Conus unter der AVirkung des
intraocularen Druckes nach hinten und verengert so wieder den ausge-
weiteten Grund des Scheidenzwischenraumes, ja am Ende kömmt die vordere
und hintere Wand des horizontalen Spalttheiles theilweise wohl gar wieder
in Berührung. Geht die Dehnung noch loeiter , so verschmelzen die beiden
Wände des horizontalen Spalttheiles auch völhg und werden unter fort-
gesetzter gemeinsamer Flächenvergrösserung und entsprechender Dicken-
abnahme nach hinten ausgebaucht.
Ist die Ectasie an dem äusseren Umfange des Sehnerveneintrittes bis
zu einem gewissen Grade gediehen, so dass bereits die äusseren Lederhaut-
faserlagen in auffälligerer Weise Antheil an der Dehnung nehmen , so
beginnt gar nicht selten auch die innere Zonenhälfte zu weichen, es ent-
wickelt sich daselbst eine zweite Mondsichel. Es ist diese anfänglich sehr
schmal und schwer vom Bindegewebsringe zu unterscheiden, verbreitert
sich aber bald und schiebt ihre beiden Hörner immer weiter vor. Am
Ende fliessen die letzteren mit denen der äusseren Mondsichel zusammen
und das Staphylom stellt nun einen den Sehnerveneintritt vollständig ein-
schliessenden Ring dar, welcher an seiner inneren und äusseren Hälfte aus-
geweitet ist (Ed. Jaeger).
Der grösste Breitendurchmesser des äusseren Conus fällt in der Regel etwas
unterhalb, selten in oder gar über den horizontalen Meridian des Augapfels. Sind
zwei Coni gegeben, so liegen diese fast immer einander gerade gegenüber, so dass
ihre grössten Breitendurchmesser in demselben Meridiane zusammenfallen. Nur in
sehr seltenen Fällen hat man einen Conus an der inneren Seite der Papille für
sich bestehend gefunden. Noch seltener sind Coni am oberen und unteren Umfange
des Sehnerveneintrittes (Ed. Jaeger, Maidhner).
Die Flächenvergrösserung der betreffenden Zone bringt nothwendig
eine Gestaltveränderung der hinteren Bulbushälfte mit sich. Diese ist indessen
je nach den obwaltenden Verhältnissen eine überaus wandelbare; sie ist
eine andere bei einfachen und bei doppelten, bei schmalen und bei breiten
Conis. So sieht man bei umfangsreichem einfachen hinteren Scleralstaphylome
den Polartheil der Lederhaut bald sehr verflacht (Fig. 50), bald läuft der
Augapfel gegen den Opticus hin spitz zu (Fig. 51). Bei sehr mächtigeme
Doppelconus erscheint das Hinterende des Bulbus wohl gar in Form einer
ziemlich scharf abgegrenzten Blase herausgebaucht (Fig. 52). Jedenfalls
resultirt, da der Ectasie eine wesenthche "V'ergrösserung des aequatorialen
Durchmessers nicht parallel geht, eine Verlängerung der optischen Axe, wo-
bei die dem gelben Flecke entsprechenden Theile der Formhäute nach
hinten und auch etwas zur Seite rücken. Dabei erleidet die Lage der
Sehnervenscheibe zur optischen Axe eine Veränderung , die Papille stellt
sich in einen Wi7ikel zur letzteren und tritt, falls der Conus ein doppelter
ist, auch etwas zurück.
Veriiudermij'en der Aderluiut im Bereidu' des Conus.
395
Das Gewehe der Lederhaut orscheiiit im Ticreiche des Conus nicht
wosontlioh vovändcu't, die faserigen Elemente lassen daselbst nur einige
Streckung erkennen.
Fig. 50.
Fig. 51
Anders verhält es sich mit der Aderhaut. Diese verfällt, so weit das
Staphylom reicht, immer dem Schwunde. Da ihr hinterer Theil, besonders
in der Gegend des gelben Fleckes, fester mit der inneren Scleralwand ver-
wachsen ist, muss sie an der Ectasie innigen Antheil nehmen, ohne dass die
damit gesetzte locale Dehnung durch Zuzug nachbarlicher Portionen
gemildert und so ihr nutritionsstörender Effect theilweise beglichen werden
könnte. Zuerst äussert sich die Atrophie in den Pigmentzellen des Tapetes.
Ihr Farbestotf geht theilweise unter, wird chemisch umgewandelt, während
die Zellen selbst grösser und flacher werden. Am Ende gehen letztere
ganz unter und hinterlassen blos Haufen freien Pigmentes. Am Umfange
des Conus vermehren sich dagegen bisweilen die Zellen, wenigstens nimmt
ihr Pigmentgehalt zu und der Earbstotf wird dunkler, selbst tief schwarz.
Die den Conus deckende stark gedehnte Portion der Aderhaut präsentirt
sich dem zu Folge anfänglich als ein zartes, schmutzig bräunlichgraues und
dunkler gewölktes oder getäfeltes Häutchen, welches noch die Gefässe der
Vascxilosa nebst Resten der Choriocapillaris-JS'etze erkennen lässt. Die
Stromazellen bestehen öfters noch lange fort, doch wird ihr Farbstoff
spärlicher und blässer, um schliesslich ganz zu verschwinden. Schreitet
jedoch die Entwickelung des Staphyloms iveiter fort, so ändert das ectatische
Aderhautstück gänzlich seinen anatomischen Charakter, es wird auf ein
höchst feines, undeutlich faserstreifiges, oft fast homogenes Häutchen reducirt,
welches sich nur schwierig von der unterlagernden Sclera trennen lässt,
hier und da Pigmenthäufchen nebst einzelnen in Caliber und Wandung
verkümmerten Gefässen enthält und meistens von ectatischen Resten der
Lamina elastica überkleidet wird. Entzündliche Producte und deren Derivate,
welche liier und da im Bereiche des Conus gefunden werden (H. Müller),
gehören nicht zum Wesen der Krankheit, sondern auf Rechnung eines com-
plicir enden Wucherungsprocesses.
Die ausserhalb des Conus gelegenen Theile der Leder- und Aderhaut
bewahren bei minder hochgradiger und langsam entwickelter Sclerectasia
396 Staphyloma posticum; Path. Anatomie; Veränderungen der Netzhaut.
posterior in der Regel ihre Integrität, höchstens findet man in ihrem
Bereiche Spuren einer Chor ioidalhy per ämie. Bei rasch entstandenem Staphy-
loma posticum, auch niederen Grades , lässt sich ein Congestivzustand der
nachbarlichen Aderhautportionen in der Regel nachweisen. Später zeigt
sich die Chorioidea an diesem Orte meistens leicht atrophirt und bei sehr
grossen Ectasien ist der Schwund wohl auch in weitem Umkreise sehr
deutlich ausgesprochen, wenigstens ist das Tapet verblasst und lückenhaft
geworden. Es handelt sich dabei meistens um einfache Atrophie, die aus
der Dehnung der Membran und vorzüglich aus den localen Circulations-
störungen abzuleiten ist, welche nothwendig durch das Auseinanderweichen
der Lederhautelemente und durch die damit gesetzte Verscliiebung und
Verengerung der hinteren Gefässdurchlässe begründet werden. Mitunter,
und zwar vorzüglich bei raschem Vorschreiten des Processes, gibt die Zerrung
auch ein pathogenetisches Moment für wahre Entzündungen ab, die sich dann
in der Form der Sclerochorioiditis geltend machen und gar nicht selten
zu complicirenden Sclerochorioidalstaphylomen führen. In der Gegend des
gelben Fleckes sind solche Ausweitungen in der That öfters Gegenstand
der Beobachtung. Sie entwickeln sich bisweilen schon sehr frühzeitig, ehe
noch der Conus einen erheblichen Umfang erreicht hat.
Aehnliches gilt auch von der Netzhaut. Entwickelt sich die Ectasie
langsam und nur zu niederen Graden, so kann sich die mit der Ver-
grösserung der hinteren Bulbuswand verknüpfte Dehnung leichter vertheilen
und die Elemente der Netzhaut haben Zeit, sich den neuen Verhältnissen
anzupassen ; daher denn auch der Voi-gang ohne sonderlichen jS'achtheil für
die Ernährung und Function der Membran zu bleiben pflegt. Hat die
Ectasie aber einen grossen Umfang erreicht, oder ist sie schnell entstanden,
oder um ein Beträchtliches gewachsen, so leiden die hinteren Portionen der
Retina fast immer und äussern dies durch sehr störende Herabsetzungen
der Sehschärfe etc. Man hat die Radiärfasern an der Grenze des Conus
wiederholt schief gestellt, mit ihren hinteren Enden nach vorne gezogen
gefunden (Homer, Iwanoff). In einzelnen excessiven Fällen ist die Atrophie
sehr auffällig, es erscheint der über dem Conus gelegene Theil der Netzhaut
schon dem freien Auge sehr verdünnt und unter dem Mikroskope auf ein
zartes Bindegewebsnetz ohne Spur nervöser Elemente reducirt, welches von
der bald verdickten (Iwanoff), bald sehr verdünnten und stellenweise
lückenhaft gewordenen Limitans überkleidet wird (WedlJ. Gar oft veran-
lasst die Zerrung auch heftige Reizzustände mit starker Hyperaemie und
selbst mit zerstreuten retinalen Blutextravasaten ; ja nicht selten kömmt
es zu manifesten Entzündungen, welche dann gewöhnlich unter der exsudativen
Form hervortreten, oder eine Netzhautabhebung veranlassen. Auch die
Entzündungen betreffen zumeist die Gegend des gelben Fleckes und den
zwischen diesem und der Papille gelegenen Abschnitt , da die Macula
lutea fester an der Chorioidea anklebt, und sonach die Zerrung dieser
Stellen um so grösser sein muss, als die Axe des Conus zumeist in diese
Richtung fällt und ein ausgleichender Zuzug von der Nachbarschaft her
schwieriger gemacht ist.
Im Uebrigen streicht die Netzhaut gewöhnlich frei über die ectatische
Stelle des Augengrundes hinweg. Ist diese ausgehöhlt, so erscheint die
Retina in ihrem Bereiche bisweilen leicht nach hinten gebaucht, ragt also
Veräiuleninpfen dps Nevvenkopfes n. Glaskörpers: KrüiikliPitsbili
397
in die von wässeriger Flüssigkeit gefüllte Staphylomhöhle hinein. Aus-
nahmsweise findet man die Netzhaut auch durch Exsudate an den Hand
der Ectasie festgelöthet.
Der NervenJcopf ist bei Jrisch entstandener und namentlich rasch ent-
wickelter Ectasie oft stark hyperämirt. Sonst lässt er und seine binde-
gewebigen Hüllen nur bei umfangreicheren Staphylomen erhebliche Ver-
änderungen erkennen. Die vorspringende Leiste, welche die innere Nerven-
scheide bei ihrem Uebergange in die vorderen Lederhautschichten bildet,
und über welche sich die Opticusröhren im Bogen zur Netzhaut begeben,
weicht sammt dem anhaftenden Bogentheile des Aderhautfaserringes an der
Basis des Conus nach hinten, oder wird wohl gar in der Eichtung der
Axe des letzteren nach Aussen gezerrt. Die Eolge davon ist , dass die
dem Conus zulaufenden Opticusfasern gleich bei ihrem Austritte aus der
Lamina cribrosa sich umlegen. In extremen Fällen wird sogar die ganze
hintere Aderhautöifuung nach Seiten des Conus verrückt, so zwar, dass
die dem letzteren abgewendeten Nervenröhren an dem Faserringe eine starke
Knickung erleiden und die Gefässpforte an den Eand der Aderhautöffnung
zu liegen kömmt (Fig. 49. S. 393 bei c. Ed. Jaeger).
Der Glaskörper ist bei höhergradigen Ectasien in seinen hinteren
Portionen nicht selten getrübt und von der Netzhaut durch flüssiges serum-
ähnliches Product abgehoben. Der Glaskörper nimmt eben nicht an Volum
zu, wenn der hintere Augenhöhlenraum durch das Staphylom vergrössert
wird, vielmehr wird die Lücke durch ein wässeriges Transsudat gefüllt,
welches den Glaskörper von der Limitans , und diese nicht selten auch
theilweise von der unterlagernden Netzhaut ablöst, in Form kleiner Buckel
emporhebt (Iwanoff). Am hinteren Pole der Linse hat man öfters eine staarige
Trübung bemerkt.
Krankheitsbild. Das Staphyloma posticum lässt sich unter allen
Umständen am sichersten durch den Augenspiegel nachweisen. Der erste
Fig. 53.
Fig. 54.
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Beginn desselben pflegt sich durch Anhäufungen von Pigment an dem
betreffenden
Bogentheile
der hinteren
Aderhautöffnung zu verrathen.
398 Staphyloma posticum; Kranklieitebild ; Ophthalmoskop. Erscheinungen.
Dieser duukle Saum spaltet sich daun in 2 — 3 concentrische Bogen-
streifen, oder rückt einfach von dem Biudegewebsringe des Sehnervenein-
trittes hinweg und es kömmt die ectatische Lederhautzone in Gestalt eines
hellen schmalen Saumes zum Vorscheine, welcher sich allmähg verbreitert
und eine mondsichelähnliche (Fig. Ä, E) oder ganz unregelmässige Ge-
stalt annimmt. Bei fortgesetzter staphylomatöser Dehnung rückt der äussere
Kaud des Conus immer weiter weg vom Eande des Sehnerveneintrittes,
der Conus gewinnt Aehnlichkeit mit einem Spitzbogen (Fig. R), oder mit
dem Abschnitte eines Ovals (Fig. G), eines Kreises, oder er wird ganz
unregelmässig buchtig (Fig. S). Gemeiniglich greifen so grosse Coni schon
über den grössten Durchmesser des Sehnerveneintrittes liinaus , oder
umsäumen letzteren nach Art eines Ringes (Fig. 53), ja nicht selten ge-
schieht es, dass der dem Conus diametral entgegengesetzte Bogentheil des
Einges ebenfalls ausgeweitet, zu einer Mondsichel, einem Spitzbogen u. s. w.
umgeformt wird, sonach ein doppelter Conus zur Wahrnehmung kömmt
(Fig. 54).
Ganz frisch entstandene und rasch ausgebildete Coni heben sich von den
umgebenden Theilen des Augengrundes meistens nicht sehr deutlich ab ; die
sehnigweisse OberÜäche der ectatischen Lederhautzone schimmert nur ganz
matt durch die noch pigment- und gefässhältige verdünnte Aderhaut durch,
sie erscheint überkleidet von einem mehr weniger dichten graubräunlichen
oder bräunlichrothen Flor, in welchem sich dunklere wolkige Zeichnungen,
öfters auch Haufen schwarzbraunen Pigmentes, ziemlich starke Gefässe
aus der Vascalosa und bisweilen kleine Blutextravasate erkennen lassen.
Es grenzt sich dieser im Schwunde begriffene Aderhauttheil auch nicht
scharf gegen die nachbarlichen normalen Theile des Augengrundes ab,
sondern bildet eine ganz unregelmässig zackige und verwaschene Zone,
liinter welcher man den Rand des Conus mit Mühe erkennt.
Besteht das Staphylom schon länger und schreitet es nur sehr langsam
in seiner Entwickelung vor, so erscheint der Conus wegen weit gediehenem
Schwunde der überlagernden Chorioidalpartie hell glänzend und intensiv
bläidichweiss, sticht also sehr stark von seinen Umgebungen ab (Fig. G),
namentlich wenn sein Rand noch von Haufen dunklen Pigmentes besetzt
ist. Doch ist die Farbe nicht immer eine gleichmässige, öfters ist der
Conus stellenweise bräunlich oder grau gewölkt, von dunklen Pigment-
haufen besetzt, oder er zeigt das der Vasculosa eigenthümliche Getäfel
(Fig. E, R, S. 54). Auch stärkere Gefässästchen werden bisweilen wahrge-
nommen, welche an irgend einem Punkte des Conus hervortreten und
sich rasch seiner Grenze zuwenden, um daselbst in der Aderhaut zu ver-
schwinden. (Fig. 54).
Bisweilen bemerkt man au der Oberfläche der hellen Figur ganz unregel-
mässig gestaltete schaftige Flecke, welche durch Richtungsänderung des eingelas-
senen Spiegellichtes in Gestalt und Lage etwas modificirt werden. Sie deuten auf
grubige Vertiefungen im Conus , sonach auf eine hügelige Aussenwand des Staphy-
lomes. Häutiger fällt ein mondsichelformiger Schatten auf, welcher dem äusseren
Rande des Conus bald näher bald ferner liegt und gleichfalls von der Richtung
des einfallenden Lichtes in Lage und Gestalt beeinflusst wird. Es ist ein Zeichen
der Aushauchung der Staphylomwand nach hinten. Es lässt sich diese Ausbauchung
fibrigens auch noch dadurch erkennen, dass bei ihrem Vorhandensein die Netzhaut-
gefüsse in einiger Distanz über die Oberfläche des Conus hinwegziehen oder, falls
die Netzhaut eine Aushuchtiing erlitten hätte, einen Bogen nach hinten beschreiben
und am Rande des Conus wieder in ihre normale Richtung einbiegen.
Aeussero Symiilomc; Sohstörungen ; Myopie. 399
Die 8ehnervenscheibc erscheint bei umfangreichen liintcren Scleral-
staphylomen im Spiegelbilde gewöhnlich oval (Fig. G, li , 53). Ihr
äusserer Rand ist dann nämlich beträchtlich nach hinten gerückt und ihre
Fläche präsentirt sich dem speculirenden Auge unter einem grossen Winkel.
Doch soll diese Formveränderun"- nicht blos eine scheinbare sein und durch
die Projectionsvcrhältnissc bedingt werden, sondern wirklich bestehen (Lieb-
reich, Donders).
Ausserdem wird das ophthalmoskopische Bild natürlich durch krank-
hafte Veränderungen des Glaskörpers, der Linse, der das Staphylom um-
gebenden Aderhauttheile u. s. w. modificirt. Am häufi<>;sten findet man
ausgebreitete Aderhautatrophien, die Ausgänge einer Ncurodictyitis exsu-
dativa u. s. w. (Fig. E, G, li, S, 53). Bei rasch loachsenden Ectasien
treten in den Umgebungen des Conus häufig die Gefässe der Vasculosa
sehr scharf heraus, sind ansehnlich verbreitert, gestreckt und deuten gleich
der meisthin sehr beträchtlichen Röthung der Papille auf Congestivzustände
(Fig. R, 53, 54).
2. Umfangreiche hintere Scleralstaphylome können häufig auch ohne
Zuhilfenahme des Augenspiegels diagnosticirt werden. Lässt man den
Kranken das Auge möglichst stark nach iimen wenden und drückt man
dann die äussere Commissur der Lidspalte mit den nachbarlichen Theilen
der Bindehaut nach hinten, so gewahrt man ganz deutlich die bläulich
durchscheinende und bisweilen sogar wulstförmig vorspringende Zone an
der Grenze des Sehnerveneintrittes. Bei höchstgradig entwickelter Scler-
ectasia posterior sind die Verlängerung und die damit gesetzte Hervor-
treibung des Auges, oft sogar auch die Schiefstellung und Motilitätsstörung
desselben so bedeutend, dass sie schon von weitem auffallen und die
Diagnose auf den ersten Blick stellen lassen.
3. Die Entwickelung des hinteren Scleralstaphyloms ist wegen dem
dadurch veranlassten Zurückweichen des Netzhautcentrums immer mit einer
Vergrösserung des Refractionszustandes verknüpft. Höhergradig hypermetropische
Augen werden dadurch also im minderen Grade übersichtig, emmetropisch
oder kurzsichtig; emmetropische Augen hingegen werden myopisch und in
myopischen steigt der Grad der Kurzsichtigkeit.
4. Im Uebrigen wird die Sehfunction durch die Sclerectasia posterior
weit weniger gestört, als man nach dem anatomischen und ophthal-
moskopischen Befunde vermuthen sollte. Niedergradige Ectasien verrathen
sich meistens durch keinerlei suhjective Symptome und selbst ziemlich breite
Staphylome, welche die Papille in mehr als der Hälfte ihres ümfanges
umgreifen, sind nicht nuthwendig mit darauf beziehbaren auffälligen Gesichts-
fehlerji verbunden. Im Allgemeinen gilt hierbei die Eegel, dass gleiche
Entwickelungsgrade des Staphj'loms um so leichter und zu um so bedeutenderen
Functionsstörungen des hchtempfindenden Apparates führen, je rascher sie
zu Stande gekommen sind. Bei plötzlich entstandenen hinteren Scleral-
staphylomen, auch wenn sie noch keinen sehr beträchtlichen Umfang
erreicht haben, fehlen solche Störungen in der That kaum jemals, sondern
machen sich im Gegentheile meistens in sehr beunruhigender Weise geltend.
Sie sind sehr verschiedener Art und combiniren sich im speciellen Falle in
sehr mannigfaltiger Weise.
400 Staphyloma posticum ; Kiankheitsbild ; Sehstörungen ; Ursachen.
Zum Theile sind es die bekannten Erscheinungen von Congestiv-
zuständen in der Netz- und Aderhaut, oder Symptome einer mehr weniger
weit gediehenen Hyperästhesie im Bereiche des Kchtempfindenden Apparates
und des Ciliarsystems.
Besonders häufig und im hohen Grade peinlich ist das Auftreten von
beweglichen und fixen Scotomen , welche ihre nächste Veranlassung in
Wucherung der Glaskörperzelle.n, ihren ferneren Grund aber gleich den erst-
erwähnten krankhaften Zuständen in der Dehnung der Netz- und Ader-
haut und in den damit gesetzten Circulationsstörungen und jSTervenreizungen
finden.
Zu den Sehstörungen, welche in direcfem Causalzusammenhange mit der
Staphylombildung stehen, gehört vor allem anderen die Vergrösserung des
blinden Fleckes. Sie resultirt immittelbar aus den materiellen Veränderungen,
welche die in den Bereich des Staphyloms fallenden Theile der liintersten
Netzhautzone bei rasch entwickelten oder weit gediehenen Ectasien erleiden
und welche sich anfanglich als ein Auseinanderrücken der lichtempfindenden
Elemente, später aber als wirkliche Atrophie der nervigen Theile definiren
lassen. Auch ist hierbei vielleicht das rasche Umbiegen der aus der Sieb-
membran hervortretenden Nervenröhren und die damit verbundene Ver-
rückung der Stabschichtgrenze nach Seiten des Conus ein belangreiches
Moment (Ed. JaegerJ. Im Anfange pflegt übrigens die Vei'grösserung des
bünden Fleckes nicht sonderlich ins Auge zu fallen ; derselbe tritt nur
bei darauf gerichteter Aufmerksamkeit hervor, wenn es sich um sehr scharfe
und deutliche Wahrnehmungen handelt. Er zeigt sich dann öfters als ein
höchst feiner Nebel, welcher die dem Eixirpunkte nach Aussen nahe liegenden
Objecttheile überkleidet. Weiterhin jedoch verschwimmen die betreffenden
Stellen im Gesichtsfelde immer mehr, es ist eine wirkliche Unterbrechung
des Sehfeldes gegeben, welche den Kranken in Gestalt eines oder mehrerer
kleiner leerer Flecke unaufliörhch verfolgt, das Lesen, Schreiben u. s. w.
wesentlich beirrt, obgleich das centrale Sehen vielleicht noch nicht im
Mindesten gestört ist.
Eine andere Folge der Staphylombildung ist in nicht ganz seltenen
Fällen die Metamorphopsie. Die Kranken sehen Objecte oder Objecttheile,
welche in gewissen Aichungen des Gesichtsfeldes nahe dem Centrum lagern,
nach bestimmten Richtungen verkrümmt, verzerrt, mitunter auch unter-
brochen und die einzelnen Theile gegen einander verschoben. Besonders
an Linien und Liniensystemen ist diese Abweichung sehr auffällig. Es
ist dieselbe auf Lageveränderungen der Stäbe und Zapfen zu beziehen
und diese aus der unverhältnissmässigen Dehnung der einzelneu Netzhaut-
abschnitte, besonders der an der Chorioidea fester haftenden Centraltheile,
abzuleiten.
Bei grösseren Staphj^lomen macht sich die enorme Dehnung und die
damit gesetzte Nutritionsstörung der Netzhaut gewöhnlich auch durch eine
sehr auffällige Verminderung der Sehschärfe im ganzen Gesichtsfelde und
nebenbei durch Unterbrechungen und Einschränkungen des letzteren geltend.
Ursachen. Die Anlage zum Staphyloma posticum ist wahrscheinüch
angeboren und in einer geringeren Festigkeit der Raphe zu suchen, welche
den foetalen Augenspalt schliesst. Es deutet darauf der Umstand hin, dass
die Ectasie mit wenigen Ausnahmen am äusseren unteren Umfange der
Congestivzuständo ; Zngwirkung des Ciliarmuskels. 401
Sehnorvenscheibo, also an einem Punkte beginnt, welcher der Lage der
foetalen Augenspaltc und der sogenannten Protubei'antia scleroticae (Ammon)
entspricht. Auch lässt sich für diese Ansicht die exquisite und mit Un-
recht angezweifelte (H. Cohn) Vererblichkeit des Uebels verwerthen.
Verlässliche Untersnclmnpjen einer grossen Anzahl von Kindern haben
nämlich ergeben, dass das Staphyloma posticum bei den Abkömmlingen kurzsich-
tiger Eltern unverhältnissmässig häufig ist, ja dass die Lage und die specielle
Form der Ectasie bei Mutter und Kind, selbst bei den verschiedenen Geschwistern
und an beiden Augen eines und desselben Individuums oft überraschend ähnlich
oder gar völlig gleich sind (Ed. Jaeger).
Es scheint, dass langgebaute Augen mehr disponiren; wenigstens findet
sich bei solchen das »Staphyloma posticum in einem autfallend hohen pro-
centarischen Verhältnisse. Doch entwickelt sich die fragliche Ectasie
gelegentlich in jedem beliebig gebauten Auge und wenn sie sich in der
grössten Mehrzahl der Fälle an Myopie gebunden zeigt, so liegt der Grund
dai'iu, dass die damit gesetzte Verlängerung der Bulbusaxe eine Erhöhung
des Refractionszustandes nach sich zieht. In der That stösst man gar nicht
selten (Dobrowolsky) auf das Staphyloma posticum in entschieden hyperme-
tropischen Augen; es ist hier die Verlängerung des Auges eben nicht
gross genug gewesen, um den stark plathymorphisch gebauten Bulbus in
einen emmetropischcn oder myopischen zu verwandeln.
Das Staphyloma posticum wird in seiner Entwickelung unzweifelhaft
durch Congesfivzustände der hinteren Lederhautzone begünstigt und ge-
fördert. Es sind die letzteren unter gewissen Umständen aus Circulations-
störungen im Verzweigungsgebiete der oberen Hohlvene abzuleiten. Ilire
hauptsächlichste und gewöhnlichste Uuelle jedoch finden sie in dauernden und
starken Accommodationsanstrengungen der Augen. Es steht nämlich fest,
dass das Staphyloma posticum in den niederen Bevölkerungsschichten,
namentlich halbcivilisirter Länder, wo die Schulbildung auf einer sehr
tiefen Stufe steht und überdies von der grössten Mehrzahl der Individuen
gänzlich vernachlässigt wird, nur äusserst selten vorkömmt und selbst an
hoch- und höchstgradig kurzsichtigen Augen gewöhnlich fehlt; dass hin-
gegen laut genauen statistischen Untersuchungen (H. Cohn) die Häufigkeit
und der Entwickelungsgrad des Staphyloma posticum mit der Grösse und
der Dauer der Anstrengungen wachsen, zu welchen die Augen behufs der
Jlrwerbung und Verwerthung der Schulbildung verhalten werden. Es ist
aber auch bekannt, dass in solchen überbürdeten Augen fast eonstant eine
beträchtliche Hyperämie des Sehnerveneintrittes besteht, welclie sich un-
zweifelhaft durch die natürlichen Gefässverbindungen auf die hintere
Scleralzone fortsetzt und hier zu einer traussudativen Lockerung der
Theile um so leichter Gelegenheit geben kann, als das Gebiet des hinteren
Scleralkranzes dem regulatorischeu Einllusse der elastischen Bulbuskapsel
entrückt ist.
In neuerer Zeit glaubt man dem Zuge des Ciliarmuskels, dessen meridionale
Bündel in hochgradig kurzsichtigen Augen aiiflallig stark entwickelt zu sein pflegen,
aiif die hintere Ansatzlinie der Aderhaut eine hervorragende Rolle bei dem Zu-
standekommen des Staphyloma posticum zuweisen zu dürfen (Homer, Iwanoff).
Doch steht dieser Ansicht die Thatsache entgegen, dass die fragliche Ectasie sich
primär mit seltenen Ausnahmen blos am äusseren Umfange der Papille , also
gerade an jener Stelle entwickelt, auf welche der Ciliarmuskel am tvenigsfen ein-
zuwirken vermag, da er hier am weitesten vom Sehnerveneintritte entfernt
ist und sein Zug überdies durch die ziemlich feste Anheftnng der Chorioidea an
Stell wag, Augenheilkunde. 26
402 Staphyloma posticum ; Verlauf; Ausgänge; Blutextravasate in der Macula lutea.
die Sclerotica in der Gegend der Macula lutea unwirksam gemacht wird, auch
wenn sich sonst der Effect seiner Zusammenziehung durch die sehr dehnbare Ader-
haut bis auf den Rand der Papille fortzupflanzen im Stande wäre.
Die Beobachtung von Fällen, in welchen das fragliche Staphylom gleich von
vorneherein mit den Erscheinungen einer laufenden intraocularen Entzündung oder
ihrer Folgen, mit Trübungen der Netzhaut, des Glaskörpers, mit Sehnervenexca-
vation etc. zur Wahrnehmung kömmt, hat zu dem Irrthume geführt, als wäre eine
Entzündung die Quelle des Staphyloma posticum (Graefe, Heymann), ein Irrthum,
welcher sich schon dadurch widerlegt, dass Wucherungsprodiicte und Entzün-
dungserscheinungen bei der fraglichen Ectasie in der Regel fehlen und dass um-
gekehrt primäre eclatante Sclerochorioiditides nur sehr selten zu Staphyloma posti-
cum Veranlassung geben.
Verlauf und Ausgänge. Die ersten Anfänge des Stapliyloms zeigen
sich oft schon beim Neugeborenen (Ed. JaegerJ. Die weitere Ausbildung
nach der Geburt ist in vielen Fällen eine überaus langsame und durch viel-
fache Stillstände unterbrochene^ so dass sie viele Jahre in Anspruch nimmt.
In anderen Eällen jedoch ist die Entwickelung eine sehr rapide und gedeiht
dann binnen kurzer Zeit zu hohen Graden (Siehe Verlauf und Ausgänge
der Myopie).
Das Staphylom kann m jedem Stadium der Entwickelung stehen bleiben,
stationär werden. Gar nicht selten kommen Fälle vor, wo Staphylome
von der ersten Jugend bis ins höchste Alter völlig unverändert fortbestehen.
Ein Zurückgehen der einmal entwickelten Ectasie, selbst der niedersten
Entwickelungsgrade, ist kaum anzuhoifen, wenigstens wurde es bisher nicht
beobachtet. Wohl aber bersten bisweilen höchstgradige blasige Stapylome,
das wässerige Contentum wird in die Orbita diffundirt, jedoch bald wieder
aufgesaugt, während der amaurotische Bulbus schrumpft und dann unter das
normale Grössenmass herabsinkt.
Die grössere Nachgiebigkeit der Sclerotica, welche im Staphyloma
posticum zum Ausdrucke kömmt, ist intraocularen Drucksteigerungen im
Ganzen ungünstig, daher denn auch glaucomatöse Processe in derlei Augen,
besonders wenn sie lang gebaut sind, nur sehr selten beobachtet werden.
Doch bietet das hintere Scleralstaphylom keineswegs eine Bürgschaft gegen
nachträgliche Sclerose der Lederhaut und kann durch die Dehnung des
hinteren Scleralgürtels zur Verstopfung einzelner Venenemissarien und
damit zur Binnendrucksteigerung selbst Veranlassung geben (S. 350).
Am meisten zu fürchten ist die nicht seltene Abhebung der Netzhaut,
da diese in der Regel beiden Augen verderblich wird und sie schliesslich
der Atrophie überantwortet (S. 222).
Auch kommen nicht selten Blutergüsse in der Gegend des gelben Fleckes
vor (Fig. i?), besonders wenn die Ectasie rasch zunimmt. Sie gehören
wohl meistens der Vasculosa an und sind Folge der mit übermässiger
localer Zerrung verbundenen Gefässzerreissung. Doch berstet öfters auch
die Elastica; das Blut ergiesst sich dann unter die Netzhaut und kann die-
selbe bei grosser Massenhaftigkeit beutelähnlich emporheben ; oder das
Extravasat dringt ein in das retinale Gefüge, es zertrümmernd. Stets ent-
wickeln sich im Bereiche der Hämorrhagie Eitzündungen und die damit
verknüpften Veränderungen des Retinalgefüges vernichten jede Hoffnung
auf vollständige Herstellung der Functionstüchtigkeit, in der Regel bleibt
zum mindesten eine centrale Unterbrechung des Gesichtsfeldes zurück.
Behandlung. Bei Augen mit stark myopischem Bau muss schon von
vorneherein auf die dringende Gefahr der Scleralausdehnung Rücksicht
Behandlung ; Quellen. 403
genommen und alles vermieden werden, was Congestivzusiände mit sich
bringen könnte (Siehe Therapie der Kurzsichtigkeit).
Zeigt sich sclion die Ectasie und ist sie in fortschreitender Ent-
wickelung begriffen, so ist die Einhaltung einer strengeren Augendiät bis
zur völligen Stabilisirung des Zustandes natürlich um so dringlicher. Jst
die Entwickeliing eine rapide, oder macht sich das Leiden gar schon durch
Sehstörungen geltend, so ist die Gefahr für die functionelle Integrität der
Netzhaut so gestiegen, dass jede andere Rücksicht verschwindet und der
Ki-anke unter Hinweisung auf die möglichen Folgen mit der ganzen Kraft
des moralischen Einflusses zur unbedingten Schonung der Augen anzuhalten
ist. Insbesondere muss auf die Beseitigung der gewohnten Augengläser,
auf Vermeidung jeder accommodativen Thätigkeit und grellen Lichtes, so wie
besonders stärkerer Lichtcontraste und auf die sorgfältigste Verhütung aller
Gelegenheiten zu localem Blutandrange hingewirkt werden.
Zwischenlaufende Congestionszustände verstärken die Indicatiou des
geschilderten strengen Verhaltens und sind sorgfältigst nach den allgemein
bekannten Grundsätzen zu behandeln.
Doch ist vor wiederholten und reichlichen örtlichen Blutenizlehungen zu
warnen. Ihr Nutzen ist mehr als problematisch, die damit verbundenen Nachtheile sind
für den allgemeinen Gesundheitszustand des Kranken dagegen recht oft in hohem
Grade bedauerlicli. Dasselbe gilt von Mercurialien. Reizende Fussbäder und leicht
abführende Mineralwässer, massig angewendet, schaden wenigstens nicht, wenn
davon auch nichts zu erwarten ist.
Die Iridectomie hat sich bereits als unzureichend erwiesen , um dem Fort-
schreiten der Ectasie Einhalt zu thun (Graefe). Sie ist jedoch am Orte, wenn unter
einiger Vermehrung der ßulbushärte der Sehnerveneintritt sich auszuhöhlen beginnt.
Wiederholte Paracentesen der Cornea (S. 108) sind gefährlich (SecondiJ und darum
zu meiden. Die D^irchschneidnng des Ciliarmuskels (S. 305) leistet gewiss nicht
mehr, als eine gehörig ausgeführte Iridectomie.
Quellen: Scm-pa, Trattato d. princ. mal. d. occhi. Pavia. 1816. II. S. 146. —
Ammon, Zeitschft. f. Ophth. I. S. 55 ; II. S. 248 ; Klin. Darstellungen etc. I. Berlin,
1837. Taf. 7; A. f. O. IV. 1. S. 40. — Stellimg, Ophth. II. S. 723; der intraoc.
Druck. 1868. S. 58. — Ed. Jaeger, Einstellungen des dioptr. Apparates. Wien.
1861. S. 25, 33, 42, 46, 50, 54, 62, 70; Handatlas, Fig. 41—43, 59, 60, 109—128. —
Donders, Die Anomalien der Refraction und Acc. Wien. 1866. S. 296, 302, 304,
306, 311, 313, 316, 318, 322, 324, 330, 332, 337. — Graefe, A. f. O. I. 1. S. 390,
394, 397, 399; I. 2. S. 307, 309, 310; II. 2. S. 241, 294; III. S. 394, 396; IV.
2. S. 153, 155; VIII. 2. S. 304, 306; XV. 3. S. 173. — Heymann, ibid. II. 2.
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spiegels. Berlin, 1864. S. 81, 84. — H. Müller, Verhandlgn. der Würzb. phys. med.
Gesellschft. 1858. 8. Mai. c. — Wedl, Atlas, Iris-Chorioidea, Retina- Opticus. —
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Leipzig. 1868. S. 71, 84, 87. — Secondi, Clinica oc. di Genova. Riassunto. Torino.
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S. 60; Berlin, kl. Wochenschrift. 1867. No. 50; 1868. No. 50. — Dohrowolslqi, kl.
Monatbl. 1868. Beilage. S. 99, 193. — Poioer, Lancet. 1868. L S. 16. — Mauthner,
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55, 58; XV. 3. S. 295, — Homer, ibid.
26'
4:04 Bindehaut; Anatomie: Limbos conj. : halbmondförmige Falte; Carunkel.
ACHTER ABSCHNITT.
Die Entzündung der Bindehaut, Syndesmitis.
Anatomie. Die Conjunctiva ist eine Schleimhaut. Sie beginnt als
unmittelbare Fortsetzung der äusseren Haut am Eande der Lider und über-
zieht als Lidbindehaut oder Conjunctiva palpebralis die hintere Fläche der
Augendeckel. Xahe dem Orbitalrande biegt sie von da ab und schlägt sich
als Uebergangstheil der Bindehaut auf den Augapfel hinüber. Auf diesem
angelangt, schmiegt sie sich der Lederhaut innig an und überzieht deren
Vorderhälfte nahe vom Aequator an bis zum Eande der Hornhaut, den
Xamen Augapfelbindehaut, Conjunctiva bulbi, führend. Sie übergreift sogar
den äussersten Eand der Sclera und tritt als ein schmaler Saum, Limbus
conjunctivalis, auf die Cornea über, um mit dem Gefüge der letzteren völlig
zu verschmelzen. Die dem inneren Lidspalten-winkel entsprechende Portion
des Uebergangstheiles tritt in Gestalt einer mondsichelföi'migen Falte, der
Plica semilunaris, hervor. Dem vorderen Blatte dieser Falte sitzt die
ThränenJcarunkel auf, welche ein durch Bindegewebe zusammengehaltenes
Conglomerat von Haarfollikeln mit rosettenfömiigen Talgdrüsen und zwischen-
gelagerten Fettzellen darstellt. Es ist dieselbe durch ein Bündel sehniger
Fasern mit der Scheidenhaut des Auges an der Stelle verbunden, an welcher
die letztere von dem Muse, internus durchbohrt wird (Luschka).
Die Bindehaut besteht aui: reticulirtem Bindegewebe, dessen Haupt-
bestandtheile die sogenannten Bindegewebskörper und eine dazwischen ge-
lagerte, lockig gefaserte Intercellularsubstanz sind. In der ersten Kindes-
periode steht dieses Gefüge ziemlich rein da; späterhin aber erscheint es,
namentlich im Tarsal- und Uebergangstheile, reichlich durchsetzt von lym-
phoiden Zellen und gewinnt dadurch einen adenoiden Charakter (Henle).
Jfach vorne hin verdichtet sich das Gefüge zu einer dichten Basalmem-
bran, welcher das mehrschichtige, im Allgemeinen cylinderförmige Epithel
auflagert.
Die Bindegewebsköi-per sind spindeli^e oder sternförmige Kemzellen, von
deren Wand eine Anzahl höchst feiner, baumartig verzweigter, schlauchähnlicher
Fortsätze ausgeht, die mit ähnlichen Fortsätzen nachbailicher Bindegewebskörper
anastomosiren und so eine Art Netzwerk darstellen, als dessen Maschenknoten die
Zellen selbst zu betrachten sind. Die Intercellularsuhstanz ist durchsichtig, homogen,
aber nach gewissen Richtungen spaltbar, wodurch sie das Ansehen gewinnt, als
wäre sie aus verfilzten Bündeln höchst feiner, parallel neben einander ziehender,
wellenartig geschlängelter Fasern zusammengesetzt. Gemischt mit diesen Elementen
finden sich elastische Fasern in wandelbarer Menge. Das Epithel besteht in den
untersten Lajen aus runden Zellen, in den oberflächlicheren aber aus Zellen,
welche sich entschieden der Cylinderform nähern, doch etwas abgeflacht sind und
so Uebergänge zu jenen des Pflasterepithels darstellen (Wolfring). Im Bereiche
der Conjunctiva palpebrarum sind darunter auch Riff- oder Stacheizellen nachge-
wiesen worden '3/. Schnitze).
Jede der einzelnen namhaft gemachten Bindehautportionen hat ihre
anatomischen Besonderheiten. Die Lidbindehaut besteht aus einer der Cutis
Lidbiiuleluiut ; Uebergangstheil ; Mil«-. Aiiat. 405
enispreclienden derben Bindegewebslage, welche sehr innig mil. der hinteren
Fläche des Lidknorpels ziisammcnhiingi, indem von letzlerer eine Anzalil
kurzer slrafter Fasern in das Conjuuctivalgewebe pinselarlig ausstrahlt
(Wolfring). Doch scheiden sich die beiden Organe an feinen Durchschnitten
sehr deutlich durch die auffallend dunkle Färbung, welche die Conjunctiva
durch die massenhaft eingelagerten lymphoiden Körper erhält. Die Ober-
fläche der Tarsalbindchaut wird von zahlrciclien, nach allen llichtungen hin
streichenden, sich vielfach durchkreuzenden, bald tieferen bald seichteren,
bald gerade bald schief in die Tiefe dringenden, hie und da mit blinden
Zipfeln endigenden Furchen oder Einschnitten durchsetzt, welche im Quer-
schnitte viele Aehnlichkeit mit drüsenartigen Lücken haben und thatsächlich
auch für solche gehalten worden sind. Bei Kindern sind diese Furchen und
Einschnitte noch wenig entwickelt, bei Erwachsenen jedoch sind sie sehr
scharf ausgeprägt (Stieda^ Wolfring). Nach dem Augenlidrande hin, wo die
Bindehaut sehr dünn und mit dem Tarsus straff verbunden ist, erscheinen
sie dichter, zahlreicher und sehr flach ; nach dem convexen Eande des
Tarsus hin werden sie weniger zahlreich, aber dafür tiefer ; am Tarsalrande
selbst, wo die Bindehaut dicker und nur noch locker am Tarsus angeheftet
ist, beginnen sie unmittelbar in die tiefen Furchen überzugehen, welche
die Falten im Uebergaugstheile von einander abgrenzen und meist dem
Rande des Tarsus parallel angeordnet sind. Demgemäss findet man auch
die Conjunctiva unmittelbar am freien Lidrande noch ganz glatt, daneben
sieht man die kleinsten j3«j)i7Ze9mrij^e?j Erhabenheiten, die selbst mit der Loupe
kaum wahrzunehmen sind; weiterhin nach dem Uebergangstheile der Binde-
haut und dem Augenwinkel hin werden sie allmälig grösser, bis sie zuletzt mit
unbewaffnetem Auge schon wahrnehmbar werden und in die Falten der
Schleimhaut am convexen Rande des Tarsus übergehen. Man pflegt diese
Erhabenheiten als Papillen zu beschreiben ; doch kommt ihnen streng ge-
nommen dieser Charakter nicht zu. Jedenfalls fehlen ihnen die schlingen-
arfigen Gefässendigungen ; vielmehr ist die Vertheilung der Gefässe allent-
halben eine mehr gleichmässige netzartige (Stieda, Wolfring).
Der Uehergangstheil der Bindehaut ist viel lockerer gewebt, von lym-
phoiden Zellen besonders reichlich durchsetzt (Blumberg), dicker, und hängt
durch ein sehr langfaseriges und grobmaschiges flockenähnliches Binde-
gewebe, welches eine bedeutende Verschiebbarkeit bedingt, mit dem Orbital-
gefüge, namentlich mit den fascienähnlich verdichteten Theilen desselben
zusammen. Statt den papillenartigen Erhabenheiten finden sich an seiner
Oberfläche, wie schon erwähnt wurde, tiefe Furchen, deren grösste dem
Tarsalrand ziemlich parallel laufen und den betreffenden Bindehauttheil
quer gefaltet erscheinen lassen.
Innerhalb der Furchen des Tarsal- und Uebergangstheiles ist die Cylinder-
form der Epithelzellen im Allgemeinen etwas schärfer ausgeprägt als au der Ober-
fläche der Erhabenheiten, welche dem Liddrucke und der Abschürfung viel mehr
ausgesetzt ist. Zwischen den Epithelzellen der Bindehaut finden sich oft äusserst
zahlreiche rundliche Lücken von der Form einer stark ausgebauchten Flasche,
welche mit sehr engem Halse frei an der Oberfläche münden, und mit der Schleim-
absondertmg in näheren Zusammenhang gebracht werden. Man pflegt sie als Becher-
zellen zu beschreiben (Stieda, F. E. Schidtze, Eimer, Fries). Dazu kömmt im Ueber-
gangstheile eine Anzahl zzisammengesetzter trauhenförmiger Drüsen, die im Subcon-
junctivalgewebe lagern, mit langem Ausführungsgange schief an der Oberfläche
münden und in ihrem ganzen Baue mit der Thränendrüse übereinstimmen , daher
sie denn auch als accessorische Thränendrüsen beschrieben werden (Krause).
406 Bindehaut; Anatomie; Gefässe; Lymphgefässe.
Die Conjunctiva bulbi oder scleroticae ist minder derb und dick, als
jene der Lider, reich an elastischen Fasern nnd durch ein reichliches sub-
mucöses, mit Pettzellen in wechselnder Menge versehenes Bindegewebe
locker nnd verschiebbar an die die vordere Lederhautzone deckende
Scheidenhaut des Augapfels geheftet. Papillen und Drüsen fehlen an dieser
Portion, dagegen ist das Epithel stark entwickelt. Es setzt sich dasselbe
ununterbrochen auf die Hornhaut fort.
Die Gefässe sind in allen Theilen der Bindehaut reichlich vertreten,
besonders an der Tarsalportion und am Limbus conjunctivalis. Dieselben
sind in vordere und hintere zu sondern. Die ersteren versorgen den der
Cornea nächsten Gürtel der Conjunctiva bulbi und stehen im innigsten
Verbände mit den Episcleralgefässen (S. 379), sind in weiterer Instanz
also Zweige der vorderen Ciliaradem. Die hinteren Bindehautgefässe speisen
die hintere Zone der Cunjunctiva bulbi, den Uebergangsthoil und die
Tarsalportion. Die arteriellen Zweige derselben stammen aus den Gefässen
der Lider und der Thräuendrüse, bekommen jedoch auch Zuwachs aus der
Arteria angularis, temporalis und infraorbitalis. Die Venen gehen grössten
Theils in die Vena angularis und in die Schläfenblutadern über, anasto-
mosiren dabei aber auch mit den Orbitalvenen.
Die die Lidhindehaiit versehenden arteriellen Zweige kommen grösstentheils
von den an der Vorderfläche des Tarsus gelegenen Schlagaderbögen, durchbohren
den Knorpel und streichen an dessen innerer Fläche den Drüsenschläuchen pai-allel,
eine Menge Aestchen abgebend, welche theils rückwärts zu den Tarsaldrüsen
gehen, theils in die papillenartigen Erhabenheiten der Conjunctiva eintreten. Die
Venen dieses Gebietes nehmen einen ganz ähnlichen Verlauf (Wolfi-ing).
Die hinteren Bindehautgefässe stehen mit den vorderen und durch
diese mit dem Ciliarsystem in Verbindung ; ein unmittelbarer Zusammenhang
mit dem letzteren besteht aber nicht, oder ist doch ein überaus spär-
licher (Leber). Es erklärt dieses anatomische Verhältniss das Zustande-
kommen des sogenannten Gefässkranzes, d. i. die dichte Einspritzung
des vordersten Gürtels der Episclera und Conjunctiva bulbi bei Reizzu-
ständen und Entzündangen im Bereiche der Cornea, L:is und des Strahlen-
kranzes.
Am dichtesten pflegt die Injection im Limhus conjunctivalis zu sein. Derselbe
stellt sich dann als ein gleichmässig rothes, nach vorne scharf abgegrenztes Bänd-
chen dar, welches dem Hornhautrande von vorneher auflagert. In dessen unmittel-
barer Nähe gewinnt nämlich das episclerale Gefässsystem eine stärkere Entwicke-
lung; eine grössere Anzahl der kleinen Arterien biegt seitlich um und läuft im
Limbus, welcher des subconjunctivalen Gefüges entbehrt und demnach der Cornea
unmittelbar aufliegt, an der Peripherie der Hoi-nhaut hin, gibt dabei aber eine
Menge feinerer Reiserchen ab, welche sich bogenförmig mit einander vereinigen.
Aus diesen Bögen gehen feinere Zweigchen hervor, welche sich wieder durch
Anastomosen verbinden und so ein überaus dichtes Netzwerk erzeugen , das bis
auf den centralen Rand des Bindehautblättchens reicht und einerseits dem liand-
schlivgennelze der Cornea zur Quelle dient, anderseits aber auch zahlreiche Aeste
in die Bindehaut zurückschickt und durch deren Gezweige mit den hinteren Con-
junctivalgefässen in Zusammenhang steht. Die feinsten Endschlingen des im Lim-
bus gelegenen Netzes biegen in Venen um, sammeln sich zu feinen Aesten, die in
ähnlicher Weise zu einem dichten Maschenwerk verstrickt sind und grösstentheils
in die episcleralen Stämmchen der vorderen Ciliarvenen münden, ein verhältniss-
mässig sehr kleines Quantum Blutes jedoch auch in die peripheren Bindehautvenen
gelangen lassen (Leher).
Die Lymphgefässe sind in der Conjunctiva sehr zahlreich. Es scheint, dass
sie frei in die Interstitien des Bindegewebes münden (Billroth, TomsaJ. Am Rande
Nerven; Syndesmitis ; Nosologie. 407
der Cornea sollen sie ein dichtes Netz bilden , welches gegen die letztere hin in
eine grosse Anzahl wenig gekrümmter Bögen übergeht. An seiner Peripherie sah
man ein stärkeres lymphatisches Gefäss, welches den Hornhautrand in einem ziem-
lich regelmässigen Kreise umgibt. Von ihm sollen viele Aeste auf die Cornea über-
gehen, während anderseits eine Menge von Zweigen nach hinten ausläuft und in
eigentlich lymphatische Stämme mündet, welche weiterhin mit den Snbmaxillar-
driisen in Verbindung stehen (W. Krause, Mauchle).
Auch an Nerven ist die Bindehaut reich, namentlich der Palpebral-
theil und der Limbus conjunctivalis, weniger der Uebergangstheil. Sie ge-
hören zum allergrössten Theile dem Nervus quintus an. Der Rest ist sym-
pathischen Ursprunges (S. 9).
Dieselben treten in zwei starke Bündel zusammengedrängt nahe den beiden
Augenwinkeln in den Hintertheil der Conjunctiva ein, verzweigen sich rasch baum-
artig und verbreiten sich über den gesammten Conjunctivalsack. In der vordersten
Schichte bilden sie ein weitmaschiges Geflecht, welches theils unter theils über
dem Capillarstratum lagert und eine grosse Anzahl von feinen marklosen Fäden
abgehen lässt, welche unmittelbar unter dem Epithel grössere Strecken weit in
leicht geschlängeltem Zuge horizontal verlaufen, einzelne Zweige absenden und
schliesslich iu der Regel frei enden, ohne in das Epithel selbst einzudringen (Helf-
reich). In der Scleralbindehaut und in der halbmondförmigen Falte kommen, wenn
auch spärlich, Endkolben vor (KöUilcer). In manchen papillenartigen Erhabenheiten
sollen einzelne Nervenfäden in Tastkörperchen übergehen (Krause).
Die ungleiche Vertheilung der Bindehautnerven macht, dass die Palpehral-
portion am empfindlichsten erscheint, während die Uehergangsfalte einen niederen
Grad von Sensibilität beurkundet, so dass fremde Körper durch längere Zeit
daselbst lagern können, ohne Schmerzen zu verursachen. Es stehen diese Nerven
im innigsten functionellen Verbände mit den übrigen Zweigen des Nervus trigeminus,
besonders mit den Ciliarnerven und durch diese mittelbar mit dem lichtempfinden-
den Apparate. Stärkere Irritationen der Bindehautnerven führen daher gerne zu
Hyperästhesien im Bereiche des Ciliarsystems und des Opticus, während umgekehrt
diese wieder gerne Erregungszustände der ersteren veranlassen.
Das Secret der Bindehaut ist nicht blos Schleim, sondern auch Thränen-
flüssigkeit. Man kann mit Recht sagen, dass ein grosser Theil der den
Bindehautsack beständig überdeckenden Thränen seine Quelle in den
Conjunctivalgefässen finde.
Die Resorptionsfähigkeit der Bindehaut ist vermöge dem Gefässreich-
thume des Conjunctivalgefüges eine überaus grosse.
Nosologie. A. Die Entzündung charakterisirt sich wie anderwärts
so auch in der Bindehaut durch massenhafte Auswanderung weisser Blut-
körperchen aus den Gefässen und durch Vermehrung derselben auf dem
Wege der Prolification. Die jungen Zellen erscheinen dicht gehäuft an
den Wandungen der Gefässe und bilden in den tieferen Schichten der
Conjunctiva vielfach verzweigte, mehr weniger mächtige Züge, welche unter
einander anastomosirend eine Art Netzwerk darstellen, dessen weite Maschen
von dem serös infiltrirten und spärlicher mit eingewanderten Zellen durch-
streuten Bindegewebe ausgefüllt werden. Nach Vorne hin werden die
Maschen enger, das Gefüge der Bindehaut immer mehr verdrängt und
nahe der Oberfläche völlig ersetzt durch eine an Mächtigkeit wechselnde
Schichte von jungen Zellen, welche allen Erhabenheiten und Vertiefungen
folgt und nur durch die Basalmembran von der überlagernden, stark auf-
gequollenen Oberhaut getrennt ist. Diese ist in ihren tieferen Schichten
zum grossen Theile oder gänzlich aus jungen Zellen lymphoiden Charakters
gebildet und nur die oberflächlichen Strata mahnen durch ihre eckige ab-
geplattete Form an Epithelialgebilde, Bei höheren Intensitätsgraden des
408 Syndesmitis; Nosologie: catarrh. Weimorrli. pyorrli. Se<rret.
Processes jedoch verschwindet dieser Unterschied in den Oberhautlagen
und oft geht anch streckenweise die Basalmembran zu Grunde, so dass
das Infiltrat des Bindehautgefiiges und die das Epithel ersetzende Zellen-
schichte ein einheitliches zusammenhängendes Stratum bilden, welches schon
oft mit freiem Auge und auf einige Distanz als ein trüber Belag der Con-
junetivaloberfläche wahi-genommen werden kann.
1. Die äussersten Lagen dieses Stratums stossen sich fortwährend los,
und zwar ist diese Abscheidung neoplastischer Elemente eine um so
massenhaftere, je rapider der Process verläuft, je üppiger die Gewebs-
wucherung ist, je rascher also von der Tiefe her neue Elemente nach-
rücken.
Bei niederen Intensitäts^aden des Processes tragen die neugebildeten und
sich abstossendeu Zellen im Einklänge mit dem oben Gesagten zumeist den
Charakter junger EpHhelzdlen: theilweise indessen präsentiren sie sich unter dem
Mikroskope in der Form von Schleimköi-pern, kenntlich an dem trüben Inhalte und
dem unverhältnissmässig kleinen Kerne. Bei ii-achsender Intensität des Processes
entfernen sich die Elemente immer mehr von der epithelialen Form, sie wandeln
sich siivieist in Schleim- und EiterVörper um. Bei hohen Intensitätsgradeu gewinnen
die Eiferkörper weitaus die Oberhand und die epithelialen Zellenformen verschwin-
den ganz.
Gleichzeitig wird immer InterceUularsuh stanz abgeschieden , welche
gleichsam das Menstruum darstellt, in dem die geformten Elemente suspen-
dirt siad. Auch diese InterceUularsuh stanz wechselt ausserordentlich in
Menge und Beschaffenheit je nach der jeweiligen Intensität des Processes
und beeinflusst solchermassen in höchst aufialliger Weise die Qualität
und Quantität des sogenannten entzündlichen Secretes, welches eben nichts
Anderes ist, als die Mischung der Intercellularsubstanz mit den er-
wähnten , von der Oberfläche der Conjunctiva abgestossenen , geformten
Elementen.
Bei den niedersten Intensitätsgraden des Processes ist die Absonderung
der Intercellularsubstanz und der Zellen eine spärliche und jene zeigt alle
Eigenschaften des Schleimes, das Secret als Ganzes ballt sich und mischt
sich nicht mit den Thränen. Es ist der Schleim um so dichter und um
so durchsichtiger, je langsamer der Process einhergeht. Bei rascherem
Verlaufe und grösserer Intensität der Entzündung wird die schleimige
Grundlage an sich trüber und das Secret wird von dem zunehmenden
Gehalte abgestossener Schleim- und Eiterzellen woUdg streifig, oder von
massenhafter Beimischung von Eiterkörpern völlig opak und gleichmässig
weissgelb oder grünlichgrau gefärbt (catarrhalisches Secret).
Bei hohen Intensitätsgraden des Processes wird nicht nur die Production
von Eiterelementen, sondern auch die Abscheidung der Intercellularsubstanz
eine massenhafte, die letztere verKert dabei aber an Consistenz, wird dünner,
ohne jedoch die Fähigkeit des Fadenziehens zu verlieren und ohne mit
den Thränen zusammenzufliessen. Das den Conjunctivalsack in grosser
Menge überfluthende Secret erscheint dünnschleimig, gleichmässig trüb und
graugelb, oder völlig opak und eitergelb (blennorrhoisches Secret).
Bei den hccJisten Intensitätsgraden endlich tritt der schleimige Charakter
der stromweise hervorquellenden Intercellularsubstanz ganz zurück, diese
wird dünnflüssig, von Molecularmasse und fettigem Detritus trüb und
mischt sich mit den Thränen. Je nach dem grösseren oder geringeren
Gehalte an geformten Eiterelementen zeigt sieh dann das Secret bald als
Schwplliiiipf : Clioiiiose; Oedeiu. 409
ein rahmähnliclicv dicklichov, in den Tlivänon zorfliosseiidcr Eilcr, hnld
als oin grauwoisscs oder golbliches, molken- oder Üei.schwasserähnliclics
Fluiduni (pyorrhoisches Secret).
2. So wie an der OberÜächc wird auch in den tieferen Schichten der
entzündlichen Bindehaut neben geformten Elementen eine grössere oder
geringere Menge neoplastischer Intercellularsubslanz pvodiiciri. Piese schivitzt
theilweise durch und vermehrt die JMassc der krankhaften Absonderung;
zum anderen Theilo aber infiltrirt sie sich in das Gefüge der Conjunctiva
und bedingt im Vereine mit der Volumszunahme der Eindegewebskörper
und mit der hyperämischen Ausdehnung der Gefässe eine auffällige
Schwellung des Organes.
In der Lidportion kann vermöge der Strafflieit dos Conjunctival- und
Siibconjunctivalgewebes und vermöge dem Drucke, unter welchem das letztere
steht, die Infiltration niemals eine sehr grosse sein ; wohl aber in dem
Uebergangstheile iind in der Augapfelhindehaut, wo die Lockerheit der
Textur und ein relativ viel geringerer äusserer Druck für Intumescenzen
weit günstigere Bedingungen setzen. In der That findet man den Ueber-
gangstheil sehr gewöhnlich stark angeschwollen ; er tritt bei Abziehung
oder Umstülpung der Lider in Gestalt eines breiten, oder mehrerer schmaler,
parallel neben einander liegender Wülste hei'vor, und zwar bisweilen so
weit, dass die Kückkehr der Lider in ihre normale Stellung erschwert
wird. In gleicher Weise schwillt oft die Conjunctiva hulbi auf das Doppelte
und Mehrfache an und drängt sich aus der Lidspalte hervor; nicht selten
wird sie sogar zu mächtigen Wülsten aufgetrieben, welche die Schliessung
der Lidspalte erschweren und die Hornhaut theilweise oder gaiiz über-
decken.
Die Grösse der entzündlichen Schioellimg pflegt eine um so bedeutendere
zu sein, je heftiger die Entzündung in dem betreffenden Zeiträume ist.
Bei niederen Intensitätsgraden des Leidens macht sie sich gewöhnlich nur
im Uebergangstheile auffällig und ist auch da sehr oft nur eine geringe.
Bei hohen und höchsten Intensitätsgraden jedoch ist sie in den meisten
Fällen eine sehr grosse und beschränkt sich nicht auf die Conjunctiva und
das Untei'bindeliaulgewebe, sondern greift auch auf die Augendeckel und
deren Umgebungen über. Ist dann die Geschwulst sehr prall, tief und
gleiehmässig gcröthet, überdies auch sehr heiss und empfindlich, so nennt
man den Zustand Chemosis.
Ausnahmsweise ist freilich auch bei niederen Intensitätsgraden des Processes
die Schwelhuig der Bindehaut und ihrer Nachbarorgane eine sehr grosse. Bei
Kindern und bei Erwachsenen mit schlaffer icelker Haut kömrat dieses sehr häufig
vor. Das Infiltrat trägt dann aber nicht sowohl den enlzündlichen Charakter, es ist
sehr arm an festen Bestandtlieilen, es erweiset sich als 7-eines Serum, der Zustand
ist als ein wahres Oedem aufzufassen.
Die Geschwulst pflegt bis zur Acme des Processes zu steigen. Hat dieser
den Höhepunkt überschritten, so nimmt in der Regel auch das Infiltrat
an Masse ab, die Geschwulst sinkt, die Bindehaut faltet sich, wird welk,
ihr Gefüge erschlafft, während die Gefässe erweitert und injicirt bleiben.
Am Ende bilden sich die neoplastischen Elemente zurück, die Bindege^vfebs-
körper und ihre Ausläufer bekommen ilu* normales Aussehen wieder, die
Intercellularsubstanz wird unter völliger Absorption des Infiltrates auf das
natürliche Volum reducirt, die Gefässe ziehen sich zusammen, das ober-
410 Syndesmitis ; Nosologie; Hypertrophirende Fonnen; Trachom.
flächliche Zellenstratnm verschmächtiget sich unter Ahstossung des Ueber-
flüssigen und gewinnt unter Höhergestaltung der Zellen ganz den Charakter
des normalen Epithels.
Die Absonderung wird bei beginnender Erschlaffung nicht nothwendig sogleich
an Masse bedeutend verringert; im Gegentheile beobachtet man gar nicht selten
eine vorübergehende ansehnliche Sfeigeintng der Secretion, sei es weil unter Ab-
nahme der Geschwulst und sohin auch des auf der Bindehaut lastenden Druckes
die Circulation und damit die Zufuhr der Nutritionsstoffe erleichtert wird, oder
dass die Erschlaffung des Gefüges an sich die Secretion fördert. Bei weiterem
Rucks ehr eilen des Processes wird die Absonderung jedoch immer spärlicher, die
Eiterkörper verschwinden aus dem Secrete , sie werden durch Schleimkörper und
grosskernige Zellen ersetzt; die schleimige Grundlage wird dichter, heller, durch-
sichtiger, bis zuletzt die Quantität und Qualität des Productes dem normalen Binde-
hautschleime entspricht.
3. Doch nicht immer kehrt die Bindehaut in der geschilderten "Weise
zni ihrem Xormalzustande zurück. Im Gegentheile kömmt es sehr häufig
vor, dass die neiigebildeten Elemente in dem Masse, als die Gewebs-
wucherung langsamer einherzuschreiten beginnt, sich vollständiger aus-
bilden, und dass in Folge dessen die Bindehaut in allen ihren Theilen hyper-
trophirt.
Ein ganz ähnliches Resultat kann der Gewebswucherungsprocess auch
von vorneherein Liefern, wenn seine Intensität einen gewissen Grad nicht
überschreitet.
Am auffälligsten pflegt dann die Neubildung in dem Tarsaltheile der
Bindehaut hervorzutreten. Es schwillt derselbe in Folge des Gewebs-
wucherungsprocesses etwas an und aus seiner Oberfläche erheben sich
warzenähnliche Erhabenheiten, welche das charakteristische Kennzeichen des
sogenannten Trachoms oder der Ophthalmia granulosa abgeben. Sie ähneln
bei niederen Entwickelungsgraden der Form nach sehr den normalen
Papillen und sind in der That auch nichts anderes, als hypertrophirte
Papillen, daher sie als ,,papilläre Granulationen'^ beschrieben werden. Bei
höheren und höchsten Entwickelungsgraden gewinnen diese Auswüchse eine
sehr grosse Aehnlichkeit mit den Fleischwärzchen auf eiternden Wunden,
fliessen unter einander zusammen und können darum mit dem Xamen
„diffuse Granulationen^'' belegt werden.
Im Uebergangstheile kommen solche Auswüchse nicht vor, die Binde-
haut zeigt sich daselbst blos zart sammtähnlich rauh und schwillt mehr
weniger an. Diese Intumescenz ist aber keine gleichmiissige, vielmehr
erkennt man an der Oberfläche der geschwollenen Uebergangsfalte sehr leicht
eine Anzahl hinter einander gelegener, nahezu parallel laufender, schmaler
und niederer Längswülste, welche durch seichte Querfurchen gerifft erscheinen
und so das Ansehen haben, als wären sie zusammengesetzt aus einer Anzahl
von reihenweise neben einander liegenden Körnern, die nur mit dem Zenith
aus der Bindehaut herausrageu, mit ihrem Körper aber in das Parencliym
eingebettet sind und daselbst ohne deutliche Grenzen unter einander
und mit dem h3^ertrophirten Stroma der Conjunctiva verschmelzen.
Man kann diese Erhabenheiten mit dem Namen „trachomatöse Körner'^
bezeichnen.
In der Conjunctiva bulbi entwickeln sich weder Granulationen noch
rundliche Körner, die hypertrophische Massenzunahme ist daselbst immer
eine gleichmässige und in der Kegel auch eine unverhältnissmässig geringe.
Anatomie der trachom. Granulationen u. Körner. 411
Die Oberfläche der trachoraatösen Bindehaitt zeigt sich unter dem
Mikroskope von einem raäehtio-cn Lag'er junger Zellen überkleidet, welches
allen Unebenheiten folgt und daher auf senkrechten Durchschnitten in
ganz unrege Imässigo, tief in das Gefüge einschneidende Falten geworfen
erscheint. Die Elemente der äussersten Schichte tragen, besonders in mehr
chronisch verlaufenden älteren Fällen, den epithelialen ('harakter. Jene des
darauf folgenden Stratums entfernen sich vermöge ihrer Kleinheit und
rundlichen Gestalt noch wenig von dem Typus der Bildungszellen jugend-
lichsten Alters. In der innersten Schichte wachsen die neoplastischen Zellen
bereits aus , zeigen ovale vind spindelige Formen , besitzen zum Theile
schon Fortsätze, gruppiren sich in Züge, lassen überdies auch Spuren
einer streifigen Intercellularsubstanz nachweisen und sind von einem
dichten Netze neugebildeter Capillaren durchstrickt, bekunden also un-
zweideutig den Uebergaug in vascularisirtes Bindegewebe. Es ist diese
j^Granulatioiisschichte^'' im Bereiche der Tarsalconjunctiva gewöhnlich am
dicksten und treibt hier überdies nicht selten warzige, kolbige, bisweilen
sogar blumenkohlähnliche Auswüchse, welche die Rauhigkeit daselbst um
ein Beträchtliches vermehren. In der Uehergangsfalte tritt diese Schichte
etwas mehr zurück und hat gemeiniglich eine ziemlich gleichmässige Dicke.
Nach hinten hin setzt sie sich in Gestalt verzweigter Balken in das unter-
lagernde adenoide Gewebe der Conjunctiva fort. Die lymphoiden Zellen
erscheinen in letzterem ansehnlich vermehrt und häufen sich in den mehr
lockeren Theilen, besonders in den papillenartigen Erhabenheiten der
Lidbindehaut und in den Falten der Uebergangsportion , zu förmlichen
Nestern (Wolfring, Blumberg). Es sind diese Nester oft durch eine dünne
Lage verdichteten Bindegewebes , auf welcher sich ein reiches Gefässnetz
verzweigt, von der Umgebung scharf abgegrenzt und zeigen dann vermöge
ihrer rundlichen Gestalt eine grosse Aehnlichkeit mit angeschwollenen
DrüsenfoUikeln, für welche sie wirklich lange Zeit gehalten worden sind.
Doch ist ihre Grundlage nichts weiter, als ein gefässarmes bindegewebiges
Maschenwerk, welches gleich der Hülle seine Gestalt lediglich der Verdrän-
gung durch die aufgehäuften Zellen verdankt. Dazu kömmt, dass die Hülle
häufig nur an der der Oberfläche zugekehrten Seite nachweisbar ist oder
gänzlich fehlt, das Zellennest sich daher ohne deutliche Grenze im um-
liegenden Gewebe verliert. Im Inneren der Nester verzweigen sich Lymph-
gefässe, welche mit den in der Conjunctiva verlaufenden Stämmen im
Ztisammenhange stehen (Wolfring).
Die lymphoiden Zellenhaufen vergrössern im Bereiche der Tarsal-
bindehaut den Umfang der papillären Excrescenzen nicht unbedeutend.
Im Uebergangstheile , wo sie sich am mächtigsten zu entwickeln pflegen
und die darüber liegende Granulationsschichte minder dick ist, bilden sie
die eigentliche Grundlage der trachomatösen Körner und bestimmen deren
Form und Grösse. In der Eegel werden sie von der stark vascularisirten
Granulationsschichte völlig gedeckt, die kranke Conjunctiva zeigt allent-
halben ein ziemlich gleichmässiges Roth , welches durch die grössere oder
geringere Dicke des überlagernden Epithelstratums mehr oder weniger
mit Grau gedämpft wird. Nicht selten jedoch kömmt es innerhalb der
lymphoiden Zellennester zur Ausscheidung grösserer Mengen einer gelatinösen
Intercellularsubstanz oder einer serösen Flüssigkeit. Die trachomatösen Körner
4-12 Syndesmitis: Nosologie: Reines Trachom: chron. Blennorrhoe.
nehmen dann selbstverptändlich sehr bedeutend an Umfang zu und können
die sie deckende Granulationsschichte -wohl auch durch Druck verdünnen
und zum Theile ihres Blutgehaltes berauben. Die Folge ist, dass die
Ivmphoiden Zellennester nun als blasse, senf- bis hanßcorngrosse halbkugelige,
sulzartig oder lympTi'dhnlich durchscheinende Körner, welche die grösste Aehn-
lickeit mit den Eiern des Frosch- oder Fischlaiches haben, sehr stark über
die Oberfläche der Bindehaut hervorragen.
Es finden sich derartige froschlaichähnliche Kömer im üebergangstheüe
häufig einzeln, oder sparsam und zerstreut, Jieben exquisitem Trachome der
vorhin geschilderten Form. Sie erscheinen dann gewöhnlich zwischengestreut
zwischen die opaken Körner und man kann aus den zahlreichen Uebergangs-
formen sehr deuthch erkennen, dass die ersteren eigentlich nichts anderes
als Modificationen der letzteren sind.
Mitunter strotzt aber auch der üebergangstheil von einem solchen
sulzigen Infiltrate und dessen Oberfläche ist so dicht mit froschlaich-
ähnhchen Körnern besäet, dass dieselben sich an der Basis gegenseitig
abplatten und dass die Zwischenräume ganz verschwinden. Die übrigen
Portionen der Bindehaut können dabei in ganz ähnlicher Weise alterirt
sein , wie bei der gewöhnlichen Fonn des Trachoms ; oder es lässt die
Tarsalbindehaut blos die Symptome eines leichten Catarrhes mit unbe-
deutender Schwellung der papillenartigen Erhabenheiten erkennen; oder
endlich es» ist die Conjunctiva bulbi und palpebrarum nur von einem
ganz schütteren Gefassnetze durchstrickt und gleich der Uebergangsportion
gelatinös oder serös infiltrirt.
Man hat da-i reine froschlaichartige Trachom, als eine ganz besondere Art der
Bindehautentzündung erklärt und als „Trachom im eyigeren Wortsinne''^ den mit
papillären Granulationen eiuherschreitenden Formen, welche Manche auch mit dem
Namen ^chronische Blennorrhoe"^ belegen (Piringer, Arlt), gegenüber gestellt. Es
lässt sich dagegen nicht viel einwenden , da die Grenzbestimmung der einzelnen
Arten der Syndesmitis immer eine ziemlich icillkürliche bleiben muss. Richtiger
dürfte es indessen sein, in den beiden genannten Formen nur die Endglieder Einer
zusammenhängenden Kette von Modificationen eines und desselben Processes zu erkennen.
Es kommen nämlich die froschlaichartigen Körner im Uebergangstheile weitaus am
häufigsten nehen exquisitem papillwen Tj-achome der Tarsalbindehaut zur Entwicke-
lung und machen unter Beibehaltung jenes Unterschiedes die Aufstellung einer
Zwischenform, „des gemischten Trachomss,^ unbedingt nothwendig. Auch ist nicht
zu übersehen, dass hochgradig entwickelte Fälle von papillarevi uud gemisclitem
Trachome , wenn sie veralten , unter Entwickelung froschlaichartiger Körner sehr
gerne in sidzartige Degeneration des Conjunctivalgefüges übergehen.
Die Gewebswucherung ist bei höhergradigen Fällen keineswegs auf
die Bindehaut im engeren Wortsinne beschränkt. Auch das lockere Suh-
conjunctivalgefüge leidet in derselben Weise und wird ganz gewöhnlich
durch sulzähnliches Infiltrat mächtig aufgetrieben. Ausserdem pflanzt sich
die Entzündung gerne auf die Hornhaut fort , die Erscheinungen der
Keratitis vasculosa bedingend. Auch greift sie häufig auf den Lidknorpel
über, dessen Gefüge wird, besonders in der gefässreichen Umgebung der
Drüsenfollikel , von Ivmphoiden Zellen reichlich durchsetzt (Wolfring),
die InterceUularsubstanz schwillt auf, wird lockerer, saftreicher und
der Tarsus wird dadurch nicht selten so erweicht, dass er sich unter
dem Drucke des Bindehauttumors nach allen Eichtungen hin bedeutend
ausdehnt.
Syndesmitis degenerativa, mombranosa. 413
4. In seltenen Füllen gevätli die Bindehaut ihrer ganzen Ausdohnung;
nach in einen chronisch schleichenden Wucherungsprocess , si(! lockert sich
ihrer ganzen Dicke nach auf, verwandelt sich in ein leicht blutendes
fleischwärzchenähnliches Gefüge , treibt aus ihrer sammtähnlich rauhen
Oberfläche lockere geftissreiche oder blasse weissgrauliche Geschwülste von
verschiedenem Umfange, welche rasch mit dem gegenüberliegenden Theile
der ConjunctivaloberÜäche verschmelzen und sich meistens auch bald auf
die Cornea fortsetzen, nachdem diese vorläufig in ihrer Nachbarschaft
infiltrirt und stellenweise an der Oberfläche exulcerirt worden ist. Der
Process schreitet im Laufe von Wochen und Monaten unaufhaltsam weiter,
ohne dass irgend welche Mittel einen sonderlichen Einfluss auf ihn nähmen.
Am Ende schrumpft die Bindehaut zu. einem derben sehnigen Gefüge und
verkürzt sich oft so, dass die Lidspalte auf eine schmale Einne zusammen-
gezogen wird , welche von fibröser Masse ausgekleidet ist. Das Resultat
ist also ein Xerophthalmus. Man kann den Process bis auf weiteres mit
dem Namen Syndesmitis degenerativa bezeichnen.
Es scheint, dass man die Krankheit jüngst als Lupiis conjunctivae beschrieben
habe (Arlt). Gegen die bipöse Natur spricht aber die scharfe Begrenzung am Lid-
rande. Wenn einmal hipöse Herde an der Gesichtshaut nebenher gingen, so kann
dies wohl auch auf einem Ztifalle beruhen.
5. Bei den bisher geschilderten Formen der Syndesmitis erscheint
die neben und aus den wucherndeii Zellen entwickelte Intercellularsubstanz
relativ arm an gerinnenden Bestandfheilen. Sie wird theils an die Oberfläche
der Conjunctiva ergossen und trägt dann den Charakter des Schleimes
oder einer trüben Flüssigkeit (secretorische Formen); theils wird sie in das
Gefüge der Bindehaut selbst infiltrirt und verfällt entweder der Resorption,
oder verdichtet sich allmälig und wird endlich m bindegewebiges Stroma
umgewandelt (hypertrophirende Formen). Li gewissen Fällen nun wird bei
Gegebensein eines intensiven Gewebswuchei'ungsprocesses die neugebildete
Intercellularsubstanz überaus reich an plastischen Bestandtheilen, sie gerinnt
sehr rasch und stellt in Verbindung mit den neoplastischen Zellenelementen
ein derbes starres Product dar.
a) Bisweilen kömmt es nur in den oberflächlichen gefässreicheren
Schichten der Bindehaut zur Ausscheidung einer solchen starren Masse : in
den tieferen Lagen der Conjunctiva wird ein an plastischen Bestandtheilen
ärmeres sulzähnliches oder gar serumartiges Product ausgeschieden. Es hüllt
jene starre, geronnenem Faserstoff'e analoge Intercellularsubstanz die ober-
flächlichen wuchernden Zellenstrata ein und präsentirt sich unter der
Gestalt hautartiger Schwarten von grösserer oder geringerer Mächtigkeit,
welche der Bindehautoberfläche aufliegen und , indem aus ihrer Hinter-
fläche zahlreiche flockige Fortsätze in das Conjunctivalgefüge eindringen,
mit diesem fest zusammenhängen , so dass eine Lostrennung nur unter
Erregung parenchjanatöser Blutungen möglich ist. Es sind diese Schwarten
das charakteristische Merkmal der sogenannten Syndesmitis membranosa.
Sie sind öfters über die ^'esamm^e Bindehautoberfläche ausgebreitet ; häufiger
jedoch erscheinen sie nur stellenweise, während an den übrigen Portionen
der Bindehautoberfläche die Intercellularsubstanz unter der Form von
Schleim zu Tage geht.
Es spricht sich darin die innige Verwandtschaft der Syndesmitis membranosa
mit den secretorischen Formen der Bindehautentzündung aus, eine Verwandtschaft,
414 Syndesmitis; Nosologie; diphtherische, exanthematische, suppurative Form.
welche sich übrigens auch noch dadurch beurkundet, dass jene sich sehr oft atis
diesen entwickelt und dass umgekehrt die Syndesmitis membranosa immer unter
abnehmender Intensität des Gewebswucherungsprocesses in die secretorischen For-
men der Bindehautentzündung übergeht, oder sich mittelbar in ein Trachom um-
wandelt.
h) In anderen ebenfalls ziemlich seltenen Fällen wird bei höchst-
gradiger Intensität des Entzündnngsprocesses nicht nur an der Oberfläche
starres Exsudat in Menge abgeschieden , sondern auch das Gefüge der
Bindehaut und selbst das Suhconjunctivalgewehe von einem rasch gei'innen-
den derben Producte in solchem Masse infiltrirt, dass es die Gefässe com-
primirt, dass das ParenchjTn also blutleer, blass wird und aus Mangel an
dem nöthigen Stoffwechsel nicht selten theilweise abstirbt. An der gefäss-
reichen Oberfläche der Bindehaut, namentlich im PapiUarbezirke, wird in
der Regel am meisten producirt ; es kömmt daselbst bisweilen zur Anbildung
von dicken Exsudatschwarten und die Conjunctiva tarsi wird wie beim
Trachome von warzigen Auswüchsen rauh (Syndesmitis diphtherica) .
Das diphtheritische Product stellt sich nach neueren Untersuchungen an der
Kehlkopfschleimhaut u. s. w. mikroskopisch als ein helles glänzendes Netzwerk
dar, dessen Fäden sehr verschiedene Dicke und Breite haben. Die Lücken da-
zwischen enthalten oft keine weiteren körperlichen Elemente; häufiger aber Lymph-
oder Eiterkörperchen in verhältnissmässig grossen Höhlen und in sehr wechselnder
Menge (E. Wagner, BiUroth).
■ c) In einer dritten Reihe von Fällen sammelt sich starres Entzündungs-
product an einzelnen Stellen im Gefüge der Bindehaut, zerfliesst aber alsbald
und stellt solchermassen Eiterherde dar, welche je nach ihrer mehr ober-
flächlichen oder tiefen Lage, nach der Art ihrer Begrenzung u. s. w.
mannigfaltige Formen darbieten.
a) Einmal sind es Äbscesse vor grösserer oder geringerer Ausbreitung,
welche sich bisweilen im Subconjunctivalgefüge difi'undiren, durchbrechen
und verheilen, oder sich vorerst in ein offenes, seltener in ein Hohlgeschwür
umwandeln.
ß) Das andere Mal wird durch die Schmelzung eines oberflächlichen
Productherdes gleich von vorneherein ein offenes Geschwür dargestellt.
y) In sehr seltenen Fällen kömmt es während dem Verlaufe des Blattem-
processes oder bei Gegebensein eines Eczemes der Gesichtshaut zur Bildung von
Eiterpusteln. Deren häufigster Sitz ist die dem Lidrande nächste Zone der Tarsal-
bindehaut und der Uebergangstheil. Die am letztgenannten Orte aufschiessenden
Pusteln sind ihrer äusseren Form und dem analvmischen Verhalten nach den frosch-
laichartigen Trachomkörnern völlig gleich, der Unterschied wird allein durch die
eiterige Beschaffenheit des Productes und durch die davon abhängige Opacität und
eitergelbe P"'arbe der körnigen Erhabenheiten begründet.
o) Ausnahmsweise hat man bei chronischem PenqjJiigiis anderer Körpertheile
in der Bindehaut das wiederholte Aufschiessen grösserer Blasen mit trübem In-
halte beobachtet. Die Blasen hinterliessen nach ihrer Berstung eine Excoriation mit
trübem Secrete ixnd führten später zur Schrumpfung und Xerose der Bindehaut
(White Cooper, Weclcer).
e) Ileberaus häufig kommen herpetische Efflorescenzen vor. Es sind
rundliche, scharf umgrenzte, hirse- bis hanfkorngrosse Knoten, welche durch
rasche Schmelzung ihrer vordersten Schichten und durch Abstossung des
vorläufig in Bläschenform emporgebauchten Epithels in oberflächüche
seichte, scharf contourirte Geschwürchen umgewandelt werden und ganz all-
mälig in die Tiefe greifen ; bisweilen jedoch auch ihrer ganzen Masse nach
auf einmal schmelzen und dann geschwürige Substanzlücken mit steil ab-
Combinationen, Hyperämien; Blutextra vasate. 415
fallenden lländern erzeugen, deren infiltrirtcr Boden sich öfters unter das
Niveau der eigentlichen Bindehaut senkt.
B. Es kann nicht genug betont werden, dass sich in den geschilderten
Differenzen durchaus nicht essentiel verschiedene krankhafte Vorgänge spiegeln,
sondern dass darin nur Modificationen eines und desselben Processes gesucht
werden dürfen, welche von mannigfaltigen, zum Theile äusseren Verhält-
nissen, von der Intensität und Qualität der Noxe, von der Dauer der
Schädlichkeitseinwirkung, von dem Stadium des Processes, von dem Zustande
der Gefässe , beziehungsweise selbst von der grösseren oder geringeren
Betheiligung der Bindehautnerven etc. abhängig sind.
In der That lässt sich eine auf jene Unterschiede gegründete Eintheilung
der verschiedenen Formen der Syndesnjitis nur in der Theorie durchführen ; in der
Wirklichkeit schwimmen die einzelnen scheinbar streng gesonderten Formen der
Bindehautentzündung durch zahlreiche Zwischenformen iind Combinationen völlig
in einander, so dass es häutig ganz allein von den suhjectiven Anschauungsweisen
des Arztes abhängt, ob er diese oder jene Form der Syndesmitis diagnosticiren
will. Sehr gewöhnlich wechselt überdies in einem und demselben Falle mit der Inten-
sität des Wucherungsprocesses die Qualität und Quantität der Producte sowie deren
Vertheilung. Es scheint dann, als ob sich eine Form der Syndesmitis aus der an-
deren heraus entwickelte. Es tritt z. B. der Process als Blennorrhoe auf, geht in
Diphtheritis über, um abermals zur Blennorrhoe zu werden und endlich durch den
Katarrh der Heilung zuzuschreiten, oder aber durch Hypertrophie des Conjunc-
tivalgefüges den Begriff des Trachoms zu erschöpfen. Ebenso häufig kommen
Mischformen vor, z. B. Trachome mit blennorrhoischer Absonderung, mit fortwährend
recidivirenden herpetischen Efflorescenzen; Katarrhe mit membi-anösen Fladen auf
einzelnen Bindehautstellen; Herpetes, welche sich allmälig mit Katan-h, mit Tra-
chom u. s. w. vergesellschaften u. s. w.
C. Der entzündliche Process verläuft in der Bindehaut immer unter
einer melu* weniger auiFälligen Hyperämie des Gefüges. Es steht diese im
Allgemeinen im Verhältnisse zur Intensität des Processes und zur Grösse
der Productivität der Entzündung. Im Besonderen sind jedoch manche
Ausnahmen zu beobachten. Gerade bei der intensivsten Form der Syndes-
mitis, bei der Diphtheritis conjunctivae, wird die infiltrirte Bindehaut
wegen Compression der Gefässe nicht selten im hohen Grade blutleer.
Auch bei dem reinen froschlaichartigen Trachome ist aus ähnlichen Gründen
die Hyperämie relativ wenig entwickelt.
Der Ton der Injectionsröthe variirt sehr. Er nähert sich bald dem hellen
Roth des arteriellen Blutes, bald tritt mehr die bläuliche Farbe des venösen Blutes
hervor. Es spiegelt sich darin einigermassen der mehr arterielle oder venöse Charak-
ter der Hyperämie. Beim Scorbut verändert sich die Farbe auffällig ins Violette
und Braune. Es liat übrigens auch der Zustand des Epithelstratums einen sehr
bedeutenden Einfluss auf die Nuance. Indem die Oberhaut nämlich unter der ent-
zündlichen Wucherung an Mächtigkeit gewinnt, theilt sie der Injectionsröthe der
darunter gelegenen Conjunctiva einen Stich ins Graue oder Graugelbe mit, welcher
lam so deutlicher hervortritt, je grösser die Massenzunahme ist und je trüber die
nengebildeten Elemente sind. Es nähert sich in Folge dessen die Farbe der Binde-
haut mehr dem blassen Rosa oder Lila, oder einem schmutzigen Gelbroth. Ausser-
dem wird die Injectionsröthe der Conjunctiva öfters auch durch imbibirtes Humatin
ins helle Gelblichroth oder Bräunlichroth abgeändert.
Bei stärkerer Injection der Bindehaut kömmt es nicht selten zu Blut-
extravasaten. Es repräsentiren sich dieselben anfänglich meistens als ganz
unregelmässige hellrothe Flecken, welche ilire Färbung später ins Bläulich-
oder Bräunlichrothe umwandeln, bei massenhaften Ergüssen jedoch auch
dunkel blut- oder purpurfarben, selbst schwarz erscheinen können. Besonders
416 Syndesmitis : Nosologie: Quellen; Bindehautcatarrli.
charakteristisch ist ihnen die Gleichmässiglceit ihrer Färbung und die Ver-
tvaschung ihrer Ränder ins Helhothe, Gelbliche oder Brännliche.
D. Der Gewebswncheningsproeess verläuft in der Bindehaut wie ander-
wärts in der Eegel unter einiger Erhöhung der Temperatur. Doch ist diese
meistens nur bei höheren Intensitätsgraden des Processes, zumal bei Vor-
handensein von Chemose, ohjectiv auffällig. Bei niederen Intensitätsgi-adeu
der Entzündung entgeht die locale Wärmezunahme meistens der Beobach-
tung, nur die rÄrä?2e??, »falls sie reichlicher fliessen, lassen einige Steigerung
der Temperatur erkennen.
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Königsberg, med. Jahrb. III. S. 78, 79. — Quadri, De la grannlation palp. Naples.
1863. — E. Wagner, Centralbl. 1867. S. 43. — White Cooper, Wecker, kl. Monatbl.
1868. S. 232.
1. Bindeliautkatarrh.
Krankheitsbild. Cltarakteristisch ist neben den Erscheinungen der
Hyperämie und Schwellung die Absonderung eines trüb schleimigen oder eiterig
schleimigen Productes in wechselnden, immer aber massigen Quantitäten.
1 . Die Hyperämie ist in- und extensiv sehr wandelbar je nach dem
Grade der katarrhalischen Affection. Sie kann sich auf den Papillarbezirk
beschränken , häufiger aber greift sie selbst bei niederen Graden des
Katarrhes auf die Uebergangsportion, einscliliesslich der halbmondförmigen
Falte und Carunkel, über. Bei hölieren Gi"aden erscheint neben der gleich-
massigen Injeclionsröthe des Lid- und Uebergangstheiles auch die Augapfel-
bindehant netzförmig eingespritzt. Bei den höchsten Graden des Katarrhes
ist die Bindehaut ihrer ganzen Ausdehnung nach gleichmäss^ig geröthet. Die
Jnjectionsröthe ist im Beginne, so lange die Reizerscheinungen vorwiegen,
eine mehr helle ; bei längerem Bestände des Katanhes spielt sie mehr ins
BläuUche und wird durch die Massenzunahme der oberflächüchen Zellen-
Krankheitsbiia. 417
schichte in sehr auffälliger Weise mit Grau gemischt, lila oder gi'au violett.
Blulextravasate sind bei höliergradigeiT Katarrhen anfänglich nichts Seltenes,
2. Die Schwellung des Gefüges spricht sich bei niederen Gi'aden des
Katarrhes meisthin nur in der halbmondförmigen Falte und Carunlcel etwas
deutlicher aus. Bei höheren (xraden erscheint auch der Ueb er g angstheil
etwas gewulstet. Bei den höchsten Graden endlich findet man bisweilen
eine der Chemose nahestehende Auftreibung der Conjunctiva. In den ersten
Stadien ist die Geschwulst eine mehr pralle und darum die Oberfläche der
infiltrirton Bindehautportionen eine glatte, spiegelnde. Im weiteren Verlaufe
wird die Bindehaut unter Abnahme der Tumescenz schlaff, welk, sie wirft
Falten und zeigt ganz unverkennbar eine schwammähnliche Auflockerung.
Durch die Anschwellung der Papillen gewinnt der Tarsaltheil der Binde-
haut gerne ein leicht sammtähnlich rauhes Aussehen.
Die Grösse der Geschwulst ist indessen keineswegs allein von der Intensität
des Entzündungsprocesses abhängig, denn selbst leicht c/i-adige Katarrhe combiniren
sich nicht gerade selten mit Oedevi der Bindehaiit und der Lider. Diese Theile
schwellen dann sehr bedeutend an, trotzdem die Injectionsröthe eine sehr blasse
ist, ja es kommen Fälle vor, in welchen nur ein sehr schütteres Gefässnetz die zu
mächtigen Wülsten aufgeblähte Conjunctiva durchwebt. Dieser Umstand, sowie die
deJ^j^'eBeschaifenheit lassen dann den Charakter der Geschwulst nicht leicht verkennen.
3. Eine merkliehe Temperaturerhöhung findet man wohl nur bei sehr
hochgradigen Katarrhen und auch da nimmt sie sogleich ab, wenn die katar-
rhalische Erschlaffung sich einzustellen beginnt.
4. Eben so wenig gehören heftigere Schmerzen, Lichtscheu etc. zu dem
Krankheitsbilde des reinen Katarrhes. Dieser verläuft meistens schmerz-
los, nur ein Gefühl von Brennen, Beissen, Jucken, oder als ob ein fremder
Körper, Sand , in dem Auge wäre , macht sich bemerklich. Und selbst
diese subjectiven Symptome belästigen den Ki'anken häufig nur zu gewissen
Zeiten, beim Aufenthalt in unreiner oder heisser Luft , bei Einwirkung
intensiveren Lichtes oder starker Lichtcontraste, besonders aber bei künst-
licher Beleuchtung, nach und während stärkeren Anstrengungen der Augen
behufs der Wahrnehmung kleiner Objecte, nach grösseren Bethätiguugen
der Kaumuskeln etc., wenn Wallungen oder Stauungen im Bereiche der
oberen Hohlvene veranlasst werden, z. B. nach starken Mahlzeiten etc.
Heftigere Schmerzen, besonders wenn sie mit Lichtscheu und reichlichem
Flusse wärmerer Thränen gepaart sind, deuten auf krankhafte Theilnahme der
mit den Ciliarnerven in näherem Verbände stehenden Theile. In der Regel wird
man die stärkere Injection des episcleralen Gefüges bei Vorhandensein jener Sym-
ptome nachweisen können, oft sogar schon die Anfänge lierpetischer Efflorescenzen,
einer Keratitis, oberflächliche Excorialionen des Cornealrandes u. s. w. vorfinden.
Wo aber die gleichmässige Injection der Conjunctiva bulbi die Wahrnehmung der
episcleralen Injection unmöglich macht, wird man selten fehlen, wenn man sie vor-
aussetzt und darnach seine therapeutischen Massregeln trifft.
5. Das katarrhalische Product wechselt einigermassen in Bezug auf
Qualität und Quantität je nach der jeweiligen Intensität des Processes.
Im ersten Beginne der Krankheit , kurz nach der Einwirkung der Noxe,
zeigt sich in der Regel nur eine gesteigerte Secretion von Thränen; diese
erscheinen meistens etwas viscider, schäumen leicht, sind wohl auch
gelblich oder röthlich gefärbt und führen sparsame kleine Flocken trüben
zähen Schleimes. Während sich die Entzündung allmähg entwickelt,
nimmt das schleimige Product an Masse zu, wird trüber und kann bei
hochgradigen Fällen selbst die Farbe und die Opacität des reinen Eiters
stell wag, Augenheilkunde. 27
418 Catarrhns conjunctivae: Krankheitsbild ; Secret.
annelimen; es unterscheidet sich von letzterem jedoch genugsam durch
seine Consistenz und durch seine Unfähigkeit , sich in den Thi-änen auf-
zulösen. Hat der Entzüudungsprocess seinen Höhenpnntt überschritten,
macht sich mehr und mehr die Erschlaffung des Conjunctivalgefüges geltend :
so steigert sich die Secretion des charakteristischen Productes und dieses
■flrird nicht selten trüber, eiterähnlicher als zuvor. Dafür tritt aber die
Thränenabsonderung mehr zurück, das katai-rhaUsche Secret gewinnt
aUmälig die Oberhand. Weiterhin nimmt auch die Menge des letzteren
ab; ausserdem wird es heller, durchscheinender; am Ende zeigt es nur
mehr trübe Streifen und gewinnt so immer mehr Aehnhchkeit mit dem
normalen Schleime der Bindehaut. Bei alten chronischen Katarrhen kann
der reichlich abgesonderte Schleim sos^ar slasähnlich durchsichtig werden.
Die krankhafte Secretion wird übrigens durch alles beeinliusst, was
den Eeizzustand der Bindehaut und die Hyperämie der Gefässe vorüber-
gehend zn steigern vei-mag. Blutwallungen und Blutstauungen, Einwirkung
von Staub, unreiner Luft, höheren Wärmegi*aden, helles Licht, Anstrengungen
der Augen u. s. w. vermehren auffällig die Quantität des Productes und
dessen Trübheit: während die entgegengesetzten Verhältnisse, der Aufenthalt
in kühler reiner finscher Luft, in massig erleuchteten Orten, Buhe der
Augen u. s. w. die Absonderung vermindern und der Qualität nach dem
XormaLzustande melir nähern. Am reichlichsten pflegt die Absonderung
des Abends und besonders des Morgens wälirend dem Halbschlafe zu sein.
Während dem nächtlichen Schlafe tritt sie etwas zurück und wird bei
geringgradigen, besonders bei veralteten chronischen Katarrhen, bisweilen
so gering, dass der Kranke beim nächtlichen Erwachen aus dem Schlafe
wegen dem Mangel der die Bindehaut feucht und schlüpferig erhaltenden
Secrete platterdings ausser Stande ist, die Lidspalte zu öffnen. Er muss
die Lider erst reiben oder mit Speichel befeuchten, ehe unter merklicher
Zunahme der Hyperämie und darin begriindeter Vermehrung der Absonderung
die Beweglichkeit der Lider zuriickkehrt. Oft klagen die Kranken haupt-
sächhch über diese Trockenheit der Äugen beim nächtlichen Erwachen, sie
ist das Lästigste und darum auffiilligste Symptom.
Der ohjecdve Xachiceia des katarrhalischen Secretes ist bei geringgradiger
Entwickelung des Leidens und bei reinlichen Kranken nicht in jedem Augenblicke
gleich leicht. Doch wird man in den meisten Fällen wenigstens in der unteren
Uehergang\fal'e einige Flöckchen vorfinden, wenn man das betreffende Lid abzieht
und den Kranken nach aufwärts blicken lässt.
Ausserdem trilft mau das Secret gewöhnlich im inneren LidicinJcel, entweder
in frischem Zustande, oder zu gelblichen oder bräunlichen Krusten vertrocknet.
Die in den Thränenbach gelangten Flocken werden durch den Lidschlag nämlich
gegen den inneren Augenwinkel getrieben und da sie die Thränenpunkte nicht
passiren können, sammeln sie sich daselbst und dorren unter dem Einflüsse der
atmosphärischen Luft ein.
Während des nächtlichen Schlafes, wo eine Bewegung der Lider nicht statt-
findet, ist eine derartige Verschiebung der Secrete gegen den inneren Augenwinkel
nicht möglich, es dringen die schleimigen Producte unter dem Drucke des Orbi-
cularmuskels einfach in die Lidspalte vor, bleiben hier zwischen den Wimpern
hängen, vertrocknen daselbst und kleben die äusseren Lefzen der beiden Lidränder
zusammen. Bei höher^radi^en Katarrhen bilden sich während der Naclit dicke
Krusten an den Lidrändem und auch während des Tages wird man constant eine
grössere Menge von katarrhalischen Producten im Bindehautsacke und der Lid-
spalte antreffen.
Ist der Kranke unreinlich, so häuft sich öfters das frische Secret und es
entwickeln sich mächtige Krusten in grosser Menge, so dass man für den ersten
Sehstörungen; Ursachen; Ophth. moibill., scarlat., variol. 419
Augenblick an das Geg^ebensoin einer Blennorrhoe denken könnte. Es genügt aber
die iieinigiing, um das wahre (.^uautiun der Absonderung- zu constatiren.
G. Der Bindehautkatarrh ist in der Kegel mit Gesichtsstörungen ver-
knüpft. Eei niederen Graden des Katarrhes bilden dieselben bisweilen
den HavptJdagepunJd der Krankon, diese werden durch jene in ihren
gewöhnlichen Beschiiftigungon ausnehmend belästigt und oft sogar gehindert.
Die in den Thränen suspendirtcn Flocken werden nämlich durch den Lid-
schlag mit den Thränen über die Hornhautoh er fläche hingeschmiert und
müssen vermöge ihrer optischen Ungleichartigkeit sich im Gesichtsfelde
geltend maclien, da sie die Objectbilder gerade so trüben, als ob der Kranke
ein trübes Glas vor den Augen trüge.
Das Bild einer Flamme erscheint daher wie in einen Dunstkreis eingehüllt
und nicht selten in Regenbogenfarben. Andere Objecte werden wie von einem
Schleier oder Nebel bedeckt wahrgenommen, welcher sich um so mehr verdichtet,
je mehr der Kranke sich anstrengt, jene deutlich zu sehen, da er damit den Reiz-
zustand seiner Bindehaut vermehrt. Daher die Klage der Kranken: sie können
beim Lesen, Schreiben etc. nicht ausdauern, indem alle Objecte verschwimmen
und nur zeitweise rein erscheinen, wenn die Augen ausgewischt worden sind.
Blickt der Kranke auf eine hell erleuchtete weisse Wand oder auf das Fir-
mament bei Tageslicht, so erscheint das Gesichtsfeld neblig streifig, von Myria-
den dunkler und heller Punkte, Flecken, Ringe, Ketten etc. durchsäet, welche
Figuren sämmtlich beweglich sind und eine auffällige constante Tendenz zum
Abwärtssinken lieurkunden (Spectrum mvcolacripnalej. Es tritt dieses Phänomen
besonders deutlich hervor, wenn man den Kranken durch ein feines Loch in einer
Karte schauen lässt. Es sind jene Figuren die Schatten von dem auf der Horn-
haut befindlichen Schleime und des in ihm enthaltenen Epitheldetritus, so wie der
darin sich bildenden Luftbläschen (Siehe Scotome).
Ursachen. 1 . Der Katarrh der Bindehaut entwickelt sich ziemlich
häufig in secundärer Weise und ist dann in dem anatomischen oder
functionellen Verbände begründet, in welchem die Bindehaut mit den
Nachbar Organen steht. So verlaufen im Ausstrahlung shezirke des Ciliar-
nervensystems, in der Nasenschleimhaut, in der Thränensackgegend und an den
Lidrändern nur selten heftigere Entzündungen, ohne dass die Bindehaut
in Mitleidenschaft gezogen würde. Nicht minder häufig pflanzt sich der
Process von der äusseren Gesichtshaut auf die Conjunctiva fort. Wirklich
geschieht es ganz gewöhnlich bei Erysipelas faciei, dass die Bindehaut
sich injicirt und in Gestalt mächtiger Wülste hervorspringt, welche je
nach dem Charakter des Erysipels bald mehr dem Oedeme, bald der
wahren Chemose entsprechen, beim .Rückgange des Erysipels zusammen-
fallen und die Bindehaut in wahrhaft katarrhalischem Zustande zurück-
lassen. Auch bei Impetigo, Eczem, Herpes zoster u. s. w. der Gesichtshaut
participirt nicht selten die Conjunctiva unter der Form des Katarrhes.
2. Es leidet die Bindehaut weiters fast constant in sehr auffälliger
Weise bei den acuten exanthematischen Processen, bei den Blattern, Masern,
dem Scharlach. Ihre AiFection macht sich schon im ersten Beginne des
Eruptionsstadiums geltend und charakterisirt sich bald als einfache Reizung,
bald als ein mehr minder heftiger Katarrh, ja es kann sich die Syndes-
mitis sogar bis zum Grade einer Blennorrhoe steigern. Die Bindehaut
participirt hier als ein Theil des allgemeinen Hautsystemes an der Krankheit,
daher denn auch die Bezeichnung dieser Form des Katarrhes als Ophthalmia
variolosaj morhillosa, scarlatinosa eine vollkommen berechtigte ist.
27*
420 Catarrlins conjunctivae; Ursachen; Aenssere ScMdliclikeiten ; Catarrh. sicc; Ansteckung.
Doch darf nicht vergessen werden, dass unter diesem Namen auch ganz
differente Zustände beschrieben werden . die PanOphthalmitis metastatica und embo-
lica (S. 370) nämlich, welche im Höhestadium anomal verlaufender Processe bis-
weilen zur Entwickelung kömmt, und der Heifes , welcher im TJesiccationsstadiuni
jener Exantheme sehr gerne auf der Cornea und Bindehaut aufschiesst.
3. Weitaus in den meisten Fällen ist der Bindehautkatarrh primär,
durch Scli'ddlichkeiten bedingt, welche die Conjunctiva direct getroffen haben.
Traumatische Eingriff'e, fremde Körper und chemische Agentien, welche
zufällig oder absichtlich in den Bindehautsack gelangten, nehmen unter
diesen Schädlichkeiten wegen der Häufigkeit ihrer ätiologischen Wirksam-
keit den ersten Platz ein. Besonders aber ist unreine, mit ammoniakali-
schen und überhaupt excrementitiellen Exlialationen, mit Eauch, Tabaks-
dampf, feinen Staubtheilen etc. geschwängerte Luft als ein höchst gewichtiger
Factor in der Aetiologie der Bindehautentzündung hervorzuheben. Stark
besuchte Wirths- und Kaffeehäuser, Ballsäle, Küchen und Bäckereien,
Fabrikslocale, in welchen eine namhafte Anzahl von Arbeitern einen
grossen Theil des Tages beisammen leben und sich allenfalls noch mit
staubenden Körpern beschäftigen; überfüllte Schifi'sräume, Wohn- und
Schlafstuben : Gefangenhäuser, Erziehungsanstalten, Armenhäuser, Herbergen
für Handwerksbursche und ähnliche Localitäten, vornehmlich aber Casernen,
sind als wahre Brutorte für Ophthalmien allgemein anerkannt. Unter den
physikalischen Schädlichkeiten ist besonders der Wind und die Zugluft her-
vorzuheben. Aber auch längere Einwirkung der atmosphärischen Luft auf
Theile des Bindehautsackes, welche für gewöhnlich nicht im Bereiche der
Lidspalte liegen, kann Ursache von Conjunctivalkatarrhen werden. Ectropien,
Verlust der Lider, Exophthalmus u. s. w. sind in der Kegel mit Bindehaut-
katarrhen complicirt. Zu den functionellen Schädlichkeiten zählen über-
mässige .Aastrengungen der Augen behufs deuthcheu Sehens, Beschäftigungen
mit kleinen Objecten bei unzweckmässiger Beleuchtung u. s. w., besonders
wenn das Accommodationsvermögen anfangt unzureichend zu werden. In
der That sind katarrhalische Zustände der Bindehaut sehr gewöhnliche Be-
gleiter asthenoplscher Beschwerden und dann bisweilen ausserordentlich hart-
näckig, besonders wenn die Correction des Accommodationsfehlers vernach-
lässigt wird. Es pflegen sich diese Bindehautaffectionen mehr durch lästige
Gefühle und Köthung, als durch vermehrte Schleimabsonderung zu ver-
rathen, daher man für sie einen eigenen K^amen, nämlich „Catarrhus siccus"
vorgeschlagen hat (Schirmer).
4. Endlich darf der wahrscheinlichen Uebertragbarkeit des Catarrhes
von einem Individuum auf das andere durch das Secret nicht vergessen
werden. Wenigstens in Bezug auf die mehr eiterähnlichen Producte ist die
Ansteckungsfälligkeit kaum zu bezweifeln. Beim chronischen Katarrhe hin-
gegen ist dieselbe laut direeten Versuchen (Piringer) Xull.
5. Als disponirendes Moment kömmt in Rechnung die Erschlaffung des
Bindehautgefüges und der Gefässe, wie selbe besonders bei alten Leuten,
ausserdem aber auch noch in Folge öfters überstandener oder lange
dauernder Bindehautentzündungen häufig beobachtet wird.
Der VerlaTif des Katarrhes ist im Allgemeinen um so langwieriger,
je weniger das ergriffene Individuum den veranlassenden Schädlichkeiten
sich entziehen kann. Ist dieses aber möglich geworden, so zeigt der
Katarrh eine um so grössere Hartnäckigkeit, je länger er bereits bestand.
Verlauf; Ausgänge; Verödung; flor Bindehaut; Ectropium; Blepharitis. 421
Frisch entstandene und durch zufällige, nur kurze Zeit einwirkende Schäd-
lichkeiten veranlasste AfFectionon gestatten demnach im Allgemeinen die
günstigste Prognose ; bei zweckmässigem V^erhalten des Kranken und
richtiger Therapie, ja wohl auch ohne alle Therapie, reichen oft wenige
Tage, in schwereren Fällen 2 — 3 Wochen hin, um den Process seinem
Ende zuzuführen. Bei Ectropien, Substanzverlusten der Lider u. s. w.,
wo die ätiologischen Momente fortwirken, so wie bei hochbetagten Leuten
mit sehr schlafl'em Gefüge wird der Katarrh wohl auch habltuel und
widersteht häufig allen Kurversuchen. Dieses gilt jedoch natürlich nur
im Allgemeinen, im concreten Falle machen sich öfters Ausnahmen geltend.
Der Verlauf ist übrigens durchaus nicht immer ein regulärer, so dass
der Process sich allmälig bis zu einem bestimmten Grade entwickelt und
nach und nach der Heilung wieder zuschreitet; sehr oft machen sich
Schwankungen bemerklich, indem bald die Reizerscheinungen mehr hervor-
treten, bald die katarrhalische Erschlatfung mit Vermehrung der Secretion.
Besonders häufig wird der Verlauf modificirt durch Complication des
Katarrhes mit Reizungen im Ciliarsysteme.
Ausgänge. Der reguläre Ausgang ist jener in Heilung. Unter ungünstigen
Verhältnissen kann der Katarrh sich indessen auch zur Blennorhöe etc.
steigern oder in Trachom übergehen.
Bei veralteten chronischen Katarrhen kommt es nicht selten zu merk-
licher Verdickung und Wulstung der Bindehaut; diese hypertrophirt und
obsolescirt zuletzt wohl gar in grosser Ausdehnung, sehnige derbe Narben-
flecke zurücklassend und Verkürzung der Uebergangsfalte, oft mit Ein-
wärtskehrung der Lidrandfläche (Entropium) bedingend. Bei polnischen
Juden ist ein solcher Ausgang nicht ganz selten Gegenstand der Beobachtung.
Man pflegt ihn durch ein vorausgängiges Trachom zu erklären. Doch ist
dies nicht für alle Fälle richtig, da manchmal während dem ganzen Ver-
laufe der Krankheit jede Spur der charakteristischen Granulationen und
Körner fehlt und nur eine ganz gleichmässige Wulstung der Schleimhaut mit
Schleimabsonderung nachzuweisen ist.
In anderen Fällen und zwar vorzüglich bei Greisen entwickeln sich
im Gefolge chronischer Katarrhe Ectropien. Es leidet nämlich unter fort-
gesetzter katarrhalischer Entzündung der Bindehaut am Ende auch der
Lidknorpel, wird allmälig erweicht und, indem seine Resistenz nicht mehr
zureicht, um das untere Lid zu stützen, hebt sich dieses etwas vom
Bulbus ab, senkt sich. Die damit verknüpfte Auswärtskehrung der Thränen-
punkte verstärkt dann noch die Hindernisse, welche die Thränenleitung in
der falschen Stellung des Lidrandes findet, es träufeln die Thränen fort-
während über die Lid- und Wangenhaut, excoriiren dieselbe, führen zu
erythematösen Entzündungen und endlich zur Schi-umpfung derselben, wo-
durch das Ectropium vermehrt, gleichzeitig aber auch wegen Bloslegung eines
Theiles der Bindehaut deren Entzündung und das Leiden des Knorpels
gesteigert und unterhalten wird.
Oefters führt der Katarrh, besonders wenn er lange dauert, zur
Blepharitis ciliaris, indem die Entzündung sich unmittelbar von der Binde-
haut auf die Umgebung der Liddrüsen fortsetzt oder aber, und dieses ist
häufiger der Fall, indem die aus dem katarrhalischen Producte durch Ver-
trockung entstandenen Krusten in Folge ihrer Zusammenziehung das
422 Catarrlius conjunctivae; Behandlung; Antiphlogosis ; Adstringentia.
Epithel des Lidrandes einreissen, Sprünge erzeugen und so die Einwirkung
der Luft, der Thränen u. s. w. auf das blosgelegte Gefüge der Liddecke
ermöglichen. Oft. tragen die Kranken hierzu insoferne bei, als sie die
Krusten abreiben und so Abschürfungen bedingen.
Behandlung. Deren Aufgaben sind ausser der Entfernung der etwa
noch wirksamen Krankheitsursachen: Beschrcbikung und Unterdrückung des
entzündlichen Geioebsivucherungsprocesses ; späterhin Tilgung des Erschlaffungs-
zustandes in dem bindegewebigen Stroma und in den Gefässen; ausserdem
aber auch Verhütung der melu" indirecten Folgezustände des Katarrhes,
besonders Verhinderung der Krustenbildung an den Lidrändern.
1. Wo die Beizerscheinungen vorwiegen, sei es im Beginne der Krank-
heit, oder wenn während dem weiteren Verlaufe zufällig einwirkende
äussere Schädlichkeiten die vorhandenen entzündlichen Störungen ver-
grössert haben ; insbesondere aber, wenn gleichzeitig eine beträchtliche
Injection des Episcleralgewebes hervortritt und die Irritation des Ciliai--
nervensj-stems sich durch lebhaftere Schmerzen, Lichtscheu und deren
Attribute geltend macht : muss die Behandlung eine reizwidrige, antiphlo-
gistische sein, alle irritirenden Mittel sind dann zu vermeiden.
Bei grösserer Intensität der entzündlichen Erscheinungen wird es ge-
rathen sein, den Ki-anken im Zimmer zu halten und für eine strengere
Augendiät zu sorgen. Als directes Mittel empfehlen sicli besonders kühle
Umschläge und, falls die nervösen Symptome sehr hervorstechen, Atropinein-
träufelungen.
Doch ist sehr zu warnen vor einer übertrieben emsigen Anwendung der Ueber-
schläge, da beim Katarrhe die locale Wärmeentwickelung eine zu geringe ist, als
dass fortgesetzte Kälteeiuwirkung vertragen würde. In der Regel genügt es voll-
kommen, mehrmals des Tages, besonders während etwaiger Exacerbationen, einige
gut ausgedrückte Ueberschläge zii appliciren, die übrige Zeit aber exspectativ zu
verfahren.
2. Treten die Erscheinungen der entzündlichen Reizung mehr zurück,
wird die Bindehaut schon etwas blässer und zeigt dieselbe durch ihre
Lockerheit, Aufwulstung und durch die Welkheit ihrer Falten bereits deut-
lich ihre Erschlaffung, fehlen zudem alle auf L-ritation des Ciliarsystems
hindeutenden Erscheinungen : so ist es an der Zeit, zu den adstringirenden
Mitteln überzugehen; die reine Antiphlogose genügt nicht mehr, um den
Process in möglichst kurzer Zeit zum Abschlüsse zu bringen.
Bei weitem am meisten leisten Bestreichungen der Bindehaut mit
einer Lösung von 1 — 5 GraTien Höllenstein auf die Unze destillirten Wassers
(S. 48). Wo immer die Auflockerung des Gefüges bei Conjunctivalkatarrh
etwas deutlicher hervortritt imd die Eeizsymptome nicht entgegen sind,
sollte die Kur mit diesem Mittel begonnen und fortgesetzt werden, bis die
Auflockerung und die krankhafte Secretion der Bindehaut beseitigt sind.
Ist uiiter einer solchen Behandlung der krankhafte Zustand bis auf
einige Hyperämie der Bindehaut getilgt worden, oder ist der Katarrh von
vorneherein ein sehr unbedeutender und die Auflockerung des Gefüges
wenig merkbar; oder ist der Kranke nicht in der Lage, den Arzt täglich
consultiren und jene Bestreichungen vornehmen lassen zu können : so
empfelilen sich die adstringirenden Collyrien (S. 46).
3. Bei veralteten chronischen Katarrhen, überhaupt wo die Erschlaffung
der Bindehaut und ihrer Gefässe einen sehr hohen Grad erreicht hat.
Caustica; Verhinduruiig der Krustonbildung. 423
insonderheit bei dem habituellen Katarrhe alter Leute, genügt das angeführte
therapeutische Verfahren öfters nicht, um die gewünschten Erfolge zu
erzielen. Dagegen pflegt unter solchen Verhältnissen die täglich einmalige
Bestreichung des Tarsal- und Uebergangstheiles der IJindeliaut mit der
glatten Fläche eines Kupfervitriolkrysialles (S. 49) vorzüghches zu leisten.
Ist der Kranke aber nicht in der J.age, täglich den Ai-zt zu besuchen, so
kann man den Bestreicluingen mit dem Krystallc eine Salbe aus gr. 5
Sulfat. Cupri ad drachm. 2 Ungt. comm. substituiren, welche der Patient
sich mittelst eines Pinsels alle Tage einmal in den Bindehautsack ein-
streichen lässt oder selbst einstreicht.
Sollte jedoch die sehr erschlaifte und aufgelockerte Bindehaut ober-
flächlich rauh, sammtähnlich oder gar körnig sein, so thut man besser,
wenn man vorerst durch einige Zeit die Bindehaut täglich einmal mit
einer Lösung von 1 0 Gran Höllenstein auf die Unze Wasser bestreicht und
damit fortführt, bis die Conjunctiva glatter geworden ist, worauf dann das
schwefelsaure Kupferoxyd in Kiystall- oder Salbenform bis zum Ende der
Krankheit fortzugebrauchen ist.
4. Um der Krustenbildung an den Lidrändern und deren üblen Folgen
vorzubeugen, dient während dem Wachsein des Kranken die öftere Keinigung
des Lidraudes mit nassen Leinwandläppchen. Während des nächtlichen
Schlafes ist die Reinigung nicht leicht möglich. Da dient zu jenem Zwecke
die Bestreichung der Lidränder mit einem reinen frischen Fette, mit Unguentum
simplex oder Cremor coelestis.
Am besten ist es, das Fett mittelst eines Pinsels auf den Lidrand auf-
zutragen und dafür zu sorgen, dass dasselbe zwischen die Wimpern ein-
dringe. Die Application geschieht bei geschlossener Lidspalte und der
Kranke ist anzuweisen, nach der Application die Lidspalte nicht mehr
zu öffnen , um den Bindehautsack vor der Einwirkung der Salbe zu
sichern. Man hat sich dabei zu hüten, dass nicht zu viel Fett aufgeschmiert
werde. Die Theile sollen nur von einer ganz dünnen Fettschichte über-
kleidet werden.
Haben sich trotz allen Vorsichten oder wegen unzureichenden thera-
peutischen Massregeln dicke harte Krusten an den Lidrändern gebildet,
welche fest an den Wimpern und der Epidermis haften, so müssen die-
selben durch Bähungen mittelst eines in laues Wasser getauchten feinen
Badeschwammes oder Leinwandläppchens vorerst völlig aufgeweicht werden,
ehe man sie durch Wischen entfernen darf, weil sonst leicht Excoriationen
bedingt werden. Statt Wasser kann man auch laue Milch verwenden.
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1828. S. 84. — Piringer, Die Blenn. am Menschenauge. Graz. 1841. S. 2, 4, 267,
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1863. S. 182. — Gtdz, Die sog. egypt. Augenentzündung. Wien. 1850. S. 22. —
Stillimj, kl. Monatbl. 1869. S. 189. — Galezowski, Gaz. d. hop. 1868. Nro. 108. —
Schirmer, kl. Monatbl. 1867. S. 114.
2. Syndesmitis membranosa.
Erankheitsbild. Charakteristisch ist ausser den Erscheinungen einer
meistens ziemlich hochgradigen Hyperämie und Schwellung der Bindehaut die
424 Syndesmitis membranosa; Krankheitsbild; Ursachen.
Entwicl'elung eines faserstoffigen, zu hautartigen Schollen gerinnenden, der Ober-
fläche der Bindehaut anhaftenden Productes.
Die Hyperämie ist gewöhnlich über die ganze Bindehaut, oft sogar
auch über deren Umgebung, besonders die Lider, ausgebreitet. Sie beur-
kundet sich durch eine ganz gleichmässige, mehr -weniger lebhafte, oft auch
dunkle und ins Bräunliche spielende Injectionsröthe. Auch die Schwellung
ist meisthin sehr stark, öfters sogar 'wirklich chemotisch. Oertüche Temperatur-
erhöhung sowie lebhafte Schmerzen im Auge und der entsprechenden Kopf-
hälfte fehlen, wenigstens im Beginne, selten. In manchen Fällen ist auch
Fieber nachweisbar.
Das Product erscheint in Fällen niederen Grades öfters in Gestalt
eines dünnen und zarten florähnlichen netzartigen Beschlages. In anderen
Fällen ist es massenhafter und präsentirt sich als eine dichte und in ihrer
Dicke sehr wandelbare, bisweilen ^j^'" und darüber mächtige, hautartige
Gerinnung von faserstofTähnlichem Aussehen und grösserer oder geringerer
Consistenz, welche den Bindehautsack seiner ganzen Ausdehnung nach
überzieht, im Umfange der Hornhaut durchbrochen ist und an der inneren
Lidlefze meistens eine scharfe Grenze findet, manchmal jedoch auch auf
den Lidrand übergreift, in seltenen Fällen sogar die beiden sich berühren-
den Lidränder zusammenklebt und so die Lidspalte schliesst. Das Product
ist durchscheinend, graulich , bei grösserer Dicke der membranartigen
Gerinnung aber völhg opak, sehnigweiss oder gelblich. Es hat geringe
Keigung zur Schmelzung und stösst sich daher fast immer in Form von
Fetzen oder auch im Zusammenhange von der Bindehaut los. Wo das
Product schmilzt, liegt nicht sowohl eine reine Syndesmitis membranosa,
als vielmehr eine Uebergangsform zur Syndesmitis diphtherica vor.
Ueberhaupt kömmt die Syndesmitis membranosa nur selteti in reiner
Form zur Beobachtung. Abgesehen von den Uebergängen zur Syndes-
mitis diphtherica stösst man ziemlich häufig auf Fälle, in welchen die
scholligen Gerinnungen nur einzelne Theile der Bindehaut, am gewöhnlichsten
die Uebergangsportion und die Conjunctiva tarsi, decken , während der
Rest der Bindehaut einfach katarrhalische oder blennorrhoische Producte
liefert, die nicht haften.
Ursachen. Die Aetiologie fällt grösstentheils mit der des Katarrhes
zusammen. Es ist auch sehr wahrscheinlich , dass die Syndesmitis mem-
branosa sich durch Ansteckung fortpflanzen könne; dass hierzu jedoch durchaus
nicht Secrete gerade dieser Krankheitsform nothwendig seien, sondern dass
vielmehr katarrhalische, blennon'hoische, ja selbst trachomatöse Secrete die
Veranlassung einer Syndesmitis membranosa werden können und dass um-
gekehrt die Secrete der letzteren durch Uebertragung einen Katarrh, eine
Blennorrhoe, ein Trachom u. s. w. erzeugen können.
Immerhin ist die in Rede stehende Krankheit eine selten vorkommende.
Zu Zeiten wird sie indessen häufiger beobachtet. Im Frühling und Sommer
bei sehr heissem und anhaltend trockenem Wetter findet sich dieselbe öfters
neben Fällen von acut auftretendem Trachom, Blennorrhoe u. s. w.
Verlauf. Wenn die Krankheit mehr selbständig auftritt , entwickelt
sie sich gewöhnlich unter ziemlich stürmischen Erscheinungen und hat
binnen wenigen Tagen ihre Höhe erreicht. In günstigen Fällen treten
dann die entzündlichen Erscheinvmgen wieder zurück, die Geschwidst
Verlauf; Ausgänge; Symblepharon; Xerophthalmus. 425
sinkt unter Abnahme der örtlichen Temperatur und der Schmerzhaftigkeit
sowie des Fiebers, wird weicher und schlaffer, es stellen sich schleimige
Secrete ein, das Gerinnsel stösst sich fetzenweise oder im Zusammenhange
ab und die Syndesmitis membranosa erscheint in einen Katarrh oder in
eine Blennorrhoe umgewandelt. Es geschieht indessen atich nicht selten,
dass nach einer solchen partiellen oder totalen Abstossung der Gerinnsel,
oder nach einer künstlichen Abtrennung derselben, sich neue Exsudat-
schwarten erzeugen, und dass so das Krankheitsbild der Syndesmitis mem-
branosa durch längere Zeit unverändert fortbesteht, ehe unter allmäliger
Erschlaffung der Gewebe die Secretion ein mehr katarrhalisches oder
blennorrhoisches Aussehen gewinnt.
In den meisten Fällen jedoch stellt die Syndesmitis membranosa
gleichsam nur eine Episode in dem Decurse eines hochgradigen Katarrhes
oder einer Blennorrhoe dar, indem sie sich durch den zeitweiligen Wechsel
der Productquahtät aus diesen herausbildet, um alsbald wieder in sie
überzugehen.
Ausgänge. Die Syndesmitis membranosa endet, wie erwähnt, gewöhn-
lich nicht direct in Heilung, sondern geht der Regel nach in andere
Formen der Bindehautentzündung, mit Vorliebe in Katarrh und Blennorrhoe
sowie in Trachom, über. An und für sich ist sie bei gehöriger Behand-
lung nicht gerade sehr gefährlich. Immerhin jedoch kann sie missliche
Zustände im Gefolge haben. So kömmt es ziemlich häufig vor, dass
einzelne Theile der sich berührenden Flächen des Bindehautsackes durch
das Product verkleben und, falls diese Verbindung nicht zeitig wieder auf-
gehoben wird, wirklich ueriüöcÄseji und dann /örwi^icÄ obsolesciren. Besonders
in dem gewnisteten Uebergangstheile sind derartige Verklebungen der Con-
junctivalf alten etwas sehr Gewöhnliches und können zur Verkürzung des
Bindehautsackes (Symblepharon posterius) mit allen deren üblen Folgen, ja
vielleicht selbst zum Xerophthalmus führen. Ausserdem ist bei hochgradiger
Entwickelung der Entzündungserscheinungen auch noch die Fortpflanzung
des Processes auf die Hornhaut zu fürchten. Das Resultat können unheil-
bare Trübungen sein. Verschwärungen der Cornea dürften weniger der
Syndesmitis membranosa im engeren Wortsinne, als vielmehr den Com-
binationen derselben mit Blennorrhoe, insbesondere aber den Uebergangs-
formen der Syndesmitis diphtherica, auf Rechnung kommen.
Behandlung. Deren Aufgaben sind ausser der Beseitigung und weiteren
Fernhaltung aller Schädlichkeiten, welche den Process unterhalten, steigern,
oder dessen Ausbreitung auf bisher gesunde Theile begünstigen könnten :
Die Tilgung des Gewebswucherungsprocesses als solchen und die Verhütung
jener üblen Folgen, welche die starren hautähnlichen Producte durch Ver-
klebung der einzelnen Bindehauttheile unter einander etc. zu bedingen
vermögen.
1. Im prophylaktischen Interesse ist es bei einseitiger Erkrankung
gerathen, das gesunde Auge durch einen hermetischen Schutzverhand vor
der Uebertragung des möghcherweise ansteckenden Productes auf seine
Bindehaut zu bewahren. Es ist dieser Verband unter öfterer Erneuerung
des Charpiebausches so lange zu tragen, als die Qualität des Krankheits-
productes eine Ansteckung befürchten lässt. Zeigen sich bereits die ersten
Spuren der Affection an dem bisher gesunden Auge, so muss der Schutz-
426 Syndesmitis membranosa; Behandlung; Quellen.
verband sogleich entfernt und die directe Behandlung des zweitergriffenen
Aiisies eingeleitet werden.
2. Die directe Behandlung muss, entsprechend dem Charakter der
Entzündung, eine streng antiphlogistische sein und um so kräftiger gehand-
liabt werden, je acuter der Process sich entwickelt und vorwärts schreitet,
je grösser die Circulationsstörung, je praller die Geschwulst, je bedeutender
die locale Temperaturerhöhung und je heftiger die entzündlichen Schmerzen
sind. In der Mehrzahl der Fälle werden anfänglich kalte Ueberschläge
und vielleicht auch Blutegel am Orte sein. Mercurialien zind zum mindesten
überflüssig.
3. 3Iit dem Zurücktreten der entzündlichen Erscheinungen muss auch die
Antiphlogose beschränkt werden. Wird im weiteren Verlaufe die Injections-
röthe blässer, die Geschwulst weich und schlaff, die Bindehaut faltig,
sinkt die örtliche Temperatur auf das normale Mass, stellt sich endlich
eine mehr katarrhalische oder blennorrhoische Secretion ein, während die
membranösen Producte sich fetzenweise abstossen, ohne sich wieder zu
ersetzen: so ist es Zeit, zu den adstringirenden Mitteln überzugehen, die
Behandlung des Katan-hes, der Blennorrhoe einzuleiten, oder einem etwa
in Entwickelung begriffenen Trachome wirksam entgegenzutreten. Es muss
dieses vorerst mit grosser Vorsicht geschehen. Sollte unter Anwendung
der betreffenden Mittel die Entzündung wieder steigen, so ist zur ein-
fachen Antiphlogose zurückzukelrren und die Application der Adstringentien
zu suspendiren, bis sich die Anzeigen für dieselben wieder dringender
gestalten.
4. Die häutigen Exsudate müssen stets auf das Sorgfältigste beobachtet
werden. So lange die Entzündung noch eine höhergradige ist und die
Membranen ihrer ganzen Ausdehnung nach der Bindehaut fest anhaften,
ist eine künstliche Trennung und Entfernung derselben kaum anzurathen,
indem dadurch ein heftiger Eeiz gesetzt und die Erzeugung neuer
Exsudate gefördert wird. Stossen sich die Membranen aber stellenweise los,
so ist eine Beseitigung derselben mittelst der Pincette oder mittelst eines
Leinenläppchens, welches man darüber hinwischt, nothwendig, da dieselben
bei jedem Lidschlage sich falten und als fremde Körper heftiger reizen, als
dieses eine vorsichtige Ablösung befürchten lässt.
Besondere Aufmerksamkeit ist auf etwaige Verklebungen der sich
berührenden Theile der Bindehaut zu lenken. Man verabsäume nie,
ein- oder mehrmal des Tages unter Abziehung des einen und des anderen
Lides die Uebergangsfalten auf das genaueste zu untersuchen, um derartige
Verklebungen zu entdecken. Man wird dann öfters sehr seichte, der
Uebergangsfalte parallel streichende Rinnen auf den vorspringenden Wülsten
dieser Bindehautportion finden, und diese Rinnen werden sich als die
Reste tief einspringender Falten ergeben, deren Wandungen völlig zusammen-
geklebt sind. Durch Streichen mit dem Finger, mit einem Federkiele
oder mit dem vorderen Ende eines Schlüssels wird die Trennung leicht
gelingen.
Oeleinträufelungen, Zwischenlegung eines Ei- oder Goldschlägerhäutchens etc.
sind , da sie zu sehr reizen und ausserdem die Verwachsung nicht sicherer ver-
hüten, verwerflich.
Quellen: Arlt, Die Krankheiten des Auges. I. Prag. 1851. S. 85. — Guh,
Die egypt. Augenentzündung. Wien. 1850. S. 34. — Buhne, kl. Monatbl. 1864. S. 44.
Blennorrhoe; Krankheitsbild. 427
8. Die Blcniiorrlioe, der Sclileimfluss der Bindeliaut.
Krankheitsbild. Sie charakterisirt sich durch die Erscheinungen einer
wahren Chemose und durch massenhafte Ausscheidung schleimig eiteriger zu Flocken
sich ballender, oder eiteriger in den Thränen zerfliessender Prodxicte.
1. Die Hyperämie ist auf die gesammte Bindehaut ausgebreitet, in
der Eegel sogar auch auf der äusseren Lidhaut und selbst in grösserer
Ausdehnung bemerklich. Die Injectionsröthe ist eine völlig gloichmässige,
meistens ziemlich dunkle mit einem Stiche ins Bläuliche, in den späteren
Stadien oder bei minder hohen Graden der Krankheit wohl auch ins
Gelbliche spielende. Wo bereits die Erschlaffung das Uebergewicht er-
langt hat, neigt die Farbe wegen der Ansammlung eines dichten Stratums
neugebildeter Zellen und eiteriger Producte auf der Oberfläche der
Bindehaut mehr ins Graue, sie nähert sich einem schmutzigen Lila
oder Violett.
Die Schivellung der Theile ist eine bedeutende. Die Lider springen
in Gestalt dicker gerötheter Wülste hervor, sind fast unbeweglich, die
Lidspalte ist geschlossen und das obere Lid häufig über den Band des
unteren Augendeckels hinübergeschoben. Wird die Lidspalte gewaltsam
eröffnet, so drängt sich der mächtig gewulstete Ueb er g angstheil hervor und
stülpt gerne das Lid um. Die Conjunctiva bulbi ist wallartig rings um
die Cornea emporgetrieben und deckt deren Peripherie, ja häufig erscheint
die Hornhaut in den Wülsten wie vergraben und nur das Centrum derselben
sieht hinter den letzteren hervor. In den ersten Stadien ist die Geschwulst
allenthalben mehr weniger prall und elastisch; späterhin werden die Wülste
aber weich, welk, schlaff, lassen sich leicht zusammendrücken und ver-
schieben, und wechseln vermöge ihrer eigenen Schwere je nach der
Stellung des Kranken ihre Lage ; die früher unbeweglichen Ldder werden
wieder, wenn auch im geringen Grade, beweglich und der fast starr
gewesene Bulbus beginnt den Gesichtsobjecten leichter zu folgen.
Die örtliche Temperatur ist in den ersten Stadien immer merklich
erhöht, sinkt mit dem Eintritte der Erschlaffung aber allmälig auf das
normale Mass herab.
Auch Schmerzen pfl.egen nur die ersten Stadien , in welchen der
sthenische Charakter der Entzündung vorschlägt, zu begleiten ; sie können
unter Ausstrahlung auf die ganze betreffende Kopfhälfte ziemlich hohe
Intensitätsgrade erreichen, besonders wenn gleichzeitig ein heftiger Keiz-
zustand im Bereiche des Ciliarsystems nebenher läuft. In den späteren
Zeiten treten die Schmerzen meistens sehr zurück, oder schwinden ganz,
vorausgesetzt, dass die Blennorrhoe rein dasteht. Fieberbewegungen sind
während dem Beginne und dem Höhestadium der Entzündung häufige Er-
scheinungen.
Das Product entspricht seiner Qualität nach in minder heftigen Fällen
ganz dem katarrhalischen, der Unterschied liegt nur in der Massenhaftig-
keit, daher es denn auch recht oft ganz von der Willkür des Arztes ab-
hängt, ob er einen hochgradigen Katarrh oder eine Blennorrhoe diagnosticiren
will. Bei den höheren und höchsten Intensitätsstufen des Processes schwindet
die schleimige Grundlage des Secretes, dasselbe wird rein eitrig und löst sich
428 Blennorrhoe; Pyorrhoe; KrankheitsWld ; Ursachen.
gleichsam in den nebenher abgesonderten Thränen auf. In Folge dessen
erscheint das Product je nach dem wechselnden Verhältnisse der sich
mischenden Absonderungen bald wässerig trüb, dem Fleischwasser oder
einer trüben Molke ähnlich; bald gleicht es mehr einer schlechten Milch;
bald endlich ähnelt es einem gelben oder grünlichen dicken Rahme und
ist völlig opak. Eigentliche Gerinnungen sind darin selten.
Strenge genomineu sollte man die Fälle mit schleimiger Productbasis von
jenen sondern, bei welchen das Product mehr den Charakter des wahren Eiters
trägt und in den Thränen löslich ist. Für die ersteren würde der Name Blennorrhoe,
für letztere Pyorrhoe passen. Es wäre eine solche Scheidung um so mehr gerecht-
fertigt, als die beiden Formen in Bezug auf ihre möglichen Ausgänge nicht ganz
übereinstimmen und auch wohl eine etwas abweichende Therapie verlangen. Immer-
hin stellen sie nur Gradunterschiede dar und gehen in einander über, insoferne
man häufig neben dem eigentlich pyorrhoischen Secrete und in demselben schwim-
mend die schleimig eitrigen Flocken der Blennorhoe findet.
Anfänglich ist die Secretion weniger reichlich, mehr wässerig, steigt
aber bald an Menge und an Gehalt fester Producte. Sie wkd dann oft
so massenhaft, dass eine kurze Unterbrechung der Reinigung des Auges
genügt, um alle Räume zwischen den Wülsten der Bindehaut zu füllen
und die Lidspalte mit Secreten völlig zu überschwemmen. Bald über-
schreitet das Product auch die Lidränder und ergiesst sich in einem oder
mehreren dicken Strömen über die Wange, dieselbe allenthalben mit
Krusten überdeckend und Excoriationen veranlassend. Selbst wälirend des
nächtlichen Schlafes, wo die Secretion etwas zurücktritt, ist die Masse des
Productes noch immer eine so reichliche, dass eine völlige Verklebung kaum
stattfindet, indem die sieh fortwährend nach aussen drängenden Ströme
die mittlerweile gebildeten Krusten stets wieder durchbrechen.
Ursachen. Die Blennorrhoe entwickelt sich häufig in Folge der Ein-
wirkung von Schädlichkeiten der mannigfaltigsten Art, wie selbe auch andere
Formen der Bindehautentzündung, insbesondere den Katarrh (S. 420), zu
veranlassen im Stande sind.
Ein höchst wichtiges ätiologisches Moment der Blennorrhoe ist ausser-
dem die Ansteckung in Folge der directen Uebertragung des blennorrhoi-
schen Secretes von einer kranken Bindehaut auf die Conjunctiva eines
anderen Auges. In der That ist die Contagiosität des blennorrhoischen
Secretes eine überaus starke und zwar erwiesener Massen um so grössere,
je intensiver die Blennorrhoe auftritt, je mehr der Eiter in dem Producte
vorwiegt und je frischer und reiner dasselbe auf eine Bindehaut über-
tragen wird.
Während der Zunahme und im Höhestadium der Blennorrhoe ist die An-
steckungsfähigkeit des Secretes eine bedeutendere, als im Stadium der Abnahme
und nachdem das Secret ein vorwiegend schleimiges Aixssehen gewonnen hat.
Durch Vertrockmmg sowie durch wenigstens 40fache Verdünnung mit Wasser ver-
liert das Product sehr an Contagiosität und haftet schwerer (PiringerJ, obwohl die
Gefahr der Ansteckung durch dasselbe immer noch besteht. Im Allgemeinen kann
man wohl auch sagen , dass durch mehrmalige Uebertragung des Secretes seine
Wirksamkeit als Ansteckungsstoff etwas abnimmt; denn es ist eine gewöhnliche
Beobachtung, dass, wenn das zweite Auge durch das Secret des ersterkrankten
angesteckt wird , der Process daselbst milder verläuft und weniger hohe Grade
erreicht.
Es gilt dieses alles aber nur im Allgemeinen, im concreten Falle ergeben
sich sehr viele Ausnahmen, welche in Anbetracht der Wichtigkeit der Sache die
grösste Beachtung verdienen. Besondere Berücksichtigung erheischt der Umstand,
Ansteckung; Trippersecret; Inculiation ; Ansteckung ihucli die Luft. 429
dass die Intensität und selbst die specielle Form der durch Uehertragung eines
solchen Secretes veranlassten Entzündung durchaus nicht immer dem Processe ent
spricht, welcher den ansteckenden Stoft' ffeliefert hat. Es kommen Fälle vor, wo
die Uebertranjunfjj des Secretes von hochgradif^en Katarrhen, von leichten Blennor-
rhoen und selbst von acuten Trachomen hikhstgradige perniciüse Pyorrhoen veran-
lasst, während umgekehrt die secundäre Aft'ection an Intensität der primären nach-
stehen kann.
Aehnlicli wie das blenuorrhüisdu! lUndehautsecret wirkt auch der auf
der Schleimhaut der Urethra und Vagina erzeugte Tripperschleim auf die
Conjunctiva und kann wahre Pyorrhoen der letzteren veranlassen. Auch
hier gilt als (Jrviudsatz, dass die Intensität des auf der Bindehaut hervor-
gerufenen Processes nicht immer im Einklänge steht mit dem Höhengrade
des Trippers. Zahlreiche' Beobachtungen stellen nämlich ausser allen Zweifel,
dass in entschiedener Abnahme begriffene, ja selbst bereits zur Chronicität
neigende Gonorrhoen Bindehauteitertlüsse der verderblichsten Art im Gefolge
haben können, während das itmgekehi'te Verhältniss wohl freilich aus-
nehmend selten ist.
Es muss hervorgehoben werden, dass eine Ansteckung der Bindehaut von
der Genitaliensclileimhaut aus gariz besonders günstige Verhältnisse voraussetze und
weit seltener vorkomme, als man zu glauben geneigt ist. Die Seltenheit der Oph-
thalmoblemiorrhoe auf syphilitischen Abtheilungen und in der Privatpraxis, ver-
glichen mit der Häufigkeit des Trippers und mit der geringen Vorsicht der Tripper-
afficirten, ist hierfür ein unuinstösslicher Beweis. Man hat also wohl Grund zu
der Behauptung, das Trippersecret habe weniger Verwandtschaft zur Bindehaut, als
blennorrhoisches C'onjimctivalproduct und umgekehrt. Letzteres ergibt sich aus der
seltenen Erkrankung der Genitalienschleimhaut bei primär aufgetretener Binde-
hautblennorrhoe.
Das Incuhationsstadium nach erfolgter Uebertraa'uncr des Ansteckunars-
o'-
stoffes auf die Bindehaut wechselt zwischen einigen )Stunden und Tagen.
Der Ausbruch der Blennorrhoe erfolgt um so rascher, je günstiger die
Verhältnisse der Ansteckung waren, je kräftiger das Secret also einzu-
wirken im Stande ist.
Für eine Uebertragbarkeit des Ansteckungsstoft'es durch die Luft lassen sich
durchaus keine schlagenden Gründe vorbringen und man hat alle Ursache, an der
Richtigkeit dieser Hypotliese zu zweifeln. Allerdings will man jüngst in der At-
mosphäre von Augenkrankensälen Epithelzellen gefunden haben (Frank, Eiselt) und
directe Versuche (Marston) deuten darauf hin, dass ein starker Luftstrom, welcher
über einen mit frischem Eiter getränkten Lappen getrieben wird , Eiterkörperchen
mit sich zu reissen vermöge. Allein von diesen Erfahrungen, auch wenn sie ganz
richtig sind, bis zum Nachweise einer durch die Luft vermittelten Ansteckung ist
ein weiter Weg, besonders wenn man die Exjjerimente berücksichtigt, welche mit
verdünntem und vertf'ocknetem Eiter angestellt worden sind (Piringer). Immerhin
liegt darin eine Aufforderung zur grössten Vorsicht, und man wird wohl thun, stets
so zu verfahren, als wäre die Ansteckung durch die Luft eine vollendete That-
sache. Wenn man in einem Krankensale nach dem Auskehren beim directen Son-
nenlichte, welches durch die Fenster scheint, die Myriaden von feinen Fasern,
Staubkörnern u. s. w. sieht, welche die Luft verunreinigen, kann man sich wirklich
des Gedankens nicht erwehren, dass darunter gar manche Partikelchen von Charpie,
Leinwäsche u. s. w. sind, welche von dem Eiter verunreinigt zu Boden fielen und
nun in der Luft herumwirbeln, nachdem sie vertrocknet sind. Dass frische Eiter-
elemente durch Verdunstung ihres Menstruums dem Secrete entführt und eine Zeit
lang unter gewöhnlichen Umständen, bei Ausschluss eines starken Luftstromes, in
der Atmosphäre schwebend erhalten werden können (Arlt, GraefeJ , ist vor der
Beibringung thatsächlicher Belege schwer zu glauben. Doch ist eines Umstandes
zu erwähnen, welcher manche Ansteckung wohl zu erklären im Stande wäre. Das
ziemlich klebrige Prodiict wirft bei Lidbewegungen oder beim mechanischen Aus-
einanderzerren der Augendeckel nicht selten kleine Blasen, welche bersten und
430 Blennorrhoe; Verlauf.
dabei Theile ihrer Wandung auf ziemliche Entfernung spritzen. Bei einiger Auf-
merksamlieit auf den Vorgang hat man oft Gelegenheit, dies zu beobachten. Es
kann solchermassen nun leicht geschehen, dass kleine Mengen des Ansteckungs-
stoffes in das Auge eines mit dem Kranken Sprechenden oder denselben Unter-
suchenden gelangen, namentlich wenn derselbe sein Gesicht dem Patienten sehr
nähert.
Verlauf. Die Blennorrhoe als solche verläuft immer acut, innerhalb
wenigen Tagen bis höclisteus 3 Wochen. Der Process im Ganzen kann
sich freilich Monate lang hinausziehen : dann handelt es sich aber nicht
um eine reine Blennorrhoe ; sondern am andere Formen der Bindehaut-
entzündung, welche entweder blos zeitweilig den Charakter einer Blennorrhoe
angenommen, oder welche sich aus einer Blennorrhoe allmälig heraus-
gebildet haben. In der That gescliieht es häufig, dass ein Katarrh
sich für einige Zeit durch Massenvermehrung des Secretes zu einer
Blennorrhoe steigert, oder dass eine Syndesmitis membranosa oder diph-
therica durch den Wechsel des Productes in eine Blennorhoe übergeht,
welche dann ihrerseits, gleich primär entstandenen Schleimflüssen ent-
weder rasch der Heilung zuschreitet, oder sich in einen Katarrh oder in
ein Trachom umsetzt, und als solche einen mehr weniger chronischen Decurs
nimmt. Andererseits kann der Process auch dadurch ein chronischer wer-
den, dass in Folge der Mitleidenschaft nachbarlicher Gebilde, des Knorpels,
der Cornea etc. Zustände gesetzt werden, welche zu ihrer Eückbildung
oder Ausgleichung längere Zeit in Anspruch nelimen.
Sieht man von diesen Verhältnissen ab und fasst man die Blennorhoe
nur in der oben festgestellten Bedeutung ins Auge, so kann hlos von einem
acuten Verlaufe die Rede sein und man kann sagen, dass dort, wo der
Verlauf nicht durch widrige Verhältnisse modificirt wird, die Blennorrhoe
sich rasch entwickele, innerlialb weniger Tage ihr Höhestadium ei'klimme,
sodann binnen Kurzem unter sichtlicher Erschlaffung der Gewebe von
ihrer Acme herabsteige und in einen einfachen Katarrh oder in Trachom
übergehe, als Blennorhoe demnach ihr Ende erreiche.
Wo neue Schädlichkeiten auf die Bindehaut einwirken oder die alten
fortbestehen, oder wo ein irrationelles Kurverfahren eingeschlagen wird,
kömmt es jedoch oft auch vor, dass die Blennorrhoe, nachdem sie sichtlich
in Abnahme begriffen war, wieder mit grösserer Intensität hervortritt und
dass so Exacerbationen mit Remissionen , die Blennorrhoe mit Katarrh
wechseln, ehe der Process zu seinem Ende geht.
Die Raschheit, mit welcher sich die Symptome entwickeln und steigern, lässt
die Blennorrhoe gewöhnlich schon im ersten Beginne diaguosticiren, bevor noch
die Ersclieinungen der Entzündung und das Secret den Begriff des Schleimflusses
erschöpfen. Bei der primär auftretenden Blennorrhoe findet man nämlich immer
schon wenige Stunden nach dem Beginne der Krankheit die Conjunctiva tarsi und
den Uebergangstheil stark gelockert und fast gleichmässig geröthet, die Conjunctiva
bulbi , besonders im Lidspaltentheile, mit groben Gefässnetzeii durchwebt, sulzig
infiltrirt, oft schon stellenweise wulstig, während gelblich gefärbte viscide, mit
Exsudatflocken gemisclite Thränen in reichliclier Masse ausgeschieden werden.
Am zweiten oder dritten Tage ist das Bild der Blennorrhoe nieisthin schon völlig
ausgeprägt.
Ausgänge. Die Blennorrhoe im wahren Wortsinne ist eine der ver-
derblichsten Augenkrankheiten, da sie sehr häufig trotz sorgfältigster und
anerkannt zweckmässiger Behandlung arge Schäden setzt oder das Auge
durch Phthise völlig zu Grunde richtet.
Ausgänge; Uornhautgeschwüre. 431
1. Die Ilaupfqpfalir liegt in der ]\röp,lichkeit flei" Fortpflanzung des
Entzündiingsprocesses auf die Hornhaut und in der dadurch bcgründbiircn
theilwcisen oder gänzlichen Zerstörung der letzteren durch Abscess- und
Geschwür sbilduny.
Es kömmt wohl aucli vor, dass wälireiid dem Verlaute einer Blennorrhoe
sich eine sogenannte Kerafitis v an ci darin entwickelt und in Panmi.t nhergeht. Dieses
ist aber ein höchst seltener Ausgang. Er geliört uieln- jenen Fällen zu, in welchen
gleich beim Beginne des krankhaften Processes der Papillarkörper stark aufschwillt
und wuchert, wo also die Blennorrhoe gleichsam in Combinatiüii mit dem Trachome
sich entwickelt, oder besser gesagt, wo ein Trachom nnter den Erscheinungen
einer Blennorrhoe in höchst acuter Weise zn Stande kömmt.
Es kann jeder Theil der Hornhaut, das Centrum ebenso gut wie die
Peripherie, den Hauptsitz des secundär angeregten Eiterungsprocesses
abgeben. Man hat diesen Ausgang um so mehr zu fürchten , je höher-
gradig die entzündlichen Erscheinungen in der Bindehaut ausgeprägt sind,
je lebhafter die Injectionsröthe, je grösser und praller der Conjunctival-
wulst rings um die Hornhaut und je bedeutender die örthche Temperatur-
zunahme ist. Insbesondere aber drohet jene Gefahr dann, wenn sich zu
allen diesen Erscheinungen auffällige S3'mptome einer heftigen Ciliar reizung,
intensive , über den Ausstrahlungsbezirk des Frontalnerven ausgebreitete,
mit hochgradiger Lichtscheu , Tln'änenliuss und Lidkrampf gepaarte
Schmei'zen gesellen. Nicht selten sclii essen dann an einer oder der
anderen Stelle der Cornea, meistens aber am Limbus conjunctivalis, eine
oder mehrere herpetische Efflorescenzen auf, welche sich rasch in secitn-
däre Geschwüre von grösserer oder geringerer Ausbreitung umwandeln und
arge Zerstörungen begründen. Häufiger aber trübt sich gleich anfangs ein
Theil der Hornhaut, am gewöhnlichsten die Oberfläche zuerst, indem das
Epithel sich auflockert, eine grauliche Parbe annimmt und durch Abstossung
einzelner Zellenhäufchen ein rauhes Ansehen gewinnt. Alsbald greift
dann die Trübung in die Tiefe, ilu-e Farbe weicht mehr ins Gelbe und
binnen kurzem ist ein Äbcess oder ein Geschwür zu Stande gebracht,
welche rasch nach allen Richtungen hin sich vergrössern und in Beziig
auf ihre misslichen Folgen ganz mit primär entwickelten, von Blennorrhoe
also unabhängigen Abcessen und Geschwüren übereinkommen.
Bei den höchsten Intensitätsgraden des Processes mit pyorrhoischem Cha-
rakter des Productes droht übrigens noch eine andere Form der Hornhaut-
affection und zwar die allergefalu'lichste, da sie in der Regel unaufhaltsam
zum Ruine der Cornea und damit auch des ganzen Auges führt. Sie kann
von jedem Punkte der Hornhautoberfläche ausgehen. Meistens aber beginnt
der entzündliche Zerstörungsprocess an einem Punkte der unteren Horn-
hautperipherie. Das Epithel trübt sich an jener Stelle und stösst sich
ab, einen kleinen Substanzverlust setzend, der allmälig tiefer greift, wäh-
rend er an dem Rande der Hornhaut rasch fortschreitet und verhältniss-
mässig langsam gegen das Centrum der Hornhaut hin weiter greift. Es
entsteht auf diese Weise eine mondsichel förmige Vertiefung oder Rinne, welche
in grösserem oder kleinerem Bogen die Cornealperipherie umsäumt, an der
Ursprungsstelle immer am tiefsten und breitesten ist, im seuki-echten Durch-
schnitte eine äussere fast rechtwinkelig abfallende, und eine innere, sehr
allmälig in die Tiefe sich senkende , grubig buchtige oder treppenförmige
4:32 Blennorrhoe; Ausgänge; Mondsichelförmige Geschwüre; Phthisis bulbi.
Wand darbietet, und deren Grund und Ränder mit einem an Detritus
sehr reichen eitrigen Producte infiltrirt und bedeckt sind.
Es ist möglich, dass dieser Verschwärungspi'ocess in einem näheren
causalen Bezüge zu dem pyorrhoischen Secrete als solchem stehe und durch
eine Ai-t katalytischer Einwirkung desselben auf die Hornhautsubstanz her-
vorgerufen oder wenigstens begünstiget werde.
Es spricht für eine solche Ansicht der Umstand, dass die mondsichelförmigen
Geschwüre fast ausschliesslich nur hei der Pyorrhoe und der ihr am nächsten ver-
wandten Diphtheritis , kaum jemals aber bei Blennorrhoen mit ausgesprochen
schleimiger Productbasis beobachtet werden, obwohl bei letzteren bis auf die ver-
schiedene Qualität der Secrete alle anderen Erscheinungen dieselben sind. TVeiters
lässt sich als ein stützender Grund anführen, dass die Zerstörung immer von der
Oberfläche beginnt und allmälig in die Tiefe greift und dass der Process in der
Eegel von dem tiefstgelagerten Punkte jener Rinne ausgeht, welche durch die
wallartig aufgetriebene Conjunctiva bulbi im Vereine mit der Hornhautperipherie
gebildet wird, also von dem unteren, oder unteren und äusseren Umfange der
Hornhaut, wo sich das Secret am leichtesten in, grosser Menge sammeln und auf
das Cornealsrefüge einwirken kann.
Einmal begonnen, schreitet der Process meistens rasch vorwärts.
Namentlich ist dieses dann zu fürchten , wenn der Homhautrand gleich
in den ersten Stadien der Ki'ankheit zu leiden beginnt, und wenn die
Pyorrhoe nach Entwickelung eines solchen Substanzverlustes nicht rasch
ihren Charakter zum Guten wendet. Da wird meisthin der grösste Theil
oder die gesummte Hornhaut zerstört. Beginnt die Yerschwärung erst,
nachdem der Process an Intensität bereits abgenommen hat, so kann man
eher auf Erhaltung der Cornea rechnen.
Die weiteren Folgen der mondsichelförmigen Geschwüre sind ausgebreitete,
bei stattgehabtem Durchbruche mit vorderen Synechien gepaarte Narben,
welche das Sehvermögen mehr weniger beeinträchtigen oder wohl auch
o c o
gänzlich vernichten. Es trägt hierzu nicht selten der Umstand wesentlich
bei, dass die den Substanzverlust ersetzende Xarbe unter allmäüger
Schrumpfung den von ilir umschlossenen Hornliautlappen abflacht oder,
indem sie dem intraocularen Dracke nachgibt und ausgedehnt wird,
die Hornhautmitte hervortreten macht und ihr eine falsche Kiiimmung
gibt (S. 145).
Erfolgt ein Durchbruch der Cornea, so entleert sich wohl auch die
Linse und ein Theil des Glaskörpers. Das Resultat ist dann gewöhnlich
Phthisis bulbi. Um so gewisser geschieht dieses, wenn, was ziemHch häufig
der Fall ist, der bisher verschont gebliebene Cornealtheil sich nachträglich
infiltrirt und verschwärt, oder der in weitem Bogen abgetrennte Hom-
hautlappen brandig abstirbt.
In seltenen Fällen, namentlich bei exquisit sthenischem Charakter der Ent-
zündung und höchstgradiger Spannung der Theile, stirbt die Hornhaut gleich von
vorneherein ihrer ganzen Ausdehming nach ab. wird trübe und verwandelt sich in
einen granlichen schmierigen Brei, welcher bisweilen eine Zeit lang der Iris
auflao-ert, in der Ree:el aber unter dem Drucke der Bulbuscontenta und mit diesen
ausgestossen wird, worauf der Augapfel phthisisch zu Grunde geht.
2. Weiters kömmt als ein sehr gewöhnhcher Ausgang der Blennorrhoe
das Trachom in Betracht. Sehr oft lassen sich die dem Trachome charakte-
ristischen Bindehautrauhigkeiten schon sehr frühzeitig, im Höhestadium des
Schleimflusses , nachweisen , das Trachom entwickelt sich unter den Er-
scheinungen einer Blennorrhoe. In anderen Fällen jedoch wuchern jene
Ptosis; Ectropium; Behandlung. 433
Granulationen erst in den späteren Stadien der Ophtlialraie auffällig hervor,
das Trachom lässt sich im eigentlichen Wortsinne als ein Aiisgang der
Blennorrhoe bezeichnen.
3. Ausserdem zählen zu den Ausgängen der Blennorrhoe noch der
Vorfall des oberen Lides und das Ectropium des unteren oder beider Augen-
deckel.
Der Vor/all (Ptosis) des oberen Lides resultirt einenseits aus der Schwellung
der oberen Uebergangsfalte , welche maclit , dass das verdickte obere Lid nur
schwer oder gar nicht zwischen das Orbitaldach und die Bulbusoberfläclie empor-
gezogen werden kann. Andererseits ist die bedeutende Zunahme an Volura und
Gewicht im Spiele, welche das Lid im Ganzen und in allen seinen constituirenden
Theilen, ausschliesslich des Knorpels und der äusseren Decke, erleidet. Endlich
liegt ein wichtiger Factor in dem Umstände, dass der Knorpel unter dem Drucke
der von liinten andräntrenden chemotischen Bindehautwülste und wecken der mit
der Wucherung seiner Elemente einhergehenden Erweichung nach allen Richtungen
stark ausgedehnt wird, und zwar oft in dem Grade, dass das Lid selbst nach dem
Sinken der chemotischen Geschwulst sich nicht mehr dem Bulbus anschmiegen
kann, sondern in Gestalt eines schlaffen Vorhanges an ihm herabhängt.
Die Ectropien entstehen nicht selten während dem Verlaufe der Blennorrhoe,
lassen sich aber leicht wieder ziirückbringen und werden so in der Regel gehin-
dert, in die ständige Form überzugehen, was leicht geschieht, wenn die Rück-
lagerung des umgestülpten Lides versäumt wird. Die Uvistütpung des Lides erfolgt
meistens durch vmgeschickte Hantirung des Kranken oder seiner Wärter, bisweilen
aber auch selbständig. Indem die Conjunctiva bulbi und der Uebergangstheil
mächtig aufschwellen, werden die Lider nach aussen hervorgetrieben und bedeu-
tend gespannt. An den Lidründern ist — wegen der Resistenz des Knorpels und
der ihn nach innen und aussen an den Orbitalrand anheftenden Ligamente — der
Widerstand am grössten, daher dieselben weniger hervorgebaucht werden, als die
Flächen der beiden Augendeckel. Die Folge ist, dass die Lidgeschwulst durch die
tief einschneidenden Tarsalränder in zwei mächtige ovale quergelagerte Wülste ab-
getheilt erscheint. Hat nun der übermässig geschwollene Uebergangstheil der Binde-
haut einmal Gelegenheit zwischen den Bulbus und den einschneidenden Lidrand
zu gelangen, so wird er leicht unter dem mächtigen, von aussen her auf ihn wir-
kenden Drucke aus der Lidspalte hervordringen und, indem er die am Knorpel
festhaftende Lidbindehaut mitreisst, das Lid umstülpen. Nun wirkt der vom Lid-
rande ausgehende Druck auf die Basis der nach aiissen gedrungenen Geschwulst,
die in ihr ziehenden Gefässe werden comprimirt, sohin Stauungen des Blutes be-
gründet und damit auch eine Vergrösserung der Geschwulst durch seröse Aus-
schwitzungen veranlasst. Die Reposition wird daher immer schwieriger und zuletzt
wohl auch ganz unmöglich. Namentlich ist dieses der Fall, wenn der Tarsus selber
in auffälligerem Grade mitleidet, erweicht und allmälig ausgedehnt wird. Dann
kann das Lid auch nach Abnahme der Bindehautgeschwulst und nach künstlicher
Reposition seine normale Stellung nicht mehr behaupten.
Die Behandlung hat die Uebertragung des höchst ansteckenden Secretes
auf andere bisher gesunde Bindehäute zu verhüten; das bereits ergriffene
Auge durch Fernhaltung aller iveiteren Schädlichkeiten unter die möglichst
günstigen Lebensbedingungen zu versetzen und so den Ausgleich der vor-
handenen Nutritionsstörungen thunlichst zu erleichtern; die Gewebswucherung
direct zu bekämpfen und so jenen Folgen vorzubeugen , welche die Blen-
norrhoe zu einer gefürchteten Krankheit des Auges machen.
1. Li prophylaktischem Interesse muss a. bei einseitiger Erkrankung das
gesunde Auge immer sorgfältigst durch einen vollkommen verlässHehen,
hermetisch schliessenden Verband vor Ansteckung geschützt werden. Der
gewöhnliche Schutzverband wird , namentlich bei unruhigen Kranken und
während des nächtlichen Schlafes , zu leicht verschoben und ausserdem ist
der Flanell und die Charpie für grössere Mengen dünnÜüssiger Producte
stellwag, Augenheilkunde. 28
434 Blennorrhoe: Behandlung; Prophylaxis: Hermetischer Verhand.
ZU leicht permeabel, als dass der Erfolg damit verbürgt sein könnte. Da-
gegen gewährt der sogenannte heimefische oder Collodiumverhand (Graefe),
wenn er gut angelegt wird , volle Sicherheit und ist darum dringend zu
empfehlen. Zu diesem Ende werden die geschlossenen Augendeckel mit
kleinen lockeren Charpieballen dick belegt und die umgebenden Vertiefungen
ausgefällt, auf dieses Polster eine WachstafFetdecke und hierüber noch eine
doppelte Leinwand gelegt, welche vordem in ein Oval von entsprechenden
Durchmessern zugeschnitten und, wo sie Falten wirft, vom Eande her eine
Strecke weit gespalten worden ist. Passt alles gut, so sind die Ränder der
Linnendecke mittelst CoUodium auf mehrere Linien Breite ringsum sorgfältig
an die äussere Haut der Stime , Schläfe , Wange und der Xasenwand zu
kleben, damit nirgends auch nur eine kleine Oeffnung bleibe, und endlich
die Oberfläche des Verbandes mehrmals mit Collodium zu bestreichen, so
da^is ein steifer Panzer das Ganze abschliesst. Alan kann diesen Verband
täghch oder alle 2 Tage an der Seite lüften, um sich von dem Zustande
des Auges zu überzeugen und, falls dieses seine Litegrität bewahrt hat,
wieder ankleben.
Der Rath, statt des CoUodiumverbandes eine gläserne, genau anschliessende
Schale über dem gesunden Auge zu befestigen und so neben vollem Schutze den
Gebrauch des betreffenden Bulbus zu ermöglichen (Snellen) , ist kaum praktisch.
Die reichlichen Dünste, welche der Bindehaut und Cutis entströmen, werden hier
nämlich nicht wie beim Collodiumverbande durch Charpie aufgesaugt und können
an sich dem Auge gefährlich werden, Katarrhe etc. erzeugen; während anderseits
ein grosser Theil cerselben sich an der inneren Wand der Schale niederschlägt
und den Hauptvortheil der ganzen Methode, den Fortbestand eines gewissen Grades
von Sehvermögen, zu nichte macht.
Als ein Ersatzmittel verdient die Aqua Chlori ihrer desinficirenden Eigen-
schaft wegen Erwähnung. Wo der hermetische Verband aus irgend einem Grunde
nicht verwendbar ist. kann der Charpiebausch eines gewöhnlichen Schutzverbandes
damit getränkt werden. Wo auch dieser nicht ziilässig ist, z. B. bei kleinen Kindern
und nachlässiger Wartung, gewähren J7eherschläge mit verdünnter Aqua Chlori
doch einigen Schutz (Graefe). Einträufelungen in den Biudehautsack sind wegen
der reizenden Wirkung des Mittels bei gesundem Auge kaum räthlich.
h. Die Umgehung des Kranken muss vor jeder unuötliigen Berührung
des Kranken und der von ihm benützten Gegenstände gewai-nt werden.
Dem Wartpersonale ist an das Herz zu legen, dass es sich nach den er-
forderlichen Hilfeleistungen jedesmal die Hände auf das sorgfältigste mit
Seife oder Aqua Chlori wasche und überhaupt jede Berührung der eigenen
Augen vermeide. Die Wäsche des Kranken, besonders die Bettwäsche, die
Handtücher, Schnupftücher et«, dürfen erst nach eingehender Reinigung
durch Kochen mit Seife oder Lauge von Anderen und auch von dem
Kranken wieder in Gebrauch gezogen werden.
c. Ist ein Genitalientripper vorhanden , so muss derselbe nach den
dafür bestehenden Regeln möglichst schnell beseitigt werden. Der Kranke
muss vor überflüssigen Berührungen seiner Geschlechtstheile gewarnt und
angewiesen werden, nach jeder nothwendigen Hantirung an der genannten
Stelle seine Hände sorgßiltigst zu reinigen. Es ist dieses nothwendig, um
neuen Ansteckungen vorzubeugen; denn nichts ist gefährücher, als eine
Recidive der Blennorrhoe und diese kann factisch durch neuerliche Ueber-
tragungen des Trippercontagiums bedingt werden.
d. Ist durch Zufall blennorrhoisches Bindehautseeret oder Tripperproduct
auf eine gesunde Conjunctiva übertragen iLorden, so müssen allsogleich einige
Directe Behandlung; Wärme und Blutentziehungen. 435
Tropfen einer Lösung von Höllenstoin , von Sublimat, von Aqua Chlori,
von wenip; vcrdünntom Alkohol (Gosselin) etc. oder, falls nichts anderes
augenblicklieh vorluuulen wäre, von Kochsalz in den Bindehautsack
eingeträufelt und dafür gesorgt werden , dass das CoUyrium mit allen
Punlcten der Bindehaut in Berührung komme (S. 47). Folgt die Ein-
wii'kung dieser Mittel direct oder doch in kürzester Zeit der Uebertragung
des Contagiums, so kann man mit Grund hotfen, die Kranklieit werde
nicht zum Ausbruche kommen. Später ist die Aussicht auf Erfolg nur
mehr gering oder Null.
e. So lange die Krankheit die blennorrhoische Form darbietet, darf
der Patient nicht das Bett verlassen. Man sorge in Spitälern dafür, dass
nicht zu viele Individuen beisammen in einem Zimmer und nicht zu nahe
an einander liegen. Das Krankenlocal muss so rein als möglich gehalten,
bestens gelüftet , wenig geheizt, durch Vorhänge und Lichtschirme vor
grellem und ungleichmässigem Lichte geschützt werden. Der Ki'anke selbst
muss körperlich und geistig möglichste Euhe bewahren und überhaupt
zur strengsten Augendiät angehalten werden.
2. Die directe Behandlung betreffend, ist wohl zu berücksichtigen,
dass die Hauptgefahr der Blennon-hoe in einer Fortpflanzung der Ent-
zündung von der Bindehaut auf die Hornhaut bestehe, und dass diese
Fortpflanzung des Processes um so leichter erfolge , je grösser die Inten-
sität des letzteren ist, dass die Theilnahmschaft der Cornea demnach auch
durch alles begünstiget werde, was den entzündlichen Process auf einer
gewissen Höhe zu erhalten oder darüber hinaus zu steigern im Stande
ist. So lange die Erschlaffung der Bindehaut nicht ganz entschieden nachzu-
loeisen ist, muss darum die Behandlung der Blennorrhoe eine überwiegend
antiphlogistische sein und diese soll um so energischer gehandhabt werden,
je mehr der sthenische Charakter der Entzündung hervortritt. Die vorzüg-
lichsten Mittel hierzu liegen in strenger antiphlogistischer Diät, in örtlicher
Wärme- und Blutentziehung.
a. Behufs der örtlichen Wärmeentziehung sind fleissig gewechselte FAs-
überschläge allen andei-en Mitteln vorzuziehen und nur im Nothfalle durch
Ueberschläge von in kaltes Wasser getauchten Leinwandcompressen zu
ersetzen. Bei sehr hohen Intensitätsgraden der Entzündung sind sie Tag
und Nacht ununterbrochen fortzusetzen, bis die örtliche Temperatur der
Augengegend auf das normale Mass herabgesunken ist. Bei weniger hohen
Intensitätsgraden des Processes genügen zeitweilige Applicationen vollständig,
ja eine übermässige Wärmeentziehung kann sogar Schaden bringen (S. 26).
b. Die örtlichen Blutentziehungen sind besonders vor und während den
Exacerbationen des Processes von günstigem Erfolge und daher möglichst
auf diese Zeiten zu sparen. Wo indessen die entzündliche Röthe eine sehr
lebhafte, die Geschwulst sehr gross , hart und gespannt, überdies auch sehr
heiss ist , wo die entzündlichen Schmerzen überaiis heftig sind und die
energische Anwendung der Kälte sich ungenügend erweiset, um jene Er-
scheinungen rasch in auffallender Weise zu mildern : wird man die Exa-
cerbationen nicht abwarten dürfen, sondern in Berücksichtigung der Leiden
des Kranken und der Gefahr, welche die Hornhaut läuft, ohne tveiters
zur Application einer ausgiebigen Zahl von Blutegeln schreiten und selbe
nach Bedarf auch öfters wiederholen.
28*
436 Blennorrhoe; Behandlung; Spaltung der Conunissnr; Scariflcationen; Hornhautgeschwüre.
c. Erscheint die Gefahr sehr dringend, so thut man wohl, einen horizon-
talen Schnitt in die äussere Lidcommissur durch die äussere Decke , den
Muskel und die Fascie hindurch zu führen, die Bindehaut aber zu schonen,
um der Entstehung von Ectropien nicht gar zu günstige Bedingungen zu
Uefern (GraefeJ.
Indem durch einen solchen , mehrere Linien langen und tiefen Schnitt
mehrere arterielle und venöse Aeste getrofl'en werden, ist die Blutung meistens
eine sehr reichliche, kann indessen leicht nach Bedarf sistirt werden. Andererseits
wird durch die Trennung der äusseren Coinmissur der Druck wesentlich vermindert,
welchen die geschwollene Conjunctiva und zum Theil auch der Augapfel von
Seite der vor Erweichung des Knorpels sehr wenig ausdehnbaren Lider und des
Orbicularmuskels auszuhalten haben. Dass Erleichterung der Circulation durch
directe Entleerung von Blut und durch Verminderung eines übermässigen äusseren
Druckes die Lebensbedingungen kranker Theile namhaft bessert, sohin dem Aus-
gleiche vorhandener Störungen in sehr hohem Grade zu gute kömmt, ist männiglich
bekannt und dürfte auch bei sehr intensiven Blennorrhoen mit praller Spannung
der Theile ihre Wiikung nicht versagten.
Die früher sehr warm empfohlenen Scai-ificationen und Au^schneidungen der
chemotischen Augapfelbindehaut sind in ihren Heilwirkungen zum mindesten sehr
unzuverlässlich und haben den Uebelstand, dass sich an den Wundflächen nach-
träglich gerne Gramdationen bilden, welche weiterhin zu Xarhen schrumpfen und
damit eine grosse Neigung zu fortdauernden Reizzuständen des Auges begründen,
oft sogar zu unheilbarem Pannus u. s. w. führen.
d. Sind schon tiefgreifende Hornhautgeschwüre da, welche den Durch-
bruch drohen oder bereits perforirt haben, so gelten dieselben therapeuti-
schen Regeln, welche bei primären Cornealulcerationen zu beobachten sind.
Paracentesen jedoch tind Iridectomien müssen im Verlaufe blennorrhoischer
Processe gemieden werden, weil die entzündliche Reaction im Bereiche der
Wundränder leicht ausgebreitete Verschwärungen veranlassen kann. Ausser-
dem wird durch den operativen Eingriff die energische Anwendung der
von dem Grundleiden oft dringend gebotenen reizenden lüttel bedenklich
gemacht.
e) Innerliche Mittel kann mau ohne alle Besorgniss bei Seite lassen. Leicht
säuerliche Getränke, Tisanen mit Nitiiim u. s. w. werden indessen bei stärkerem
Fieber mit Vortheil ano^ewendet. Mei-curialien sind zu meiden. Selbst enercrische
Schmierkuren haben laut mehrfachen Versuchen keinen merklichen Einfluss auf
den Verlauf von Blennorrhoen. Bei vorhandener Sfuhlvei-stopfung genügen Klystiere
und Eccoprotica. Narkotische Mittel nützen in der Regel so lange nichts, als die
Intensität der Entzündung durch den antiphlogistischen Apparat nicht gebrochen
ist. Ist dieses aber der Fall, so finden sie wohl nur selten mehr eine Anzeige.
3. Eine der wichtigsten Aufgaben bei der Behandlung der Blennorrhoe
ist die sorgfältigste Entfernung der Secrete. Was aus der Lidspalte hervor-
tritt, wird am besten mittelst eines Bäuschchens von feiner Leinwandcharpie
aufgetupft, wobei das Wischen strenge- zu vermeiden ist, da es mit der Zeit
leicht zu Excoriationeu fülu't. Der Bindehautsack wird am schonendsten
gereinigt, indem man bei horizontaler Lage des Kranken einen Strom
kalten Wassers darauf leitet.
Laues Wasser verträgt der Kranke nicht, so lange man noch kalte Um-
schläge macht, wegen dem grellen Temperaturwechsel. Am besten ist es, den Strom
durch einen nahe über dem Auge gehaltenen und durch Druck aUmälig entleerten,
mit reinem Wasser getränkten, reinen Badeschwamm zu erzeugen. Das Ausspritzen
des Bindehautsackes ist für den Manipulirenden sehr gefährlich , da leicht der
Strom in dessen Auge zurückprallen kann. Uebrigens reizt es auch zu sehr.
Damit der Strom alles Secret entfernen könne, ist es nothweudig, die
Uebergangsfalte durch Abziehen des einen und des anderen Lides und durch
Beseitigung der Secrete; Adstringirende Collyrien. 437
jeweilige Richtung des Auges nach der entgegengesetzten Seite bloHzu-
legen, d. h. um die untei'e Hälfte des Uebergangstheiles zu bespülen,
rauss das untere Lid abgezogen werden und der Kranke das Auge
thunlichst nach oben keliren. Bei Vernachlässigung dieser Vorsicht bleibt
die Reinigung stets eine unvollkommene.'
Solche Ausspülungen düi'fen indessen nicht gar oft vorgenommen
werden, da zu vieles Manipuliren reizt und die Entzündung steigert. Es
sind im Allgemeinen 5 — 6 Ausspülungen binnen 24 Stunden gerade das
rechte Mass. Bei einem emsigeren A^orgehen vergrössern sich meistens die
Wülste, werden praller, heisser und gegen jede Berührung überaus empfind-
lich, so dass die fernere Hantirung auf grosse Hindernisse stösst und oft
auch der Zustand in augenscheinlicher Weise verschlimmert wird.
Haben sich in Folge von nachlässig^er Wartung des Kranken Krusten an
den Lidern und Wangen gebildet, so sind dieselben durch Umschläge von kaltem,
Wasser aufzuweichen, ehe sie abgetupft werden. Nur wenn man die kalten Um-
schläge bereits aufgegeben hat, kann hierzu laues Wasser benutzt werden. Sind
Excoriationen entstanden, so sind Fetleiiireibungen dagegen anzuempfehlen.
Bei Blennorrhoen milderen Charakters mit ausgesprochen schleimiger
Productbasis thut man während dem Steigen der Entzündung und im
Höhestadium derselben gut, sich auf strenge Antiphlogose, wie sie oben vor-
gezeichnet wurde, und auf derlei Ausspülungen mit Wasser zu beschränken.
Adstringirende, caustische und überhaupt alle reizenden Mittel finden unter
solchen Umständen keine vernünftige Anzeige und sind weit eher schäd-
lich als nützlich ; sie lassen sich erst dann mit grossem Vortheile an-
wenden, wenn die entzündliche Bindehaut alle Zeichen der Erschlaffung
darbietet.
Bei den eigentlichen Pyorrhoen jedoch , wo die katalytische Kraft
des Productes möglicher Weise mit in Betracht kömmt, können Aus-
spülungen mit Wasser den schädlichen Einwirkungen des Secretes auf die
Hornhaut nur dann wirksam vorbeugen, wenn sie in sehr kurzen Zwischen-
pausen Tag und Nacht wiederholt würden, was aber, wie schon erwähnt
wurde, niemals vertragen wird, wenn es auch ausführbar wäre. Man ist
also geradezu auf Mittel angewiesen, welche durch chemische Alteration
der oberflächlichsten Zellenstrata die Quelle der pyorrhoischen Ausscheidung
eine Zeit lang stopfen und dadurch dem Ai'zte Gelegenheit geben, in den
Zwischenzeiten mit aller Energie der Antiphlogose obliegen zu können.
Als solche Mittel kann man ausser dem Höllensteine den Sublimat, den
Alaun, den Kupfer- und Ziukvilriol etc. verwenden. Man zieht jedoch den Höllen-
stein allen übrigen Mitteln vor, da er eine grosse chemische Kraft besitzt und am
wenigsten reizt, indem sich seine Wirkung auf die Oberfläche beschränkt.
Am meisten empfehlen sich wahrend und vor dem Höhestadium eigent-
licher Pyorrhoen schwache Collyrien von 1 — 3 Gran Höllenstein auf Eine
Unze Wasser. Damit sie ihren Zweck erfüllen, müssen sie jedesmal un-
mittelbar nach dem Ausspülen des Conjunctivalsackes mit Sorgfalt einge-
träufelt werden. Es soll dabei das in die geöffnete Lidspalte gebrachte
Augenwasser unter starker Abziehung und Bewegung der Augendeckel in
alle Falten der Bindehaut geleitet und so lange über dem Conjunctival-
sacke stehend erhalten werden, bis seine Trübung nicht mehr zunimmt.
Alsdann kann vorsorglich noch etwas von dem CoUyrium nachgeschüttet
werden. Trübt sich diese zweite Dosis nicht mehr, so lässt man die Lid-
438 Blennorrhoe: Behandlmig: Caustica.
spalte schliessen iind kalte Ueberschläge anwenden, bis die Umstände eine
Wiederholung des geschilderten ReinigungsTerfahiens nothwendig machen.
Als beihelfendes Mittel leisten leichte Compressen, welche mit 5 — lOgra-
digen HöUensteinlösungen getränkt sind und unter häufigem Wechsel Tag
und Xacht die Augen decken, vortreffliche Dienste.
Thatsächlich lassen sich auch die Einträufelnngen schwacher Hölleustein-
lösungen nicht von dem Vorwurfe gref ährlich er Eeizwirkung lossprechen. Es muss
vielmehr zugestanden werden, dass diese Reizwirkung bei ausgesprochen sthenischem
Charakter der Pjon-hoe sehr gewichtig in die Wagschale falle und in hohem
Grade verderblich werden könne. Insbesondere scheint dabei die nur schwer zu
vermeidende chemische Einwirkung des Mittels auf die Cornea in Betracht zu
kommen , indem durch theilweise Zerstörung des Epithellagers die Hornhaut ihres
natürlichen Schutzes beraubt wird und sowohl von dem pyorrhoischen Secrete, als
von den späteren Einträufelungen der Höllensteinlösung empfindlicher getroffen
werden muss.
In richtiger Würdisrung dessen haben Viele die Höllensteinlösuneen in der
Form von Collyrien ganz verlassen. Statt deren bestreichen sie die pvorrhoische
Bindehaut täglich 1 — 2mal mit Xiti-as argenti in Substanz, oder mit v%itiffirtevi
Lapis infemalis; oder sie bepinseln selbe mit starken Höllensteinlösungen nach der
bei Trachom üblichen Weise. Es lässt sich nicht läugnen, dass bei solchem Ver-
fahren unter Anwendung gehöriger Vorsicht die Hornhaut vor directer Beschädi-
gung gesichert werden könne. Es steht aber auch fest, dass die enorme Geschwulst
der Lider, die Unmöglichkeit ihrer Umsttilpung sowie die Grösse und Prallheit
der Conjunctivalwülste einer Bestreichung sämmtlichei- Theile der Bindehautober-
fläche öfters schwer zu bewältigende Hindemisse in den Weg legen : dass durch
Bestreichung also das vorgesteckte Ziel nur theUiceise erreicht werden könne. Es
haben diese Aetzungen übrigens auch noch directe Nachtheile. Abgesehen davon,
dass bei Verwendung des Lapis infemalis in Substanz vermöge dessen Zerfliess-
lichkeit die Einwirkung in die Tiefe nicht nach Wunsch beschränkt werden kann
und dass durch eine zu starke Cauterisation leicht der Grund zur Entwickelung
ausgedehnter Narben in der Bindehaut und damit zu schweren Folgeübeln gelegt
wird, kömmt die viechanische Reizwirkung der durch stärkere Cauterisation gesetzten
Schorfe in Betracht. Diese Schorfe sind um so dicker und steifer, sie entfalten
daher eine um so grössere mechanische Reizwirkung, je kräftiger das Aetzmittel
gehandhabt wurde. Es liegt nun aber auf der Hand , dass diese Reizwirkung in
ihren Folgen desto bedenklicher sein müsse, je höhere Intensitätsgrade der ent-
zündliche Process jeweilig beurkundet und dieses zwar ganz abgesehen davon,
dass mit der Grösse der Geschwulst und der Spannung der Lider der von den
Schorfen ausgeübte Druck und die Schwierigkeit wächst, die Schorfe durch Be-
wegungen der Augendeckel rasch abzustossen und die Daner ihrer Einwirkung auf
ein Kleines zu beschränken.
Wiederholt wurde der Versuch gemacht, den Höllenstein in starken Lösungen,
von 10 — 30 Gran auf die Unze Wasser, bloss ton aussen her auf die geschlossenen
Lider wirken zu lassen, indem man bei Vernachlässigung von Eisumschlägen
Charpiebänschchen mit jenen Solutionen tränkte und diese unter 3 — Smaliger
täglicher Erneuerung mittelst einer Flanellbinde über den Lidern befestigte. Es
ist dieses ein Verfahren, welches schon vor einer Reihe von Jahren vielfach in
Anwendung gezogen wurde und sich eines hohen Rufes erfreute.
•4. Treten die athenischen Erscheinungen mehr zurück, ist die entzünd-
liche Eöthe blässer geworden oder gar durch ein mächtiges Stratum trüber
Zellen an der Oberfläche der Bindehaut ins Graue oder GraugelbHche
nuancirt. ist die Geschwulst mehr weich, schlaff, ihre Temperatur nur
wenig erhöht und die Secretion noch immer eine sehr reichliche : so ist
die Zeit gekommen, zu den caustischen Adstringentien überzugehen. In der
Regel fahrt man da am besten mit täglich ein-, höchstens zweimal wieder-
holten Bestreichungen der Bindehaut mit einer Lösung Ton 5 — 10 Gran
Höllenstein auf die Unze Wasser (S. 48). Im Anfange ist dabei grosse
Ectropmm; Quollen. 439
A^orsicht notliwendig' und namcntlicli auf das Sorgfältigste- zu beobachten,
ob in Folge des Mittels die Entzündung nicht wieder steigt. Ist dies der
Fall, so muss vorläufig sogleich wieder zu dem entzündungswidrigen Ver-
fahren zurückgekehrt werden.
5. Hat sich ein Lid umgestülpt, so muss es allsogloich reponirt werden.
Meisthin wii'd es ein unteres Lid sein, welches die Zurückbringung in die
normale Lage verlangt. Afan fasst zu diesem Ende ein Büschel der Cilien,
zieht den Lidrand weitmöglichst ab und stopft, während man denselben
in die Höhe der Lidspalte emporhobt, mit dem Zeigefinger der anderen
Hand den geschwulstähnlich hervortretenden Uebergangsthcil über den
Lidrand weg zwischen die Oberfläche des Bulbus und des Lidknorpels hin-
ein. Ist die Geschwulst unter das Niveau des erapoi'gehobenen und vom
Bulbus abgezogenen Lidrandes getreten, so lässt man das Lid aus, es
schnellt mit Leichtigkeit in seine normale Stellung und hält vermöge der
Spannung des Lidrandes den Tumor von dem weiteren Vortreten ab.
Ist indessen der Tarsus erweicht und in horizontaler Richtung verlängert,
so kann der Lidrand den gewulsteten Uebergangstheil nicht mehr zurück-
halten, das Lid sinkt immer wieder in seine frühere abnorme Lage zurück.
Dann muss mit aller Energie die Behandlung der Blennorrhoe fortgesetzt
und das Lid einstweilen in seiner falschen Lage behalten werden, da alle
Verbände behufs der Fixation des Lides zum Schaden ausschlagen würden.
Ist die Secretion aber zurückgetreten, so muss man sogleich die Reposition
vornehmen und dui'ch einen geeigneten Verband das Lid fixiren. Ver-
klebungen der Lidspalte durch lange und bei 2'" breite Streifen englischen
Pflasters reichen oft aus, um dem Lide seine normale Stellung zurück-
zugeben. Sicherer wird man indessen fahren, wenn man einen wulstförmigen
Charpiebausch auf die Fläche des in die richtige Lage zurückgestülpten
Lides auflegt, diesen Wulst und das andere Lid durch einen mehr flachen
Bausch von Charpie deckt und Alles durch eine Flanellbinde fixirt. Bis-
weilen reichen wenige Tage hin, um unter der Anwendung des Druck-
verbandes das Lid in seine normale Stellung zurückkehren und den Binde-
hauttumor schwinden zu machen.
Immerhin jedoch bleibt gerne eine beträchtliche Erschlaffung des Lides
und der Bindehaut, häufig auch eine trachomatöse Aufwulstung der letzteren,
zurück. Um sie zu beseitigen, dienen tägliche Bestreichungen der Con-
junctiva mit Kupfervitriol.
Quellen: Ehle, Ueber den Bau und die Krankheiten der Bindehaut. Wien.
1828. S. 92, 164, 168, 170, 174, 186; die sog. contag. o. egypt. Augenentzündung.
Stuttgart. 1839. S. 89. — Pirii^ger, Die Blennorrhoe am Menschenauge. Graz. 1841,
S. 7, 14, 40, 46, 57, 66, 74, 77, 82, 86, 89, 93, 110, 112, 159, 177, 198, 202, 230,
245, 288, 293, 297, 303, 312, 324, 350, 352, 354, 367, 380. — Guh, die sog. egypt.
Augenentzündung. Wien, 1850. S. 32, 49, 58, 62, 65, 74. — ArÜ, Die Krankheiten
des Auges I. Prag. 1851. S. 18, 40, 42, 43, 79, 83. — Stellwag, Ophth. II. S. 782,
784. — Frank und Marston, kl. Monatbl. 1863. S. 124. — Eiselt, Zeitschrift der
Wien. Aerzte. 1861. Wochenblatt. S. 97. — Graefe, Deutsehe Klinik. 1864. S. 79;
A. f. O. I. 1. S. 168, 171, 199, 206, 212, 215, 219, 221, 226, 236; II. 2. S. 242;
VI. 2. S. 123, 124, 127; IX. 2. S. 122; X. 2. S. 191, 192, 196. — Snellen, klin.
Monatbl. 1864. S. 394. — Weh, ibid. 1863. S. 502. — Niemetschek, Prag. Viertel-
jahrschft. 101. Bd. S. 70. — Gosselin, Schmidt's Jahrb. 127. Bd. S. 204; 134. Bd.
S. 75. — Mooren, Ophth. Beiträge. S. 71. — Kämpf, Virchow's Jahresber. 1868.
II. S. 489.
4^40 Oplithalmobleiuioiiiioea luEuitiim; EiankheitBbfld.
4. Ophtlialmoblennorrhoea infantum.
Tom rein icissenschaftlichen Standpunkte ans lässt sich der Angen-
schleimflnss der Kinder nicht •wohl als eine besondere Form der Syndes-
mitis betrachten. Derselbe hat im concreten Falle nämHeh bald die
Bedentnng eines Eatarrhes, bald die Bedeutung einer reinen oder zur Diph-
theritis neigenden Blennorrhoe, bald charakteiisirt er sich als ein unter der
Form der Blennorrhoe auftretendes Trachom. Im praktischen Literesse
jedoch ist eine Trennung der Ophthabnoblennorrhoea infantum erspriessMch.
da die Eigenthümlichkeiten des kindlichen Organismus nicht nur die
Symptomatologie, sondern auch den Verlauf und die Ausgänge, besonders
aber die Therapie, wesentlich modificiren. Man kann zvcei verschiedene
Formen oder eigentlich Grade unterscheiden, die katarrhalische und die
blennorrhoische. Es hängen dieselben jedoch durch zahlreiche Zwischen-
formen mit einander zusammen, es kommen in der Wirklichkeit häufig
genug Fälle vor, welche sich sowohl dieser wie jener Form beizählen
lassen.
Krankheitsbild. Das am meisten in die Augen springende Symptom
ist die Geschwulst der Tkeile. Es ist dieselbe nur bei den niedersten Graden
der Ophthalmie minder beträchtlich, in der Eegel ist sie sehr gross, da
die Zartheit und Lockerheit der kindlichen Gewebe massenhaften Aus-
schwitzungen sehr günstig ist. Die Lider treten daher selbst bei leichteren
Fällen in Gestalt mächtiger Geschwülste über die Orbitalöffiaung hervor,
werden unbeweglich und die Lidspalte erscheint geschlossen. Oft schiebt
sich sogar das obere Lid über das untere hinüber und deckt das letztere
nahezu vollständig. Die Lidbindehaut zeigt sich meistens stark aufgequollen
und gelockert. Der Uebergangstheü drängt sich beim Abziehen der Lider
in Gestalt mächtiger Wülste aus der Lidspalte hervor und veranlasst
daher gerne Umstülpungen der AiigendecJcel mit allen deren FolgeiL Die
Augapfelbindehaut ist sehr oft wallartig rings um die Cornea angetrieben,
so dass diese in der Geschwulst gleichsam begraben erscheint.
Bei der katarrhalischen Form trägt die Geschwulst mehr den Charakter
des reinen oder congestiven Oedems. Das Secret ist minder reichlich oder
doch nicht massenhaft und enthält neben Flocken und Klumpen dicken
trüben Schleimes in der Regel eine unverhältnissmässige Menge von Eiter-
elementen, daher es sich in seinem äusseren Ansehen stets dem reinen Eiter
sehr nähert.
Bei der blennorrhoischen Form ist die Geschwulst immer im wahren
Wortsinne eine chemotische, stark gerothet. hart und gespannt, daher ober-
flächlich glänzend, heiss und überaus empfindlich gegen Berührung. Sie
entwickelt sich unter heftigen Schmerzen und hochgradiger Lichtscheu,
in der Eegel auch unter lebhaftem Fieber. Erst später verliert sie ihr
erysipelartiges Aussehen, wird schlaff faltig weich, während ihre Farbe
mehr ins Bläuliche neigt, die Temperatur etwas sinkt und die Empfind-
lichkeit abnimmt. Die Secretion ist sehr massenhaft, das Product ent-
leert sich fortwährend aus dem Bindehautsacke und rinnt oft stromweise
über die Wangen herab, deren äussere Decke excorürend und so zu Ent-
Ursachen; Endemien. 441
Zündungen Veranlassung gebend. Besonders bei gewaltsamer Eröffnung
der meist krampfhaft geschlofisenen Lidspalte drängt sich eine ansehnliche
Menge des eigenthümliclien Secretes hervor. Es ist dieses in der Regel
ein ganz gleichnässiger, aller Schleimüocken entbehrender und nur bis-
weilen festere faserstoffige Gerinnungen enthaltender, gelblicher oder grün-
licher Eiter, der bald dick rahmartig, bald mehr dUnnliüssig und selbst
molkenähnlich erscheint, indem er stets mit Thränen innigst gemischt zu
Tage kömmt.
Ursachen. Es ist mehr als wahrscheinlich, dass der Einfluss grellen
Lichtes auf das Auge eines Neugeborenen im Stande sei, eine derartige
Ophthalmie zu begründen. Gleiches gilt auch von raschen Temperatur-
wechseln, welche häufig als Veranlassung der Krankheit angeklagt werden.
Uniäugbar ist es, dass unreine, von excrementitiellen Exhalationen, von
Rauch, Dunst oder beissenden Dämpfen erfüllte dumpfige feuchte Zimmer-
luft, Unreinlichkeit der Wäsche und des Körpers des Kindes, so wie Unsauher-
Iceit der pflegenden Hände am häufigsteii den nächsten Grund der Erkrankung
abgeben. Darum werden auch die Kinder der niederen Volksklassen, besonders
grosser Städte viel häufiger ergriffen, als die wohl gepfiee'ten Kinder der
in reinlicheren und comfortableren Wohnungen hausenden Bürgerklasse.
Aus demselben Grunde aber ist auch in Finddhäusern, wo alle die genann-
ten Schädlichkeiten nebst einer Unzahl ungenannter und unnennbarer ver-
derblicher Einflüsse gleichsam im concentrirten Zustande auf die armen
Kleinen wirken, das procentarische Verhältniss der Erkrankungen ein
ungeheueres. Sporadische Fälle gehen daselbst fast niemals aus und sehr
oft steigert sich ihre Zahl enorm, die Krankheit erscheint unter der
Gestalt einer Endemie, an der nicht nur ganz junge Säuglinge, sondern
auch Kinder von 1, 2 und mehr Jahren, ja auch Ammen und Wärterinnen
Theil nehmen.
Das procentarische Verhältniss der Erkrankungen und die relative Zahl der
höheren und niederen Krankheitsgrade ist in den verschiedenen Endemien eine ver-
schiedene, ja selbst wälirend einer und derselben Endemie sind oft Wechsel zu
beobachten. Gewöhnlich jedoch ist die Zahl der minder hochgradigen Fälle die
weithin überwiegende; eigentlich blennorrhoisdie Formen finden sich meistens nur
in einem relativ geringen procentarischen Verhältnisse, selten übersteigen sie die
Zahl der katarrhalischen Erkrankungen. Worin dieser Wechsel begründet sei, ist
nicht genau bestimmt. Wahrscheinlich ist es , dass der Charakter der Endemien
vorwiegend abhängig sei von der nach Zeit und Umständen verschiedengradigen
Ungunst der Verhältnisse, unter welchen die Findlinge in den Anstalten leben und
welche einerseits aus der Anhäufung der Kinder und Ammen in einzelnen Sälen,
andererseits aus der von der Witterung abhängigen grösseren oder geringeren
Leichtigkeit einer vollständigen Lüftung, einer genügenden Reinigung der
Wäsche u. s. w. resultiren. Völlig erklärt ist damit aber keineswegs die Wandel-
barkeit der Intensität und Ausbreitvuig der Endemien und es bleibt daher ein
ziemlicher Spielraum für die Annahme eines wechselnden Genius epidemicus.
Man ist sehr geneigt, der Constitution der ergriffenen Individuen einen besonderen
Einfluss auf die Intensität des Processes und die Qualität der Producte zuzuschreiben,
sohin auch die Intensität der Endemien in einer mittelbaren Abhängigkeit von diesen
Verhältnissen zu denken. Allein die Wandelbarkeit des Charakters der einzelnen
Endemien, verglichen mit der grossen Stabilität, welche in Bezug auf das geringe
materielle Gedeihen der Findlinge herrscht, lässt diesen Einfluss nur als einen
sehr untergeordneten erscheinen. Uebrigens steht es fest, dass während einer und
derselben Endemie oft starke und wohlgenährte Individuen an höchstgradigen
Formen erkranken, während elende Geschöpfe mit einem gei-ingfügigen Katarrhe
davon kommen. Und wenn auch bei Endemien mit bösartigem Charakter schwäch-
liche herabgekommene Kinder das grösste Contingent schwerer Fälle liefern, so
442 OpMhalmoWennorrhoea infantum; Ursachen; Verlauf.
lässt sich dieses leicht daraus erklären, dass solche Kinder in Fiudelhäuserii an
Zahl weit überwiegen und ohne Zweifel öfter erkranken, als gesunde und wohl-
genährte, weil eben das Gedeihen des kindlichen Organismus hauptsächlich von
sorgsamer Pflege und genügender Nahrung abhängt, gesunde Kinder sohin gesunde
und sorgsame Ammen voraussetzen , welche eine grosse Zahl der die Ophthalmie
zunächst veranlassenden Schädlichkeiten von den ihnen anvertrauten Kindern
abhalten.
Sicherlich kömmt indessen in Findelhäusern noch die Ansteckung in
Betracht, und zwar als ein Factor von hoher Bedeutung, namentlich wenn
die ungünstigen Verhältnisse bereits eine grössere Anzahl von Individuen
an Blennorrhoe erkranken gemacht haben. Die bei der Pflege und Wartung
nothwendigen Hantirungen bieten nämlich eine überaus reichliche Gelegen-
heit zur XJebertragung der ansteckenden Producte.
Dass eine solche XJebertragung blennorrhoischer Producte, sowohl von
der Bhidehaut als auch von der Genitalienschleimhaut der Mütter und der
Ammen, öfters sporadische Fälle von Ophthalmia infantum veranlasst, ver-
steht sich von selbst.
Man hat in dieser Beziehung besonders dem Geburtsacte, dem Durchgänge des
Kindskopfes durch eine blenuorrhoisch erkrankte Scheide, viel Wichtigkeit bei-
gemessen (Mackenzie). Es ist diesem Momente jedoch sicherlich nur eine ganz
untergeordnete Bedeutung zuzuschreiben, indem die Augen des Kindes während der
Geburt geschlossen und überdies noch durch eine dicke Schichte von Hautschmeer
überzogen sind, eine Ansteckung daher nicht leicht erfolgen kann. Uebrigens werden
sehr oft auch die Kinder von Müttern ergritfen, welche an keinem krankhaften
Scheidenausflusse leiden. Ausserdem lässt die Zeil des Auftretens der Ophthalmie
öfters mit Grund auf eine Ansteckung in einer .s^^ä^ej-e?« Periode schliessen, zu
welcher die nach der Geburt erforderlichen Manipulationen bei blennorrhoischen
Erkrankungen und bei T'ureinlichkeit der Mütter tausendfältige Gelegenheit bieten.
Es wäre überhaupt auch wohl denkbar, dass die Lochien, besonders bei minder
reinlichen Individuen , durch XJebertragung auf die Bindehaut als reizende Stoffe
Veranlassung zur fraglichen Ophthalmie geben können. Es ist nämlich allerdings
richtig, dass der Beginn der letzteren sehr häufig in die ersten Lebenstage fällt;
es kann aber auch nicht geläugnet werden, dass die Krankheit in einer sehr
grossen Anzahl von J'ällen erst nach 2 — ^4 Wochen und später zum Ausbruche
kömmt.
Verlauf. Die Ophthalmie entwickelt sich fast immer zuerst an dem
einen Auge, das andere wird nachträglich nach Verlauf von mehreren
Tagen afficirt, wenn nicht besondere ^'orsichten dieses verhindern. Es
scheint nämüch die Uebertragung des Secretes von einem auf das zweite
Auge den gewöhnlichen Crrund der Affection des letzteren abzugeben.
Im Anfange herrschen meistens die entzündlichen Erscheinungen vor,
die Secretion der charakteristischen Producte ist eine weniger reichliche.
Beschränkt sich die Ivrankheit auf einen niederen Grad, so steigen die
Hyperämie, die Geschwulst und die örtliche Wärme in der Regel lang-
samer, oft 5 — 8 Tage, ehe sie ihre Höhe eiTeicht haben. In höher- und
höchstgradigen Fällen jedoch genügen oft ein oder zwei Tage, um die
Chemose zur höchsten Entwickelung zu bringen. Auf der Acme ver-
harrt der Process gewöhnlich einen oder mehrere Tage, während die
Secretion zusehends sich mehrt und so die eigentliche Bedeutung des Pro-
cesses als Katarrh oder Blennorrhoe ans Tageslicht bringt. Dann beginnen
die geschwollenen Theile unter reichlicher Secretion mehr und mehr zu
erschlaffen. In dieser Form nun besteht der Process gemeinighch längere
Zeit. Selten ist es möglich, ihn innerhalb 8 — 14 Tagen völhg zu tilgen,
es sei denn, dass man es mit einem ganz niederen Grade zu thun hat.
Ausgänge; Hornliautgesohwüre. 443
Meistens dauert die Krankheit mehrere Wochen, ehe sie unter allmäliger
Abnahme der Hyperämie und Gesehwulst, so wie unter succcssiver
HersteHuno- des normalen Tonus und unter Versiegung der Secretion,
durch das Mittelglied eines einfachen Katarrhes , zur Norm überfiihrt
werden kann.
Doch ist der Verlauf keineswegs immer ein regulärer. Gleichwie bei
der Elennori'hoe der Erwachsenen wechselt auch bei der fraglichen Oph-
thalmie in einem und demselben Falle öfters die Bedeutung dos Processes,
es wechselt die Intensität der Entzündungserscheinungen, die Qualität und
Quantität der Secrete, was in Bezug auf die Therapie von höchster Be-
deutung ist.
Ausgänge. Diese sind vorwaltend von der Höhe, bis zu welcher der
Process im concreten Falle sich entwickelt, abhängig.
Die niederen Grade der Ophthalmie, bei welchen es nicht zu einer
förmlichen Chemose kömmt, die Geschwulst vielmehr einen mehr ödema-
tösen Charakter darbietet und das Secret vorwaltend schleimig ist, sind
meistens ohne Gefahr, vorausgesetzt, dass die Krankheit sich im weiteren
Verlaufe nicht noch steigert oder durch unzweckmässige Therapie gesteigert
wird. Ihr Ausgang ist bei vernünftiger Beliandlung in der Regel völlige
Heilung. Selbst eine etwa zu Stande gekommene trachomatöse Wu.cherung
des Tarsaltheiles hat wenig auf sich, da bei Kindern trachomatöse Granu-
lationen leicht getilgt werden können.
Fälle, bei welchen die Entzündung einen selir hohen Intensitätsgrad
beurkundet, die Chemosis also stark entwickelt, die entzündliche llöthe
eine sehr tiefe und die örtliche Wärme namhaft gesteigert ist, sind schon
weit gefährlicher, und dieses zwar trotz etwaiger Spärlichkeit und völlig
unbedenklicher Qualität des Secretes. Sie sind weit gefährlicher, als
hochgi'adige Blennoi-rhoen bei Erwachsenen, indem bei Kindern erfahrungs-
gemäss die Fortpflanzung der Entzündung von der Bindehaut auf die Cornea
leichter erfolgt und sohin die Functionstüchtigkeit des Auges durch Abscess-
iind Geschioürbildung der Hornhaut häufiger in Frage gestellt wird, als in
den späteren Altersperioden.
Beginnt die Hornhaut sich bereits an einzelnen Stellen zu trüben, so
ist die Gefahr auf das Höchste gestiegen und es kömmt nun alles darauf
an, wie weit die Zerstörung sich ausbreiten werde. Abscesse und runde
Geschwüre sind im Allgemeinen günstiger, da sie selten die ganze Horn-
haut vernichten. Sie lassen um so mehr Hoffnung auf Rettung eines
Theiles des Sehvermögens oder auf geringe Beschädigung desselben, je
mehr peripher sie sitzen und je rascher die Entzündung unter der An-
wendung einer kräftigen Therapie sich vermindert. Mondsichelförmige Ge-
schwüre der Peripherie hingegen sind stets von übelster Bedeutung, denn
sie lassen sich nur selten aufhalten und führen oft zur vollständigen Con-
sumtion der Cornea mit allen deren Folgen. Wo periphere Erweichung
und centrale Abscedirung zusammenfallen, da wird nur selten ein kleiner
Theil der Cornea gerettet.
Ifmstülpungen der Lider und daraus hervorgehende ständige Ectropien
sowie die Erschlaffung des oberen Augendeckels sind im Ganzen von geringerem
Belange, da sie sich unschwer durch eine zweckentsprechende Behandlung
beseitigen lassen.
444 Ophthalmoblennorrhoea infantum; Behandlung.
Behandlung. Die Aufgaben der Therapie sind selbstverständlich Ton
denen nicht verschieden, welche dieselben Krankheitszustände bei Erwach-
senen stellen.
1 . Zuförderst ist die Verhütung der Krankheit anzustreben. Zu diesem
Ende empfiehlt sich bei K'eugeborenen und Säuglingen mehr düstere
Beleuchtung des Kindszimmers , möglichste Abhaltung von Licht- und
Wärmecontrasten, Sorge für reine Luft, für grösste Reinlichkeit des Körpers
und der Wäsche des Kindes, sowie für stete Reinhaltung der Hände der
Pflegerinnen, besonders der Mütter und Ammen, so lange sie an einem
Lochialflusse leiden, noch mehr aber falls sie mit Vaginalblennorrhoe be-
haftet sind.
Ist die Ophthalmie einmal ausgehrochen, so müssen diese Vorsichts-
massregelu noch mehr vei'schärft werden. In Findelhäusern und Kinder-
spitälern ist überdies noch mit Strenge dahin zu wirken, dass augenkranke
Kinder sogleich von den gesunden völlig getrennt werden, dass dieselbe
Wärterin oder Amme neben den kranken Kindern nicht noch gesunde zu
besorgen habe; dass die zum Baden und Waschen nöthigen Geräthschaften
nicht zugleich von gesunden Kindern benützt werden ; dass die Wäsche
augenkranker Kinder nicht vor gehöriger Reinigung gesunden Kindern
angelegt werde ; dass die kranken Kinder in möglichst günstige Verhält-
nisse gebracht und bei Ausbruch einer Endemie nicht in einem oder
mehreren Sälen zusammengedrängt werden.
Allerdings wird durch solche Massregeln der Kostenaufwand vermehrt, doch
können sich kleine Seelen damit beruhigen, dass selbst eine kleine Zahl lebend
aus den P^indelhäusern hinauskommender blinder Kinder dem Staate weit mehr
Lasten auferlegt, und dass so die Rechnung am Ende wohl ausgeglichen werden
dürfte.
2. Die directe Behandlung wird wesentlich von dem jeweiligen Krank-
heitszustände bestimmt.
a. So lange die Krankheit sich auf niedere Grade beschränkt, hüthe
man sich vornehmlich vor dem Zuvielthun, da dadurch sicherlich nur
geschadet wird. Sind die Reizerscheinungen von vorne herein wenig ent-
wickelt, namentlich die Geschwulst gering und das Secret sparsam, so
thut man gut, sich einfach auf die stete Beseitigung der Secrete von den
Lidrändern und Lidwinkeln durch zartes Abtupfen mit feinster Charpie,
sowie auf möglichste Abhaltung aller reizenden Schädlichkeiten zu be-
schränken und nebenbei von Zeit zu Zeit Umschläge von Aqita saturnina
zu geben. Wenn aber bereits die Reizsymptome sehr zurückgetreten sind
und die Erschlaffung sehr deutlich hervortritt, übrigens die normwidrige
Secretion sich in die Länge zieht und adstringirende Ueberschläge keinen
Erfolg zeigen, so ist zu stärkeren Adstringentien überzugehen. Doch wähle
man stets nur milde ]\Iittel, CoUji'ien aus Rp. Aq. saturn., Aq. dest. simpl.
aa unc. 1; die Aq. Opii; Lösungen von Tannini pur. gr. 10 ad unc. 1
Aq. dest. u. s. w., welche je nach Bedarf 2 — 3 Mal des Tages angewendet
werden sollen. Besser noch wird man mit 1 — 3 graniger Höllensteinlösung
fahren, welche täglich einmal, höchstens zweimal mittelst eines Pinsels
aufgestrichen wird (S. 49).
h. Ist die entzündliche Schwellung sehr gross und zeigt die Ophthalmie
überhaupt einen höheren Entwickelungsgrad, oder stellt sie sich als Blennor-
rhoe im engeren Wortsinne dar: so genügen jene Mittel kaum mehr, der
Syndesmitis diphtherica ; Krankheitsbild. 445
Process fordert ein energischeres Einschreiten. Es wird dieses, so lange die
entzündlichen Erscheinungen einen ausgesprochen sthenischen Charakter
widerspiegehi, vorwiegend auf kräftige Antiphlogose zu. richten sein ; jenseits
dem Höhenpunkte aber, wenn die Geschwulst sinkt, weich, welk, minder
heiss wird und die Absonderung eitriger Producte massenhaft bleibt, eine
adstringirende Wirkung uud bezieliungsweise auch die Zerstörung der die
Hornhaut auf katalytischem Wege gefährdenden Secrete anzustreben haben.
Behufs der ^Verminderung und chemischen Umsetzung der ki-ankhaften Aus-
scheidungen sind häufig gewechselte Ueberschläge oder Bestreichungen der
Bindehaut mit Lösungen von 3 — 5 Gran Nitras Argenti auf 1 Unze Aq.
dest. zu empfehlen. Die letzteren sollen täglich 1 — 2 Mal vorgenommen
und in den Zwischenzeiten je nach Bedarf kalte Ueberschläge und wieder-
holte Eeinigungen der Augen mit kühlem Wasser in Anwendung gebracht
werden.
Das Vorhandensein von Cornealgeschwüren ändert im Allgemeinen nicht
die auf die Blennorrhoe Bezug habenden Indicationen. Doch muss dann
der Stand des Pupillarrandes wohl berücksichtigt werden, um Vorfällen
desselben rechtzeitig vorzubeugen oder selbe möglichst unschädlich machen
zu können (S. lOG).
Quellen: Mackenzie, Prakt. Abhandlung über die Krankheiten des Auges.
Weimar. 1832. S. 351, 354; Traduction par Warlomont et Testelin. I. Paris. 1856.
S. 758. Nota. — Piringer, Die Blennorrhoe am Menschenauge. 1841. Graz. S. 23,
28, 48, 57, 98, 114, 145, 148, 207, 288, 409. — Ärlt, Die Krankheiten des Auges.
I. Prag. 1851. S. 51, 53, 58, 79, 82. — Stellwag, Wiener Jahrb. f. Kinderheilkde.
II. 3. S. 126; III. S. 34. — Alf. Graefe, kl. Monatbl. 1865. S. 370; Berlin, klin.
Wochenschrift. 1868. Nro. 6. — Graefe, A. f. O. I. 1. S. 168, 236, 237, 244. —
Delgado, kl. Monatbl. 1866. S. 214. — Stavenhagen, kl. Beob. Riga. 1868. S. 38.
5. Der Bindehantcroup, Syndesmitis diphtherica.
Krankheitsbild. Charakteristisch ist die Entwickelung eines gelblichen
derben starren Productes, welches sich sowohl im Gefüge als an der freien
Oberfläche der Bindehaut häuft und, indem es später schmilzt, ein dem pyor-
rhoischen ähnliches eiterartiges Secret darstellt.
1. Die entzündlichen Erscheinungen sind dem Grade nach einigermassen
wandelbar. Bisweilen fehlen sie nahezu ganz, die stellenweise von diphthe-
ritischen Fladen bedeckte Bindehaut erscheint wachsähnlich blass, oder
doch nur von einem schütteren Gefässnetze durchstrickt; sie ist kaum
merklich geschwollen, oder sammt den Lidern durch seröses oder gelati-
nöses Infiltrat aufgetrieben, lässt aber keine Erhöhung der Temperatur
wahrnehmen.
In der Regel ist die Hyperämie, die örtliche Wärmezunahme u. s. w.
weit deutlicher ausgesprochen, ja in der Mehrzahl der Fälle findet man
beim Bindehautcroup eine höchstgradige Chemose und das Krankheitsbild
desselben gestaltet sich dem der Blennorrhoe ganz ähnlich. Es ist dann die
entzündliche Röthe in der äusseren Lidhaut ,uud in deren Umgebungen sehr
auffällig, bald heller, bald dunkler und mehr ins Bläuliche spielend. In
der Bindehaut jedoch pflegt sie nur anfänglich stäi-ker entwickelt zu sein;
später tritt sie, besondei's am Tarsal- und Uebergangstheile, sehr zurück,
oder geht wohl gar in eine mehr graugelbe Nuance über, indem massen-
446 Syndesmitis diphtherica ; Krankheitsbild.
hafte starre Entzündungsproducte in das Conjunctivalgefüge abgelagert
werden und die Gefässe förmlich zusammendrücken, so dass nur ein grob-
maschiges Netz an der Oberfläche sichtbar bleibt, dessen einzelne Zweige
plötzlich aus der Tiefe hervortreten und nach kurzem Laufe sich sogleich
wieder in das graugelbe, von kleinen Blutextravasaten gescheckte Parenchym
der Bindehaut einsenken. Die Geschwulst der Conjunctiva und der Lider
ist unter solchen Umständen meistens eine ausnehmend grosse und in Folge
der Starrheit des Infiltrates durch eine höchst auffällige, oft holzähnliche
Härte ausgezeichnet. Die Oberfläche der geschwollenen Bindehaut erscheint
dabei meistens glatt; doch macht sich am Tarsaltheile öfters schon eine
feine Granulirung geltend. Späterhin kömmt es an der Lidbindehaut nicht
selten zur Entwickelung massiger trachomähnlicher Granulationen oder, in
Folge partieller brandiger Absterbungen, zu grubigen Sabstanzverlusten. Die
Temperaturerhöhung ist in solchen Fällen immer eine sehr bedeutende ;
öfters ist sie auch dem Kranken subjectiv durch das Gefühl brennender
Hitze peinlich, ja sie kann sich bis zum Calor mordax steigern. Ausser-
dem sind die betroffenen Theile auch im höchsten Grade schmerzhaft und
besonders gegen Berühi'ung äusserst empfindlich. Gewöhnlich leidet der
ganze Körper mit und beurkundet seine Theilnahme durch Fieber und nicht
selten durch analoge Veränderungen in anderen Schleimhauttracten (Graefe).
2. Das an der Oberfläche der Bindehaut sich sammelnde diphtheritische
Product stellt oft nur einen dünnen florähnlichen reticulirten Beschlag
oder eine zarte continuirliehe Schichte von graugelblicher, gelblichweisser
oder eitergelber Farbe dar und lässt vermöge seiner Dünnheit die unter-
gelegene infiltrirte Bindehaut durchscheinen. Eben so oft jedoch formirt
es auch mehr minder mächtige opake Schollen von wechselnder Aus-
dehnung und ganz unregelmässiger Begrenzung, welche sich bisweilen in
Gestalt von Zacken über die innere Lidlefze auf die freie Lidrandfläche
fortsetzen, auf die letztere gleichsam übergreifen. Ausnahmsweise nur
bilden die diphtheritischen Producte einen hautartigen Ueberzug von einiger
Mächtigkeit, welcher die Bindehaut ihrer ganzen Ausdehnung nach über-
kleidet. Es hängen diese Producte fest mit der Conjanctiva zusammen, eine
künstliche Abtrennung ist immer mit einer reichlichen parenchymatösen
Blutung verknüpft.
3. Ausser diesem der Bindehaut anhaftenden Producte findet man im
Conjunctivalsacke immer eine grössere oder geringere Menge flüssigen Secretes,
welches zum Theile von der Schmelzung und Abstossung der diphtheritischen
Auflagerungen herrührt. Anfänglich ist dieses Secret meistens wegen über-
wiegendem Gehalte an Thränen dünnflüssig, trüber Molke ähnlich, schmutzig
graulich, durchscheinend und enthält eine Menge graulicher oder grau-
gelblicher Fetzen und Flocken. Später wird es unter zunehmender Schmel-
zung der diphtheritischen Neubildung mehr eiterähnlich, gelblich, grünlich,
es gewinnt mehr an Consistenz und erscheint bisweilen ganz rahmartig
dicklich. Es ist öfters mit grösseren starren Schollen gemischt, welche hier
und da sich von der Oberfläche der Bindehaut losgelöst haben, sich aber
meistens rasch wieder ersetzen, bis der Process seinen Charakter gewech-
selt hat.
Ursachen. Die Diphtheritis conjunctivae ist öfters nur die Theil-
erscheinung eines allgemeinen Processes, welcher sich gleichzeitig auf ver-
Ursachen ; Verlauf. 447
schiedenen Scliloimliäuten , besonders der Luftwege und dos Kehlkopfes,
lücalisirt, und liüuiig mit exanthematischen Processen, Masern, Blattern,
Scharlach, im Zusammenhange steht. Die Krankheit trägt dann gewöhnlich
einen en- oder epidemischen Charakter (Graefe, Hirschherg). Im Uebrigen
fällt die Aetiologie der Diphthcritis conjunetivae grösstentheils mit jener
der übrigen Formen der Eindchautentzündung zusammen, indem dieselben
äusseren Schädlichkeiten, welche eine Blennorrhoe u. s. w. zu vex'anlassen
im Stande sind, auch die Ursache des diphtheritischen Processes werden
können. Insbesondere jedoch muss als ein wichtiges ursächliches Moment
die übertriebene Anwendung starker Höllensteinlösungen und des Lapis infer-
nalis mitigatus hervorgehoben werden. Es unterliegt keinem Zweifel, das»
nicht wenige der vorgekommenen Fälle von Croup aus einer Steigerung
des Wucherungsprocesses in Folge unvorsiclitigen Gebahrens mit caustischeu
Mitteln ihren Ursprung ableiten. Die Krankheit ist darum auch seltener,
wo gewagte Behandlungsweisen nur im äussersten Nothfalle versucht werden.
Zweifelsohne gibt auch die Ansteckung ein gewichtiges ätiologisches
Moment ab (Homer) und kann insbesondere die Ausbreitung einer En- oder
Epidemie wesentlich begünstigen. Beobachtungen und Experimente stellen
nämlich die Syndesmitis diphtherica als entschieden contagiös heraus und als
Träger des Contagiums erweiset sich vornehmlich das flüssige eiterähnliche
Secret. Auf gesunde Bindehäute gebracht, regt es in der Regel wieder
eine Syndesmitis diphtherica an, seltener eine Blennorrhoe reiner Form,
deren Producte aber umgekehrt wieder eine diphtheritische Syndesmitis
hervorbringen können.
Es lässt sich indessen auch nicht in Abrede stellen, dass die Syndes-
mitis diphtherica bei Kindern in ihrem Auftreten wesentlich begünstigt
werde durch gewisse in der Constitution der Kinder selbst gelegene Verhält-
nisse, ja dass in manchen Fällen diese Verhältnisse an und für sich hin-
reichen, um eine Syndesmitis diphtherica zu begründen.
Stützpinikte für diese Ansicht liegen einerseits schon in der fast constanten,
durch Fieherbewegungen sich äiissernden Mitleidenschaft des gesammfen Organismus,
andererseits aber iu der entschiedenen Dhposition scliwächlicher , von kranken
Müttern stammender, schlecht genährter, oder wiriilich kranker nnd sehr herab-
gekommener, mit constitutioiieller Syphilis behafteter, besonders 2 — Sjähriger
Kinder, welche letztere diphtheritischen Affectionen überhaupt mehr unterworfen
sind, als die übrigen Altersklassen, vornehmlich jene unter einem und über fünf
Jahren.
Der Verlauf ist ziemlich wandelbar. So kommen, vorzüglich bei Er-
vmchsenen, öfters Fälle vor, in welchen die Syndesmitis diphtherica eigentlich
nur eine Episode im Verlaufe einer Blennorrhoe bildet, indem die Secrete
zeitweise eine grössere Consistenz gewinnen und der Bindehaut anhaften,
dann aber verflüssigen ; oder aber indem die Syndesmitis diphtherica sich
primär als solche entwickelt, jedoch alsbald durch den Wechsel der Pro-
ducte in die Blennorhoe übergeht. Immer sind dieses Fälle geringerer
Entwickelung, eigentlich Uebergangsformen, bei welchen der Croup des
Bindehautgefüges sehr wenig entwickelt ist und im Ganzen nur eine sehr
untergeordnete Rolle spielt.
Wo die charakteristische Veränderung des Conjunctivalparenchyms deut-
licher hervorsticht, wie dieses bei Kindern häufiger der Fall ist, zeigt die
Krankheit eine beständigere Form, sie möge sich nun allmälig aus einer
448 Syndesmitis dipMlierica ; Verlauf; Ausgänge.
anderen Form der Bindehautentzündung herausgebildet haben, oder gleich
als solche in reiner Form zur Entwickelung gekommen sein. Im letzteren
Falle ist das Auftreten der Krankheit gewöhnlich von stürmischen Erschei-
nungen begleitet und meistens reichen 2 oder 3 Tage hin, um das eigen-
thümliche Bild der Krankheit zur Vollendung zu bringen. Oefters hat
die Krankheit binnen dieser Zeit sogar schon ihren Höhenpunkt erreicht.
Auf diesem bleibt sie in der Regel mehrere Tage stehen. Hierauf
beginnen die entzündlichen Erscheinungen etwas abzunehmen, ohne dass
jedoch die Infiltration des Gefüges eine wesentliche Aenderung erfährt.
Es bedarf gewöhnlich einer oder mehrerer Wochen, ehe die Härte der
infiltrirten Bindehaut und die graugelbe fahle Färbung derselben schwin-
det. Man findet dann die Conjunctiva wieder mehr weniger tief geröthet,
zugleich aber auch aufgelockert, gleichsam schwammig und von pyorrhoi-
schen Secreten überschwemmt. Oft erscheint ihre Oberfläche wohl auch
von massenhaften fleischwärzchenähnlichen Auswüchsen besetzt, welche
leicht bluten, die Syndesmitis diphtherica ist in ein Trachom mit blennor-
rhoischer Secretion umgewandelt worden und geht fürder den dieser Ent-
zündungsform eigenthümlichen Gang.
In anderen Fällen der schwersten Art beginnt alsbald, nachdem die
Krankheit ihren Höhenpunkt erreicht hat, die nekrotische Zerstörung des
Gefüges. Es stossen sich die Auflagerungen stellenweise ab, tiefe Substanz-
verluste hintei'lassend , auf deren Boden die blossgelegten und angeätzten
Gefässe nicht selten Veranlassung zu heftigen Blutungen geben. Während
das Infiltrat sodann in grösserer oder geringerer Ausdehnung schmilzt und
das ohnehin reichliche pyorrhoische, oft jaucheähnliche Secret noch ver-
mehrt, lockert sich das Gefüge der Bindehaut immer mehr auf, wird
gleichsam saftiger und es treten schwammähnliche rothe, leicht blutende Aus-
wüchse gleich Inseln aus der graugelben Bindehaut hervor (Graefe). Es
schmelzen diese Auswüchse dann wieder, während ihre Umgebungen sich
ebenfalls schwammig auflockern; das Resultat ist ein hochgradiges diffuses
Trachom mit massenhafter pyorrhoischer Secretion, Bisweilen wird die bereits
eingeleitete schwammige Erweichung durch eine Wiederholung der diphtheri-
lischen Exsudation unterbrochen und diese letztere kann auch wohl 2 — 3
Mal recidiviren. Gewöhnlich aber geht der Process mit der beginnenden
Auflockerung des Gefüges seinem Abschlüsse entgegen.
Ausgänge. Die Syndesmitis diphtherica ist unstreitig eine der ver-
derblichsten Augenkrankheiten. Wenn dieselbe bei sehr stürmischer Ent-
wickelung, namentlich aber bei rascher und massenhafter Infiltration des
Bindehautgefüges, ohne allen Schaden abläuft, kann man vom Glücke
sagen. Bei Erwachsenen sind üble Ausgänge mehr zu fürchten als bei
Kindern. Wie bei anderen epidemisch auftretenden Krankheiten soll im
Beginne der Epidemien das procentarische Verhältniss der ungünstig ver-
laufenden Fälle ein grösseres sein , als während der Abnahme der
Epidemien (Graefe).
Die Syndesmitis diphtherica gefährdet die Functionstüchtigkeit der
ergriffenen Augen noch weit mehr als die Blennorrhoe, so dass man es
als ein günstiges prognostisches Moment zu erachten hat, wenn unter
allmäliger Auflockerung der Bindehaut deren Färbung allmälig ins Rothe
übergeht und das Krankheitsbild die Charaktere der Blennorrhoe annimmt.
Hornhautgeschwüre ; Bindehautverödung; Behandlung. 449
Beruhigung flösst erst die Umwandlung des Secretes in ein vorwaltend
schhimiges Product ein, docli dai'f hierbei die Möglichkeit einer Wiederkelir
der diphtlicritischcn Aussonderung und Einlagerung in das (jlefdge der
Bindehaut nicht vergessen werden.
Die Cornea kann sowolil durcli Abscedirung zerstört, als in einen von
der Oberlläche gegen die Tiefe vordringenden Verschwärungsproeess (S. 431)
verwickelt werden.
Gleich im Beginne oder überhaupt während den ersten Stadien des
Processes zur Entwickelung kommende Geschwüre sind von üblerer Be-
deutung, als solche, welche in späteren Stadien sich bilden, da letztere
sich häufiger begrenzen, während die ersteren sehr gewöhnlich zu totalem
Verluste der Hornhaut führen.
Die Bindehaut kann in Folge theilweiser oder vtilliger Verklebung der
einen und der anderen oder beider Hälften des Bindehautsackes und in
Folge späterer Verwachsung der sich berührenden Conjunctivaltheile, also
durch ein Symblepharon posterius oder auch durch ein Symblepharon anterius,
zu Schaden kommen, ja selbst die VerändcTungen eines totalen und hoch-
gradigen Xerophthalmus erleiden. Ein ähnlicher Ausgang ergibt sich aber
auch bisweilen aus der Obsolescenz des schwammigen aufgeweichten wuchern-
den Gefüges, aus der Schrumpfung, Verkürzung und endlichen Umwandlung
desselben in Narbengev^ebe. Am gewöhnlichsten geschieht dieses, wenn das
wuchernde Bindehautgewebe in Folge partieller Verschwärung oder nekrotischer
Abstossung Substanzverluste erleidet. Es bilden sich dann narbige sehnen-
ähnliche Netzwerke oder Fladen, zwischen denen gleich Inseln die schwammi-
gen Wucherungen hervortreten. Allmälig sinken auch die Auswüchse ein,
das Bereich der sehnigen Entartung wächst und endlich haben sich jene
ständigen Ausgänge völlig entwickelt, welche keine Hoffnung auf Wieder-
herstellung der Functionstüchtigkeit des Auges übrig lassen. Ein solches
trauriges Ende ist indessen wohl nur bei sehr hochgradigem Croup zu
fürchten. In den glücklicher Weise häufigeren Fällen geringerer Intensität
lässt sich das zurückbleibende diffuse Trachom unter entsprechender Therapie
meisthin tilgen.
Behandlung. Diese hat nebst genauer Erfüllung der Causalindication
die Aufgabe, den Gewebswucherungsprocess zu beschränken, die ungünstigen
Circulations- und Nutritionsverhältnisse in dem infiltrii'ten Theile thunlichst
zu verbesseiii und etwa nicht zu verhütende Schäden auf ein Kleinstes zu
reduciren.
1. Die Causalindication fordert nicht nur die Beseitigung und Fern-
haltung aller Schädlichkeiten, welche den Process unterhalten oder steigern
könnten, sondern auch die Verhütung der Weiterverbreitung des Leidens
durch Ansteckung (S. 433).
2. Die Indicatio morbi geht natürlich auf Antiphlogose liinaus und
fordert eine um so strengere Handhabung derselben, je grössere Intensität
der Process zeigt, je deutlicher der sthenische Charakter desselben ausge-
sprochen ist,
a. Wo der Bindehautcroup unter den Erscheinungen einer wahren
Chemosis verläuft, die Hyperämie sehr ausgebreitet und hochgradig ent-
wickelt ist, die Geschwulst sich prall und heiss anfühlt: wird fast allge-
Stellwag, Augenheilkunde. 29
450 Syndesmitis diphtherica: Behandlung.
mein auf energische Anwendung der Kälte, auf ausgiebige locale Blutent-
leerungen und strengste antiphlogistische Diät gedrungen.
Besonderes Gewicht wird unter solchen Verhältuissen gelegt auf die ununter-
brochene, Tag und Nacht fortgesetzte Application von Eisüberschlägen , während
Andere sich für die Anwendung warmer Cataplasmen erklären (Mooren). Behufs atisgie-
biger Bhäentleerung sollen zu wiederholten Malen Blutegel» in grösserer Zahl an
die Schläfe oder Angulargegend gelegt und reichliche Nachblutungen unterhalten
werden. Einzelne Autoren empfehlen statt dessen wohl auch tiefe Einschnitte,
welche durch die iufiltrirte Bindehaut bis in deren bluthältige Unterlagen dringen
und so einerseits profuse Hämorrhagien zu veranlassen, andererseits aber durch
Entspannung der infiltrirten Theile die Circulationsverhältnisse wesentlich zu bessern
im Stande sind fJacohsoni; wogegen von anderer Seite der hervorragende Nutzen
eines solchen Eingriffes bestritten und die fast constante massenhafte Ablagerung
diphtheritischer Producte an den Wundflächen als ein in seinen Folgen sehr schwer
wiegender Nachtheil gefürchtet wird (Grapfe).
Von pharmaceutischen Mitteln wurden besonders die Mercurialien und zwar
in kräftigen Dosen, oft sogar bis zur Salivation, in Anwendung gezogen (G-raefe).
Doch gestehen selbst die grössten Verehrer des Quecksilbers ein, von demselben
keinerlei Nutzen, wohl aber bedauerliche Schäden gesehen zu haben. Um so
weniger ist natürlich von den kohlensauren Alkalien , welche einige Zeit im Ge-
brauche standen, zu erwarten. Die inneren Mittel wurden darum so ziemlich ver-
lassen. Bei starkem Fieber dürften indessen die Digitalis, das Aconitum etc. am
Platze sein, da sie erfahrungsgemäss den Gefässstnrm mildern. Eigentliche Narcotica
erscheinen besonders bei sehr unruhigen und viel schreienden Kindern angezeigt.
6. Hat die Entzündung ihren Höhepunkt überschritten, ist die Temperatur
der Geschwulst beträchtlich gesunken, erscheint die Bindehaut vermöge
der Massenhaftigkeit des Infiltrates vielleicht gar schon blutarm und inso-
ferne auch in ihrem Stoffwechsel wesentlich beschränkt : so liegt kein ver-
nünftiger Grund für Fortsetzung der Eisüberschläge und Blutentziehungen mehr
vor. Es wäre sogar möglich, dass in Folge weiterer Temperaturerniedrigung
und der Verminderung der Stoffzufuhr die brandige Absterbung begünstigt
wird; wenigstens widersprechen die bisher gewonnenen therapeutischen
Resultate einer solchen Annahme nicht. Betreffs der Blutentleerungen
kömmt aber auch, besonders bei Kindern, deren Einfiuss auf die gesammte
Blutmasse und die Erfahrung in Anschlag, nach welcher der Bindehaut-
croup elenden herabgekommenen Individuen viel häufiger verderblich wird,
als gesunden und kräftigen. Man ist also gleichsam angewiesen auf die
in ihrem Erfolge sehr zweifelhaften Einschnitte und auf die bestimmt
ganz unwirksamen „antiplastischen'' inneren Mittel. In Uebereiustimmung
mit der Hilflosigkeit der Lage und Perniciosität des Leidens sind unter
solchen Verhältnissen denn auch die therapeutischen Erfolge bisher allent-
halben zugestandener Massen möglichst kläglich gewesen.
In Anbetracht dessen lässt sich mit ganz gutem Gewissen die Anlegung
eines Schutzverbandes mit ünterlagerung eines in eine Lösung von Nitrat.
Argenti gr. 10 ad. unc. 1 Aq. dest. getauchten Charpiebausches nach der
(S. 438) geschilderten Methode empfehlen. Namentlich bei Kindern, welche
gegen jeden nur einigermassen schmerzhaften oder auch blos lästigen Ein-
griff durch heftiges Schreien, Sträuben u. s. w. reagiren und solcher-
massen selbst vortreffliche Mittel in ihrem Erfolge gefährden oder gar zu
wahren Schädlichkeiten gestalten, dürfte dieses Verfahren ganz am Platze sein.
In der That wurden damit günstige Resultate erzielt, sowohl in einzelnen
sporadischen Fällen, als während zweier Endemien bösartigen Charakters, bei deren
einer das unter a. erwähnte Verfahren, von kundigster Hand geleitet, in bedauer-
licher Weise versagte. Es wird hiermit nicht behauptet, dass der Höllenstein in
der fraglichen Applicationsweise ein vortreffliches oder auch nur befriedigendes
Trachom; KrankheitsT)ild. 451
Mittel darstelle; im Gegentheile wird zugegeben, dass er öfters, besonders in ge-
wissen Epidemien, sich als univirknant, erweisen werde. Dadurch stellt er sich jedoch
im schlimmsten P'alle nur auf die Wertlistufe, loelche die bisher üblichen Mittel ein-
nehmen und hat noch den Vorzug, dass seine Ajiwendung eine schonendere ist,
also schon darum bei Kindern weniger Gefahren in sich schliesst.
c. Wo der Bindehautcroup unter auffälliger Blässe der Conjunctiva und
der Lider, bei entschieden ödematöser Schwellung der Theile und bei
Mangel aller Tempcratui-crhöhung auftritt, dort passt die strenge Antiphlo-
gose nicht und auch der Höllenstein in Verbindung mit dem Druck-
verbande hat sich dabei nicht bewährt. Strenge Augendiät tind Bedeckung
der Augen durch einen Lappen aus feinen Linnen dürfte dann genügen,
oder wenigstens nichts verderben. Es ist hierbei zu bemerken, dass der
Bindehautcroup in dieser Form öfters bei sehr elenden, hex'abgekommenen
Kindern auftritt und trotz der Unscheinbarkeit der örtlichen Symptome
einen höchst verderblichen Ausgang nimmt. Eine entsprechende allgemeine
Behandlung ist dann geboten, hat aber so wenig wie örtliche Mittel einen
sonderlichen Effect, denn es verschwären gewöhnlich rasch die Hornhäute
und oft stirbt das Band auch bald darnach ab.
3. Ist die Auflockerung der Bindehaut bereits weiter vorgeschritten, fehlen
die diphtheri tischen Infiltrationen gänzlich, und sind die Erscheinungen
der Blennorrhoe in den Vordergrund getreten, oder wuchert die ganze
Tarsalbindehaut in Gestalt eines diffusen Trachoms: so ist mit der Aus-
führung jener therapeutischen Regeln zu beginnen, welche der Eiterfluss
der Bindehaut oder beziehungsweise das Trachom indicirt.
4. Bei brandiger Absterbung der infiltrirten Bindehaut dürfte wohl
jede Therapie zu Schanden werden. Vielleicht leistet dann feuchte Wärme
etwas.
5. Geschwürsbildungen in der Cornea stellen je nach den obwaltenden
Verhältnissen verschiedene Indicationen, ändern jedoch die von dem diph-
theritischen Processe als solchen abhängigen Anzeigen in keiner Weise.
Quellen: Graefe, A. f. O. I. 1. S. 168, 176, 183, 186, 194, 231, 237, 238,
240, 243, 244, 247, 249; X. 2. S. 106. — Pih, Lehrb. der Augenheilkunde. Prag.
1859. S. 322. — Jacobson, A. f. O. VI. 2. S. 180, 196, 198, 201, 204, 208; Königs-
berger med. Jahrb. III. S. 78, 81, 84, 89, 95, 99. — Pagenstecher und Sämisch,
Kliu. Beobachtungen. I. Wiesbaden. 1861. S. 10. — Stellwag, Wiener Jahrbücher
f. Kinderheilkunde II. S. 126; III. S. 34; Wiener med. Jahrbücher. Fachbericht.
1861. S. 246; 1862. S. 74. — Be7-lin, kl. Monatbl. 1864. S. 259. — 0. Becker imd
Tetzer, Wiener Augenklinik. Ber. S. 44, 46. — Mooren, Ophth. Beob. S. 69, 70. —
Homer, kl. Monatbl. 1869. S. 129. — Hirschberg, Berlin, kl. Wochenschrift. 1869.
Nro. 3.
6. Das Trachom oder die Ophthalmia granulosa.
Krankheitsbild. Charakteristisch sind neben Hyperämie und Schwellung
der Conjunctiva eigenthümliche Rauhigkeiten, welche sich am Tarsaltheile bald
als angeschwollene Papillen, bald als diffuse fleischwärzchenähnliche blutreiche
Ausxvüchse, im Uehergangstheile aber als reihenweise an einander geordnete rund-
liche Körner darstellen, die bald der Conjunctiva gleichfarbig sind und nur
wenig hervortreten, bald aber über deren Oberfläche sich mächtig erheben und
durch ihre Form und sulzähnliche Durchscheinbarkeit den Eiern des Fisch- und
Froschlaiches sehr ähnlich werden.
29*
452 Trachom; Krankheitsbild; Körnige, papilläre Form.
Je nach der grösseren oder geringeren Entwickelung der Erhaben-
heiten und je nach dem Verhältnisse, in welchem sich die einzelnen
Formen derselben auf der Conjunctiva mischen, wird das Krankheitsbild
wesentlich modificirt, so zwar, dass vom praktischen Standpunkte aus die
Unterscheidung mehrerer Unterarten des Trachomes erspriesslich erscheint,
um so mehr, als jene Differenzen auch auf den Verlauf, auf die Ausgänge
und die Therapie von Einiiuss sind. Diese Unterarten sind : Das reine körnige
und das papilläre Trachom, das gemischte und das diffuse Trachom.
A. a. Bei niederen Entwickelungsgraden des körnigen Trachomes findet
man den Grund der Uebergangsfalte, besonders der unteren Hälfte, reichlich
bestreut mit froschlaichähnlichen Körnern, etwas geschwellt und von einem
grobmaschigen Gefässnetze durchstrickt. Der Tarsaltheil erscheint etwas
stärker eingespritzt, sonst normal. Bei hoch- und höchstgradigen Formen
jedoch ist die Schwellung des Uehergangstheiles eine sehr bedeutende. Werden
die Lider umgestülpt, so tritt derselbe in Gestalt eines mächtigen Tumors
hervor, dessen Oberfläche von grösseren und kleineren froschlaichähnlichen
Körnern dicht besäet ist und dadurch ein ganz drusiges Aussehen gewinnt.
Die einzelnen Körner sind an ihrer Basis bald von lebhaft gerötheten, bald
von blassrothen confluirenden Höfen umsäumt; öfters aber äussert sich in
der Geschwulst eine auffällige Blutleere, indem die Körner auf einer ganz
blassen wachsähnlichen, nur von einzelnen Gefässchen durchstrickten Basis
ruhen. Die Tarsalbindehaut ist dabei meistens ganz glatt, von serösem oder
sulzigem Infiltrate leicht aufgelockert und mehr weniger dicht injicirt.
Oefters trifft man an derselben gleichfalls einzelne froschlaichähnliche
Körner kleineren Kalibers. Häufiger lassen sich an derselben feine papilläre
Granulationen nachweisen, womit ein Uebergang zum gemischten Trachome
angedeutet wird.
6. Das reine papilläre Trachom ist der Natur der Sache nach immer
auf den Lidtheil der Conjunctiva beschränkt und stellt einen niederen Ent-
wickelungsgrad der Ophthalmia granulosa dar. Die Tarsalbindehaut ist ein
wenig aufgelockert und an ihrer Oberfläche dicht besetzt von feinen Granu-
lationen. Diese beginnen ungefähr 1'" entfernt von der inneren Lidlefze
als höchst feine stumpfkegelige, zapfenähnliche oder keulenkopfförmige
Erhabenheiten, nehmen nach liinten aber allmälig an Grösse zu. In der
Gegend des couvexen Tarsalrandes, welchen sie noch um \"' überschreiten,
besitzen sie bereits einen ansehnlichen Umfang und haben mehr die Gestalt
von warzigen Knollen, welche auf einem dicken Stiele sitzen. Die Lid-
bindehaut mit ihren liauhigkeiten erscheint, so lange der entzündliche
Process noch rege ist und überhaupt während stärkeren Reizzuständen,
bald lebhaft roth, bald dunkler mit einem Stiche ins Blaue, bei Scorbut-
kranken wohl auch ins Purpurbraune. Späterhin erblasst die hyperämische
Röthe und gewinnt in Folge der reichlicheren Ansammlung von trüben
Zellen an der Oberfläche einen mehr rosenrothen, violetten oder schmutzig
graubräunlichrothen Farbenton.
c. Das gemischte Trachom, welches von anderen auch als „katarrhalisch
entzündliches oder blennorrhoisch entzündliches Trachom^ beschrieben wird
(Sei/z), ist die bei weitem häufigste, die gewöhnliche Form der Ophthalmia
granulosa. Das Krankheitsbild desselben setzt sich aus den Erscheinungen
des körnigen und des papillären Trachomes zusammen. Der Papillarbezirk
Gemischtes, diffuses Trachom ; Ilypertrophirte Bindehautfalten. 453
ist merklich geschwellt, etwas aufgelockert und dicht besetzt von papillösen
Auswüchsen, welche jene des reinen papillären Trachoms in der Regel bei
weitem an Grösse übertreffen und durch ihre breitere Basis, durch die
mehr kolbige Gestalt und durch ihre Neigung, gegenseitig zu verschmelzen,
oft schon Uebergänge zur diffusen Form der Granulationen bilden. Der
Uebergangstheil drängt sich bei Umstülpung der Lider in Gestalt eines
länglichen Wulstes hervor, an dessen Oberfläche der Länge nach in lleihen
geordnet die trachomatösen Körner sitzen. Doch haben dieselben keines-
wegs immer das charakteristische froschlaichähnliche Ansehen , wie beim
reinen körnigen Trachome. Im Gegentheile erscheinen sie in der Regel
viel weniger entwickelt und werden darum leicht übersehen. Sie stellen
vermöge ihrer dichten Aneinanderreihung schmale, parallel hinter einander
lagernde und wenig erhabene, der hyperämischen Basis gleichfarbige Wülste
oder Leisten dar, an deren Oberfläche seichte und in gleichen Abständen
sich wiederholende quere Einkerbungen die Grenzen der einzelnen Körner
andeuten. Doch stechen in diesen Wülsten sehr häufig schon einzelne
Körner durch ihre blasse Farbe sowie durch ihre grössere Durchscheinbar-
keit und durch bedeutenderen Umfang heraus, ja nicht selten findet man
jene Längswülstchen fast durchgehends aus solchen diaphanen und deut-
licher abgegrenzten Körnern zusammengesetzt und von einzelnen grossen
wahrhaft froschlaichähnlichen Körnern durchstreut. Ein Ueberwiegen dieser völlig
entwickelten froschlaichähnlichen Körner, oder eine ausschliessliche Zusammen-
setzung der Wülste aus Erhabenheiten der letzteren Art gehört jedoch bei
dem gemischten Trachome zu den seltenen Vorkommnissen. In letzterem
Falle tritt die Injection gleichwie beim reinen körnigen Trachome im
Uebergangstheile etwas zurück. Sonst erscheint die Uebergangsfalte und
die Conjunctiva tarsi in der Regel nahezu gleichmässig geröthet. Der
Farbenton ist je nach der jeweiligen Intensität des Processes bald hell
bald dunkel blutroth, bald mit Grau gemischt, rosa, violett oder ins
Bläuliche spielend.
d. Das diffuse Trachom ist als ein höherer Entwicklungsgrad des
gemischten Trachoms aufzufassen und erscheint durch die Massenhaftigkeit
der Neubildung in und auf der Conjunctiva sowie durch die sehr auf-
fällige Mitleidenschaft des Knorpels, der äusseren Lidhaut und der C!ornea
ausgezeichnet. Der Tarsalbezirk ist mächtig geschwellt , aufgelockert,
schwammig und bis nahe an die innere Lidlefze bedeckt mit diffusen Gra-
nulationen, welche ganz unregelmässige, durch tiefe Rinnen von einander
getrennte, oberflächlich sammtartig rauhe oder zottig filzige, bisweilen
hahnenkammähnliche , den Fleischwärzchen oder breiten Condylomen
gleichende Neubildungen darstellen. Der Uebergangstheil ist mächtig aufge-
trieben und dicht besetzt mit trachomatösen Körnern, welche gleich wie
beim gemischten Trachome in Bezug auf Grösse, Diaphanität, Farbe u. s. w.
mannigfach wechseln.
Eine besondere Erwähnung verdient das öftere Zustandekommen mächtiger
DuppUcaturen im hypertrophirten Uebergangstheile (Amvion). Es finden sich derlei
Falten gelegentlich an jeder Stelle des Uebergangstheiles, obgleich sie in der Mehr-
zahl der Fälle nur eine Vergrösserung der Plica semilunaris darstellen. Nicht selten
haben sie bei einer Länge von einem Zolle eine Breite von mehreren Linien und
erreichen ganz gewöhnlich eine sehr ansehnliche Dicke. Sie überdecken gleich
einem dritten Lide einen grossen Theil der vorderen Bulbusoberfläche. In den
454 Trachom; Krankheitstild ; Nebenerscheinungen.
ersten Stadien des Trachomes, so lange das subconjunctivale Gewebe noch sehr
geschwollen ist, findet man derlei Falten kaum jemals, wenigstens nicht in der
angegebenen Grösse. Es scheint, dass bei ihrer Bildung die Schrumpfung des Sub-
conjunctivalgewebes von Belang sei.
B. Das Bild des Trachoms vervollständigt sich durch eine Eeihe
von ki'ankhaften Erscheinungen untergeordneten Ranges, welche allen oder
mehreren der einzelnen Formen gemeinschaftlich sind.
Die halbmondförmige Falte und Carunkel finden sich allenthalben stark
gewulstet und geröthet. Bei höhergradigem körnigen und beim gemischten,
so wie beim diffusen Trachome ist erstere oft dicht besetzt mit froschlaich-
ähnlichen Körnern.
Die Augapfelbindehaut vei'hält sich beim körnigen und beim reinen
papillären Trachome nicht selten während dem ganzen Verlaufe der Krank-
heit ziemlich normal oder zeigt höchstens vorübergehend einige Gefäss-
einspritzung. Bei hochgradigem körnigen Trachome gewinnt sie bisweilen in
den späteren Stadien ein ganz eigenthümliches wachsartiges Aussehen und
führt in der dem Uebergangstheile nahe stehenden Zone froschlaichähnliche
Körner. Beim gemischten und vornehmlich beim diffusen Trachome erscheint
sie anfänglich in der Hegel dicht injicirt, oft sogar gleichmässig und lebhaft
geröthet, durch seröses Infiltrat geschwellt, ja häufig im eigentlichen Wort-
sinne chemotisch. Mit der Abnahme der Intensität des Pi'ocesses sinkt
jedoch in den meisten Fällen die Geschwulst rasch, die gleichmässige
Röthe löst sich bald in ein schütteres Gefässnetz auf und auch dieses
schwindet endlich , so dass die Augapfelbindehaut zeitweilig ganz normal
aussieht und nur durch ihre ausserordentliche Neigung zu Congestivzuständen
den pathologischen Zustand der Gefässe bexirkundet. Bei diffusen Formen
kömmt es übrigens auch bisweilen vor, dass sie nach dem Sinken der
Geschwulst durch schwammige Auflockerung und durch merkliche Ver-
dickung einen nicht unbedeutenden Grad von Hypertrophie erkennen lässt.
Die Secretion ist im Ganzen stets vermehrt. Im Beginne des Leidens
überwiegt gemeiniglich die Thränenausscheidung, das Product ist ein wässe-
riges. Beim körnigen Trachome bleibt es dies oft, so lange der Process läuft,
doch sind die Thränen etwas klebrig und haben einen Stich ins Gelbliche.
Bei den übrigen Formen mischen sich alsbald kleine Flocken trüben
Schleimes bei und diese mehren sich rasch, so dass die Absonderung jener
eines heftigen acuten Katarrhes und zeitweilig selbst einer Blennorrhoe
gleicht. In den späteren Stadien, nachdem der Process in den chronischen
Verlauf eingebogen hat , nimmt es wieder an Menge ab , wird trüb
schleimig, wie bei einem chronischen Katarrhe. Oft klagen dann die Kranken
wohl auch über zeitweilige höchst lästige Trockenheit des Bindehautsackes.
Die Lider sind bei grosser Heftigkeit des Wucherungsprocesses, also
vornehmlich im Beginne der höhergradigen Formen, häufig leicht geröthet
und mehr weniger geschwollen, nicht selten auch gleich der Conjunctiva
im wahren Wortsinne chemotisch. Nimmt weiterhin die Intensität der Ent-
zündung ab, so sinkt auch die Geschwulst und die normale Färbung kehrt
zurück. Doch bleibt die Beweglichkeit etwas beschränkt. Namentlich gilt
dies vom oberen Lide, dessen Rand immer merklich tiefer steht, selbst bei
niederen Gx'aden des Leidens, so dass die Lidspalte etwas verengert erscheint.
Es stellt sich nämlich die Schwellung des üebergangstheiles der Bindehaut
dem Zuge des Aufhebemuskels hinderlich in den Weg. Bei den höher-
Veränderungen der Lider, des Knorpels; Sehstörnngen ; Complicationen. 4oO
gradigen Formen des körnigen, so wie beim gemischten und vorzüglich beim
diffusen Tnicliome kömmt duzu Jioch die entzündliche Theilnahme des Knorpels.
Es schwillt dieser an, lockert sich auf, verliert an Resistenz und wird
unter dem Drucke, welchen er von Seite der Bindehautgeschwulst auszu-
halten hat, leicht ausgedehnt, in der Richtung der Lidspalte verbreitert,
so dass sich die Lidründer verlängern. War die Conjunctivalgeschwulst eine
chemotische und nimmti diese rasch ab , was beim diffusen Trachome oft
geschieht, so passen die Augendeckel nicht mehr an den Bulbus. Das
obere Lid hänart schlaff hei-ab und deckt häufig einen Theil des unteren.
Das letztere aber steht vom Augapfel ab , oder senkt sich gar seiner
eigenen Schwere folgend nach abwärts, ja stülpt sich förmlich um und
bringt so die granulirende Lidbindehaut zum Vorscheine , ein Zustand,
welchen man Ectropium litxurians benannt hat.
Bei hochgradigem k'miiigen Trachome äussern die Meihovi'schen Drüsen bis-
weilen ihre Mitleidenschaft durch bedeutende Anschwellung der nächsten Umge-
bung ihrer Mündungen und durch daheriges Hervortreten derselben in Gestalt von
Körnern, welche denen des Uebergangstheiles völlig gleichen und die innere Lid-
lefze dicht gedrängt unter gegenseitiger Abplattung besetzen.
Das Sehvermögen ist meistens etwas beeinträchtigt. Trübsehen ist eine
ganz gewöhnliche Erscheinung, besonders des Morgens nach dem nächt-
lichen Schlafe. Ausserdem sind die Augen sehr reizbar, sie reagiren sehr
heftig auf jede äussere Schädlichkeit, insbesondere auf Rauch, Staub,
Wind, unreine Luft, grelles Licht und vertragen durchaus keine Anstren-
gung. Lesen, Schreiben und jede feinere Ai'beit, namentlich bei künstlicher
Beleuchtung, erregt höchst unangenehme Gefühle, bedingt eine auffällige
Steigerung der Hyperämie und Secretiou und fördert wohl auch die Ge-
webswucherung.
Das Trübsehen rührt her einerseits von der schleimigen Absonderung der
Bindehaut, andererseits von der Verstärkung des Epithellagers auf der Cornea.
Die letztere scheint wieder abhängig zu sein theils von vermehrter Bildung, theils
von verminderter Abstossung als Folge der Beschränkung des Lidschlages.
Häufig pflanzt sich auch der Process auf die Hornhaut fort und
stellt sich in deren Bereiche unter der Form einer Keratitis vascularis dar,
die späterhin zum Pannus trachomatosus führt, bisweilen wohl auch durch
Verminderung der Resistenz des Hornhautgefüges eine Ausdehnung der
Cornea mit deren höchst missliebigen Folgen, eine Ectasia ex panno,
bedingt.
Complicationen. Ausser jenen Complicationen, welche das Trachom
mit der Blennorrhoe, der Syndesmitis diphtherica und membranosa eingeht, und
welche eigentlich keine Complicationen sind, sondern nur- Blennorrhöen etc.,
bei denen die erkrankte Bindehaut gleiclizeitig unter der Gestalt eines
Trachoms hypertrophirt : ist besonders die Complication mit dem herpetischen
Processe zu erwähnen , da diese sehr häufig ist und ganz bedeutend die
therapeutischen Indicationen , theilweise wohl auch den Verlauf und die
Ausgänge beeinflusst. (S. 74. 8). Es kündigt sich eine solche Complication
immer durch starke Injection der episcleralen Geflissnetze und der Binde-
haut, durch Schmerzen und Lichtscheu, durch Thränenfluss und häufig
auch durch Lidkrampf an. Diese Erscheinungen bestehen dann in der
Regel fort, bis der herpetische Process als solcher abgelaufen ist. Mcht
selten führen öfters recidivirende herpetische Processe zum Pannus herpeticus
456 Trachom; Ursaclien; Ansteckung: En- und Epidemien.
der Bindehaut und der Cornea, oder aber es entwickeln sich auf dem Boden
herpetischer Efflorescenzen ausgebreitete Hornhautgeschwüre,
Ursachen. Es liegt nichts vor, was das Trachom als den örtlichen
Ausdruck eines allgemeinen Leidens ansehen liesse. A^ielmehr deutet alles
darauf hin, dass dasselbe ein rein örtliches Leiden darstelle und stets durch
äussere, den Bindehautsack selbst treffende Schädlichkeiten veranlasst werde.
Diese Schädlichkeiten sind dieselben, welche als Gelegenheitsursachen des
Katarrhes, der Blennorrhoe u. s. w. aufgeführt wurden. Warum in einem
Falle diese, in einem anderen jene Form der Bindehautentzündung ver-
anlasst wird, ist nicht vollständig aufgeklärt. Doch dürfte es kaum gefehlt
sein, anzunehmen, dass häufigere oder gar ununterbrochene Einwirkung von
I^oxen durch Unterhaltung eines gewissen Eeizungszustandes die Neigung
zur Hypertrophie erzeuge und so mache, dass der Wucherungsprocess, ein-
mal ausbrechend, in der gleichsam vorbereiteten Bindehaut sich zum Trachome
gestaltet. Es steht damit recht gut im Einklänge, dass Orte, in welchen
eine grosse Menge von Menschen zusammenlebt, und wo die Eeinlichkeit
und Lüftung nicht in dem erforderlichen Masse gehandhabt wird , die
meisten Fälle liefern (Cunier^^ während Individuen, welche nur zeitweise,
nach längeren Zwischenpausen und relativ kurze Zeit solchen Einflüssen
sich aussetzen, seltener am Trachome erkranken und statt dessen gewöhnlich
einen Katarrh, eine Blennon-hoe etc. davon tragen.
Die wichtigste Eolle spielt die Ansteckung. Die Zahl der durch sie
bedingten Fälle ist jedenfalls überwiegend, namentlich an Orten, an
welchen eine grosse Menge Menschen beisammen lebt, in vielfache gegen-
seitige Berührung kömmt , oder wohl gar auf die gemeinschaftliche
Benützung der Geräthe zur Körperreinigung angewiesen ist , wie dieses
in Casernen, Arbeitshäusern , Herbergen u. s. w. der Fall zu sein pflegt.
Ist in solchen Anstalten durch äussere SchädKchkeiten einmal eine Anzahl
von Individuen trachomatös erkrankt und werden diese nicht sorgfältig
von den Gesunden getrennt, so steigert sich in Folge der gegenseitigen
Ansteckung das procentarische Verhältniss der Erkrankungen in der Eegel
sehr rasch und so wird die Contagion ein gewichtiger Factor in der Ent-
wickelung ixnd Ausbreitung von Endemien und Epidemien, wie selbe seit
Jahrzehenden zu einer ständigen Plage geworden sind. In gleicher Weise
erklären sich durch die Ansteckungsfähigkeit des Trachoms die neuerer
Zeit so zahlreich vorkommenden Beispiele von Verschleppung der Krankheit
aus den Brutstätten derselben auf Glieder einer Familie oder auf ganze
Hausgenossenschaften , deren Verbreitung über Ortschaften und Gegenden,
welche vordem völlig frei waren und den das Trachom primär erzeugen-
den Schädlichkeiten nicht ausgesetzt sind.
Als Träger des Ansteckungsstoffes kann nur das eitrige und schleimig-
eitrige Secret des trachomatösen Bindehautsackes aufgefasst werden. Das
wässerige Secret des reinen körnigen Trachoms, sowie das trübschleimige,
der Eiterelemente völlig entbehrende Product veralteter, papillärer, gemischter
und diffuser Trachome ist kaum, oder doch nur in sehr geringem Grade
ansteckend. Dagegen ist die ansteckende Kraft des Bindehautsecretes eine
um so bedeutendere , je mehr dasselbe dem Eiter ähnelt und je intensiver
während seiner Absonderung die Entzündung als solche erscheint.
Es muss hierbei jedoch bemerkt werden, dass aus einer solchen Uebertra-
gung des trachomatösen Secretes durchaus nicht immer ein Trachom resultirt, son-
Verbreitung durch die Luft; VBrlauf; rrimüres Trachom. 457
dem bisweilen anch ein reiner Katarrh, eine Blennorhoe; dass aber andererseits
wieder das Secret eines reinen Katarrhes, einer reinen Blennorrhoe, ja selbst das
Product eines Genitalicntrippers, auf die Conjunctiva gebracht, nicht ntir eine
Blennorrhoe, sondern auch ein gemischtes oder ditt'uses Trachom 5su erzeugen im
Stande sei.
Es ist bisher kein genügender Grund vorhanden , die Ansteckung
anders, als durch unmittelhare Berührung der Conjunctiva mit dem contagiösen
Secrete selbst ermöglicht zu denken. Eine Ansteckung durch die Luft, als
die Trägerin fein vertheilter dunstförmiger Partikelchen des ansteckenden
Secretes, ist zwar nicht unmöglich ; allein sie ist auch nicht erwiesen ; ja
nicht einmal genug wahrscheinlich gemacht worden (S. 429).
Wäre die L7ift der Träger des Contagiums, so müsste beim Militär das
procentarische Verhältniss der erkrankten Chargen dem der erkrankten gemeinen
Mannschaft das Gleichgewicht halten. Jenes ist aber unvergleichlich kleiner als
dieses.
Man glaubt, dass Kinder unter 5 Jahren dem Trachome nicht unterworfen
seien. Vom reinen körnigen Trachome mag dieses gelten, das papilläre, gemischte
und diffuse ist jedoch bei Kindern dieses Alters nicht ganz selten. Audi Individuen
von mehr als 50 Jahren sind nicht , wie Manche meinen , frei von der Gefahr der
trachomatösen Erkrankung. Jedoch ixnterliegt es keinem Zweifel, dass das Mannes-
alter, von 20 — 40 Jahren gerechnet, das grösste Contingent liefere und dass das
männliche Geschlecht, ganz abgesehen vom Militär, im Verhältnisse zum weihlichen
weit mehr leide. Deu Grund dessen wird Jeder leicht einsehen , welcher die ge-
wöhnlichen Ursachen des Trachoms auch nur flüchtig betrachtet.
Verlauf. Das Trachom ist ein im engsten Wortsinne chronisches Leiden.
Doch ist die Art des Verlaufes eine überaus wechselvolle.
1. Schon die Art und Weise, in welcher sich das Trachom eniiü/cAeZi,
ist in verschiedenen Fällen eine sehr verschiedene.
a. Bei Individuen, welche vermöge ihrer Lebensverhältnisse häufig
oder gar ununterbrochen Bindehautreizungen ausgesetzt sind, geschieht es
nicht selten, dass sich anscheinend ganz geringfügige Katarrhe öfters und in
kurzen Zwischenzeiten wiederholen, immer aber wieder spontan oder mit
ärztlicher Hilfe zurückgehen. Je^der dieser Anfälle fügt einige Körner
und Granulationen zu den bereits vorhandenen hinzu , bis endlich die
Erscheinungen dei? Trachomes ausgesprochen sind.
6. In anderen Fällen glaubt man anfänglich, es mit einem heftigeren
Katarrhe, einem Herpes oder dergl. zu thun zu haben. Diese ziehen sich
aber in die Länge, schwanken zwischen Exacerbationen und Remissionen ;
während dem treten allmäüg die trachomatösen Excrescenzen hervor und
vergrössern sich mehr und mehr, bis endlich die Symptome des Trachoms
die Oberhand gewinnen.
c. Sehr oft entwickelt sich das Trachom acut und selbständig. Plötz-
lich injicirt sich unter lästigen Gefühlen oder Schmerzen die Bindehaut,
die Seitentheile der Conjunctiva bulbi lassen ein grobmaschiges Gefässnetz
herausblicken, während sie gleichzeitig ödematös anschwellen. Die Binde-
hauthyperämie nimmt unter rascher Steigerung der subjectiven Erscheinun-
gen und unter Absonderung einer mit eitrigschleimigen Flocken durch-
mischten reichlichen Menge von Thränen rasch zu. Schon innerhalb weniger
Stunden oder Tage ist sie allgemein geworden. Die Lider sind geröthet,
namentlich um den Lidrand herum ödematös augeschwollen, gegen Druck
empfindlich, schwer beweglich und darum die Lidspalte verengt oder gar
geschlossen. Untersucht man jetzt die Bindehaut, so ist die Rauhigkeit
4o8 Trachom; Verlauf; Atisgänge.
derselben schon ganz deutlich ausgesprochen und binnen Kurzem ist das
Trachom zu hohen und höchsten Entwickelungsgraden gediehen.
d. Das gemischte und diffuse Trachom kommt häufig auch während
dem Verlaufe einer Blennorrhoe, einer Syndesmitis diphtherica oder membra-
nosa zu Stande. Oft macht sich die trachomatöse Gewebswucherung schon
in dem ersten Stadium dieser Processe geltend ; öfter jedoch treten die
Rauhigkeiten der Bindehautoberfläche erst während dem Höhestadium
hervor, welches dann ungewöhnlich lange zu dauern pflegt. Nicht selten
werden die Köi'ner und Granulationen aber erst bemerklich, wenn jene
Processe bereits entschieden in Ahnahme begriffen sind.
2. Weiterhin vermindert sich die Intensität der entzündlichen Symptome
und es macht sich die Erschlaffung der Theile in sehr auffalliger Weise
geltend. Dabei findet ein fortwährendes Schwanken zwischen heftigeren
Eeizzuständen und zwischen Nachlässen statt, welche letztere in minder
hochgradigen Fällen oft so bedeutend sind , dass der Kranke sich kaum
krank fühlt und nur durch die zeitweise Trübung des Gesichtes sowie
durch die Unverträglichkeit selbst leichter ßeizeinwirkungen belästigt wird.
In dieser Weise besteht das Trachom viele Monate und auch Jahre, ohne
sich wesentlich zu verändern, bis es endlich heilt, oder seinen ständigen
Entwickelungsformen zuschreitet, oder unter dem Einflüsse einer neuen
Schädliclikeit plötzlich einen Aufschwung nimmt und wieder in mehr
acuter Form hervortritt.
Ausgänge. 1. Das Trachom jeglicher Form kann spontan heilen. Der
Weg dazu ist für die Körner die Resorption, niemals die Vereiterung; für
die papillären und diffusen Granulationen aber die fortgesetzte Abstossung
ihrer oberflächlichen epithelialen Strata und die Rückbildung und Aufsaugung
der im Parenchyme der einzelnen Bindehautbezirke neugebildeten Elemente.
Bei Kindern ist die Aussicht auf spontane und vollständige Heilung
am grössten ; s^elbst diffuse hochgradige Trachome gehen bei Individuen
dieser Altersclasse öfters in verhältnissmässig kurzer Zeit, innerhalb weniger
Wochen oder Monate, wieder zurück, ohne üble Folgen zu hinterlassen.
Bei Erwachsenen darf man auf diesen Ausgang weniger hoffen. Nicht ver-
altete Trachome niederer Entwickelungsgrade heilen bei diesen wohl auch
nicht selten von selbst , bedürfen hierzu aber immer Monate lange Zeit
und setzen voraus, dass der Kranke unter vollkommen günstige Verhält-
nisse gesetzt und den das Trachom begründenden Ui'sachen entrückt werde.
Höhergradige gemischte und diffuse Trachome heilen bei Erwachsenen nur
sehr ausnahmsweise spontan; in der bei weitem grösseren Mehrzahl der
Fälle kömmt es, wenn nicht eine rationelle Behandlung eingeleitet wird,
zu ständigen Verbildungen der Bindehaut , wohl auch der Lider und der
Hornhaut, welche die Functionstüchtigkeit der Augen mehr minder beein-
trächtigen oder gar in Frage stellen. Es obsolescirt nämlich das hyper-
trophische Gefüge, wird dichter und verwandelt sich endlich in ein
trockenes blutarmes sehnenähnliches Gewebe, indem es gleichzeitig bedeutend
an A'olum abnimmt, zusammenschrumpft.
a. Die papillären Granulationen verkleinern sich in Folge dessen sehr
bedeutend, ohne ihre eigenthümliche Form aufzugeben. Sie werden dabei
sehr blass, graulich trüb, oder wohl auch durchscheinend und farblos nach
Art unreinen Glases , ausserdem aber bisweilen so hart , dass sie beim
Narbige Entartung der Bindehaut. 459
Darüberfahren mit einem harten Körper ein deutliches Reibnngsgeräusch
erregen. Die Lidbindehaut, auf welolier sie stehen, erscheint dann eben-
falls blass gelbgrau oder röllilichgrau, nur von einzelnen stärkeren Ge-
fässen durchsponnen , sehr derb und i-esistent; ihre Empfindlichkeit ist
merklich verringert, die Secretionsfähigkeit ist aber fast gänzlich vernichtet.
In Polge dessen haben derlei Kranke sehr viel von der Trockenheit des
Bindchautsackes zu leiden.
b. Bei seh' hochgradig entwickeltem gerniscMen und namentlich hv'nw
diffusen Trachome, wo die Gewebswucherung sich immer in der ganzen
Dicke der Lidbindehaut sehr autfällig macht, geht nicht selten der Papillar-
bezirk theilweise oder ganz in schrumpfendem Narbengeivebe unter.
Diese Narben stellen sich gewöhnlich als sehnig glänzende weiss-
graue Streifen dar, welche sich nach den verschiedensten llichtungen hin
verzweigen und auf diese Weise ein bald grob-, bald feinfädiges Netz bilden,
welches im Gefüge der Bindehaut seilest eingewebt ist, diese ihrer ganzen
Dicke nach durchsetzt und selbst wohl mit der Knorpeloberfläche in Ver-
bindung steht. In den Maschen dieser üSTetze findet man noch lockeres
rothes oder gelbgrauliches Gefüge, ja nicht selten erhebt sich dasselbe in
Gestalt von Fleischwärzchen über die Bindehautoberfläche. In der Mitte
der Lidbindehaut kommen diese sehnigen Streifen am häufigsten vor und
erreichen daselbst auch gewöhnlich die grösste Stärke.
In anderen Fällen trifft man am Tarsaltheile sehnige glänzende und
weissliche Flecke mit strahligen oder wolkigen Umrissen , welche in der
Regel einen fettigen Beschlag zeigen , in Folge dessen auch kein Wasser
annehmen, sondern die Thränen darüber fliessen lassen, ohne benetzt zu
werden. Sie kommen sowohl allein vor, als in Begleitung netzförmig ver-
strickter Narben, lagern entweder ganz oberflächlich, oder greifen auch in
die tieferen Schichten und hängen dann durch sehnige Ausläufer mit dem
Knorpel zusammen. In einzelnen Fällen stösst man auf ausgebreitete der-
artige Narbenflecke, in deren Bereich das Conjunctivalgewebe gänzlich
fehlt, indem sie mit ihrer vorderen Fläche dem Knorpel breit anhaften und
gleichsam in Eins mit demselben verschmelzen. Bisweilen ist der gesammte
Papillarbezirk der Bindehaut in dieser Weise verödet.
Auch fehlt es nicht an Fällen, in welchen solche Narbenflecke sich
ungleichmässig zusammengezogen haben zu harten knorpeligen Wülsten mit
strahlig verzweigten, dicken, sträng- und blattähnlichen Ausläufern, welche
um ein Bedeutendes über die umgebende Bindehaut hervorragen und
letztere in unregelmässige Falten werfen. Doch gehören diese strahligen
dicken Narben kaum dem trachomatösen Processe als solchem an, sondern
dürften in der Regel durch allzustarke und tiefgreifende Aetzungen mit
Höllenstein in Substanz begründet werden.
c. Im Uebergangstheile machen sich sowohl beim reinen körnigen, als
beim gemischten und diffusen Trachome ähnliche Veränderungen geltend.
In Folge der Obsolescenz des wuchernden Gefüges flachen sich die Körner
allmälig ab , verschwinden wohl auch ganz itnd am Ende erscheint der
Uebergangstheil ganz glatt und merklich dichter, bei vorausgegangener
massenhafter Wucherung auch fühlbar derber und autfallend weiss , bis-
weilen selbst ganz sehnenartig und nur von einzelnen in grobmaschigen
Netzen verzweigten Gefässen durchsponnen oder ganz gefässlos, er hat
460 Trachom; Ausgänge; Narbige Entartung der Bindehaut; Syrahlepharon posterius.
aufgehört schleimhäutig zu sein und ist, oberflächlich wenigstens , fibrös
geworden.
Es betrifft diese Metamorphose oft nur einzelne Portionen des Ueber-
gangstheiles; diese haben das Aussehen, als wären sie mit imregelmässig
geformten sehnigen Eladen überdeckt. In anderen Fällen ist der Ueber-
gangstheil seiner ganzen Ausdehnung nach in eine sehnige gefässarme oder
selbst anscheinend gefässlose Haut verwandelt, welche in Betreff ihrer
Flächenausdehnung weit gegen das Normale zurücksteht.
Bei niederen Entwickelungsgraden der Krankheit und bei mehr ungleich-
massiger Vertheilung des schrumpfenden Narbengewebes äussert sich jene
Flächenverrainderung oft durch eine Faltung des betreffenden Conjunctival-
theiles in einer auf die Lidränder senkrechten Richtung. Wenn der Augen-
deckel vom Bulbus abgezogen oder umgestülpt wird, springen diese Falten
sehr deutlich hervor und man sieht und fühlt in ganz unzweideutiger
Weise , dass es dichte sehnige Balken und hautähnliche Gebilde sind,
welche , in das Bindehautgefüge eingebettet und in das subconjunctivale
Gewebe ausstrahlend, vermöge ihrer Kürze sich spannen und so die nach-
barlichen Bindehauttheile emporheben. Meistens findet man mehrere der-
artige Falten in der Breite eines jeden Lides, bisweilen auch einzelne
in den Seitenpartien des Uebergangstheiles , die dann besonders bei den
Seitenhewegnngen des Bulbus hervorspringen. Man bezeichnet diese Falten
als den ersten Grad des sogenannten Symblepharon posterius.
In Fällen höchstgradiger Erkrankung der Bindehaut pflegt die Schrum-
pfung eine mehr gleichmässige zu werden. Der Uebergangstheil verwan-
delt sich seiner ganzen Ausdehnung nach in ein sehnenähnliches Gefüge,
verkürzt sich und sein Grund rückt in Folge dessen mehr heraus. Die
Conjunctiva tarsi tritt dann unmittelbfir hinter dem convexen Tarsal-
rande auf die entsprechende Zone der Scleraloberßäche hinüber , oder
springt wohl gar schon von der Tarsalfläche selbst an den Bulbus heran,
um dort als Scleralbindehaut sich auszubreiten. Jene charakteristischen
senkrechten Falten fehlen unter solchen Umständen also. Man bezeichnet
diesen Zustand als den höheren Grad des Symblepharon posterius.
Doch nicht immer ist diese Verkürzung der Bindehaut Folge einer
Schrumpfung, Sie kann auch hervorgehen aus einer Verwachsung der beiden
sich unmittelbar berührenden Blätter des Uebergangstheiles. Besonders häufig
kommen solche Verwachsungen in Folge übermässigen Aetzens vor, wenn
nämlich durch das Causticum die oberflächlichen Epithellagen zerstört und
so Wundflächen der beiden Bindehautblätter in gegenseitige Berührung
gebracht wurden.
d. Es ist von selbst verständlich, dass bei einer so bedeutenden Ver-
kürzung des Bindehautsackes nicht allein der Uebergangstheil, sondern
auch die übrigen Portionen der Conjunctiva an der Schrumpfung bethei-
ligt sein müssen. Dieses zeigt sich denn auch ganz deutlich an der Con-
junctiva bulbi, indem deren vorderste Zone, welche nicht auffällig verkürzt
erscheint, ein eigenthümlich blasses und steifes Aussehen gewinnt. Ver-
möge der Obsolescenz des sie zusammensetzenden Bindegewebes wird sie
nämlich erstens gefässärmer und zweitens verliert sie ihre natürliche
Elasticität, so dass sie bei den Bewegungen des Augapfels sich in feine
concentrische Falten zieht.
Secundäres, sulziges Trachom. 461
e. Auch die Anliän2;Rel der Bindehaut, die halbmondförmige Falte und
Carunkel, pflegen unter solchen Verhältnissen zu schrumpfen und allmälig
zu verstreichen, so dass man sie scli,wer mehr erkennt.
2. Mit der V'erödung- des Conjunctivalgefüges hat der trachomatöse
Process innerhalb der Grenzen der Conjunctiva sein natürliches Endo ge-
funden. Während dieser Ausgang sich vorbereitet, wechselt begreitiicher
Weise das Aussehen der traciiomalösen Bindehaut gar mannigfaltig. Be-
sonders auffällig macht sich unter solchen Verhältnissen in ziemlich häu-
figen Fällen die 7iachträgliche Entwickeluvg frosclilaichähnlicher Körner, welche
einzeln oder in grösserer Zahl auf dem Uebergangstheile und bisweilen
wohl auch auf der Conjunctiva tarsi zum ^"orschein kommen, theilweise
wieder verschwinden und anderen Platz machen.
Bei Kranken mit diffusem oder gemischtem Trachome , welche zu
frühzeitig aus der Behandlung eoitlassen wui'den, erreicht diese neue Gewebs-
wucherung nicht selten einen sehr hohen Grad, so dass das körnige Tra-
chom viel deutlicher hervortritt, als dieses vordem der Fall war, und bei
weitem die Oberhand gewinnt über die au der Lidbindehaut nachwach-
senden (Tranulationen.
Aber auch in Fällen, welche nie einer Behandlung unterzogen ivurden,
oder wo der Process niemals durch Mittel gestört wurde , welche direct
und mit einiger Kraft auf die erkrankte Bindehaut wirken konnten, wird
oft nach und während jahrelangem Bestände eines gemischten oder diffusen
Trachoms eine fortgesetzte IS ach Wucherung solcher Körner beobachtet. Die
Conjunctiva tarsi und der Uebergangstheil gewinnen unter solchen Ver-
hältnissen in Folge der fortdauernden Gewebswucherung gerne ein eigen-
thümlich sulzähnliches Aussehen, während sich stellenweise gewöhnlich'
schon die Zeichen einer ziemlich weit gediehenen Obsolescenz geltend
machen. In der That findet man diese gelatinöse Degeneration der Binde-
haut mit den eigenthümlichen Körnern in der Regel neben blass und hart
gewordenen papillären Granulationen , neben fleck- oder netzförmigen
Narben der Lidbindehaut, neben Symblepharon posterius und ähnlichen
Veränderungen im Knorpel und der Cornea.
Es liegt auf der Hand, dass diese Körner zum Krankheitsbilde der späteren
Stadien des gemischten und diffusen Trachoms gehören. Es wäre unnöthig, dies zu
erwähnen, wenn man sie nicht als den Ausdrxick eines ganz eigenthümlichen
Processes erklärt hätte , dessen Wurzeln in einer scrophulösen oder tuberculösen
Dyscrasie zu suchen seien (Arlt). Betreit's dieses letzten Punktes ist nur zu be-
merken, dass die in Rede stehenden Veränderungen der Bindehaut auch bei robusten
und sonst völlig gesunden Individuen beobachtet werden und dass das häufigere
Vorkommen derselben bei blassen schwächlichen imd anscheinend frühzeitig ge-
alterten Individuen zum grossen Theile seinen Grund habe in dem jahrelangen Be-
stände des Augenleidens, der dadurch bedingten physischen und moralischen De-
pression und insbesondere in dem fortgesetzten heillosen Gebrauche eingreifender
innerlicher Mittel.
3. Zu den Erscheinungen der Bindehautschrumpfung gesellen sich
häufig noch Veränderungen der am trachomatösen Processe Theil nehmenden
Organe, der Hornhaut und Lider.
a. Die Cornea findet man meisthin in grösserer oder geringerer Aus-
dehnung getrübt, pannös, bisweilen wohl auch xerotisch, in manchen Fällen
vorgebaacht, ectatisch.
h. Der Lidknorpel leidet sehr häufig, ganz abgesehen von der tracho-
matösen Wucherung desselben, durch fort und fort recidivirende Entzün-
462 Trachom; Ausgänge; En- uud Ectropium; Knorpelschrumpfung.
düngen der Meibom'schen Drüsen (Gerstenkörner). Im weiteren Verlaufe hoch-
gradiger Trachome schrumpft uud verkrümmt er sich mannigfaltig, oder
zieht sich zu einem rundlichen Wulste mit abgerundeten Kanten zusammen.
Die Meibom'schen Drüsen sind dann oft zum grossen Theile untergegangen,
zum Theile aber auch nach Verschluss ihrer Ausführungsgänge in unregel-
mässige , mit einer bröckeligen oder flüssigen Masse erfüllte Hohlräume
(Chalazien) umgewandelt worden.
c. Die Lidränder sind häufig gewulstet, tylotisch, mit Trichiasis oder
partieller Madarosis behaftet.
d. Nicht selten kömmt es auch zur ständigen Ein- oder Auswärts-
stülpung der Lider, zur Bildung von Entropien oder Ectropien. Das Entro-
pium ist zumeist eine Folge der sehnigen Entartung der Bindehaut. Indem
sich nämlich unter fortgesetzter Verödung des Gefüges der Uebergangs-
theil und die Conjunctiva tarsi verkürzen, wird die Lidrandfläche unter
Verstreichung der inneren Lefze nach einwärts gegen den Bulbus gekehrt
und öfters sogar auch gedehnt, so dass einzelne Wimpern aus der Reihe
der übrigen heraustreten und weitab von der äusseren Lefze aus der Hand-
fläche hervorzuwachsen scheinen. Die weitere Ausbildung des Entropium
wird fernerhin wesentlich begünstiget durch die Lidkrämpfe, welche in dem
entzündlichen Stadium und während der Exacerbationen des Processes bis-
weilen mit grosser Intensität auftreten und bei etwa schon zu Stande
gekommener Einwärtskehrung der Wimpern auch stetig unterhalten werden.
In der allmäligen Verdichtung und Schrumpfung des Knorpelgew eh es liegt
dann das Mittel, diese V^erkrümmung ständig zu machen. Doch genügt die
Schrumpfung des Tarsus auch an und für sich, um ein Entropium dieser
Art zu begründen.
Bei hochgradigen gemischten und namentlich bei diffusen Trachomen,
welche in den ersten Stadien mit bedeutender Schwellung der Lider und
der Bindehaut einhergehen, entwickelt sich häufiger Ptosis des oberen und
Ectropium des unteren Lides, mitunter stülpen sich auch beide Augendeckel
nach auswärts (S. 433). Ein förderndes Moment für das Ectropium des
unteren Lides ist die Auswärtskehrung des Thränenpunktes und überhaupt
die mangelhafte Thränenleitung, welche sich schon bei ganz gei'ingfügigen
Abhebungen des unteren Lidraudes durch fortgesetztes Thränenträufeln
geltend macht, zu erythematösen Entzündungen und Excoriationen der
Lid- und Wangenhaut, weiterhin aber zu deren Sch-xunpfang führt und so
die fehlerhafte Lage des Lides vergrössert, gleichzeitig aber auch die Ent-
zündung in der Bindehaut und dem Knorpel unterhält und fernere Dege-
nerationen begünstiget.
Die Behandlung hat vorerst der Causalindication im weitesten Wort-
sinne Rechnung zu tragen, sodann aber darauf hinzuwirken, dass die
Geioebswucherung beschränkt und die bereits vorhandenen trachomatösen
Neubildungen, unbeschadet dem Fortbestande der normalen Bindehautelemente,
getilgt werden.
A. Li geschlossenen Körperschaften, z. B. beim Militär, in Erziehungs-
häusern, Strafanstalten, Fabriken u. s. w. muss die Sorge vor allem auf
Verhütung der Krankheit gerichtet werden, zu welchem Behufe die stete
Berücksichtigung aller ätiologischen Momente des Trachomes und die
Handhabung entsprechender diätetischer Regeln unbedingt nothwendig er-
Behandlung ; Prophylaxis; Antiphlogosis. 463
scheint. Ist die Krankheit aber bereits ausgebrochen, so niuss nebstbei
mit aller Kraft darauf hingearbeitet werden, der Verbreitung des Ucbcls
durch Verhütung der Ansteckung einen Damm zu setzen. Trennung der
Ki'anken von den Gesunden und, wo dieses nicht ausführbar ist, thun-
lichste Beschränkung der wechselseitigen Beziehungen bilden dann den
Hauptgegenstand der ärztlichen Sorge.
Im einzelnen Falle ist im Sinne der Causalindication auf Beseitigung
und Fernhaltung aller Schädlichkeiten hinzuwirken, welche möglicher Weise
den Process steigern oder wenigstens uutei-halten könnten, und daher eine
entsprechende Augendiät einzuleiten. Ausserdem muss bei einseitiger Er-
krankung die Uebertragung des ansteckenden Secretes auf das gesunde Auge
wo möglich verhindert werden. Zu diesem Ende ist es nothwendig, das
gesunde Auge, so lauge der Process acut und unter Secretion eiterig schlei-
miger Producte verläuft, durch einen hermetischen (S. 434) oder wenigstens
durch einen Schutzverband zu verwahren. Ist das Trachom aber bereits in
das Stadium der Chronicität übergetreten, so dürfte in Anbetracht der
geringeren Ansteckungsfähigkeit der Secrete und in Berücksichtigung der
grossen Lästigkeit längeren Tragens eines Verbandes dessen Beseitigung
gerechtfertigt und der Ansteckung dadurch vorzubeugen sein, dass man
dem Kranken die grösste Vorsicht beim Waschen des Gesichtes, beim
Gebrauche der Hände u. s. w. ans Herz legt. Vorsichtige Patienten ver-
mögen in der That sehr häufig die Betheiligung des zweiten Auges zu
verhindern.
B. Die directe Behandlung des Trachoms wechselt ausnehmend je nach
der Art uud Weise, in welcher sich die Krankheit entwickelt, je nach der
jeweiligen Intensität des Gewebswucherungsprocesses, nach der Grösse, Form
und Ausbreitung der trachomatösen Neubildungen u. s. w.
1. Tritt das Trachom unter den Erscheinungen einer Blennorhoe etc.
auf, so ist ihm vorerst mehr in prognostischer als in therapeutischer Be-
ziehung eine sonderliche Aufmerksamkeit zuzuwenden. Das Trachom beein-
flusst die Indicationen erst dann sehr wesentlich, wenn die gefahrdx'ohenden
Zustände durch das ihnen entsprechende Verfahren beseitigt worden sind
und das Trachom als solches in den Vordergrund tritt.
2. Hat sich das Krankheitsbild in dieser Weise geändert, oder entwickelt
sich das Trachom i^rimär als solches, so kömmt es bei der Wahl der Be-
handlungsmethode vornehmlich auf die jeweilige Intensität des entzündlichen
Processes an. Wo immer der sthenische Charakter der Entzündung oder
auch nur ein heftigerer Eeizzustand deutlich heraustritt, sei es im Be-
ginne der Krankheit, oder im weiteren Verlaufe dei"selben unter der Gestalt
einer Exacerbation : ist die antiphlogistische Behandluyig einzig und allein am
Platze, jeder reizende Eingritf ist strengstens zu meiden. Die Mittel dazu
liegen in strenger Augendiät und in allgemeiner antiphlogistischer Diät,
in der Anwendung kalter Ueberschläge, Einträufelungen von Atropin-
lösungen u. s. w.
3. Wird bereits die Erschlaffung der Bindehaut merklich und zeigt sich
im Episcleralgefüge keine namhaftere Injection der Gefässe: so ist es Zeit,
die Tilgung der vorhandenen trachomatösen Neubildungen auf directem Wege
anzustreben.
Es darf hierbei jedoch nicht verschwiegen werden, dass dieser Zeitpunkt in
der Praxis weit schwieriger als iu der Theorie zu bestimmen ist. Es kommen
464 Trachom; Behandlung; Directe Tilgungsmittel; Abtragung der Granulationen.
Fälle vor, wo die aufgestellten Bedingungen alle erfüllt zu sein scheinen und
directe Eingriffe zur Tilgung des Trachoms dennoch nicht vertragen werden, viel-
mehr überaus heftige und selbst gefahrdrohende Exacerbationen des entzündliehen
Processes nach sich ziehen, welche die allsogleiche Rückkehr zur reinen Antiphlo-
gose unbedingt nothwendig machen. Andererseits kommen aber Fälle vor, in
welchen der entzündliche Gewebswucherungsprocess trotz aller antiphlogistischen
Mittel in hohen Intensitätsgraden und unter allen Erscheinungen heftiger Nerven-
reizung wochenlange fortbesteht, vom theoretischen Standpunkte aus also jeden
reizenden Eingriff zu verbieten scheint und dennoch geradezu einen solchen ver-
langt. Zum Glücke sind solche Fälle verhältnissmässig selten und man wird sich
leicht vor Missgriffen bewahren, wenn man bei einem sonst ungerechtfertigten
Andauern eines stärkeren Reizzustandes vorerst nur versnchsioeise und mit aller
Vorsicld die schwächeren Tilgungsmittel in Anwendung zieht und den Erfolg beob-
achtet, ehe man sich für das weitere Kurverfahren entscheidet.
Als directe Mittel zur Tilgung trachomatöser Neubildungen dienen die
Schere, der Höllenstein und das schwefelsaure Kupferoxyd.
Eine Zeit lang war auch der Bleizucker im Gebrauche und man hat viel
Aufhebens von seiner Wirkung gemacht. Man wendete ihn sowohl in concentrirten
Lösungen^ als in Pulverform an (Birys, Warlomont). Beide Präparate wurden mittelst
eines Pinsels in reichlicher Menge auf die trachomatöse Bindehaut aufgetragen
und nachdem sie eine Weile eingewiikt hatten, entfernte man den Ueberschuss
durch laues Wasser. Es bildet sich auf solche Weise ein Schorf, welcher die ganze
Oberfläche des bestrichenen Bindehauttheiles deckt und die darauf stehenden
Granulationen allseitig einhüllt. Es haftet dieser Schorf sehr fest und es bedarf
oft vieler Tage, ehe er sich loslöst. Mittlerweile wirkt derselbe als fremder Körper
und wird als solcher gewöhnlich sehr lästig, ja er vermehrt gerne die vorhandenen
Reizzustände und wohl auch die Gewebswuchernng, so dass es nichts Seltenes ist,
die Granulationen unter den Bleischorfen wachsen statt abnehmen zu sehen. Es
ist dieses um so leichter möglich , als die zurückbleibenden Schorfe die späteren
Einwirkungen des Mittels auf die Neubildung hindern oder wenigstens schwächen.
In ähnlicher Weise wurden auch Tannin (Oyr), Opiuvitinctur, verdünnte Sal-
petersäure u. s. w. versucht, doch standen die Ergebnisse weit hinter denen des
Höllensteines und des Kupfervitriols zurück.
Die Wahl des Tilgungsmittels wird hauptsächlich bestimmt durch die
Porm, Grösse und Consistenz der trachomatösen Neubildungen.
a. Hahnenhamm- oder blumenkohlähnliche, überhaupt sehr stark hervor-
tretende und verhältnissmässig dünn gestielte diffuse Granidationen sind mit der
Schere abzutragen. Es ist dabei dringend nothwendig, jede Verletzung
des eigentlichen Bindehautgefüges auf das Sorgfältigste zu vermeiden,
widrigenfalls durch Veranlassung von Narben gerne Schaden gestiftet wird.
Darin liegt der Grund, warum bei Granulationen mit vei'hältnissmässig
breiter Basis und geringer Höhe die Schere, obwohl sie die Dauer des
Leidens wesentlich abkürzt, nicht zu empfehlen ist. Es lassen sich derlei
breite und flache Granulationen eben nicht leicht zwischen die Blätter
der Schere bringen, ohne dass gleichzeitig die Bindehaut selber in die
Schnittebene fiele.
Behufs der Operation wird der Kranlie auf einen Stuhl gesetzt. Ein
hinter ihm stehender Gehilfe fixirt den Kopf und die umgestülpten Lider,
während ein anderer Gehilfe mittelst eines in kaltes Wasser getauchten
Schwammes die Blutung stillt. Die Abtragung selbst geschieht mit einer
feinen, nach der Blattääche gekrümmten Schere. Immer muss eine Granu-
lation nach der anderen hart an der Basis abgetragen werden. Die Opei'ation
erfordert darum viel Zeit und Geduld, ist übrigens nicht schmerzhaft,
vorausgesetzt, dass die Schere nicht in die Bindehaut selber eindringt. Es
ist dabei wohl zu merken, dass es vergebliche Mühe wäre, die Conjunctiva
Lapis mitigatus; Uijllciislcirilijstmj^eii; Kupfervilrinl. 4Go
glatt schoreu zu wollen. Mau muss sich begnügen, die stark hervortretenden
Orauulalioucu bis auf geringe Jleste ihrer J5asis entfernt, zu haben. Das
Uebrige müssen Aetzungen mit HöUcnsteinlösungen thun. Doch dürfen
diese nicht vor Ablauf von 1 — 2 Tagen begonnen werden. Unmittelbar
nach der Operation sind kalte Ueberschläge zu appliciren, um die paren-
chymatöse Blutung zu stillen und die Jleaction auf ein kleinstes zu be-
schränken.
b. Massige, stark hervorragende, aber ßacJi auf sitzende, diffuse Granulationen
werden am besten dui'ch öfteres Bestreichen mit dem mitigirten Höllensteine
(S. 48) getilgt.
c. Bei höhergradigem gemischten Trachome, so wie beim diffusen Trachome,
wenn dasselbe gleich ursprünglich weniger entwickelt war, oder durch die
Schere oder den Lapis infernalis mitigatus bereits so weit abgeschliffen
worden ist, dass die vorhandenen Granulationen breiter als hoch sind, also
nur massig über die Oberfläche hervorragen : empfehlen sich ganz besonders
Bepinselungen der rauhen Conjunctivaltheile mit starken Höllensteinlösungen,
gr. 15 — 30 ad unc. 1 Aq. dest. (S. 48).
d. Ist in solchen Fällen die Abschleifung der Granulationen bereits
sehr loeit gediehen, oder liegt ein gemischtes Trachom mittlerer oder niederer
Entwickelungsgrade, ein reines jJapillares oder körniges Trachom vor, so sind
Bestreichungen der rauhen Bindehauttheile mit schwächeren Höllensteinlösungen,
von gr. 5 — 10 auf die Unze Wasser, durch die Klugheit geboten. Es kommt
dann nämlich auf die Bildung sehr dünner Aetzschorfe an, indem ein
tieferes Eingreifen durch stärkere Caustica leicht die wuchernde Binde-
haut selber gefährden und das Zustandekommen von Narben veranlassen
könnte. Die Wahl der Dosis innerhalb der vorgezeichneten Grenzen
hängt von der Grösse des gewünschten Effectes ab. Das Aetzmittel
wird um so schwächer sein müssen, je weniger Masse die Neubil-
dungen bieten.
e. Nicht selten geschieht es, dass an einzelnen Stellen der Bindehaut,
besonders in der Umgebung des convexen Tarsalrandes, Granulationen von
ansehnlicher Grösse stehen bleiben, während sonsten die trachomatösen Rauhig-
keiten den vorerwähnten Mitteln rasch weichen. In solchen Fällen müssen
die hervorragenden Auswüchse mit dem mitigirten Lapis behandelt, der
Rest der Bindehaut aber mit den entsprechenden Lösungen bestrichen
werden.
/. Bleibt nach Abschleifung des Trachomes die Bindehaut sehr stark
aufgelockert und erschlafft, erscheint die katarrhalische Secretion ziemlich reich-
lich und handelt es sich daher mehr um eine stark adstringirende Wir-
kung als um eine kräftige Aetzung, so ist die Bestreichung der Conjunctiva
mit einem Krystalle von schwefelsaurem Kupferoxyde oder mit einer Kupfer-
vitriolsalbe, gr. ö ad drach. 2 uugt. comm., unbedingt das vorzüglichste
Mittel.
g. Auch beim secundären sulzigen Trachome (S. 461) bewährt sich der
Kupfervitriol, so lange nicht streckenweise papilläre oder diffuse Granula-
tionen grösseren Calibers eine starke Je^srsvirkung verlangen.
Die breiten Flächen des Krystalles gewähren den Vortheil, dass die grösste
chemische Wirkuno- die hervorrasreudsten Punkte trift't und dass auf solche Weise
Rückbleibsel der Granulationen ahge'dtrJ. werden können, während die dazwischen
gelegenen Partieu der Bindeliavü mehr die adstringirende Wirkung erfahren. Der
S t e 1 1 IV a g. Augenheilkunde. 30
466 Trachom; Behandlung; Aetzungen; Vorsichten bei der Canterisation.
Kupfervitriol ist bei kräftiger Handhabung in der That ein Causticmn und wurde
eine Zeit lang fast ausschliesslich zur Tilgung von Trachomen verwendet. Erst
neuerer Zeit wurde er in seiner Eigenschaft als Causticmn durch die Höllenstein-
lösungen verdrängt und zwar mit Recht, da diese weit kräftiger und sicherer
wirken.
Die Kupfervitriolsalhe gewährt einen sehr vortheilhaften Ersatz für den Kry-
stall, besonders in jenen Fällen, in welchen die Verhaltnisse dem Kranken nicht
gestatten, den Arzt täglich zu besuchen. Der Kranke kann nämlich mittelst eines
Pinsels die Salbe sich leiclit selbst in den Bindehautsack streichen oder von An-
deren streichen lassen.
Man kann das schwefelsaure Kupferoxyd auch in Form von Lösungen,
drach. 1 ad unc. 1. Aq. dest. , mittelst eines Pinsels in derselben Weise und zu
denselben Zwecken auf die Rindehaut auftragen, wie die starken HöllensteinVösungen.
Doch steht es den letzteren bedeutend nach, wo es sich um kräftige Wirkungen
handelt.
Der Zweck der Aetzungen ist, die Bindehaut zur Norm zurückzuführen.
In Berücksichtigung dessen kann nicht genug gewarnt werden vor tief
greifenden Aetzungen, namentlich mit Höllenstein in Substanz, denn diese
führen immer zur Bildung ausgebreiteter Narben. Es hat vielmehr als aus-
nahmsloses Gesetz zu gelten, dass man sich, selbst in Fällen höchstgradigen
diffusen Trachomes, bei jeder einzelnen Aetzung auf die Erzeugung eines ganz
dünnen oberflächlichen Schorfes beschränke. Eine zweite Regel fordert, mit
grösster Sorgfalt die Einwirkung der Aetzmittel auf Stellen zu verhüten, welche
von trachomatösen Rauhigkeiten nicht bestanden sind, welche also dem
Causticum nur die Substantia propria zur Einwirkung bieten.
Einträvfelungen sind darum unbedingt zu verwerfen; schwache CoUyrien
nützen eben nichts bei Vorhandensein eines Trachoms, stärkere aber greifen eben-
sowolil die Conjunctiva bulbi und die Horniiaut, als die trachomatösen Granulationen
an und werden jenen um so gefährlicher, je heilkräftiger sie in Bezug auf das
Trachom als solches wirken.
In der Regel wird man alle Tage einmal ätzen. Eine öftere Wieder-
holung ist nicht räthlich. Die beste Zeit hierzu dürfte des Morgens, zwei
oder drei Stunden nach dem Erwachen aus dem Schlafe sein. Unmittelbar
nach dem Schlafe erscheint die Bindehaut meisthin stark hyperämirt und
das Aetzen reizt viel stärker. Aus demselben Grunde ist auch das Aetzen
kurz nach einer Mahlzeit zu meiden. Aber auch vor einer Mahlzeit ist es
bedenklich, da der damit gesetzte Reizzustand durch das Kauen und den
vollen Magen leicht gesteigert wird.
Man glaube indessen ja nicht, dass die Aetzung bis zum Schwinden des
Trachomes jeden Tag vorgenommen werden müsse; sondern versäume nie,
jedesmal, bevor man zur Application des Causticums schreitet, den Zustand
der Bindehaut und ihrer Nachbarorgane genau zu untersuchen und dar-
nach die Indicationen zu stellen. Sehr oft geschieht es, dass durch zufällig
einwirkende Schädlichkeiten der Reizzustand des Auges vorübergehend um
ein Beträchtliches vermehrt wird, was sich besonders durch eine stärkere
Injection der feinen episcleralen Gefässnetze , durch Empfindlichkeit,
stärkere Thränensecretion und helleren Ton der Injectionsröthe zu erkennen
gibt. Ist dieses der Fall, so ist die Aetzung zu unterlassen und durch ein
rein antiphlogistisches Verfahren zu ersetzen, bis jene Reizsymptome wieder
geschwunden sind. Wird diese Vorsicht vernachlässigt und trotz jener
warnenden Zeichen geätzt, so' ist das Resultat gewöhnlich eine beträchtliche
Steigerung der Entzündung. Sehr häufig scliiessen dann auch herpetische
Efflorescenzen an der Bindehaut oder Hornhaut auf, welche nicht selten
Warme Ueberschliigp. 407
die Functionstüchtig'koit des Auges geradezu in Frage stellen. Jedenfalls
wird d(>ni Kranken die Fortsetzung des Aetzens unerträglich, man ist am
Ende gezwungen, die Cauterisation aufzugeben und zwar Wochen lang,
während dt>ni die Bindehaut Zeit hat, die trachomatösen Auswüchse zur
vorigen Grösse oder in gesteigertem blasse auszubilden.
Ist das Trachom einmal in das Stadium der Chronicität getreten und
sind die Keizerscheinungen gewichen, welche den ersten Beginn des acut
auftretenden Trachoms zu begleiten pflegen, so wäre es zwecklos, den
Kranken weiterhixi an das Zimmer zu fesseln, vieiraehr erweist sich unter
solchen Verhältnissen der reichliche Genuss frischer Luft in hohem Grade
erspri esslich. Doch muss bei einem solchen Zugeständnisse der Kranke auf
das Eindringlichste vor allen Excessen gewarnt und zum Einhalten einer
entsprechenden Augendiät sowie zur Vermeidung aller Veranlassungen von
Congestionen der oberen Körperhälfte ermahnt werden.
4. Ausnahmsweise kommen Fälle, namentlich von veraltetem Trachome
vor, welche den genannten Mitteln eine ganz merkwürdige Resistenz ent-
gegenstellen und in welchen nach wochenlangen energischen Cauterisationen
kaum eine Veränderung in dem Zustande nachzuweisen ist, es wäre denn
ein entschiedener Fortschritt in der Entartung des Bindehautgefüges. Auch
stösst man hier und da auf Fälle chronischen und selbst inveterirten
Trachomes, in welchen Aetzungen durchaus nicht vertragen werden, welche
vielmehr auf jeden derartigen Eingritf mit sehr heftigen und anhaltenden
ßeizzuständen, wenn nicht gar mit herpetischen Affectionen oder anderen
Formen der Keratitis antworten. Tu solchen Fällen, sie mögen mit oder
ohne Pannus einhergehen, kann man lauwarme Ueberschläge oder Cataplasmen
versuchen (GraefeJ. Bisweilen nützen dieselben, indem sie das Gefüge sehr
auflockern und damit die Bückbildung wesentlich begünstigen, auch wohl
die Empfindlichkeil merklich herabsetzen. In einzelnen Fällen sah man
dann sogar ein spontanes Zurückgehen der Granulationen; in anderen
wurden die Aetzungen, mit A'orsicht begonnen und allmälig gesteigert,
wieder vertragen und leisteten Erspriessliches. Auch wird unter solchen
Umständen die Aqua Chlori (H. 47) gerühmt (GraefeJ. Bei besonders ver-
alteten und hartnäckigen derartigen Atfectionen, wenn sie mit Pannus
einhergehen, dai'f man wohl aiich die Inocidation der Blennorrhoe wagen
und kann Gutes mit ihr erzielen (Piringer, Bader).
5. Ist das Trachom völlig oder doch so tveit getilgt, dass nur mehr hei
schief einfallendem Lichte feine Unebenheiten wahrzunehmen sind, zeigt die
Injectionsröthe der bereits durchscheinenden Bindehaiit einen merklichen
Stich ins Gelbe und ist die Wulstung der Conjunctiva gewichen: so ist
es Zeit, mit den Aetzungen probeweise einzuhalten. Am besten w^ird man
tliun, wenn man die Pausen zwischen den einzelnen Aetzungen allmälig
verlängert, statt täglich alle zwei und später alle 3 — -4 Tage ätzt. Es
hat dieses probeweise Aussetzen der Aetzungen den Zweck, zu erforschen,
ob die Gewebswucherung in der Bindehaut noch fortdauert und ob eine
etwa noch vorhandene feine Unebenheit der Conjunctivaloberfläche nicht
vielleicht blos der Ausdruck einer durch die Aetzungen selbst unterhaltenen
hyperümischen Schwellung des Papillarkörpers ist, Avelche sogleich schwindet,
wenn der durch die Cauterisationen bedingte lleizzustand aufliört. Es kömmt
in der That gar nicht selten vor, dass minder Geübte durch fortgesetztes
30*
4G8 Trachom; Behandlung; Verfahren bi'i hypertroph. Conj.-Falten. bei Pannus u. Ectropium.
Aetzen solche leichte hyperämische Schwellungen ungebührlich in die
Länge ziehen.
Aber auch nach völligem Schwinden der Bindehau trauhigkeiten ist der
Kranke nicht für gesichert zu erachten. Um der Wiederkehr des Uebels
vorzubeugen, ist es dringend uothwendig, dass die diätetischen Eegeln noch
längere Zeit befolgt werden.
6. Finden sich hei veraltetem Trachome hypertrophische CoiyunctivalJ alten von
einiger Breite im Uehergangstheile, so müssen dieselben mit der Schere hart an
ihrer Basis abgetragen iverden, da sie den Aetzungen erfahrungsgemäss nicht leicht
weichen und mit gutem Grunde der Unterhaltung eines stärkeren Keizzustandes
angeklagt werden können. In den früheren Stadien des Trachoms kommen solche
Falten von grösserer Ausdehnung nicht leiclit vor und sind von geringerer Bedeu-
tung, da sie mit dem Zurückgehen des Trachoms ebenfalls zu schwinden pflegen,
wie man an der halbmondförmigen Falte sehen kann. Unter solchen Umständen
wäre eine Abtragung also nicht gerechtfertigt.
7. Ist das Bindehauttrachom mit Cornealpannus combinirt, so ist das
Kurverfahren gerade so einzuleiten, als wäre kein Pannus gegeben. Dieser
schwindet unter der Behandlung meisthin früher, oder löst sich rascher
in einen ständigen Epithelialtleck auf, als die Bindehautrauhigkeiten getilgt
werden können. Ist das Trachom aber mit einer Keratitis pannosa oder
herpetica vergesellschaftet, so ist es in der Regel gerathener, sich auf die
Antiphlogose zu beschränken, so lange die entzündlichen Erscheinungen
und besonders die nervösen Symptome einigermassen stärker hervortreten.
Nur wenn dieses Kurvei'fahren trotz dem zweckmässigsten Verhalten des
Kranken resultatlos bleibt, darf man versuchsweise Aetzungen der Bindehaut
mit schwachen Solutionen wagen. Bisweilen geht unter deren Anwendung
die Entzündung überaus rasch zurück. Nicht selten jedoch steigert sich
dieselbe sehr auffällig und kann selbst für die Functionstüchtigkeit des
Auges sehr gefährlich werden. Mitunter leistet die gelbe Quecksilberoxyd-
salbe (S. 45) in solchen Fällen gute Dienste , namentlich wenn der
herpetische ('harakter der Affection stärker hervorsticht und die ärgsten
Reizsymptome etwas gewichen sind.
Man hat aucli in verzweifelten derartigen Fällen ein querovales Stück der
äusseren Liddecke auszuschneiden gerathen und Ijehauptet mit diesem Verfahren
günstige Erfolge erzielt zu haben. Man glaubt dadurch den Liddruck herabzusetzen
und so günstig auf die Vegetationsverhältnisse der Conjunctiva und Cornea zu
wirken (Graefe). ,
8. Findet man ein oder das andere Lid umgestülpt, so muss sogleich
die Reposition versucht werden. In den ersten Stadien des acut auftreten-
den Trachoms wird dieses öfters genügen. Stülpt sich jedoch, so lange die
entzündliche Geschwulst der Theile eine sehr bedeutende ist, das Lid
wegen der bereits erfolgten Ausdehnung des Knorpels immer wieder um,
so ist es besser, dasselbe, so lange noch strenge Antiphlogose nothwendig
ist, einstweilen in seiner normwidrigen Lage zu belassen. Nimmt dann die
Geschwulst allmälig ab und stellt sich die Erschlaffimg ein, so kann dem
Ectropium leicht entgegengearbeitet werden.
Ist die Umstülpimg keine vollständige; so genügt meisthin die Aetzimg
der Bindehaut und deren die C'ontraction der Theile anregende Wii'kung,
um das Lid allmälig wieder an den Augapfel anschliessen zu machen.
Ist die Umstülpung aber eine vollständige, so müssen die Lider reponirt
und durch einen zwekmässigen Verband (S. 439, 5) in ihrer normalen Lage
Qupllru: Hcrpfs Luiijunctiv.i' ; ivrankheitsbild. 469
erhalten werden. So l;inf;e dieser lieg't, sind Aeizuna,'on mit Höllenstein
weniger zu empt'elilcMi, du durch den Verband die Abstossung der immer-
liin zienilicl) dicken Scliori'c sehr (»rschwert und Reizzustände begünstigt
werden. Ks sind d;ih(>r Aetzungcn mit schwefelsaurem Kupferoxyd so
lange vorzuziehen, bis die Lider in ihrer normahMi Lage ohne Verband
halten, wo dann die Aetzungcni mit Höllenstein aufgenommen werden
können. Weniger entsprechend ist es, mit Höllenstein von vorneherein
zu ätzen und erst nach der jedesmaligen Abstossung des Schorfes den
Verband anzulegen. Ks scheint, als ob bei diesem Verfahi'en das Ectro-
pium lungere Zeit zu seiner Heilung bedürfe. Eine Schlitzung des unteren
Thränenröhrchens behufs der Erleichterung der Thränenleitung ist unter
solchen Umständen in der Regel überflüssig, da das Ectropium fast immer
vollständig getilgt werden kann.
Quellen: Eble, Ueber den Bau und die Krankheiten der Bindehaut. Wien, 1828.
S. 97, 147, 152, 161, 170, 186, 191, 197; Die sog. contag. oder egypt. Augenent-
züiidiing. Stuttgart. 1839. S. 1, 80, 103, 135, 192, 246. — Piringer, Die Blennorrhoe
aai Menschenauge. Graz. 1841. >S. 35, 46, 57, 66, 109, 152, 164,' 173, 212, 230, 238,
258, 272, 278, 288, 299, 306, 400, 410, 418, 421,423. - Ämmon, Zeitsclirift f. Ophth.
in. S. 235. — Cunier, Ann. d'oc. XX. S. 152. — Guh, Die sog. egypt. Augenent-
zündniig. Wien. 1850. S. 18, 41, 46, 69, 74, 78, 79, 85, 90, 92, 101, "l0.3, 119, 131.
— Artt, Die Krankheiten des Auges. I Prag. 1851. S. 18, 23, 39, 47, 63, 69, 76,
83, 106, 118, 132, 134, 137, 139. — Stellwag, Zeitschrift d. Wien. Aerzte. 1851. IL
S. 903, 911, 915, 917; Ophth. II. S. 801—846. — Mackenzie, Traite prat. d. mal.
d. yeux. traduit p. Warlomont et Testelin. I. Paris. 1856, S. 664, 687, 691,
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— Warlomont, kl. Monatbl. 1863. S. 491. — Seitz, Handbuch d. ges. Augeuheilkd.
I. Erlangen. 1855. S. 43, 46, 50, 59. — Congres d'ophth. de Bruxelles. Compte
rendu. Paris. 1858. S. 193 — 354. — Congres intern, d'ophth. de Paris. Compte
rendu. Paris. 1863. S. 48, 81, 11.5, 127, 226. — Quadri, De la grannlation palp.
Naples. 1863. S. 12, 16, 23, 26. — Graefe, A. f. O. VI. 2. S. 123, 125, 127, 131,
133, 146, 149; X. 2. S. 191, 197, 199, 204. — Secondi, Clinica di Genova.
Riassunto. Torino. 1865. S. 5. — Bader, Ophth. Hosp. Rep. IV. 1. — Snellen, kl.
MonatbL 1866. S. 170. — Schwalbe, ibid. S. 276. — Blumberg, A. f. 0. XV. 1. S.
156, 158. — Mannhardt, ibid. XIV. 3. S. 31, 34. — Stavenhagen, kL Beob. S. 45.
48. — Arcoleo, Conferenze cdin. S. 5. — Cgr, Centralbl. 1866. S. 542.
7. .Der Herpes Conjunctivae.
Krankheitsbild. Charakteristisch sind umschriebene rundliche mohn- bis
hanfkurngrosse Entzündungsherde, tvelche sich unter den Erscheinungen einer
mehr minder lebhaften Ciliarreizuvg und Bindehauthyperämie im Gefüge der
Conjunctiva entwickeln.
Die Grundform dieser Entzündungsherde ist ein rundliches Exsudat-
knötchen. Auf der Höhe des Knötchens kömmt es in der Regel sehr
rasch zur Ausschwitzung einer serumähnlichen Flüssigkeit, welche das
Epithel emporhebt und So ein wasserhelles Bläschen zu Stande bringt,
das seinerseits wieder durch Veränderungen seines Inhaltes sich in ein
sogenanntes Lymphbläschen oder Eiterbläschen umwandelt; meistens aber
sehr frühzeitig berstet ;ind dann eine rundliche, scharf begrenzte, von
Epithelfetzen umsäumte Excoriation darstellt, welche sich rasch mit einem
trüben graulichen oder speckigen Belege überdeckt und verheilt; oder
sich in ein oberflächliches rundliches, scharf umschriebenes Geschwürchen
470 Herpes conjunctivae; Krankheitstild ; Ursachen,
verwandelt , das entweder verheilt , oder unter allmäliger Schmelzung
des seine Grundlage bildenden Knotens in ein tiefgreifendes Geschwür
übergeht.
Am gewöhnlichsten sitzen diese Efflorescenzen am Limbus conjunctivalis
und finden sich daselbst sowohl einzeln, als in grösserer Anzahl zerstreut,
oder dicht neben einander gedrängt, Theile der Hornhautperipherie oder
wohl auch den gesummten Cornealrand savimähnlich umkränzend. Häufig
ist ihr Standort jedoch auch die vordere Zone der Augapfelbindehaut,
besonders deren Li d sp alten th eil, wo sie ebenfalls bald einzeln, bald in
unregelmässigen Gruppen gehäuft gefunden werden. Nur ausnahmsweise
kommen sie im Uebergangstheile, au der Tarsalbindehaut und der Lidrand-
fläche vor. Dafür ist es etwas ganz Gewöhnliches, derartige Efflorescenzen
gleichzeitig auf der Hornhaut und Bindehaut anzutreffen. In der Regel
erscheinen sie in verschiedenen Stadien der Entwickelung , da sie auch
meistens verschiedenen Alters sind; verheilende und frische Efflorescenzen,
Knoten, Bläschen und Geschwüre etc. stehen sehr oft neben einander.
Der Herpes Conjunctivae entwickelt sich immer auf vorläufig hyper-
ämirtem Boden. Wo sich der Process auf die Entwickelung einer einzelnen
Efflorescenz oder Bläschengruppe beschränkt, erscheint sehr häufig auch
die Hyperämie scharf umgrenzt, die Efflorescenzen stehen an der Spitze
eines aus injicirten Bindehaut- und Episclei-algefässen gebildeten Bündels
oder Fächers, dessen Längsaxe immer eine genau meridionale Richtung ein-
hält und dessen breiteres Ende gegen die Uebergangsfalte gerichtet ist.
Häufiger indessen, und bei Gegebensein einer Mehrzahl zerstreuter oder
gruppig gehäufter Efflorescenzen gewöhnlich, sind die Bindehaut und das
Episcleralgewebe ihrer ganzen Ausdehnung nach dicht eingespritzt, erstere
oft sogar völlig gleichmässig geröthet. Die hyperämirten Theile der Con-
junctiva lassen meistens einige seröse Infiltration erkennen , mitunter
erscheinen sie auch in auflalligem Grade angeschwollen. Die Secretion ist,
so lange die Nervenreizung stäi'ker hervortritt, eine wässerige, später mischen
sich oft katarrhalische Producte den vermehrten Thränen bei.
Von subjectiven Erscheiuuiigen ist besonders der brennende oder stechende
Schmers zu erwähnen. Er geht der Hypei'ämie und der Eruption der
Efflorescenzen voraus und bildet überhaupt das erste auffällige Symptom
des Processes. Nach erfolgtem Ausbruche der charakteristischen Herde
verschwindet er meistens ganz oder geht in das auch dem Katarrhe eigene
Gefühl von Drücken, Jucken, Beissen u. s. w. über; es wäre denn, dass
sich noch loeitere Efflorescenzen vorbereiten, wo er andauert. Heftig wird
er beim Herpes conjunctivae nur selten. Wo heftige Schmerzen, besonders
in Combination mit starker Lichtscheu, gegeben sind, hat man guten
Grund, auf die Entwickelung eines Cornealherpes zu schliessen.
Die Ursachen sind dieselben, welche den Herpes corneae nach sich
zu ziehen pflegen (S. ()!)). Gleich diesem entwickelt sich der Bindehaut-
herpes bald primär, bald erscheint er im Gefolge des Katarrhs, der Blennorrhoe,
des Trachoms etc., besonders wenn diese zu reizend behandelt werden,
oder wenn das Auge der Einwirkung anderer reizender Schädlichkeiten
ausgesetzt bleibt.
Insbesondere hervorzuheben ist, dass bei Entwickelung eines Herpes
zoster im Verzweigungsgebiete des Nervus nasociliaris ganz gewöhnlich
Verlauf; Ausgänge; raninis herpeticus. 471
einzelne oder p;nippig ji,'eliäufte Efflorescenzon auch auf der Bindehaut
imd der Cornea aufsclii essen. Die Conjunctiva erscheint dann meistens stark
geröthet und ödomatös geseliwollt.
Verlauf und Ausgänge. Der herpelisclic Proccss vorläuft im All-
gemeinen typisch und hat in der Hegel innerhalb 8 Tagen seinen Cyclus
durchschritten, l'lin solcher Verlauf gehört namentlich in jenen Fällen
zur Hegel, in welchen hei Abhandensein einer sehr ausgesprochenen
Disposition eine zufällig und vorübergehend einwirkende reizende Schäd-
lichkeit das ätiologische Moment abgegeben hat. Ein brennender oder
stechender Schmerz im Auge eröifnet den Reigen. Innerhalb einiger Stunden
entwickelt sich die charakteristische Gefässeinspritzung und am 2. oder 3.
Tage lassen sich bereits die eigenthümlichen EfÜorescenzen unterscheiden,
welche rasch die oben geschilderten Metamorphosen durchmachen und
innerhalb des angegebenen Zeitraumes auch meistens zur Heilung ge-
langen. Mittlerweile geht gewöhnlich die Schwellung und auch wohl die
Hyperämie etwas zurück , dafür machen sich aber die Symptome der
Erschlaffung geltend und sehr häufig stellt sich eine stärkere katarrhalische
Absonderung ein, der Process schreitet gleichsam durch den Katarrh seiner
Heilung zu.
Das Typische des Verlaufes wird wie beim Cornealherpes nicht selten
dadurch verwischt, dass frische Ausbrüche sich fort und fort wiederholen.
Auch geschieht es nicht selten, dass der excoriirte Grund eines ehemaligen
Bläschens nachträglich in weiterem Umkreise infiltrirt wird und durch
Schmelzung des entzündlichen Productes in ein oberflächliches oder auch
tiefgreifendes Geschwür übei"geht, das sich mehr und mehr ausdehnen und,
wenn der Limbus conjunctivalis sein Standort ist, auf die Cornea fortsetzen
und hier sehr missliehe Folgen setzen kann.
Ein ganz eigenthümlicher Folgezustand ist der Pannus herpeticus^
welcher auch unter dem Namen Ophthalmia subconjunctivalis , varicosa,
Tuberculosis conjunctivae, Sderitis u. s. vv. beschrieben wird. Er setzt eine
durch lange Zeit fortdauernde Eruption herpetischer Efflorescenzen an einer
oder der anderen Stelle der vorderen Angapfeloberfläche voraus und kommt
daher fast ausschliesshch bei Individuen vor, welche in ganz ausgezeichneter
Weise zu herpetischen Efflorescenzen geneigt sind, oder sich schädlichen
Einflüssen , welche fort und fort auf ihre Augen wirken , nicht zu ent-
ziehen vermögen.
Dem Wesen nach ist der Pannus herpeticus eine Gruppe dicht zusammen-
gedrängter herpetischer Efflorescenzen des verschiedensten Alters, welche in hyper-
trophischem und gefässreichem Gefüge gleichwie in einem gemeinschaftlichen
Pericarpium gelagert sind. Die betreffende Stelle der Bindehaut erseheint in
Folge der Gewebswucherung und der bedeutenden Hyperämie ansehnlich
geschioellt, öfters eine Linie hoch über das Niveau der übrigen Conjunctiva
erhaben und bildet einen stark und meistens gleichmässig gerötheten nieren-
förmigen Willst, dessen Hilus die Cornea in einem grösseren oder kleineren
Bogen umgreift, während sein convexer, unregelmässig zackiger Rand nach
hinten sieht und sich in mehrere Bündel dicker, stark ausgedehnter Gefässe
auflöst, welche in meridionaler Richtung der Uebergangsfalte zuschreiten,
wo sie sich in die Tiefe der Orbita einsenken. In diesem Wulste nun
findet sich, dicht gedrängt und allenfalls mit secundären .Geschwüren sowie
472 Herpes r'onjniidivae ; Behandlung,
mit narhüjen EinzieJmnfjen gemischt , eine grosse Anzahl von herpetischen
Knoten eingelagert, welche znm Theilc frisch, znm Theile in eiterigem Zer-
falle begi'ifFen, zum Theile verkalkt, oder zu sehnigem Gefüge verödet sind
und sowohl in der eigentlichen BindehmU, als in dem Episderalgewehe und
wohl selbst auch in den oberflächlichen Schichten der Sclerotica haften.
Aehnliche Knoten stehen auch auf und in der angrenzenden Portion der
Hornhaut, unter einander durch eine panwöse oder narbige Trübung ver-
bunden, welche am Cornealrande mit unmerklicher Grenze in den Hilus
jenes Bindehautwulstes übergeht.
In dieser Form besteht der Pannus herpeticus oft Jahre lang unverändert
fort. Am Ende jedoch veröden die Knoten, sowie das wuchernde Bindehaui-
und C'ornealgefüge ; ersteres erscheint an der betreffenden Stelle blass derb
trocken und legt sich bei jeder Bewegung des Bulbus in feine Falten ;
letzteres wird sehnig trüb. Die Knoten erscheinen als kleine sandige oder
narbige Einlagerungen.
Die Behandlung hat ähnliche Aufgaben wie beim Cornealherpes zu
erfüllen und fällt, wo dieser in Combination mit dem Bindehautherpes
auftritt, mit der S. 75 angegebenen Therapie völlig zusammen. Ist die
Bindehaut allein der Sitz von Efflorescenzen, so reicht bei minder hochgradiger
Entwickelung der krankhaften Ei-scheinungen eine zweckmässige Augen-
diät meistens vollkommen hin, um den Process rasch zum Abschlüsse zu
bringen. Treten die Reizsymptome stärker hervor, so empfehlen sich neben-
bei Atropineinträufelungen und später , besonders bei öfter recidivirenden
Ausbrüchen, Calomeleinstäubungen oder die gelbe Ciuecksilberoxj^dsalbe.
Bei nachfolgender katarrhalischer Auflockerung des Bindehautgefüges und
reichlicher , schleimig eiteriger Absonderung ist es klug, einige Male
schivache HöUcnsteinlösungen nach der beim Katarrhe üblichen Weise auf die
Bindehaut zu streichen.
Beim Pannus herpeticus pflegen täglich einmal wiederholte Ein-
streichungen der gelben Quecksilberoxydsalbe in den Bindehautsack oder
Bepinselungen der wulstigen Conjunctivalportion mit Opiumtinctur nebst dem
Einhalten einer strengeren Augendiät von günstiger Wirkung zu sein.
Bei reinem Pannus herpeticus empfiehlt sich nebenbei das Tragen eines
Schutzverbandes. Ist der Pannus mit Bindehauttrachom vergesellschaftet,
was häufig der Fall ist, so thut man am besten, sich vorläufig auf
Cauterisationen der Conjunctiva mit Höllensteinlösungen zu beschränken,
da unter deren Gebrauche häufig auch der Pannus weicht.
Folgezustände der Bindehantentziindungen.
1. Das Fliigelfell, Pterygium.
Pathologie und Krankheitsbild. ]\[an unterscheidet ein wahres und
ein falsches Pterygium. Beide diese Formen setzen sich aus einem Corneal-
und einem Bindehauttheile zusammen, welche immer nur Ein Continuum
mit meridional ziehender Längsaxe bilden.
Die Hornhautportion wird gewöhnlich durch eine dichte derbe sehnen-
ähnliche, seltener durch eine locker gewebte gefässreiche bindegewebige Neu-
l''lü;;c11Vll; I'alliolni;i,. ; Kninlilu-ilsliilil , 473
bildung dargestellt, wclclie tjiswcilcii eine <>!inz oberflächliche ist imd der
äussersten CornealsubsUinzschichto uuttagert , in der Regtd aber tiefer in
das Gefüge der Hornhaut hineingreift und eine Substanzlüeke mit unebenem,
hügelig grubigen Grunde ausfüllt. Oft schliessl. diese Neubildung einzelne
libröse oder kalkige herpetische Knoten in sich, ihre Grenzen sind häutig
durch epitheliale Trübungen der umgebenden Hornhautpartie verwischt.
Der Bindehauttheil des Flügelfells ist eigentlich ein hypertrophirtes Stück
der Conjunctiva bulbi und der zugehörigen Submucosa. Er besteht vor-
waltend oder ausschliesslich aus Bündeln schön geschlängellcM- Bindegewebs-
fasern mit überwiegend meridionaler Richtung und ist von einer wechsidn-
den Menge zum Theile neugebildeter Gefässe durchstrickt. Eingewebt in
das lockere Gefüge des Flügelfells finden sich gewöhnlich einzelne Stränge
oder bandartige Streifen von derbem sehnigen Gefüge, welche in der Hegel
aus dem dichteren Cornealtheile kommen und den Bindehauttheil in einer
seiner Axe nahezu parallehm Richtung durchsetzen , um dann spurlos
zu verschwinden, oder mit der Sdera, der Membrana semilunaris etc. Ver-
bindungen einzugehen.
Das Pterygium sitzt den unterliegenden Theilen der Lederhaut und
selbst- der Cornea meistens sehr locker auf und lässt sich oft bis zur Spitze
hin mit der Pincette in Gestalt einer Falte emporheben. Doch ist in der
Richtung seiner Axe immer eine gewisse Spannung zu bemerken, welche
bei mächtigen und namentlich an sehnigen Einlagerungen reichen Flügel-
fellen die Beweglichkeit des Auges beirren und bei Seitendrehungen des-
selben auch wohl Doppeltsehen mit sich bringen kann (Hasner).
Je nach der grösseren oder geringeren Menge neoplastischer Elemente
und blutgefüllter Gefässe wird das Flügelfell als Pterygium tenue oder
crassum beschrieben. Geringere Grade von Verdickung mit sparsamer Gefäss-
entwickelung , welche die Diaphanität des betreffenden Conjunctivaltheiles
nicht auflieben, begreift man unter dem Namen Pterygium tenue oder
membranaceum. Beim Pterygium crassum, von welchem man übrigens noch
zwei Grade, das Pterygium vasculosum und das carnosum oder sarcomatosum
unterscheidet, ist die Massenzunahme des hypertrophirten Bindehauttheiles
und des unterlagernden Episcleralgefüges eine so bedeutende, dass es merk-
lich über die Fläche der nachbarlichen gesunden Conjunctiva hervorragt
und dem betastenden Finger die Consistenz eines leicht gespannten Muskels
darbietet. Ueberdies ist die Gefässentwickelung eine so reichliche, dass
das Flügelfell oft ganz gleichmässig blutroth gefärbt erscheint.
Die äussere Form des Flügelfelles ist im Allgemeinen die eines gleich-
schenkeligen Dreieckes. Die Basis desselben ist stets gegen die Uebergangs-
falte gerichtet^ und verwischt sich entweder noch in dem Gefüge der Con-
junctiva bulbi oder reicht bis in den Uebergangstheil hinein. Der Scheitel
des Flügelfelles ruht gewöhnlich auf dem Rande der Hornhaut, dringt aber
auch oft bis gegen deren Centrum vor, überschreitet letzteres jedoch nur
in sehr seltenen Ausnahmsfallen. Besonders beim wahren Flügelfelle (Fig. 0(1)
ist die dreieckige Form oft deutlich ausgesprochen, indem sein Cornealtheil
in eine wenn auch abgerundete Spiitze ausläuft, gegen welche hin die
Seitenränder der Neubildung ihrer ganzen Länge nach convergiren. Beim
falschen Flügelfelle (Fig. 55) und bei den verschiedenen Uebergangsformen
ist das Dreieck etwas unregelmässiger, zuweilen selbst ziemlich verwischt
474 Flügelfell; Ursaclien.
und nur im Bindehautiheile auffällige!-. Seine Cornealportion wird nämlich
meisthin von einem rundlichen oder zackigen Sehnenflecke gebildet, dessen
Seitenränder sich in jene des Bindehauttheiles verlieren. Mitunter hat
es das Aussehen, als ob der Bindehauttheil aus der Mitte eines solchen
sehnigen HornhautÜeckes entspränge. Es tritt nämlich ein Bündel lockeren
gefasshaltigen Bindehautgefiiges aus dem Centrum des sehnigen Hornhaut-
fleckes hervor, legt sich gleich gegen den Hornhautrand um und ver-
schmilzt mit dem hypertrophirten Bindehauttheile entweder gänzlich oder
blos in seinem mittleren oder Axentheile , während die Ränder sich
umschlagen und so eine der Bindehaut aufliegende Falte bilden , unter
welcher die Sonde mehr weniger tief eindringen kann.
Beim falschen Pterygium kömmt es öfters vor, dass sich einzelne sehnige
Stränge oder Bündel lockeren Bindegewebes auf den TarscdtheU. der Bindehaut,
auf die halhmond förmige Falte, Caruukel oder selbst auf den freien Lidrand fort-
setzen und bei gewissen Bewegungen des Augapfels sich spannen.
Der gewöhnlichste Standort des Pterygium ist der Lidspaltentheil des
inneren Quadranten der Conjunctiva bulbi. Nur sehr ausnahmsweise findet
man an einem Auge zwei, drei oder vier und noch mehr (Mannhardt)
Flügelfelle. Dieselben stehen fast constant in der Verlängerung der geraden
Augenmuskeln, was zusammenzuhängen scheint mit dem Ursprünge vieler
Bindehautgefässe aus Muskelästen.
Ursachen. Das wahre Flügelfell ist in der Regel ein durch Hyper-
trophie und nachträgliehe Schrumpfung des fächerförmigen Entzündungs-
herdes bedingter, ständiger Ausgang des Cornealherpes. Abgesehen von
directen Beobachtungen des 'Ueberganges eines Cornealherpes in ein Ptery-
gium verum spricht hierfür schon die anatomische Form des letzteren
und der Umstand, dass sich in den meisten Fällen an der Spitze des
Cornealtheiles die Reste der eigentlichen herpetischen Efflorescenz nach-
weisen lassen. Entsprechend der Häufigkeit secundärer herpetischer Geschwüre
oder ganzer Gruppen herpetischer Efflorescenzen im Gebiete der Hornhaut
findet man jedoch den Cornealtheil des wahren Flügelfelles öfters auch
sehnenfleckühnlich ausgebreitet oder von einer mit sehnigen und kalkigen
Knötchen durchstreuten epithelialen Trübung umgeben.
Das falsche Pterygium, zu welchem die letztgenannten Formen gleich-
sam den Uebergang- bilden, entwickelt sich aus randständigen Corneal-
geschiüüren, welche von dem Limbus conjunctivalis aus mit Granulationen
überwuchert werden, während die nachbarlichen entzündeten Partien der
Conjunctiva ebenfalls wuchern und hypertrophiren. Indem die den Corneal-
substanzverlust deckenden Granulationen und der hj^Dertrophirte Conjunctival-
theil späterhin schrumpfen, wird die entsprechende Partie der Bindehaut
in der Ptichtung des Meridians gespannt und selbst in Gestalt von Falten
über das normale Niveau emporgezogen (Arlt, Hasner). Es liegt auf der
Hand, dass sowohl herpetische Geschwüre, als Geschwüre jeder beliebigen
anderen Art, falls sie randständig sind und granuliren, die Veranlassung von
Pseudopterygien werden können. Man sieht solche falsche Flügelfelle sogar
aus traumatischen oder chemischen Substanzverlusten der Hornhaut hervor-
gehen, und daher kömmt es auch, dass das falsche Pterygium bisweilen
mit Symblepharon combinirt auftritt oder Formen annimmt, welche die Ent-
scheidung schwer machen, ob man es mit diesem oder jenem Zustande zu
thun habe.
Ursachen ; Ausgänge ; Behandlung. 4 < O
In neuester Zeit wird ein grosses Gewicht gelegt auf die eigenthümliche
Lockerung der Verbindung zwischen Liinl)ns corneae und seiner Unterlage. Man will
darin ein wesentliches disponireiides Moment für die Entwickelung eines Flügelfelles
finden. Bei bejahrten Individuen soll dieser Zustand besonders häufig nachweisbar
sein und damit auch das vorzugsweise Auftreten des Pterygium im höheren Alter
im Znsammenhange stehen. Es soll schon eine einfache Gewebswucherung am
Limbus geniigen, um hinterher eine Heranzitihung der Bindehaut durch Schrumpfung
zu ermöglichen und GenchwUrsbildimg bei weitem nicht su constant, als man früher
voraussetzte, die letzte Ursache des Flügelfelles abgeben (Hasner).
Auf Grundlage directer Versuche an Thiereii wurde unter Annahme einer
mehr unmUtelharen Verbindung zwischen den Aderhaut- und Cornealgefässen auch
die Behauptung ausgesprochen, dass das spontan vorkommende Flügelfell des
Menschenauges sehr wahrscheinlich „auf Vcnenthromhose, Gerinnsel, Obliterationen
oder Verengerung insbesondere einer Hornhaid-, beziehungsweise einer Wirheivene
beruht und sich aus der hierdurch Ijedingten Kreislaufsstörung im Hornhautgebiete
der die Sehnen der geraden Augenmuskeln durchbohrenden Ciliararterien entwickelt"
(Winther). Controlversuche sind indessen nicht zu Gunsten dieser Ansicht ausge-
fallen (Hippel).
Bei Blenno7'rhoen etc., welche mit Chemosis der Bindehaut einhergehen, iind
ausgebreitete Cornealgeschioüre setzen, könnnt es mitunter vor, dass die üherhilngenden
Wülste der Conjunctiva mit dem Boden der Geschwüre verwachsen. Nachdem der
Entzündungsproeess gewichen und die Geschwulst gesunken ist, findet man
sehnenähnliche Brücken, welche aus der Cornealnarbe in die Augapfelbindehaut
hinüberstreichen und ihrem äusseren Ansehen nach ganz mit falschen Pterygien
übereinkommen. Doch kann man unter ihnen mit einer Sonde durchdringen, ihr
Körper liegt der Cornealgrenze nur an, ohne damit zusammenzuhängen.
Das Elügelfell geht indessen keineswegs in entwickeltem Zustande aus
jenen Processen hervor, diese setzen gleichsam nur die Anlage, welche
sich nach Ablauf der Entzündung vorerst blos durch einige Verdickung
und Hyperämie des betreffenden Bindehautsectors bemerklich macht.
Solche unentwickelte Flügelfelle gehen dann oft ivieder zurück, oder aber
es bleiben nur einige ganz kurze sehnige Fäden übrig, welche aus dem
Cornealtheile divergirend in die Randzone der Bindehaut ausstrahlen.
Nur ausnahmsweise kommt das Pl-erygium zur völligen Entwickelung und
nimmt hierzu gewöhnlich mehrere Monate oder Jahre in Anspruch.
In Fällen, in welchen durch fortwährend oder doch sehr häufig auf
das Auge wirkende äussere Schädlichkeiten Keizzustände oft veranlasst oder
gar continuirlich unterhalten werden, kömmt es am leichtesten zu Stande.
Daher ti'ifft man es auch in auffallend höherem procentarischen Verhält-
nisse bei Individuen, welche sich viel in einer mit Staubtheilen gemischten
Atmosphäre aufhalten, oder welche ammoniakalischen und anderen scharfen
Dämpfen ausgesetzt sind, bei Steinmetzen, Maurern, Kanalräumern etc.
In Egypten, Indien, Madeira, Spanien und Italien soll es häufiger, als in
den nördlichen Ländern Europa's sein.
Ausgänge. Das Flügelfell, einmal entwickelt und zu einem gewissen
Grade ausgebildet, ist ständig und eine Zurückbildung desselben gehört
gewiss zu den grössten Seltenheiten. Theilweise kann es verfettigen. Ein
Uebergaug in Afterbildungen ist gewiss nur zufällig und nicht in der ana-
tomischen Wesenheit des Pterygiums begründet.
Die Behandlung hat vorerst die Entwickebing des Flügelfelles zu ver-
hindern. Zweckmässige Behandlung des Grundprocesses, der Gewebswucherung,
ist sohin die erste und hauptsächlichste Aufgabe. So lange die Gewebs-
wucherung unter den Erscheinungen einer heftigen Reizung einhergeht, ist
antiphlogistisches Verfahren angezeigt , späterhin empfiehlt sich mehr die
476
Fltigelfell: Behandlung: Abhindung: Aii,sschneidnug.
Fig. 55.
Anwendung adstrivgir ender Mittel. Am meisten leistet in letzterer Beziehung
die Bepinselung der wuchernden Bindehautstellen mit Opiumtinctur , vor-
nehmlich, wenn diese letzteren sehr aufgelockert, von schwammigem
Aussehen sind, oder wenn es gilt, üppig wuchernde Fleischwärzchen auf
einer geschwürigen Substanzlücke der
Cornea und Bindehaut zu tilgen und so
die künftige Gewehsschrumpfung zu be-
schränken.
Bei ausgebildeten Pterygien, deren
Gefüge sich bereits zu reifem Binde-
gewebe entwickelt hat, oder gar schon
theilweise zu derben dichten oder
sehnenähnlichen Massen geschrumpft ist,
haben diese Mittel keinen Erfolg mehr,
es wäre denn , dass der Cornealtheil
des Piügelfelles von einer epithelialen
Trübung umgrenzt ist, denn diese wird
unter deren Anwendung bisweilen merk-
lich aufgehellt und zugleich auch in
ihrem Umfange verkleinert, was in Bezug
auf die Functionstiichtigkeit des Auges oft
von grosser Wichtigkeit ist. Die Ent-
fernung solcher Pterygien ist nur
Die vorzüglichsten Operationsmethoden
durch
sind :
die Operation zu erzielen.
a. Die Ahhindiing (Szokalski). Zu diesem Belnife wird jedes der beiden Enden
eines doppelten seidenen Fadens in eine zarte krumme Het'tnadel eingefädelt; so-
dann bei weit geöffneter Lidspalte das Pterygium mittelst einer Pincette stark von
der Sclera abgezogen und hierauf die eine Nadel an der Basis des Flügelfells, die
andere an der Hornhautorenze so eing-estochen , dass sie am oberen Kande des
Pterygiums eindringt, hart an der Scleraloberfläche vorbeistreicht und am unteren
Rande des Flügelfelles wieder hervorkommt (Fig. 55). Der doppelte Faden bildet
jetzt nach oben eine Schlinge. Durch Abschneiden der beiden Nadeln zerfällt
der Faden in drei Theile, in einen inneren, mittleren und äusseren. Es werden
nun die beiden Enden des inneren Fadens zusammengeknüpft, hierauf jene des
äusseren, und endlich die beiden nach abw-ärts laufenden Enden des mittleren
zusammengeschnürt und gebunden. Die Enden der Fäden werden entweder ab-
geschnitten , oder mittelst Heftpflastern an der Wangenhaut befestigt. Nach vier
Tagen wird das durch die Fäden abgeschnürte Pterygium mit der Pincette gefasst
und entfernt. Die Vernarbungr erfolgt in kurzer Zeit.
h. Die Ausschneidung (Arlt). Während ein Gehilfe die Lidspalte möglichst
weit öffnet und die Augendeckel fixirt, fasst der Operateur mittelst einer verläss-
lichen Pincette das Pterygium in der Gegend der Scleralgrenze, zieht es vom
Bulbus ab und trennt den Cornealtheil von der Spitze her mit einer nach der
Fläche gekrümmten feinen Schere los (Fig. 56); oder, was vorzuziehen ist, er
stösst ein spitzes Bistouri oder ein Staarmesser flach an der Sclera, zwischen dieser
und dem Halse des Flügelfells, mit nach der Cornea gerichteter Schneide durch
imd schneidet unter leichten Messerzügen das über das Niveau der Hornhaut her-
vorragende Stück des Cornealtheiles möglichst genau von seiner Unterlage los.
Hierauf fasst er diesen losgelösten Theil des Pterygiums, zieht ihn ab und
präparirt mit einer feinen nach der Fläche gekrümmten Schere den Bindehauttheil
des Flügelfells gegen die Uebergangsfalte hin auf 1 — 2 Linien Entfernung vom
Hornhautrande ab , indem er genau den Rändern des Pterygiums folgt und sich
hart an die Scleraloberfläche hält. Die beiden Wundwinkel werden dann durch
zwei convergirende Schnitte vereinigt, welche sich noch vor der Grenze des Ueber-
AnssclinoiiUing' : Proffimsi' : 'l'i-iui.s|pUui1iitiuii.
477
gangstlieiles treften, und das so uinscliiicbeiK! Flügelt'ell ansgescIiHlt. Dif Wnud-
fläclie erscheint nun naliezu rlimnhoidaJ. Es ist. nicht nöthii;' und (dier scliädlich,
die Wunde bis in den Ueher-
ga7i(/.stheil auszudehnen, Fig. St;.
doch soll man in thunlich-
ster Weise aUe.f Itypertro-
phische Gefüge entfernen.
Bei grossen und breiten
Pterygien wird dann natür-
lich auch die Wundfiäche
sehr gross und es ist in
solchen Fällen uothwendig,
die klaffenden Wundränder
durch einige höchst feine
Knopfnätlie zu vereinigen,
nachdem mau die l)etreffen-
den Portionen der Conjunc-
tiva bulbi in genügend gros-
sem Umfange von ihrer Un-
terlage lospräparirt hat, um
die Zuziehung der Wund-
ränder ohne übermässige
Zerrung zu ermöglichen.
Es bedarf übrigens
nicht der völligen Ahtragung
eines rhomboidalen Theiles
oder des gesammten Flügelfelles. Es genügt^ das bis zur Basis lospräparirte Neu-
gebilde einfach surückzK schlagen und die so entstaiulene dreieckige Wunde durch
eine Knopfnath zu schliessen. Das zurückgeschlagene Pterygium schrumpft rasch
und wird binnen kurzem ganz unmerkbar (Pagenstecher).
Eiue grüiidliche Heilung des Pterygiums wird durcli diese beiden Operations-
methoden leider nur selten erzielt. Gelingt auch die Vereinigung der Wundränder
per primam intentionem , so verdichtet sich doch die neoplastische Verlöthungs-
masse gar nicht selten zu einem sehr derben sehnigen Strange, der sich später mehr
und mehr zusammenzieht. In anderen Fällen kömmt es zur Eiterung, oder doch
zur Entwickelung von Granulationen, welche allmälig in festes fibröses Narbeuge-
webe übergehen. Die weitere Schrumpfung dieser Neugebilde ist dann häufig die
Quelle von Bewegungshindernissen des Bulbus, die Narbe wird Ijei gewissen Stellungen
des Auges gespannt, zerrt die naclibarliche Bindehaut und luiterhält so Reizungs-
zustände , welche mittelbar wieder zur Hypertrophie , zur Ausl)ildung eines neuen
Pterygiums führen. Vielleicht kann man diese Uebelstände einigermassen ab-
schwächen durch die
c) T'ransplantation des FÜlgelfells. Es wird zu diesem Behiife das Pterygium
mit einer breiten Hakenpincette am Rande der Hornhaut gefasst, so viel als mög-
lich emporgelioben und mit einem Staarmesser von der Hornhaut reinlich bis zu
seiner Basis a/)gell>st. Dann wird die Bindehaut mit einer krummen Schere nach
beiden Uebergangstheilen hin in Bogenlinien eingeschnitten, welche der oberen
und unteren Begrenzung des Pterygiums entsi)rechen. Nun wird die sehnige Spitze
des abgelösten Flügelfells uhgetrennt und der Körper des Pterygiums durch einen
in seiner Axe verlaufenden Schnitt hcdtrirt. Ist dies geschehen, so werden zwei
kleine viereckige Bindehautlappen gebildet , ein oberer und ein unterer , um die
wunde Stelle zu decken. Durch die Schrumpfung dieser abgelösten Bindehaut-
lappen verbreitern sieh die beiden verticalen Schnitte an der Basis des Felles. In
die beiden dadurch entstehenden dreieckigen wunden Räume werden dann die
Hälften des Flügelfelles festgenäht, wozu für jede gewöhnlich ein Natliknopf an der
Spitze genügt. Darauf wird ein Heft durch die an der Cornea liegenden Winkel
der abgelösten Bindehautla])pen gelegt und ein zweites durch die beiden am
Pterygium lieixenden Winkel. Dieses letztere Heft wird zugleich auch mit der
Mitte des gespaltenen Pterygiums verbunden, wodurch die Vereinigungslinie beider
Bindehautlappen etwas angespannt und das schläfenwärts liegende Ende derselben
von der Hornhaut abgezogen wird (Knapp).
478 riügelfell; Behandlung; Quellen.
Nach der Operation ist Einschränkuvg der Augenheivegungen durch einen
hinocularen Schutzverband sehr zu empfehlen, damit die Knöpfe nicht reiben und
die VerhJtliung der Wundränder durch Zerrung und Verschiebung der lospräparir-
ten Conjunctivaltheile nicht gestört werde. Es ist dieser Verband je nach Bedarf
2 — 3 Tage zu tragen, wo dann zur Lösung der Nath geschritten werden muss.
Mittlerweile ist ein entsprechendes antiphlogisysches Verhalten anzuordnen. Sollten
sich späterhin unter Eiterabsonderung Granulationen bilden, so sind Bepinselungen
mit Opiumtinctur, allenfalls nach vorläufiger Abschneidung stark hervorragender
Fleischwärzchen, das beste Mittel.
Ein grosser Uebelstand liegt häufig in den auf das Pupillargebiet
übergreifenden dichten Hornhauttrübungen, deren Aufhellung kaum auzuhoffen
ist. Selbst wenn die Hornhautpartie des Flügelfelles eine ganz oberflächliche
Lage hatte und völlig entfernt wurde, bleibt gewöhnlich eine epitheliale
Trübung von demselben Umfange zurück. Lagert aber der Cornealtheil
des Pterygiums in einer Substanzlücke der Hornhaut, so ist an eine Wieder-
herstellung der Normalität um so weniger zu denken ; die Substanzlücke
wird in der Kegel wieder durch trübes neoplastisches Gefüge ausgefüllt.
In einzelnen Fällen kömmt es wohl gar zu Verschwärungen der Hornhaut
in grösserem Umfange.
In Anbetracht alles dessen ist es kaum möglich, sich für die Ptery-
giumoperation zu erwärmen. Bei kleinen Flügelfellen, wo sie am ersten
Erspriessliches leistet, sind die Anzeigen vorwiegend cosmetischer Natur und
diese fallen bei den allermeisten der Behafteten nicht schwer ins Gewicht.
Bei grossen Pterygien aber ist ihre Leistungsföhigkeit überhaupt eine geringe
und die Gefahr eine wesentlich erhöhte. Man thut hier daher wohl, den
Eingritf zu meiden und, falls der Hornhauttheil durch Verlegung der
Pupille das Sehvermögen wesentlich beiri't, sich mit einer künstlichen
Pupille zu behelfen.
Quellen: Arlt, Die Krankheiten des Auges. I. Prag. 1851. S. 158, 160, 163. —
Hasner, Entwurf einer anat. Begründung der Augenkrankheiten. Prag. 1847. S. 73;
Klinische Vorträge etc. Prag. 1860. S. 184, 187, 189. — Rxiete, Lehrb. der Ophth.
II. Braunschweig. 1854. S. 167, 191. — Stelhoag, Ophth. II. S. 854, 990, 991. —
Szokalski, Arch. f. phys. Heilkunde. 1845. Nro. 2. — Arnold, Die Bindehaut der
Hornhaxit. Heidelberg. 1860. S. 42. — Pagenstecher u, Säinisch, kl. Beobachtungen.
I. Wiesbaden, 1860. S. 15. — Winiher, Experimentalstudien über die Path. des
Flügelfelles. Erlangen. S. 14, 28, 32, 40, 49, 50. — Bipjjel, Berlin, kl. Wochen-
schrift. 1868. Nro. 17. — Niemetschek, Prag. Vierteljahrschrift. 101. Bd. S. 81. —
Mannhardt, A. f. O. XIV. 3. S. 26, 29. — Mooren, Ophth. Beiträge.. S. 73. —
Knapp, A. f. O, XIV. 1. S. 267.
2. Die Dürrsucht, Xerosis conjunctivae.
Pathologie und Krankheitsbild. Man unterscheidet zwei Grade
derselben, den Xerophthalmus glaber und squamosus.
Der erstere ist gleichbedeutend mit partieller Vernarbung der Bindehaut.
Er charakterisirt sich durch ausgebreitete sehnigweisse seidenglänzende
Narben, welche die Conjunctiva tarsi und den Uebergangstheil durchsetzen
und vermöge ihrer Schrumpfung auch wesentlich verkürzen. Die Augapfel-
bindehaut erscheint dabei in der Regel auffällig trocken, steif und derb,
so dass sie bei jeder Bewegung des Bulbus sich in eine Menge feiner, dem
Hornhautrande concentrischer Falten legt. Ihre Oberfläche, sowie jene der
immer getrübten und oft auch pannösen Cornea, hat in Folge der Trocken-
Xerosis; rathologie ; Kiaiiklioitsljild: Ursachen. 479
heit des Epithels einen s^aux eig-entliünilichen matten strohähnliehen Glanz.
Die Absonderimg der Bindehmit ist dabei sehr verringert, was sicli niolit
nur objectiv, sondern noeli mehr subjectiv dui'cli ein äusserst lästiges,
besonders zeitweise hervortretendes Gefühl von Trockenheit im Auge, ver-
bunden mit namhafter Behinderung der Lidbewegungen, beurkundet.
Der anatomische Grundcharakter des Xeroplithalmus squamosus ist
völliger Untergang der Conjunctiva sammt Adnexis in einem sehnigen Narben-
gefüge, welches natürlich der secretorischen Fähigkeiten völlig entbehrt,
zugleich aber auch durch seine geringe Flächenausdehnung und durch
Derbheit die Bewegungen des Bulbus und der Lider wesentlich hemmt, also
auch die Abstossung und Ausschwemmung der Epithelzellen hindert und
damit deren Austrocknung und Ansammlung in dem verengten Conjunctival-
sacke begünstiget. Man findet daher bei Eröffnung der Lidspalte den ganzen
sehr zusammengeschrumpften Conjunctivalsack sammt der Cornea überkleidet
von einem aus trockenen Epithelplatten, Fett, grumöser organischer Masse,
Schleim und bisweilen auch aus Kalkkörnern bestehenden Stratum einer
pulverig fettigen, grauweissen oder gelblichen, fettigglänzenden, schilferigen
und bisweilen feinkörnigen Masse. Die Cornealoberfläche ist pannös getrübt,
oder von einer sehnenähnlichen Neubildung bedeckt ; die Bindehautsubstanz
ganz sehnig entartet, dicht, derb ; die Carunkel meisthin verschwunden oder
nur rudimentär vorhanden; die halbmondförmige Falte verstrichen. Die
Pseudoconjunctiva zieht daher direct, in Einer Flucht, von der Scleralober-
fläche zu den Lidwinkeln. Li der Breite der Lider senkt sie sich nur auf
eine geringe Tiefe ein und springt immer von der Sclera sogleich auf die
Oberfläche des Tarsus über.
Bisweilen ist die Bindehaut so verkürzt, dass das sie vicariirende sehnige
Gefüge fast unmittelbar vom Rande der Hornhaut zu der inneren Lefze der Lid-
ränder übergeht und die Bewegungen der Lider sohin völlig aufgehoben erscheinen,
die Lidspalte also halb offen steht. Der Lidknorpel ist in den frühereu Stadien
meistens verdickt, später aber gewöhnlich stark geschrumpft, mannigfaltig verbogen
und die Lider daher en- oder ectropionirt. Die Meibom'schen Drüsen und die Wimpern-
b'dlge zeigen sich der Regel nach verkümmert oder ganz imtergegangen (Wedl).
Die Thränenpimkto sind häufig verstrichen, der Thränensack atrophirt, die Thränen-
driise in vielen Fällen, aber nicht immer (HasnerJ , im Schwunde begriffen. Ver-
möge dem Untergange der secretorischen Gebilde und der Ausführungsgänge der
Drüse ist das Weinen unmöglich geworden und selbst starke Reizmittel, auf die
Oberfläche des Auges gebracht, rufen nur eine schwache Reaction hervor, welche
sich durch Injection der Gefässe und durch unangenehme Gefühle von Drücken,
Brennen etc. zu erkennen gibt.
Ursachen. Die nächste Ursache des Xerophfhalmus ist meistens die
degenerative Form der Syndesmitis (S. 413), ein hochgradiges c?(^ttses oder
sulziges Trachom, letztere beide besonders dann, wenn sie vernachlässigt
oder durch zu starke Caustica misshandelt wurden. Nicht minder zählt
die Xerosis zu den Nachkraukheiten der Diphtheritis conjunctivae und ist
hier vornehmlich bei brandigen Abstossungen zu fürchten (Graefe). Mit-
unter entwickelt sie sich auch in Folge eines lange Zeit auf die Bindehaut
wirkenden äusseren Reizes, z. B. bei Trichiasis, Entropium, Lagophthalmus ;
oder in Folge einer Verwachsung der beiden Bindehautblätter während dem
Verlaufe von Entzündungen, nach Anätzungen oder Verbrennungen, oder
nach dem seltenen Pemphigus conjunctivae (S. -il-i).
Eine besondere Erwähnung verdienen die avf den Lidspaltentheil beschränkten
Vertrocknungen , welche mit der Neitroparalysis (S. 11) im Zusammenhange stehen
480 Xerosis partialis: Lider.
und ihren nächsten Grund in der verminderten Thräneuabsonderung und in dem
mangelhaften Lidschhisse finden. Hierher gehört wahrscheinlich auch die an
Lagophthalmus und an venöse Hyperämie geliundene Vertrocknung des Lidspalten-
theiles bei der Cholera (Graefe), so wie vielleicht die Xerosis partialis oder trian-
gularis, welche man bei tief herabgekommenen, marastischen, anämischen, besonders
aber bei scorbutischen Individuen wiederholt beobachtet hat und welche mit
Hemeralopie gepaart während der letzten Wochen der vierzigtägigen Fasten in
Russland häufig vorkommen soll (Bitot, Blessig). Der Lidspaltentheil der Binde-
liaut wird bei dieser Krankheit trocken, fettig, glanzlos, wie staubig, nimmt kein
Wasser an und legt sich bei Bewegungen des Bulbus in feine Falten. Seine Ober-
fläche ist inselweise oder seiner ganzen Ausdehnung nach von vertrockneten Epithe-
lialzellen bedeckt, welche zum Theile schon in Zerfall begriffen sind (H. Cohn).
Meistens ist dabei eine stärkere Reizung nachzuweisen. Nach längerer Zeit wird
das xerotische Epithel algestossen und durch normales ersetzt, oder es entstehen
Geschwüre. Oft greift die Xerosis auch auf die Hornhaut über iind führt hier zu
Verschwärungen mit allen ihren Folgen, bisweilen sogar zur Necrosis (Blessig).
Die unter ähnlichen Verhältnissen, nämlich Ijei schlecht gehaltenen Sklaven vor-
kommende Ophthalmia hrasiliana (Gama Loho) soll die eigenthümliche xerotische
Krankheitsform in ihren höchsten Graden zum Ausdrucke bi'ingen. — Im Uebrigen
will man die trianguläre Xerosis auch bei ganz gesunden, wohl genährten Individuen,
vornehmlich aber als einen Ausgangszustand nach Ophthalmien, welche zur
Schrumpfung der Bindehaut führen, beoljachtet haben (H. Cohn). Es liegt auf der
Hand, dass diese Fälle von den oben erwähnten strenge zu scheiden sind, um so
mehr, als letztere mit dem Grundleiden in der Regel zur Heilung gelangen,
während die Xerosis als Folge degenerativer Zustände der Conjunctiva ständig iind
unheilbar ist.
Behandlung. Bei Xerophthalmus squamosus hat man, um das ver-
trocknete Epithel aufzuweichen und auszuschwemmen, sowie um die Cornea
vorübergehend durchsichtiger zu machen und die Thränen einigermassen
zu ersetzen, öftere Einträufelungen von Kochsalzlösungen, von Solutionen
caustischer oder kohlensaurer Alkalien, von verdünnter Essigsäure, von
Milch u. s. w. empfolilen. Am besten scheint die öftere Einplnselung von
Glycerin zu entspreclien, iiidem es sich längere Zeit in dem Bindehaut-
sacke hält, denselben sehr schlüpfrig macht und die Trübungen der Cornea
merklich aufhellt.
Quellen: Arlt, Die Kranhheiten des Auges. I. Prag 1851. S. 126. — Hasner,
Entwurf einer anat. Begründung etc. Prag. 1847. S. 78; Beiträge zur Anat. und
Phys. des Thränenleitungsapp. Prag. 1850. S. 101. — Rnete, Lehrb. der Ophth. II.
Braunschweig. 1854. S. 172. — W. Ch. H. Weher, Ueber die Xerosis conj. Giessen.
1849. S. 3, 11, 14, 23, 28, 34. — Wedl, Atlas, Conj. Sclera. — Stelhvag, Ophth.
II. S. 865, 992. — Piringer, Die Blennorrh. am Menschenauge. Graz. 1841. S. 224,
423. — Graefe, A. f. O. I. 1. S. 249; XII. 2. S. 202. — Bitot, Blessig, Centralbl.
1867. S. 424. — H. Colin, Ueber Xerosis conjunctivae. Diss. Bresslau. 1868.
S. 32. — Gama Loho, Uliersperger, kl. Monatbl. 1866. S. 65.
NEUNTER ABS( HNITT.
Die Entzündung der Lider, Blepharitis.
Anatomie. Die beiden Lider, Augendeckel, Palpebrae, schliessen die
Eino;an"süti'uuuü; der Augenhöhle und lagern der vorderen Convexität des
Caiillu; Li(lkMiii|ic| : Aiip;riiliilliiiidi'.
481
Bulbus unmiilolbar an, indem .sie duroli ^fuskolwirkung und durcli den
Druck der Atmospliäre an dieselbe angejjvessi werden. Sie grenzen sich
mit einem freien Rande gegen di(^ Lidspalte ab , welche letztere einen
äusseren spitzen und einen inneren abgerundeten Winkel (Cantlms) bildet.
Am Lidrande ixnt erscheidet man ausser der bei \"' bi'eiten Handfläche
(Fig. 57 a, nach Donders) eine äussere und eine innere Lefze. Die äussere
Lefze b ist stark abgerun-v
det und wird von den Fig. r>i.
Wimpern oder Cilien in ver-
schiedener Höhe durchbohrt.
Die innere Lefze c liingegen
stellt eine fast rechtwin-
kelige Kante dar, an wel-
cher dicht an einander
gereihet die Tarsaldrüsen
und, nahe dem inneren Lid-
winkel, die Thränenröhrclien '*
münden.
Bei der Zicsammen-
setzung der Lider concur-
riren eine Eeilie von Ge-
bilden des mannigfaltigsten
anatomischen Charakters.
Sie sind:
1 . Die Lidknorpel, Tarsi
d, welche die feste Grund-
lage der Augendeckel bilden.
Sie sind eigentlich nur ver-
dichtetes, aus mannigfaltig
sich durchkreuzenden Faser-
bündeln gebildetes und von
zahlreichen elliptischen Ker-
nen durchstreutes Bindege-
webe , welches sich nicht
rein von dem submuscularen
und submucösen Gefüge los-
präpariren lässt. Der obere
Knorpel ist weit dicker,
breiter und dichter, als der
tijiiere schmälere, mehr haut-
artige. Hire Gestalt ist halb-
mondförmig mit einem inneren stumpfen und einem äusserefn spitzen Winkel,
welche beide etwas über die Canthi der Lider hinausragen. Der der Lid-
spalte zugekehrte Rand ist scharf abgesetzt, er bildet eine Fläche. Von
da ab gegen den orbitalen Rand verschmächtigen sich die Knorpel und
gehen endlich in eine Fascie e über, welche sich am Rande der Augen-
höhle festsetzt. Die obere Hälfte dieser Fascia tarsoorbitalis oder Augen-
lidbinde steht mit dem Aufhebemuskel in A'erbindung, dessen Sehne in eine
breite Membran ausläuft und sich in jene Fascie verliert.
stell wag, Augenheilkundi'. 31
482 Lider; Anatomie; Lidbäiider: Meibom'sclie Drüsen; Muskeln.
Am inneren Lidwinkel hängt die Augenlidbinde mit dem inneren
Lidbande, dem Ligamentum palpebrarum internum, zusammen. Es ist dies
ein fast 2'" breiter, sehr fester, sehniger Strang, welcher unmittelbar unter
der Haut liegt und bei einem auf die äussere Commissur ausgeübten,
nach hinten gerichteten Zuge merklich hervortritt. Es entspringt dieses
Band an der Antlitztläche des Stirnfortsatzes des Oberkiefers im Perioste
und streicht in einer nach hinten gerichteten Curve fast horizontal über
den oberen Theil des Thränensackes gegen die innere Lidcommissur hin.
Vor dieser spaltet es sich in zwei Hörner, welche sich theils an den Knorpel-
winkeln und den umgebenden Theilen der Lidbinde, theils in dem hinter
der Carunkel gelegenen Bindegewebe verlieren. Seine hintere Fläche löst
sich in ein dichtes sehniges Maschenwerk auf, das zwischen dem Bulbus
und dem Thränensacke nach hinten dringt und theilweise mit dem sehni-
gen Uebcrzuge des Thränensackes zusammenhängt, diesen mächtig ver-
stärkend (S. Thränenorgane).
Als äusseres Lidband kann man eine sehnige, mit elastischen Elementen
reichlich durchsetzte Verdichtung des Orbitalgefüges betrachten, welche
von der hinteren Fläche der Lidbinde in der Gegend der äusseren Commis-
sur ausgeht und mit der Augenhöhlenfläche des Wangenbeines und der
Scheidenhaut des Bulbus zusammenhängt.
2. Im Inneren des Knorpels, umschlossen von dessen Gefüge, lagern
Talgdrüsen /, welche allgemein als Meibom'sche Drüsen beschrieben werden.
Es sind dieses langgesti'eckte, stellenweise bedeutend ausgeweitete Schläuche,
an deren Wandungen eine Anzahl von rundlichen oder birnförmigen kurz-
gestielten Drüsenbläschen münden. Es öifnen sich diese Schläuche dicht
an einander gedrängt an der inneren Lidlefze (bei c). Ihr dem Lidrande
zunächst gelegener, weitester und mit den grössten Lobulis besetzter Theil
liegt ausserhalb des Tarsus, umgeben von Bindegewebe und Muskelfasern.
Innerhalb des Knorpels streichen sie nahezu senkrecht gegen dessen Orbital-
rand, ohne ihn jedoch zu erreichen, indem sie bald früher bald später
blind enden, oder aber mit nebenstehenden Schläuchen zusarameniüessen.
Sie nähern sich auf diesem Wege bald mehr der vorderen, bald mehr
der hinteren Tarsalfiäche, und hier und da ' geschieht es, dass einzelne
Lobuli aus dem Tarsus heraus ins submusculare oder submucöse Gefüge
reichen.
Ihr Pi'oducl, die Augenbulter, Lemma oder Sebum palpebrale, sind vor-
wiegend Zellen, deren Inhalt rasch verfettiget und welche, indem die
Zellenmembran berstet und zu Grunde geht, in Gestalt von Eettkörnchen
ausgeschieden werden.
3. Die Muskeln. Es sind dies theils animalische, wie der Kreismuskel
und der Levator palpebrae superioris, theils organische glatte , wie die
beiden Musculi palpebrales oder orbitopalpebrales (H. Müller, Henle, Sappey,
Harling).
a) Der Kreismuskel, M. orbicularis palpebrarum, ist ein flacher scheiben-
förmiger Muskel, welcher nicht nur beide Knorpel und die Lidbinde,
sondern auch die Antlitzfläche der den Orbitalrand umgebenden Knochen
in ziemlicher Ausdehnung deckt. Man unterscheidet eine Lidportion und
eine Orbitalportion. Dazu kömmt ein peripherer oder accessorischer Theil,
welcher aus groben und dicken, dunkel gefärbten und durcli Fett von ein-
Muse, orbicnlaris : M. Uurymalis post. seu Horneri ; M. substarsalis. 483
ander mehr minder getrennten Bündeln besteht, die in der Nähe der
Orbitalportion vom Perioste entspringen, dieser jedoch nur theüweise sich
anschliessen, zum anderen Theile aus der Richtung der Kreismuskeln
heraustreten und in den nachbarlichen Hautpartien sich inseriren. Auch
wird fast allseitig noch der Thränenmuskel oder Horner'sche Muskel zum
Orbicularis gerechnet, indem er sich in der That mit der Mehrzahl seiner
Bündel dem Kreismuskel anschmiegt und so die JioUe eines gesonderten
Kopfes spielt.
a) Die Lidportion besteht, namentlich in der oberen Hälfte, aus zarten und
blassen Bündeln, welche, enge an und nelten einander gedrängt, die Lidknorpel und
Lidbinde nach oben und unten bis zum Orbitalrande decken, nach aussen aber den
Orbitalrand überschreiten und 7 — 8 Linien hinter die äussere Commissur reichen.
Die den Lidrändern zunächst gelegenen Bündel streichen fast horizontal ; je weiter
davon entfernt, desto stärker gekrümmte Bögen beschreiben die Fasern. Jenseits
der Commissur stossen die Bündel der beiden Hälften in Winkeln an einander,
die um so spitzer sind, je näher der Commissur die Fasern enden. Es hängen die
letzteren hier durch festes derbes Bindegewebe mit der unterlagernden Fascie zu-
sammen. Bei genauer Untersuchung findet man, dass die einzelnen Bündel sich
spalten und theüweise in die andere Hälfte des Muskels übertreten, theilweise aber
in dem Bindegewebe an der Grenzmarke beider Hälften enden. Es setzt sich die
Lidportion des Orbicularis aus Muskelfasern zusammen, welche theils vom Thränen-
heijikaniine kommen, theils von dem Lidbande und seinen Ausläufern entspringen
und früher allgemein als zwei gesonderte Muskeln beschrieben wurden (ArltJ.
Die Thränenkamnvpartie, der sogenannte hintere Thränennmskel, M. lacrymali^
posterior oder Horneri , ist eiu ziemlich l)reites und dickes , länglich viereckiges
Fleischbündel, welches hauptsächlich von dem Perioste des oberen Drittheiles der
Christa lacrynialis und der angrenzenden Portion des Thränenbeines, mitunter jedoch
auch theilweise von der die Thränenrinue schliessenden Aponeurose entspringt und
in einem nach innen convexen Bogen gegen den Canthus internus der Lider hin
streicht (Siehe Thränenorgane). Bevor es denselben erreicht, theilt sich der breite
platte Muskelbauch in einen oberen und unteren Ko^jf, deren einer zum oberen, der
andere zum unteren Lidrande geht. Einzelne der Bündel heften sich hier an das
Balkenwerk der hinteren Lidbandfläche, andere umspinnen die Thränenröhrchen ;
die Hauptmasse jedoch setzt sich gegen die Lidränder und in deren Innerem gegen
die äussere Commissur hin fort. Ein Theil dieser Muskelfasern, welche man als
Muse, subtarsalis g beschreibt, läuft innerhalb und hinter den C'ilien, die Ausfüh-
rungsgänge der Meibom'schen Drüsen in Achtertouren umspinnend {Wolfring) und,
getrennt von der Lidportiou, zwischen dem freien Rand des Tarsus und der Lid-
randdeciie. Er erreiclit nicht die äussere Commissur, indem seine Fasern sich schon
früher an verschiedenen Stellen in der Haut der Lidranddecke inseriren. Der
andere Endtheil der Thränenkammpartie lagert der Eandzone des Knorpels auf und
streicht vor den Cilien. Er geht über die äussere Commissur hinaus, wo die Bündel
der beiden Hälften in Winkeln an einander stosseu.
Die Lidbandpartie zerfällt in eine obere und untere Hälfte. Beide entspringen
theils von den äusseren Enden und den sehnigen Hörnern des Lidbandes, theils
aus der Tiefe von dem sehnigen Maschenwerke, in welches sich die hintere Fläche
des fraglichen Ligamentes auflöst, und von dem filjrösen Ueberzuge des Thränen-
sackes. Die den Lidrändern zunächst streichenden Bändel liegen zum Theile über
einander (bei h), zum Theile decken sie auch die mehr peripheren Bündel der
Thränenkammpartie und reichen mit ihren Enden 7 — 8 Linien über die äussere
Commissur hinaus (Arlt).
ß) Die Orbitalportion entspringt theils von der inneren Hälfte des Lidbandes,
theils von den nachbarlichen Knochenflächen, namentlich aber von der Leiste des
Oberkieferfortsatzes bis herab zum Canalis infraorbitalis und vom Stirnbeine bis
zur Incisura supraorbitalis. Einzelne Bündel kommen auch aus der Tiefe von
dem sehnigen Fachwerke des Lidbandes und von dem fibrösen Ueberzuge des
Thränensackes. Die Bündel sind dick, dunkel gefärbt und gehen an der Schläfen-
seite ohne Unterbrechung und ohne festere Verbindung mit der Unterlage in ein-
ander über. Nur einzelne Bündel treten aus dem Kreise heraus, um sich hier und
da mit der Oberlagernden Haut zu verbinden (ArÜ).
31*
484 Lider; Aiuitoinu'; Aufhi-'heniUHkL'l: <»r;,Miii.sclii! LidiiLTibkrln; VViniiiiTii ; Lidhiiut.
h) Der Aufhehemuslcel hat einen langen schmalen, bandförmig zu-
sammengedrückten Bauch. Ya entspringt gemeinschaftlich mit den geraden
Augenmuskeln an der Peripherie des orbitalen Sehloches, streicht an der
Decke der Augenhöhle nach vorne und setzt sich, etwas verbreitert,
an der Fascia tarsoorbitalis nahe dem convexen Rande des oberen Lid-
knorpels fest.
c. Der obere Musculus palijehralis oder orbiloijalpehralis steht in unmittel-
barem Zusammenhange mit dem Levator und stelU gleichsam eine Fortsetzung
desselben dar. Seine organischen Fasern entspringen nämlich zwischen den ani-
malischen des Aufhebemuskels und verbreiten sich, nur von vereinzelten transver-
salen Fasern durchstreut, flächenartig zwischen dem vorderen Blatte des Con-
junctivalsackes und dem darüber liegenden Lidknorpel mit seiner Aponeurose.
Der Muskel hat die Form eines abgestutzten, etwa 12 — 14 Millim. hohen Dreieckes,
dessen Basis sich über die ganze Breite des Lidknorpels und seiner Aponeurose
von einem Orbitalrande zum anderen erstreckt. Von seinen vielfach unter einander
anastomosirenden Längsfasern setzen sich die randständigen an der inneren und
äusseren Orbitalwand, nahe der vorderen Randleiste, die anderen jedoch in einer
schräg aufsteigenden gekrümmten Linie längs der oberen Kandzone des Lid-
knorpels an. Muskel und Tarsus vereinigt stellen also einen Kreisquadranten vor,
der zu beiden Seiten an der Orbitalwand festhängt. Der Muskel kann nur in ver-
ticaler Richtung wirken. Er wird sowohl bei weiter Oeffnung als bei der Schliessung
der Lidspalte verlängert und gedehnt, ist also Antagonist für den Orbicidaris und
Levator, wirkt diesen entgegen, graduirt deren Leistungen und gibt denselben eine
gewisse Regularität (Sappey, Harling). Seine Lähmung bedingt eine eigenthüm-
liche, gewöhnlich mit Myosis einhergehende, geringgradige Ptosis des oberen Lides
(Homer).
d. Der untere Musculus paJjjehralis ist mehr netzförmig mit vorwiegend
sagittaler Richtung. Er liegt dicht unter der Conjunctiva und geht von dem
orbitalen Gewebe nahe der Uebergangsfalte bis dicht an den convexen Rand des
unteren Tarsus, wo er mit elastischer Sehne endet. Er hat im Vereine mit dem
oberen Palpebralmuskel und mit den organischen Orbitalviuskeln zweifelsohne den
Zweck, einen genauen Anschluss der Lider an den Bulbus und die Weichtheile
der Orbita zu vermitteln, was luiter Anderem auch für die Thränenleitung von
der grössten Wichtigkeit ist. Ob derselbe das untere Lid zu senken vermag, steht
dahin (Harling).
4. Unterhalb des Kreismuskels findet man ein von Fettgetvebe i durch-
setztes Stratum von Bindegewebe, welches der Oberfläche des Knorpels
anhängt und mit dem subcutanen Gewebe in Zusammenhang steht. In
diesem Stratum nahe dem freien Lidrande lagern, vom Orbicularmuskel
gedeckt und von Fettgewebe umhüllt, die Bälge der Wimpern oder Cilien k.
Deren Grund ragt bei 1'" und selbst mehr über das Niveau der Lid-
randfläche empor. Ein Theil der Bälge sitzt fast unmittelbar der Knorpel-
oberfläche auf und ist fest mit derselben verbunden; ein anderer Theil
aber sitzt etwas lockerer in der submuscularen Schichte, näher oder ferner
dem Tarsus und in verschiedener Höhe. Ziemlich nahe der Mündung öifnet
sich in jeden Balg eine Anzahl von traubigen Schmeerdrüsen l, deren fettiges
Product die Wimpern beölt.
In nächster Nähe der Cilien linden sich zahlreiche kleine Härchen m, deren
Bälge theilweise ebenfalls mit schön entwickelten Talgdrüsen versehen sind (Moll).
Die Wimpern sind einem beständigen Wecltsel unterworfen. Haben sie ihre normale
Länge erreicht, was ungefähr binnen 150 Tage geschehen soll , so löst sich ihr
Bulbus los (wie bei l), während auf der Papille ein neues Härchen sicii entwickelt,
welches das alte vor sich hertreibt, bis dasselbe ausfällt oder durch Reiben, beim
Waschen des Gesichtes u. s. w. entfernt wird (Donders).
5. Die äussere Lidhaut n ist eine sehr zarte, an elastischen Elementen
arme Fortsetzung des allgemeinen Integumentes, welche durch lockeres
(lefiissp; Norvi'ii ; KilIzüihImiij!': Nosnlogin. 485
langfaseriges fettloses subcutanes Gewebe mit den Unterlagen zusammen-
hängt und sich in brcMten Falten aufheben lässt.
In dem Unterlmutgowebe lagern zalilreiche Schweissdrüsen o und die zarten
Bälge höchst feiniu- Härchen p, welche die äussere Lidhaut besetzen. Die dem
Lidrande nahen Schwcissilrüssc.u geben ihre charakteristische Knäuelform auf und
werden zu wenig gewundenen vcrhältnissmässig weiten Kanälen , welche in die
Ausfülu'ungsgänge der Haarhälge münden (Moll, StiedaJ.
G. An der inneren Fläche des Tarsus und der Fascia tarsoorbitalis
lagert, durch straffes submucöses Bindegewebe fest verbunden, die durch
ihre Papillen ausgezeichnete Conjunctiva tarsi q.
7. Die arteriellen Gefiisse der Lider stammen aus der Arteria ophthal-
mica und treten als Arteria palpebralis interna et externa an die Augen-
decke heran. Sie anastomosiren vielfach mit Zweigen der Art. angularis,
lacrymalis, temporalis superf. ant. und transversa faciei und bilden so zwei
die Lidspalte umkreisende Gefässbögen, den Arcus tarseus superior und
inferior.
Der untere Bogen verläuft längs dem convexen Rande des unteren Lid-
knorpels, beim Kinde etwa 2 — 3 Miliim. vom Lidrande entfernt. Der obere Bogen
liegt dem Lidrande etwas näher (1 — 2 Miliim.), gleich dem unteren an der Vo7'-
derßäche des Tarsus. Er gibt etwa 3 — 4 Miliim. von den beiden Canthis entfernt
je einen Arterienzweig ab. Beide Zweige convergiren gegen einander und bilden
anastomosirend einen zweiten Arterienhogen (TIenle) , welcher unmittelbar am con-
vexen Rande des oberen Tarsus verläuft. Von diesen Bögen und den mit ihnen
verbundenen Gefässen gehen nun zahlreiche Zweige zur Hai;t und den Muskeln
der Lider, zur Conjunctiva und zum Tarsus, welchen sie zum Theile durchholwen,
um sich an dessen innerer Seite in der Lidbindehaut zu verzweigen (Wolfring).
Die Venen sammeln sich in der oberen und unteren Lidvene und
gehen in die Venae temporales mediae und Vena facialis antica über. Die
Lymphgefässe treten in die oberflächlichen Gesichts- und Submaxillar-
drüsen ein.
Die Hautnerven sind Zweige des Trigeminus. Der Orbicularmuskel
wird vom Nervus facialis, der Aufhebemuskel aber vom Nervus oculomo-
torius und die organischen Muskeln vom Nervus sympathicus (ß. 9) versorgt.
Nosologie. Die Lider lassen sich als Falten der äusseren Haut
betrachten, welche in ihren einzelnen Bestandtheilen gewisse Modificationen
erlitten haben. Dem entsprechend sind denn auch die verschiedenen
Formen der Blepharitis nur Wiederholungen jener Processe, welche täglich
an anderen Bezirken des allgemeinen Integumentes beobachtet werden und
genügend bekannt sind, also einer eingehenden Erörterung kaum bedürfen.
1 . Sehr häutig werden die Lider ihrer ganzen Dicke nach in einen
Gewebswucherungsprocess vertvickelt. Gewöhnlich geschieht dieses auf secundäre
Weise, durch Fortpflanzung der Entzündung von den nachbarlichen Theilen
aus ; das Centrum des Herdes ist dann bald in der Bindehaut, bald im
Augapfel, in der Orbita oder deren knochigen Wandungen, oder in den
Weichth eilen der angrenzenden Gesichtsportionen zu suchen. Die Mit-
leidenschaft der Augendeckel pflegt sich unter solchen Umständen mehr
durch die Erscheinungen des entzündlichen Oedemes geltend zu machen und
rasch zurückzutreten, sobald der Process im Centrum seines Herdes den
Höhenpunkt überschritten hat und seinem Ausgleiche zustrebt. Bisweilen
jedoch führt die entzündliche Gewebswucherung thatsächlich zur Hyper-
trophie der constituirenden Theile, besonders wenn sich die Anfälle der Ent-
zündung öfter wiederholen, oder wenn der Grundprocess in den chronischen
486 Blepharitis; Nosologie: Stand. Lidoedem; Atscess; Carbnnkel; Oedem. malig. ; Lupus; Gummen.
Verlauf einbiegt und die Blepharitis längere Zeit hindurch bei geringen
Intensitätsgraden unterhält.
Dariernde Unterbrechung der Lymphbahnen und Behinderung des venösen
Rückflus-ies, wie selbe bisweilen nach Caries oder Nekrose des unteren äusseren
Orbitalrandes oder des aufsteigenden Unterkieferastes durch aiisgebreitete und tief
in den Knochen eindringende Narben gesetzt werden, machen das Oedem der Lider
öfters ständig. Die Lider erscheinen dann manchmal in dem Masse aufgetrieben,
dass die Lidspalte fast geschlossen und das Gesicht sehr beirrt wird. Das Infiltrat
ist unter solchen Umständen gewöhnlich mehr sidzartig und, da nebenbei das Unter-
hautbindegewebe in sehr auffälligem Grade verdichtet, übernährt zu sein pflegt,
hat die Geschwulst meistens eine ziemlich bedeutende Consistenz.
Oft genug tritt die Blepharitis auch mehr selbständig und mit hohen
oder höchsten Intensitätsgraden auf. Das Product ist daian eine vorwaltend
aus wuchernden Zellen und Kernen bestehende starre derbe Masse, welche
sich vornehmlich in den lockerer gewebten inneren Schichten der Augen-
deckel anhäuft und meistens sehr umfangreiche Geschwülste ei'zeugt. Es
schmelzen diese Massen in der Regel bald zu Eiter , während sie au der
Peripherie durch fortgesetzte Gewebswucherung sich mehr und mehr aus-
dehnen (Lidabscess).
Ausnahmsweise tragen derlei Abseesse den Charakter eines Anthrax oder
Carhunkels (Himly, MackenzieJ und führen durch brandige Abstossuugen zu ausge-
breiteten Substanzverlusten, wenn nicht früher der Tod dem Leiden ein Ende
macht. Es sind diese Zustände zu unterscheiden von dem Oedeviu malignum oder
gangraenosum, welches besonders bei Leuten vorkömmt, die sich mit Thierabfällen
beschäftigen. Es hat anfänglich oft ganz das Ansehen eines einfachen Oedems,
dehnt sich jedoch rasch bis auf den Hals , die Brust und den Bauch aus, wirft
Brandl)lasen auf, erzeugt nekrotische Schorfe und zerstört die Haut in weitem Um-
kreise. Oft geht der Kranke auch unter allgemeinen Erscheinunge,n zu Grunde
(Mauvezin, Debrou).
Eine besondere Form der Blepharitis ist der Lupus. Er entwickelt sich nur
selten primär in den Lidern, sondern greift auf diese meistens sectmdär, von den
Nachbartlieilen des Gesichtes aus, über. Er zerstört gewöhnlich grosse Portionen der
Augendeckel und veranlasst, falls er sich zeitlich begrenzt, deren Schrumpfung
zu formlosen Wülsten. Häufiger consumirt er die Lider ihrer ganzen Ausdehnung
nach, geht auf die Bindehaut und den Augapfel über und frisst wohl auch die
knochigen Wandungen der Orbita sammt deren locker gewebtem Inhalte weg, falls
nicht früher der Tod eintritt.
Ebenso grosse Verwüstungen richten bisweilen secundäre syphilitische Ge-
schwüre im Bereiche der Lider an. Es breiten sich dieselben meistens von den
umgebenden Weichtheilen und Knochen des Gesichtes auf die Augendeckel aus.
Mitunter jedoch treten sie selbständig in den Lidern auf. Sie gehen dann in der
Regel hervor aus harten und wenig empfindlichen Knoten, die in der äusseren Haut
und dem subcutanen Bindegewebe sitzen und, indem sie von der Oberfläche aus
schmelzen, hässliche Geschioüre mit infiltrirtem unebenen, oft trichterförmig einge-
senkten Boden , befressenen steilen Rändern und missfärbigem Secrete erzeusren.
Ist ein solches Gumma an dem freien Lidrande znr Entwickelung gekommen, so
zerstört es immer gleichzeitig die äussere Haut, den Kumpel und die Bindehaut mit
den zwischenlagernden Gebilden. Entwickelt sich dasselbe aber mehr an der Fläche
der Lider, so greift es rasch in die Tiefe, durchbohrt wohl auch den Augendeckel
völlig und breitet sich überdies der Fläche nach aus, um endlich auch die Brücke,
welche es von dem freien Lidrande trennt, zu durchbrechen (Mackenzie, Desmarres,
Wedl, Hirschler). Doch nicht immer gehen syphilitischen Verschwärungen Gummen
voraus. In einzelnen Fällen beginnt der Process mit Infiltrationen einer Stelle der
Bindehaut, geht jedoch rasch in Verschivärnng über und setzt ein conjunctivales
Geschwür, das durch seinen speckigen Beleg, die zackig befressenen Ränder und
den unebenen löcherigen Boden, so wie durch sein baldiges Uebergreifen auf den
Intermarginaltheil und von da auf die äussere Haut sehr ausgezeichnet ist. Wird
das Grundleiden durch eine entsprechende Therapie , namentlich mit Mercurialien
Erysipel; Primäre Blophiiritis ; Chanker: Exantheme; Ephidrosis. 487
und, wo der Körper mit diesen etwa sclion übersättigt ist, mit Jodkali, getilgt; so
kömmt es meistens i'afirfi zur Vernar/iiinrj und zwar ist die Narhe seUmt eine sehr
charahteristisclie, so dass sie rückwärts auf ein vorausgegangenes sypiiiiitiselies Ge-
schwür schliesseu iässt. Sie stellt sich nämlich als ein der Cilien ganz barer,
scharf gezeichneter, sehnig weisser Strang dar, \velcher den Lidrand seiner ganzen
Dicke nach durchsetzt und vermöge seiner starken Schrumpfung in Gestalt einer
Lücke einbuchtet (Hiracliler).
2. In linderen, nicht minder liäufigen Fällen beschränkt sich die Ent-
zündung auf einzelne Bestandtheile der' Lider, die Blepharitis ist eine
pai'tieUe.
a. Die äussere Lidhaut und das darunter gelegene lockere Bindegeivebe
participiren fast immer in sehr auffälligem Grade am Gesichtsrothlauf. Oft
greift der letztere auch wohl tiefer, wo dann die Bindehaut die Erscheinungen
des entzündlichen Oedemes und selbst die der wahren Chemosis darbietet.
Im Verlaufe des Erysipels entwickeln sich nicht selten Eiterblasen an der
Oberfläche der Lider, oder es bilden sich Abscesse aus, welche ai-ge Ver-
wüstungen in den locker gewebten Stratis sowie in der äusseren Haut
anzurichten im Stande sind. Mitunter sterben die Lider wohl auch durch
Brand ab und die Gangrän verbreitet sich mehr oder weniger weit in das
Orbitalgewebe (Biermann).
Primär entsteht die Dermatitis der Lider öfters nach heftigen trau-
matischen Eingriffen, besonders aber in Folge von Verbrennungen und
Anätzungen. Es kommt dann ziemüch häufig zu ausgebreiteten Ver-
schioärungen der äusseren Liddecke und, indem der Substanzverlust durch
eine stark zusammenschrumpfende Narbe geschlossen wird, zu Verkürzun-
gen der Lidhaut, zu Abhebungen der Augendeekel vom Bulbus mit oder
ohne Verkrümmung derselben (Ectropium). Griff der Verschwärungspi'ocess
auf die freie Randfläche der Lider hinüber, so resultirt nicht selten eine
Verwachsung der Lidspalte in grösserer oder geringerer Ausdehnung
(Ankyloblepharon). Falls die Vereiterung wegen extensiver Wirkung des
ätiologischen Momentes sich bis in den Bindehautsack hinein erstreckte,
verwächst bisweilen die innere Lidfläche in grösserer oder geringerer Aus-
dehnung mit der Oberfläche des Bulbus (Symblepharon anterius).
Hautgeschwüre finden überdies in seltenen Fällen ihre Veranlassung
in der Einimpfung von Schankereiter. Sie ti'agen dann ganz den Charakter
des primären syphilitischen Geschwüres und breiten sich öfters sehr weit
nach allen Richtungen aus. Ihr Lieblingssitz ist die mit einem zarteren
Integumente bekleidete lAdirandfläche (Mackenzie, Desmarres).
Ausserdem ist die äussere Lidhaut gar oft der Boden für exanthema-
tische Efflorescenzen. Es gibt kaum einen Ausschlag acuten oder chroni-
schen Verlaufes, welcher sich nicht nebenbei an der Liddecke localisiren
könnte. Von besonderer praktischer Wichtigkeit sind die pustulösen
Efflorescenzen des Eczems und der Blattern. Es schiessen dieselben nämlich
nicht selten in sehr grosser Zahl an den Lidrändern auf und führen dann
bisweilen gleich von vorneherein^ oder aber indem sie unter Aufgeben
ihres specifischen Charakters in eine Blepharitis ciliaris übergehen, zu den
traurigen Folgen der letzteren, insbesondere zur Vereiterung der Haar-
drüsen oder selbst der ganzen Wimpernbälge, zu narbigen Verbildungen
des Lidrandes u. s. w.
Nebenbei möge hier der Ephidrosis palpebrarum oder der Schweisskrankheit
der Lider Erwähnung geschehen. Sie kömmt selten und in der Regel bei Indivi-
^HX Blepharitis: Nosologie: Acne oder Hantfinne.
dueii vor. welche überhaupt zu profusen Schweisseu au einzelneu Körpertheileu
geneifft sind. Die Lider erscheinen bedeckt vou einer klebrigen Flüssigkeitsschichte,
welche abgewischt sich alsbald wieder unter der Gestalt zusammenfliessender
kleiner Tröpfchen ersetzt. In der oberen faltigsten Gegeud des oberen Lides wird
dieses Secret durch den Lidschlag öfters in Schaum aufgebläht uud bedingt daselbst
auch gerne Excoriationeu i Graefej. Mau empfiehlt warme Bäder und kalte Ab-
reibungen gegen dieses im Gauzen sehr hartnäckige Leiden (Mooren).
h. Auch die Haardrüsen der Lider sind der Entzündung sehr unter-
worfeu. Es wiederholt sich in ihnen dei'selbe Voi-gang, welchen man an
anderen Theilen des allgemeinen Integumentes mit dem Xamen .Hautfinnt
oder Acne'* zu bezeichueu gewöhnt ist. In Folge gewisser Schädlichkeits-
einwirknngen beginnen nämlich die Zellen zu wnchem, welche ■ der Innen-
wand der Drüsenbälge anliegen uud in ihren weiteren Metamorphosen das
fettige Drüseusecret darstellen. Die Drüsenhöhle wird dem entsprechend
ausgedehnt. Gleichzeitig schwillt aber auch das den Drüsenbalg umgebende
Bindegewebe vermöge der Hyperämie seiner Gefässnetze und der entzünd-
lichen Produeteinlagerung an.
Bei den niedersten Intensitätsgraden des Processes ist die entzündliche
Schwellung der bindegewebigen Drüsenhülle eine nur geringe, die Krankheit
äussert sich vorwaltend durch Vermehrung des Secretes, welches übrigens
seinem äusseren Ansehen nach nicht gerade beträchtlich von der normalen
Hautschmiere abweicht. In vielen Fällen verhornt ein Theil der neuge-
bildeten Zellen, während er von den später entwickelten Zellen an dem
Haare langsam nach vorne geschoben wird und präsentirt sich dann an
der Haarbalgmündung in Gestalt kleiner fettiger Schüppchen oder grösserer
epidermisartiger grauer fettiger Schwarten, welche die äussere Lidlefze in
grösserer oder geringerer Ausdehnung überkleiden und einzelne Cilien oder
Bündel derselben eine Strecke weit sowohl innerhalb als ausserhalb des
Balges scheidenartig überziehen. Der Best des Secretes vertrocknet zu
gelbhchen Borken, welche den Wimpern und der Epidermis ziemlich fest
anhaften.
Bei höheren Intensitätsgraden der Entzündung gewinnt das Secret
bedeutend an Masse, es wird dünner, dem Eiter ähnlicher, die Krusten-
bildung an dem Lidrande ist eine überaus reichliche. Gleichzeitig ist aber
auch die Gewebswucherung in dem bindegewebigen Hüllwerke der Drüse
eine sehr üppige, der Lidrand schwillt in der Gegend der entzündeten
Drüse beträchtlich an, es entwickelt sich ein sogenannter Acneknoten oder,
falls eine grössere Anzahl neben einander stehender Acini oder Drüsen-
paquete an dem Processe participiret, ein förmlicher WuUt. Meistens leidet
dann auch der Haarboden mit, der ki-ankhafte Wucherungsprocess macht
sich auch in den Haarbälgen bemerklich.
Die Zwiebeln der Wimpern schwellen mächtig an , verbreitern sich , so dass
sie der Papille mit einer mehr minder ebenen Fläche aufsitzen: zugleich werden
sie vermöge beträchtlicher Aufquelluug der sie constituireuden Zellen iceick, lassen
sich leicht zusammendrücken oder erscheinen gar klebrig. Dabei fällt ihr enormer
Pigvienfreichihum auf, es ist wegen der üppigen Neubildung die \'erhornuug luid
die Bleichuug der Haarzellen eine nnvolhtändige oder verspätete. Die Zellen des
Markkanales hat man bald vorhanden, bald theilweise oder ganz fehlend gefunden.
Die innere Wur^dscheide haftet zähe dem Schafte , dagegen sehr lose der äussei-en
Scheide an, daher die Wimpern sich leicht und schmei-zlos entfernen lassen [Schiess-
Gemuseus, Saemischj.
r.l(>))li:iritis i-iliaris -;c<-ic'tiii-ia. liypcrlrMiiliica, ulcerosa. 4'^9
Steigert sich der l'rocess iiüch weiter, was öfters secuudär geschieht,
indem der sich sammelnde Drüseninhalt gleich einem fremden Körper auf
seine Umgebungen wirkt ; oder tritt der Process gleich von vorneherein
mit sehr grosser Intensität auf: so ist Vereiterung das gewöhnliche
Resultat. Es nimmt dann der wuchernde Inhalt der Drüse die Eigen-
schaften des Eiters an, während gleiclizeitig das die Drüsenwand umgehende,
entzündlich angeschwollene Gefiige zerfällt und so die P^iterhöhle ver-
grössert. Auch hat sich dann der suppui'ative Process gemeiniglich schon
auf den eigentlichen Haarbalg fortgeptianzt und hier zur eitrigen Zerfällniss
geführt; wird das betreffende Haar ausgezogen, so folgt ihm ein weiss-
grauer Pfropf, welcher aus Eiterzellen besteht, die in und zwischen den in
üppiger Zellenprolification befindlichen Wurzelscheiden lagern und dieselben
auch von Aussen her umgeben (Schiess-Gemuseus). Das eitrige Product
kann sich weiterhin durch die offene Haarbalgmündung entleeren oder es
bohrt sich unter fortgesetzter Schmelzung der infiltrirten Gewebe einen
Weg, gelangt allmälig an die Oberfläche und bricht nach aussen durch,
nachdem die Epidermis blasenartig hervorgetrieben wui'de. Gewöhnlich
geschieht dieses nahe der Mündung des zugehörigen Haarbalges; hier ent-
wickeln sich am öftesten die Acnepusteln, da sich der Eiter in der Rich-
tung der Ausführungsgänge leichter uud rascher Bahn bricht, als er das
derbere Gefüge der eigentlichen Cutis durchbohrt (Acne pustulosa). Mit
der Entleerung des Paters betritt der Process meistens den Weg zum Aus-
gleiche. Mitunter jedoch gelangt wegen Ungunst der Verhältnisse der
Process nicht zur Heilung, es entwickelt sich an der Stelle der Pustel
ein Geschwür, welches tiefer und tiefer greift und durch seine Dauer so
wie durch seine Folgen in hohem Grade misslich werden kann.
Gleichwie an anderen Theilen der äusseren Haut tritt die Acne auch
an dem Lidrande bald in discreter Form auf, iudem der Process sich auf
Einen Acinus oder auf Ein einzelnes Drüsenpaquet beschränkt ; bald
werden fast sämmtliche Talgdrüsen eines oder aller vier Lidränder in den
Process verwickelt, wo man dann den Zustand Blepharadenitis oder
Blepharitis ciliaris nennt.
Der Process kann in einem wie in dem anderen Falle jeden beliebigen
Intensitätsgrad darbieten. Die Acne discreta kömmt am häufigsten in der
knotigen und pustulösen Form vor. Die Blepharitis ciliaris hingegen ver-
läuft relativ häufiger bei sehr geringer Intensität uud präsentirt sich dann
vermöge der geringen Schwellung des hypcrämirten Lidrandes unter der
P'orm eines vorwaltend secretorischen Leidens (Blepharitis ciliaris secretoria).
Doch sind auch höhere Intensitätsgrade der Blepharitis ciliaris ganz
gewöhnliche A'orkommnisse. Sie fuhren meistens sehr rasch zu beträcht-
licher Hypertrophie des die Drüsen und die Cilienbälge umhüllenden Binde-
gewebes, somit zu einer mehr weniger auffälligen Wulstung und Ver-
härtung des Lidrandes (Blepharitis ciliaris hypertrophica). Weniger oft
entwickeln sich nach theilweiser Vereiterung des entzündlichen Productes
Geschwüre am Lidi'ande, welche sich mehr und mehr ausbreiten, zusammcn-
fliessen, die äussere Lidlefze in grösserer oder geringerer Ausdehnung
consumiren, wohl auch in die Tiefe greifen und durch die damit ver-
bundenen Substanzverluste in hohem Grade verderblich werden können
(Blepharitis ciliaris ulcerosa).
490 Blepharitis; Nosologrie; Sebon-hoea ciliaris: Blepharitis tarsalis.
Innig verwandt mit der secretorischen Form der Blepharadenitis und eigent-
lich nur gradweise verschieden ist die Seborrhoea ciliar-is. Sie wird nur sehr selten
und dann in Gesellschaft von Seborrhoe der übrigen Gesichtshaut beobachtet. Der
Lidrand ist dabei nicht angeschwollen, nur zeitweise hyperämirt, aber fortwährend
mit fettigen Krusten von graugelblicher Farbe bedeckt, welche denen des Gneises
der Kinder ähneln, der Epidermis sehr lose anhängen, wenn sie entfernt werden,
sich rasch wieder erzeugen und bei vernachlässigter Reinigung der Lider in kurzer
Zeit ansehnliche Grössen erreichen.
c. Die Knorpel entzünden sich kaum jemals primär und selbständig.
Wohl aber sind Entzündungen der Tarsusdi-üsen, die Blepharitis tarsalis,
sehr häufig Gegenstand der Beobaclitung. Doch wird niemals die Gesamrnt-
heit der Ivuorpeldrüsen oder auch nur eine einzelne Drüse ihrer ganzen
Ausdehnung nach von der Entzündung ergriffen, wenigstens fehlt für
einen solchen Vorgang bisher der sichere Xachweis ; der Process beschränkt
sich vielmehr immer auf einzelne Äcini oder auf Theile der gemeinschaftlichen
Drüsenschläuche. Der pathologische Vorgang ist seiner Wesenheit nach
derselbe, wie bei der Acne ciliaris. Doch begründen die anatomischen
Verhältnisse, die gi'osse Entfernung der Acini von der Drüsenmündung,
die Umspülung der inneren Lidlefze von Thränenflüssigkeit, die versteckte
Lage und die Einschliessung des grössten Theiles der Drüse in ein festes,
wenig nachgiebiges Fasergewebe manche Besonderheiten. Diesen ist es
zuzuschreiben, dass niedere Intensitätsgrade des Processes an der Tarsus-
drüse nicht leicht zur Beobachtung kommen. Es bedarf eben schon einer
mit ziemlicher Heftigkeit auftretenden Gewebswucherung, damit der in
Mitleidenschaft gezogene Knorpel aufweicht und durch den Drüseninhalt
ausgedehnt werden könne, damit weiters auch die mehr oberflächlichen
Schichten in den Process verwickelt werden und sohin Injectionsröthe und
Geschwulstbildung den Entzündungsherd äusserlich merkbar zu machen im
Stande seien. In Uebereinstimmung mit der erforderlichen Intensität des
Processes ist das Product der Gewebswucherung in der Regel ein eiteriges
und zwar entweder ein rein eiteriges, oder eine dickliche sulzähnüche blut-
gestriemte Masse, welche genauere Lnt ersuchungen als embryonales Binde-
gewebe herausgestellt haben, und welche in grösserem oder geringerem
procentarischen Verhältnisse mit walirem Eiter gemischt ist. Es fijidet sich
dieses Product gewöhnüch nicht blos im Bereiche der Drüsenhöhle selber,
sondern auch in der wuchernden Umgebung, der Entzündungsherd trägt
den Charakter eines Abscesses.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass auf die eiterige Zerfälluiss des Entzündungs-
productes die Dichtigkeit und Resistenz des Knorpelgefüges insoferne Einfluss
nehme, als sie den wuchernden Drüseninhalt unter einen gewissen Druck setzt und
solchermassen die Un^iuist der obwaltenden Verhältnisse in ähnlicher Weise er-
höht, wie dieses bei Abscessen der Fall ist, welche sich unter straff gespannten
Aponeurosen entwickeln.
So wie bei der Acne macht sich die Gewebswuchening zuerst an den
Zellen der inneren Drüsenwand geltend, es nimmt daher der Drüseninhalt
beträchtlich an Masse zu. Gleichzeitig beginnt das den Acinus umgebende
Knorpelgefiige zu wuchern, es injicirt sich und lockert sich auf. Indem
solchermassen die Wandungen der Drüsenhöhle nachgiebiger werden,
gestatten sie dem Acinus, sich über die Oberfläche des Tarsus zu erheben
und so eine Geschwulst zu formireu, welche man mit dem Xamen
„Gerstenkorn, Hordeolum'^ belegt. Die Ausdehnung des Knorpels gescliieht
natürlich vorwaltend in jener Richtung, in welcher der Acinus den
LidabsCGss; Kiankheitsbild. 491
Kcrino-sten Widerstanrl finrlct. .Tp iiachrleni dahor das entzündete Drüsen-
bläsclien der vorderen oder hinteren Knorpelwand näher steht, tritt die
Gesehwulst mehr gegen die äussere Liddecke oder gegen die Conjunctiva
tarsi hervor (Hordeolum extermim et internum). Liegt der Acinus ausser-
halb des Knorpels, in der Nähe des Lidrandes, so erfolgt die Ausdehnung
na,ch allen Riehtungen gleich leicht und daher auch gleichmässig ; rand-
ständige Gerstenkörner gewinnen deshalb immer eine mehr kugelige Form,
während äussere und innere mit einer flachen Wand dem Knorpel aufzu-
sitzen scheinen.
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Anat. ßiamischweig. I. S. 141; II. S. 688, 695, 697. — AvU, Die Krankheiten des
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schrift der Wien. Aerzte. 1857. S. 29. — Moll, A. f. O. III. 2. S. 258. — Benders,
ibid. IV. 1. S. 286, 294. — Henke, ibid. IV. 2. S. 70; V. I. S. 133. — Busch, ibid.
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Graefe, A. f. 0. IV. 2. S. 254. — Himlg , Krankheiten und Missbildungen etc.
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klin. Monatbl. 1869. S. 339.
2. Der Liclabscess.
Krankheitsbild. Charakteristisch ist neben den Erscheinungen der
Entzündung die Entioickelung einer mehr minder umfangreichen und nicht ganz
scharf begrenzten^ anfänglich harten, später aber erweichenden und dann
schwappenden Geschwulst in dem lockeren Gefüge unter der äusseren Liddecke.
Die Entzündung tritt häufig unter lebhaftem Fieber auf und trägt
ganz den Charakter der Phlegmone. Die äussere Liddecke erscheint dann
tief und gleichmässig geröthet, heiss, gespannt und glänzend : die darunter
gelegene Geschwulst fühlt sich hart an, ist sehr empfindlich gegen jede
Berührung und sehr schmerzhaft. In anderen Fällen ist die Hyperämie
und örtliche Temperaturerhöhung, die Empfindlichkeit und Schmerzhaftig-
keit eine weit geringere, das Fieber fehlt ganz, der Tumor stimmt mehr
mit den Congestions- oder kalten Abscessen überein. Immer ist die Geschwulst
anfänglich von beträchtlicher Cousistenz, selbst kiiorpelhart ; in dem Masse
aber, als das Product der Gewebswucherung schmilzt, macht sich auch
die Fluctuation deutlicher und in wachsendem Umfange geltend.
Am häufigsten kommen Abscesse im oberen Lide vor, weniger oft im
unteren, am seltensten in beiden Augendeckeln gleichzeitig. Das betreffende
Lid ist meistens seiner ganzen Ausdehnung nach angeschwollen, da der
Abscess in den lockeren subcutanen Schichten sich leicht ausbreiten kann
4:92 Lidabscess ; Anchylops: Ursacbeii; Verhuif; Ausgänge.
und sich überdies noch mit einem mächtigen Congestionsringe zu umgeben
pflegt. Der Tumor ei'reicht nicht selten das Volumen einer Ivinderfaust.
Seiner Gestalt nach ist er meistens wulstförmig ; er steigt von dem Lid-
rande steil empor und fällt nach den übrigen Richtungen flach ab, erstreckt
sich übrigens wohl auch über den knöchernen Orbitah'and hinaus. Das
Lid ist natüi'lich völlig unbeweglich und die Lidspalte gewöhnlich
geschlossen.
Oefter als an den Lidern entwickeln sich Abscesse in der Augeahrauengegend.
Auch in der Angulargegend kommen Abscesse vor. Sie sind, wenigstens anfänglich,
sehr schwer oder gar nicht von der phlegmonösen Entzündung des Thränensackes
zu unterscheiden, Ijesonders darum, weil sie im weiteren Verlaufe den Thränen-
sack gerne in Mitleidenschaft ziehen. Man beschrieb sie früher unter dem Namen
Anchylops und, falls der Eiter sich schon nach aussen einen Weg gebahnt hatte,
als Aegylops.
Ursachen. Bisweilen sind traumatische, chemische oder andere Schäd-
lichkeiten, welche die Lidgegend treffen, die nächste Veranlassung. Oft
entwickelt sich aber auch der Abscess, ohne dass sich eine genügende
Ursache nachweisen liesse, scheinbar spontan. In vielen Fällen ist er
der Ausgang eines Erysipelas faciei, seltener einer pyämischen Embolie der
Gefässe.
Verlauf und Ausgänge. Der Lidabscess entwickelt sich wohl immer
in acuter Weise. Wahrhaft rapid pflegt der Process bei phlegmonösem
Charakter zu verlaufen ; im gegentheiligen Falle können jedoch wohl auch
eine oder mehrere Wochen vergehen, ehe der Eiterherd seine vollständige
Ausbildung erreicht hat und den Ausgängen zuschreitet.
Eine Lösung des Abscesses ohne Eiterung ist jedenfalls überaus selten,
fast immer kömmt es zur Suppuration. Diese beginnt, während die
Geschwulst noch wächst, an einem oder an mehreren Punkten, breitet
sich mehr und mehr aus, dringt gegen die Oberfläche und macht sich
daselbst durch Entwickelung eines oder mehrerer Eiterpunkte bemerk-
lich. In der Regel bricht der Eiter durch die äussere Liddecke hindurch,
seltener perforirt er die Fascia tarsoorhitalis oder bohrt nach beiden
Seiten durch.
Nach der Entleerung des Eiters sinkt die Geschwulst zusammen und
die Abscesshöhle heilt in der Regel bald zu, meistens ohne irgend welchen
Schaden zu hinterlassen, selbst wenn der Kreismuskel im Bereiche des
Entzündungsherdes gelitten hätte. In nicht ganz seltenen Fällen nimmt die
Eiterung einen schlimmen Charakter an und führt unter fortschreitender
Schmelzung, namentlich der äusseren Haut, zu beträchtlichen Substanzver-
lusten, deren Folgen ausgebreitete unregelmässige Narben sein können.
Ein ähnlicher Ausgang kann sich übrigens auch noch auf andere
Weise ergeben, wenn nämlich der Abscess sehr spät oder nur zum kleinen
Theile entleert wird und die äussere Liddecke durch fortgesetzte Schmelzung
des Entzündungsproductes in grossem Umfange verdünnt oder an vielen
Orten zugleich durchbohrt wird und nur mehr in Gestalt von unterminirten
Brücken die Abscesshöhle deckt ; oder aber wenn bei hypersthenischem
Charakter der Entzündung der Tumor mit einem grösseren Theile der
äusseren Lidhaut brandig abstirbt. Im Falle der Eiter sich in den Binde-
hautsack entleert, kann es erfahrungsgemäss zu einem partiellen Symble-
l'.cli.ilKlIllli;;. 40o
pharon odcv zur Kntwickcliiiif;: von, den liulhiis voizcufhm, dickrii Narben
der Conjimctiva koinnion.
Die Behandlung hat vorerst den Abscess in seiner Enliciekelung zu
Jiemmen, also den Gowebswucherunf^-sprocess zu beschränken, im Falle aber
sc/joM Eiterung eingetreten ist, die Entleerung ehemöglichst zu bewerkstelligen
und für einen der Functionslüclitigkeit des ]jides erspriessUchen Verheilungs-
modus zu sorgen.
1. Bei phlegmonösem Charakter der Entzündung ist strenge allgemeine
und locale Antiphlogose geboten. In letzterer Beziehung empfehlen sich
vor Eintritt der Eiterung besonders Eisumschläge, nach Massgabe der localen
Temperaturerhöhung gehandhabt. Ihre Wirkung kann im Nothfalle durch
Blutegel, in genügender Anzahl an die Schläfengegend applicirt, unter-
stützt werden.
Wo die Entzündung aber minder stürmisch auftritt und unter weniger
heftigen Symptomen, besonders unter geringerer örtlicher Wärmeentwicke-
lung einherschreitet, dürfte die Bedeckung des Lides mit einem Leinwand-
läppchen oder selbst die Einwirkung von Wärme besser dem Zwecke ent-
sprechen. Zu letzterem Behufe ist die Bedeckung des kranken Lides
durch einen mit Heftpflaster oder mittelst einer Flanellbiude fixirten
Bausch von Watta anzuempfehlen.
2. Zeigt sich an einem Orte bereits Fluctuation, so ist zur Eröffnung der
Eiterhöhle zu schreiten. Der Schnitt muss letztere möglichst weit öffnen,
jedoch immer parallel zum Lidrande ziehen und auch nach Thunlichkeit
tief angelegt werden. ISTachdera sodann die Entleerung des Eiters durch
Ausdrücken bewerkstelligt worden ist , wird eine Charpiewieke in die
Abscesshöhle geführt und der oben erwähnte Verband angelegt. Wo die
Abscesshöhle einen beträchtlichen Umfang ei"reicht hat, ist es nothwendig,
den Verband fester anzuziehen, um die Abscesshöhlenwände in inniger
gegenseitiger Berührung zu ei*halten und die Verklebung derselben zu
begünstigen, die Heilung demnach wesentlich zu beschleunigen. Der Ver-
band ist unter täglicher 1 — 2maliger Erneuerung zu tragen, bis die
Abscesshöhle völlig geschlossen ist und keinen Eiter mehr entleert. Es
versteht sich von selbst, dass der Eiter vor der jedesmaligen Anlegung
des Verbandes zu entleex'en und die Oeffnung zu reinigen ist; ebenso dass,
im Falle die Eröffnung durch einen langen Schnitt geschehen ist, die
Wundränder in eine der gegenseitigen V^erklebuug günstige Lage gebracht
werden müssen, ehe der A^erband appHcirt wird.
3. Hat sich der Abscess bereits spontan eröffnet, ist die Durchbruchs-
öffnung aber eine sehr kleine und wohl auch ungünstig gelegene, so ist es
von Vortheil, dieselbe künstlich zu erweitern. Hat der Eiter sich nach
hinten eine Bahn gebrochen, so ist eine Gegenöffhung in der äusseren Lid-
decke sehr rathsam, um die Entleerung nach aussen durch Einlegung einer
Chai'piewieke sichern zu können. Wo die äussere Liddecke in grossem
Umfange sehr dünn geworden ist und die Absterbung droht, oder wo die-
selbe nur in Form mehrerer Brücken zwischen zerstreuten Durchbruchs-
öffnungen erhalten ist, erscheint die Durchtrennung derselben gei'adezu
geboten, um eine möglichst kleine Narbe zu erzielen.
494 Acne ciliaris: Krankheifsbild : Ursachen.
2. Acne ciliaris, die solitäre Lidrandfinne.
Krankheitsbild. Charakteristisch sind umschriebene Entzündungsherde,
welche die äussere Lidlefze in Gestalt rundlicher abgegrenzter Knoten empor-
treiben und der Regel nach in Eiterung übergehen.
Es sind die Acneknoten an die Existenz von Schmeerdrüsen gebunden,
daher sich dieselben nur an der von Wimpern besetzten äusseren Lidlefze
und in deren allernächster Umgebung finden. Sie sind häufiger am oberen
als an dem unteren Lidrande, da an diesem die Cilien und ihre Talgdrüsen
weniger entwickelt sind. Gewöhnlich ist nur ein einzelner Knoten gegeben;
mitunter entwickeln sich deren jedoch auch mehrere auf einmal an ver-
schiedenen Punkten der Lidränder.
Die ehtzelnen Knoten erreichen in der Regel Erbsenacrösse. Sie lagern
in dem subcutanen Gewebe, hängen jedoch mit der gespannten, oft tief
gerötheten und bisweilen fühlbar heissen äusseren Lidranddecke fest zu-
sammen und lassen sich an dem Tarsus etwas verschieben. An dem abge-
rundeten Gipfel derselben sprossen Wimpern in verschiedener Zahl hervor.
Zwischen den Basen der Cilien ist im Bereiche der Knoten anfänglich blos
eine vermehrte Abschilferung der Oberhaut wahi'zunehmen, oder aber es
zeigen sich daselbst kleine Krusten von vertrockneter Hautschmiere. Später-
hin entwickelt sich auf der Höhe der Geschwulst sehr oft ein Eiteipunkt
oder eine förmliche Pustel, worauf alsbald der Eiter die Epidermis
durchbricht.
Entwickelt sich der Acneknoten sehr rasch, so pflegt sich entzünd-
liches Oedem in grossem Umfange einzustellen, bisweilen schwellen die Lider
sogar ihrer ganzen Ausdehnung nach beträchtlich an, gleichsam als stünde
ein grosser Abscess in Aussicht. In der Regel ist dann auch die Geschwulst
sehr empfindlich gegen äussere Berührung und überaus schmerzhaft.
Ursachen. Die Acne ciliaris kömmt vereinzelt in jedem Lebensalter,
bei beiden Geschlechtem und unter den verschiedensten Lebensverhält-
nissen vor. Sie entwickelt sich meistens , ohne dass sich eine äussere
Ursache dafüi* nachweisen liesse. Li anderen Fällen jedoch sind unzwei-
felhaft gewisse Schädlielikeitsein Wirkungen mechanischer, chemischer oder
physikahscher Xatur die letzte Veranlassung. Besonders zu nennen sind
in Betreff dessen Unreinlichkeit, Schmutz, vieles Reiben und Wischen
der Lider, Ki'ustenbildung und Excoriationen der Lidränder bei Bestand
eines Bindehautkatarrhes u. s. w. Es scheint, als ob der dadurch gesetzte
Reizzustand der äusseren Haut sich mit Vorliebe auf die Schmeerdrüsen
fortpflanzte.
Individuen, welche überhaupt zur Acne sehr geneigt sind, deren
Haut sich sehr fettig anfühlt und von Comedonen reichlich besetzt ist.
werden am häufigsten von der Lidrandfinne betroffen. Namentlich im
jugendlichen Alter, während der Pubertätsperiode, sind derlei Individuen
dem fraglichen Leiden selir stark ausgesetzt, so dass dieselben oft Monate
und Jahre lang damit zu kämpfen haben. Selbst unscheinbare Reizein-
wirkungen, Wind, Rauch, Staub, Aufenthalt in dunstigen Loealitäten, An-
strengung der Augen, ferner Excesse in Venere, im Essen und Trinken,
Vi>i-laiif; Ausfi-änf,'e: Acno inilnnita: Bcliimilliiiif''. 495
auch der (Jcniiss gewisser Speisen und (Jetränke, z. 1{. dos Käses, mit
Essig angesäuerter Gerichte, des Weines u. s. w. führen dann fast regel-
mässig zur Kntwickelung eines oder mehrerer Aeneknoten. Es ist diese
Disposition gleichwie bei der Acne anderer Havitportionen wahrsclunnlich
in abnormer Jicschatfonheit, in zu grosser Consistenz des Drüsensecretes
begründet. Indem festes Secret sich nämlich schwierig nach aussen ent-
k^ert, verstopft sich gerne die Mündung der Drüse, der Schmeer sammelt
sich in letzterer an, dehnt ihre Wandungen aus und wird wohl auch
ranzig, wirkt also als mechanische, und chemische Schädlichkeit; es bedarf
dann nur mehr einer geringen Reizwirkung, um die Entzündung anzufachen.
Verlauf und Ausgänge. Jeder einzelne Aeneknoten entwickelt sich
in acuter Weise, er hat in wenigen Tagen seinen Höhenpunkt erreicht
und schreitet dann rasch seineu Ausgäugen zu. Im Ganzen genommen
ist jedoch das Leiden nicht selten sehr langwierig, indem bei vorhandener
Disposition ein Knoten nach dem anderen aufscliiesst und seine Phasen
durchmacht.
Der Aeneknoten kann in jedem Stadium der Entwickelung zurück-
gehen , auf dem Wege der Resorption wieder verschwinden , ohne dass es
zur Eiterung gekommen wäre. Ausnahmsweise verhärtet er wohl auch
(Acne indurata) und besteht dann durch Monate und Jahre als ein hanf-
korn- bis erbsengrosser abgerundeter härtlicher unschmerzhafter Tumor
fort, welcher in dem Unterhautgewebe lagert und mit der äusseren Haut
des Lidrandes fest zusammenhängt. In der Regel vereitert er und der
l']iter entleert sich entweder durch den Ausführungsgang der Drüse, oder
bahnt sich durch die äussere Liddecke eine Oeffnung, gewöhnlich in der
Umgebung der Haarbalgmüiidung, an der er die Epidermis vorläufig ^Jms-
telartig emporstavTt. Nach der Entleerung des Eiters sinkt der Knoten zu-
sammen und meistens ist nach wenigen Tagen jede Spur desselben ver-
schwunden. Bisweilen bleibt jedoch einige Hypertrophie des subcutanen
Gefüges zurück und, falls sich bei exquisiter Disposition solche Vorgänge
oft und an verschiedenen Stellen der Lidränder entwickeln, können die
letzteren wohl auch ihrer ganzen Ausdehnung nach schwielig verdickt
werden. Uebrigens kömmt es unter solchen Umständen auch gerne in
secundärer Weise zur Blepharitis ciliaris im engeren Wortsinne, da bei
den immer wiederkehrenden Reizzuständen am Ende die Gesammtkeit der
Schmeerdrüsen imd deren Umgebungen in den Process hineingezogen werden.
In seltenen Fällen entwickeln sich an der Stelle der Acnepusteln förmliche
Geschtüüre, welche tiefer nnd tiefer greifen und, wenn sie nach längerem Bestände
verheilen, kleine strahlige Nar))en zurücklassen, die auf die Stellung der Cilien in
sehr missliebiger Weise Einfluss nehmen können. Der Cilienbalg als solcher wird
übrigens in der Regel nicht mitafficirt. Doch sind Vereiterungen desselben mit dau-
erndem Verluste der betreft'oiden Cilie bisweilen Gegenstand der Beobachtnng.
Es ist gut, hier daran zn erinnern, dass secundör syphilifische Knoten an den
Lidrändern vorkommen, welche eine Acneefflorescenz vorspiegeln können und bei
vernachlässigter antisyphilitischer Behandhuig ausgebreitete Substanzverluste durch
allmälige Verschwärnng setzen (S. 486).
Behandlung Diese hat vorerst die etwa vorhandene Disposition zu
tilgen oder wenigstens in ihrer Wirksamkeit abzuschwächen. Ist es aber
bereits zur Entw^ickelung des Processes gekommen, so muss die Gewebs-
loucherung beschränkt und die Entleerung des Productes gefordert wei'den.
49(t i;lL'plKuili> ciliiuis: Kiaiiklioitsliild.
In erstei' Beziehung erscheint neben soi'gfältigster Hintanhaltung der
möglichen Gelegenheitsursachen die sorgfältigste Reinhaltung der Lider von
grösstem Belange. Bei vorhandener Disposition müssen öfters des Tages
die Lidränder mit einem in weiches Wasser getauchten feinen Leinwand-
läppchen abgetupft werden, um Ansammlungen von Secret oder von Epi-
dermisschuppen zu verliindern, da diese die Verstopfung der Follikelmün-
dungen begünstigen können. Auch ist es von Vortheil, von Zeit zu Zeit
die Wimpern durch die Finger zu ziehen, um in Wechsel begriifene lose
Cilien rasch zu entfernen. Des Abends vor dem Schlafengehen ist das
Einstreichen kleiner Uuantitäteu reiner frischer Fette nicht zu versäumen.
(S. 423. 4.)
Entwickelt sich bereits ein Acneknoten^ so werden bei grosser Intensität
der entzündlichen Erscheinungen , bei tiefer Röthe , starker Wärme-
entwickeluug und heftigen Schmerzen kalte Umschläge am meisten ent-
sprechen. In den übrigen Fällen kann man getrost jedes therapeutische
Verfahren unterlassen oder sich auf die Bestreichung des Tumors mit Fett
beschränken und unter Einhaltung einiger Augendiät die Ausgänge ab-
warten. Zeigt sieh bereits der Eiter und fordert die starke Spannung und
Schmerzhaftigkeit des Tumors rasche Abhilfe, so ist ein kleiner Einstich
das beste Mittel. Bei Acne indurata leisten schwache Jodkalisalbeu bis-
weilen Gutes. Bei Verschwärungen finden die bei der ulcerirenden Form
der Blepharitis im Gebrauche stehenden Büttel eine Anwendung.
3. Blepharitis ciliaris, confluirende Lidrandfinne.
Krankheitsbild. Charakteristisch ist die entzündliche Röthung und
Schxuelliing des Lidrandes, besX)nders der äusseren Lidlefze, und deren Be-
kleidung von gelblichen epidermisähnlichen Schuppen oder von mähren Borken,
xvelche die Wimpern hüschelförmig zusammenkleben und der Oberhaut mehr
weniger fest anhängen.
1. Die directen Symptome sind einigermassen wandelbar, je nach dem
Grade, zu welchem sich das Leiden bereits entwickelt hat.
a. Bei der secretorischen Form ist die Schwellung nicht sehr aufTällig,
wohl aber die Röthung des Lidrandes. Die Epidermis erschemt daselbst
ausnehmend dünn, so dass das hyperämirte Corion lebhaft rotli durch-
scheint. Zwischen den Wimpern häufen sich fortwährend dünne epider-
moidale Schüppchen, untermischt mit kleinen Körnei'n vertrockneten Drüsen-
secretes. Zeitweilig zeigen sich wohl auch schon umfang sr eicher e Schwarten
einer fettigen epidei-moidalen Masse, welche die Basen mehrerer Wimpern
umfassen, sich scheidenartig an den Haaren fortsetzen, diese zu Bündeln
vereinigen und nachweisbar im Inneren der Cilienbälge selber wurzeln, aus
diesen hervortreten.
b. Die hypertrophirende Form charakterisirt sich vornehmlich durcli
die beträchtliche Massenzunahme der die äussere Lidlefze constituirenden
Theile, durch Schwellung und A'erdiehtung der äusseren Liddecke und des
die Haardrüsen umgebenden lockeren Gefüges. Es erscheint die äussere Lid-
lefze mit ihrer nächsten Umgebung geröthet, bald gleichmässig, bald
Geschwürige Form. 497
knotig aufgewulstet und abgerundet. Ihr Integument ist sichtlich infiltrirt
und, so lange der entzündliche Process einige Jjebhaftigkeit üusKcrt, sehr
gespannt; späterhin, bei abnehmender Intensität der Entzündung, zeigt
sich die äussere Haut etwas schlaffer, selbst fein runzelig und lässt den
unterlagernden härtlichen oder selbst knorpelharten Wulst deutlich durch-
fühlen. An der Oberfläche findet man ausgebreitete cpidermoidale Schwarten
und Krusten vertrockneten eiterähnlichen Schmeeres, welche die Wimpern
bündelweise zusammenkleben. Sehr häufig stösst man unter diesen Schwarten
und Borken auch auf Sprünge der Epidermis und auf förmliche Excoriationen,
welche gei'ne bluten und sich immer rasch mit frischen Krusten decken.
Auch Eiterpunkte und wahre Acnepusteln schiessen von Zeit zu Zeit an
verschiedenen Punkten des Lidrandes auf. Im Falle sich derlei Eiterherde
fort imd fort in grössei'er Zahl entwickeln, gewinnt das l^eiden allmälig
die Bedeutung der Blepharitis ciliaris ulcerativa.
c. Auch bei der geschwürigen Form der Lidranddrüsenentzündung sind
lebhafte oder dunkle Köthe, Aufwulstung und Verdichtung des Lidrandes,
besonders der äusseren Lefze und deren nächsten Umgebung, constante
Symptome. Die äussere Oberfläche des Randtheiles der Lider erscheint bei
vernachlässigter Reinigung bedeckt von mächtigen gelbbräunlichen Krusten
vertrockneten Eiters, welche von einzelnen sparrig auseinander stehenden
und büschelweise zusammengeklebten Cilien durchbohrt werden und diesen,
sowie der unterlagernden Epidermis stellenweise fest anhaften, stellenweise
aber auch lose autliegeu, indem unter ihnen frischer Eiter, oft mit Blut
gemischt, sich sammelt. Bei reichlicherer Absonderung des Eiters quillt
derselbe oft aus den Sprüngen und Rissen der Borken hervor, besonders
wenn auf die letzteren ein leichter Druck ausgeübt wird. Nach Entfernung
dieser Borken zeigt sich die äussere Lidlefze und deren Nachbarschaft von
einem höchst zarten Oberhäutchen gedeckt, an vielen Stellen jedoch förm-
lich excoriirt und leicht blutend, nicht selten auch von seuchten Sprüngen
gefurcht; hier und da sind Eiterpunkte oder Pusteln zu sehen, während an
anderen zahlreicheren Stellen geschwürige Substanzverluste zum Vorscheine
kommen, welche mehr weniger tief eingreifen, einen oft missfärbigen
dünnen und von Blut gestriemten Eiter absondern, einen ganz unregel-
mässigen fetzigen Grund und derlei Ränder haben, nicht selten von Granu-
lationen überwuchert werden und in der Mitte gewöhnlich von einem oder
mehreren Wimpern durchbohrt sind. Letztere hängen dann öfters nur lose
in dem Balge, lassen sich leicht ausziehen oder fallen von selber aus,
worauf bisweilen sich eine ansehnliche Menge von Eiter aus der Follikel-
höhle entleert. In höhergradigen und besonders länger bestehenden Fällen
sind diese Geschwüre oft so zahlreich, dass sie in grossen Strecken zusam-
menfliessen, während ihr Grund sich immer tiefer in das Gefüge des Lid-
randes einsenkt und die daselbst gelegenen Theile zerstört. Die äussere
Lidlefze erscheint dann wie benagt von ganz unregelmässigen Substanz-
verlusten ; ja bisweilen fehlt sie ganz und an ihrer Stelle zeigt sich eine
Art Furche oder Rinne mit kerbigen befressenen Rändern, aus welcher oft
nur wenige, zum Theile verkümmerte Cilien hervorwachsen und auf deren
Grund oft schon unregelmässige strahlige Narben sich bemerklich machen.
2. Bei mehr acutem Auftreten sowie während den Exacerbationen des
Processes kömmt es sehr oft zur Entwickelung eines Congeslionsödemes.
S t e 1 1 w a g , Augenheilkunde. 3 2
498 Blepharitis cUiaiis ; Krankheitsbild ; Ursachen : Pilzbildungen.
Es beschränkt sich dasselbe sehr häufig auf die der äusseren Lefze nächste
Zone des Lidrandes und lässt den letzteren in Gestalt eines mächtigen,
tief gerötheten Wulstes hervortreten. Oft breitet sich dieses Oedem. jedoch
auch auf das ganze Lid aus und macht dasselbe beträchtlich schwellen.
Dann sind auch Schmerzen mit oder ohne Lichtscheu ein ziemlich gewöhn-
liches Symptom. Vermindert sich die Intensität des Processes, so tritt das
Oedem in der Regel ganz zurück und auch die subjective Seite des Krank-
heitsbildes ist wenig ausgeprägt, es bleibt nur eine ausnehmende Empfi^nd-
lichkeit gegen' jede das Auge treffende reizende Schädlichkeit und ein
Gefühl von Jucken, Brennen, Beissen in den krustenbedeckten und excoriirten
Lidrändern zurück.
Es kommen diese letzteren Erscheinungen jedoch häufig zum nicht
geringen Theile auf die die Blepharitis begleitenden Aff'ectionen. Es ist die
Lidranddrüsenentzündung nämlich in der Hegel mit Bindehautkatarrh ge-
paart; falls sie länger besteht, ist wohl auch das Trachom in allen seinen
Phasen ein häufiger Begleiter. Nicht minder gerne gesellt sich der herpetische
Process hinzu und wird vermöge seiner häufigen Anfälle öfters in hohem
Grade lästig, ja für die Function des Auges gefährlich. Ausserdem werden
auch die Tarsaldrüsen gerne in Mitleidenschaft gezogen. Man findet neben
der Blepharitis ciliaris in vielen Fällen Hordeola oder Hagelkörner.
Bisweilen entwickeln sich auf dem Wege der Gewebswucherung an der
Mündung der Knorpeldrüsen froschlaichähnliche, den trachomatösen ähnliche Körner,
mitunter in so grosser Menge, dass sie sich gegenseitig abplatten und die innere
Lefze knotig erscheinen lassen. Ausnahmsweise tritt wohl auch eine Entzündung
des Thr'dnensackes hinzu.
Die Ursachen sind, dem Wesen des Processes entsprechend, von
denen der Hautfinne überhaupt nicht verschieden. Auch bei der Blepha-
ritis ciliaris ist das Walten einer Disposition mit Grund anzunehmen und
wenigstens theilweise auf abnorme Beschaffenheit des Drüsensecretes zurück-
zuführen.
Als Gelegenheitsursachen gelten wie bei der Acne ciliaris discreta:
Unreinlichkeit, Bauch, Staub, Wind, Anstrengungen der Augen, träger
Cilienwechsel (Stilling) etc. In seltenen Fällen sind Filzläuse oder gemeine
Läuse, welche sich zwischen den Wimpern festgesetzt haben, die nächste
Veranlassung der Blepharitis (Himly, Lawrence, Steffen).
Auch behauptet man das Vorkommen von Pilsen in den Haarbälgen und
glaubt darin ein wichtiges ätiologisches Moment der Blepharitis ciliaris gefunden
zu haben. Es sollen diese Pilze jenen des Favus sehr ähnlich sein. Sie zeigen
jedoch selten mehr als eine 1 — 2malige Verästelung mit langgegliederten Sporen-
trägern. Man fand sie neben dichten Epidermisschollen als eine starre Masse,
welche innerhalb der Wurzelscheide die kurz zugespitzte, nicht angeschwollene
Haarwurzel umgab. Das Haar Hess sich hierbei meistens leicht und schmerzlos
ausziehen. Die dadurch bedingten Blepharitides sollen sich durch die Bildung
zahlreicher kleiner solitärer Knoten im Lidrande auszeichnen , auch sehr hart-
näckig sein, sich immer wiederholen, mit Pustel- und Krustenbildung einhergehen,
endlich zum Schwunde und völligen Verluste der"Cilien, so wie zur Verbildung
des Lidrandes mit Ectropium führen. Sie sollen unzweifelhaft ansteckeiid sein und
sich meistens bei mehreren Gliedern einer und derselben Familie finden (Ellinger).
Neuere darauf gerichtete Untersuchungen haben das Vorhandensein von Pilzen
nicht bestätigt fSchiess-GemuseusJ.
Oft entwickelt sich die Krankheit auch secundär, im Verlaufe von
Bindehautentzündungen, indem bei vorhandener Disposition der Process sich
einerseits direct auf die Liddrüsen fortpflanzen kann, andererseits aber
Verlauf; Ausgänge; Tylosis. 499
auch in der Krustenhüdung an don Miindun<>;en der Haarfollikel anrej^ende
Momente findet. Aussei-dem sind in iUiologischer Hezioliun<? die acuten
Exantheme, namentlich die Blattern, und weiters das Eczem und die Impetigo
von hohem Belange. Falls sich diese Exantheme an den T.,idern in Form
zahlreicher Efflorescenzen localisiren, so bleibt nach Ablauf des ihnen zu
Grunde liegenden Processes nicht selten eine Blepharitis ciliaris zurück,
welche in allen ihren Charakteren mit der Acne ciliaris übereinstimmt
und von dieser weiterhin nicht mehr gesonderli werden kann.
Verlauf. Die Blepharitis ciliaris ist ein entschieden chronisches Leiden,
dessen Verlauf nach Monaten und Jahren zählt. In einzelnen Fällen be-
steht die Blepharitis ciliaris als hahituelles Uebel wohl auch das ganze Leben
hindurch bis in das späte Greisenalter. Es wechseln dabei ganz gewöhn-
lich Exacerbationen mit Remissionen. Die letzteren sind öfters so voll-
ständig, dass während ihrer Dauer von einer Entzibidung eigentlich nicht
die Eede sein kann und nur die etwaigen Folgen der vorausgegangenen
Processe nachweisbar bleiben. Doch genügt die geringste Schädlichkeits-
einwirkung, um die Entzündung wieder hervorzurufen und wochenlang
zu unterhalten. Ziemlich häufig treten diese Exacerbationen sogar ohne
alle eruirbare Gelegenheitsursachen periodisch, zu bestimmten Jahreszeiten,
z. B. im Frühlinge, auf.
Ausgänge. 1. Wenn die Disposition nicht gar zu kräftig ist, oder
im Laufe der Zeit völlig getilgt wird, heilt die Blepharitis ciliaris bei
geeignetem Verhalten des Kranken öfters spontan. 80 sieht man z. B.
gar nicht selten, dass eine im Beginne der Pubertätsperiode zur Ent-
wickelung gekommene Lidranddrüsenentzündung beim Eintritte in das
reifere Alter zurückgeht, ohne dass nur einigermassen entsprechende Mittel
in Anwendung gekommen wären. Wer indessen bestimmte Hoffnungen
auf einen solchen Ausgang setzt, wird sich oft trotz allem Zuwarten
bitter täuschen. Man kann wohl mit Recht behaupten, die Blepharitis
ciliaris erfordere eine sorgfältige therapeutische Behandlung, soll sie sich nicht
gar zu sehr in die Länge ziehen und am Ende unheilbare und höchst
missliche Folgen setzen. Bei gehörigem Heilverfahren und entsprechendem
Verhalten des Kranken ist die absolute oder relative Heilung in der Regel
nicht sehr schwer. Doch sind bei sehr disponirten Individuen die Rtcidiven
nicht selten und in einzelnen Fällen widersteht die Krankheit wohl auch
hartnäckig allen Kurversuchen, oder lässt sich doch nur zeitweise etwas
zurückdrängen.
Der Intensitätsgrad des Processes und die bisherige Dauer des Leidens
sind hierbei von geringerem Belange. Wirklich trotzt bisweilen die secre-
torische Form jeder Therapie oder kehrt immer wieder, wähi-end umgekehrt
lange bestehende und weit vorgeschrittene Fälle von hypertrophirender oder
geschwüriger Blepharitis einem geeigneten Kurverfahren öfters in über-
raschend kurzer Zeit vollkommen weichen. Wohl aber beeinflussen der
Intensitätsgrad des Processes und seine bisherige Dauer in hohem Grade
die möglichen Folgezustände der Krankheit.
2. So kömmt es bei längerer Dauer der Blepharitis ciliaris hypertro-
phica gerne zur schwieligen Verdickung der Lidränder, zur Tylosis oder
Pachyblepharosis. Es nimmt nämlich das die Haardrüsen umgebende Binde-
gewebe in Folge der entzündlichen Wucherung an Masse zu, es verdichtet
32*
500 Blepharitis ciliaris; Ausgänge; Tylosis; Madarosis; Trichiasis; Narben; Ectropium.
sich zugleich und bildet so eine Schwiele, welche den Lidrand in grösserer
oder geringerer Ausdehnung wulstartig auftreibt, die äussere Lidlefze
abrundet oder wohl auch gänzlich verstreicht. Es fühlt sich diese Ge-
schwulst ziemlich hart an, oft ist ihre Consistenz nahezu knorpelartig. Die
Oberfläche ist bald glatt, bald unregelmässig höckerig. Die äussere Liddecke
ist darüber straff gespannt, durch Hj^pertrophie öfters merklich verdichtet
und je nach Umständen blass oder mehr minder geröthet. Vermöge der
Dehnung, welche sie von Seite des unterlagernden, wenig empfindlichen
Tumors erleidet, erscheint die Austrittzone der Wimpern verbreitert und es
hat dann oft den Anschein, als wären neugebildete Haare an ungewöhnlichen
Stellen, besonders an der ganz verzogenen und verstrichenen Lidrandfläche
hervorgewachsen (Distichiasis). Zwischen den Wimpern finden sich meistens
epidermoidale Schuppen und öfters auch derbere Schwarten verhornten
Drüsensecretes, welche einzelne Cilien büschelförmig zusammenleimen.
In dem derben Gefüge der Schwiele sieht man neben ganz unregelmässigen
Balken und Knoten obsoleten Bindegewebes Nester einer krümlichen, fettig sandigen
Masse. Es sind dieses Reste von durch das wuchernde Contentum ausgedehnt
gewesenen \ind nachträglich verödeten Haardrüsen. Ihr Umfang ist bisweilen ein
sehr beträchtlicher. Sie bilden dann gleichsam den Kern einer von merklich dichte-
rem Bindegewebe formirten Geschwulst. Derlei Tumores sind es, welche die
Höckerigkeit der Oberfläche der Lidrands chroiele bedingen. Es ist wahrscheinlich,
dass der Musctilus suhtarsalis in dem tylotischen Lidrande grösstentheils zu Grunde
gehe, atrophire.
3. Häufig werden bei höhergradigen und veralteten Lidranddrüsen-
entzündungen am Ende die Haarbälge selber in Mitleidenschaft gezogen.
Sie verfallen meistens dem Schwunde und gehen völlig zu Grunde. Der
Lidrand erscheint dann streckenweise oder seiner ganzen Ausdehnung nach
kahl (Madarosis j)artialis oder totalis). Mitunter jedoch verkümmern die
Bälge blos und mit ihnen die Wimpern, es nehmen die letzteren die
Charaktere der Wollhaare an, werden dünn und pigmentlos, spalten sich
bisweilen schon an der Zwiebel, so dass zwei und mehrere aus Einem
Balge hervorgehen, krümmen sich nach verscliiedenen Kichtungen, stülpen
sich theilweise nach einwärts und kommen mit der Hornhaut in Berührung
(Trichiasis).
4. Die geschwürige Form der Blepharitis ciliaris führt mitunter auch
zur Tylosis, häufiger aber zur Madarosis und Trichiasis. Ueberdies sind
bei ihr noch die Narben sehr zu fürchten, welche die einzelnen Geschwüre
zurücklassen. Sie sind nämlich immer strahlig, ziehen sich ganz unregel-
mässig zusammen und geben den nachbarlichen Wimpern falsche Richtun-
gen, biegen dieselben bisweilen unglücklicher Weise nach einwärts und
begründen so leicht höchst fatale Zufälle.
5. In Fällen von sehr lange bestehender, besonders ulceröser Blepha-
ritis ciliaris wird übrigens nicht blos der Lidrand verbildet, sondern es
verkürzt sich häufig auch die äussere Lidhaut, indem dieselbe einerseits
an dem entzündlichen Processe directen Antheil nimmt, anderseits aber von
den wegen mangelhafter Leitung fortwährend überströmenden Thränen in
einem L'ritationszustand erhalten wird und schliesslich schrumpft. Die Folge
dessen ist, dass die dem Lidrande nächste Zone der Tarsalbindehaut über
den Knorpelrand nach aussen umgeschlagen und als ein tief rother, meistens
sammtähnlich rauher Saum von einer oder mehreren Linien Breite am Lid-
rande sichtbar wird. Die innere Lidlefze ist dann samrat den Thränen-
Heh;ui(lliiiif,'; Verhütung der Kriistenbilduiif;. 501
Wärzchen an die äussere Fläche der Lider g;erückt und von der äusseren,
mit wenigen sparrigen Wimpern besetzten Lefze nicht mehr zu unter-
scheiden. Beide fallen in eine einzige, etwas uurcgehnässige Linie zu-
sammen, welche von der Gi'enze der äusseren Liddecke gebildet wird.
Behandlung. Deren Aufgaben zielen erstens auf Beseitigung uvd
Femhaltung aller Schädlichkeiten, welche den Process anzuregen und zu
unterhalten vermögen, insbesondere auf Beseitigung aller Hindernisse, welche
sich der Ausscheidung des Drüsensecretes etwa entgegenstellen; zweitens auf
directe Bekämpfung der Gewebswucherung und eventuel auf Modification der
einer Verheilung ungünstigen Productqnalität ; drittens auf Förderung der
regressiven Metamorphose und der Aufsaugung jener neugebildeten Elemente,
welche, in der Höhergestaltung begritfen, eine degenerative Hypertrophie
des Lidrandes drohen.
1. Die Causalindication fordert in erster Linie eine entsprechende
Augendiät. Ohne diese schlägt in der Regel jede Therapie fehl.
Bisweilen sind bei hartnäckiger veralteter Lidranddrüsenentzündung, beson-
ders bei Individuen mit sehr zarter Haut und erethischem Nervensysteme, Fluss-
bäder und mehr noch Seebäder von günstiger Wirkung. Nicht minder sollen
Waschungen mit einer schwachen Kochsalzlösung, etwa ein Caffeelöffel voll auf ein
Glas Wasser, heilkräftig sein (Mooren). Auch Dampfbäder werden von mancher
Seite behufs der Tilgung der Disposition gerühmt.
2. Eine zweite, ganz unerlässliche Bedingung für therapeutische Erfolge
ist die Fernhaltung vertrocknender Drüsensecrete von den Lidrändern und die
Verhinderung von Excoriationen.
a. Sobald sich an einer Stelle des Lidrandes epidermoidale Schüppchen
oder Schwarten oder förmliche Krusten zeigen, müssen sie sogleich voll-
ständig entfernt werden. Doch darf dieses ja nicht durch Eeiben der
Lider geschehen, wozu der Kranke durch juckende Gefühle nur zu leicht
verleitet wird, da sonst sehr leicht Excoriationen gesetzt werden, welche
sich rasch mit Lymphe überziehen, die ihrerseits wieder zu Borken ver-
trocknet und die Ungunst der Verhältnisse steigert. Es müssen die aus-
gedörrten Drüsensecrete vielmehr vorerst völlig aufgeweicht iverden, Avorauf
man sie ohne Gefahr der Excoriation durch vorsichtiges Abtupfen mit
feiner Charpie leicht zum grössten Theile entfernen kann. Der Rest wird
am besten mittelst eines steifen Pinsels oder dadurch beseitiget, dass man
die Cilien, au welchen die aufgehäuften Krüstchen haften, bündelweise
zwischen dem Daumen und dem Zeigefinger durchzieht. Man thut dabei
wohl, die Wimpern etwas fester zu fassen und einen leichten Zug auf die-
selben auszuüben, um etwa loffe gewordene Haare, welche noch im Balge
stecken, fortzuschaffen, da sie einerseits gleich fremden Körpern reizen,
andererseits aber auch durch Verengerung der Balgmündung die Aus-
scheidung des Drüsensecretes erschweren und dadurch schädlich werden.
Besonders thut eine solche vorsichtige Reinigung der Lidräuder Noth
nach dem nächtlichen Schlafe. Bei unzulänglicher therapeutischer Vorsorge
sammeln sich nicht selten massenhafte Krusten und verkleben die Lid-
spalte vollständig. Aber auch bei Tage, während dem Wachsein des
Kranken , sind Reinigungen nothwendig ; sie müssen so oft wiederholt
werden, als sich eben vertrocknete Secrete an den Lidrändern zeigen.
Zum Aufweichen der Krusten kann ganz gut reines, am besten laues
Wasser in Gestalt von Eomentirungen mit feinen sauberen Leinwand-
502 Blepharitis eiliaris; Behandlung; Beizende Mittel.
läppchen verwendet werden. Doch muss das Wasser möglichst arm an
Sahen sein, daher sich denn auch destillirtes Wasser empfiehlt.
Von vielen Seiten wird zu diesem Behufe der Gebrauch lauer Absude von
Eihischwurzeln, von Käsepapein etc. angerathen. Nicht minder werden Cataplasmen
von in Wasser gekochtem Reis , von in Malventhee gekochtem Leinsamenmehl
gerühmt. Von Einzelnen werden mehrmal des Tages wiederholte Applicationen
lauer, mit etwas Bleizuckerlösung versetzter Cataplasmen sogar für ein directes
sehr wirksames Mittel gegen hartnäckige Blepharitis eiliaris gehalten (Mooren).
Manche bestreichen den Lidrand mit lauer Milch, in welcher ein Stückchen Butter
gelöst wurde und bähen sodann die Theile mit lauem Wasser, bis der Zweck
erreicht ist.
6. Nachdem das Drüsenseeret fortgeschafft und auch das letzte Schüppchen
zwischen den Basen der Wimpern beseitigt, überdies aber der Lidrand
durch sanftes A-btupfen mit feinster Charpie abgetrocknet worden ist, muss
durch Einstreichen reinen frischen Fettes oder einer ganz schwachen gelben
Quecksilberoxydsalbe (^o — 1 Grau auf die Drachme des Vehikels S. 45)
die neuerliche Bildung von Ki'usten verhütet oder doch erschwert werden.
Besonders wichtig ist das Einsalben der wohl gereinigten Lidränder
vor dem abendlichen Schlafengehen, da während der nächtlichen Ruhe
die Borken sich zu häufen Gelegenheit haben. In leichten Fällen genügt
dies Verfahren oftmals, um binnen kurzem zum Ziele zu gelangen.
3. Bei der hypertrophirenden und geschwürigen Form der Blepharitis
eiliaris sind stärker reizende Mittel nothwendig. Am meisten empfiehlt
sich wieder die gelbe Quecksilberoxydsalbe, 1 — 2 Gran auf die Drachme
des Vehikels, des Morgens und Abends eingestrichen.
Weniger verlässlich ist die seit langem beliebte Scarpa'sche Salbe: Rp. Merc.
praec. rubr. , Extract. Saturni aa gr. IV2; Ungt. simpl. dr. 2. Mise, exactiss. F.
ungt. — Auch der weisse Präcipitat ist von jeher sehr beliebt zu gr. 4 — 6 ad drachm.
2. ungt. simpl. Weniger häufig gebraucht wird das Zinkoxyd, der calcinirte Alaun
u. s. w. in Salbenform. Doch ist das erstere in unreineju Zustande ein Constituens
der vielfach gerühmten Janin'schen Salbe: Rp. Tutiae praep., Boli armen, aa. dr. 1,
Merc. praec. albi dr. V2, Ungt. simpl. dr. 2. M. D. S. Sie wird besonders bei älteren
Individuen und inveterirtem Uebel empfohlen.
Es ist bei der Anwendung dieser Mittel dafür zu sorgen, dass die
Salbe auch wirklich die Lidrandoberfläche und die Follikelöffnungen unmittel-
bar berühre ; daher der Pinsel zwischen die Basen der Cilien hineingelenkt
wei'den muss. Die auf die Application folgende Reizung fordert nur dann,
wenn sie eine beträchtliche Höhe erreicht, Gegenmittel, insbesondere die
Anwendung einiger kalter Ueberschläge. Genügen diese nicht, um den
künstlich erzeugten Irritationszustand rasch zu beseitigen, halten die
Schmerzen trotz ihnen Stunden lang an, 'bleibt überdies eine sehr inten-
sive Injectionsröthe zurück, oder schwillt gar der Lidrand bedeutend auf:
so ist es gut, zu schwächeren Salben überzugehen.
Wenn die Salben wenig wirken oder nicht vertragen werden, leisten
selbst in sehr hartnäckigen und veralteten Fällen starke Höllensteinlösungen,
20 — 30 Gran auf die Unze Wasser, öfters vortreffliche Dienste. Es werden
dieselben einmal des Tages mittelst eines Malerpinsels bei geschlossener
Lidspalte auf die wohl gereinigten Lidränder aufgetragen und sodann der
Ueberschuss mit Wasser abgeschwemmt. Soll das Mittel seinem Zwecke
entsprechen, so muss es gleich den Salben vornehmlich auf die Mündungen
der Haarbälge und auf etwa excoriirte Stellen wirken, der Pinsel also
sorglich zwischen die einzelnen Cilien hinein geleitet werden. Statt dem
Aetzungen; Depilation. 503
Höllensteine kann auch das Kupfervitriol benützt werden. Beptreichungen
des o-eschwürigcn Lidrandos mit oincin breitHächigeu Krystalle sollen in
Verbindung mit lauwarmen Cataplasmeu mitunter Vortreffliches leisten
(Mooren).
Eiterpunkte und Pusteln sind vor der Anwendung der Ileizmittel durch
das Messer oder durch Druck zu entleeren, also in offene Eiterherde umzu-
wandeln.
Bei Geschwüren, einzeln stehenden und zusammenfliessenden, wenn ihr
Grund sehr befressen und die Absonderung von üblei^ Beschaffenheit ist,
besonders aber, wenn sie stark granuliren, thut man wohl, zum mitigirtai
Höllensteine zu greifen und mit dem fein zugespitzten Stifte die geschwüri-
gen Stellen nachdrücklich zu ätzen. Wendet sich der Zustand zum Besseren,
so ist zu den Bestreichungen mit starken Lösungen und weiterhin zu den
Salben überzugehen.
Manche empfehlen, vor den Aetzungen mit Höllenstein alle Cilien auszu-
reissen (Quadri). Falls Pilzhildungen an der Haarwurzel den entzündlichen Process
unterhalten, kann fortgesetzte Depilation in der Tliat von Vortheil sein, sonst ist
sie mmAesiQus überflüssig . In einzelnen Fällen wurde bei sehr hartnäckiger Blepharitis
dadurch Heilung oder Besserung erzielt, dass man die Lidhaut läiigs der äusseren
Lefze durchschnitt und so die Wimpernbälge zur Verödung zu bringen suchte
(Stavenhagen). In einem Falle von eingewurzelter, seit vielen Jahren bestehender
und allen Mitteln trotzender Blepharitis ciliaris, welche bereits zu narbigknotiger
Verbildung des Lidrandes und zur Verödung der meisten Cilien geführt hatte,
wurde durch Abtragung des Haarhodens nach der bei Trichiasis üblichen Weise
rasch Heilung erzielt.
Früher wurde bei der Blepharitis ulcerosa dem loeissen Präcipitate in Salben-
form eine ganz besondere Wirksamkeit beigemessen und derselbe entweder rein,
zu gr. 4 — 6 auf dr. 2 ungt., oder in Verbindung mit Tlieer. (Rp. Merc. praec. alb.
gr. 4—6, Picis liquid, scrup. 1, Uugt. simpl. dr. 1. M. D.) täglich 2 — 3 Mal auf die
Lidränder aufgestrichen. Es hat dieses Mittel jedoch sicherlich nichts vor der
gelben Quecksilberoxydsalbe voraus. Auch scheinen Bepinselungen der Geschwüre
mit Jodtinctur den ihuen beigemessenen Vorzug nicht zu verdienen.
4. Verläuft die Blepharitis neben einem Bindehautkatarrhe, so müssen
ausser den Salben u. s. w. die der letzteren Krankheit entsprechenden
Mittel augewendet werden. Besonders zu achten hat man bei länger
bestehender Blephaiütis auf etwaige Lockerungen oder Rauhigkeiten deT Binde-
haut. Diese fordern unbedingt Aetzungen der Conjunctiva nach der bei
Trachom üblichen Weise, widrigenfalls auch die Blepharitis allen Heil-
mitteln hartnäckigen Widerstand zu leisten pflegt.
5. Bei Tylosis höheren Grades, wie selbe nicht selten nach veralteter
Blepharitis hypertrophica zurückbleibt, wurden in einzelnen Fällen ganz
ausgezeichnete Resultate dadurch erzielt, dass in starke Höllensteinlösungen
getauchte Chaijnehäusche mittelst einer Flanellbinde über den geschlosseneu
Lideni. befestigt und durch 8 — 14 Tage getragen wurden.
Einige Autoren empfehlen mit Lapis infernalis in Substanz einen Aetzschorf
in der den Wulst deckenden Lidhaut zu erzeugen und sämmtliche Cilien auszu-
reissen. Andere erwarten von der Anwendung von Kataplasmen in Verbindung mit
Jod- oder Mercurialsalben Heilung. Auch werden Einstreichungen einer Salbe aus
Deuterojoduret. Hydrarg. 1/3 — ^/2 gr. ad. dr. 1 ungt. empfohlen.
G. Die Madarosis ist unheilbar. Sie bedingt die Nothwendigkeit, die
der Wimpern beraubten Augen durch Staubbrillen, Schutzbrillen u. s. w.
vor äusseren Schädlichkeiten zu bewahren.
504 Blepharitis tarsalis; Kranklieitel)ild; Ursaolien.
Quellen: Hivily, Krankheiten u. Missbildungen etc. I. Berlin. 1843. S. 241,
244. — Steffen, kl. Mntbl. 1866. S. 43. — Lawrence, Mackenzie, Traite d. mal. d.
yeux, traduit p. Warlomont et Testelin. I. Paris. 1856. S. 322. — Quadri, ibid.
S. 200. — Ellinge?; Virchow's Archiv. 23. Bd. S. 449. — Schiess- Gemuseus, ibid.
27. Bd. S. 132. — Arlt, Die Krankheiten des Auges. III. Prag. 1856. S. 351,
355. — Stilling, kl. Mouatbl. 1869, S. 198. — Sämisch, ibid. S. 339. — Mooren,
Ophth. Beob. S. 45, — Stavenhagen, kl. Beob. S. 21.
4. Blepharitis tarsalis, Hordeolum, Gersteukorn.
Krankheitsbild. Das Gerstenkorn ist eine unter entzündlichen Er-
scheinungen zu Stande kommende, von eiterähnlichem Producte gefüllte Knorpel-
drüsen geschwuUt, welche in der Dicke des Lides selber festsitzt, über welcher
daher die äussere Liddecke sich deutlich verschieben lässt.
Die Geschwulst wechselt von Hanfkorn- bis Bohnengrösse. Sie ist in
der Regel rundlich oder oval, zeigt eine ziemlich glatte Oberfläche, besitzt
eine gewisse Elasticität und ist hart anzufühlen. Man kann sie leicht zur
Wahrnehmung bringen, wenn man mit dem Finger sanft über die Fläche
des Lides streicht.
Aeussere Hordeola pflegen übrigens die Lidhaut so stark nach aussen
zu bauchen, dass man sie schon yon weitem als Erhabenheiten erkennen
kann. An der inneren Lidfläche sind dieselben jedoch schwerer zu bemerken
wegen der Dicke des zwischenlagernden Knorpels. Erst wenn das Lid
umgestülpt und der Knoi'pel mit der Bindehaut stark gespannt wird, tritt
die Geschwulst etwas nach innen hervor und das eiterähnUche Contentum
derselben scheint leicht dux'ch, einen graulichen oder gelblichen ver-
waschenen Fleck bildend, welcher sich von der umgebenden, tief gerötheten
und bisweilen schon granulirten Bindehaut deutlich abhebt.
Innere Hordeola hingegen ragen nur bei beträchtlicher Grösse nach
aussen vor, während sie an der inneren Knorpelfläche sehr deutlich durch-
schimmern und an der eitergelben Farbe sehr leicht erkannt werden. Bei
umgestülptem Lide bauchen sie die Lidbindehaut mitunter als flache eiter-
gelbe dünnwandige Blasen von rundlicher, ovaler oder gar flaschenförmiger
Gestalt nach innen.
Gerstenkörner, welche sich in dem ausserhalb des Knorpels gelegenen
Theile der Drüse entwickeln, treiben den anliegenden Theil der freien Lid-
randfläche und der Conjunctiva mit dem zwischenlagernden Stücke der
inneren Lefze buckelähnlich auf, während die äussere Lidlefze ihre normale
Gestalt, Lage und meistens auch ihre Yerscliieblichkeit behält , wodurch
sich das randständige Hordeolum von der solitären Lidrandfinne unterscheidet.
Auf der Höhe des Tumors zeigt sich meistens ein Eiterpunkt, welcher durch
seine helle Farbe stark von der umgebenden Injectionsröthe absticht.
Gewöhnlich entspricht seine Lage der Mündung der erki-ankten Drüse ; er
tritt dann warzenähnlich an der abgestumpften inneren Lefze hervor und
entleert bei einigem Drucke einen Theil des purulenten Inhaltes.
Ursachen. Es sind dieselben, welche der Acne im engeren Wortsinne
zu Grunde liegen ; ist ja doch das Hordeolum nichts anderes, als eine
Finne der Knorpeldrüse. Von hohem praktischen Belange ist die That-
sache, dass sich die Blepharitis tarsalis sehr oft secundär, in Folge der
Verlauf; Ausgänge; Resoriitioii ; Diiichljnii-li. üOO
Fortpflanzung des entzündliclien Processes von der Bindehaut auf den
Knorpel entwickelt, diiss Hordeola sehr häufige Coraplicationen veralteter
Katarrhe, besonders aber inveterirter Trachome sind, und dann nicht selten
in grosser Anzahl auf einmal auftreten, aiich immer wieder recidiviren und
am Ende sehi* viel zw.y Degeneration des Knorpels und zu V^erbildungen der
Jjider beitragen können.
VerlaiLf. Das Gerstenkorn entwickelt sich meistens unter den Er-
scheinungen eines sehr intensiven und auch extensiven Entzündung sprocesses,
oft sogar unter merklichem Fieber; das betreifende Lid mit Einschluss
der Bindehaut röthet sich lebhaft und schwillt so stark an, dass der Drüsen-
tumor völlig verdeckt wird. Gewöhnlich begleiten sehr heftige Schmerzen
den Vorgang, nicht selten auch Lichtscheu und Thränenfluss. Innerhalb
weniger Tage ist der Process der Regel nach an seinem Höhepunkte
angelangt und schreitet dann ebenso rasch seinen Ausgängen zu ; oder es
nehmen blos die entzündlichen Symptome an Litensität ab, schränken sich
auf die nächste Umgebung des betreffenden Acinus ein, das Gerstenkorn
selbst aber wird chronisch, es schleicht nur mehr langsamen Schrittes seinen
Ausgängen zu. Li anderen Fällen kömmt das Hordeolum unter kaum merk-
lichen und auf die unmittelbare Nachbarschaft des Acinus beschränkten
entzündlichen Symptomen zu Stande, es wächst wochenlange und bisweilen
unter auffälligen Exacerbationen und Remissionen des Processes fort, bis es
das Maximum seines Volumens erreicht hat und sich nun allmälig seinen
Ausgängen zuwendet.
Ausgänge. 1 . Das Gerstenkorn wird nicht gar selten auf dem Wege
der Resorption beseitigt. Es geschieht dieses leichter bei rasch entstandenen
und frischen Hordeolis, als im gegentheiligen Falle. Doch werden mit-
unter auch, obwohl sehr langsam, Gerstenkörner aufgesaugt, welche seit
vielen Monaten bestehen und bereits die Eigenschaften eines Chalazion an-
genommen haben,
2. In den meisten Fällen entleert sich das Hordeolum und wird so in
der raschesten Weise der Heilung zugeführt.
Die Entleerung erfolgt öfters durch den Ausführung s gang der Drüse
und zwar entweder spontan, oder unter Beihilfe eines von aussen her auf
den Tumor ausgeübten Druckes. Bei randständigen Gerstenkörnern geschieht
dieses am häufigsten, weniger oft bei inneren oder äusseren Hordeolis, be-
sonders wenn sie weit entfernt von dem Lidrande sitzen.
Fast eben so oft entleert sich der Tumor in den Bindeliautsack,
indem eine Schichte der inneren Abscesswand nach der anderen in den
Entzündungsprocess verwickelt wird, sich auflockert, eiterig schmilzt und
so am Ende ein geschwüriger Durchbruch bewerkstelligt wird. Bei inneren
Hordeolis ist eine solche Perforation in den Conjunctivalsack der gewöhn-
liche Ausgang ; auch randständige Gerstenkörner entleeren sich oft auf diese
Weise. Seltener jedoch wird ein Durchbruch nach innen beobachtet bei
äusseren Hordeolis, indem die Dicke des Knorpels zu grosse Schwierig-
keiten in den Weg stellt. War die Entleerung eine nahezu vollständige, so
schliesst sich die Abscesshölile meistens rasch durch Narbenbildung. In nicht
wenigen Fällen aber gelangt der Process trotz der Entleerung zu keinem
unmittelbaren Abschlüsse, indem die Gewebswucherung in den Wandungen
der Abscesshöhle fortdauert. Doch ist das Product in der Regel nicht
O06 Blepharitis tarsalis; Ausgänge; Durclfbruch.
mehr ausschliesslich eiterig, sondern eine mehr sulzähnliche Masse, welche
die etwas zusammengezogene Höhle ausfüllt und oft auch noch in Gestalt
von Klumpen aus der Durchbruchsöifnung herausragt, derselben das An-
sehen eines hässlichen, dem Chauker nicht unähnlichen, oft tiefen Geschwüres
verleihend. Es ist embryonales Bindegewebe mit neoplastischen Gefässen,
eine im Uebermasse entwickelte Narbenanlage, deren oberflächliche Schichten
meistens noch Eiter produch-eu. Mitunter ist diese jS'eubildung wohl auch
gleich von vorneherein etwas dichter und gefässreicher , sie hat ganz das
Ansehen von Fleischwärzchen, welche die Perforationsöffnung und deren
nächste Umgebung überwuchern, ausnahmsweise sogar mächtige Geschwülste
bilden, welche Wochen und Monate fortbestehen, die Eiterung unterhalten,
zuletzt jedoch schrumpfen und eine kleine sehnige Narbe liinterlassen.
Selten bahnt sich der Eiter nach aussen einen Weg. Bei randständigen
Gerstenkörnern geschieht dieses noch am öftesten, bei inneren kaum jemals,
bei äusseren nur sehr ausnahmsweise. Das Hordeolum externum hat aller-
dings eine ganz gleiche Tendenz sich zu entleeren, und macht dieselbe
auch immer geltend, es dehnt sich in der Richtung gegen die äussere Lid-
decke mehr und melu" aus, indem es eine Schichte nach der anderen in
den Process hineinzieht und zur Schmelzung bringt. In dem Masse aber,
als die Abscesshöhle nach aussen vorschreitet, werden immer wieder neue
Strata entzündlich infiltrirt, verdichtet und so die Eiterhöhle nach aussen
abgeschlossen. Euer und da geschieht es nun allerdings, dass der Eiter Ge-
legenheit findet, sich in das submusculare Gewebe zu diffundiren und dann
resorbirt wii'd. In den allermeisten Fällen jedoch bleibt der Eiter in der
vorhin erwähnten Weise eingekapselt und der Process steht viel früher still,
als der die Perforation vorbereitende Entzündungswall bis an die äussere
Liddecke herangerückt ist.
Von hohem Belange ist in dieser Beziehung sicherlich der Umstand, dass in
dem Augenblicke , als der Abscess den Widerstand des Knorpels überwunden hat
und seiner Ausdehnung nur mehr lockeres Gefüge entgegensteht, der auf dem
Inhalte lastende Druck sohin vermindert wird, auch die Bedingungen für den Aus-
gleich der Störungen, weit günstigere geworden sind.
Sobald dann die Entzündung zurückgeht, verkleinert sich auch die Ge-
schwulst, indem nicht nur der Inhalt des Gerstenkorns, sondern auch die
Wandung desselben auf dem Wege der Resorption eine beträchtliche Ein-
busse erleidet. Es kann sogar die Aufsaugung eine vollständige werden und
in relativ sehr kurzer Zeit den Tumor spurlos beseitigen. Andererseits ge-
schieht es nicht selten, dass über kurz oder lang die Entzündung recidivirt,
das Hordeolum wieder anschwillt, abermals theilweise zurückgeht, um
neuerdings zu wachsen u. s. f., bis endlich nach Monaten der Process in
dieser oder jener Weise zum Abschlüsse gelaugt. In der Regel jedoch wird
unter solchen Verhältnissen das Hordeolum in ein sogenanntes Hagelkorn,
Chalazion, umgewandelt.
3. Das Hagelkorn unterscheidet sich von dem Gerstenkorne nur durch
den Abgang der auf Entzündung hindeutenden Erscheinungen, namentlich
der Hyperämie und Empfindlichkeit; es ist ein Hordeolum, in welchem der
Gewebswucherungsprocess zurückgetreten ist, oder wenigstens sich nicht
mehr deutlich äussert, und welches in gewissem Grade ständig geworden
ist, indem es nur in längeren Zeiträumen auffällige Veränderungen erkennen
Hagelkorn ; Pathologische Anatoinif. 007
und nachweisen lässt. Es resultirt, wie erwähnt wurde, bei weitem am
häuügsten aus äusseren Hordeolis, da bei diesen der Entleerung die grössten
Scliwierig-keiton ent(i;eg-enstehen und da eine vollständige ]i(>sorption übcr-
liaupt nicht inmier leicht gelingt. Unter ungünstigen Verliältnissen kann
jedoch auch ein randständiges und sogar ein inneres Gerstenkorn in ein
Chalazion übergehen. Darnacli wechselt natürlich nicht nur der Sitz, son-
dern auch die äussere Form, unter welcher sich Hagelkörner der Beobach-
tung präsentiren.
Aeussere Hagelkörner erscheinen öfters als länglich ovale Hügel, welche
mit geringer Convexität sich über die vordere Oberfläche des Knorpels er-
heben. In anderen Fällen bilden sie erbsen- und bohnengrosse, meistens
rundliche Geschwülste, welche steil aus der vorderen Wand des Tarsus em-
porsteigen, und auf derselben entweder flach oder mit halsföi'mig einge-
schnürtem Fusse festsitzen. Dadurch, so wie durch die Verschieblichkeit der
über sie hinüberstreichenden äusseren Liddecke unterscheiden sie sich von
Balggeschioülsten, welche sich im subcutanen Gefüge der Lider bisweilen
entwickeln.
Innere Hagelkörner ei'reicheu selten beträchtliche Grössen. Immer sind
sie flach wegen dem Drucke, unter welchem sie von Seite des Lides selber
stehen. Bisweilen findet man innere Chalazien, deren Fuss halsartig abge-
schnürt erscheint, indem die blasige Decke derselben bei der Massenver-
minderung des Inhaltes der Höhle falzartig eingebogen wird.
Randständige Chalazien erreichen selten mehr als Pfefferkorn- oder
kleine Erbseugrösse, sind meistens rundlich, bauchen etwas die Lidrand-
fläche heraus und machen in ihrem Bereiche die abgestumpfte innere Lid-
lefze bogenförmig hervorspringen.
Die Metamorphosen, durch welche das Hordeolum die Bedeutiing eines Hagel-
kornes gewinnt, betreften sowohl die Hülle, als auch den Inhalt des Tumors. Der
Entzündungswall schwillt unter Verminderung der Hyperämie und unter der Resorp-
tion eines Theiles des Entzündungsproductes etwas ab, nimmt aber an Hichfigkeit
beträchtlich zu, und verwandelt sich am Ende in eine Art seimiger Kapsel. Diese
hat eine innere glatte und eine äussere rauhe zottige Oberfläche, durch welche
letztere sie mit den lockergewebten nachbarlichen Schichten innig zusammenhängt.
Bei inneren und bei äusseren Hagelkörnern steht diese sehnige Kapsel am Fusse
des Tumors in Verbindung mit dem Knorpel, sie geht in den letzteren unmittelbar
über und grenzt so ein gewisses Knorpelstück ab , welches nach der betreftenden
Seite hin die Wandung der Höhle ergänzt. Es ist dieses Knorpelstück nicht selten
usurirt und bisweilen so stark verdünnt, dass selbst bei äusseren Hagelkörnern der
Höhleninhalt an der Conjunctiva tarsi graulich oder gelblich durchschimmert.
Bei randständigen Chalazien bildet der Knorpel natürlich keinen Theil der
Kapsel, diese ist ihrer Totalität nach neoplastisch. Sie schliesst den Ausführungs-
gang der betreffenden Tarsaldrüse in sich und kann dessen Ohliteration und Ver-
ödtmg veranlassen. Sitzt das Chalazion nahe an dem inneren Winkel , so kann auf
gleiche Weise wohl auch das Thränenrohr gefährdet werden.
Der Inhalt des Chalazion behält öfters lange Zeit, durch Wochen und
Monate, die Consistenz und das Aussehen des Eiters. Meistens jedoch gewinnt er
mehr und mehr den Charakter des Granulationsgewehes (Virchoiv), er wird zu einer
dicklichen sulzähnlichen durchscheinenden und gemeiniglich blutrünstigen Masse
umgewandelt, welche mehr minder reichlich mit zelligen Elementen gemischt ist.
Am Ende jedoch dickt er sich in der Regel ein zu einer kriimlichen fettig kalkigen
Masse, in der sich meistens in grosser Menge Epithelplatten, seltener umfang-
reichere Concremente finden (Atherom). Es ist diese Eindickuug oft mit beträcht-
licher Volumsabnahme gepaart, das Chalazion sinkt ein und kann wohl auch so
klein werden, dass es nur mehr bei genauerer Untersuchung des Lides zur Wahr-
nehmung kommt, scheinbar also auf dem Wege der Resorption zur Heilung gelangt
508 Blepharitis tarsalis; Behandlung ; Antiphlogosis ; Entleerung.
ist. Nicht immer jedoch geht die Eindickung des Contentums mit einer Grössen-
abnahme des Tumors einher. In dem Masse, als der U7-sprüngliche hihsdt sich ver-
mindert, wird er durch eine seröse Aiis schwitzung ersetzt, die Wände der Höhle
bleiben gespannt. Daher kömmt es , dass man in alten Hagelkörnern als Inhalt der
weiten Höhle nicht selten eine trübe Flüssigkeit gemischt mit einer grossen Menge
von Epithelzellen, freiem Fette, Cholestearinkrystallen und Kalkkörnern trifit.
Mitunter ist der Inhalt wohl gar eine bräunlich gelbe durchscheinende fettige
Flüssigkeit oder Suhe, der Tumor ist zur Cyste, zur Hydatide geworden.
Erwähnenswert!! ist, dass die Höhle alter Chalazien nicht immer eine ein-
fache ist, sondern dass man gar nicht selten im Inneren des Tumors eine Art binde-
gewebigen Fachwerkes mit grösseren und kleineren Cavitäten findet , in welchen
theils limpide Flüssigkeit, theils Reste regressiv metamorphosirten Eiters, oft auch
embryonales Bindegewebe enthalten sind. Es scheint, dass es sich in solchen Fällen
um eine Mehrheit von Chalazien handelt, welche sich in neben einander stehenden
Drüsen oder Acinis einer einzelnen Drüse entwickelt haben und schliesslich zu-
sammengeflossen sind.
Die Behandlung des Gerstenkornes wird von denselben Grundsätzen
geleitet, wie jene eines Abscesses überhaupt. Erste Aufgabe ist, durch Be-
kämpfung des Entzündungsprocesses die Ausbildung des Hordeolum zu hin-
dern oder wenigstens zu beschränken. Zweite Aufgabe ist, den Eiter, so-
bald er sich zeigt, möglichst rasch und vollständig zu entleeren, einerseits
um einen grossen Theil der wuchernden Elemente zu beseitigen, anderer-
seits um durch Verminderung der Spannung den Ausgleich der Störungen
möalichst zu fördern. Bleiben Beste der entzündlichen Producte zurück, so
müssen selbe durch Anregung der Resorptionsthätigkeit, oder falls diese sich
als unzulänglich erweist, auf directem Wege durch das Messer fortgeschafft
werden.
1 . Tritt das Gerstenkorn unter in- und extensiven Entzündungserschei-
nungen auf, so ist neben entsprechender Augendiät locale Antiphlogose, be-
sonders die Kälte am Platze. In den übrigen Fällen dürfen kühle Ueber-
schläge nur spärlich angewendet werden, um Anfällen von Schmerzen, von
Brennen u. s. w. zu begegnen; im Ganzen empfiehlt sich dann mehr ein
exspectatives Verfahren. Wo die entzündlichen Erscheinungen von vorne-
herein wenig ausgeprägt waren oder rasch zurückgingen, die Geschwulst
jedoch langsam fortwächst, ohne dass es zur Eiterung kömmt, also Ver-
härtung droht, ist bisweilen die örtliche Wärmeerhöhung von Vortheil.
2. Zeigt sich ein Eiterpunkt, so soll sogleich die Entleerung des Ab-
scesses angestrebt werden. Wenn sich der Eiter an der Mündung einer
Tarsaldrüse stellt, so genügt öfters ein auf den Tumor ausgeübter Druck,
um den Inhalt der Geschwulst nach Aussen zu fördern. Gelingt dieses
nicht beim ersten Versuche, oder ist die Geschwulst sehr empfindlich, so
dass ein kräftigerer Druck nicht ertragen würde, so kann man unter Fort-
setzung des unter 1 angegebenen Verfahrens einen oder mehrere Tage zu-
warten, wo dann die Entleerung entweder spontan erfolgt, oder doch leicht
bewerkstelligt wird. Bei inneren und äusseren, weit vom Lidrande sitzenden
Hordeolis ist ein Einstich nach Hervortreten eines Eiterpunktes das beste
Mittel, will man den Process rasch zu Ende führen und dem Uebergange
des Gerstenkornes in ein Hagelkorn mit Sicherheit vorbauen.
Es muss dabei wohl erwogen werden, dass bei äusseren Hordeolis das eitrige
Contentum oft spät oder gar nicht an der inneren Lidfläche zur Wahrnehmung
kömmt. Es ist daher gut, nach Beschwichtigung der heftigsten entzündlichen Sym-
ptome den Augendeckel umzustülpen, etwas zu spannen und auf die Mitte der
fühlbaren Geschwulst einzustechen, selbst wenn sich der Eiter für das Gesicht noch
nicht bemei-kbar gemacht hat.
Verfahren bei Chalazien; Ki Öffnung. 509
Meistens erj-fiesst sicli unmittelbar nacli dem Einstiche ein grosser Tlieil des
Eiters und klumpi'i'eii embryonalen Bindegewebes. Ist die Entleerung eine un(je-
nvgende, so fasst man das Lid zu beiden Seiten des Tumors zwischen den Daumen
und Zeigefinger der beiden Hände , zieht es weit vom Bulbus ab und coniprimirt
die Gesehwulst, währeiul man jedoch darauf Acht gibt, dass die Einstichsfitliiung
in den Zwischenraum der auf der Bindehaut lagerndem P'iiiger falle.
Unter allen Verhältnissen nimmt nach erfolgtem Einstiche die Entzündmig
rasch ab, die oft sehr heftigen Schmerzen lassen nach und eine weitere Vergros-
serung des Hordeolum ist kaum mehr zu fürchten. Es ist daher besser, das Hor-
deolum zu früh als zu S2)öf zu eröH'nen und man kann dies bei grösserem Volumen
der Geschwulst ohne weiters auf die Gefahr liin wagen, keine directe Entleerung
zu erzielen.
3. Ist der Durchbrueh bereits erfolgt, so bleibt dem Arzte nur mehr
übrig, die Entleerung zu vervollständigen. Drängen sich aus der Perfora-
tionsöffnung Klumpen der erwähnten sulzähnlichen Masse oder wirkliche
Fleischwärzchen hervor, und lässt sich die Entleerung des Tumoi's durch
Druck nicht erzwingen, indem die Höhle eben von festeren Neubildungen
gefüllt ist : so kann man nach Abtragung der aus der Oeffnung hervorra-
genden Massen mit der Schere zur Aetzung mit Höllenstein in Substanz
schreiten. Der Aetzstift muss tief in die Höhle selber eindringen und un-
mittelbar nach der Cauterisation der Ueberschuss des Mittels mit einem in-
Wasser getauchten Pinsel abgeschwemmt werden. Wachsen dann Gra-
nulationen nach, so genügt meistens die tägliche Bepinselung des Neo-
plasma mit Opiumtinetur, um die Wucherung zu beschränken und am Ende
den Verschluss der Höhle anzubahnen.
4. Bei Chalazien, so alt sie auch seien, soll vorerst immer die Entlee-
rung versucht werden. Zu diesem Ende führt man einen tiefest und genü-
gend langen Schnitt von der inneren Lidfläche aus in die Geschwulst, in-
dem man bei umgestülptem Augendeckel eine Lanzette oder ein Bistouri
senkrecht auf die Lidfläche einstösst und die Wunde in der Richtung des
Lidrandes nach Bedarf erweitert. Nur wenn das Hagelkorn bis sehr nahe
unter die äussere Liddecke hervordringt und diese im Zenithe der Geschwulst
vielleicht gar schon sehr verdünnt ist, ist eine Eröffmmg von Aussen her
vortheilhafter.
Bisweilen gelingt es nach diesem Vorgange schon beim ersten Ver-
suche, das Hagelkorn durch Druck zu entleeren. Es sinkt dann zusammen
und wenige Tage genügen, um es theils durch Schrumpfung der Wan-
dungen, theils durch Resorption unmerklich zu machen. In der Mehrzahl
der Fälle jedoch bleibt die Entleerung eine unvollständige, das Chalazion
nimmt nur bis zu einem gewissen Grade an Volumen ab. Bleibt sehr viel
zurück, sinkt das Chalazion nur sehr wenig ein und ist es überdies von
ziemlich grossem Umfange, so muss die Wundöffnung täglich sondirt werden,
damit sie nicht verwachse. Auch thut man wohl, die innere Wand der
Höhle mit der Sonde mechanisch zu reizen oder, wenn der Schnitt durch
die äussere Haut geführt wurde, eine Charpiewielce einzulegen, um im In-
neren der Geschwulst eine etwas lebhaftere Gewebswucherung hervorzu-
rufen, die Theile zu lockern und zur Entleerung günstig zu stimmen. In
der That reicht bei solchem ^^orgehen oft kurze Zeit hin, iim das Ziel zu
erreichen. In jedem Falle nimmt die Geschwulst, wenn die Wunde sich
nicht wieder schliesst, beträchtlich an Umfang ab und sehr oft Avird sie auf
dem Wege der Resorption und Schrumpfung auf ein kleines Knötchen
510 Bl^jharitis tarsalis; Behandlung; Eesorptionsbefördernde Mittel: Exstiipation des Chalazions.
reducirt, welches den Kranken nicht mehr belästigt und noch weniger ent-
stellt. Freilich bedarf es bei ungenügender Entleerung hierzu öfters
Wochen, oder gar einiger Monate. 3Jan kann indessen diesen Ausgang eini-
germassen beschleunigen, indem man ausser der täglichen Sondirung der
Wunde Salben aus Jodkali gr. 10, aus gelbem Quecksilberoxyde gr. 1 — 2,
aus Deuterojoduretum Hydrarg. gr. Y4 ^^ drach. 1 ungt., täglich 1 — 2
Mal auf die äussere Lidfläche aufstreicht und bei sehr grossen Chalazien
mit weiter Höhlung durch einige Zeit einen Druckverband tragen lässt.
Manche ätzen in hartnäckigen Fällen wohl auch die Innenwand des Tumors
und zerstören etwa vorhandene Querbalken u. s. w., indem sie in Zwischenpausen
von mehreren Tagen zweckmässig zugespitzte Stangen von Höllenstein durch die
Wunde einführen.
In früheren Zeiten hat man öfters versucht, das Hagelkorn auf unblutige
Weise zu entleeren, indem man C'ataplasmen oder reizende Pflaster auf die äussere
Liddecke applicirte , um so eine Schmelzung des Inhaltes und dessen eitrigen
Durchbruch nach aussen zu erzwingen. Manche zogen behufs dessen einen mit
reizenden Salben bestrichenen Seidenfaden durch die Oeschimdst. In der That führen
diese Behandlungsweisen häufig zur Eifermng. Meistens jedoch bleibt die Ent-
leerung eine unvollständige, die totale Schmelzung nimmt Wochen in Anspruch
und am Ende findet man den Tumor in Folge der Wucherung und Massenzunahme
seiner Wandungen vielleicht eben so gross oder grösser, als er gewesen war,
bevor man zur Behandlung geschritten ist.
5. Bei inneren Chalazien genügt das oben geschilderte Verfahren /asi
immer, um den Tumor zu beseitigen; nicht so aber bei äusseren, nament-
lich wenn die Wandungen der Geschwulst im Verhältnisse zur Weite der
Höhlung gar zu dick sind, das Hagelkorn also der Hauptmasse nach aus
derbem Gefüge besteht. In solchen, übrigens seltenen Fällen, oder wenn der
Kranke um jeden Preis wünscht, rasch von dem Uebel befreit zu werden
„. „ und die Eröffnring zu keinem Re-
Fig. 08. , . .
sultate führte, ist die Ausschneidung
der Geschwulst am Platze.
Indem die Operation sehr
schmerzhaft ist , wird sie gerne in
der Narkose ausgeführt. Während ein
Gehilfe den Kopf des Kranken fixirt
und ein anderer sich mit einem in
kaltes Wasser getauchten feinen
Schwämme bereit hält, um die reich-
liche Blutung minder hinderlich zu
machen, wird eine schmale Horn-
platte oder der Zeigefinger des Ope-
rateurs unter das Lid geführt und
dieses mit Hilfe des Daumens stark
gespannt, auf dass der Tumor mög-
lichst hervorspringe. Hierauf wird
mit einem zarten Scalpel über die
grösste Höhe der Geschwulst oder
etwas darunter ein zum Lidrande
paralleler Schnitt bis auf die Ober-
fläche des Tumors geführt. Dieser
Schnitt muss beiderseits den grössten Durchmesser des Fusses des Tumors
um Einiges überragen. Sodann wird die Oberfläche der Geschwulst durch
Ankyloblepharou ; Blepharophimosis ; Pathologie; Krankheitsbild. 511
Präparation der Liddecke und des Muskels blosgelegt , und nun in der
Ebene des Fusses über dem grössten Durehmesser desselben ein Staphijlom-
messer hindurchgestossen (Fig. 58), der Tumor sohin zum grossen Tlieile
von dem Knorpel abgetrennt, mit der Pincette gefasst und mittelst einer
Schere vollends ausgeschnitten. Ein oder zwei Knopfnähte genügen , um
die Hautwunde zu schliessen. Die Nachbehandlung besteht in dem Tragen
eines Druckverbandes, um die Tjidbewegungen unmöglioli zu machen und
den Hautlappen mit der unteren Wundfläche in Berührung zu halten.
Ist die Geschwulst sehr (jross und steigt sie sehr steil aus der Ebene des
Knorpels empor, so kann man an dem Zenithe des Tumors durch zwei Ijocjlc/e
Schnitte wohl auch ein lanzettliches Stück der Liddecke abgrenzen und mit der
Geschwulst exstii-pii-en, um die Präparation der Haut auf ein kleines Terrain zu
beschränken.
Quellen: Virchow, Die krankhaften Geschwülste. I. Berlin 1863. S. 211,
231, 236.
Folgezustände der Blepharitis.
1. Die Verwaclisuug der Lidräader, Aiikyloblepharon, und die
Blepharophiiiiose.
Pathologie und Krankheitsbild. Die normwidrige Verbindung wird
öfters vermittelt durch sehnenähnliche narbige Stränge oder Balken von
wechselnder Breite und Dicke, welche von dem einen Lidrande zu dem
anderen ziehen und je nach ihrer Länge und nach der mehr weniger
schrägen Verlaufsrichtung die Oeffnung der Lidspalte in verschiedenem
Grade beschränken. Es sitzen diese Balken bald an der inneren, bald an
der äusseren Lefze, bald an der Lidrandfläche selbst fest ; übrigens haben
dieselben auch gar nicht selten Ursprungs- und Ansatzpunkte an der
äusseren I^idhaut und an der Conjunctiva palpchrarum; ja bisweilen er-
strecken sich die Wurzeln sogar bis auf die Augapfelbindehaut, in welchem
letzteren Falle eine Combination des Ankyloblepharon mit Symblepharon
gegeben ist.
In der Eegel jedoch wird die Verbindung hergestellt durch ein haut-
artiges Gebilde, welches in einzelnen Fällen die ganze Lidspalte oder den
grössten Theil derselben schliesst, meistens aber blos die äusseren Hälften
der beiden Lidränder in grösserer oder geringerer Ausdehnung mit einander
vereinigt und hur ausnahmsweise vom inneren Canthus ausgeht. Es sind
diese hautartigen Gebilde gewöhnlich überaus zart und dünn, durchschei-
nend, oft auch in ansehnlichem Grade dehnbar und bilden dann gleichsam
eine Fortsetzung der Lidbindehaut. In anderen Fällen sind sie derb, seh-
nenähnlich, wenig nachgiebig, von beträchtlicher Dicke und heften die
beiden Lidrandflächen ihrer ganzen Breite nach so dicht aneinander, dass
die Lidspalte in deren Bereiche sich nur durch eine schmale Furche zwi-
schen den beiden mit Haaren bestandenen äusseren Lefzen beurkundet.
Die Lidränder sowie die Tarsi sind dabei in ihrer horizontalen Aus-
dehnung nicht nothwendig verkürzt und dadurch unterscheidet sich eben die
Verwachsimg oder das Ankyloblepharon von der Blepharophimose oder norm-
widrigen Enge der Lidspalte, bei welcher die beiden wirklichen Canthi an-
512 Ankyloblepharon ; Blepharophimosis ; Ursachen; Behandlang.
einandergerückt erscheinen, wodurch wieder die Oeffmmg der Lidspalte
sehr beschränkt wird.
Es liegt auf der Hand, dass durch das Ankyloblepharon und durch
die Phimose das Gesichtsfeld, besonders bei gewissen Richtungen des Blickes,
eingeengt und beziehungsweise selbst vollständig gedeckt werden könne.
Uebrigens begünstigen gewisse Formen des Ankyloblepharon, nämlich
solche, wo die A'erbindungsstränge an der äusseren Lidhaut haften, und
die Phimose sehr die Einwärtsrollung der Lider und können dadurch im
hohen Grade gefährlich werden.
TTrsachen. Theilweise Verwachsungen der Lidränder durch sehnen-
ähnliche Ball-en kommen immer auf entzündlichem TVege zu Stande. Ihre
gewöhnlichen Veranlassungen sind V'erbreunungen, Anätzuugen, Traumen,
insbesondere aber die Blepharitis ciliaris, wenn sie mit Excoriationen oder
gar mit Geschwürshildung einhergeht und wenn die wunden Stellen der
beiden Lidränder durch Verbände oder durch Lidkrampf u. s. w. in län-
gerer Berührung gehalten werden.
Auch hautähnliche Zwischenstücke können auf diese Weise zu Stande
kommen. Doch sind Ankyloblephara der letzteren Art, besonders wenn die
Verbindung in grösserer Ausdehnung besteht, in der Regel angeboren und
dann sehr oft noch mit anderen Rilduugsfehlern, wie itikrophthalmus etc.
combinirt.
Auch die Phimose ist gewölinlich angeboren, doch kann sich letztere
auch secundär entwickeln in Folge der Schrumpfung der Lider nach hoch-
gradigem Trachome, nach ausgebreiteten Substanzverlusten der Augendeckel,
in Folge phthisischer Verkleinerung des Bulbus und weiters in Folge der
Schrumpfung von Hautnarhen in der Umgebung der Lider.
Behandlung. Sehnige Verbindungsstränge werden am besten mit der
Schere dicht an ihrer Ansatzfläche ausgeschnitten. Ist dieses geschehen,
so muss dafür gesorgt werden, dass die Wundflächen nicht wieder zusammen-
kleben. Zu diesem Behufe ist es gut, die Lider stark abzuziehen, die
Wundflächen gut abzutrocknen und mit Collodium wiederholt zu bestreichen
(Walton). Zur grösseren Sicherheit möge der Kranke im Xothfalle während
der ersten Xacht des Schlafes entbehren, oder falls dieses nicht thunlich
ist, öfters geweckt werden, um die Consolidation etwa schon eingetretener
A'erklebungen zu verhindern.
Wo die Verwachsung bis in den Lidwinkel hineinreicht und durch
ein hautartiges Zwischenstück vermittelt wird, führt die Abtragung des
letzteren meistens nicht zu einem ganz vollständigen Resultate, selbst
wenn die Wundflächen nur eine sehr geringe Breite hätten, da sich die
Wiederverwachsung von dem Wwidwinkel aus nicht ganz verhüten lässt.
Ist vollends die Wundfläche wegen breiten Ansatzes des Zwischenstückes
eine sehr ausgedehnte, so kann der Erfolg der Operation durch Wieder-
verwachsung wohl auch auf XuU reducirt werden. Es ist darum noth-
wendig, die Wundflächen wenigstens im Winkel du^'ch eine Art Trans-
plantation des Bindehautwundsaumes vor Verwachsung zu schützen. Das
hierzu dienliche Verfahren stimmt ganz überein mit dem zweiten Theile
der sogenannten Canthoplastik.
Die Canthoplastik im engeren Wortsinue ist angezeigt, wenn das
ZAvischenstück breit auf den Lidrandflächen aufsitzt und so kurz ist, dass
Canthoplastik ; Anzeigen ; Verfahren ; Symblepharon.
513
ausgezeichnetem
Fiff. 50.
die Lefzen im Vei'wachsungsbezirko oinandor fast unmittelbar berühren.
Weiters ist sie am Platze bei höheren Graden der Ble.pharophiinose,
besonders wenn diese zu missliehcn Folgen zu führen droht oder bereits
geführt hat. In neuerer Zeit endhch wird sie mit ganz
Erfolge vielfach gegen Entropien mit
spastischer Grundlage oder Complication
in Anwendung gebracht.
Bei der Operation hat ein Assistent
den Kopf des Kranken zu flxiren und
gleichzeitig die beiden Lider bei mög-
lichst weiter OefFnung der Lidspalte
zu spannen, während ein anderer
Assistent die Blutstillung übei'nimmt.
Der Operateur fülirt sodann ein 8pitz-
bistouri auf einer Leitsonde hinter den
äusseren Canfhus , sticht in der Nähe
des Orbitalrandes aus und schneidet die
äussere Commissur in der Verläns-ei'una;
der Lidspalte, also horizontal, durch;
oder benützt zu gleichem Zwecke eine
starke verlässliche Schere, deren ein
Blatt hinter, das andere vor der Com-
missur angelegt wird, und welche den
Vortheil bietet, dass mau mittelst eines
einzigen Schlages die erforderliche Wunde zu setzen vermag. Während nun
der erste Assistent die Wunde stark aus einander zerrt, wird (Fig. 59)
der spitze Wundzipfel der Bindehaut durch einen Nahtknopf in den Wund-
winkel der äusseren Lidhaut geheftet und in gleicher Weise der obere und
der untere Schenkel der Wundtiäche je durch ein Heft geschlossen (Rau).
Wenn .sich der Bindehautzipfel in den Wimdwinkel der äusseren Lidhcaut
nicht ohne Gefahr übermässiger Zerrung hineinheften lässt, so kann man sich ganz
gut mit den beiden letzterwähnten Heften, im Nothfalle sogar mit einem derselben,
begnügen. Die Loalösnng des Bindehautzipfels von der Unterlage, oder gar die
Prä^Mvation eines Lappens aus der Sderalhindehaut (Amnion), um sie in den Wnnd-
winkel zu transplantiren, dürfte kaum jemals nothwendig sein, wurde jedoch
empfohlen.
Quellen: Ammon, Zeitschrift f. Ophth. II. S. 140; Angeborene chir. Krankheiten.
Berlin. 1842. Taf. 4; Klin. Darstellungen der Krankheiten und Missbildungen. III.
Berlin. 1841. Taf. 3; Die plastische Chirurgie etc. Berlin. 1842. S. 229, 232. —
Tlimhj, Krankheiten und Missbildungen etc. I. Berlin. 1843. S. 94, 100. — Desmarres,
Traite d. mal. d. yeux. Paris. 1847. S. 29, 36. — Stdlwag, Ophth. II. S. 896, 900.
— Rau, A. f. O. i. 2. S. 173, 182. — Maclcenzie, Traite d. mal. d. yeux. Traduit
p. VVjirlomont et Testelin. II. Paris. 1857. S. 178, 181. — Walton, nach Mackenzie,
1. c. S. 182.
2. Die Verwachsung der Lider mit dem Angapfel, Symblepharon.
Man unterscheidet ein hinteres
Das letztere setzt ein neopla-
Pathologie und Krankheitsbild.
(S. 460) und ein vorderes Symblepharon.
stisches Zwischenstück voraus, welches die Verbindung zwischen den Lidern
und der Bulbusoberfläche vermittelt.
Stew llag , Augenheilkunde. 33
514 Symblepharon; Pathologie: Krankheitshild : Symbl. trabec. membr., carnosum.
Es sind diese Zwischenstücke meistens aus lockerem dehnsamen und
gefässreichen Bindegewebe gebildet, in welchem diclitere sehnenähnliche
Stränge und Blätter in wecliselnder Menge sich verzweigen und so eine
Art Gerüst darstellen. Mitunter übenviegt das sehnige Balkenwerk in
Bezug auf Masse, ja es kommen Fälle vor, wo das Zwischenstück fast ganz
aus solchem derben fibrösen Gefüge zusammengesetzt erscheint.
Es gehen die Verbindungsstücke in der Regel von der inneren Lid-
fläche, seltener von den Lidwinkeln aus. Letzteren Zustand hat man Syn-
canthus externus und internus genannt (Ammon). Sie streichen von da
schräge zum Bulbus hinüber und setzen sich auf der vorderen Scleralfläche,
oder auf der Cornea, oder auf beiden diesen Organen fest. Am Ursprung
und Ansätze erscheinen sie in der Regel liächenartig ausgebreitet. Oft
haben sie strangförmige Fortsätze, welche nach vei'schiedenen Richtungen
hin auf grosse Distanzen verfolgt werden können.
Es wurzeln diese Neubildungeu zum grössten Theile in der Suhinucosa und
in der Bindehaut, daher diese letztere bei Spannung des Verbindungsstückes ge-
wöhnlich strahlig gefaltet oder wohl gar in Form eines Kegels abgezogen wird.
Einzelne derbe sehnige Stränge haften jedoch in den meisten Fällen am Knovjpel
und an der Scfera fest. Beim Syncanthus internus sind die Carunkel und die halb-
mondförmige Falte fast immer zum grössten Theile oder ganz in der Neubildung
untergegangen und die sehnigen Balken des Verbindungsstückes setzen sich nicht
nur auf die Commissur, sondern auch auf die tiefer gelegenen Äponeurosen und
die Periorbita etc. fort.
Der äusseren Gestalt nach ähneln die Verbindungsstücke öfters Strängen
oder Bändern, welche brückenartig von einem Punkte der inneren Lidfläche
zum Bulbus hinüber gespannt sind. In anderen Fällen sind sie membran-
artig und streichen entweder flach von der Lidrandfläche zum Bulbus hin-
über, oder sie gehen von der Lidbindehaut aus und zeigen sich dann erst
bei der Abziehung des Lides in der Form von Scheidewänden, welche
die betreffende Hälfte des Conjunctivalsackes in taschenartige Abtheilungen
sondern. In der Mehrzahl der Fälle haben die Vei-bindungsstücke mehr
Körper und stellen fleischähnliche Gebilde dar, welche grössere Partien der
inneren Lidfläche und der Bulbusvorderfläche mit ihren Ausätzen decken.
Man pflegt diese Form Symblepharon carnosum zu nennen, zum Unterschiede
vom Symblepharon membranosum und trabeculare.
Ein Symblepharon totale im engeren Wortsinne gibt es kaum ; es
scheint, als ob die aus der Thränendrüse kommende Feuchtigkeit Verwach-
sungen der oberen Hälfte des Bindehautsackes theilweise zu verhindern im
Stande wäre. Gänzliche Verwachsungen der unteren Bindehautsackhälfte sind
jedoch nichts seltenes.
Das Symblepharon ist sehr häufig der Functionstüchtigkeit des Auges
durch Ueberhäutung der Cornea hinderlich, oder vernichtet sie ganz. Ausser-
dem schliesst es in jedem Falle insoferne Gefahren in sich, als die Ver-
bindungsstücke bei den Bewegungen des Augapfels gespannt werden und einen
Zug auf die angrenzenden Bindehauttheile ausüben, welcher Zug gerne
die Veranlassung für andauernde Reizzustände wird. Endlich bedingen sie nicht
gar selten Slellungsveränderungen der Lider, besonders Ectropien, welche ent-
weder ständig sind, oder nur zeitweise in Folge gewisser Axenrichtungen des
Augapfels auftreten und immer wieder einer künstlichen Reposition bedürfen.
Ursachen. Die Veranlassung des Symblepharon ist in der bei weitem
grössten Mehrzahl der Fälle eine Verschorfung der Bindehaut durch Einwir-
Ursachen; Behandlung; Prophylaxis. öl5
knnp; sehr hoher Hitzegrade oder chemisch ätzender Substanzen. Es sind diese
Verschorfungeu meistens das Werk des Zufalles und werden bedingt : durch
Feuerbrände oder Stücke glühenden Metalles, welche das geöffnete Auge
treffen; durch in der Nähe des Gesichtes explodirendes Schiesspulver; durch
siedende Flüssigkeiten, geschmolzene Metalle, in Löschung begriffenen Aetz-
kalk, durch Schwefelsäure u. s. w., welche in das Auge spritzen, oder
massenweise über dasselbe ergossen werden.
Am verderblichsten erweisen sich die ätzenden Alkalien und die Säuren, da
sie sicli in den Thränen diti'undiren vind sehr ausgebreitete Verwjichsnngen zu
bedingen pflegen, während Feuerbrände, geschmolzene Metalle u. dgl. ihre Wirkung
meistens auf den Lids23aUentheil beschränken und jedenfalls nicht weit über den
Ort der Berührung ausdehnen. Bei Kalkverhrennungen kömmt noch der Umstand
in Rechnung, dass Theile des ätzenden Stoffes tief in die Gewebe eindringen und
hier Incrustationen setzen fGouveaJ.
Mitunter jedoch sind unvorsichtige Cauterisationea mit Höllenstein etc.
der letzte Grund eines Symblepharon. Ausnahmsweise können auch mecha-
nische Verletzungen der Bindehaut zu Verwachsungen führen.
Die Verwachsung wird fast immer durch Granulationen vermittelt,
welche auf dem Boden der Substanzverluste emporkeimen. Es ist klar,
dass solche Verwachsungen am leichtesten zu Stande kommen, wenn zwei
einander gegenüberliegende Stellen des Bindehautsackes gleichzeitig verschorft
werden, wie das fast immer der Fall ist, wenn ätzende Flüssigkeiten u. s. w.
in den Bindehautsack gelangen. Eine unerlässliche Bedingung für das Zustande-
kommen des S3nnblepharon ist jedoch die Verschorfung zweier einander
gegenüber lagernder Bindehautstellen wahrscheinlich nicht; vielmehr dürfte
mitunter auch die Berührung einer gesunden Conjunctivalportion mit Gra-
nulationen die Verwachsung ermöglichen. Die Zwischenstücke werden immer
erst nachträglich durch die Bewegungen des Augapfels und durch die daherige
Zerrung der verwachsenen Theile erzeugt.
Die Behandlung hat, so lange es Zeit ist, die Entwickelung des
Symblepharon zu verhüten ; ist dieses aber bereits zu Stande gekommen, so
muss das Zwischenstück beseitiget und die Wiederverwachsung geliindert,
oder doch auf ein Kleinstes beschränkt werden.
1. In erster Beziehung wird es manchmal nothwendig sein, der fortgesetzten
Einwirkung eines chemischen Stoffes nicht nur durch thunlichste Reinigung des
Bindehautsackes, sondern auch durch directe Antidota entgegenzutreten. Es gilt
dies besonders von Kalkverbrennungen, bei welchen sich übrigens nicht sowohl
Säuren, als vielmehr Zuckerlösungen als die besten Gegenmittel erwiesen haben
sollen (Laioson, Geissler).
2. Falls die Verwachsung nur innerhalb einer sehr umschränkten und dem
Lidrande nahen Stelle droht, so wird es öfters genügen, wenn der Kranke thunlichst
oft stark excursive Bewegungen des Bulbus ausführt und wenn in kurzen Zwischen-
pausen, etwa von einer halben Stunde, der betreifende Augendeckel vom Bulbus
abgezogen wird, überdies aber die granulirenden Flächen melirmals des Tages mit
mitigirtem Höllensteine leicht bestrichen werden, um feine Schorfe zu erzeugen, welche
die Verwachsung für eine gewisse Zeit wirksam hintanhalten.
Falls die Verwachsung aber einen Theil der U eb er gangs falte bedroht, darf
man von diesem Verfahren nur wenig erwarten; am allericenigsten, wenn die beiden
Wundflächen im Grunde der Falte zusammenßiessen. Die Verschiebungen der beiden
Platten des Uebergangstheiles sind nämlich sehr gering oder Null, die Wund-
flächen daselbst also in beständiger Berührung. Zum Glücke haben engumgrenzte
Verwachsungen an dieser Stelle keine sehr erheblichen Schäden im Gefolge, recht-
fertigen demnach auch kaum sehr eingreifende therapeutische Massregeln irgend
welcher Art.
33*
516 Symblepharon ; Behandlung ; Prophylaxis : Operative Verfahren.
Hat die Verschorfung einen nnr einigermassen grösseren Umfang, so
ist es seil!' rathsam, den betreffenden Augendeckel umzustülpen nud in dieser
Stellung his zur Ueberhäutung der Wunde zu erhalten. Das obere Lid bietet
in dieser Hinsicht keine sehr grossen Schwierigkeiten, indem meistens die
entzündliche Schwellung hinreicht, um das Lid jiach seiner Umstülpung
unter Beihilfe eines Schutzverbandes zu fixiren. Anders ist es aber beim
unteren Lide, dieses ist nur sehr schwer umgestülpt zu erhalten. In An-
betracht der grossen Gefahr, in welcher die Functionstüchtigkeit des Auges
schwebt, darf man sich daher wohl nicht scheuen, die äussere Commissur
durchzuschneiden. Es sinkt dann das untere Lid herab und lässt sich leicht
in der zum Heilzwecke erforderlichen Lage festhalten. Die spätere Her-
stellung des normalen Standes unterliegt keinen Schwierigkeiten.
Am meisten wird dieses Verfahren nützen bei Verschorfungen, welche
nicht bis in die Uebergangsfalte reichen. Im gegentheiligen Falle bleibt der
Erfolg immer ein unvollständiger, trotzdem aber gewiss nicht gering zu
schätzender. Bei Verschorfungen der dem inneren Winkel nahen Theile
dürfte die Therapie nur selten, wenn jemals, sich sehr erheblicher Erfolge
zu rühmen haben.
Die Einlegung von nach Art künstlicher Angen gestalteten Wachsplatten,
Bleischeiben n. s. w. in den Bindehantsack mag mitunter Einiges geleistet haben.
Verlassen darf man sich darauf kaum, aiich wenn dieselben von dem meistens sehr
empfindlichen Auge vertragen würden (Himly). Noch weniger ist zu halten von
dem Einlegen eines Eihäutchens, von Einträufelungen starker Höllensteinlösungen
des Glycerins u. s. w.
3. Beim entwickelten Symblepharon hängt die einzuschlagende Be-
handlungsmethode und deren Erfolg grösstentheils von dem Sitze und der
Ausbreitung des Zwischenstückes ab. Trabeculare und membranöse Sym-
blephara, wenn sie brückenartig einen der Lidspalte nahen Theil der Tarsal-
bindehaut mit der Bulbusoberfläche vereinigen , lassen sich bisweilen
beheben, indem man das Zwischenstück vorerst Mos von dem Augapfel
lospräparirt, mittelst einer Fadenschlinge in der Lidspalte fixirt und allen-
falls das Lid abgezogen ei'hält, bis die Vernarbung der gesetzten Wunde
die Abtragung der Neoplasie von dem Augendeckel ohne Gefahr der Wieder-
verwachsuno; gestattet.
Bei grösserer Flächenausdehnung der Bulbusivundßäche ist es gerathen , die
Wundränder dui'ch eine oder zwei zai'te Knopfnähte zu vereinigen. So weit die
Neubildung über die Hornhaut reicht, muss selbe mittelst eines Lanzenmessers
abgestochen werden. Es gelingt auf diese Weise öfters, an die Stelle der dichten
sehnigen Narbenmasse eine zarte epitheliale Trübung zu setzen. Sollten sich wieder
Gramdationen zeigen , so müssen dieselben durch Aetzunscen mit Höllenstein und
später durch Betupfung mit Opiumtinctur niedergehalten werden.
Membranöse Symblephara der Uebergangsfalte, wenn sie einen geringen
Umfang haben, lassen sich bisweilen verkleinern, wenn man dieselben aus-
schneidet und die Wiederverwachsung durch Aetzuno'en mit Höllenstein und
durch öfteres Abziehen des Lides beschränkt.
Keicht das Symblepharon aus der Uebergangsfalte weit gegen den lAd-
rand heran, gleichviel ob es ein raembranöses oder ein fleischiges ist, so
lässt sich das letzterwähnte Verfahren nicht empfehlen, da sein Ei'folg ein
sehr unsicherer und im Verhältnisse zu den vorhandenen Störungen stets
ein ungenügender ist. Es verwachsen nämlich die Wundflächen stets von
der Uebergangsfalte aus in grossem Umfange wieder.
DurchziPhung eines Bloidrahtes; Äusschneidung.
517
Man wird diesem Uebelstando einiocniiassen begegnen, wenn man die Ver-
wachsung iin IJereiche der Uchergangsfalte zuerst hebt und eine Ueberhäutuiig der
Trcnnuugsfläche erzielt, das Syniblepharon also in ein Jii-üclcenjTirmüjcs umwandelt,
elie man zur völligen Trennung der normwidrig verbundenen Theilo schreitet. Zu
diesem Ende wird in der Tiefe der Ueher-
gavijsfalle und in der Richtung dcrsell)en '^'
ein Bleidraht durch das Zicischenstück
geführt und liegen gelassen, bis der
Wundkanal überuarbt ist. Die Ein-
führung des Drahtes wird am besten mit
einer gekrümmten Stahllanze, äimlich der
bei der umschlungenen Naht ge))räuch-
lichen, bewerkstelligt. Im Notlifalle kann
mau den Wundkanal mit einer starken
gekrümmten Nadel erzeugen und den
Draht nachträglich sondirend einführen.
Die Drahtenden werden über dem Lid-
rande zusammengedrelit (Fig. 60) und auf
Aie äussere Lidfläche gebogen, um daselbst
mit Heftpflasterstreifen bedeckt und be-
festigt werden zu können (Himly). Im
Ganzen ist auch dieses Verfahren ein
icenig verlässliches. Oft schneidet der Draht
das Zwischenstück allmälig durch, während die Verwachsung in gleichem Masse
nachrückt und nach Wochen ist man wieder dort angelangt, wo man begounen hatte.
Relativ am besten dürfte mau fahren mit der Ausschneidung des Sym-
blepharon (Arlt). Bei nicht sehr breiten Zwischenstücken ist ihr Erfolg in der
Mehrzahl der Fälle ein sehr befriedigender. Um sie durchzuführen, fixirt
ein Assistent den Kopf des Krai\ken tind zieht die Lider stark vom Bulbus
ab, so dass das Zwischenstück gespannt erscheiut, während ein anderer
Assistent die Stillung der Blutung übernimmt. Der Operateur führt nun
mit einer gekrümmten Nadel einen Seidenfaden oder eine Fischschnur
durch den der Cornea nächsten Theil des Neiigebildes, zieht dieses stark an,
stösst ein zartes Messer durch und schneidet das Zwischenstück möglichst knapp
von der Bulbusoberfläche gegen die
Hornhaut hin los. Nachdem so ein
Lappen erzeugt worden ist, wird der-
selbe mit einer Pincette gefasst und
der Best des Symblepharon mit der
Schere oder dem Scalpell bis in den
Ueb er g angstheil hinein vom Bulbus los-
präparirt. Ist dieses geschehen, so
werden die beiden Enden der Faden-
schlinge mit Nadeln armirt, diese
durch die Dicke des Lides nahe am
Orbitalrande an der tiefsten Stelle
der W'unde durchgestossen, und durch
Anziehen der beiden Fadenenden
das Zwischenstück so umgeschlagen
(Fig. 61), dass bei der Reposition des Lides die überhäutete Fläche des
Zwischenstückes mit der Augapfelwundfläche in Berührung kömmt. Die letztere
wird nun, nachdem die Fadenenden um eine kleine Heftpfiasterrolle an
der äusseren Lidtiäche geknüpft und so das Zwischenstück in seiner Lage
fixirt worden ist, durch 2 — 3 feine Knopfnähte geschlossen. Die Nachbe-
518 Symblepharon; Behandlung; Distichiasis ; Trichiasis.
handlung ist die anderer Wunden. Am dritten Tage können die Hefte ent-
fernt werden. Nach der V'ernarbung der Conjunctivalwunde kann man zur
Excision des Zwischenstückes schreiten, falls es zu massig wäre und
lästig fiele.
Bei sehr breit aufsitzenden Zioischenstücken, überhaupt wo ein grosser
Theil der Bindehaut, ein Drittheil und mehr, in der Neubildung unter-
gegangen ist , thut man gut , nach Ablösung des Zwischenstückes die
Augapfelbindehaut von den beiden Wundrändern aus durch je zwei bogen-
förmig nach Oben oder beziehungsweise Unten gehende Schnitte zu spalten,
die solchermassen abgegrenzten vierecJngen Lappen nach vorläufiger Präpa-
ration gegen die Wundfläche hin zu ziehen und in deren Mittellinien
durch Knopfnäthe, so weit thunlich, zu vereinigen. Das vom Bulbus ab-
getrennte Zwischenstück kann dann nach einwärts geschlagen und sein
freier Rand nach Abschneidung alles unbrauchbaren Narbengewebes mit dem
peripheren Saum der beiden die Wundfläche deckenden Bindehautlappen
durch Knopfnäthe verbunden werden (Knapp). Leider ist die Zerrung der
Bindehautlappen bei einigermassen breiten Wundflächen einer Verheilung
per primam intentionem sehr ungünstig, es kömrut gerne zur Eiterung und
damit zu völligem Misslingen der Operation.
Ist ein Lid in seiner grössten Ausdehnung mit dem Bulbus ver-
wachsen, so bleibt die Therapie in der Regel erfolglos, es sind solche Ver-
wachsungen gleich dem Symblepharon posterius bis jetzt als unheilbar zu
betrachten.
Gemeiniglich ist in solchen Fällen auch die Hornhaut grossen Theiles oder
ganz mit dichten narbigen Massen überkleidet und eine HersteUung des Sehver-
mögens dadurch unmöglich geworden. Im cosmetischen Interesse lässt sich dann
bisweilen dadurch ein Vortheil erzielen , dass man das verwachsene Lid in genü-
gendem Umfange vom Bulbus löset und ein künstliches Auge einlegt. Wird dieses
vertragen, so vernarben manchmal die Wundfläclien , ohne dass es zu einer aus-
gebreiteten Wiederverwachsung kömmt, wenn auch die Narbe von der Uebergangs-
falte aus um ein Gewisses sich erhebt und dann eine Formumstaltnng des künst-
lichen Auges nothwendig macht. Meistens jedoch missglückt der Versuch.
Quellen: Amman, Plast. Chirurgie. Berlin. 1842. S. 189; kl. Darstellungen etc.
II. Berlin. 1838. Taf. 6. S. 15. — Himly, Krankheiten u. Missbildungen etc. I.
Berlin. 1843. S. 101, 105, 107. — Stellwag, Ophth. II. S. 753. — Arlt, Die Krank-
heiten des Auges. Prag. 1851. I. S. 155; III. S. 375; Prag. Vierteljahrschrift. XI.
S. 161. — Pagenstecher und Saemisch, klin. Beobachtungen. I. Wiesbaden. 1860.
S. 7. — Mackenzie, Traite d. mal. d. yeux. Traduit p. Warlomont et Testelin.
II. Paris. 1857. S. 178, 182. — Gouvea , Arch. f. Augen- u. Ohrenheilkde. I. S.
106, 120. — Lawson, Geissler, Schmidt's Jahrb. 135. Bd. S. 265. — Knapp, A. f.
0. XIV. 1. S. 270.
3. Distichiasis und Triciiiasis.
Pathologie und Krankheitsbild. Das gemeinschaftliche Criterium beider
dieser sich oft combinirenden Zustände ist die Einwärtskehrung einer Anzahl
von Wimpern bei normaler Stellung der Lidflächen.
1. Unter Distichiasis oder Zweiwuchs der Wimpern versteht man
streng genommen das Hervorwachsen zerstreuter oder in eine zweite Reihe
geordneter Haare aus der Fläche oder inneren Lefze des sonst völlig normal
gestalteten Lidrandes. Es kömmt dieser Zustand sehr selten vor und ist
dann in seiner Anlage wohl immer angehören. Die Pseudocilien entwickeln
Pathologie; Kraiikheitshild: Sccundare Ziifiillp. 519
sich ontwedev schon in der Kindospcriode (0. Becker), odrr zur Zeil der
Pubertät, wo der Haarwuchs übcrluuipt einen Aufschwung nimmt, seltener
in den späteren Lebensjahren. Man will die wahre Distichiasis besonders
bei Individuen mit sehr üppiger Behaarung gefunden haben (Vidal).
In der bei weitem grössteu Mehrzahl der Fälle ist der Zweiwuchs
nur ein scheinbarer und durch Dehnunf/ der wimpernlx^standenen äusseren
Lidlefzc veranlasst. Bei tylotischer Verbilduny des Lidrandes geschieht es
in der That nicht selten, dass die behaarte Zone von Seite der subcutanen
Geschwulst auf die doppelte und mehrfache Breite auseinander gezogen
wird und so einzelne oder ganze Büschel der am meisten nach hinten
stehenden Wimpern von den übrigen durch einen grösseren Zwischenraum
getrennt und gegen den Bulbus gekehrt werden. Es hat dann oft ganz
das Aussehen, als wären neue Haare auf der Randfläche des Lides hervor-
gesprossen. Viel häufiger resultirt ein solches Verhalten aus Schrumpfungen
der Tarsalbindthauf, wie selbe aus hochgradigen chronischen Conjunctival-
entzündungen, insbesondere aus dem diffusen und sulzigen Trachome, ver-
alteten Katarrhen etc. hervorgehen. Der falsche Zweiwuchs ist in derlei
Fällen mit Abstumpfung der inneren Lefze gepaart iind je nach der mehr
gleichmässigen oder ungleichmässigen Entartung der Bindehaut auf einzelne
Theile des Lidrandes beschränkt, oder über die ganze Länge desselben ver-
breitet. Auch narbige Schrumpfungen des Lidrandes nach ulcerativer Blepha-
ritis ciliaris haben bisweilen die Verziehung einzelner Wimpernbüschel
im Gefolge.
2. Bei der Trichiasis im engeren Wortsinne ist die Einstülpung der
Wimpern durch deren Verkümmerung und Verbiegung bedingt. Das patho-
genetische Moment liegt in Ernährungsstörungen des Haarbalges und findet
seine Quelle in lang andauernden oder tief gi'eifenden Lidrandentzün-
dungen.
Die meisten Autoren fassen den Begriff jedoch etwas weiter und
zählen zur Trichiasis auch die niedersten Grade des Entropiums, d. i. Fälle,
in welchen vermöge sehniger Entartung der Tarsalbindehaut oder narbiger
Einziehungen des Lidrandes die innere Lefze theilweise oder ganz ver-
strichen worden ist und die äussere Lefze mit den darauf stehenden Wimpern
sich dem Bulbus genähert hat oder mit ihm in Berührung gekommen ist.
Die eingestülpten Wimpern sind je nach den Ursachen des Leidens
qualitativ bald völlig normal gebildet, bald den Wollhaaren ähnlich, dünn,
farblos und gekrümmt. Bei der Trichiasis finden sich meistens starke
Wimpern und daneben eine grosse Anzahl feiner Wollhaare, von welchen
sehr häufig 2 — 4 und mehr aus einem einzelnen Haarbalge hervorsprossen
und nach den verschiedensten Richtungen hin sich umbiegen.
Die nach einwärts gekehrten Haare erregen, indem sie gleich fremden
Körpern auf die innerhalb der Lidspalte gelegenen Theile wirken, ein
unerträgliches Gefühl von Kratzen, Stechen, Reiben im Auge und sind
oft die Ursache eines mit hochgradiger Lichtscheu einhergehenden heftigen
Lidkrampfes, durch welchen die Cilien noch weiter verkrümmt und oft
auch die Lidränder wirklich nach einwärts gerollt werden. Durch die
fortwährende mechanische Reizwirkung werden entzündliche Zustände in
den oberflächlichen Theilen des Sehorganes angeregt und unterhalten. Es
520 Distichiasis ; Trichiasis; Behandlung; Anzielieu der Wimpern; Vereiterung der Bälge.
ist die theilweise oft schon entartete Bindehaut stark geröthet, geschwellt,
von Thränen und katarrhalischen Producten überschwemmt ; die Con-
junctiva hulhi häufig schon hypertrophirt ; die Cornea bietet in der Regel
alle Erscheinungen einer partiellen oder totalen Keratitis jicinnosa dar und
ist nebenbei häufig mit herpetischen Efflorescenzen verschiedenen Alters,
mit Geschwüren und veralteten Trübungen mannigfaltiger Art bestanden.
Mitunter werden sogar die inneren Bulhusorgane in den entzündlichen
Process verwickelt, es kann der Bulbus als Ganzes seine Functionstüchtig-
keit einbüssen und selbst der Atrophie oder Phthise verfallen.
Behandlung. Die Hauptaufgabe geht natürhch dahin, den anato-
mischen Grund der Einwärtskehrung zu beheben. Insoferne dieser Indication
hei entwickelter Distichiasis und Triclaiasis aber kaum Genüge zu leisten
ist, muss sich die Behandlung darauf beschränken: 1. die einwärts ge-
kehrten Haare in dem Masse, als sie nachwachsen, durch Ausziehen zu
entfernen, um einerseits den aus der Beizwirkung hervorgehenden Gefahren
zu begegnen, anderseits aber, um eine endliche Atrophie der Haarpapillen
herbeizuführen, oder 2. den einwärts gekehrten Haaren eine normgemässere
und wenigstens unschädliche Richtung zu geben, oder endlich 3. durch
Vertilgung des Haarbodens auf Kosten wichtiger Functionen Abhilfe zu
schaffen.
1. Das Ausziehen der Haare wird am besten mittelst der Cilienpincette
bewerkstelligt. Es soll das Haar immer sammt der Zwiebel von der Papille
selbst abgerissen werden, weil dieses Gebilde durch wiederholte Verletzungen
am ehesten zum Schwunde gebracht werden kann. Zu diesem Behufe
muss das Haar mit der Pincette knapp an der Mündung des Follikels
gefasst und durch langsamen Zug, nicht ruckweise, ausgezogen werden.
Es müssen immer alle nach einwärts gekehrten Haare entfernt werden.
Auch muss mau die Operation so oft wiederholen, als sich nachwachsende
Härchen zeigen. Jede Versäumniss ist dabei vom Uebel. Es ist oft sehr
schwer, die aus den Bälgen hervortretenden feinen Stümpfe zu erkennen.
Am besten gelangt man zum Ziele, wenn man den Lidrand bei schief ein-
fallendem guten Lichte Punkt für Punkt an der Pupille des hiiit erliegen-
den Auges vorbeizieht und mustert.
Bei pa?-<Je?Zej' Distichiasis und Trichiasis lohnt dieses Verfahren nocli am
ersten der Mühe, indem wirklich bisweilen die Haarzwiebeln atrophiren luid der
Nachwuchs endlich aufhört. Bei mehr ausgebreiteter Trichiasis und Distichiasis darf
man auf einen solchen Erfolg niemals hoffen. Nichts destoweniger wird das frag-
liche Verfahren bei sehr messerscheuen Individuen und als provisoriscJLe Massregel
mit Nutzen auch bei totalem Zweiwuchse und bei totaler Einstüljnmg der lidrand-
ständigen Haare in Anwendung gebracht. Nach wochen- oder monatelangem fleissigen
Ausziehen beginnen die Haare sparsamer und langsamer zu wachsen und werden
wohl auch dünner. Während man im Beginne täglich oder jeden zweiten Tag
Haare zu extrahireu gezwungen war, genügt es nunmehr, in Zwischenpausen von
1 — 2 AVochen die einzelnen nachgewachsenen Stümpfe zu entfernen, und am Ende
kann der Kranke bei gutem Gesichte die Extraction, wenn es Noth thut, selbst
vornehmen.
In neuerer Zeit wird auf Grundlage einiger gelungener Versuche der Vor-
schlag gemacht, nach einwärts gekehrte Wimpern unbeschadet der äusseren Form
des Lidrandes dadurch zu beseitigen, dass man deren Bälge durch einen subcutan
eingeführten Faden zur Vereiterting bri)igt. Es soll sich diese Methode sowohl bei
partieller als totaler Distichiasis und Trichiasis bewährt haben. Um den Zweck
möglichst sicher zu erreichen, wird eine Hornplatte unter das betreffende Lid ge-
schoben, hierauf eine eingefädelte krumme Nadel an der Grenze der falschstehen-
Narbenliildung in der Lidhnut; Transplantation des Haarbodens. 521
den Haare von der Lidrandfläclie aus in die Dicke des Augcndeckels eingestochen,
an der Vorderfläche des Knorpels in verticaler Richtung fortgestossen und sodann
11/2 — 2'" von der äusseren Lefze entfernt durch die äussere Decke herausgelcitet.
Ist dies geschehen, so wird die Nadel durch dii; Hautwunde wieder einf;cfiihrt und
hart am Knorj)el judxUIcI dem äusseren Lidrande fortgesclioben, um im i^ereiche
normaler Cilien noclnnals ausgestochen nu werden. Nachdem nun die Nadel aber-
mals durch die äussere Hautwunde eingesenkt worden ist, wird selbe unter dem
Muskel in verticaler Richtung gegen die Lidrandiläche hin gelenkt und in dieser
selbst herausgeführt. Der Faden luiischreibt solchermassen drei Seiten eines
Parallelogrammes , dessen vierte Seite von der äusseren Lidlefze gebildet wird und
welches alle falsch stehenden Cilien sammt ihren Bälgen in sich schliesst. Die
Enden der Fäden sollen hierauf mit Heftpflaster an der Stirne oder Wange be-
festigt und ein Druckverband angelegt werden. Nach Ablauf einiger Tage kann
der Faden entfernt und nach einem weiteren Termine auch der Druckverband be-
seitigt werden (Herzenstein). Controlversuche sind nicht günstig ausgefallen (Mann-
hardt).
2. Um den einwärts gekehrten Haaren unter Schonung ihres Fort-
bestandes eine bessere Eichtung zu geben, hat man eme ganze Reihe ver-
schiedenartiger Operationen erfunden, welche jedoch alle ihrem Zwecke
nur unvollkommen entsprechen, oder durcli minder eingreifende Methoden
mit gleichem oder besserem Erfolge ersetzt werden können.
Ganz unzicv er las stich ist das Atisschneiden Meiner querovaler Hautstückchen in
unmittelbarer Nähe einzelner eingestülpter Wimpern oder Cilienljüscheln (I)es-
marresj. Der Zug, welchen die sich zusammenziehende Narbe ausübt, ist im Ganzen
zu klein und wirkt überdies haupts'dcldich auf die gegen den Orbitalrand gelegenen
Theile der Liddecke , da diese der Unterlage viel lockerer anhaften , als das Inte-
gument des freien Lidrandes.
Sicherer fährt man jedenfalls mit den gegen das Entropium gebräiichlichen
Operationsmethoden (Pagenstecher). Einen vollen oder doch befriedigenden Erfolg
hallen diese Verfalu-ungsweisen jedoch nur, wo es sich vorzugsweise um Bekäm-
pfung krampfhafter MuskeUhätigkeit bandelt. Wo die Wimperu wegen Abschleifung
der inneren Lidlefze oder wegen starker Dehnung der Lidrandfläche von Seite
schrumpfender Biudehautnarben nach einwärts gekehrt, oder wo sie selbst sehr
verkrümmt und nach allen Richtungen sparrig aus einander gewichen sind: dort
genügt es nicht, wie beim Entropium, dem Lide seine normale Stellung zum Bulbus
wiederzugeben, der freie Rand muss wirklich und nach Massgabe des Bedarfes oft
recht stark ectrojnonivt werden , was sehr bedeutende Unzukömmlichkeiten in sich
schliesst. Zudem wirken diese Operationen sehr wenig auf die Stellung der tvinkel-
ständigen Wimpern ; die Trichiasis und Distichiasis bevorzugen aber gerade die
Nachbarschaft der beiden Canthi.
Eines grossen Rufes erfreut sich eine Art Transplantation der äusseren
Lidlefze und des unter ihr gelegenen Haarbodens (Jaesche, Arlt).
Es wird diese Operation wegen ihrer grossen Schmerzhaftigkeit vind länge-
ren Dauer am besten in der Narkose des Kranken ausgeführt. Ein Gehilfe, welcher
zugleich den Kopf fixirt, schiebt eine Hornplatte unter den betreftenden Augen-
deckel, hebt ihn weit vom Bulbus ab und zieht den Lidrand durch Spannung der
äusseren Liddecke empor, damit er von der Platte etwas abstehe und für das
Messer leicht zugänglich sei. Nun wird die Randzone des Augendeckels von der
Handfläche aus mittelst eines feinen Scalpelles (Fig. 62) unter Schonung der Thränen-
wärzchen auf 2'" Tiefe in zwei Platten gespalten, deren hintere die Bindehaut mit
dem Knorpel und den Ausführungsgängen der Tarsaldrüsen, die vordere aber die
übrigen Schichten mit sämmtlichen Haarbälgen in sich fasst. Der Schnitt muss da-
her hart an der Oberfläche des Knorpels geführt werden. Hierauf wird ein zweiter
Schnitt ly, — 2'" oberhalb und jjarallel der äusseren Lefze, durch die ganze Dicke
der vorderen Platte Ins auf den Knorpel geführt und zwar so, dass die beiden Wund-
winkel innen und aussen über die Enden des ersten Schnittes hinüber reichen. Es
wird jene Platte dadurch in eine Art Brücke umgewandelt, an deren hinterer Fläche
die Haarbälge haften und welche nur mittelst ihrer beiden Enden an dem Lide
festhängt. Ist dieses geschehen, so wird von dem einen Ende des zweiten Schnittes
522
Distichiasis : Trichiiisis : Behandlung ; Transplantation des Haarbodens.
ein dritter im Bogen so durch die äussere Lidhaut zu dem anderen Ende geführt,
dass ein halbmondförmiger nantla2)X>en umschrieben wird, welcher mit der Pincette
zu fassen und unter thunliclister Schonung
des Kreismuskels ahztqn-äjjariren ist. Es muss
dieser Lappen, dessen Grenzen in (Fig. 63)
angedeutet sind, um so grösser sein und
namentlich einen um so grösseren verticalen
Durchmesser haben, je stärker die Einwärts-
wendung der Haare und je schlaffer und fal-
tiger die Haut ist, ein je stärkerer Zug also
auf die Brücke ausgeübt werden soll. Hierauf
ist die halbmondförmige Witndfl'dche zu schlies-
sen, indem der concave Rand derselben mit
dem ivagrechten durch 2 — 3 Hefte vereiniget
wird. Unter dem Zuge dieser Hefte richten
sich die in der Brücke enthaltenen Haare
in die horizontale Stellung oder gar gegen den
Orbitalrand hin. Die NacJibehandlung ist jene
anderer Wunden. Am dritten Tage sind die
Hefte zu entfernen.
Einen ganz ähnlichen Effect kann man
dadurch erzielen, dass man nach der Spaltung
des Lidrandes statt der Ausschneidung eines
halbmondförmigen Hautstückes eine nach Be-
darf grosse horizontale Haut/alte mit dem unterlagern-
Fig. (i3. den Muskeltheile durch eine Krückenzange fixirt, und
mittelst krummer Heftnadeln in verticaler Rich-
tung 2 — 3 gewichste starke Fäden hindurch führt,
die einzelnen Fäden zusammenschnürt und liegen
läs^t, bis sie durch Eiterung ausgestossen werden.
Es hat eine solche Transplantation des Haar-
Ijodens einen gefahrlichen Feind an der Entzündung,
welche gern mit ziemlicher Intensität auftritt und
nicht selten den mittleren Theil oder die ganze schmale
Hauthrücke durch Eiterung oder gar durch Brand zer-
stört (Sfavenhagen). Auch ist sie ganz tinbrauchhar,
wenn, was oft der Fall ist, innerhalb der Lidwinkel
Haare nach einwärts wachsen, denn auf deren Rich-
tung hat das oben beschriebene Verfahren nur sehr
geringen, wenn überhaupt einen
Fig. w. Einfluss.
Man fängt auch bereits an,
diese schon früher scharf betonten
Uebelstände einzusehen. Demge-
gemäss wird neuerer Zeit empfohlen,
die halbmondförmige Hautwunde
zwei Centim. über die äussere Com-
missur hinaus zu verlängern (Staven-
hagen). Andere halten eine durch-
greifende Modification der Methode
für nothwendig. Sie rathen mit
zwei verticalen Schnitten (Fig 64)
zu beginnen , welche durch die
äussere Haut und den Kreismuskel
dringen, die zu transplantirende
Partie der Liddecke seitlich be-
grenzen, bei totaler Distichiasis und
Trichiasis also hart an der äusseren
Commissur und ausserhalb des
Thränenpunktes münden. Hierauf soll das Lid wie bei dem vorerwähnten Ver-
fahren durch den Intermarginalschnitt gespalten werden. Um nun auf den abge-
Abtragung des Haarbodens. o23
trennten Lidrand einen krüftigen Zug auszuüben und so den Haarboden von der
inneren Lefze genügend zu entfernen, soll ein qiierovales Stück aus der äusseren
Lidhaut ausgeschnitten oder durch mehrere Knopfnäthe umschnürt und zur narbigen
Verwachsung gebracht werden (Oraefe).
Es hat die Transplantation selbstverständlich nur einen Sinn, wenn der aller-
grösste Theil der Wimpern in einem Zustande ist, welcher bei richtiger Stellung
derselben einen wirksamen Schutz für das Auge und eine Zierde für das Antlitz
gewärtigen lässt. Im Ganzen eignet sie sich mehr für das obere als für das untere
Lid, da bei letzterem auf eine Schonung der ohnehin nur spärlichen Wiui])ern kein
grosses Gewicht zu legen ist und die Abtragung des Haarbodens weitaus mehr
Sicherheit gewährt.
Verbürgt ist der Erfolg in der That iveder bei der einen noch l)ei der anderen
Transplantationsmethode, auch wenn diese mit grösster Saclikpuntniss und Sorg-
falt durchgefülirt wird. In scheinbar ganz gelungenen Fällen zieht sich die äussere
Lefze unter fortschreitender Schrumpfung der Narbe öfters nach Wochen und
Monaten wieder randwärts, die Haare gerathen theilweise abermals in eine falsche
Richtung und reizen den Bulbus, wobei die Wirkung des Orbicularis von grossem
Einflüsse ist. Besonders bei progressiver sehniger Entartung der Bindehaut ist ein
solcher misslicher Ausgang oft zu beklagen. Es wird hier der Haarboden durch
den gleichzeitigen Zug der schrumpfenden Bindehaut und der Hautnarbe bis-
weilen zu einer ganz unglaublichen Breite ausgedehnt (Mannhardt). Dazu kömmt,
dass in nicht wenigen Fällen es fast unmöglich ist, durch den Intermargiualschnitt
sämmtliche Cilienbälge vom Tarsus abzutrennen und mit dem Hautlappen zu dislociren,
indem dieselben unmittelbar am Knorpel oder in dessen oberflächlichen Schichten
wurzeln. Selbst die aufmerksamste Durclimusterung der Knorpelfläche lässt diese
Follikel während der Operation nicht leicht wahrnehmen, vornehmlich wenn die
Wimpern nicht sehr dunkel gefärbt sind. Bleibt alier auch nur die Haarjxqiille
stehen, so wachsen die Cilien wieder nach. Zum Unglücke treten dieselben nach
Verschiebung der äusseren Lidlefze nicht immer durch den alten Kanal hervor,
sondern bohren sich laut directen Erfahrungen oft scliräg und unter Krümmungen
durch die frische Narbenmasse und erscheinen endlich an der infermarginalen Schnitt-
grenze, die Recidive ist fertig.
Der letzterwähnte Uebelstand lässt sicli selbstverständlich nicht verhüthen
durch verticale Vergrösserung der auszuschneidenden oder abzuschnürenden Haut-
falte, also durch verstärkte Dislocation der äusseren Lidlefze. Eben so wenig bietet
eine Wiederholung der Operation volle Garantie. Thatsächlich kommen genug
Fälle vor, wo in Folge übermässiger oder wiederholter Verkürzung der äusseren
Liddecke die Augendeckel den Lidschluss nicht mehr gestatten, wo die Spalte also
selbst während des Schlafes linienweit offen steht und wo trotzdem einzelne oder
viele Haarbüschel an den Bulbus streifen.
3. Die Abtragung des Haarbodens ist jedenfalls die verlässlichste
Methode, auch einfacher und leichter durchzuführen, was dort, wo alle
vier Lidränder die Operation fordern, schwer ins Gewicht fällt. Der
Hauptvorwurf, welcher sich wider sie zu Gunsten der Transplantation
machen lässt, ist, dass das Auge eines natürlichen Schmuckes und Schutz-
mittels beraubt wird. Allein die Entstellung ist bei Verlust des Haarbodens
kaum grösser, als bei Steifheit und Faltenlosigkeit des Lides, wie selbe
sich nothwendig ergibt, wenn behufs starker Dislocation der äusseren
Lefze ein umfangreiches Stück des Litegumentes ausgeschnitten oder abge-
schnürt und der unterlagernde Theil des Kreismuskels von ]S^arbengewebe
in seiner Function beirrt wird. Aber auch mit dem Schutze des Auges
ist es unter solchen Umständen nicht weit her, da recht oft der Lid-
schluss sehr erschwert oder gar unmöglich gemacht werden muss, wenn
der aiif den Haarboden wirkende Zug für den Zweck ausreichen soll.
Uebrigens ist wohl zu erwägen, dass bei partieller Trichiasis und Distichiasis,
wo die Quahtät und regelmässige Anordnung der grössten Mehrzahl der
Wimpern deren Erhaltung wünschenswerth erscheinen lässt, die Abtragung
524
Distichiasis ; Trichiasis ; Behandlung ; Partielle Abtragung des Haarbodens.
Fig. G.Ö.
auf den Boden der eingestülpten Haarbüschel begrenzt werden kann,
während eine Transplantation unter allen Yerhältnissen auf den grössten
Theil oder den ganzen Lidrand ausgedehnt werden muss, soll die Operation
etwas leisten.
a. Behufs partieller Abtragung des Haarbodens ist vorerst eine Horn-
platte unter das Lid zu schieben, dieses vom Bulbus weg nach vorne zu
spannen und dann von der Eand-
fläche aus zu spalten (Fig. 65). Es
geschieht dies am besten mittelst eines
breiten Lanzenrnessers, welches liinter
dem falsch gerichteten Haarbüschel
nahe der inneren Lefze zwischen die
Kuorpelvorderfläche und die Wimpem-
bülge auf 2 — 3'" Tiefe eingestossen
wii'd. Ist die Lanze nicht breit
s:enus, um der Wunde stichweise die
nöthige Ausdehnung zu geben, so muss
der Spalt nachträglich mit einem
Scalpelle auf das gehörige Mass ge-
bracht werden. Js^un wird durch zwei
senkrecht auf die Lidspalte geführte
Schnitte A ein 2 — 3''' hoher sjntz-
bogenförmiger Zwickel, welcher die betreffenden Follikel in sich fasst, aus
der vorderen Platte des gespalteten Lidtheiles ausgeschnitten. Man benützt
dazu ein Scalpell oder besser eine feine nach der Fläche gekrümmte
Schere, von welcher das eine Blatt in die Lidrandwunde eingebracht wird.
Im Falle das Haarbüschel seinen Sitz im inneren oder äusseren Lidspaltenwinhel
und den unviittelbar daran grenzenden Theilen des Lidraudes hat, wird der Ein-
stich mit dem Lanzenmesser hesser ohne vorläufige Einführung der Hornplatte bei
weit geöffneter Lidspalte gemacht und die Wunde nöthigen Falles mit einem
Scalpelle in der Fläche der Lider erweitert, hierauf nach oben und unten der
Begrenzungsschnitl (Fig. 65 B) ausgeführt und der so umschriebene spiessfönnige
Lappen mit der Schere vollends abgelöst. Die Wundfläche wkd daun ausserhalb der
Commissur durch 1 — 2 Knopfnähte oder Karlsbader Nadeln geschlossen.
Es genügt jedoch eine solche Wundform dem Zwecke nur, wenn der
abzutragende Theil des Haarbodens beiderseits auf einige Entfernung von
ganz kahlen EandjDortionen begrenzt ist, entspricht also vornehmlich als
Nachhilfe bei unvollkommen gelungenen totalen Abtragungen. Wenn den
ausgeschnittenen Zwickel cilienbestandene Partien des Lidrandes besäumen,
so kömmt es fast immer zur ilecidive, indem die nächststehenden Haare
von der schrumpfenden jS^arbe stets wieder nach einwärts gezogen werden.
Um dies zu verhindern, muss mit der Ausschneidung des Zwickels eine
Ai't IVansplantation der Nachbartheile der äusseren Lidlefze verknüpft werden.
Behufs dessen ist der Litermarginalschnitt beiderseits 1 '/j — 2'" über den
Boden der eingestülpten Haare hinaus zu verlängern und dem auszu-
schneidenden Lappai je nach der Oertlichkeit und Ausdelinung der par-
tiellen Trichiasis oder Distichiasis eine verschiedene Form zu geben.
Betrifft der Zweiwuchs oder die Einstülpung der Wimpern einen von
den Canthis entfernteren Theil des Lidrandes, so liaben die senkrecht auf
die Lidliäche zu führenden Begrenzungsschnitte ein abgestutztes Dreieck von
2 — 3'" Höhe zu beschi*eibeu, welches seine Basis vom Lidrande abwendet
Totale Abtragung des Haarbodens.
525
Fig. C7.
(Fig. ßß). Die beiden durcli den IntermargitmUchniU m n o von dei* Un-
terlage abgetrennten convergirenden Zipfel a sind hierauf gegen die Basis
zu drehen und je durch ein blutiges Heft, am p. gg
•besten mit feiner Seide oder dünner Fischschnur
(Fil de Florence) , in den Grund unnkeln des
Dreieckes zu iixiren, so dass ihr eilientragender
Rand im Bogen nach auf oder beziehungsweise
nach abwärts liiufr.
Fordert der Schenkel einer Commissur die /-
Operation , so ist der eine Begrenzimgsschnitt ;
horizontal in der Verlängerung der Lidspalte
bis in die Intermarginalwunde m n o zu führen,
der andere aber von der Grenze der falsch
gerichteten Haare schräg auf- und bezieliungs-
weise abwärts durch den Lidrand zu legen und
dann sind die Enden beider durch einen Bogenschnitt mit einander zu
verbinden (Fig. G7). Der Zwickel a wird hierauf nach Entfernung des
Lappens in den Winkel an der Basis der Bogen-
wuude geheftet.
Finden sich eingestülpte Haare an beiden
Schenkeln einer Commissur, so fällt der horizontale
Schnitt aus, d\eheidei\ Begrenzuvgsschnifte (Fig. 68)
steigen schräg auf- und beziehungsweise nach
abwärts und sind dann durch einen paraboli-
schen Bogenschnitt mit einander zu vereinigen, >S
an dessen Enden die Zwickel a der äusseren
Lefze befestigt werden. Wenn nöthig, ist sodann
die spiessförmige Wunde durch 1 — 2 Knopfnäthe
zu schliessen.
Die Verheilung ist in der Eegel binnen 2 — 3 Tagen vollendet. Die
Narbe ist stets fast unmerklich und ihre Grenze wird nur durch eine
leichte Ausbiegung der Wimpernzone angedeutet,
welche nicht entstellt. Es sind dermalen genug
solcher Operationen durchgeführt worden, um
über ihren Werth aburtheilen und selbe auf
Grund gewonnener Ph'fahrungen mit Beruhigung
empfehlen zu können.
b. Die gänzliche Abtragung des Haarbodens
(Fried. Jaeger, Flarer) kömmt in Betreif der
dabei nothwendigen Handgriffe theilweise mit
der Transplantation (2) überein. Der Hauptun-
terschied besteht darin, dass die in ganz ähn-
licher Weise gebildete Brücke gänzlich entfernt
und nicht geschont wird. Nachdem nämlich eine Horuplatte unter das
betreffende Lid eingeführt und dessen Randfiäche für das Messer leicht zu-
gänglich gemacht worden ist, spaltet der Operateur die Randzone des Augen-
deckels mittelst eines hart an der Knorpelvordertläche geführten, bei 2'" tiefen
Schnittes in 2 Platten, deren vordere sämmtliche Haarbälge in sich fassen soll
(Fig. 62, S. 522). Man thut dabei wohl, die Operation von der Commissur aus
zu beginnen, indem man ein breites Lanzenmesser in die Handfläche der-
Fig. 68.
526
Distichiasis: Trichiasis: Totale Ahtragung des Haarliodens.
Fig. t;9.
selben einstösst uiid dann den Intermarginalschnitt mit dem Scalpelle längs
der inneren Lefze vollendet. Hierauf wird die äussere Liddecke in der
Verlängerung der Lidspalte durch einen 2 — 3'" langen horizontalen Schnitt
bis auf die Fascie durchtrennt und dann die Umschneidung des Haarbodens
vorgenommen. Der betreffende Haut-
schnitt hat bei Unl-nseiflgein Operations-
felde von dem freien Lidrande in der
Gegend des Thränenwärzchens nach
aufwärts zu steigen, über den Haar-
bälgen parallel der äusseren Lefze fort-
zulaufen und jenseits der Coramissur
in 2'" Entfernung davon in den
horizontalen Schnitt unter einem spitzen
Winkel einzumünden. Am rechten Auge
ist der Schnitt leichter in entyegenge.-
sefzfer Richtung (Fig. 69) zu führen.
Ist solchermassen die Brücke um-
schrieben, so muss selbe, falls sie noch
an einzelnen Stellen haftet, mit der
Pincette gefasst und mittelst der Schere
oder dem Messer lospräparirt werden. Zeigen sich dann im Bereiche
der Wundfläche noch einige Balge mit den darin festhaftenden und durch
ihre dunkle Färbung stark hervorstechenden Haarstümpfeu, so müssen
dieselben mit der Schere sorgfältigst vom Knorpel losgeschnitten werden.
Ein besonderer V'erband ist nicht nothwendig. Innerhalb weniger Tage
ist die Wunde, meistens ohne Eiterung, völlig geheilt und die sich
zusammenziehende Narbe vereinigt bald die äussere Haut mit der
Mucosa.
Kommen im weiteren Verlaufe einzelne Haare wieder zum Vorscheine,
so müssen dieselben nach der oben erwähnten Weise abgestochen werden.
Es hat die totale Abtragung des Haarbodens bei aller Vortrefflichkeit
ihrer Leistungen gleich anderen Amputationen zweifelsohne nicht zu
unterschätzende Nachtheile. Abgesehen von dem Verluste eines natürlichen
Schutzmittels der Augen bedingt dieselbe, vornehmlich wenn sie am un-
teren Lide ausgeführt wird, eine sehr missliche Störung der Thränenleitung,
da die beölte LidrandHäche verloren geht. Es schwimmt das Auge daher
gerne in Thränen und diese pflegen bei jeder, selbst der kleinsten, Reiz-
einwirkung überzufliessen. Nicht selten obliteriren, trotz aller Vorsicht bei
der Operation, die Ausführungsgänge der Tarsaldrüsen in dem schrumpfen-
den Narbengefüge. Späterhin atrophirt öfters sogar der Knorpel und con-
trahirt sich auf einen kleinen dicken Wulst, in dessen Innerem sich sehr
gerne Hagelkörner, wohl auch Cysten entwickeln. Endlich schlägt sich
nicht immer die Mucosa unter der Zusammenziehung der Narbe 7iach aussen
um und rundet so den Lidrand ab; in einzelnen Fällen wird vielmehr die
Narbe stark nach innen gezerrt und kömmt mit dem Bulbus wohl gar in
Berührung. Insoferne diese Narbe meistens ziemlich unregelmässig und
rauh ist, wird dadurch der Bulbus bisweilen gereizt und möglicher Weise
wohl auch geschädigt. Immerhin sind diese Nachtheile weit geringer als
jene einer misslungenen Transplantation, oder jene einer Verkürzung der
Abtragung des ganzen Lidnindes : AnslucTinung einzelner Wimpern: Entropium. 527
Lider wegen übermässigem Substanzverluste der äusseren Liddecke als
Folge wiederlioUer Transplantationsversuche.
Alle die der Abtragung des Haarbodens anklebenden Nachtheile machen sich
im gesteigerten Masse und sicher geltend, wenn, wie dieses früher üblich war, der
Lidrand seiner ganzen Dicke nach, sammt der helreff'enden Zone des Knorj)el.<!, abge-
tragen lüird (Bartisch). Ueberdies resultirt dann sehr gewöhnlich eine Verkili-zung
des Lides und eine davon abhängige Unmöglichkeit, die Lidspalte völlig zu schliessen.
Das iu Rede stehende Verfahren ist demnach verioei-flich, um so mehr als es auch
ganz entbehrlich ist.
4. Wo ein oder das andere einzelne Wimpernhaar durch falsche Stellung den
Augapfel gefährdet, kann man versuchen, den betreffenden Haarbalg einfach aus-
zubrennen oder auszuätzen. Es wird zu diesem Behufe ein Lanzenmcsser oder besser
eine breite gerade myrthenförmige Staarnadel dem Haarschafte entlang in die
Dicke des Lides eingestochen und sodann eine mit im Zerfliessen begriffenem Kali
causticum bestrichene Silbersoude, oder ein auf galvanocanstischem Wege zu er-
hitzender Draht iii die Wunde geschoben. Bisweilen ist der Erfolg ein ganz ausge-
zeichneter und dauernder. Das Haar blos auszuziehen und den Glühdraht durch
die Follikelöffnung einzuführen ist weniger anzurathen, weil schwieriger und minder
verlässlich (Mackenzie).
Quellen: O. Becker, Wien. med. Jahrb. 1866. 4. S. 80. — Stellwag, Ophtb. H.
S. 912, 914. — Mackenzie, Traite d. mal. d. yeux. trad. p. Warlomont et Testelin.
I. Paris. 1856. S. 142, 297, 300, 302. — Desmarres, Traite d. mal. d. yeux. Paris.
1847. S. 85, 87. — Vidal, nach Desmarres 1. c. S. 86. — Himly, Krankheiten und
Missbildungen, l. Berlin. 1843. S. 140, 146. — Arlt, Die Krankheiten des Auges.
I. Prag. 1851. S. 128, 144, 146. — Jäsche , Med. Zeitung Russlands. 1844. Nr. 9.
— Pagenstecher und Saemisch, klin. Beobachtungen. I. Wiesbaden. 18G0. S. 6. —
Graefe, A. f. O. X. 2. S. 225. — Herzenstein, ibid. XH. 1. S. 76. — Secondi,
Clinica di Genova, Riassunto, Torino. 1865. S. 125. — Bartiscli, Fr. Jaeger, Flarer
nach Arlt 1. c. S. 144. — Sfuvenhagen, klin. Beobachtungen. 8. 5, 12, 18. —
Mannhardt, A. f. O. XIV. 3. S. 40, 45.
4, Das Entropium.
Pathologie und Krankheitsbild. Das Entropium ist in einzelnen
seltenen Fällen ein partielles, insoferne nämlich nur die der äusseren Com-
missur nahen Portionen des einen oder heider Lidränder sich nach einwärts
gewendet haben. Weitaus in der Mehrzahl der Fälle ist die Einstülpung
eine vollständige, es erscheint der Rand des einen oder beider Lider seiner
ganzen Länge nach einwärts gekehrt, oder gar der Augendeckel selber nach
innen umgeschlagen. Meistens betrifft das Entropium nur das untere Lid
eines oder beider Augen, oder ist daselbst wenigstens in höherem Grade
entwickelt, als am oberen Lide.
Man kann mehrere Grade der Einstülpung unterscheiden. Der erste
ist eigentlich nur eine Einwärtskehrung der äusseren Lidlefze und beruht
auf Verstreichung und Retraction der inneren Lefze, ein Zustand, welchen
man gewöhnlich noch in der Bedeutung einer Trichiasis auifasst. Der
zweite Grad lässt sich als Einstülpung des Lidrandes bezeichnen. Es ist
nämlich der letztere seiner ganzen Dicke nach gegen den freien Rand des
Tarsus umgebogen, so dass die äusserste Eandzone der Liddecke mit dem
Bulbus in Berührung kömmt. Der dritte Grad ist eine Einstülpung des
Lides als solchen, der Knorpel selbst ist umgeschlagen, der betreffende Au-
gendeckel bildet eine Duplicatur und berührt mit einem grösseren Theile
seiner äusseren Haut den Bulbus. Em höchsten Grade endlich erscheint das
528 Entropium: Ursachen; Entropium spasticum.
Lid förmlich eingerollt, indem der Rand des umgeschlagenen Deckels eine
zweite Drehung erlitten hat, vermöge welcher seine Randfläche in die ur-
sprünglicJie Richtung und die äussere Lefze mit der Tarsalbindehaut in Be-
rührung gekommen ist.
Das Entropium ist gleich der Trichiasis und aus demselben Grunde
eine Quelle sehr heftiger Reiszustände und förmlicher Entzündungen (S. 519),
besonders in den ersten Zeiten seines Bestandes. Später gewöhnt sich gleich-
sam das Auge an die Reizwirkung des eingestülpten Lides, die Entzündung
geht zurück und tritt nur zeitweise wieder hervor. Während solcher Exa-
cerbationen wird das Entropium nicht selten vorübergehend oder dauernd
gesteigert. Am Ende obsolescirt die hypertrophirte Bindehaut, verkürzt sich
mehr und mehr, der Knorpel beginnt zu schrumpfen und in seiner Ver-
krümmung zu erstarren, das Entropium wird im wahren Sinne ständig.
Ursachen. Wahre Einstülpungen der Lider sind in letzter Instanz
immer auf die AVirkung des Musculus orbicularis palpebrarum zu beziehen.
Ab Schleifungen und Einziehungen der inneren Lidlefze so wie Abrundungen und
narbige Verbildungen des Lidrandes als Ganzen, wie selbe als Ausgänge der
Blepharitis ciliaris und hypertrophirender Bindehautentzündungen ziemlich
häufig vorkommen, können dabei allerdings loesentlich mitwirken. Sie sind
jedoch nur als disponirende Momente zu betrachten, welche eben so gut
fehlen können. In der That reichen Krämpfe des genannten Muskels an und
für sich hin, um Entropien bei volUvommen normaler Gestaltung der Lider
und ihrer Ränder zu erzeugen und ständig zu machen (Entropium spa-
sticum); daher denn auch alles, was derlei Krämpfe anzuregen und beson-
ders auch durch einige Zeit zu unterhalten vermag, möglicher Weise zum
pathogenetischen Momente eines Entropium werden kann. Obenan stehen
in dieser Beziehung getvisse Ophthalmien, namentlich Keratitis, da diese häu-
figer als andere Augenentzündungen mit sehr bedeutender Lichtscheu und
heftigen Lidkrämpfen einhergeht.
Der Haiiptmotor der spastischen Einwärtskelirung der Lidränder ist die Tlirä-
nenkammpartie des Kreismiiskels und von dieser vornehmlich jene Faserbündel,
welche als Musculus ■m/jtarsalis l)escliriehen werden. Es streichen diese Faserbünde),
nämlich (S. 48.3) in der Dicke der beiden Lidr'dnder, der inneren Lidlefze näher,
bis gegen die äussere Commissur und gehen auf diesem Wege zahlreiche Verbin-
dungen mit der äusseren Decke der Lidränder ein. Zieht sich der Thränenmuskel
zusammen, so werden sämmtliche Ansatzpunkte des Musculus subtarsalis, also
vornehmlich die innere Lefox, gegen den inneren Canthus und mittelbar gegen die
Crista lacrymalis verschoben. Gleichzeitig wird, weil der Muskel als Gaiizes in
einem grossen Bogen über die grösste Convexität des Bulbiis gespannt ist, die
innere Lefze gegen die Oberfläche des Bulbus gedrückt und ihr das Streben mit-
getheilt, sich in verticaler Richtung zu verschieben, um so den Bogen zu verkürzen.
Es nähern sich in Folge dessen die äusseren Lidlefzen der Bulbusoberfläche und
daher treffen die Lidränder nicht mehr mit den Flächen auf einander, sondern
diese stellen sich zu einander in einem 7\ach hinten offenen Winkel.
Man kann diese Wirkung öfters sehr deutlich nachweisen, wenn in Folge
hypertrophirender Entzündungen der Bindehaut und des Knorpels dieser aufgelockert,
weicher und nachgiebig geworden ist. Man braucht dann nur die Lidspalte gewalt-
sam geöffnet zu halten und etwas nach aussen zu verziehen. Versucht nun der
Kranke, das Auge zu schliessen, so geht die Verschiebung der einzelnen Tiieile
des Lidrandes bisweilen so weit, dass der letztere sich förmlich umrolU. Die ganze
Bewegung macht dabei den Eindruck, als würde der Lidrand in einer sehr weiten
Spirale um den freien ßand des Lidknorpels nach innen und hinten gedreht.
Sind durch den krampfhaft afficirten Muse, subtarsalis die Lidrandflächen
einmal nach innen gekehrt, so thut die Hauptmasse des Kreismuskels leicht das
Mechauisclie Wirkung der Litlkrämpfe; liiitrupiuiii souili', urgiiuitum. 529
üln'ig'e, um die EhiHtülpnmj zu vervolhtlhidigen. Es beschreiben deren Faserbündcl
nämlich eine doppelte Curve, einmal in senkrechter Richtung, das andere Mal in
wagrechter, von vonie nach hinten , und üben bei ilu'en Contractionen, indem sie
sich aus dem Bogen in dessen Sehne zu verkürzen suchen, einen Druck auf die
in ihrer Concavität gelegenen Theile aus. Dieser Druck wirkt in der einen und
in der anderen Richtung je nach Massgabe der respectiveii Krüinmumj der Fleisch-
bündel. Die innerfiten Faserlagen ziehen bei t/eschlosseiie)- Lidiqndte fast horizontal
über die grösste Convexität. Iln-e Wirkung in verticaler Richtung ist dann also
fast Null, während sie in horizontaler Richtung das Maximum erreicht und ganz
geeignet ist, die äussere Lidlefze um ein weiteres dem Bulbus zu nähern, in ge-
wisser Beziehung also die Wirkung des M. subtarsalis zu verntärken. Ist aber die
äussere Lefze dem Bulbus stark genähert, so bildet der yesuvirnte Lidtheil des
Kreismuskels nicht mehr eine einzige Wölbung , sondern die obere und die untere
Hälfte je eine für sich, und diese beiden Wölbungen stossen an der Lidspalte
unter einem nach hinten sehenden Wiiikel auf einander. Dieser Winkel wird dann
noch weiters verkleinert durch die Wirkung der ferner stehenden Faserbündel des
Kreismuskels, da diese die Lidränder mit um so grösserer Kraft zusuvtmenjjressen,
je stärker die Krümmung in verticaler Richtung ist. Es wirken also der M. sub-
tarsalis und sänimtliche Fasei'bündel des Lidtheiles des Kreismuskels zusammen,
um die Lidränder zum Ausweichen nach hinten zu bestimmen und es kömmt nur
auf die Kraft an, mit welcher sich die Muskeln contrahireu, ob ein Entropium
zu Stande kömmt, oder nicht. Ist dann der Lidrand einmal eingestülpt, so ist die
Stellung der beiden Hälften des Kreismuskels der ferneren Steigerung des Entro-
piums um so günstiger, vind hat sich einmal das Lid wirklich timgeschlagen, so genügt
schon die Wirkung des mechanisch gezei'rten M. subtarsalis, um die Einstülpung
zur Umrollung zu gestalten.
Es erklärt sich nach allem dem , warum Äbschleifungen der inneren Lidlefze
so wie Ahrundungen der Lidränder das Entropium sehr begünstigen. Sie erleichtern
eben das Ausweichen nach hinten und macheu überdies durch Annäherung der
äusseren Lefze an den Bulbus einen Theil der zur Entropionirung erforderlichen
Muskelwirkimg überßüssig. Es ist weiters auch klar, dass starke Schwellungen der
Conjunctiva der Einstülpung der Lider förderlich sind. Sie drängen nämlich die
Lidränder etwas vom Bulbus ab , sind aber nicht resistent genug , um dem Aus-
weichen derselben nach hinten ein bedeutendes Hinderniss zu setzen. Dazu
kömmt dann noch, dass solche Schwellungen in der Regel besonders stark im
Uebergangstheile der Bindehaut hervortreten, dass sie daher die Flächen der beiden
Lider gewöhnlich weit mehr nach vorne drängen, als die straffer gespannten Lid-
ränder und dass sie sonach schon von vorneherein den Winkel sehr verkleinern,
unter welchem die beiden Hälften des Kreismuskels auf einander wirken.
Selbstverständlich hat auf das schwierigere oder leichtere Zustande-
kommen eines Entropiums auch die Resistenz des Knorpels einen sehr ge-
wichtigen Eintluss. Je geringer diese, um so leichter kömmt es zur wahren
Einstülpung. Daher findet man das Entropium auch viel häufiger am
unteren Lide, als am oberen; es entwickelt sich mit Vorliebe im Verlaufe
von Ophthalmien, welche mit starker Lockerung und Schwellung des Knor-
pels eiuhergehen und kömmt ganz unverhältuissmässig häufig bei Greisen
mit welker schlaffer Haut vor. Bei letzteren genügen bisweilen schon
ganz geringfügige Lidkrämpfe, um das untere Lid zu entropioniren, ein Um-
stand, welcher sich mitunter in der missüchsten Weise geltend macht nach
Staaroperationen, besonders wenn etwa noch ein schlecht angelegter Ver-
band oder ein unrichtig angeheilter und am unteren Lidrande sich stem-
mender Hornhautlappen förderüch mitwirkt.
Es sind Lidkrämpfe übrigens durchaus kein unerlässliches Erforderniss
zur Entstehung von Entropien. Es genügen zur wahren Einstülpung der
Lider die normalen Kraftäusserungen der Lidmuskeln, wenn durch Schrum-
pfungen des Knorpels, z. B. in Folge von Trachom, durch Symblepharon,
durch narbige Contractionen der äusseren Lidhaut oder der Conjunctiva
st eil wag, Augenheilkunde. 34
530 Entropium; Behandlung; Canthoplastik.
Theile der Lidräuder oder diese ihrer ganzen Länge nach in eine falsche
gegenseitige Stellung gekommen sind, vermöge welcher sie bei Schliessung
der Lidspalte unter einem nach einwärts sehenden Winkel auf einander
stossen. Ausserdem führt Abspannung der Augendeckel wegen phthisischem
Untergange oder wegen Exstirpation des Bulbus, ganz abgesehen von etwaigen
kr'djligeren Contractioneu des Kreismuskels, in der Regel zur Verengerung
der Lidspalte und zur Einwärtskehrung der Lidränder, indem dann eben
die Widerstände wegfallen, welche sich sonst der Wirkung dieser Muskeln
entgegenstellen (Entropium organicum.)
Behandlung. Deren Aufgabe ist in erster Linie, der Entstehung und
Consolidirung von Entropien entgegenzuwirken. Ist die Einstülpung bereits
älteren Datums und fusst sie theilweise sogar auf ständigen materiellen Ver-
änderungen der Lider oder des Bulbus, so zielt die Lidication darauf hin,
den betreffenden Augendeckel in seine normale Stellung rückzustülpen und
darin unter thunlichster Schonung seiner Gestalt, Grösse und Functions-
tüchtigkeit auf operativem Wege für die Dauer zu fixiren.
1. In erster Beziehung ist richtige Behandlung des Grundleidens das
Haupterforderniss. Li der Kegel schwindet unter einem rationellen Kur-
verfahren der Lidki'ampf, worauf nicht selten geringgradige und frische
Entropien voii selber zurückgehen, wenn nicht Formveränderungen der Lid-
ränder oder Erschlaffung der Theile im Wege stehen. Zum mindesten wird
durch eine solche Behandlung der Blepharospasmus insoweit besänftigt,
dass sich die gegen die Einstülpung der Lider direct gerichteten Heilme-
thoden leichter und mit grösserer Aussicht auf Erfolg durchführen lassen.
Nöthigenfalls wird neben der Behandlung des Grundleidens auch noch dem
Lidkrampfe speciel Rechnung zu tragen sein. (Siehe Blepharospasmus.)
2. Als directes Mittel gegen das Entropium spasticum, besonders des
unteren Lides, steht oben an die Canthoplastik (S. 513). Wo die Lidränder
ihre normale Form bewahrt haben, genügt diese Operation wirklich sehr
häufig, um trotz Fortbestand eines heftigen Lidkrampfes die Einstülpung
wirksam hintanzuhalten. Um so mehr kann man hierauf rechnen, wenn
der Blepharospasmus bereits an Heftigkeit abgenommen hat, indem mit der
operativen Rückstülpung des Lides zugleich eine wichtige Ursache der
Fortdauer des Ki-ampfes behoben wird. Am sichersten kömmt man zum
Ziele beim Entropium senile, wo die spastische Affection minder hervor-
sticht und die Einstülpung zum grossen Theile auf die Lockerung und
Weichheit des Gefüges der Lider geschoben werden muss.
In günstigen Fällen dieser Art, besonders wenn der noch bestehende Lid-
krampf zumeist oder lediglich von der mechanischen Reizwirkung des entropionirten
Lides abhängt, bei richtiger Stellung des letzteren also aufzuhören verspricht, kann
man wohl auch die Einheilung einer Bindehautfalte in den Wundwinkel mngehen
und sich auf die einfache Durchtrennung der äusseren Commissur beschränken. Es ist
hierbei jedoch nothweudig, den Schnitt nicht horizontal, also in die Verlängerung
der Lidspalte zu legen, sondern ihn schräg nach aussen und, da es sich wohl immer
um das jmtere Lid handelt, nach abwärts zu führen. Ein loagrechter Schnitt trifft
nämlich die Fascia tarsoorbitalis gerade in ihrem mächtigsten Theile, dem soge-
nannten äusseren Lidbande, und vermag nicht, selbe zu entspannen. Zudem läuft
er gerade durch jene Partie der Orbicularisbündel, welche von derben Scheiden
straffer an die Unterlage gelöthet sind ; der Muskel bleibt also an beiden Endpunkten
fixirt und verliert wenig von der ihm eigenthümlichen Wirkung. Die Nichtbeachtung
dieses anatomischen Verhältnisses erklärt es, dass die Durchtrennuug der äusseren
Commissur, beziehungsweise die Canthoplastik, nicht allenthalben die verdiente
Abschiiünuig vuu Hautt'alteii.
531
¥ig. 70.
Wertlischätzung findet und blos für jene Fälle zureichend erachtet wird, in welchen
die Lidspalte sich crlicblicli verkürzt hat (Qraefe). Wo es sich um ausyiehige Erfolge
handelt, muss in der That die Commissur ■<>chräf/ durchschnitten werden. Je schräger
die Wunde, um so grösser ist die Muskelentspannung.
3. Um die therapeutische Wirkung der Canthoplastik zu erhöhen und zu
sichern, empfehlen Manche, diese Operation 7nü der Ahschnürung einer horizontalen
Hautfalte und der iinterlagernden Hluskelfasern su verbinden ( Pagenstecher ). Es wird
dieses zusammengesetzte Verfahren, welches man auch gerne der Transplantation
und der Abtragung des Haarhodens bei Trichiasis und Distichiasis substituirt,
übrigens nicht blos beim spastischen^ sondern auch beim organischen Entropium ge-
rühmt, also wo Schrumpfungen der Bindehaut oder gar des Knorpels bei der Lid-
einstülpung concurriren.
Behufs der Abschnürung zieht der Operateur, während ein Gehilfe den Kopf
des Kranken festhält, die äussere Liddecke in der Mitte der Breite des Augen-
deckels mittelst des Daumens und Zeigefingers der linken Hand möglichst weit ab,
und fasst sodann einen genügendbreiten
Theil dieser Hautfalte zwischen die
Arme einer Krückenzange. Es ist hier-
bei wohl zu achten, dass die Falte
wirklich horizontal laufe, damit der
auf die äussere Lefze wirkende Zug
ein gleichmässiger sei. Auch muss die
gefasste Hautfalte so breit sein, dass
die äussere Lidlefze einigermassen
nach atissen gekehrt erscheint. Ist die
Falte innerhalb der Krückenzange
gehörig gerichtet, so wird erstlich
(Fig. 70) in der Nähe der äusseren
Commissur eine mit einem stark ge-
wichsten Faden armirte krumme
Nadel, 1'" weit von der äusseren
Lefze entfernt, eingestochen, ha7't am
Knoi-pel unter der Hautfalte fortge-
geführt und dann in entsprechender
Distanz wieder ausgestochen. Ein
zweiter Faden wird in der Mitte der Lidbreite oder in der Gegend der grössteu
Einstülpung und ein dritter nahe der inneren Commissur in derselben Weise ein-
geführt. Nun wird die Krückenzange entfernt, jeder einzelne Faden in einen Knoten
geschürzt und fest zusammengezogen (Gaillard, Rau).
Es ist dieses Manöver sehr schmerzhaft, doch verliert sich der Schmerz ziem-
lich bald. Es entwickelt sich hierauf eine Entzündung. Tritt dieselbe nicht unter
gar zu stürmischen Erscheinungen auf, so kann man sie ganz gut sich selbst über-
lassen, nur muss für gutes Verhalten des Kranken gesorgt und die Beioegung der
Lider durch einen ScMitzverhand mit Baumwolle gehindert werden. Bei sehr intensiven
Entzündungssymptomen können Eisumschläge in Anwendung gebracht werden.
Kömmt es zum Erysipel, so thut man gut, die Hefte zu lösen und eine andere
Methode zu versuchen. Widrigenfalls bleiben die Hefte liegen, bis sie von selbst
durch Eiterung abgestossen werden. Durch die Entzündung werden die in die
Ligatur gefassten Theile der Lider unter einander verlöthet und wohl auch in derbe
sehnige Narbenmassen verwandelt, welche kurze Zeit nach der Verheilung noch
deutlich zu sehen und zu fühlen sind, später aber sich ziemlich verlieren, während
das Lid gewöhnlich in seiner normalen Stellung verharrt. Mit Sicherheit darf jedoch
hierauf nicht gerechnet werden, weil sich die Narben unter fortgesetzter Zugwirkung
der Lidmuskeln öfters wieder so weit ausdehnen, dass der Lidrand neuerdings in
eine falsche Stellung geräth.
4. Diese Unzuverlässlichkeit der Narben, zusammengenommen mit der laugen
Dauer und den Gefahren der entzündlichen Reaction, lässt die ÜDischnürung einer
Hautfalte, für sich allein durchgeführt, als kein ztceckmässiges Verfahren anerkennen.
Auch steht es dahin, ob durch die mannigfaltigen Modificationen der Operation der
Erfolg genügend gesichert werde.
34*
532 Entropium; Absclinüruug v. Muskelliüudeln ; Entropiumzange; Abziehuiig der Lider.
So durclischneiden Manche die äussere Liddecke parallel dem freien Lid-
rande und etwa 1'" von letzterem entfernt bis auf den Muskel. Hierauf fassen sie
den orbitalen Wundrand und trennen die Cutis vom Orbicularis los, so dass eine
breite und tiefe Hauttasche gebildet wird. Nun führen sie das eine Ende eines mit
zwei Nadeln armirten Fadens im äusseren Winkel der so gebildeten Wunde hinter
die Orbicularisfasern und, der vorderen Knorpeloberfläche entlang, bis an den
Grund der Hauttasche , allwo sie die Nadel durch die Liddecke herausstechen.
Das zweite Fadenende wird sodann in der Hauttasche vor dem Muskel hinge-
führt und nahe dem ersten Faden durch die Haut gestochen, worauf die beiden
Fadenenden um eine Heftpflasterstreifenrolle geknüpft werden. In ganz ähnlicher
Weise wird ein zweiter Faden vom inneren Winkel aus um die Fasern des
Orbicularis geschlungen und so durch dessen Knüpfung der Muskel in eine Zick-
zacklinie gebogen. Das Resultat ist eine Ahziehung des Lidrandes vom Bulbus
(Bowman).
Andere führen bei völlig umgestülptem Lide die mit krummen Nadeln armir-
ten Enden eines Fadens durch die ganze Dicke des Lides, und zwar so, dass der
eine Faden von der tiefsten Stelle des Uebergangstheiles der Bindehaut aus den
convexen Band des Tarsus durchdringt, der andere Faden aber in einiger Entfer-
nung davon das Augenlid passirt. Hierauf werden die beiden armirten Fadenenden
durch die äussere Stichöffnung zurück an der vorderen Fläche des Knorpels, unter
dem Muskel hinweg, gegen den Lidraud hin geführt und knapp an der äusseren
Lefze in einer gegenseitigen Entfernung von etwa 2 Millimetern ausgestochen, hier-
auf zusammengeschnürt und so der Lidrand nach aussen gerichtet. Nach drei
Tagen kann der Faden ausgezogen werden, wobei darauf zu sehen ist, dass nicht
ein Theil desselben zurückbleibe, widrigenfalls leicht Verschwärungeu das Resultat
sind. Deren Vermeidung und der Umstand, dass keine äusserlich sichtbaren Narben
gesetzt werden, sind ohne Zweifel wohl zu würdigende Vortheile dieser Operations-
methode gegenüber den anderen Abschnürungsarten (Snellen, Mannhardt).
Wo es sich um vorübergehende Wirkungen handelt, wenn z. B. der sonst
unveränderte untere Lidrand während einer voraussichtlich in kürzester Zeit zu
bewältigenden Ophthalmie krampfhaft entropionirt worden ist, kann man übrigens
bisweilen den Heilzweck auf unblutige Weise erreichen, indem man eine breite
horizontale Hautfalte aus der Fläche des Lides zwischen die Arme einer federnden
Entropiumzange (Bonafont) zwängt und so den Lidrand in seiner normalen Stel-
lung erhält. Es ist diese Zange nach dem Principe der Serres fines aus federndem
Pakfongdraht gebildet, ihre beiden Arme sind jedoch abgeplattet und an ihrer In-
nenseite zart gerifft, damit sie besser haften. Bei starken Contractionen der Muskeln
pflegen sie sich trotzdem mit der Zeit etwas zu verschieben , daher es gut ist , die
Zange im Laufe des Tages ein und das andere Mal wieder in die entsprechende
Lage zu bringen und, um ausserdem den Druck nicht immer auf dieselben Theile
der Haut wirken zu lassen, die Stellung des Instrumentes, so weit es thunlich ist,
zu wechseln. Serres fines fVidalJ drücken die Haut zu leicht durch und erregen
zu heftige Schmerzen, als dass sie verwendbar wären.
Weniger belästigend und mindestens eben so wirksam ist die Faltung der
äusseren Liddecke mittelst eines durch Collodium an der Haut befestigten Leinwand-
streifens (Bowman, ArltJ. Es soll ein solcher IV2" langer und 1/2" breiter Streifen
mit einem Ende unterhalb des inneren Lidwinkels, zwischen der Wangenlidfurche
und dem Tarsal theile des Lides, angeklebt und dann, während man die unter der
äusseren Winkelfurche gelegene Haut ihm entgegenschiebt, unter strafi'er Spannung
nach aussen gelegt werden, um schliesslich sein anderes Ende gleichfalls zu fixiren.
Bestreichung der Fläche des Streifens mit Collodium soll vermöge dessen starker
Schrumpfung die Zugwirkung erhöhen. Leider lösen die Thränen den Verband
häufig bald wieder los.
5. Dauerhafter ist unstreitig die Zugwirkuug von Narben, welche sich
auf Suhstanzlücken der äusseren Liddecke entwickelt haben. Um letztere
zu erzeugen, hat man Aetzmittel auf die äussere Lidhaut aufgetragen, häu-
figer aber das Messer oder die Schere in Gebrauch gezogen. Als die ent-
sprechendste Form des zu entfernenden Hautlappens wurde bald ein queres,
bald ein senkrechtes oder schräges Oval genannt. Um die Zugwirkung zu
Ansschnoidung' von Hautfalten.
533
Fig. 71.
steigern, ist es nothwendig, das Lid bis zur definitiven Wundverheilung
durch Pflasterstreifen in der gewünschten abgezogenen Stellung zu erhalten.
Wird diese V^orsicht nicht gebraucht, so bleibt der Erfolg gerne hinter den
Erwartungen zurück. Die gleichzeitige Ausschneidung des blosgelegten
Krcismuskeltheiles (Himly) ist kaum erforderlich.
Manche legen das Hauptgewicht auf die horizontale Anstraffung der
mittleren Zone der äusseren Lidhaut, da diese, besonders bei Entropien
des unteren Lides, am meisten ausgedehnt zu sein pflegt. Sie empfehlen
daher, statt ovalen Lappen ein Dreieck aus der Liddecke auszuschneiden, des-
sen 3'" — 5'" lange Basis parallel dem freien Lidrande läuft. Es wird zu
diesem Ende (Eig. 71) eine Hornplatte unter das Lid geschoben und 1 V2'"
von der äusseren Lefze entfernt, ein dieser paralleler, also fast wagrechter
Schnitt durch die Liddecke geführt, welcher jederseits um 1—2'" von der ver-
ticalen Flucht der Commissuren zurückbleibt. Ist dieses geschehen, so wird
mit zwei gegen den Orbitalrand convergirenden Hautschnitten das Dreieck
abgegrenzt und durch Präparation entfernt. Dehnt
sich bei alten Leuten die Erschlaffung ziemlich
gleichmässig gegen die orbitalen Muskelbögen aus,
so soll dem Lappen besser die Form eines Spitz-
bogens gegeben werden. Die seitlichen Schenkel der
Flächenwunde sind dann nach ausreichender Lösung
von der Unterlage durch 2 — 3 Knopfnäthe zu
vereinigen , die wagrechte Schnittwunde bleibt
jedoch der spontanen Verheilung überlassen. Die
Form der Narbe ist selbstverständlich ein T. Die
seitliche Verkürzung des Lides soll in Fällen, in
welchen die Lidspalte nur einigermassen geräumig
war, keine erheblichen Nachtheile mit sich brin-
gen ; dort aber, wo das Entropium von vorneherein
mit Verengerung der Lidspalte gepaart war, durch eine gleichzeitig durch-
geführte oder vorausgeschickte Canthoplastik aufgewogen werden (Graefe).
Andere legen beim Entropium des unteren Lides die Basis des auszu-
schneidenden Dreieckes ausserhalb die äussere Conimissur. Sie spalten diese
vorerst auf i'" Länge in horizontaler Kichtung, führen dann vom unteren
Wundrande zwei nach abwärts convergirende gerade Schnitte durch die
äussere Haut und präpariren den so umschriebenen triangulären Lappen
von dem Muskel los. Hierauf befestigen sie den inneren Kand der Flächen-
wunde an den äusseren durch Knopfnäthe, spannen also die Liddecke in
querer Richtung und heben selbe etwas. Man rühmt dieses Verfahren sehr,
wo das Entropium hauptsächlich von Bindehaut- und Knorpelschrumpfung
abhängt und mit Blepharopliimosis einhergeht, wie dies nach hochgradigen
Trachomen öfters vorkömmt (Busch).
Ist beim Entropium des oberen Lides der Tarsus geschrwnpft, so soll vorerst
ein dreieckiger Hautlappen aus der Mitte der Liddecke herauspräparirt werden,
dessen Basis dem freien Kunde sicli zukehrt (wie in Fig. 71). Hiei'auf soll der
biosliegende Tlieil des Kreismuskels durch Haken vom Operationsfelde weggedrängt
und aus dem nun an die Oberfläche gelangten Knorpel gleichfalls ein Dreieck
ausgeschnitten werden, das seine Basis jedoch dem Orhitalrande zuwendet und
mit der Spitze hart an den freien Rand des Tarsus reicht, ohne diesen aber zu
durchtrennen. Die Lidbindehaut soll hierbei geschont , der Knorpellappen von ihr
also blutig gelöset werden. Die Vereinigung der Wunde hat wieder durch mehrere
534 Entropium; Behandliiiig; Kxstirpiitioii des Knorpels; Quellen.
Knopfnähte zu geschehen, welche die Seitenschenkel des Hautdreieckes in einer
senkrechten Linie zusammenziehen und deren mittelste zugleich die oberflächlichen
Lagen des Knorpehoundrandes in sich fasst (Gvaefe). Leider ist die Schliessung
der Tarsuswunde ohne Faltung ihrer horizontal streichenden Basis nicht möglich,
ein Umstand, welcher der Verheilung sehr misslich in den Weg treten muss.
Vielleicht entspricht ein myrtheiihlatfförmiger Knorpelausschnitt mit verticaler Axe
und je nach Bedarf stärker oder schwächer ausgebauchten Seitenr'dndern dem
Zwecke besser. In letzterer Zeit wurde der Vorschlag gemacht, den Lidknorpel,
falls er sehr degenerirt und verkrümmt ist, gänzlich zu exstirpiren. Es soll zu
diesem Behufe vorerst ganz so , wie bei der Transplantation des Haarbodens
(S. 522) vorgegangen werden. Ist die vordere Knorpelfläche sodann durch den halb-
mondförmigen Ausschnitt der äusseren Liddecke biosgelegt, so soll von der Wunde
der Lidrandfläche aus der Tarsus mittelst eines Scalpells von der Bindehaut los-
gelöst und mittelst der Schere bis auf seine obere Randzone entfernt werden,
worauf die halbmondförmige Hautlücke durch Knopfuäthe zu schliessen und ein
geeigneter Verband anzulegen ist (Pope).
6. Kömmt man mit diesen Operationen nicht zum Ziele, streifen
abermals die Cilien am Bulbus, so bleibt nichts übrig; als die Abtragung
des Haarbodens (S. 522)
7. Ist Phthisis oder Exstirpation des Bulbus die Verarilassung eines
wegen Einwärtskehrung der Wimpern lästigen und gefährlichen Entropiums,
so thut man am besten, ein künstliches Auge einzulegen, eine Operation ist
fast immer überflüssig.
Quellen: Himly, Krankheiten und Missbildungen. I. Berlin. 1843. S. 120, 125
129, 132. — Mackenzie, Traite d. mal. d. yeux. Traduit p. Warlomont et Testelin,
I. Paris. 1856. S. 307, 310. — Desmarres, Traite d. mal. d. yeux. Paris. 1847.
S. 44, 50. — Arlt, Die Krankheiten des Auges. III. Prag. 1856. S. 365; A. f. O.
IX. 1. S. 94; Zeitschrift der Wiener Aerzte. 1861. Wochenblatt. S. 87. — Stellwag,
Ophth. II. S. 908, 922. — Graefe, A. f. O. X. 2. S. 221, 223, 224. — Bonafont,
L'union med. 1861. Nro. 27. — Vidal , nach Mackenzie 1. c. S. 311. — Busch,
A. f. O. IV. 2. S. 107. — Pagenstecher und Saemisch, klin. Beobachtungen. I.
Wiesbaden. 1861. S. 6; Congres intern, d'ophth. Paris. 1863. S. 241. — Secondi,
Clinica di Genova, Eiassunto, Torino. 1865. S. 122. — Raii, A. f. O. I. 2. S. 176,
178. — Gaillard, nach Rau 1. c. — Bouman, nach Mackenzie 1. c. S. 311 und
Niemetschek , Prag. Vierteljahrschrift. 78. Bd. S. 97. — Snellen, Congres intern,
d'ophth. Paris. 1863. S. 236. — Vauquelin, De l'applicat. de la suture enchevillee.
Paris. 1853. S. 20, 26. — Mannhardt, A. f. O. XIV. 3. S. 42, 45. — Pope, Arch.
f. Augen- u. Ohrenhlkde. I. S. 68.
5. Das Ectropium.
Pathologie und Krankheitsbild. Die Auswärtskehrung beschränkt
sich bisweilen auf einen Theil des einen oder des anderen Lidrandes.
Meistens jedoch ist das Ectropium insoferne ein totales , als der Lidrand
seiner ganzen Länge nach in eine falsche Stellung gekommen ist. Es betrifft
das Ectropium öfters das untere als das obere Lid, findet sich übrigens
auch an beiden Augendeckeln des einen oder beider Augen.
Man kann mehrere Grade des Ectropiums unterscheiden. Auf der
niedersten Entwickelungsstufe ist es niir eine Abhebung der inneren Lidlefze,
ein nicht völlig genaues Anschliessen des Lidrandes an den Bulbus. Li
anderen Fällen erscheint der Lidrand in Wahrheit nach auswärts gekehrt,
er steht vom Bulbus ah und seine Intermarginaliläche sieht nach vorne.
Beim Lidschlusse trifft der Rand des gesunden Lides auf den vordersten
Theil der Innenfläche des kranken Augendeckels und schiebt sich gleichsam
Ectropium; Patholofjic niul KruiikUeiishild. 535
hinter diesen hinein ; oder es stossen, falls beide Lider in gleicher Weise
alterirt sind, die lländer derselben unter einem spitzen, nach vorne sehenden
Winkel auf einander. Als dritten Grad kann man die ümstülpung des Lides
als solchen bezeichnen. Der betreffende Augendeckel ist in seiner verticalen
Breite umgebogen, die Flüche des Lidrandes sieht nach unten, beziehungs-
weise nach oben, beim Lidschlussc trifft das gesunde Lid auf die Umbiegungs-
linie der Lldbindehaut, deren Jiandzoue bleibt demnach entblösst. Die äussere
Commissur erscheint dabei in der Regel verrückt, sie sinlct beim Ectropium
des unteren Lides beträchtlich nach abwärts, beim Ectropium des oberen
Lides aber wird sie emporgezogen. Die höchsten Grade des Ectropium endlich
stellen sich als eine totale Umkehrung des Lides dar. Dieses hat sich zur
Oberfläche des Bulbus in einen stumpfen Winkel gestellt, seine hintere
Fläche ist zur vorderen geworden, so dass die ganze betreffende Hälfte des
Conjunctivalsackes zu Tage liegt und der Bulbus gar nicht oder nur
schwierig mehr gedeckt werden kann.
In der Natur sind diese vier Grade begreiflicher Weise nicht scharf
von einander getrennt, sondern hängen durch zahlreiche Zwischenglieder
mit einander zusammen. Die Umstülpung des Lides entwickelt sich übrigens
nicht selten aus einer vorläufigen Auswärtskchrung des Lidrandes und dieser
geht oft eine blosse Abhebung des letzteren voran.
Die gradweise Zunahme des Ectropiums erscheint dann bedingt durcli das
Fortbestehen der disponirenden Momente, besonders aber durch die mit der fal-
sclien Stellung der Lidränder zu einander veränderte Wirkung des Orhicular-is.
Es treibt nämlich, falls die Lidränder unter einem nach vorne sehenden spitzen
Winkel auf einander stossen, die Hauptmasse der Kreismuskelfasern beim Lid-
schlusse die Lidränder mit überwiegender Kraft nach vorne. Die dem Lidrande
nächsten Bündel des Orbicularis mit dem Subtarsalmuskel sind viel zu schwach,
um diesem Drucke das Gleichgewicht zu halten. Sie fvöunen sich daher nur da-
durch verkürzen, dass sie den nach auswärts gekehrten Lidrand völlig umstülpen.
Die veränderte Stellung der Lidränder zur Oberfläche des Bulbus ist
der normalen Thränenleitung hinderlich. Ist das untere Lid ectropionirt,
so sammeln sich unverhältnissmässig grosse Mengen von Thränen in der
tiefen Furche zwischen der inneren Fläche des abgehobenen unteren Augen-
deckels und der Bulbusconvexität. Das Auge scheint daher in Thränen
zu schwimmen, namentlich wenn äussere Beize auf dasselbe wirken. Eine
unmittelbare Folge dessen, sowie auch einfacher Abhebungen des oberen
Lidrandes, sind Störungen des Sehvermögens wegen ungleichmässiger Be-
feuchtung der Hornhaut beim Lidschlage. Bei den höheren Graden des
Ectropiums, besonders des unteren Lides, überfliesscn avoIiI auch die Thränen,
sobald sie sich in grösserer Menge sammeln und bedingen Excoriationen
der Wangenhaut, Entzündungen derselben und in deren weiterer Folge
Schrumpfungen des Integumentes, welche eine Gradsteigerung des Ectropiums
mit sich bringen. Die Einwirkung der atmosphärischen Luft und anderer
äusserer Schädlichkeiten auf blosgelegte Theilc der Bindehaut oder gar auch
der Cornea führt endlich, wenn auch langsam, zu ähnlichen krankhaften
Vorgängen, wie das Entropium. Die Bindehaut wird in einem fortwähren-
den Reizzustande erhalten und hypertrophirt, sie überzieht sich mit ver-
hornendem Epithel, schrumpft am Ende, während der mitleidende Knorpel
atrophirt, unter mannigfaltigen Verkrümmungen sich zusammenzieht und
erhärtet. Die Hornhaut trübt sich dann meistens pannös, wenn sie nicht
gar unter den häufigen Entzündungsanfällen durch Verschwärung geschädigt
536 Ectropium; Ursachen; Ectropium paralytienm, senile, luxurians s. sarcomatosura.
oder vernichtet wii-d. Zu allem dem kommen in den späteren Stadien
höhergradiger Ectropien öfters Schrumpf imgc.n des Thränensaches ; dieser,
wenn er Jahre laug nicht gefüllt wurde, verkleinert sich mehr und mehr
unter Degeneration seiner Wandungen und wird am Ende unfähig, seine
normalen Functionen wieder aufzunehmen (A. Weber^
Die Ursachen des Ectropiums sind überaus mannigfaltig. 1. In ein-
zelnen Fällen ist Functionsschiväche oder wirkliche Lähmung des Kreismuskels
die hauptsächlichste Veranlassung. Insoferne können
Gehirnleiden oder Leitungshemmungen im Bereiche des Nervus facialis
das ätiologische Moment abgeben (Ectropium paralyticum). Bei den nieder-
sten Graden der Parese äussert sich der krankhafte Zustand blos durch
weniger festes Anschliessen des Lidrandes an den Bulbus und durch gehin-
derte Thränenleitung. Bei den höheren Graden der Parese jedoch hängt das
untere Lid schlaf herab oder schlägt sich wohl auch förmlich um, wäh-
rend das obere Lid durch den Levator palp. sup. emporgehoben und so der
Augapfel entblösst wird (Lagophthalmus paralyticus).
Anderseits kann die Functionsbehinderung des Kreismuskels auch in
Veränderungen der Fleischbündel selber, vornehmlich in Atrophie derselben,
ihre Quelle haben und durch vorausgegangene Entzündungen der Lider,
Abscesse u. s. w,, ferner durch übermässige Ausdehnung der Lidränder von
Seite orbitaler Geschwülste etc., begründet worden sein.
Am gewöhnlichsten ist die Schwäche des Kreismuskels jedoch der
Ausdruck hochgradiger seniler Involution. In der That ist das Herabsinken
des unteren Augendeckels bei hochbetagten Greisen keine sehr seltene Er-
scheinung, namentlich wenn das Individuum seit langer Zeit an chroni-
schem Bindehautkatarrhe gelitten hat, da dann meistens der Knorpel in Mit-
leidenschaft gezogen wird, sich auflockert, seine Steifigkeit einbüsst, sich
etwas ausdehnt und sohin dem Bulbus nicht mehr fest anschliesst, also zu
dem anderen Lide leicht in eine falsche Stellung geräth. Der Beginn des
Leidens ist in solchen Fällen häufig eine leichte Eversion des Hinteren Thrä-
nenpunktes. Das damit gesetzte Thränenträufeln führt zu Entzündungen
und weiterhin zu Schrumpfungen der äusseren Lidhaut, die ihrerseits
wieder eine Ursache der Grad Steigerung des gesammten Kranldieitszustandes
werden (Ectropium senile).
2. Die Auflockerung, Eriveichung und ganz vorzüglich die Ausdehnung
des Lidknorpels, macht auch hochgradige Trachome zu einer sehr ergiebigen
Quelle von Ectropien. Besonders gerne kömmt es unter solchen Verhält-
nissen dann zur Umstülpung, wenn der Process eine Zeit lang unter
starker Schwelhing der Augajyfclbindehaut verlief und nebstbei aus irgend
einer Ursache Lidkrämpfc angeregt wurden. Es ist nämlich schon die
entzündliche Auflockerung des Knorpels mit einiger Verlängerung der Lid-
ränder gepaart und diese nimmt beträchtlich zu, wenn von hintenher ein
Druck auf die Lider wirkt. Die Lidränder schliessen daher nach der Ab-
schwellung nicht mehr genau an den Bulbus an. Unter dem Drucke des
Kreismuskels stülpen sie sich dann immer mehr nach vorne. Am Ende
schlägt sich das untere Lid ganz um, so dass die geschwollene und von
trachomatösen Granulationen rauhe Lidbindehaut blosliegt , während der
obere Augendeckel sehlatf an dem Bulbus herabhängt (Eclropitim luxurians
oder sarcomatosumj.
Kctrciiiimii im'cli:niiciiiii, syiiip'"'"''*'''"'"; l'i'i-ilirosis. 537
3. Das Ectropium oiitwickelt sicli übrigens au(;li zieinlicli häufig
acut im V'crlaufe der Blennorrhoe, der I'yorrhoe, der Diphtlieritits, überhaupt
bei Bindehautentzündungen, welche mit starker Chemosis einhergehen (S.
433). Wird die Rückstülpung nicht alsbald bewerkstelliget, so dehnt sich
nach und nach der Knorpel, vornc^lnulich aber der am meisten gespannte
Lidrand aus und das ]jid verliert die Fähigkeit sich in seiner normalen
Stellung zu behaupten, um so mehr, als die biosgelegte Portion der Bin-
dehaut sammt dem subconjunctivalen Gewebe in Folge der anfänglichen
Einschnürung der Bindehautwülste und wegen der dadurch bedingten me-
chanischen Hyperämie nicht selten hypertrophirt und in Form eines mäch-
tigen härtlichen Tumors aufgebläht bleibt.
4. In ähnlicher Weise kömmt es bisweilen zu Ectropien des unteren
oder beider Lider, wenn sich in der Bindehaut oder in der Orbita umfang-
reiche Aftergebilde entwickeln, oder wenn der Augapfel aus irgend einer
Ursache bedeutend an Umfang zunimmt. Es werden dann nämlich die
Lider mehr und mehr nach vorne gebaucht, ausgedehnt und wohl auch an
der Schliessung gehindert. Am Ende drängt sich der Tumor oder der
Bulbus aus der Lidspalte heraus und stülpt so die Lidränder um (Ectro-
pium mechanicum).
5. Nicht minder sind Wmiden, welche das Lid seiner ganzen Dicke
nach in einer auf den Lidrand senkrechten oder schiefen Richtung spalten,
so wie geschiüürige, krebsige, lupöse Zerstörungen der einen oder anderen
Commissur (Peribrosis^ eine Quelle mechanischer Ectropien, da sie den Lid-
rand seiner natürlichen Stützen berauben. In neuerer Zeit kommen öfters
auch Ectropien beider Lider in Folge der operativen Durchschneidung des
inneren Lidbandes bei Behandlung von mancherlei Thränenschlauchleiden vor.
6. Am häufigsten jedoch liegt dem Ectropium eine Verkürzung der
äusseren Lidhaut, oder eine Zerrimg derselben durch nachbarliche schrum-
pfende Narben zu Grunde (Ectropium symptomaticnm) . Vorzüglich neigt das
untere Lid vermöge der Kürze seiner Decke und der Biegsamkeit seines
Knorpels zu einem derartigen Ectropium. Doch auch das obere Lid wird
oft durch Narben umgestülpt und sogar völlig umgekehrt.
a. Als Ursache der A^erkürzung der äusseren Lidhaut wirken bis-
weilen chronische Ophthalmien, besonders wenn sie mit Thränentiuss oder
mit reichlicher Absonderung schleimig eiteriger Producte einhergehen und
so die äussere Lidhaut fortwährend befeuchtet wird. Es bedeckt sich
dann die letztere allmälig mit einer dicken Schichte spröder, öfters rissiger
Epidermis, während das Corium selbst hypertrophirt und weiterhin zusam-
menschrumpft, sich verkürzt, nachdem vielleicht auch schon der Knorpel sich
aufgelockert hat. Es ist diese Verkürzung relativ gering und reicht nur
hin, das untere Lid zu ectropioniren.
b. Häufiger ist die Verkürzung der äusseren Lidhaut eine Folge von
Substanzverlusten derselben mit nachfolgender Entwickelung schrumpfender
Narben. Risswunden mit consecutiver Eiterung, Verbrühungen, Verbrennungen,
Anätzungen, confluirende Blattern und Eczem, Erysipel, Absckss der Lider
mit Verschwärung oder Absterbung der Liddecke geben die entfernteren
Ursachen ab. Je nach der Grösse des Substanzverlustes wird bisweilen
der grösste Theil oder die ganze äussere Lidhaut durch Narbengewebe er-
setzt, oder es bilden sich blos mehr weniger breite und dicke Narben-
538 Ectropium; Ursachen; Caries orbitae; Behandlung; Verengerung der Lidspalten.
stränge, welche entweder ihrer ganzen Länge nach in der Lidhaut wur-
zeln, oder brückenartig von einem Punkte zum anderen ziehen und das
Integument des Augendeckels in Falten emporheben.
c. Von ganz besonderer Wichtigkeit erscheint in dieser Beziehung
wegen der Häufigkeit , so wie wegen der Hochgradigkeit und schwie-
rigen Heilung der dadurch bedingten Ectropien, die Caries des knochigen
Orbitalrandes. Es wird in Folge dieses Leidens nicht nur ein grosser
Tlieil der äusseren Liddecke zerstört, durch Narbengewebe ersetzt und sohin
ansehnlich verkürzt, sondern die ISTarbe schliesst auch den meistens stark
verkrümmten Knorpel und eine Portion der Fascia tarso-orbitalis in sich
und hängt unmittelbar mit dem Knochen zusammen. Es kömmt diese Caries
am häufigsten an der unteren äusseren Partie des knöchernen Orbitalrandes
vor. Entwickelt sie sich an dem äusseren Randtheile, so wird diu'ch die
nachfolgende Narbe bisweilen eine partielle Ausstülpung des oberen oder
unteren, oder beider Augendeckel in der Nähe des äusseren Winkels ver-
anlasst.
d. Ausserdem werden bisweilen ausgebreitete schrumpfende Narben
in der Wangen-, Stirn- und Schläfengegend durch Zug auf die sonst völlig
normale äussere Lidhaut Ursache von Ectropien.
Die Behandlung verfolgt dieselben Zwecke wie beim Entropium
und wechselt natürlich ausnehmend je nach der Verschiedenheit des Grund-
leidens.
1. Beim Ectropium acutum und sarcomatosum reicht zur Beseitigung
der falschen Lidstellung oft die richtige Behandlung des entzündlichen
Gewebswucherungsprocesses und die Rückstülpung des etwa umgeschlagenen
Augendeckels hin. In der Mehrzahl der Fälle jedoch wird nebstbei ein
zweckmässiger Verband angelegt und längere Zeit getragen werden müssen
(S. 439). Mit Geduld und gehöriger Umsicht geleitet , führt dieses
Verfahren oft selbst dort zum Ziele, wo der untere Lidrand um ein Be-
trächtliches verlängert worden ist. Es ziehen sich die Theile eben wieder
zusammen und das Lid schHesst sich regelrecht dem Bulbus an.
2. Bleibt der Lidrand in solchen Fällen, oder nach operativen Heil-
versuchen bei anderweitig begründeten Ectropien, vom Augapfel leicht ab-
gehoben und nach vorne gewendet : so leistet die Verengerung der Lidspalte
gemeinighch vortreffliche Dienste. Zu diesem Ende sind die Randflächen
der einen oder nöthigen Falles beider Commissuren mit Schonung der
wimpernbestandenen äusseren Lefze eine Strecke weit anzufrischen und
durch Knopfnähte zur A'erwachsung zu bringen.
Das gleiche Verfahren empfiehlt sich bei geringen Graden des senilen
und beim paralytischen Ectropium, ja bei letzterem ist es, die Unheilbarkeit
der Lähmung vorausgesetzt, überhaupt der einzige nutzbare Weg, um den
Fehler einigermassen zu verbessern und das etwa blosliegende Auge durch
theilweise Deckung vor äusseren Schädlichkeiten zu schützen. Nicht minder
wird die Verengerung der Lidspalte öfters in cosmetischem Interesse aus-
geführt, um wirkliche oder scheinbare Vortreibungen des Augapfels zu
maskiren.
Wo sich ein Ectropium symptomaticum wegen ausgebreiteten Sub-
stanzverlusten der äusseren Haut, der Lider oder der nachbarlichen Por-
Hlutige Vi'riMiiiffiui}; ili'r I,iilsitalti'iii-;iniici-. 539
tionen des Gesichtes in Police von Verbrennungen, Brand, Anätzung etc.
zu entwickeln droht: hat der llath viel für sioli, dici Lidspalte bis auf ein
Kleines zur Verwachsung zu hringai und während der Sclirunipl'ungsperiode
der Hautnarben verwachsen zu erhalten. Ks soUen zu diesem Zwecke unter
Schonung der äusseren Lefze beide Lich-iinder ihrer grössten Länge nach,
von den Tliränenwärzchen beginnend bis nalie an die äussere Coniraissur,
wund gcmaclit und sodann durch 5 — G Knopfuähte vereinigt werden. Um
die Narbe in ihrem Widerstände zu unterstützen, soll man die Lidspalte
öfters mit Collodium bestreichen. Nach mehreren Monaten, wenn die Haut-
narben der Umgebung keine weitere Schrumpfung mehr l)efürchten lassen,
kann dann die Trennung der Lidränder auf der Hohlsonde leicht bewerk-
stelligt werden (Dehrou, Mauvezin).
Li ähnlicher Weise ist die Knopfnaht das Mittel, um Ectropien,
welche durch traumatische oder geschwürige Zusammenhangstrennungen der
Lider oder der Commissuren begründet werden, zur Heilung zu bringen.
Sind die Spaltränder bereits verharscht, so müssen selbe natürlich erst auf-
gefrischt werden. Wenn sie aber von einer unregelmässigen derben Narbe
gebildet werden, tliut man wohl, diese durch Bogenschnitte zu umgrenzen
und zu entfernen, ehe man zur Wiedervereinigung schreitet. Es braucht
nicht erst erwähnt zu werden, dass die Frischwunde unter solchen Ver-
hältnissen durch die ganze Dicke des Lides zu legen ist.
Auch wo Durchschneidung des inneren Lidbandes die Ursache des Ec-
tropiums ist, lassen sich mit der blutigen Vereinigung des inneren Theiles
der LidrandÜächen befriedigende Resultate erzielen. Doch tritt hier die
Muskelwirkung gerne hinderlich in den Weg. Die äussere Haut wird nach
Anfrischung der Commissur von den Kreisfasern stark nach vorne, die
Schleimhaut mit der Carunkel aber von der Thränenlcammpartie nach
hinten gezogen, die Wunde auseinander gezerrt und in Folge dessen kömmt
es im Winkel gerne zur Eiterung. Um beide Platten thunlichst an einander
zu halten, ist es daher uothwendig, auf die Angulargegend einen Druck aus-
zuüben. Zu diesem Zwecke genügt ein derber, etwa haselnussgrosser Char-
piebausch, welcher auf den inneren Winkel gelegt und, nach gehöriger
Polsterung der Umgebung mit Watta oder Charpie, durch eine straff an-
gezogene Flanellbinde an seine Unterlage gepresst wird.
Ueberhaupt ist Behinderung der Lidbewegungen durch einen Schutz-
verband eine höchst zweckmässige Massregel bei allen Lidoperationen und
sollte während der ersten Verheilungsperiode niemals verabsäumt werden.
Die Wirkung des Kreismuskels ist nämlich immer mit Zerrung und Deh-
nung der Wundränder verbunden und diese kann den Vernarbungsvorgang
nur ungünstig beeinflussen.
Eine weitere wichtige Regel ist für alle Fälle, in welchen die ope-
rative Behandlung nicht eine vollständige Herstellung der normalen Tjoge und
Function des unteren lÄdes verspricht, das untere Thränenrohr zu spalten, um
die Thränenleitung zu fördern und den üblen Folgen etwa zurückblei-
bender Störungen derselben zuvorzukommen (Bowman). Ist gar schon eine
Schrumpfung des Thränensackes gegeben, so soll man nebstbei die Durch-
gängigkeit der Wege durch systematische Sondiruugen, wie selbe bei der
Behandlung der Thränenschlauchblennorrhoe üblich sind, zu vergrössern
suchen.
540 Ectropium; Behandlung; Fil de Florence; Verengerung der Lidspalte.
Im Ganzen ist bei Lidoperationen die Kopfnalit der uviscldungenen weitaus
vorzuziehen, da letztere auf die unterlagernden Theile stark drückt und fast immer
Eiterung im Gefolge hat, ausserdem aber auch ganz enthehrlich ist. Als Bindemittel
empfiehlt sich ganz vorzüglich die Fischschnur, Fil de Florence, fälschlich auch
Seegras genannt. Es wird dieselbe aus dem Gespinnstsecrete der Seidenraupe dar-
gestellt und findet sich allenthalben im Handel. Zu octdistischen Zwecken sind blos
sehr feine Fäden zu brauchen , und auch diese müssen vor der Verwendung eine
Zeit lang in heissem Wasser geiceicht werden, um ihnen die Steifigkeit zu nehmen.
Sie haben den nicht genug zu schätzenden Vortheil, dass sie selten Eiterung in den
Stichkanälen anregen und daher viel länger, als Seide oder Zwirn, liegen gelassen
werden können, ja häufig ohne Suppuration geradezu einheilen, jedenfalls also eine
festere Vereinigung der Wundränder abzuwarten erlauben (Passavant). Zu Nähten
in der Bindehaut und am Augapfel taugen sie jedoch nicht, da die abgeschnittenen
Enden zu steif werden und sehr stark reizen oder gar wund drücken.
3. Bei Ectropien des unteren Lides, welchen eine ansehnliche Ver-
längerung des freien Lidrandes, eine Ausdehnimg und Erschlaffung des
Knorpels zu Grunde liegt, die ihrerseits wenig oder keine Aussicht auf
gründliche Beseitigung zulässt : muss das Lid in horizontaler Richtung
angestrafft und gleichzeitig gehohen werden, soll es sich dem Bulbus wieder
anpassen ; die einfache Verengerung der Lidspalte erweist sich fast immer
unzulänglich.
Geht keine erhebliche Verkürzung der äusseren Liddecke nebenher und
hat der Lidrand im Uebrigen seine Normahtät bewahrt, so genügt meistens
die Ausschneidnng eines entsprechend grossen dreieckigen Hautlax>pens aus
dem äusseren Theile des Augendeckels und die Schliessung der Wundfläche
durch mehrere Knopfnähte. Behufs dessen wird das Lid von der Rand-
fläche aus nächst der äusseren Commissur mittelst eines breiten Lanzen-
messers gespalten und die Trennung, wo nöthig, mit dem Scalpelle fort-
gesetzt. Hierauf wird der trianguläre Lappen durch zwei von dem Inter-
marginalschnitte ausgehende, nach unten und aussen convergirende gerade
Hautschnitte abgegrenzt, lospräparirt, der innere Seitenrand der Wundfläche
an den äusseren geheftet und bis zur Verwachsung die Lidbewegung
durch einen Schutzverband gehemmt. Um die Zerrung zu vermindern,
ist es gut, vor der Wundschliessung den inneren Wundrand eine Strecke
weit von der Unterlage loszupräpariren, namentlich wenn das subcutane
Gewebe in Eolge vorausgängiger Reizzustände etwas verdichtet ist und
daher dem beabsichtigten Aufwärtsrücken der Hautplatte einigen Wider-
stand bietet. Auch erscheint es räthhch, die Spannung dadurch etwas her-
abzusetzen, dass man in der ersten Zeit die nachbarlichen Hautpartien
durch horizontal gespannte Pflasterstreifen gegen die Narbe gezogen erhält.
Liegt unter den genannten Umständen besonders eine starke Hebung
des Lides und der Commissur im Zwecke, so verdient die eigentliche Tar-
soraphie (Amman, Graefe) den Vorzug,
Ehe man zu dieser Operation schreitet, muss man vorerst die Lid-
spalte schliessen lassen, das untere Lid in seine normale Lage bringen,
sodann den unteren Lidrand in horizontaler Richtung von innen nach
aussen leicht spannen und, etwa '^j^'" — V" von der äusseren Commissur
entfernt, durch eine senkrechte mit Tinte gezogene Linie die zwei Punkte
der beiden Lidränder markiren, welche bei normaler Stellung und leichter
Spannung des unteren Lides auf einander passen. Hierauf wird, während
die Lider in der erwähnten Stellung erhalten werden, die Haut über der
Tarsoriiphiü ; Aimeigun ; Vcrl'ahi-ru.
541
äusseren Commissur in eine liorizoiilale Falle emporg'ohobon iinrl nach uvd nach
so viel von dem Integumente des unteren Lidi's zwisclien die Finger gefassl,
als erforderlich ist, um das letztere pj,_. ^j,
in seiner normalen Lage zu erhalten
und die äussere Commissur in das
Niveau des inneren M^inkels zu
heben. Ist auch die Breite dieser
horizontalen Hautfalte durch 2 dem ^^
Lidrande ^jaraWe^e Striche bezeich-
net, so schreitet man zur Exstir-
pation der innerhalb der erwähnten
Grenzlinien gelegenen Portion der
äusseren Decke.
Während ein Gehilfe den
Kopf des Kranken fixirt und ein
anderer die Stillung der Blutung
übernimmt, schiebt der Operateur
(Fig. 72) eine schmale Hornplatte
unter die äussere Commissur, hebt
sie vom Bulbus ab und spaltet sie
b
von der Randfläche aus in zwei Platten, indem er ein breites Lanzenmesser
hart vor der Fascia tarso-orbitalis einstösst und die Wunde mittelst eines
Scalpells an beiden Lidern bis in die Gegend der senkrechten Grenzlinie
(bei a und b) erweitert. Ist diese intermarginale Spaltung in genügender
Ausdehnung bewerkstelligt, so wird zuerst die untere und dann die obere
Lidrandfläche nach inne7i von der senkrechten Grenzlinie in einer Länge
von y.^'" — '■^l^'" durch einen horizontalen Schnitt angefrischt, welcher seiner
ganzen Breite nach hinter die Wimpern fällt, diese also schont. Nun wird
der untere Lidrand in der verticalen Grenzlinie bis auf den Knorpel durch-
geschnitten, die Wunde senkrecht
nach abwärts bis in das Niveau der
horizontalen GrenzUnie verlängert,
die Klinge sodann unter einem ab-
gerundeten Winkel nach aussen ge-
wendet, parallel dem Lidrande fort-
geführt und jenseits der Commissur
im Bogen nach aufwärts gelenkt.
In ganz ähnlicher Weise verfährt
man am oberen Lide. Je nachdem
die äussere Commissur mehr oder
weniger gehoben werden soll, werden
die horizontalen Schnitte in grösserer oder geringerer Entfernung von dem
Lidrande, immer aber so geführt werden müssen, dass sie in dem Niveau
der verlängerten äusseren Commissur unter einem gespitzten Bogen mit
einander zusammenlavfen. Das solchermassen umschnittene Hautstück wird
nun von den noch bestehenden Verbindungen lospräparirt und die Wund-
fläche durch 3 — 4 Knopfnähte geschlossen. Das erste Heft hat (Fig. 73)
die angefrischten Portionen der beiden Lidrandflächen knapp innerhalb der
senkrechten Grenzlinie zu vereinigen, die übrigen verbinden die entsprechen-
den Punkte des unteren und oberen Bogenschnittes und verwandeln dadurch
54:2 Ectrupmm ; Verkleiiieruiig d. Lider; theilweise Zerstörung, TrausplanUtion d. Bindehaut.
die Wundfläche in eine horizontale Wnndspalte. Um die Spannung auf
ein Kleines herabzumindern, dienen ausser dem Schutzverbande wieder
Heftpflasterstreifeu, welche, an Wange und Stirne befestigt, die zwischen-
gelegene Haut gegen die Wunde ziehen.
Bei sehr grossen Differenzen in der Länge der Lidränder wird der
Erfolg dieser Operationsmethoden leicht dadurch gefährdet, dass der Knor-
pel itnd die Fascia unter der Naht in Gestalt einer mächtigen Falte her-
vorgebaucht werden. Es ist daher räthlich, nach der Ablösung des um-
schnittenen Lappens aus der hinteren Platte nächst der äusseren Commissur
einen Zwickel (Fig. 72 c) auszuschneiden, dessen Axe nach aussen und
etwas nach unten sieht und dessen Basis dem Unterschiede in der Länge
der Lidränder nahezu gleichkömmt. Es müssen dann die Wundränder des
Knoiyels und der Fascie in die Naht gefasst werden.
Die Ausschneidung eines V-förmigen Stückes aus der Mitte und ganzen Dicke
des ectropionirten Lides (Adams) ist nicht zu empfehlen. In der Regel bleibt eine
zwickeiförmige Einbuchtung am Lidrande zurück, welche am unteren Lide die
Thr'dnenleilung einigermassen zu stören im Stande ist. Hauptsächlich aber kömmt
in Betracht, dass durch ein solches Verfahren die äussere Commissur nicht gehoben
wird und dass der verkürzte Lidrand, besonders bei stark hervorstehenden Augen,
sich gerne an dem unteren Theile der Bulbusconvexität stemmt, die Schliessung der
Lidspalte hindert und eine Quelle von Reizzuständen werden kann.
Ganz verwerflich ist der Versuch, Ectropien der in Rede stehenden Arten
durch Zerstörung eines Theiles der Uebergangsfalte mittelst Causticis, dem Glüheisen etc.,
also durch Erzeugung einer sich contrahirendeu Bindehautnarbe zur Heilung
bringen -/.u wollen. Bei höhergradigen Ectropien ist ein solcher Vorgang ganz
unzureichend; aber auch niedergradige Ectropien setzen, sollen sie durch den Zug
einer Bindehatdnarbe aufgehoben Averden , eine sehr umfangreiche Zerstörung der
Conjunctiva voraus i;nd diese ist für die Functionstüchtigkeit des Auges nicht ohne
erhebliche Gefahr.
Manche suchoi die Spannung der Bindehaut durch eine Art Transplantation
derselben zu erzielen und rühmen die Erfolge, vornehmlich bei senilem und
sarcomatosem Ectropium. Es soll zu diesem Behufe die Tarsalbindehaut ihrer ganzen
Breite nach auf etwa 8'" Tiefe von der inneren Knorpelfläche losgetrennt und
hierauf die Liddecke von aussen her längs des convexen Knorpelrandes in der
Breite des Lides durchschnitten werden. Nun soll man die Conjunctiva durch
diesen Spalt in Form einer Querfalte je nach Bedarf hervorziehen, durch kreuz-
weise gesteckte Karlsbader Nadeln befestigen und einheilen lassen (Dieffenbach,
Küchler). Leider nimmt diese Methode keine Rücksicht auf Verlängerungen des
Lidrandes. Wo diese nach Rückstülpung des Lides auf unblutige Weise zum Aus-
gleich gebracht werden können, erscheint die Operation überhaupt überflüssig. Wo
die Zusammenziehung der ausgedehnten Theile aber nicht mehr zu erwarten ist,
kann das Verfahren dem Zwecke unmöglich voll genügen.
4. Hat eine merkliche Verdichtung und Schrumpfung der äusseren
Liddecke Antheil an der Umstülpung des Augendeckels, so kann eine zurei-
chende AnstrafFung und beziehungsweise Hebung des Integumentes ohne
gefährliche Spannung und Zerrung der Theile nicht bewerkstelligt werden,
es ist nothwendig, Substanz aus der Nachbarschaft herbeizuschaffen.
Zu diesem Ende empfiehlt man, das Lid von der Bandfläche aus vom
Thränenpunkte bis zur äusseren Commissur zu spalten, sodann aus diesen
beiden Endpunkten zwei senkrechte Schnitte von 8 — 10'" Länge durch
die äussere Haut zu führen und den ganzen viereckigen Lappen (Fig. 74)
über die unteren Schnittenden hinaus subcutan zu lockern. Der Lappen soll
hierauf mit Pincetten gefasst, stark angezogen und in dieser Lage längs
den beiden Seitenschnitten von unten her angenäht werden. Um den
verlängerten Lidrand auf das richtige Mass zu bringen, muss jedoch der
Verschiebung eiiios droieckigen Hautlappens.
543
Fif,' 74.
Lappen zuvor zugestutzt wcrclon und zwar geschieht dies am besten durch
einen gebrochenen Schnitt a, wolclior den inneren Lappenrand mit dem
horizontalen verbindet. Zum Sclihisse wird
auch der Intermarginalschnitt durch Knopf-
nähte vereinig't und bis zur Verlieilung; ein
Schutzverband angelegt (Graefe). Es soll
dieses Verfahren sich besonders lohnen, wenn
der freie Rand des Lides sehr verbildet ist
und in Folge des Zuges der äusseren Haut
die Conjunetiva auf die vordere Fläche des
Tarsus herübergezogen worden ist. Leider
ist sein EinÜuss auf die Stellung der Com-
missuren kaum genügend und dieser Mangel
muss sich besonders in den späteren Zeiten,
wenn die Yerlöthungsmassen zu schrumpfen
beginnen, geltend machen. Man empfiehlt
daher, einen Zug auf die äussere Liddecke auszuüben, indem man nahe
dem Lidrande Fäden einzieht und dieselben an geeigneten entfernten
Punkten durch Pflaster oder Suturen so befestigt, dass sie in einem ge-
wissen Grade von Spannung erhalten werden (Graefe), Doch dürfte diese
Massregel nicht immer den gewünschten Erfolg haben und oft auch gar
nicht vertragen werden. In einem solchen Falle würde man gezwungen
sein, die Tarsoraphie nachzuschicken.
In solcher Combination ist aber auch ein älteres Verfahren, die Ver-
schiebung eines dreieckigen Hautlappens (Samson) recht gut verwendbar, vor-
ausgesetzt, dass der Lidrand blos verlängert, in seiner Form aber nicht
wesentlich verändert ist. Es wird der Lappen auf einer unter das Lid
geschobenen Hornplatte durch zwei geradlinige Hautschnitte abgegrenzt,
welche, von der ßandfläche ausgehend, gegen den Margo orbitalis conver-
giren und den geschrumpften Theil
des Corion wo möglich ganz zwischen
sich fassen; der Lappen wird sodann
mit der Pincette gefasst und von
der Unterlage bis zur äusseren
Lidlefze lospräparirt , worauf es
leicht gelingt , das Lid in seine
normale Stellung zu bringen. Der
Lappen (Fig. 7.5) deckt jetzt die
Wundfläche nur mehr theilweise, es
bleibt ein pfeilspitzenförmiger Sub-
stanzverlust zurück, welcher durch
Zuziehung der nachbarlichen Haut zu
decken ist. Zu diesem Ende werden
die gegen den Scheitel der Wunde
convergirenden Aussenränder bis in
die Höhe der Lappenspitze mit
einander und hierauf der Kest mit den entsprechenden Punkten des Lappen-
randes durch Knopfnähte verbunden.
Andere durchschneiden vorerst die äussere Lidhatd in der Nähe der äusseren
Lefze und dieser parallel der ganzen Länge nach; trennen dieselbe hierauf bis
Fig. 75.
544 Ectropium; Behandlung; AusscLueidung von Narben; Blepliaioplastik.
an oder über den Orhitalrancl hinaus von der Unterlage los; spalten sodann die
äussere Gommissur iu wagrechter Richtung und tragen ein nach Bedarf grosses
dreieckiges Stück aus dem lateralen Theile des ÄugendecJcels ab, nachdem sie zuvor
etwa gewulstete Partien der Conjunctiva mit der Schere entfernt haben. Ist dies
geschehen , so wird die Lücke in der Gommissur durch Kopfnähte geschlossen,
der Tarsalrand mittelst zweier durchgestochener Fadenschlingen in die normale
Lage gezogen und die Fäden durch Pflasterstreifen, welche auf Stirne oder Wange
geklebt werden, straff gespannt erhalten. Die iinterminh^te Haut ist hierbei durch
den Verband dem freien Lidrande thunlichst zu nähern und die Verwachsung anzu-
streben (Chelius, RueteJ.
5. Ectropien, welche durch schmale %md tief in der Liddecke wur-
zelnde Narbenstreif 671 bedingt werden, lassen sich öfters beheben durch
Ausschneidung der Narbe. Behufs dessen wird zu beiden Seiten des Nar-
benstranges ein boyiyer Schnitt geführt , dessen Sehne nahezu senkrecht
auf dem freien Lidrande steht, die Narbe sofort von den Unterlagen ge-
trennt und die solchermassen entstandene lanzettförmige WundÜäche durch
die Knopfnaht geschlossen. Bei brückenförmigen Narbensträngen genügt es
bisweilen, die Brücke zu durchtrennen u.nd die beiden Wundflächen bis zu
ihrer Ueberhäutung vor gegenseitiger Berührung zu bewahren (Fricke).
6. Ist die äussere Decke des ectropionirten Lides zum grössten Theile
und ihrer ganzen Dicke nach, vielleicht gar sammt dem Muskel, in eine
dichte narbige Masse von geringem Umfange zusammengeschrumpft, so
bleibt zur Behebung der Umstülpung wohl nichts anderes übrig, als die
Narbe auszuschneiden und in die Wundfläche einen der Form und Grösse
nach entsprechenden Lappen aus der umgehenden Haut zu transplantiren.
Das Detail der Blepharoplastik wird je nach der Verschiedenheit der
Fälle mannigfaltige Abänderungen erheischen , indem es von grösster
Wichtigkeit ist, den überzupflauzenden Lappen aus gesunden Hautpartien
zu entnehmen und die Brücke , durch welche er in der ersten Zeit
sein Nahrungsmaterial zugeführt bekömmt , möglichst breit zu gestalten,
ohne die Verschieblichkeit ungebührlich zu beeinträchtigen. Im Ganzen
dürften aber die beiden folgenden Operationsweisen mit geringen Modifi-
cationen in der grössten Mehrzahl der Fälle dem Zwecke genügen.
a. Es wird die das Lid dislocirende Partie der Narbeumasse durch
zwei bogige Schnitte umschrieben , welche an beiden Grenzen der Narbe
in einem spitzen Winkel zusammenlaufen und sich an dem äusseren
Ende zugleich etwas nach abwärts senken (Fig. 76 nach einem Falle
von Arlt). Nun wird die Narbenmasse von innen her von ihrer Unter-
lage lospräparirt , das Lid in seine normale Lage gestreckt und die nun-
mehr klaffende Wundfläche durch einen etwas längeren und breileren
Lappen A gedeckt, welcher mit senkrechter oder schräger Axe durch ent-
sprechende Schnitte aus der vorderen Schläfengegend abzugrenzen ist.
Der vordere Grenzschnitt dieses Lappens muss mit dem unteren Ende der
Lidwundfläche zusammenstossen , der hintere Grenzschnitt aber etwas nach
aussen divergiren und U7iter dem Niveau des oberen Eandes der Lidwund-
fläche enden. Nun wird die Narbenmasse bis zur inneren Grenze des
Lappens vollends losgelöst, entfernt, der Lappen nach seiner Präparation
auf die Lidwundfläche umgeschlagen und durch eine genügende Anzahl
von Knopfnähten mit deren Rändern vereinigt (Fricke, Arlt).
b. Die Narbenmasse wird durch drei, ein gleichschenkeliges Dreieck um-
schreibende Schnitte, von welchen einer nahe dem Lidrand und parallel
Blepliaroplastik ; Verfahren.
545
Fig. 76.
A
demselben geführt wird, urag-rcnzt (Fig. 77), herauspräparirt, die Wund-
iläche durch seitliche Verschiebung eines, zur Seite derselben gebildeten,
rechteckigen Lappens A
gesunder Haut gedeckt
und durch Anlegung
von Knopfnähten ge-
schlossen (Dieffenbach) .
Die nach Ueber-
pllauzung des Lappens
klaffenden Wundtlächen
können, so weit dieses
ohne Zerrung des er-
steren thunlich ist, durch
Annäherung und blutig-
Yereinigung der Wunde
ränder verkleinert oder
gar völlig gedeckt wer-
den. Was unbedeckt
bleibt, muss unter Gra-
nnlationsbildung heilen.
Für die erste Zeit ist
das Tragen eines Schutz-
verbandes nothwendig
und ausserdem mit aller
Strenge auf ganz ruhiges Ver-
halten des Kranken, am besten
in der Bettlage , sowie auf an-
tiphlogistische Diät zu dringen.
Die Hauptgefahr , welche
man bei der Durchführung
dieser Arten der Blepliaropla-
stik läuft, besteht in dem öf-
teren brandigeri Absterben so wie
in der theilioeisen Vereiterung des
Lappens. Man wird diese Gefahr
am ehesten umgehen, wenn man
den Lappen aus ganz gesunder
und daher sehr dehnbarer Haut
entnimmt , die Brücke recht
breit anlegt und jede stärkere
Zerrung meidet. Sicherheit ge-
währt aber auch das zweck-
dienlichste Verfahren nicht. Be-
sonders misslich ist das öftere
Auftreten des Rothlaufes , da
dann immer , wenigstens theil-
weise , Vereiterungen eintreten
und hässliche Narbe7i zurückbleiben
Lidränder alteriren können.
stellwag, Augenheilkunde. 3Ö
welche wieder die Stellung der
546
Ectropium; Beliandlung; Verfahren bei Ectropium nach Caries orhitae.
TJebrigens kömmt es auch nicht selten vor, dass der Lappen, obwohl er
ohne Eiterung ganz gut angeheilt ist, nachträglich zur Wulstform ziisam-
menschrumpft , da er keine ganz genügend resistente Unterlage findet.
Im günstigsten Falle bleibt übrigens das neugebildete Lid unbeweglich, in-
dem der Muskel schon vorläufig zu Grunde gegangen ist oder unter
dem transplantirten Lappen degenerirt. Diese Operationen haben also mehr
den Zweck, das Auge zu decken, das cosmetische Literesse ist von gerin-
gerem Belange. Man thut daher immer gut, ausgiebige Tarsoraphien damit
zu verbinden, um so mehr, als diese auch der neuerlichen KlafFung der
Lidspalte wegen Schrumpfung des Lappens einigermassen entgegenwirken.
7. Bei Ectropien, welche durch narbige Verwachsungen der Lider mit
dem knöchernen Orbitalrande bedingt sind, wird es, im Falle die Ifarbe
schmal ist, genügen, dieselbe subcutan vom Knochen zu lösen und das Lid
nach seiner Streckung mittelst der Tarsoraphie bis nach erfolgter Verhei-
lung in seiner erzwungenen Stellung zu erhalten.
Mehr Sicherheit gewährt bei schmalen Narben folgende Methode. Es
wird die Narbe durch zwei eine Ellipse bildende Bogenschnitte, deren Sehne
möglichst senkrecht zum Lidrande zu laufen hat, umschnitten (Fig. 78 A),
an ihrer ganzen Oberfläche sodann angefrischi, hierauf die umgebende Haut
und das Fettpolster in genügender Ausdehnung vom Knochen getrennt, um
das Lid ohne Zerrung in die normale Stellung bringen zu können. Nun
werden die Ränder der elliptischen Wundiiäche über der angefrischten
Narbe durch Nähte vereinigt, so dass also die Narbe von den zugezogenen
nachbarlichen Hautpartien vollkommen gedeckt wird und an deren hintere
Fläche anheilt (Ammo7i).
Bei breiteren derartigen Verwachsungen muss 2'" — 3'" unter der
Narbe ein dem betreffenden Stücke des Orbitalrandes paralleler Schnitt
(Fig. Id Ä) bis auf den Knochen geführt, sodann die Haut sammt der Narbe
Fi?. 78.
Fig. 79.
A
A
in genügendem Umfange subcutan von der Unterlage getrennt werden, auf
dass das Lid in seine normale Stellung gebracht werden könne. Ist dieses
geschehen, so wird die Lidspalte durch Anfrischung und blutige Vereini-
gung ihrer Ränder um ein Drittheil und mehr verengert , nach völliger
Vernarbung der Wundränder und beseitigter Gefahr einer weiteren Schrum-
Verband; Quellen; Aiuitomio der Thränenorgane. 547
pfung der Narben aber durcli di(^ Canthoplastik nach Bedarf wieder er-
weitert (Ammon).
Bei beiden letzterwähnten Operationen ist ein richtiger Verband we-
sentliche Bedingung des Erfolges. Es kömmt vor Allem darauf an, die
Verheilung per primam intentionem zu erzielen oder doch die Eiterung auf
einen kleinen Raum zu beschränken, um die Entwickclung ausgebreiteter,
nachträglich schrumpfender Narben zu verhindern. Behufs dessen muss
die Haut mit dem Fettpolster nicht nur herbeigezogen, sondern auch in die
oft recht tiefe Knochenlücke hineingepresst werden. Bleibt nämlich irgendwo
eine Lücke, so ist die Suppuration unvermeidlich und es steht dahin, wie
weit sich dieselbe ausbreitet. Die bestangelegte Operation kann so durch
eine kleine Versäumniss im Verbände zu Schanden werden, ja die Ent-
stellung geradezu vergrössern. Es ist darum dringend anzurathen, erstlich
die umgebende Haut und das Fettpolster nach ausgiebiger Trennung vom
Knochen durch zweckmässig angelegte Pflasterstreifen über dem Ojiera-
tionsfelde zusammengezogen zu erhalten und zweitens über der Knochenlücke
und Hautnaht einen derben Charpiebausch mittelst des Schutzverbandes oder
einer Rollbinde zu befestigen, damit die Frischflächen des Integumentes
allerwärts in unmittelbarer Berührung mit jenen des Knochens bleiben.
Directe Erfahrungen haben gelehrt, dass solchermassen die Eiterung in
der That, wenn nicht ganz, so doch auf kleine umschriebene Stellen ge-
bannt wird und höchstens feine Narbenstränge resultiren, welche nach-
träglich subcutan durchtrennt und durch eine abermalige Verschiebung
der Haut ihres ferneren Einflusses auf die Stellung des Lides ganz be-
raubt werden können.
Quellen: Chelius, Handbuch der Augenheilkunde. II. Stuttgart. 1839. S. 148,
157, — Ammon, Zeitschrift f. Ophth. I. S. 36, 529; IV. S. 428; Plast. Chirurgie.
Berlin. 1842. S. 192—228. — Hivihj , Krankheiten und Missbildungen. I. Berlin.
1843. S. 150. — Mackenzie, Traite des mal. d. yeux. traduit p. Warlomont et
Testelin. I. Paris. 1856. S. 269. — Desmarres, Traite d. mal. d. yeux. Paris. 1847.
S. 65. — Hasner, Entwurf einer anat. Begründung etc. Prag. 1847. S. 248. — Arlt,
Die Krankheiten des Auges. III. Prag. 1856. S. 368; A. f. O. IX. 1. S. 94. —
Ruete, Lehrb. der Ophth. II. Braunschweig, 1854. S. 81, 84 — 98. — Adams und
Samson, nacli Ruete S. 86, 88. — Boimnan, nach Mackenzie 1. c. S. 415, — Fricke,
nach Ammon's plast. Chir. S. 195, ■ — Dieffenhach, nach Ammon 1. c. S. 206 und
Chelius 1. c. S. 153, 165. — Oraefe, A. f. "O. IV 2. S. 201; X. 2. S. 227; klin.
Monatbl. 1868, S. 427. — Küchler, Deutsche Klinik. 1865. Nro. 49. — Passavani
Archiv f. klin. Chirurgie, VI. S. 350. — A. Weher, A. f. O. VIII. 1. S. 95. —
Debrou, Gaz. d. hopit. 1860. Nro, 133; kl. MonatbL 1866. S. 145. — Mauvezin,
Arch. gen. de med. 1865. S. 703.
ZEHNTER ABSC HNITT.
Die Entzündung der Thränenorgane.
Anatomie. Man unterscheidet absondernde und leitende Organe. Zu
den ersteren zählen die Bindehaut und die Thränendrüse, zu den letzteren
35*
548 Tliränenorgane ; Anatomie ; Thränendrüse ; Tliränenrölirchen.
die T/u-änenröhrchen und der Thränenschlmtch, welcher wieder in den Thrä-
nensack und den Thränennasengang zerfällt.
Die Thränendrilse erscheint getheilt in eine grössere und klemere Por-
tion. Die erstere lagert in der Thränengruhe des Orbitaldaches und wird
daselbst durch eine von der Fascia tarso-orbitalis nach rückwärts laufende
Aponeurose am Knochen befestigt. Unmittelbar unter dieser Aponeurose
hegt die kleinere Portion. Ihr vorderer Rand reicht bis an die convexe
Grenze des oberen Lidknorpels. Dazu kömmt dann noch eine wechselnde
Anzahl von einzelnen zerstreuten kleinen Drüsenkörpern, welche im subcon-
junctivalen Gefüge nahe dem oberen Knorpelrande und der äusseren Com-
missur Liegen. Dem Baue nach stimmt die Thränendrüse überein mit den
Speichel- und Milchdrüsen. Dire Ausführungsgänge, 6—12 an der Zahl,
sind haarfein und münden in Einer Reihe im äusseren Drittheile der oberen
Uebergangsfalte der Bindehaut.
Die Thränenröhrchen sind 3'" — 4'" lange, weniger als ^/^"' in der
Lichtung haltende Kanälchen, welche von einer überaus zarten blassen
derben, innen glatten, mit sparsamen Schleimdrüsen (Rud. Maier) verse-
henen und von einem geschichteten Pflasterepithele (Henle) überkleideten
Schleimhaut gebildet werden. Sie beginnen an dem Vorsprunge, welchen
die innere Lefze der beiden Lidränder nächst der Carunkel bildet, mit
einer feinen Oeflfnung, dem Thränenpunkte. Die Schleimhaut führt liier
einen sehr entwickelten Papillarkörper, daher die betreffende Partie merk-
lich hervorspringt und mit dem Namen des Thränenwärzchens belegt wird.
Von den Thränenwärzchen aus streichen die Röhrchen zuerst am inneren
Rande der beiden Tarsi in senkrechter Richtung empor, beziehungsweise
herab, um, etwa Y4'" von der inneren Lidlefze entfernt, in einem etwas
ausgeweiteten Knie in die horizontale Richtung umzubiegen und dann in
einem schwach convexen Bogen gegen die äussere Wand des Thränensackes
zu convergireu. Sie erreichen dieselbe ungefähr in der Höhe des Lid-
bandes und durchboliren sie, selten zu Einem Rohre vereinigt (Lesshaft),
gewöhnlich knapp neben einander oder in einiger gegenseitigen Entfernung.
Sie münden meistens klappenlos in die Höhlung des Thränensackes. Die
Thränenwärzchen sind von derbem elastischen Gewebe umgeben. Die
senkrechten Portionen der Röhrchen werden von bindegewebigen Päden an
den inneren Rand des Knorpels festgeheftet und sind so wie die horizon-
talen Portionen reichlich umsponnen von Bündeln der Thränenkammpor-
tion des M. orbicularis. Es verlaufen diese Fleischbündel zum Theile in
Bögen, welche ihre Convexität der Rohrlichtung zukehren, diese sonach bei
ihren Zusammenziehungen zu erweitern oder wenigstens klaffend zu erhalten
vermögen (WedlJ. In sehr seltenen Fällen wurden an Einem Lide zwei
Thränenpunkte beobachtet, welche je in ein blhid endigendes (Graefe) oder
in den Sack mündendes Kanälchen führten (A. Weber, Zehender, Steffan).
Um die Thränenpunkte herum soll constant ein ringförmiges, trichterartig
in das Rohr eingesenktes Kläppchen zu finden sein. Auch soll dort, wo beide
Röhrchen gemeinsam in den Sack münden, mitunter eine ein- oder zweilippige
verticale Klappe die Oeffnung theilvveise schliessen (Bochdalek).
Der Thränenschlauch wird von einer viel dickeren, ziemlich derben
und von zahlreichen Schleimgruben rauhen Schleimhaut dargestellt, welche
ein einfaches Flimmer epithel, in dem untersten Theile aber ein geschichtetes
Pflasterepithel (Henle) und allenthalben zahlreiche traubcnförmige Schleim-
Thränensack ; Nasengang. 549
drüscn (R. Maier) führt. Der obere Tlieil desselbon, der Thränensaclc, ist
bei b'" lang und 2'" breit. Er hat im Allgemeinen die Mandelform,
indem er von vorne und aussen nach hinten und innen flach gedrücld er-
scheint, und dieses bisweilen so stark, dass am Cadaver die Lichtung fehlt
oder nur einen feinen Spalt darstellt. Es lagert der Thränensack in der
sogenannten Thränenrinne zwischen der Leiste des Thränenbeines und dem
Stirnfortsatze des Oberkieferbeines. Mehr als die Hälfte seiner verticalen
Ausdehnung steht unter dem Niveau des inneren unteren Winkels des
knöchernen Oi'bitalrandes. Die obere Hälfte des Sackes wird in einiger
Entfernung von dem wagrecht streichenden Lidbande gekreuzt. Das obere
blindsackähnliche Ende, der Fundus, ragt bei 1 ^/2'" über den oberen Rand
jenes Ligamentes empor. Hinter dem letzteren münden die Köhrchen in
die äussere Wand. Die dem Knochen anliegende innere Wand des Sackes
fällt, entsprechend der Conformation der Thränenrinne, senkrecht ab und
geht ohne irgend eine Marke in die innere Wand des häutigen Nasen-
sanges über. Die äussere Wand des Thränensackes lässt bisweilen nach
unten hin, d. i. ober der Mündung des knöchernen Nasenkanales, eine kleine
Ausbuchtung, einen seichten Recessus (Arlt) nachweisen. In der Mehrzahl
der Eälle fehlt dieser Recessus und dann scheidet sich der Thränensack
von dem Naseugange meistens ganz undeutlich oder gar nicht ab, iiadem
auch die äussere Wandung des Sackes ohne Grenzmarke in jene des Ka-
senganges übergeht. Doch kommen hinwiederum auch Fälle vor, wo der
Uebergang von Sack und Kanal durch einen Vorsprung der Schleimhaut
gekennzeichnet und öfters sogar merklich verengert ist. Es sind derlei Vor-
sprünge dann durch stärkere Entwickelung des Periostes oder der Thrä-
nensackaponeurose an der EingangsöfFnung des knöchernen Ganges bedingt
(Arlt), oder stellen lediglich Falten der Schleimhaut vor (Bochdalek).
Der häutige Nasengang ist 1'" — 9'" lang, walzig und von der Seite
her etwas flach gedrückt. Er ist in dem knöchernen Thränenkanale einge-
schlossen, dessen Verlaufsrichtung im Allgemeinen eine nach unten, aussen
und hinten gekrümmte ist. Die Convexität dieser Krümmung ist aber fast
in jedem Falle eine andere, bald nacli aussen, bald nach hinten mehr aus-
gesprochene. Es hängt dieses zum Theile von der senkrechten Höhe des
Oberkiefers, der horizontalen Breite der Nasenhöhle und dem etwas va-
riablen Stande der unteren Nasenmuschel ab (Arlt). Ausserdem werden
noch sehr bedeutende Differenzen dadurch begründet, dass der häutige
Nasengang durchaus nicht immer unmittelbar unter der Ansatzlinie der
unteren Nasenmuschel mündet, sondern häufig noch eine Strecke weit zwi-
schen der äusseren Nasenhöhlenwand und der sie überkleidenden Schnei-
der'schen Haut nach abwärts dringt, ehe er sich in die Nasenhöhle öffnet.
Es kommen Fälle vor, wo die Mündung nahe über dem Boden des Cavuni
narium, tief unter dem freien Rande der unteren Muschel, gefunden wird.
Die Form dieser unteren Mündung des häutigen Nasenganges wechselt
ausserordentlich. Liegt sie weit oben, knapp unter dem Ansätze der Mu-
schel, so ist sie gewöhnlich rund, oval oder schreibfederartig und steht
weit offen. Mitunter jedoch findet man sie durch eine stai'k voi'springende
mondsichelförmige oder circuläre SchleimhautdupUcatur sehr verengt, so dass
das untere Ende des Schlauches Aehnlichkeit mit einem Blindsacke gewinnt,
besonders wenn dieses Ende, wie es nicht gar selten geschieht, etwas er-
550 Thränenorgane ; Anatomie ; Nasengang ; Klappen ; Schwellkörper.
weitert ist, in welchem Falle seine Form öfters die eines Pferdelmfes ist
(Arlt). Liegt die Mündung aber tiefer unter der Muschelinsertion, so nä-
hert sie sich in der Mehrzahl der Fälle der Spaltform. Die Wandungen
des Nasenganges werden dann nämlich nicht mehr von dem Knochenka-
nale, dem sie anhaften und welcher bisweilen eine ganz erstaunlich weite
Lichtung besitzt, aus einander gehalten, sondern sie legen sich in dem
Räume zwischen der Schneider'schen Haut und der äusseren Nasenhöhlen-
wand an einander, der untere Theil des Nasenganges erscheint also platt
von innen nach aussen zusammen gedrückt.
Es finden sich in solchen Fällen an der Mündung nicht selten kleine Du-
plicaturen der Schleimhaut (Hasner), welche bald von oben herab, bald von vorne
und hinten, bald blos von hinten her etwas vorspringen, immer aber der Schneider'-
schen Haut ^ac7i anliegen. Sie machen, dass die Spalte bald horizontal, bald schräg,
bald senkrecht, bald im Bogen gekrümmt erscheint. Das untere Ende dieser Falten
verlängert sich bisweilen unter allmäliger Verflachung bedeutend und macht dann
ganz den Eindruck, als setzte sich der häutige Nasengang in der Schneider'schen
Haut eine Strecke weit unter der Form einer flachen Rinne fort.
Der schleimhäutige Thränenschlauch wird seiner ganzen Länge nach
von einem engen Maschenwerke ziemlich derben Bindegeioehes umhüllt, welchem
elastische Fasern und um die Gefässe herum eine nicht unbeträchtliche
Menge glatter Muskelfasern (Stilling) beigemischt sind. Es ist dieses Ma-
schenwerk ausnehmend blutreich. Die Gefässe, welche mit denen des um-
liegenden, gleichfalls sehr blutreichen Knochens in inniger Verbindung
stehen, füllen die Lücken des Balkenwerkes vollkommen aus und ihre
Wandungen hängen mit den Wänden der einzelnen Hohlräume zusammen,
daher sie am Cadaver nicht collabiren , sondern klaffend bleiben. An
Durchschnitten kann man die weit offenen Mündungen der grösseren Ve-
nenzweigchen sogar mit freiem Auge erkennen. Das ganze Gefüge gewinnt
dadurch einigermassen die Bedeutung eines Schwellkörpers (Henle). Am
eigentlichen Thränensacke bildet dasselbe nur ein ganz dünnes Stratum. Am
Nasengange aber nimmt es sehr an Dicke zu, besonders nach unten hin,
so dass der Nasengang daselbst beträchtlich verengt und dessen Schleim-
haut in zahlreiche und stark vorspringende Falten geworfen wird.
Nach aussen hin verdichtet sich das Bindegewebe zu einer derben
sehnigen Hülle, welche den Thränenschlauch seiner ganzen Länge nach
scheidenartig umgibt. So weit dieser dem Knochen anliegt, hängt die
Scheide dem letzteren lose an und fungirt als dessen Beinhaut. An der
äusseren Wand des Thränensackes aber bildet sie eine Art Aponeurose,
welche, an den Rändern der Thränenrinue allenthalben festhängend, diese
zu einem Kanäle oder geschlossenen Hohlräume ergänzt. Es steht diese Apo-
neurose in inniger Verbindung mit den Ausläufern der hinteren Fläche
'des Lidbandes so wie mit der Scheide der Thränenkammportion des Orbi-
cularmuskels und wird durch dieselben wesentlich verstärkt.
Fig. 80 vergegenwärtiget die relative Lage der hier interessirenden Theile
in einem horizontalen Durchschnitte, welcher an einem gefrorenen Präparate durch
die fest geschlossene Lidspalte und in der Verlängerung derselben durch das Lid-
band und die Seitenwände der Nasenhöhle geführt wurde. Die äussere Decke des
inneren Drittheiles des Lidrandes ist nachträglich abgetragen worden, um das
Lidband in seinen Beziehungen zu den Nachbartheilen weiter verfolgen zu können.
Es ist a der Nasenfortsatz des Oberkiefer-beines. Ihm liegt nach aussen die Vena
und dahinter die Arteria angularis auf. b ist der Thränenbeinkamm und c das vor-
dere Ende der Papierplatte des Siebbeines. Von a entspringt das Lidband d e und
Topographische Anatomie ; Getasse.
551
läuft, von der äusseren Haut gedeckt, in einem nach hinten convexen Bog-en bis
Die innere Lefze der beiden Lid-
/
Fig. 80.
i e
k
d
V
■/
zur inneren Lidcommissur, wo es sich spaltet,
ränder, von welchen blos der
nnte7'e f {i;ezeiclnu't ist,
schmiegt sich genau der vor-
deren Fläche des ]5ulbus g
an. Der innerste Theil der
Lefze weicht beträchtlich
weit 7iach hinteii zurück inid
bildet so einen Vorsprtmg,
welcher von dem durch-
schnittenen Thr'dnenpunkte h
gekrönt wird. Es ist dieser
Vorsprung um so auifälliger,
als nasenwärts die Carunkel
i hervortritt und so dem inne-
ren Grenztheile des Binde-
hautsackes eine ungefähr
S-förmige Krümmung ver-
leiht. Die hintere convexe
Wand des Lidhandcs d e ist
nicht flächenartig begrenzt,
sondern löst sich in eine Un-
zahl von verzweigten und man-
nigfaltig mit einander anasto-
mosirenden sehnigen Blättern
und Balken auf, welche zum
Theile dem Knochen anhaf-
ten, zumTheile aber zwischen
der Knochenwand und dem
Bulbus sich nach hinten fort-
setzen. Es ist unter densel-
ben besonders einer k auf-
fällig durch seine Mächtigkeit.
Er steigt Von dem äusseren Grenztheile des Lidbandes gerade
verschmilzt mit dem Perioste des Thränenbeinkammes. Ein zweiter solcher Aus-
läufer, welcher jedoch nicht constant zu sein scheint, findet sich mehr nach innen,
löst sich jedoch gleich den übrigen zahlreichen kleineren Ausläufern sehr bald in
dem Maschenwerke auf, welches den relativ sehr bedeutenden Raum zwischen dem
Lidbande iind der äusseren Wand des Thränensackes l ausfüllt und durch seine
Verdichtung die erwähnte Ajioneurose darstellen hilft. In diesem Maschenwerke
entspringen oder setzen sich fest Fleischbündel des Kreismuskels der Lider m;
weiter nach hinten aber werden die Maschen oder Lücken von lockerem, theil-
weise fetthaltigem Bindegewebe ausgefüllt. Nach aussen von diesem Maschenwerke
lagert der Musculus lacrymalis n, (S. 483).
l
nach hinten und
Die Gefässe des Thränenapparates so wie dessen Nerven sind grösstentheils
nur Zweige der für die Nachbarorgane bestimmten Stämmchen. Doch besitzt die
Thränendrüse einen ihr eigenthümlichen Ast der Arteria ophthalmica, die Tlir'dnen-
drüsenschlagader , und eine entsprechende Vene, welche in die Vena ophthalmica
mündet. Auch geht ein besonderer Nerv, der Nervus lacrymalis, vom ersten Aste des
Quintus zur Thränendrüse und belierrscht deren Absonderungsthätigkeit in ähnlicher
Weise, wie gewisse andere Nerven die Secretion der Speicheldrüsen (Herzenstein).
Seinem Einflüsse ist die massenhafte Thränenerzeugung zuzvischreiben, welche bei
manchen Gemüthsaftecten, oder wenn äussere Schädlichkeiten das Auge treffen,
unter der Form des Weinens und beziehungsweise des Thränenflusses zum Aus-
drucke kömmt. Unter gewöhnlichen Verhältnissen liefert die Thränendrüse nur ivenig
Secret; die das Auge Ijefeuchtenden Thränen sind dann zum ^ro*«en Theile Product
des Bindehautsackes und namentlich der zerstreuten Drilsenacini (S. 40.5). Deren
secretorische Thätigkeit erklärt den geringen Einfluss, welchen die Exstirpation
der Thränendrüse unter gewöhnlichen Umständen auf die Befeuchtung und die
Vegetationsverhältnisse des Bulbus zu haben pflegt (0. Becker, LaurenceJ.
OOZ Tliränenorgane : Anatomie : Tiiränenliach ; Tliränensee ; Thränenleitnng.
Die Thränen sind reines Wasser, welchem nur eine ganz geringe
Menge von Kochsalz und Eiweiss beigemischt ist. Sie werden durch den
Lidschlag gleichmässig über die Convexität des Bulbus vertheilt und dienen
so als Glätter der vordersten toichtigslen Trennungsfläche des dioptrischen
Apparates. Bei offener Lidspalte sinken sie vermöge ihrer specifischen
Schwere an der Oberfläche des Bulbus herab und sammeln sich zwischen
der beölten äusseren Lefze des unteren Lidrandes und der Oberfläche des
Bulbus in Gestalt eines Meniscus, welcher als Thränenbach beschrieben wird
und in welchen der obere Lidrand bei jedem Lidschlage eintaucht. Gegen
den inneren Canthus hin erweitert sich der Thränenbach zum sogenannten
Tliränensee. Dieser ist jene Vertiefung, welche durch das nicht genaue
Anschliessen der äusseren Oberfläche der Carunkel an die Convexität des
Bulbus gebildet wird. Bei offener Lidspalte erscheint er nach oben und
unten, bei geschlossener Lidspalte nach vorne begrenzt von jenen Vor-
sprüngen der inneren Lidlefze, auf welchen sich die Thränenpuntte öffnen.
Diese sind in steter Berührung mit dem Inhalte des Thränensees.
Der treibende Factor der Thränenleitung ist der Kreismuskel einschliesslich
seiner Thränenkammpartie. Derselbe presst den jeweiligen Ueberschuss der
in dem Bindehautsacke vorhandenen Thränen beim Lidschlusse mit einem
seinem Kraftaufwande proportionirten Drucke in und durch die Kanälchen
in den Schlauch, aus welchem sie dann vermöge ihrer eigenen Schwere und
dem Stosse der nachrückenden Flüssigkeit in die Nase entweichen.
Indem beide Blattei' des Bindehaiitsackes schon während dem Ruhezustande
des Orbicularis durch die Spannung der von dem Bulbus bogig vorgedrängteu
Fleischbündel inid durch den Tonus der organischen Lid- und Oi'bitalmuskeln
(S. 484) allenthalben knapp aneinander gedrückt werden , kann zwischen ihnen
nur so viel Flüssigkeit haften, als durch Molekularattraction an den Wänden fest-
gehalten wird. Es ist dieses Unbestrittenermassen eine höchst dünne gleichmässige
Schichte, welche eben nur genügt, um die Oberfläche zu befeuchten und die
Reibung bei den Bewegungen der Lider imd des Augapfels auf ein Kleinstes herab-
zumindern. Jeder Ueherschnss an Thränen wird durch diesen Muskeldruck in die
offene Lidspalte getrieben und sammelt sich hier im Thränenbache und Tliränensee.
Beim Lidschlusse wird derselbe von dem Drucke des Orbicularis getroffen und zum
Ausweichen bestimmt. Da aber beim Lidschlusse die beiden Lidränder ihrer ganzen
Länge nach fest auf einander passen und ihr Fettbelag den Verschluss, wässerigen
Feuchtigkeiten gegenüber, um ein Bedeutendes dichter erscheinen lässt: so muss
der im Bache und See enthaltene Ueberschuss, von allen Seiten gedrängt, noth-
wendig den einzigen offenen Ausweg durch die in den See tauchenden Thränenj^unkte
nehmen und eine in den Kanälchen etwa vorhandene Flüssigkeitssäule vor sich
her in den Schlauch treiben. Unter gewöhnlichen Verhältnissen, bei normaler
Thränenabsonderimg und ruhigem Lidschlage , wird nur äusserst wenig oder nichts
aus dem Bindehautsacke in den Thränenschlauch gefördert. Es fehlt dazu das
Material, das im See und Bache befindliche Quantum überschüssiger Thränen ist
ein minimales und die im Ganzen sehr starke Verdunstung genügt, um grössere
Anhäufungen zu verhindern. Wird aber durch irgend welche Veranlassung die
Thränensecretion gesteigert, so werden Bach und See alsbald überfüllt, es folgen
sich rasch einige ki-öftige und wohl auch länger dauernde Lidschlüsse, unter deren
Wirkung der Ueberschuss in die Nase entweicht; deren Wände werden daher feucht,
der Kranke muss sich schnauzen. Beim Weinen, wo die Thränenabsonderung eine
massenhafte wird, entleert sich ein Theil des Productes immer durch die Lidsjjalte
und fliesst über die Wangen herab. Einerseits vermag nämlich die Fettschichte
der Lidränder bei offener Spalte nur Thränenmenisken von beschränkter Grösse
und Schwere zurückzuhalten. Andererseits genügt die Lichtmig der beiden Thränen-
punkte und der Kanäle nicht mehr, um alles in küi-zester Frist aufzunehmen, was
beim Lidschlusse zum Ausweichen geuöthigt wird; ein Theil der Flüssigkeit wird
unter dem raschen und kräftigen Drucke des krampfhaft zusammengezogenen Kreis-
Entzündung n. Fistel d. Thränendrüse ; Dacryops ; Entzündnnw d. Tliränpnwärzclipn. 553
imiskels durch die LidupaUe ,JieraH/!ciepre.is(" , während der Rest den vafürlichen
Weg nimmt und sicli .stromireise in die Naso ergiesst.
Als beiwirkendes mechanisches Moment sehr imf er geordneten Ranges ist die
eigene Schioere der Thräncn zu nennen. ]3iese macht, dass in der Lidspalte ge-
sammelte Flüssigkeiten auch hei Verhhiderung des Lidschlusses langsam in die Nase
abrinnen, doch nur, wenn ihre Oberfläche unbedingt höher gelegen ist, als der
höchste Punkt der Kanälchen.
Von einer Hebennrkung so wie von einer Einsangung der Thränen während
der EinatJimung kann füglich nicht mehr gesprochen werden , da die Leitung in
den Sack ungehindert fortdauert, wenn dessen Verbindung mit der Nasenhöhle unter-
brochen ist, oder derselbe von Anssen her iveit geöffnet wird. Der letztere Umstand,
zusammengehalten mit dem erwiesenen Mangel eines Klappenapparates, wirft ausser-
dem die beliebten Pum2}theorien allesammt über den Haufen. Zugleich fällt auch
die Capillarität der Thränenröhrchen als Leitungsfactor, denn die Molekularattraction
kann Thränen aus dem See wohl bis an den Sack treiben, nicht aber in den Sack
entleeren. Man hat nun allerdings den die Röhrchen umspinnenden Muskelfasern
eine Art Melkwirkung zugeschrieben fA^-ltJ; diese besteht aber nicht und bestünde
sie, so müsste dieselbe mit der Schlitzung der Kanälchen aufhören und doch unter-
bricht letztere die Leitung nicht.
Nosologie. Die Entzündung der Thränendrüse, Dacryoadenitis , ist bisher nur
in seltenen Fällen, darunter einmal beiderseitig (Korn), beobachtet worden. Es geht
ihr bisweilen längere Zeit Hgpersecretion der Thränen voran (Graefe). Sie verläuft
meistens sehr langsam und schleppend und offenbart sich durch die allmälige
Entwickelung einer unverschieblichen, in wechselndem Grade harten, drusig höcke-
rigen, gewöhnlich unschmerzhaften, gegen Druck aber öfters empfindlichen Ge-
schwulst, welche unter dem oberen äusseren Theile des Orbitalrandes sichtbar
und fühlbar hervortritt und ihrer beträchtlichen Grösse halber gerne den Bulbus
nach ein- und abwärts verdrängt. Die anatomische Untersuchung ergibt als Grund
der Schwellung entzündliche Productanhäufungen oder Hypertmijhie des Gefüges
(Gluge, Warlomont, Rothmund, Lebert, Letenneur). In einzelnen Fällen jedoch
gewinnt die Neubildung mehr den Charakter des Adenoides (0. Becker). Dem
entsprechend geht die Geschwulst biswellen von selbst oder unter der Anwendung
resorptionsbethätigender Mittel wieder zurück (Heymann, Homer), meistens aber
fordert sie die Exstirpation , soll der Bulbus schliesslich nicht gefährdet werden.
Hier und da kömmt es auch zur chronischen Eiterung, wobei das Orbitaldach cariös
zerstört werden kann (Ad. Schmidt). In anderen Fällen tritt die Entzündung unter
den Erscheinungen der Phlegmone auf und verläuft sehr acut. Sie macht dann ganz
den Eindruck eines mächtigen Abscesses. Das Product kann auch hier durch
Resoiption entfernt werden und die Krankheit zur Heilung gelangen (Schön, Haynes
Walton). Der gewöhnliche Ausgang aber ist der Durchbruch und die Ausbildung
eines tiefen Hohlgeschivüres, das öfters lange Zeit forteitert, sich wiederholt schliesst
und von neuem perforirt {Alf. Graefe), manchmal auch den Knochen angreift und
cariös zerstört (Ad. Schmidt); daher die Exstirpation des wuchernden Gefüges sehr
räthlich erscheint.
In höchst seltenen Ausnahmsfällen wurde als Folge der eitrigen Schädigung
eines Ausfühiningsganges der Drüse und des Aussickerns der Thränenflüssigkeit das
Auftreten einer sogenannten Thränendrüsenfistel beobachtet, welche letztere an der
äusseren Lidhaut oder an der Bindehaut sich öffnete (Ad. Schmidt, Beer).
Nebenbei möge hier des höchst seltenen Vorkommens eines der Ranula
analogen und durch Ectasie eines Drüsenausfuhrungsganges bedingten Tumors, des
sogenannten Dacryops, erwähnt werden. Er präsentirt sich beim Umscldagen des
Lides als eine bläulich durchschimmernde , nur von Bindehaut bedeckte, cysten-
artige oder lappige Geschwulst, welche bei starkem Drucke gewöhnlich, aber
nicht immer (Wecker), ihren wasserklaren Inhalt entleert, sich jedoch bald wieder
füllt, und bei vermehrter Thränensecretion merklich anschwillt (Ad. Schmidt, Beer,
Graefe).
Oefters kömmt es zu Entzündujigen der Thränenwärzchen. Es sind diese
nämlich äusseren Schädlichkeitseinwirkungen nicht ganz entrückt ixnd werden auch
bisweilen direct durch Sondirungen, Einspritzungen u. s. w. empfindlich beleidigt.
Ueberdies i^articipirt der sie darstellende Papillarkörper sehr gerne au Entzündungs-
processen des freien Lidrandes , der Tarsalbindehaut und des Thränenschlauches
(Desmarres). Er geht dabei ganz ähnliche Veränderungen ein, wie der Papillär-
554 Thränenorgane ; Verschliessg. d. Thr.-Punkte; Strictur d. Thr.-Röhrchen ; Pilzbildg.; Dacryolithen.
körper der entzündeten Bindehaut. Bei minder intensiven, aber andauernden
Wucherungsprocessen wird er nicht selten in sehr auffälligem Grade hypertrophirt,
um gleich der trachomatösen Bindehaut später zu schrumpfen und unter Verödung
den Thränenpunkt zu, verengern oder gar narbig zu schliessen. In anderen Fällen
kömmt es zur Eiterung, indem das Product sich übermässig rapid entwickelt. Be-
sonders häufig wird dieses Ijeobachtet, wenn nachbarliche Geschwüre sich über die
Wärzchen ausbreiten oder wenn Blattern auf dem Wärzchen aufschiessen (Ad.
Schmidt). Das Resultat ist dann fast immer eine narbige Verengertmg oder Schliessung
des Thi-änenpunkfes. Ueberhäutungen des letzteren kommen übrigens auch ange-
boren vor (Zehender).
3. Auch die Thrünenröhrchen entzünden sich bisweilen, indem auf ihre Schleim-
haut von aussen her Schädlichkeiten einwirken, z. B. eingedrungene fremde Körper,
Haare (Hasner, Desmarres, HimlgJ, Sonden etc.; oder indem die Mucosa von Seite
des Thränensackes oder der Bindehaut in entzündliche Mitleidenschaft gezogen
wird; oder indem ein in der Dicke der Lider zur Entwickelung gekommener Ent-
zündungsherd, z. B. ein eiterndes Hordeolum (Des^narres, Arlt) seine Grenzen über
ein oder das andere Kanälchen ausdehnt. Es trägt diese Entzündung oft den
Charakter des Katarrhes und kann bei längerer Dauer zur Hgpertrophie der Mucosa
führen, welche ihrerseits wieder mit theilweiser Verödung des Kohres und mit
Bildung von Stricturen (Stilling) zu enden vermag. In anderen Fällen hingegen
hat die Entzündung eitrige Zerstörung eines Theiles des Rohres zur Folge. Das
Resultat kann dann narbige Verengerung oder Verschliessung sein; eben so gut kann
aber auch der Eiter durchbrechen und eine nach innen oder nach aussen sich
öifnende Thr'dnenrohrfistel hinterlassen (Himlg, Desmarres). Derlei Fisteln können
übrigens auch durch Verivundungen veranlasst werden (LecomteJ.
Eine besondere Erwähnung verdient als mögliche Veranlassung von Thränen-
rohrentzündungen die seltene Entwickelung von Pilzen (Graefe, Foerster, Narkieivicz)
in der Lichtung der Kanäle. Es stimmen dieselben völlig überein mit dem Leptothrix
buccalis , welcher in der Mundhöhle sehr gewöhnlich ist und bei der Zahncaries
mitzuwirken scheint. Man vermuthet, dass diese Pilze von der Mundhöhle aus in
den Bindehautsack übertragen werden, indem viele Leute den Speichel als Heil-
mittel gegen allerlei entzündliche Affectionen der Augen betrachten und auf die
Lider zu streichen pflegen ('jFoVsfe?^. Esverräth sich die Ansammlung solcher Pilze im
unteren Thränenrohr, wo sie bisher allein gefunden wurde, durch mehr weniger
heftige Reizerscheinungen im inneren Lidwinkel, weiterhin aber durch eine leichte
Abrundung und Verdickung der medialen Partie des unteren Augendeckels. Bei
der Betastung fühlt man dann bereits eine die Liddicke einnelimende , fast cylin-
drische , dem Verlaufe des Thränenröhrchens folgende, massig compressible derbe
Geschwulst. Der untere Thränenpunkt ist dabei erweitert und entleert bei vorge-
rücktem Leiden, wenn er gedrückt wird, öfters eine geringe Menge rahmartiger
Masse. Schlitzung und Reinigung des Rohres genügt, um Heilung zu erzielen. Die
Schleimhaut des Kanälchens zeigt sich bei der Bloslegung stark geröthet und
gewulstet. Die Pilzmassa selbst präsentirt sich als ein mehr weniger grosses, meistens
gelbliches, bisweilen jedoch auch fast schwarzes Concrement von stumpfkegeliger
Form. Die Consistenz desselben wechselt sehr. Mitunter knirscht es wegen reich-
lichem Kalkgehalte. In anderen Fällen erscheint an der Oberfläche Eiter. Es ist
kein Zweifel, dass Abseedii'ung und ülceration mit Fistelbildung die Folgen sein
können. Uebrigens ist es sehr wahrscheinlich, dass die sogenannten Dacryolithen,
welche man in den verschiedensten Theilen des Thränenleitungsapparates (Himly,
Desmarres, Mackenzie), unter anderen auch in den Ausführungsgängen der Thränen-
drüse (Willia7ns) gefunden hat, zum Theile auf Leptothrixmassen mit secundären
Kalkbildungen zu beziehen sind (GraefeJ.
4. Am häufigsten ist unstreitig die lockere gefüss- und drüsenreiclie
Schleimhaut und der umgebende Schwellkörper des Thränenschlauches das
Substrat einer entzündlichen Wucherung. Es hat dieser Process in der
Mehrzahl der Fälle blos die Bedeutung eines leichten acuten Katarrhes,
welcher ohne erhebUche Folgen rasch abläuft und nur ausnahmsweise
Gegenstand der Beobachtung wird. In anderen Fällen tritt der Katarrh
gleich von vorneherein mit ziemlicher Heftigkeit auf und geht dann nur
selten spontan in Heilung über , der Process wird vielmehr meistens
ThränensackWennoiilioc ; l);iiiyocystitis plilpgraoiiosa. f)55
chronisch, ja habituel. Es g-ewinnt hiovbei die Schleimhaut ein dunkelrothes,
ins Bläuliche oder Bräunliche spielendes Colorit, sie lockert sich samrat
der cavernösen Schlauchhüllo unter beträchtlicher Verdickung mächtig auf,
wird -schwammig, schlaff und mürbe.
In einzelnen Filllen sollen sich an der Oberfläche der wuchernden Mncosa
Granulationen erheben (C'heliiis, A. Weher), welche denen der JBindeliaut sehr ähneln,
bisweilen aber sich zu wahren Polypen auswachsen und dann den Thränensack an-
sehnlich erweitern (Janin, Walther , Blasius , Graefe, Berlin). Auch hat man in
einzelnen Fällen die Schleimdrüsen stark angeschwollen und ausgedehnt gefunden
(Janin). Hier und da kömmt es zu Blutergüssen in die Sackhöhle, deren Coagula
sich allmälig eindicken und mannigfaltige Veränderungen eingehen {Graefe).
Von der Oberfläche der entzündeten Thränensackschleimhaut stossen
sich, gleichwie bei der Syndesmitis, fort und fort schleimig eiterige Froducte
los, welche je nach der Intensität des Processes bald mehr trübem Schleime,
bald flüssigem Eiter gleichen. Indem diese Producte das normale Beeret der
Thränensackschleimhaut an Masse bedeutend überwiegen, und indem ander-
seits ihre Abfuhr wegen der Anschwellung der Schlauchwandungen und der
damit gesetzten Verengerung des Kasenganges wesentlich beeinträchtiget
wird : kömmt es alsbald zu einem Missverhältnisse zwischen dem Inhalte
des Sackes und seiner Abfuhr, um so mehr, als fortwährend Thränen
eingepresst werden und die katarrhalischen Producte an der tiefsten Stelle
des Sackes sich sammeln , durch Resorption ihrer flüssigen Bestandtheile
sich verdichten und sohin pfropfartig die Lichtung des Schlauches vollends
verlegen. Es dehnt sich dann die vom Knochen nicht gedeckte äussere
Wandung des Thränensackes aus und so wird ein Zustand gesetzt, welchen
man Dacryocystoblennorrhoe nennt.
Es unterliegt eine solche Ausdehnung aber auch keiner weiteren Schwierig-
keit. Gleichwie nämlich bei Wucherungsprocessen in der Bindehaut das Gefüge
des Lidknorpels in Mitleidenschaft geräth , sich auflockert und ausdehnt, wird bei
TJiränenschlauchentzilndungen auch die den Sack nach aussen deckende Aponeurose
in den entzündlichen Process hineingezogen und dadurch genug nachgiebig gemacht,
um dem Drucke des sich sammelnden Inhaltes zu weichen. Der gefüllte Thränen-
sack tritt dann geschwulstartig aus der knöchernen Rinne tinter dem Lidbande her-
vor und drängt auch dieses nach vorne.
In einer grossen Anzahl von Fällen entwickelt sich der Process gleich
von vorneherein mit sehr grosser Intensität unter den Erscheinungen der
Phlegmone, daher der Name Dacryocystitis phlegmonosa. Die Schleimhaut
und cavernöse Hülle des Schlauches schwellen wegen der massenhaften
entzündlichen Productbildung in ihrem Gefüge mächtig an und machen
bald den Nasengang und die Thränenröhrchen unwegsam , während
grosse Mengen von purulenten Seoreten in die Höhlung ergossen werden und
sich in dem allein ausdehnsamen Thränensacke sammeln. Dieser tritt daher
in Gestalt einer mächtigen Geschwulst hervor, welche jedoch nur selten in
ihren wahren Umrissen »sich präsentirt, indem auch das überlagernde löchere
Gefüge sammt der Bindehaut und äusseren Decke an dem Processe theil-
nimmt und bedeutend anschwillt von entzündlichem Infiltrate. Bald
beginnt dann auch die eitrige Zerfällniss in den infiltrirten Wandungen des
Schlauches, diese werden stellenweise zerstört und so der eitrige Durch-
bruch vorbereitet.
Bisweilen scheint das der Aponeurose des Thränensackes von aussen
aufliegende lockere Gefüge den ursprünglichen Sitz der Entzündung abzugeben
und die Wandungen des Schlauches erst später in Mitleidenschaft zu ziehen.
556 Thränenorgane ; Anatomie; Nosologie; Quellen.
Man hat solche Abscesse, welche sich ausserhalb der Aponeurose entwickeln,
Änchylops, falls sie aber schon zum Durchbruche nach aussen gekommen sind,
Aegüops genannt.
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Dacryocystitis phlegmonosa; Krankheitsbild ; Ursachen. 557
1. Die phlegmonöse TlirMnensclilaiiclientziinflnng.
Krankheitsbild. Die Dacryocystitis phlegmonosa macht aniliuglioli in
der Regel ganz den Eindruck eines im inneren Augenwinkel zur Ent-
wickelung gekommenen Abscesses. Es tritt nämlich am inneren Winkel,
über und unter dem Lidbande, eine mächtige und nicht sti-eng begrenzte,
anfangs harte, überaus schmerzhafte und gegen Druck sehr empfindliche,
später fluctuirende Geschwulst hervor , über welcher die entzündlich
geschwellte heisse,, tief geröthete und gespannte äussere Decke sich nicht
verschieben lässt. Nur ausnahmsweise kann man den von entzündlichen
Producten aufgetriebenen Thränensack in Gestalt einer scharf begrenzten
bohnengrossen harten empfindlichen Geschwulst sehen und fühlen, indem
die äussere Decke nur wenig geschwollen ist.
Meistens sind auch die Lider von entzündlichem Oedeme beträchtlich
aufgetrieben, oft erscheinen sie sogar wahrhaft erysipelatös. Gleiches gilt
von der Bindehaut, insbesondere von der inneren Portion derselben, welche
häufig alle Charaktere der Chemosis darbietet. Ausserdem macht sich nicht
selten auch eine Theilnahme der Schneider' sehen Haut bemerklich ; die
betreffende NasenhöhlenhäJfte erscheint dem Kranken in höchst lästigem
Grade trocken und unwegsam, während sich aus ihr wässerige Secrete
entleeren. Oftmals participirt der ganze Körper unter der Form von
Fieber.
Beim Drucke auf die Geschwulst, welche bis zum Momente des Durch-
bruches gleichmässig fortzuwachsen pflegt, entleert sich nichts, weder durch
die Thränenröhrchen, noch durch den Nasengang, da die Oeflnungen des
Thränensackes vermöge der Schwellung der Wandungen verlegt zu sein
pflegen. Bei der Eröffmmg des Sackes und längere Zeit darnach, sie möge
spontan oder auf operativem Wege durch einen Einschnitt bewerkstelliget
werden, entleert sich reiner Eiter ohne Beimischung von Thränen, da
wegen Anschwellung der Theile und wegen der Unwirksamkeit der im
Entzündungsherde streichenden Muskeln die Thränenleitung unterbrochen
ist. Erst wenn der Process schon in Abnahme begriffen und die
Abschwellung weit gediehen ist , gelangen Thränen wieder in den Sack
und entleeren sich durch diese Perforationsöff'nung, während umgekehrt
beim Drucke auf die Geschwulst eitrige Massen aus den Thränenpunkten
quellen.
Ursachen. Die phlegmonöse Thränensackentzündung entwickelt sich
oft primär ohne zureichende nachweisbare Veranlassung; selten in Folge
von Schädlichkeiten, welche den Thränensack direct getroffen haben. Häufig
kömmt sie auch im Verlaufe eines Gesichtsrothlaufes zu Stande und es ist
dann oft schwer zu entscheiden, ob dieses oder jenes Uebel als das primäre
zu betrachten sei.
Nicht selten entwickelt sie sich secundär, durch Fortpflanzung ent-
zündlicher Processe von den Nachbarorganen ai;s. Sie kömmt vor in Folge
entzündlicher Processe in der Schleimhaut und im Perioste der Nasen- und
Highmorshöhle, in Folge von Caries der umliegenden Knochen und in Folge
5ö8 Dacryocystitis phlegmonosa: Ausgänge; Stricturen; Verödung; Fistel.
von Bindehautentzündungen. Auch ist sie bisweilen in der Bedeutung einer
Metastase aufzufassen.
Aussei'dem stellt sie öfters eine Art Ausgang der Thränenschlaucli-
blennorrhoe vor und vermittelt bei dieser gewöhnlich den Durchbruch,
wenn sich der Entleerung der Producte Hindernisse in den Weg legen.
Verlauf und Ausgänge. Der Process entwickelt sich in der Regel
überaus rasch und unter stürmischen Symptomen. Er pflegt binnen
wenigen Tagen den Höhepunkt überschritten zu haben.
1. Manchmal geht die Entzündung wieder zurück, ohne dass es zum
Durchbruche kömmt, indem unter Verminderung der Production die ange-
sammelten entzündhchen Producte entweder durch Absorption oder durch
die Mündungen des Thränensackes entfernt werden. Es kann dann
möglicher Weise vollständige Heilung eintreten. Gewöhnlich aber bleibt
eine Thränenschlauchhlennorrhoe zurück.
2. Mitunter kömmt es zu "partiellen Verschivärungen der Thränen-
schlauchwandung und nachträglich zu narbigen Verziehungen derselben, es
möge übrigens ein Durchbruch erfolgt sein oder nicht. Es scheint, als ob
die obere Portion des Nasenganges hierzu am meisten disponirt sei ; denn
an diesem Orte hat man bisher relativ am öftesten solche Narben und in
Folge derselben Verengerungen und Verschliessungen der Schlauchlichtung
nachweisen können. In einzelnen Eällen wurde der häutige Nasengang
nach vorausgängiger phlegmonöser Thränenschlauchentzündting sogar in
grosser Ausdehnung zu einem soliden sehnigen Strange verwandelt gefunden,
welcher locker in dem knöchernen Kanäle eingelagert war (Hasner).
3. In der Regel bricht der Eiter, wenn ihm nicht künstlich ein Aus-
weg eröffnet wird, durch, nachdem sich allmälig Fluctuation in dem
Abscesse geltend gemacht hatte. Es nehmen dann die entzündlichen
Erscheinungen bald ab und die Geschwulst sinkt ein. Es kann hierauf
möglicher Weise die Durchbruchsöffnung wieder verheilen und selbst voll-
ständige Genesung eintreten, oder eine gewöhnliche Thränenschlauchblennorrhoe
zurückbleiben. Meistens aber recidivirt die phlegmonöse Thränenschlauch-
entzündung alsbald und fülirt neuerdings zur Perforation, wenn die Durch-
bruchsöffnung sich geschlossen hat, so lange noch der entzündliche Process
im Gange ist und in der Höhle des Thränensackes eiterige Producte abge-
sondert werden.
In der bei weitem überwiegenden Mehrzahl der Fälle wird die Ver-
heilung der Perforationsöflfnung durch den beständigen Ausfluss schleimig-
eitriger Producte und später der Thränen gehindert. Es überkleidet sich
am Ende, nach Verlauf von Wochen oder Monaten, der falsche Gang mit
Epithel und stellt dann eme ivahre Thränensackfistel dar, welche entweder
reine Thränen, oder Thränen mit schleimig eiterigen Producten gemengt ent-
leert, je nachdem die Mucosa zum Normalzustande zurückgekehrt ist, oder
aber im Zustande des chronischen Katarrhes verharrt. Diese Fisteln
bestehen in der Regel zeitlebens fort, wenn nicht die Therapie in ent-
sprechender Weise gehandhabt wird.
Meistens bohrt der Eiter nach aussen gegen die äussere Decke hin
durch und das Resultat ist eine sogenannte äussere ThränensacJ^^fistel. Es
können sich gleichzeitig mehrere Fistelgänge bilden, welche nach ver-
schiedenen Richtungen verlaufen. Gewöhnlich aber findet man nur Eine
Aeussero, itiiiore Fistol ; Bloslcgung des Knochens; Caries u. Noirosis. 559
Fistol, welche unici' dem inneren Lidbando sich öffnet und in mehr
weniger schiefer Eicliiung alle Schichten bis zur Thränensackhöhle durch-
bohrt. Docli verlaufen solche Hohlgängo auch bisweil (in in Gestalt ganz
unregelmässiger und vielfach gekrümmter Kanüle lange Strecken unter der
äusseren Haut fort und münden in ziemlicher Entfernung vom Thränen-
sacke unter oder nach aussen von ihm, bisweilen sogar in der Nähe des
äusseren Orbitalrandes.
In einzelnen seltenen Fällen entleert sich der Abscess in den Binde-
liautsack und der Gang wird fistulös (Zeis). Auch bricht der Eiter ziemlich
oft an der hinteren Wand des Thränensackes durch, entblösst den Knochen und
bohrt sich dann erst nach aussen den Weg, eine äussere Fistel hinterlassend.
Man fühlt dann mit der Sonde die fein rauhe Stelle und muss sich wohl
hüten, dieselbe mit Caries oder Necrosis zu verwechseln. In der That
hat die Freilegung des Knochens gewöhnlich nicht viel auf sich, da es
in der Regel, wenn auch langsam, wieder zur Ueherhäutung kömmt. Aus-
nahmsweise nur wird das Thränenhein in den entzündlichen Process mit
einbezogen und cariös, ja mitunter findet sogar ein Durchbruch in die
Nasenhöhle statt, es ist eine sogenannte compUcirte äussere Thränensackfistel
gegeben.
Möglicher Weise kann sich der aus dem Sacke nach hinten dixrchbrechende
Eiter zwischen der sehnigen Hülle des Schlauches tmd der knöchernen Kanalwand
nach abwärts senken und seinen Abfluss durch eine gescliwürige OefFnuna; der
Schneider' sehen Haut unter der unteren Nasenmuschel nehmen (Innere Thränen-
sackfistel, Hasner).
Caries und Nekrosis des Thränenbeines sind übrigens bisweilen das
primäre Uebel, die phlegmonöse Dacryocystitis das secundäre. Doch ist
letztere nicht nothvjendig an erstere gebunden. Die Verschwärung kann
sich vielmehr auf die Hüllen des Sackes beschränken und der Eiter neben
dem Schlauche nach Aussen dringen, ein Hohlgeschwür begründend, welches
eine Zeit lang und vielleicht auch dauernd aiisser Verbindung mit der
Sackhöhle ist (Zehender). Verhältuissmässig am öftesten stösst man auf
Caries und Nekrosis bei scrophulösen und syphilitischen Individuen. Sie ist
dann häufig nur die Theilerscheinung eines weiter verbreiteten Knochen-
leidens, einer Ozäna. Von grösstem Belange ist hier, dass bei der Ver-
narbung nach Abstossung des cariösen oder nekrotischen Knochentheiles
der Thränenschlauch nur ausnahmsweise seine normale Leitungsfähigkeit
beibehält, da er sich eben immer im Entzündungskreise befindet und wenn
auch nicht verschwärt, so doch schrumpft und sich verengert.
Die Behandlung verfolgt dieselben Zwecke, wie bei Abscessen
anderer Theile. Es ist vorerst die Entzündung als solche, die übermässige
Production, zu beschränken. Hat sich bereits eine grössere Menge Eiter in
oder um den Thränensack gesammelt, so muss rasch die Entleerung des-
selben bewerkstelligt werden, um die Zahl der wuchernden Elemente zu
vermindern, hauptsächlich aber um durch Ent»panmmg der Theile günstigere
Ernährungsmögliclikeiten zu setzen und geschwürigen Durchbrüchen mit
ihren üblen Folgen vorzubeugen. Ist die Entleerung aber bereits geschehen,
so kommt es darauf an, einen möglichst günstigen Verheilungsmodus anzu-
bahnen.
1. In erster Beziehung ist neben sorglicher Beachtung der Causal-
indication strenge Antiphlogose, sowohl locale als allgemeine, geboten. Im
560 Daciyocystitis phlegmonosa; Behandlung; Antiphlogosis ; Schlitzung d. Köluxhens; Eröif. d. Sackes.
Beginne, bei sehr starker Hyperämie und besonders bei hochgradiger
Temperaturerhöhung, empfehlen sich kalte Ueberschläge. Wo die erwähnten
Symptome aber minder gebieteriscla auftreten, genügt bei strengem anti-
phlogistischen Verhalten des Kranken die Bedeckung der Geschwulst mit
einem trockenen Linnenlappen. Manche loben Cataplasmen (Schiveigger).
2, Um dem im Inneren des Thränensackes angesammelten Producta
einen Ahfluss zu ermöglichen, ist die Schlitzung des unteren Thränenrohres das
geeignetste Mittel. Dieselbe soll vorgenommen werden, sobald man Grund
hat, flüssigen entleerbaren Eiter in der Sackhöhle zu vermuthen. Sie
gelingt in der Regel leicht, wenn die Schwellung und Spannung der
Nachbartheile nicht gar übermässig ist und setzt keine grösseren Gefahren,
als die Eröffnung des Sackes von aussen her. Die Entleerung des Inhaltes
bedarf dann gewöhnlich nur eines sanften äusseren Druckes und wird
übrigens durch Einführung einer Sonde in die Sackhöhle wesentlich
gefördert. Der Erfolg dieses Verfahrens ist nach den bisher gemachten
Erfahrungen ein überaus erfreulicher. Meistens gehen die entzündlichen
Erscheinungen überaus rasch zurück und die Schmerzen hören gänzlich
auf. Oefters wird der Durchbruch nach aussen selbst dann noch hinter-
trieben, wenn ein Theil der Geschwulstobei'fläche den Eiter schon gelb
durchscheinen lässt. Zudem ist die Schlitzung des Rohres ohnehin nur
selten zu vermeiden, indem fast constant eine Thränensackblennorrhoe
zurückbleibt, welche nachträglich Sondirungen des Schlauches nothwendig
macht.
Ein Durchbruch so wie die operative Eröffnimg des Sackes von aussen her
haben das ausnehmend Missliche, dass sie in der Regel eine Fistel hinterlassen,
deren Heilung nicht immer ohne alle Schwierigkeiten gelingt. Wählt man indessen
letztere dennoch, so kann hierbei lücht, wie beim normalen Zustande der äusseren
Haut, die Mitte des Lidbandes als Marke für den Einstich benützt werden, da dieses
Ligament von der Geschwulst völlig gedeckt wird. Doch ist der untere Lidi-and ein
ganz guter Leiter. Man setzt in der idealen Verlängerung desselben, etwa 2'"
von der Commissur entfernt, die Spitze des Bistouri oder der Lanzette senkrecht
auf die Oberfläche der Geschwulst und stösst das Instrument mit nach tmten und
aussen gekehrter Schneide in die Tiefe der Geschwulst , sorgfältig dem inneren
unteren Orbitalrande ausweichend. Liegt das Centrum einer vor dem Thränensacke
befindlichen Abscesshöhle nicht gerade in der Richtung des Einstiches und fürchtet
man diese Höhle nicht genügend eröffnet zu haben, so kann man das Fehlende
beim Ausschneiden leicht nachholen. Um der Wiederverwachsung der Wunde und
den dann fast unvermeidlichen wiederholten Durchbrüchen zu begegnen, ist eine
massig dicke gewachste Charpiewieke in den Wundkanal einzuführen und sorg-
fältig vor dem Herausfallen zu bewahren, indem deren umgebogenes Ende mittelst
eines Streifens von englischem Pflaster an der äusseren Haut befestiget wird.
Es muss diese Wieke täglich zum mindesten einmal erneuert werden.
Bleiben nach der Entleerung des Sackes noch ausgedehnte Härten in
der Geschwulst zurück, so thut man gut, Cataplasmen oder Fomente mit
lauem Wasser anzuwenden, oder auch wohl nur einen Baumwollenbausch
darüber zu befestigen, bis die entzündliche Hyperämie und die Schwellung
der Theile, sowie die Massenhaftigkeit des Eiterabflusses, eine beträchtliche
Abnahme zeigen. Einzelne sind für einen scharf angezogenen Druckver-
band (Arlt, Herzenstein).
Gleich anfönglich nach Entleerung des Eiters den Nasengang zu sondiren, um
seine Durchgängigkeit zu erproben , ist nicht klug. Das Sondiren führt zu dieser
Zeit in der Regel erst nach langem Herumsuchen, wenn überhaupt, zu einem ver-
lässlichen Resultate, weil die übermässig geschwollenen Schlauchhüllen den Nasen-
gang für die Sonde gewöhnlich unwegsam machen. Die mechanische Reizwirkung
Caries, Nelcrosis des Thränenbeines ; Thriuioiisflilauolililiuiorrküü. 561
eines solchen Verfahrens ist übrigens für den weiteren Verlauf des Processes nicht
ohne üble Bedeutung'. Aehnliclies gilt von den Einspritzungen, besonders wenn sie
von einer äusseren Wundöffnung aus gemacht werden. Man läuft hierbei Gefahr,
dass das Wasser zum Theile in das aufgelockerte Geioehe an der Aussenwand des
Thränensackes eindringt, sich förmlich infiltrirt, die Geschwulst beträchtlich steigert
und unter Vermehrung der Intensität des Processes die Eiterung über die ursprüng-
lichen Gremien hin ausdehnt.
3. Sind unter dieser Behandlung die entzündlichen Erscheinungen mehr
and mehr zurückgeyangen, ist die Geschwulst fast ganz gesunken und deutet
der mit Thränen gemischte AusÜuss eines schleimig eitrigen l'roductes darauf
hin, dass die Mucosa des Thiiinensaclces in einem katarrhalischen Zustande
verharre: so wird die Behandlung nach den für die Dacryocystoblennorrhoe
geltenden Eegelu fortgesetzt.
4. Ist der Abscess bereits spontan zum Durchbruche gekommen und
mündet der Hohlgang nicht allzuferne von dem Lidbande an der äusseren
Haut, so ist einfacli das untere Thränenrohr zu schlitzen und die etwa
noch vorhandene Geschwulsthärte durch laue Ueberschläge zu tilgen, um
dann gleichfalls zur Therapie der Blennorrhoe überzugehen. Ist der Hohl-
gang aber ein langer und sehr unregelmässig gekrümmter, oder hat sich
der Eiter durch mehrere (3eifnungen entleert, nachdem er die Haut unter-
minirt hat, so ist es räthlich, den oder die Hohlgänge auf der Hohl-
sonde zu spalten, um so eine möglichst kurze und einfache Fistel zu
gewinnen.
5. Caries und Nekrosis des Thränenbeines sind nach den in dem
Capitel über Orbitalkrankheiten angegebenen Regeln zu behandeln. Das
weitere Verfahren richtet sich nach dem Zustande des Thränenschlauches.
In neuerer Zeit empfiehlt man, das cariöse Thränenbein von der weit ge-
öffneten Sackhöhle aus mittelst einer kleinen Trepankrone zu durchbohren und
die Fistelöftnung durch Einlegung von Kautschukbougien bis zur Verheilung der
Knochenwundränder offen zu erhalten (Uemarquay).
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2. Die Thränenschlauchblennorrlioe.
Krankheitsbild. Das charakteristische Merkmal ist eine umschriebene
rundliche, in ihrem Umfange sehr oft wechselnde Geschwidst, welche, hinter
dem Lidbande mit breiter Basis und unverschieblich festsitzend, die innere
Winkelgegend hervorbaucht, bei einem auf sie ausgeübten Drucke schleimig
eitrige Producte, mit Thränen gemischt, durch die Thränenrohr chen entleert und
mit der äusseren Decke nicht zinmittelbar im Zusammenhange steht, daher diese
über der Geschwulst in Falten emporgehoben werden kann.
Der ectatische Thränensack erreicht, wenn er gerade angefüllt ist,
oft den Umfang einer grossen Bohne, einer Haselnuss, selten eines Tauben-
Stellwag, Augenheilkunde. 36
562 Thränenschlaucliblennorrlioe ; Kiankheitsbild ; Geschwulst.
eies oder darüber. Je nach der Grösse seiner Ausdehnung drängt er
das Lidhand mehr oder weniger nach vorne, tritt aber ausserdem auch
noch oherlialh und vornehmlich unterhalb dieses Ligamentes geschwulst-
artig hervor. Bei geringeren Graden der Entwickelung ist diese Geschwulst
nur greifbar und durch das Gesicht an einiger Ausfüllung der Angular-
gegend zu erkennen. Es ist dann auch die darüberliegende verschieb-
liche äussere Decke in keiner Weise verändert. Bei höheren Entwickelungs-
graden hingegen steigt die Geschwulst mit ziemlich steilen Wandungen
aus der Tiefe hervor und wird schon von weitem als ein rundlicher Vor-
sprung bemerkt.
Die Füllung des Thränensackes luechselt übrigens in einem und dem-
selben Falle sehr beträchtlich je nach äusseren Umständen und nacTi der
grösseren oder geringeren Leichtigkeit, mit welcher sich der Inhalt der
Gesehwulst entleeren kann. Es schivankt daher auch die Grösse des Tumors
innerhalb sehr weiter Grenzen und ebenso die Consistenz desselben.
In der That findet man bei Vorhandensein einer Dacryocystoblennorrhoe
den Thränensack bald mächtig ausgedehnt, hart und elastisch, bald ist die Ge-
schwulst fast ganz verstrichen und teigig weich. Bei heiterer trockener und warmer
Witterung, überhaupt unter Verhältnissen, unter welchen der abzuleitende Ueber-
schuss der Thränen sich vermindert und katarrhalische Zustände eine Besserung
zu erfahren pflegen, die schleimhäutigen Wandungen des Thränenschlauches sonach
etwas abschwellen: leiden die Kranken viel weniger, ja nicht selten verschwindet
der Tumor ganz oder sinkt beträchtlich ein. Umgekehrt aber tritt die Geschwulst
auffällig hervor und belästigt überaus stark durch die Spannung ihrer Wandungen,
wenn rauhe stürmische nasskalte Witterimg die Secretion der Thränen sowie die
Schwellung und Absonderungsthätigkeit des schleimhäutigen Thränenschlauches
vermehrt.
Auch pflegt die Geschwulst während des nächtlichen Schlafes, so wie bei
längerer Verschliessung der Lidspalte im ivachen Zustande, an Umfang merklich
zu verlieren und wohl auch völlig einzusinken, indem unter solchen Umständen die
katarrhalische Absonderung sich sehr vermindert und wegen ruhendem Lidschlage
auch die Thränenabsonderung auf ein Kleinstes beschränkt wird. Sobald aber der
Lidschlag wieder beginnt, tritt die Geschwulst neuerdings hervor und steigt rasch
bis zu einer gewissen Höhe, so weit nämlich, bis die Wandungen des Thränen-
sackes einen gewissen Grad von Spannung erreicht haben. Dann hört die Thränen-
leitung auf, der Ueberschuss der Thränen fliesst über die Wangen herab, es stellt
sich ein dem Kranken sehr peinliches Thränentrüufeln ein. Indem aber die katar-
rhalische Absonderung der Mucosa des Thränensackes nicht gleichzeitig mit der
Thränenleitung sistirt wird, sondern ungehindert fortdauert, nimmt der Inhalt des
Tumors mehr und mehr zu und die steigende Spannung der Sackwände beurkundet
sich alsbald durch das Gefühl von Druck pnd Schwere, häufig aiich durch ziehende
spannende Schmerzen , welche mitunter in die Nase , in die Augenbrauengegend
und den Bulbus ausstrahlen. Bisweilen geschieht es dann, dass unter dem Drucke
der gespannten Sackwandungen und unter Beihilfe einer kräftigeren Zusammen-
ziehung des Orbicularmuskels ein Theil des Inhaltes durch die Thränenröhrchen in
den Bindehautsuck entweicht und dieser daher von einer mit Thränen gemischten,
eitrig schleimigen Flüssigkeit überschwemmt wird. Die Folge ist natürlich ein vor-
übergehendes Nebelsehen, welches, da es sich im Laufe des Tages öfters oder gar
häufig wiederholt, den Kranken ungemein belästigt, so zwar, dass dieser es in der
Aufzählung seiner Leiden gewöhnlich in den Vordergrund stellt. Allraälig wird der
Patient mit seinem Uebel aber vertrauter und lernt seinen Zustand dadurch erträg-
licher zu machen, dass er nach Bedarf von Zeit zu Zeit den Thränensack durch einen
geschickt angebrachten Druck entleert und so übermässigen Ansammlungen von
katarrhalischen Producten und Thränen mit allen daraus folgenden Belästigungen
thunlichst begegnet.
Die Entleerung gelingt häufig blos in der Richtung nach aussen,
durch die Thränenröhrchen , indem die Lichtung des Nasenganges durch
Ursachen; Primäre, secundäre Formen. 563
die Schwellung dev Sehlaufhliülle verlegt ist. Oefters und besonders
in den späteren Stadien des l'rucesses lässt sich der Inhalt der Geschwulst
jedoch auch in die Nasenhöhle treiben. Es kömmt dann eben nur auf die
llichtung an, in welcher der Druck ausgeübt wird, um das Entweichen
uach aussen oder unten zu bewerkstelligen.
Erwähnenswerth ist noch die häutige Combination der Dacryocysto-
blennorrhoe mit Bindehautkatarrh und Blepharitis ciliaris. Es werden diese
Zufälle oft secundär hervorgerufen durch die Berührung der Conjunctiva
mit den Producten des Thränenschlauches und beziehungsweise durch die
(ielegenheit zu massenhaften Krustenbildungen an den Lidrändern.
Ursachen. 1. Die Thränenschlauchblennorrhoe entwickelt sich nur
in den seltensten Ausnahmsfällen primär in Folge von äusseren Schädlich-
keiten, welche direct auf den Thränenschlauch eingewirkt haben. So kömmt
es beispielsweise vor, dass fremde Körper (KerstenJ, Schnupftabak (Kleemann)
u. dgl. bei klüftigen Exspirationen mit dem Luftstrome aus der Nasenhöhle
in den Thränenschlauch dringen und, indem sie sich daselbst verhalten,
einen Entzündungsreiz auf die Mucosa ausüben.
2. Abgesehen hiervon lässt sich die Thränenschlauchblennorrhoe fast
constant als ein secundäres Leiden in der eigentlichsten Bedeutung des
Wortes erweisen.
Häufig stellt sie nur einen Ausgang der phlegmonösen Thränenschlauch-
entzündung dar und zählt darum die ätiologischen Momente der letzteren,
alle wie sie sind, zu den ihrigen. In Fällen dieser Art erscheint die
Dacrj^ocystoblennorrhoe sehr gewöhnlich mit der Thränensackfistel gepaart.
Auch findet man unter solchen Umständen relativ am häufigsten Stricturen
des Nasenganges.
Ebenso oft entwickelt sich die Dacryocystoblennorrhoe in Folge der
Fortpflanzung entzündlicher Processe von den Nachbarorganen auf den
Thränenschlauch. Besonders belangreich sind betreifs dessen Entzündungen
der Nasenscldeimhaut, der Lidränder und der Bindehaut.
Die Entzündung der Schneider'schen Membran kann dabei ein pri-
märes Leiden, eben so gut aber auch ein von der Mucosa der Eachen-
höhle, von den unterliegenden Knochen u. s. w. überkommenes sein. So
sieht mau Thränenschlauchblennorrhoen zu Stande kommen im Gefolge
von heftigen und lange anhaltenden Nasenkatarrhen, des Impetigo und des
Eczemes der Nasenschleimhaut, der Grippe, der Angina und, insoferne der
Bespirationstract bei den acuten Exanthemen in sehr beträchtlichem Grade
mitleidet, auch der Masern und des Scharlachs, vornehmlich aber laut
zahlreichen Erfahrungen der Blattern (Ad. Schmidt). Nicht minder kommen
in dieser Beziehung in Betracht : syphilitische (ZeissV) und scrophulose Leiden
der Knochen und der Schleimhaut der Nasenhöhle, weiters After gewächse,
Polypen, Krebse u. s. w., welche sich in der Nasen-, Rachen- und High-
morshöhle etc. entwickeln.
Von den Lidrandaffectionen sind besonders die ulcerösen und variolösen
Formen der Blepharitis ciliaris berüchtigt, von den Bindehautentzündungen
aber hochgradige Trachome. Wenn Bindehautentzündungen, welche mit
beträchtlicher Chemosis einhergehen, zur Thränenschlauchblennorrhoe führen,
so handelt es sich oftmals nicht sowohl um ein allmäliges Fortschreiten
des Processes, als vielmehr um eine gleich ursprüngliche Mitleidenschaft des
36*
564 Thränenschlauchblennon-hoe ; Ursachen; Verlauf; Ausgänge.
Thränenschlauches, die Entzündung ist von Anfang an eine sehr ausge-
breitete und der Thränensack fällt in ihren Bereich hinein.
Es hat eine solche Annahme um so mehr für sich, als die Chemosis
im Grunde genommen dem Erysipele sehr analog ist und der Gesichtsroth-
lauf unstreitig eines der alkrhäufigsten pathogenetischen Momente der
Thränenschlauchblennorrhoe darstellt. Durch seine Vermittlung steht die
letztere Krankheit auch in einem losen Zusammenhange mit Pyämie, Puer-
peralkrankheiten, dem Typhus u. s. w.
3. Ein sehr wichtiges ursächliches Moment für Thränenschlauch-
blennorhoen sind endlich andauernde Behinderungen der normalen Thränen-
leitung. Wirklich ist die Thränenschlauchblennorrhoe ein auifallend häufiges
Vorkommniss, wenn die untere Mündung des Nasenganges durch Schleim-
hautnarben u. s. w. unwegsam geworden ist; wenn der Nasengang durch
fremde Körper, Polypen, durch narbige Schrumpfungen verlegt ist ; wenn
die Thränenröhrchen oder die Thränenpunlde ungangbar sind ; ja es genügt
erfahrungsmässig die einfache Eversion der Thränenpunkte, wenn sie lange
den Eintritt der Thränen unmöglich macht, um die Dacryocystoblennorrhoe
hervorzurufen, zu unterhalten und am Ende zur Schrumpfung der Schlauch-
wände Veranlassung zu geben.
4. Nicht Jedermann wird unter gleichen V'^erhältnissen gleich leicht
von der Dacryocystoblennorrhoe heimgesucht. Erwachsene sind mehr als
Kinder, Greise mehr als im Manßjesalter stehende Individuen, Weiber mehr
als Männer, schlaffe blasse, sehr herabgekommene Leute mehr als kräftige
stramme disponirt. Auch sollen Plattnasen zu dem in Rede stehenden
üebel sehr geneigt machen (Hasner).
Verlauf. Bei sehr disponirten und namentlich bei auffällig welken
schlaffen herabgekommenen Individuen entwickelt sich die Thränenschlauch-
blennorrhoe öfters ganz unmerklich; sie besteht meistens schon längere
Zeit, wenn der Kranke durch katarrhalische Zustände der Bindehaut, durch
das zeitweilige Thränenträufeln, durch das öftere UeberHiessen des Inhaltes
des Thränensackes und durch das darin begründete Nebelsehen auf seinen
krankhaften Zustand aufmerksam gemacht wird.
Ist die Ectasie des Thränensackes einmal bis zu einem gewissen
Grade gediehen, so verlieren sich alsbald die entzündlichen Symptome und
die Dacrj'ocystoblennorrhoe besteht ohne weitere sonderliche Veränderungen
Jahre lang, ja zeitlebens fort. In vielen Fällen machen sich jedoch Exa-
cerbationen geltend, welche von Zeit zu Zeit mit oder ohne nachweisbare
Veranlassungen auftreten, sich durch mehr weniger heftige entzündliche
Erscheinungen auszeichnen und in der Regel eine Volumszunahme der
Geschwulst im Gefolge haben. Umgekehrt tritt aber auch bisweilen das
Leiden zurück und kann unter günstigen Verhältnissen zeitweilig ganz
verschwinden, um später wieder plötzlich hervorzutreten.
Ausgänge. 1. Die Thränenschlauchblennorrhoe kann, wenn sie Jiicht
veraltet ist und wenn übrigens günstige äussere Verhältnisse zu Hilfe kommen,
ausnahmsweise spontan heilen. Es gilt dieses vornehmlich von Daciyocysto-
blennorrhoen, welche im Kiudesalter entstanden sind. Diese sollen nicht
ganz selten beim Eintritte in das Mannesalter oder während der ersten
Schwangerschaft von selbst zurückgehen (Mackenzie).
Veränderungen der urageb. Knochen; Hydrops sacci lacrym.; Kntzündl. Episoden. 565
2. In der Regel jedoch besteht die Thränenschlauchblcnnorrhoe, wenn
nicht Kunsthilfe einschreitet, durch das ganze Leben fort. Die Ectasie
pflegt dann im weiteren Verlaufe noch etwas zuzunehmen, während die
constituirenden Theile des Thränenschlauches nach und nach gewisse Ver-
änderungen eingehen, welche die Rückkehr zur Norm immer schwieriger
und die Therapie mehr und mehr unzulänglich machen.
So wird öfters die Knochenleiste des Nasenfortsatzes des Oberkieferbeines,
welche die Thränengrube bilden hilft, verdrängt und theilweise sogar resorbirt.
Indem gleiches Los auch die Crista ossis laoymalis trifft, verstreicht sich die Thränen-
rinne manchmal völlig (Arlt). Die den Thränensack von vorneher deckenden Theile
des Orhicularmuskels verlieren in Folge des Druckes und beziehungsweise der Zer-
rung, welchen sie ausgesetzt sind, allmälig an Coutractionsfähigkeit und atrophiren
theilweise. Dasselbe gilt von dem bindegewebigen Maschenwerke, welches die
Aponeurose des Thränensackes deckt und mit dem Lidbande zusammenhängt. Es
wird dieses von hintenher zusammengedrängt und verdichtet sich zu einer sehnen-
ähnlichen Schichte, welche nur schwer wieder sich so lockert, dass die unter ein-
ander verwachsenen Balken aus einander treten und ihre Lücken sich neuerdings
mit zartem lockeren Gefüge füllen können.
Die Schleimhaut und das caver-nöse Gefüge des Thränenschlauches hypertro-
phiren unter der andauernden Gewebswucherung und treiben bisweilen Polypen.
(S. 555). Sie können in diesem Zustande eine lange Reihe von Jahren, ja zeit-
lebens verharren. Manchmal jedoch, namentlich bei hochgradiger Ectasie des Sackes
und seiner Hüllen, verlieren sie nach und nach ihren eigenthttmlichen Charakter,
ihr hypertrophirtes Gewebe verödet. Die Sackwandungen verwandeln sich dann in
eine gefässarme blasse derbe und dichte, ihrer ganzen Dicke nach sehnen'dhnliche
Membran, welche mit der ßhrösen Hülle vollkommen zusammenschmilzt und im
Vereine mit der letzteren ein einheitliches Stratum von relativ geringer Mächtigkeit
darstellt. Das Secret ändert nun seinen Charakter, es wird einer durchscheinenden
gelblichen oder bräunlichen Gallerte ähnlich , welche in Folge der Aufsaugung
ihrer flüssigen Bestandtheile sich bis zur Consistenz eines halberkalteten Tischler-
leimes eindicken kann. Man hat diesen Zustand früher unter dem Namen „Bruch
und Wassersucht des Thränensackes, Hernia und Hydrops sacci lacrgmalis*^ be-
schrieben (Ad. Schmidt, Beer). Er wird in seinem Zustandekommen begreiflicher
Weise sehr begünstigt durch Unwegsamkeit des Nasenganges und diese ist unter
den fraglichen Verhältnissen ein ziemlich häufiges Vorkommniss. Abgesehen von
narbigen Verengei-ungen und Verschliessungen, welche bisweilen durch partielle
VerschvMrungen der Schlauchhüllen bedingt werden, kömmt hier nämlich die
Schrumpfung in Rechnung, welche im Bereiche des Nasenganges der Hyper-
trophie der Mucosa und des Schwellkörpers zu folgen pflegt, da hier nicht wie
im Thränensacke das angesammelte Secret und die durch Muskeldruck einge-
triebenen Thränen erweiternd auf die Wandungen wirken, einer zunehmenden
Verkleinerung der Lichtung also nichts im Wege steht. Es reihet sich nach allem
dem der Hydrops sacci lacrymalis den Retentionscysten der grösseren Kanäle
(Virchow) an.
Wo der Thränenzufluss dauernd behindert ist, bei Eversion oder Verstopfung
der Thränenpunkte oder Thränenröhrchen, kömmt es ausnahmsweise zur concen-
trischen Verengerimg des Thränensackes, indem unter zunehmender Schrumpfung
seiner Wandungen auch die Secretion stockt (A. Weber).
3. Den hervorragendsten Einfluss auf die weitere Gestaltung der
Krankheit nehmen die entzündlichen Exacerbationen, welche sich im Verlaufe
der Dacryocystoblennorrhoe ziemlich häufig geltend machen. Allerdings
gehen diese Entzündungen öfters wieder zurück, ohne merkliche Folgen
zu hinterlassen. Häufig jedoch führen sie zum eitrigen Durchbruche. Die
Perforationsöffnung schliesst sich dann gar nicht selten, so dass der frühere
Zustand wieder hergestellt wird. P^benso oft jedoch bleibt eine Thränen-
sackfistel zurück. Auch veranlassen solche zwischenlaufende Entzündungen
mit oder ohne eitrigem Durchbruche oftmals partielle Verschwärungen der
566 Thränenschlauchblennoirhoc ; Ausgange; Emphysema sacci lacrym. ; Behandlung.
inneren Wand des Thi'änensackes, besonders aber des häutigen Nasen-
ganges. Dadurch wird selbstverständlich der Knochen streckenweise ent-
blösst. Die beim Sondiren fühlbare Rauhigkeit kann dann leicht zur
Diagnose einer Caries verleiten. In der E,egel jedoch überhäuten sich derlei
Stellen ziemlich bald oder werden durch narbigen Zuzug der geschwürigen
Sackwand überdeckt. Die weiteren Folgen sind narbige Verziehungen der
letzteren, Stricturen und sehr ausnahmsweise Obliterationen des Nasenganges
(S. 558).
4. In höchst seltenen Fällen bilden sich im Inneren des Thränenschlauches
DacryoliÜien oder Thränensteine. Diese können sehr heftige Entzündungen anregen
und so die nächste Veranlassung der sub 3. geschilderten Zustände werden
(Desmarres).
5. Auch combinirt sich weiterhin die Thränenschlauchblennorrhoe bisweilen
mit dem Emi^hysem des ThränensacJces, welcher Zustand sich dadurch charakterisirt,
dass bei jeder kräftigeren Exspiration, namentlich beim Schnäuzen, Niesen u. s. w.
ein Theil der in der Nasenhöhle comprimirten Lieft in den Thränensack dringt
und diesen beträchtlich aufbläht, oder auch mit dem Inhalte desselben unter
Blasenbildung durch die ThränenpunJcte entweicht. Mau hat als Ursache dieser
Ercheinungen eine Störung des Klappenverschlusses am Nasenende des Schlauches
angenommen (Hasner), was jedoch irrthümlich ist. Kömmt es bei einer solchen
aussergewöhnlichen Durchgängigkeit des Schlauches zu Verletzungen oder zu
partiellen Verschivärungen der Sackwand, so entwickelt sich leicht eine Luftgeschwulst
im subcutanen und submucosen Gewebe der Angulargegend (Arlt, Rau, Graefe).
Die Behandlung hat den Ausgleich der vorhandenen Ernährungs-
störungen und die Eückkehr des ausgedehnten Thränensackes zu seinem
normalen Umfange zu ermöglichen. Damit im Zusammenhange steht die
weitere Aufgabe, Leitungshindernisse jedweder Kxi zu beseitigen. Wo die
Erfüllung dieser Indicationen unthunlich erscheint, müssen die aus der
Leitungsstörung hervorgehenden Leiden des Kranken auf ein möglichst
kleines Mass beschränkt werden.
1. Ln Interesse der Causalindication wird öfters die allgemeine und
örtliche Behandlung einer Ozäna, die Entfernung von Polypen oder anderen
Aftergeioächsen aus der Nasen- oder Highmorshöhle, die Tilgung chronischer
Entzündungprocesse im Bereiche der Schneider sehen Haut u. s. w. noth-
wendig. Sehr selten sind fremde Körper, Thränensteine, Polypen etc. aus
dem Thränenschlauche selber zu entfernen.
2. Bei einfachen Thränenschlauchblennorrhoen stellt sich zuförderst die
Aufgabe, Anhäufungen von Thränen und krankhaften Secreten im Inneren
des Thränensackes unmöglich zu machen. Es stehen solche Product-
ansammlungen nämlich der Zusammenziehung des Thränensackes auf seinen
natürlichen Umfang direct im Wege und werden dadurch mittelbar ein
Hinderniss für die Wiederherstellung der normalen Vegetationsverhältnisse
der Schleimhaut. Ueberdies unterliegt es kaum einem Zweifel, dass die
abnorme Spannung und namentlich der oftmalige Wechsel zwischen Spannung
und Erschlatfung der Wandungen als eine directe Schädlichkeit aufgefasst
werden müsse, welche den entzündlichen Process unterhält und steigert.
Wirklich genügt erfahrungsmässig die dauernde Entspannung des Thränen-
sackes in vielen Fällen, um einfache Thränenschlauchblennorrhoen zur
Heilung zu bringen.
a. Das erspriesslichste Verfahren ist unstreitig die Spaltung eines
Thränenröhrchens und die nachherige wiederholte Sondirung des Nasenganges
(Bowman). Durch die Schlitzung des von Muskelfasern dicht umsponnenen
Sondenkur; Schlit/.ung der Thränenröhrcht'n ; Bpliandlunp; pinfUchtni Thränenträufelns. 567
äusseren Theiles des Köhrohons wird die Entleerung dos ThränensackeR
nach oben nngcmoin orleiclitert ; duvoh die Sondii-unr/en des Nascnganges
aber der Abzuj;; nach unten begünstic;t. Im Ganzen werden also günstigere
Ernährungsverhältnisse gesetzt und der Zustand für den Kranken erträg-
licher gemacht.
Um die Spaltung leichter und sicherer ausführen zu können, ist es
gut, den betreffenden Thränenpunkt vorerst durch Einführung von Sonden
zu erweitern.
Wohl zu bedenken ist bei diesen Sondirung-en , dass die Thrilnenröhrchen
von den Punkten aus etwa ^/n'" weit senkrecht nach ab-, beziehnnj^sweise nach
aufwärts streichen, sodann aber unter einem fast rechten Winkel in die horizon-
tale Richtung einbiegen , um hierauf etwas an-, respective absteigend zu dem vom
Lidbande gedeckten Theile der Thränensackwand zu gelangen. Man muss daher,
nachdem man das betreffende Lid etwas abgezogen und nach aussen hin gespannt
hat, die bogig gekrümmte Sonde senkrecht durch den Thränenpunkt in das Röhr-
chen einführen, dieselbe sodann in die horizontale Richtung wenden und vorsichtig
sondirend etwas schief nach auf- oder beziehungsweise ahirarts schieben. Das Ende
der Sonde muss sich dabei stets an die vordere Wand des Kanälchens halten und
gegen den Fundus des Sackes hin, beziehungsweise gegen dessen untere Mündung,
gerichtet sein, während die Convexität der Sonde sich an die Bulbusoberfläche
anlegt.
Klafft der Thränenpunkt genügend, so wird bei etwas abgezogenem
oder umgestülptem (oberen) Lide das sturapfspitzige Blatt einer sehr zarten,
knieförmig gebogenen oder geraden (Maunoir'schen) Schere vorsichtig son-
dirend in das Thränenrohr bis hinter den Fuss der Carunkel eingeschoben
und das Kanälchen von der Bindehautseite aus durch einen einzigen
Scherenschlag gespalten.
Sind die Thränenpunkte narbig verwachsen, was freilich nur selten vorkömmt,
so muss die Oeffnung dadurch hergestellt werden, dass man von der inneren Lid-
lefze aus ein spitzes Scherenblatt durch das Thränenwärzchen hindurchstösst, oder
dass man von der Bindehaut aus, etwa ^/i"' vom Lidrand entfernt und diesem
parallel, einen Schnitt quer auf das senkrechte Stück des Kanälchens führt (Boin-
man). Letzteres ist besonders dann nothwendig, wenn die Verwachsung durch
Narbengewebe in grösseier Ausdehnung stattgefunden hat. An der Schnittfläche lässt
sich hierauf leicht die künstliche Oeffnung des Röhrchens durch Sondirung finden
und die Spaltung unterliegt weiter keiner Schwierigkeit.
Schhtzungen des Thränenrohres sind übrigens auch von grossem Vortheile,
wenn es sich, ganz abgesehen von Dacryocystoblennorrhoen, darum handelt, dem
höchst lästigen Thrüneyürätifeln zu begegnen, welches sich öfters einstellt, wenn
die Uhr'ÄnQwpunkte durch vorausgängige Entzündungen der Lidränder oder durch
was immer für Zufälle geschlossen worden sind; oder wenn der Lidrand nicht voll-
kommen dem Bulbus anschliesst, jedoch nicht so weit abgehoben ist, dass sich
eine eingreifendere Operationsmethode lohnt oder ausführen lässt. Ist unter solchen
Umständen das Thr'dnenpünktchen blos etwas enger, als in der Norm, oder durch
eine dicke Lage Epidermis verlegt — und dieses kömmt nicht ganz selten vor —
so genügt meistens die einfache Sondirung nach der oben angegebenen Weise, um
dem öfters überaus lästigen Thr'dnenträvfeln dauernd Einhalt zu thun.
In der Regel wird das untere Thränenrohr gespalten, um einen
Zugang zum Sacke zu gewinnen. Manche ziehen jedoch das obere vor.
Es lässt sich für diese Wahl der Umstand geltend machen, dass Sondirungen
vermöge der grossen Zerrung, welcher die der inneren Ilohrmünduug nach-
barlichen Theile ausgesetzt sind, besonders bei nachlässigen Kranken, welche
die Kur öfters lange unterbrechen, gerne zu narbigen Verschliessungen
des medialen Rohrendes führen und dass Erhaltung der Durchgängigkeit
des unteren Kanälchens von überwiegender Wichtigkeit ist, insoferne dieses
bei der Thränenleitung die Hauptrolle spielt.
568
Thränenschlauchblennorrhoe ; Behandlung ; Sondenkur ; Sondirung d. Nasenganges.
Zu den Sondirungen dient, eine Reihe von graduirten Sonden aus
biegsamem Metall, am besten aus reinem Silber, welche unten abgerundet,
aber nicht geknöpft, sondern allenthalben gleich dick sind und von dem
Caliber eines Zwirnfadens bis zu dem eines massig dicken Spagates auf-
steigen (Bowman). Man nimmt vorerst eine dünnere Sonde, krümmt sie in
einen leicht convexen Bogen und führt sie bei abgezogenem und nach
aussen gespannten Lide in einer von der horizontalen nur wenig abweichenden
schiefen Richtung durch das geschlitzte Thränenröhrchen bis an die innere
Wand des Thränensackes. Fühlt man am Sondenende den Widerstand
des Knochens, so wird die Sonde mit nach hinten und innen gekehrter
Convexität (Fig. 81) an der genannten Wand des Thränensackes nach ab-
wärts geleitet und mit grösster Vorsicht durch die obere Mündung des
Nasenganges geführt.
Das Auffinden dieser Mündung gelingt anfänglich öfters schwer, da die
Mucosa stark gewulstet ist und die Sonde sich häufig zwischen den die fragliche
OefFnung umgebenden Falten fängt. Vieles Herumtappen und gar rohes Gebahren
so wie gewaltsames Vordrängen des Sondenendes sind dann von grösstem Uebel.
Es wird dadurch die Entzündung mächtig angefacht , die Schwellung der Mucosa
vermehrt und so dem Zwecke des Sondirens gerade entgegen gearbeitet. Bisweilen
wird sogar die Schleimhaut durchstossen, ein falscher Weg gebahnt, der Knochen
stellenweise entblösst und so möglicher Weise Veranlassung zur Entwickelung von
Narben gegeben, welche die Function des Thränenschlauches gefährden. Es ver-
rathen sich solche Verletzungen der Schleimhaut durch den Austritt von Blut aus
den Thränenröhrchen und durch die Nase. Sie werden selbstverständlich am leich-
p. „j testen durch ganz dünne Sonden gesetzt,
da deren Ende verhältnissmässig schärfer
ist, daher man im Allgemeinen besser
die dünnen Mittelsorten benutzt.
Gelingt es nicht ohne sonder-
liche Mühe , in den Nasengang zu
kommen, so ist es besser, den Ver-
such vorderhand aufzugeben, nament-
lich wenn die Intensität der vor-
handenen Entzündung noch einiger-
massen Berücksichtigung verdient.
Gewöhnlich macht sich nach Schlit-
zung des Röhrchens alsbald ein
Rückschreiten des entzündlichen Pro-
cesses geltend, die Wege werden von
Tag zu Tag gangbarer, der Thränen-
sack füllt sich nur wenig mehr, die
Beschwerden des Kranken nehmen
bedeutend ab und am Ende lassen
sich auch die Sondirungen gefahrlos,
leicht und mit sichtlichem Vortheile
in's Werk setzen. Im Ganzen muss
bei der Sondirung des Nasenganges
sehr wohl im Gedächtnisse behalten
werden, dass derselbe nicht gerade
nach abwärts steige , sondern etwas
nach hinten und. aussen abweiche. Ist die Sonde in dem Nasengange eine
Strecke nach abwärts gegleitet, so muss ihre platte Marke (Fig. 81) nahe
Sondenkur; Adstringirende Einspritzungen. 560
an der Incisura supraorbitalis dem oberen Augenhöhlenrande anliegen und
die Sonde in dieser Stelhmg ohne Beihilfe der Finger stehen bleiben.
Die im Schlauche steckende Sonde darf keine Schmerzen oder unangenehme
Gefühle von Druck erregen. Wo dies der Fall ist, hat dieselbe entweder schon
Verletzungen gesetzt, oder sie ist nicht dem Nasengange entsprechend gekriimmt.
Ueberhaupt darf gar nie ausser Acht gelassen werden, dass die Bildung des Nasen-
ganges ausserordentlich wechselt und fast in jedem Jlinzelntalle eine andere Bie-
gung der Sonde fordert. We^ hiervon absieht, wird alle Augenblicke unüberwind-
liche Stricturen finden, die gar nicht bestehen. Gelingt es ihm aber einmal wirklich,
die Sonde bis in die Nasenhöhle zu bringen, so wird der Kranke sie kaum zu er-
tragen vermögen, indem sich das oft bis in die Zähne ausstrahlende Druckgefühl
bald bis zur Ohnmacht steigert.
Von grosser Wichtigkeit ist es auch, sich anfänglich wohl zu überzeugen, ob
die eingeführte Sonde wirklich bis in die Nasenhöhle gelangt ist. Behufs dessen
genügt es nicht immer, die Länge des eingedrungenen Stückes zu messen und
mit dem Abstände der Thränenrohrmündung von der unteren Nasenwand zu ver-
gleichen, da der Thränenleitungskanal wegen seiner schiefen Richtung bisweilen
jenen Abstand um ein Beträchtliches übertrifft. Um ganz sicher zu gehen, ist eine
zweite Sonde von dem Naseiiloche aus unter die untere Muschel einzuführen und das
Ende der im Schlauche steckenden Sonde aufzusuchen.
Ist die Sonde bis in die Nasenhöhle durchgedrungen , so lässt man
sie einige Minuten liegen , ehe man sie wieder herauszieht. Den nächsten
Tag wiederholt man das Verfahren und so fort , verlängert aber allmälig
die Zeit, während welcher die Sonden in dem Nasengange liegen bleiben,
auf 10 Minuten bis höchstens eine Viertelstunde und schreitet nach und
nach zu dickeren Sonden. Doch ist es im Allgemeinen kaum jemals nolh-
wendig , zu den ganz dicken Sonden (5 — 6 Bowman) zu greifen. Im
Gegentheile dürfte ein so starkes Caliber durch die übermässige Zerrung
der Röhrchen leicht gefährlich werden.
Bei einfachen, nicht gar zu sehr veralteten Thränenschlauchblennori'hoen
wird bei einer solchen Behandlung meistens schon innerhalb einer oder
weniger Wochen der schleimig eitrige Ausfluss sparsam, gewinnt mehr und
mehr den Charakter des reinen Schleimes und versiegt endüch gänzlich,
während gleichzeitig auch das lästige Thränenträitfeln sein Ende findet.
Nähert sich der Zustand einem solchen Ausgange, so thut man gut, die
Sondirungen allmälig in längeren Zwischenpausen vorzunehmen. Ganz aus-
gesetzt sollen dieselben jedoch nicht werden , wenn die Blennorrhoe auch
völlig getilgt scheint, da es nach der Hand gerne zu Verschliessungen der
inneren Thränenrohrmündungen kömmt ; vielmehr ist es in Anbetracht dieser
letzterwähnten Gefahr dringend zu rathen, noch mehrere Monate und selbst
Jahre lang in Zwischenräumen von 8 — ^14 Tagen zu sondiren, um die
Gangbarkeit der Wege zu prüfen und zu erhalten. Sehr gut ist es zu
diesem Ende , wenn der Kranke selber das Sondiren lernt , was meistens
leicht gelingt.
Im Falle sehr hartnäckiger und reichlicher blennorrhoischer Absonderung ,
kann man neben den Sondirungen des Schlauches Adstringentien anwenden.
Als solche dienen entölte Darmsaiten, welche von schwachen Höllenstein-
lösungen durchtränkt worden sind (Rau). Leichter ausführbar sind jedoch
täglich wiederholte Einspritzungen adstringirender Lösungen durch das ge-
schlitzte Thränenrohr.
Man benützt in der Regel schwächere Lösungen von Zink- oder Kupfer-
vitriol, gr. 1 — .3 ad unc. 1 Aq. dest. Der Höllenstein, die Opiumtinctur ,
die Jodtinctur, obwohl sie vielfach anempfohlen werden, sind widerräthlich,
O70 ThränenschlauchWennorrline; Behandlung; Sondenkur; Saitenkur.
da sich nicht immer verhüten lässt, dass eine Portion der Injections-
flüssigkeit durch die Choanen in den Rachen gelange und verschluckt werde,
wodurch leicht sehr üble Zufälle hervorgerufen werden können. Um die
adstringirende Wirkung möglichst zu begünstigen, ist es gut, der Appli-
cation der erwähnten Heilmittel eine Einspritzung von lauem Wasser
voranzuschicken und so den Thränenschlauch vorerst auszuspülen.
Auch soll es von Vortheil sein, die Thränenwege nebenljei täglich mehrmal
durch forcirte Exspirationen bei geschlossener Nasen- und Mundhöhle mit com-
primirter Luft zu füllen und solchermassen die darin enthaltenen Secrete nach
Oben hin zu entleeren (Alf. Graefe).
Die Injectionen werden mit der Thränensackspritze ausgeführt, einer kleinen
gläsernen Spritze mit silbernem Ansätze, welcher in ein feines, bogig gekrümmtes
Köhrchen übergeht. Andere benützen, um die Flüssigkeit mit einem grosseren
Drucke in die Thränenwege eintreiben zu können, eine Mutterspritze mit sehr
dünnem Ansatzrohre (Herzenstein, Alf. Graefe). Statt der Spritze kann man auch
einen kleinen Ballon von vnlkanisirtem Kautschuk benützen, welcher in ein dünnes
Röhrchen ausläuft (Jaesche).
Förmliche Aetzungen der Sackwand durch Höllenstein oder durch mit Nitras
argenti imprägnirte Sonden aus Laminaria digitata fA. Weher) sind in keinem
Falle nothwendig.
Ist es in Folge fortgesetzter und schliesslich durch längere Zeit
vernachlässigter Sondirungen nach beendigter Kur der Thränensackblennorrhoe
etwa zu V erSchliessungen der inneren Rohrmündung gekommen, was gewöhnlich
eine Recidive der Blennorrhoe im Gefolge hat, so muss man die schliessende
Narbe durch eine in das geschlitzte Rohr eingeführte dünne Metallsonde
bohrend perforiren und die Sondirungen wieder aufnehmen oder das zweite
Rohr schlitzen, um sich den Zugang zu verschaffen. Wo beide Röhrchen
an ihrer inneren Mündung verschlossen sind und die Perforation der Narbe
mit der Sonde nicht gelingt , thut man gut , ein feines Bistouri in das
geschlitzte untere Rohr einzuführen und damit die Sackwandung zu spalten,
um den Weg für die Sonde zu bahnen.
h. Eines alten und wohlverdienten Rufes erfreuten sich Einspritztmgen von
adstringirenden Losungen in Verbindung mit Darmsaiten, welche von einer bestehen-
den oder künstlich erzeugten misseren Sackfistel aus in den Schlauch eingezogen
und täglich erneuert werden (Richter). Die Eröffnung des Thränensackes wird zu
diesem Behufe am besten mittelst eines spitzen Bistouris oder mit einer Lanzette be-
werkstelligt. Man sticht das Instrument knapp unter der Mitte des Lidbandes und nahe-
zu senkrecht auf die Oberfläche der Geschwulst ein und erweitert die Wunde beim Her-
ausziehen des Messers nach unten und aussen. Der .EzW^ic/t soll nicht über Bedarf <ie/
sein und immer nur bei stark gefülltem Thränensacke vorgenommen werden, damit die
Hinterwand des Schlauches nicht verletzt werde. Dass man den Thränensack
wirklich eröffnet habe, erkennt man leicht an dem Ausflusse von Thränen und
schleimig eitrigen Producten aus der Wunde, sowie aus dem Zusammenfallen der
Geschwulst. Nach der Eröffnung ist der Nasengang durch Sonden auf seine Weg-
samkeit zu prüfen. Findet man ihn gangbar, so werden anfänglich dünne, in dem
Masse aber, als die Wegsamkeit des Schlauches zunimmt, dickere Violinsaiten in
den Schlauch geführt und 24 Stunden liegen gelassen, um dann durch neue ersetzt
zu werden. Jedem Wechsel der Saite haben Ausspritzungen mit lauem Wasser und,
nach gehöriger Reinigung des Schlaiiches, Injectionen mit leichten adstringirenden
Lösungen vorauszugehen. Das verwendete Saitenstück muss so lange sein, dass es
bis in die Nasenhöhle reicht, anderseits aber an der äusseren Fistelöftnung umge-
bogen und mittelst Heftpflaster an der Wangenhaut befestigt werden kann. Wenn
dann die krankhafte Secretion des Leitungskanals gänzlich gewichen ist, soll noch
durch einige Zeit der Scarpa'sche Bleinagel eingeführt und getragen werden , um
endlich nach gehörig gesicherter Heilung die Fistel zu schliessen. Die Enderfolge
dieser in letzterer Zeit fast ganz zurückgedrängten Behandlungsweise stehen jeden-
falls nicht weit hinter denen der vorhergeschilderten Methode zurück und es er-
Unblutige Methndpn ; Einspritzungen diircli doii Niisenlcanäl; Bleinagel h. Silberstifte. ö7l
heben sich npuf-rlich wieder Stimmen für diesolho (Secondi). Doch ist das Wochen
und Monate langte Tragen eines Pflasters und das stete Ausrinnen eitrijjer, zu
Krusten vertrocknender Secrete für viele Kranke eine höclist fatale Saciie und
erlvlärt leicht die Vorliebe für die Sondirtingcn von einem geschlitzten Tliränen-
rohre aus. Die Verwendung von Fäden statt der Saiten (Ad. Schmidt) ist umständ-
licher und gewährt kaum denselben Nutzen, da bei den letzteren die grosse
Scliwellharkeit für die Erweiterung des Schlauches blichst günstig ist.
c. Minder verlässlich und nur für die ersten Anfänge des Leidens brauchbar
ist eine unblutige Methode, welche darin besteht, dass der Inhalt des Sackes , so-
bald er sich in einiger Menge angesammelt hat, durch forcirte Inspirationen bei
geschlossener Nasen- und Mundhöhle oder durch einen von aussen auf die Geschwulst
ausgeübten Druck gegen die Nase hin entleert, und öfters des Tages eingeträufelte
adstringirende Lösungen von dem Bindehautsacke aus in den Thränenschlauch ge-
leitet werden. Einspritzungen adstringirender Lösungen so wie Sondirungen des
Schlauches durch die ungeschlitzten Thränenröhrchen sind verwerflich. Sie sind ohne
arge Verletzungen der letzteren , oder wenigstens ohne starke Reizung derselben
schwer ausführbar.
d. Man hat auch vielfach Sondirungen und Einspritzungen des Schlauches
von der Nasenhöhle aus empfohlen (Loforest, Gensoul). Man bediente sich hierzu
catheterähnlicher Instrumente. Es bietet dieser Weg indessen vor dem durch die
geschlitzten Thränenröhrchen oder durch eine äussere Th?-änensackßstel gebahnten
keinerlei Vortheil. Ueberdies ist seine Benützung eine vielmal schwierigere, um so
mehr, als die untere Mündung des Nasenganges sowohl in Bezug auf äussere Ge-
stalt, als auch in Bezug auf ihre Lage sehr grossen Wechseln unterworfen ist.
Daher kann dem ganzen Verfahren kein praktischer Werth beigemessen werden.
e. In neuerer Zeit ist man mancherseits wieder zum Scarpa'schen Bleinagel
zurückgekehrt. Während derselbe jedoch früher von einer Oeffnung in der äusseren
Sackwand aus in den Nasengang eingeführt wurde, soll dermalen der ihn ersetzende,
aus weichem Silber gefertigte Stift durch ein geschlitztes Thränenrohr in den
Schlauch gebracht werden. Der Stift soll spindelförmig gestaltet, über einen Zoll
lang sein und seine grösste Dicke je nach Bedarf zwischen 3/4 und 2 Linien
schwanken. Das untere Ende soll geknöpft, die obere Extremität aber abgeplattet
sein, damit sie nach der Eiuführung in den Schlaxich mit einer Zange leicht aiif
die Lidfläche umgebogen und der Stift so vor dem Hinabrutschen in die Nasen-
höhle gesichert werden könne. Manche benützen solche Stifte bei Thränensack-
hlennorrhoen jeder Art, nachdem der Schlauch durch die vorausgegangene Sondencur
bereits hinlänglich durchgängig und gegen den Reiz eines Fremdkörpers abge-
stumpft worden ist, um die tägliche Sondeneinführung zu umgehen. Der Stift kann
nämlich meistens ohne Schaden mehrere Tage liegen bleiben, während welcher
Zeit der Kranke der ärztlichen Intervention nicht bedarf. Nach Ablauf derselben
soll der Stift aber immer herausgenommen werden, um den Thränenschlauch durch
Einspritzixngen von Wasser zu säuberti und mit Adstringentien in Berührung zu
bringen (Schweigger, Jaesche, Warlomont).
Andere halten derlei Stifte besonders bei Stricturen für angezeigt und be-
ginnen die Ciir von vorne herein mit Einführung derselben, indem sie den Weg
dazu nöthigenfalls durch eine forcirte Sondirung des Schlauches bahnen. Sie lassen
dann den Nagel gleich liegen und entfernen ihn nur von Zeit zu Zeit, um die
Durchgängigkeit des Nasenganges zu prüfen und die etwa nöthige Reinigung vor-
zunehmen. Wo jedoch die Secretion eine sehr reichliche ist, nehmen sie den Stift
alle Tage heraus , um den Schlauch mit adstringirenden Lösungen auszuspritzen.
Nach Verlauf einiger Wochen soll es stets nothwendig sein, das Kaliber des Stiftes
zu verstärken , da derselbe bald locker wird (Williams, Green). Insoferne diese
Behandlungsweise gleichfalls mehrere Monate in Anspruch nimmt, ohne den Erfolg
zu sichern, überdiess mit einem sehr schmerzhaften Eingrifte eingeleitet wird und
während der ganzen Dauer den Kranken nicht wenig belästigen muss: kann ihr
ein Vorzug vor der Sondencur kaum eingferäumt werden.
Vor Jahren hat man den Versuch gemacht, die Durchgängigkeit des unteren
Schlauchtheiles durch Einheilung von metallenen Röhrchen zu erzwingen (Dupuytren).
Es wurden diese Röhrchen aus edlen Metallen nach der Form des knöchernen
Nasenganges gebildet und hatten an ihrem oberen Ende einen kleinen Saum, um
an der oberen Mündung des Nasenganges einen Stützpunkt zu gewinnen und vor
dem Einsinken gesichert zu sein. Nachdem die Dacryocystoblennorrhoe auf dem
572 Thränenschlauchblennorrhoe ; Einheilung metall. Röhren; Verkleinerung d. Sackwandung.
gewöhnlichen Wege gebessert und der Nasengang blutig erweitert worden war,
wurden diese Canulen eingeführt und darüber die Thränensackfistel zur Heilung
rjehracht. Manche Kranke trugen diese Röhrchen lange Zeit (Wecker, B. RueteJ.
Bei anderen jedoch erweiterte sich der knöcherne Kanal allmälig durch Usur,
die Canulen wurden locker und senkten sich. Bei anderen kam es zu den bedauer-
lichsten Knochenleiden, die die gewaltsame Entfernung der Canule zur Nothwendig-
keit machten. Bei keinem war der Erfolg ein dauernder, da die Canule sich stets
durch Thränensteine verstopfte, worauf alsbald das Thränenschlauchleiden wieder
in verstärktem Grade zurückkehrte. In einzelnen Fällen hatte sich der Sackinhalt
neben der eingeheilten und verstopften Canule vorbei einen Abzugsweg geschaffen
(Fried. Jaeger).
3. In hochgradigen und veralteten Fällen mit sehr starker Erweiterung der
Sackhöhle wird ausnahmsweise die Herstellung eines der Norm sich nähernden
Zustandes sehr aufgehauen, oder wohl auch gehindert, durch die Veränderungen
der Schleimhaut, noch mehr aber durch die Zusammenschiebung und die Verödung
des den Sack von aussen und vorne her deckenden Lagers von Bindegewebe
(S. 565). Dasselbe lockert sich schwer wieder auf; aber auch seine Zusammenzie-
hung ist oft eine säumige oder bleibt unvollständig, wenn auch neuen Secretan-
häufungen durch Eröffnung der Sackhöhle oder durch Schlitzung eines Thränen-
rohres wirksam vorgebeugt ist. So lange aber die Sackwand erschlafft ist, kömmt die
Absonderung nach Menge und Qualität nicht zur Norm, die Blennorrhoe besteht fort.
Es hat darum der Rath etwas für sich, die Sackwand in solchen seltenen Aus-
nahmsfällen auf operativem Wege zu verkleinern. Zu diesem Ende soll der Sack
von aussen her im gefüllten Zustande mit einem Bistouri eröffnet und von der
Stichwunde aus mit der Schere ein myrthenblattfömiiges Stück , dessen Längsaxe
von der Mitte des Lidbandes schräg nach aussen und unten läuft, aus der Sack-
icand und den überlagernden Schichten einschliesslich der Haut ausgeschnitten wer-
den (Bowman). Die Wunde verheilt bald bis auf eine enge Fistel und auch diese
schliesst sich oft, wenn zu den Soudirungen des Schlauches fürder ein geschlitztes
Thränenrohr benützt wird. Uebrigens lässt sich der Verschluss wesentlich fördern
durch das Tragen eines Schutzverbandes , unter welchem ein kleiner festerer
Charpiebausch gegen die Winkelgegend drückt.
Statt der Ausschneidung werden vielseitig theilwelse Zei-störungen der äusse-
ren Sackrcand durch Höllenstein, Aetzkalk (Critchett) , Antimonchlorür (Secondi)
u. s. w. empfohlen. Es lässt sich jedoch deren Wirkung selbst mit Zuhilfenahme
von eigens construirten Aetzmittelträgern (Delgado) zu wenig bemessen und es
kann leicht geschehen, dass die Thränenrohrmündungen oder der Eingang in den
Nasenkanal narbig verengt oder gar geschlossen werden.
Den unteren Lidrand mit dem Thränenpunkte zu ectropioniren, um die Leitung
der Thränen in den Schlauch zu beschränken (A. Weber), ist zum mindesten ganz
überflüssig. Anfüllungen des Sackes werden dadurch nicht verhindert, eher gefördert,
indem das schleimig eiterige Product der Wandungen bei Abhaltung der verdün-
nenden Thränen sich eindickt und die Abzugswege vollends verlegt.
4. Verengerungen des Nasenganges, wenn sie blos durch die entzündliche
Schwellung und Hypertrophie der Schleimhaut und ihrer Hüllen begründet
sind, machen specielle therapeutische Eingriffe kaum nothwendig, da sie
unter der sub 2. a. geschilderten Behandlung der Dacryocystoblennorrhoe
gewöhnlich rasch zurückgehen, so dass die Sondirungen von Tag zu Tag
leichter ausführbar werden und am Ende auch eingespritzte Flüssigkeiten
im vollen Strome sich aus der Nasenhöhle entleeren. Auch wenn der häutige
Nasengang unter Verödung seines Gefüges schon begonnen hat zu schrumpfen,
oder wenn in Folge streckenweiser Verschwärungen sich sehnige Narben
gebildet haben, welche sich mehr und mehr zusammenziehen und so an
einer oder der anderen Stelle Stricturen erzeugen, genügen täglich wieder-
holte Sondirungen mit Sonden mittleren Calibers immer, um den Normal-
zustand herzustellen oder wenigstens um die verengerte Stelle zu erweitern
und der ferneren Contraction des schrumpfenden Gewebes einen Damm
zu setzen.
Verfahren bei Striotnrcii ii. Obliteration d. Nasenganges; Duicliljohnint; d. 'l'liränenbeines. Ö73
Es kann nicht genug betont werden , dass ein ivirklicher Verschluss
des Naseugauges nur ausserordentlich selten vorkömmt, und dass man bei
fortgesetzten Versuchen mit wechsehider Sondenkrünimung am Ende fast
immer eine gangbare Lücke in der verengerten Stelle findet , welche die
Durchführung der Sondenkur (2. a.) gestattet. Diese Methode leistet dann,
was man vernünftiger Weise überhaupt verlangen kann. Die mannig-
faltigen, zum Theile sehr gekünstelten Operationen, welche man in neuerer
Zeit vorschlägt, wären in der That kaum ersonnen worden, wenn man
mit nur einiger Geduld vorzugehen liebte.
Insbesondere sind alle Erweif erim(jsversuche durch dicke Sonden (A. Weher,
Alf. Graefe), durch eigens construirte Dilatatorien {Herzenstein), durch Wachshougies
und elastische Catheter (A, Weber, Jaesche) , durch Darmsaiten, welche mit Höllen-
stein getränkt worden sind (Rau), durch Sonden aus Laminaria digifafa (Critchett,
A. Weber) als völlig überflüssig und zum Theile sogar als gefährlich um so mehr
zu meiden, als deren Einführung in den Thränenschlauch ganz enorme Dehnungen
des medialen Rohrendes oder die förmliche Durchschneidung des letzteren und
der Sackwand, beziehungsweise auch Einrisse oder Einschnitte in den Nasengang,
im Ganzen überhaupt also für den Kranken höchst peinliche Proceduren vor-
aussetzt.
5. Stösst man ja einmal auf eine wirkliche Obliteration des Nasenganges,
so ist die Durchstechmg der Narbe zu versuchen. Zu diesem Ende ist
vorerst der Sack von aussen her zu öffnen und dann mit einem feinen
spitzen Messerchen, welches in den Nasengang gestossen wird, ein Weg zu
bahnen, um hierauf die Sondenkur einleiten und bis zur Heilung fortsetzen
zu können.
Die Einführung des Messers durch ein geschlitztes Thränenrohr ist nicht
zu empfehlen, da damit nothwendig eine sehr umfangsreiche Wunde an der
Mündungsstelle des Rohres in den Sack und überdies eine starke Zerrung der
umgebenden Theile gesetzt wird.
Manche halten die Sondirungen für überflüssig oder gar schädlich uud
glauben eine vollständige Heilung einfach dadurch erzielen zu können , dass sie
bei Vorhandensein einer Strictur den Nasengang mittelst eines schmalen Messer-
chens von der Gestalt eines rechtwinkeligen Dreieckes nach mehi-eren Irtichfungen
hin bis in den Schwellkörper durchschneiden, was sie dadurch erzielen, dass sie
das Messer mehrmals auf- und abgleiten lassen und es dabei um seine Axe drehen
(Stilling, Warlomont, Williams).
Ist der Nasengang aber in einer längeren Strecke obsolescirt, auf
einen soliden sehnigen Strang geschrumpft, so ist wenig zu erwarten. Das
Messer dringt dann wohl niemals durch die Axe des Stranges, sondern
neben diesem durch die Schlauchwand, es wird im günstigsten Falle ein
falscher Weg am Knochen vorbei gebahnt, welcher nur durch eine Wunde
in der Schneider'schen Haut mit der Nasenhöhle in Verbindung gebracht
werden kann. Die wulstige Mucosa der letzteren bietet aber sehr grosse
Schwierigkeiten, wenn es sich darum handelt , eine dauernde Fistelöffnung
in derselben zu erzeugen.
Dieser Umstand macht auch die vor Alters beliebten Dm-chbohrungen des
Thränenbeines (Richter), für welche sich jüngst wieder Stimmen erhoben haben
(FoUz), zu einer sehr unverlässlichen Methode. Doch ist nicht zu läugnen, dass bei
gehöriger Ausdauer im täglichen Sondiren auf solche Weise eine bleibende Commuui-
cation zwischen Sack- luid Nasenhöhle hergestellt werden kann. In Fällen, wo der
Verschluss des Nasenganges unter cariöser Zerstörung eines Theiles des Oberkiefers
erfolgt war, gelang es wiederholt, eine fistulöse Verbindung zwischen Sackhöhle
und Nasenhöhle oder zwischen ersterer und der Highmorshöhle zu Wege zu bringen
und, wie es scheint, auch ständig zu macheu.
574 Thränenschlauchblennorrlioe ; Behandlung; Verfahren bei äusseren Fisteln.
6. Die Verkeilung äusserer Thräne7isaeJcfisteln, es mögen dieselben von
einem eitrigen Durchbruche hei'rühren oder auf operativem Wege gesetzt
worden sein , um sieh für Behandlungszwecke den Zugang zum Schlauche
zu verschaffen, bietet in der Eegel keine grossen Schwierigkeiten, voraus-
gesetzt, dass die Leitungsfälligkeit des Nasenganges oder eines Ersatzkanales
liergestellt und auch die Regurgitation des Sackinhaltes in die Lidspalte
durch ein geschlitztes Thränenrohr leicht möglich ist. Bei einfachen
Schlauchblennorrhoen erfolgt die Schliessung der etwa vorhandenen Fistel
häufig sogar oÄJie alles Zuthun , wenn ein geschlitztes Thränenrohr zur
Sondiruug benützt wird. Etwas hartnäckiger pflegen Fisteln zu sein,
welche längere Zeit den Weg für Einspritzungen und Sondirungen abgaben.
Es muss in solchen Fällen, sowie überhaupt doi't, wo der Fistelgang sich
bereits überhäutet hat, eine Auffrischung der Wandungen stattfinden , ehe
an eine Verheilung gedacht werden kann. Zu diesem Ende wird ein
dünnes Stängelchen Höllenstein tief in den Gang eingeführt und so lange
darin hin- und hergeschoben, bis man sicher sein kann, einen dicken
Schorf erzeugt zu haben. Einen oder zwei Tage darauf wird dann der
Schorf durch Einspritzungen lauen Wassers oder mittelst einer Pincette
gründlich entfernt und der Verschluss angebahnt.
Statt der Aetziingen kann man die Fistelvvände wohl auch ausschneiden
(A. Jaeger) , doch ist dieses Verfahren mühsamer und für den Kranken schmerz-
hafter.
Es wird die Verheilung der angeätzten Fistel wesentlich begünstigt,
wenn man die äussere Mündung des Fistelganges mit Collodium überdeckt
und einige Tage hindurch den Lidschlag durch einen scharf angezogenen
Druckverband sistirt.
7. Die Verödung, Obliteration, des Tkränensackes verliert täglich und
m dem Masse an Anhängern, als die Behandlungsmethoden der Schlauch-
krankheiten sich verbessern und namentlich die Uebung in der Hand-
habung der Sonden wächst. Während man vor kurzem schon bei ein-
fachen Thränensackblennorrhoen , wenn sie sich nur etwas hartnäckiger
erwiesen, ohne weiters zur Zerstörung schritt (Graefe), ist dieses Verfahren
dermalen nur mehr in Italien und Spanien das herrschende [Cervera,
Delgado) und es häuft sich täglich mehr die Zahl der Ocuhsten, welche
bezweifeln, dass ein solcher Vorgang jemals gerechtfertigt sei. Sicher darf
man nach dem Obigen behaupten , dass diese Operation nur in den
all er seltensten Fällen eine genügende Anzeige finde und als letztes Jtlittel
zu gelten habe, wenn alle Versuche gescheitert sind, dem Leitungsapparate
einen gewissen Grad von Durchgängigkeit zu geben und der Bestand
einer immer wieder sich füllenden und wiederholt aufbrechenden Geschwulst,
oder eine fort und fort nässende äussere Fistel dem Kranken unerträglich
wird. Doch sei man in der Anerkennung zwingender Nothwendigkeit ja
recht vorsichtig. Es gibt für den behandelnden Arzt keine grössere
Beschämung, als wenn er unter Voraussetzung der Unheilbarkeit eines
Schlauchleidens die Verödung versucht hat: hinterher aber die Verhält-
nisse sich so gestalten, dass die Wiederherstellung der Leitung in Aussicht
genommen und durch zweckentsprechendes Verfahren auch erzielt werden
kann. Und es kommen solche Fälle vor. Selbst bei ausgebreiteten
Vernarbungen in Folge von Caries oder Nekrose der Nachbai'knochen, bei
Hydrops sacci lacrymalis mit vollständigem Verschlusse der oberen Nasen-
Künstliche Verödung des Tliränenaackes. 5 75
gangmündung und der Röhrchen , also bei Zuständen , die fast allgemein
für unheilbar galten , ist es nach niissluugenen Obliterationsversuchcn
gelungen, den Schlauch wieder gangbar zu machen und auch einen falschen
Weg in den Bindehautsack zu bahnen, denselben unter fortgesetzten Son-
dirungen zur Ueberhäutung zu bringen und solehermassen eine dauernde
Leitung zu erzielen. Häufiger waren solche Ergebnisse natürlich, als die
Verödung noch Mode war. Man hatte eben glücklicher Weise eine nicht
ganz zweckmässige Methode gewählt und war so in vielen Fällen blos zu
scheinbaren Verschliessungen gelangt, welche die Möglichkeit der Wieder-
eröffnung übrig Hessen.
Die Obliteration des Thränensackes gelingt nämlich ausserordentlich schwer,
so lange durch die Thränenröhrchen fort und fort Thrünen eingejiresst werden. Diese
bahnen sich immer wieder einen Weg durch die Granulationen, welche nach
Verscliorfuiig der Sackschleimhaut aus dieser hervorschiessen, so dass stets eine
Fistel zurückbleibt. Selbst die Verschorfung der Mündungsstelle der Thränenröhrchen
führt nicht mit Sicherheit zum Ziele. Es müssen daher vor oder gleichzeitig mit der
eigentlichen Obliteration des Sackes immer die Thränenröhrchen in grösserer Aus-
dehnung durch blutige Umstechung und Zusammenschnürung, oder nach vorläufiger
Erweiterung durch Aetzmittel zur Eiterung und Verödung gebracht werden.
Um den Thränensack zu verschliessen , miiss dessen Innenwand gänzlich auf
eine gewisse Tiefe verschorft werden. Das beste Mittel hierzu ist der Höllenstein.
Weniger entsprechen Antimonbutter ^ Chlorzink, starke mineralische Säuren u. dgl., da
sie sich weniger leicht appliciren und in ihrer Wirkung beschränken lassen. Ganz
brauchbar ist das Glüheisen sowie der galvanocaustische Ajjparat; doch hat deren
Anwendung viel Abschreckendes für den Kranken.
Um mit dem Lapis in entsprechender Weise hantiren zu können, muss die
äussere Wand des Thränensackes thtmlichst weit geschlitzt oder, falls schon eine Oeff-
nung gegeben ist, diese durch Pressschioamm stark erweitert werden. Hierauf wird
eine Stange von Höllenstein in die Höhlung des Sackes geführt und dessen Wan-
dung ihrer ganzen Ausdehnung nach sammt dem nach aussen mündenden Kanäle sehr
nachdrücklich geätzt, so dass man der Erzeugung eines dicken und sehr zähen Schorfes
gewiss sein kann. Die Reaction ist meistens eine massige und wird leicht durch
Anweiwlung kalter Ueberschläge innerhalb eines Tages vollkommen beschwichtiget.
Nach Ablauf von etwa 48 Stunden wird der bis in die äussere Oeffnung des Fistel-
ganges ragende Schorf mit der Spatelsonde von der Wandung des Ganges ge-
trennt und mittelst einer tief eingesenkten Pincette gefasst. Es gelingt in der Regel
unter vorsichtigem Zuge, den ganzeyi Aetzschorf im Zusammenhange aus dem Hohl-
raiime zu ziehen. Um nun möglicher Weise eine Zuheilung per priinam intentionem
zu erzielen, wird sogleich ein fest zusammengedrehter bohnengrosser Charpiebausch
auf die Gegend des Thränensackes gelegt, darüber ein grösserer lockerer Bausch
aufgetragen und das Ganze mit einer elastischen Monokelbinde befestigt, welche
stark angezogen und mit grösster Sorgfalt in ilirer Lage erhalten wird. Es hat dieser
Verband nicht nur den Zweck, die wunden Wände des Thränensackes in gegen-
seitige Berührxing zu bringen, sondern auch den Lidschlag zu sistiren.
Es ist von der grössten Wichtigkeit, dass ein dicker und zusammenhängender
Aetzschorf erzeugt und derselbe nach Ablauf von 48 Stunden, wo er sich bereits
hinlänglich abgelöst hat, unzerstückelt aus der Wunde gezogen werde, so dass nichts
zurückbleibe. Jeder Rückstand muss nämlich durch Eiterung entfernt werden und
diese hält die Verheilung ausserordentlich auf. In der Vernachlässigung jener Vor-
sichtsmassregel und des Druckverbandes, sowie in der Unterlassung der Obliteration
der Thränenröhrchen, liegt der Grund der laugen Dauer, welche Verödungen des
Thränensackes bisher in Anspruch genommen haben.
Wuchern Granidationen aus der Wunde heraus, so müssen sie mit Höllenstein
abgeätzt oder durch Betupfung mit Opiumtinctur niedergehalten werden. Ist die
Entzündung gar zu heftig, so muss sie durch kräftige Antiphlogose bekämpft werden.
Schlimm ist es, wenn sich Erysipel entwickelt; ausnahmsweise kann der Kranke
dadurch sogar in Lehensgefahr gerathen. Auch hat man als Folge Orbitalabscesse
beobachtet, die den Sehnerven in Mitleidenschaft zogen und zur Erblindung führ-
ten (Oraefe).
576 Thränenschlauchblenuorrhoe ; Behandlung; Exstirpatiou des Sackes u. d. Drüse; Quellen.
Es wäre übrigens eine arge Täuschung , wenn man glaubte, dass auf diese
Weise der Thränensack immer sogleich zur Verödung gebracht werde. Trotz aller
Sorgfalt gelingt dies in einzelnen Fällen nicht, namentlich wenn es zur Eiterung
kömmt oder die Thränenröhrchen gangbar bleiben. Dann muss das ganze Verfahren
wiederholt werden.
In neuerer Zeit wird statt der Verödung die Exstirpatiou des Thränensackes
in Verbindung mit der Umstechung der Röhrchen in Vorschlag gebracht. Es soll
zu diesem Ende die Sackhöhle weit geöffnet und der Sack hierauf aus seinen
Verbindungen ringsum losjjräparirt werden (Berlin). Das Verfahren ist sehr
schwierig wegen der reichlichen Blutung und gewährt gleichfalls keine Bürgschaft
gegen das Zurückbleiben einer Thränenlistel.
Eine besondere Erwähnung verdient seiner Sonderbarkeit halber der Vor-
sciilag, die Heilung hartnäckiger Blennorrhoeen, Fisteln u. s. w. durch Exstirpation
der Thi'änendrüse anzustreben. Man behauptet damit günstige Resultate erzielt zu
haben, gibt aber zu, dass in manchen Fällen schwer heilbare Ptosis des oberen
Lides und selbst Beschränkungen der seitlichen Augapfelexcursionen die Folge
waren (Laurence).
Quellen: Ad. Schmidt, Krankheiten des Thränenorganes. Wien. 1803. S. 248,
•271, 280, 288, 310, 323, 329, 342. — Richter, nach A. Schmidt, 1. c. S. 301, 343. —
Beer, Lehre v. d. Augenkrankheiten. II, Wieu. 1817. S. 151. — Hasner, Beiträge
zur Physiol. u. Path. des Thränenableitungsapp. Prag. 1850. S. 43, 58, 60, 66 — 88,
90, 93, 95. — Arlt, Krankheiten des Auges. III. Prag. 1856. S. 392, 394, 396, 405,
408, 413; A. f. O. L 2. S. 153, 155, 157; XIV. 3. S. 267 u. f.; Zeitschrift der
Wien. Aerzte. 1860. Nr. 24; Verhandlungen der ophth. Versammlung zu Heidelberg.
1859. S. 28 ; Wieu. med. Wochenschrift. Spitalzeitung. 1862. Nr. 22—33. —
Stellwag, Ophth. II. S. 1048, 1059, 1088, 1090; Wien. med. Jahrbücher. 1861.
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yeux. Paris. 1847. S. 861, 865, 871; Ann. d'oc. VII. S. 149; VIH. S. 85; Congres
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Geschwülste. I. Berlin. 1863. S. 249. — Graefe, A. f. O. I. 1. S. 288, 291, 294;
Verhandlungen der ophth. Versammlung zu Heidelberg. 1859. S. 25, 26; klin.
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ibid. VIIL 1. S. 94, 95, 97, 100, 102, 106, 110; kl. Monatbl. 1865. S. 96, 98, 103,
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Wiesbaden. 1861. I. S. 72, 74; II. S. 39. — Bowman, nach Mackenzie, Arlt,
Weber, Jaesche. — Hirschler, Wien. med. Wochenschrift. 1862. Nr. 46. — Secondi,
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Ann. d'oc. 1865. S. 136. — Gensotil , Laforest, nach Hasner 1. c. S. 97. —
Dupuytren, nach Mackenzie, 1. c. S. 402. — Fr. Jaeger , miindl. Mittheilung. —
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1869. S. 111.
Orbita; Anatomie; Knochenwandungen.
577
KIT.ITER A1>>8(11NITT.
Die Entzündung der Orbitalgebilde.
Anatomie. Die beiden Augenhöhlen, dereu Unkseitige (Fig. 82) in
einem horizontalen, durch die Mitte geführten Durchschnitte dargestellt ist,
gleichen ihrer Form nach schiefen vierseitigen Pyramiden mit abgerundeten
Kanten. Ilire Axen messen bei 1 '/.2 Zoll, sind horizontal und zwar so
gelagert, dass sie, verlängert gedacht, sich hinter dem Türkensattel in
einem Winkel von uugeflihr 45 Graden treffen.
Die Eingangsöffnung, welche die Basis der Pyramide abgibt, bildet ein Viereck
mit abgerundeten Winkehi, dessen Ebene etwas ymch aussen geneigt ist, so dass
sich ihre Verlängerung mit der der anderen Seite in der Gegend des Nasenrückens
unter einem stuvijjfe^i Winkel schneiden würde. Ihr Band ragt in Gestalt einer
sehr starken und dichten Knochenleiste etwas hervor, besonders in der Gegend
des oberen äusseren Winkels.
Die innere Wand der Orbita steht beinahe senkrecht, läuft dem sagittalen
Schädeldurchmesser parallel von vorne nach hinten und wird von der Papierplatt.e
des Siebbeines a und nach
vorne von dem Thränen- Fi?- 82.
beine b gebildet. Letzteres
steht nach vorne mit dem
Stirnfortsatze des Ober-
kieferbeines c im Zusam-
menhange. Die obere
Wand hat den grössteu
Flächeninhalt. Sie ist
einem Dache gleich ge-
tvölbt und fällt nach hin-
ten stark ab. Der äussere
vordere Theil derselben
ist grubenartig ausgehöhlt
und stellt so die Fossa
lacrgmalis dar. Sie wird
zum grössten Theile von
der Pars horizontalis des
Stirnbeines gebildet , ist
überaus dünn, bisweilen
sogar durchlöchei-t und
scheidet die Orbita von
der Schädelhöhle , nach
vorne und innen aber von
der Stirnhöhle. Die untere
Wand ist ziemlich eben,
steigt von vorne nach
hinten etwas an und
trennt die Augenhöhle von
dem Antrum Highmori. Sie
wird grösstentheils vom
Oberkieferknochen dargestellt ,
bitalis mit dem Nerven vxnd
Wand ist die festeste, widerstandsfähigste, solideste.
S t e 1 1 w a g , Augenheilkunde.
V- k
ist ziemlich dick und schliesst den Canalis infraor-
der Arterie gleichen Namens in sich. Die äussere
Ihre Fläche ist fast senk-
37
578 Orbita: Anatomie; Periorliita; Faseia tarsoorliitalis ; Tunica vaginalis; Bonnet'sche Kapsel.
recht gelagert und sehr stark gegen die Axe geneigt. Sie wird zumeist von dem
grossen Flügel des Keilbeines d hergestellt; nach vorne betheiligt sich jedoch auch
der Jochfoi'tsatz des Stirnbeines und das Jochbein e. Hinter diesem Knochen lagert
der Muse, temporalis f.
In der inneren oberen Kante der pyramidenförmigen Orbita haftet die Rolle
für den Mitsculus trochlearis. Die äussere obere Kante zeigt nach hinten eine bei
^/^ Zoll lange und 1 — 2 Linien breite Oeffnung, die obere Augenhöhlenspalte, durch
welche die orbitalen Venen in den Sinus cavernosus nach hinten, der Nervus
oculomotorius, trochlearis, abducens und der erste Ast des Trigeminus aber her-
aus in die Oi'bita gelangen. Die untere äussere Kante ist nach hinten in ähnlicher
Weise von der unteren Augenhöhlenspalte durchbrochen und stellt so eine Ver-
bindung der Orbita mit der Schläfen- und Flügelgaumengrube her. Es gehen
durch diese Spalte venöse Verbindungsäste heraus, der Nervus infraorbitalis und
subcutaneus malae aber hinein.
An der Spitze der Orbita befindet sich, umgrenzt von den zwei Wurzeln des
kleinen Keilbeinflügels (bei g), das Foramen opticum oder Sehloch, durch welches
der Sehnerv und die Arteria ophthalmica h aus der Schädelhöhle hervortreten.
Die knöchernen Wandungen der Orbita sind allenthalben mit Bein-
haut, der Periorbita, iiberkleidet. Diese hängt den Knochen/äcÄe?i weniger
fest an, als den Nähten und Spalträndem. Sie setzt sich an letzteren
unmittelbar in die Dura mater und das Periost der umgebenden Theüe des
Gesichtsskeletes fort, während sie gleichzeitig Scheiden für die durchtreten-
den Nerven und Gefässe abgibt. Am Sehlochrande verdichtet sich die
Periorbita zu einem dichten sehnigen Ringe, von welchem die vier geraden
und der obere schiefe Augenmuskel, so wie der Aufhebemuskel des oberen
Lides, ihren Ursprung nehmen.
Der Zwischenraum zwischen dem Augapfel i und den Wänden der
Augenhöhle wird von einem sehr lockeren, mit Fett reichlich durchsetzten
Bindegewebe k ausgefüllt. Dieses Bindegewebe verdichtet sich stellenweise
und constituirt solchermassen Scheiden für die in der Orbita gelegenen Mus-
keln, Gefässe und Nerven; andererseits aber auch fascien'dhnliche Blätter,
welche die Verbindung zwischen den einzelnen Orbitalgebilden unter sich
und zwischen diesen und der Periorbita vermitteln.
Eine solche Fascie ist die Äugenlidbinde, Fascia tarsoorbitalis, welche
sich vom Orbitalrande zur Convexität der beiden Lidknoi'pel begibt, mit
den Lidbändern im Zusammenhange steht und die vordere Oeffnung der
Augenhöhle schliessen hilft. Sie ist stellenweise sehr dünn und selbst durch-
brochen, d. i. durch lockeres Bindegewebe ersetzt (Ai-lt.)
Eine andere Fascie sehlägt sich vom convexen Tarsalrande über den
Uebergangstheil der Bindehaut hinweg zur Oberfläche des Bulbus, wo sie mit der
Scheidenhaut des Auges verschmilzt und durch diese mit einer Fascie zusammen-
hängt, welche die vier geraden Augenmuskeln umhüllt und deren Ränder unter
einander verbindet, so zwar dass der ganze Muskeifrichter von einer zarten Scheide
allenthalben abgegrenzt erscheint (Magni). Ein weiteres Blatt geht von der
hinteren Fläche der Augenlidbinde zur Thi-änendrüse, schiebt sich zwischen die
obere und untere Portion derselben hinein, stützt erstere und verbindet sich mit
der Periorbita.
Die Scheidenhaut des Augapfels, Tunica vaginalis bulbi, beginnt am
Umkreise des Sehloches, umschliesst lose den Sehnerven und erweitert sich
an dessen vorderem Ende becherförmig zur Aufnahme des Bulbus. Sie
umgibt diesen bis über den Aequator hinaus gleich einer Kapsel (Bonnet'sche
Kapsel), ist daselbst nur durch äusserst spärliches lockeres Bindegewebe
mit der Oberfläche der Sclera verbunden und so glatt, dass der Bulbus
in ihr rollen kann. Jenseits des Aequators des Bulbus wird sie von den
Sehnen der schiefen Augenmuskeln durchbohrt und hängt mit deren Scheiden
Tenon'sche Kapsel; orgaiiisfhe Orbitalrauskeln ; Aiteria ophthalinica. 579
zasammen. Weiter nach vorne lässt sie in sohiefer Eichtung die Sehneu
der geraden Augenrauskehi dnrchtretcn, verbindet sich mit denselben und
verschmilzt endlich sammt den erwähnten ^S(^]lnen mit der Sclerotica. Dieser
vorderste Theil der Scheidenhaut des Augapfels, von der Durchtritts-
stelle der Muskelsehnen bis zur Verschmelzung mit der Lederhaut, wird
auch als Tenoti'sche Kapsel beschrieben.
Der Kaum zwisclieu der Scheidenbaut und dem Bull)u.s sammt Opticus wird
als ein Lymphraum betrachtet, welcher nach hinten mit dem Aracluioidalraume
Kusannuenhiiiigt, nach vorne aber durch Lymphvvege, welclie neben den Orbital-
vonen die Sclerotica passiren, mit dem Suprachorioidalraume in Verbindung steht
(Sclavalhe).
In der Augenhöhle finden sich neben den animalischen Muskeln
des Bulbus eine Anzahl Bündel glatter organischer Muskelfasern.
Das stärkste derselben, der Musculus orhitalis inferior, deckt die VerschUiss-
membran der unteren Augenhöhlenspalte, ist bei einem Millimeter mächtig und
besteht grösstentheiis aus sagittal streichenden Fasern, welchen nur einzelne
wenige senkrecht darauf verlaufende Bündelchen eingewebt sind (H. Müller,
Harling). Es ist dieser Muskel, dessen Elemente zum Theile in die Periorbita
übergehen, nach vorne aber mit der Augenlidbinde zusammenhängen {Sappey),
ein Rudiment des üljeraus mächtigen Muskels , welcher bei den höheren Thieren
in Verbindung mit der Orbitalmembran die Augenhöhle nach aussen hin ab-
schliesst. — Ausser ihm bestehen noch schwache kurze Bündel, welclie knapp
hinter dem Ansätze der Augenlidbinde an der inneren und äusseren Wand der
Orbita entspringen und sich an der Fascia tarsoorbitalis anzusetzen scheinen
(Muse, orhitalis internus et externus, Sappetj). Ein ganz ähnliches Bündel, welches
an der Orbitaldecke nahe der Augenlidbinde seinen Sitz hat (B. Müller), ist von
Anderen nicht gefunden worden {Ilenle, Harling), was sich zum Theile daraus
erklärt, dass alle diese Muskeln sehr schmächtig und überdies häufig in Verfettigung
begriffen sind. Es ist wahrscheinlich, dass dieselben mit den organischen Lid-
muskeln den Anschluss der Fascia tarsoorbitalis und der Lider an die vordere
Fläche des Bvilbus und den Orbitalpolster vei'stärken, mittelbar also auch der
Thränenleitung dienen.
Die Arterien der Orbita sind sämmtlich Zweige der Arteria ophthal-
mica, welche unter fast rechtem Winkel aus der Carotis entspringt und
an der inneren Seite des Opticus das orbitale Sehloch passirt.
Der Stamm der Augenhöhlenschlagader geht kurz nach seinem Eintritte in
die Orbita in schiefer Richtung unter dem Selinerven hinweg vind läuft von hier
in sanfter Krümmung nach Vorwärts, um abermals an die innere Seite des Nerven
zu gelangen und dann nahe der medialen Wand der Orbita nach Vorne zu
streichen. Wo sie nach Aussen vom Opticus liegt, gibt sie zahlreiche Muskeläste,
die Centralschlagader der Netzhaut, die hinteren kurzen Ciliararterien und endlich
den Thränenast ab, dessen Endzweige bis in die äussere Portion der Conjunctiva
und der Lider reichen. In ihrem Verlaufe an der inneren Orbitalwand gibt sie
ausser der langen inneren Ciliararterie Muskeläste , die beiden Art. ethmoidales
und die Art. meningea ant. ab. Als Art. supraorbitalis theilt sie sich schliesslich
in den Stirnast und in Zweige für beide Lider.
Die Venen der Augenhöhle bilden ein reiches Geflecht, welches nach
Vorne mit der Vena facialis anterior, nach Hinten aber mit dem Simcs
cavernosus und dem Plexus pterygoideus in offener Verbindung steht, so
zwar, dass das Venenblut eben so leicht nach Vorne als nach Hinten
abzufliessen vermag und Stauungen im Bereiche der Augenhöhle nicht
leicht sich fühlbar machen können, wenn im Stamme der Vena fa-
cialis oder im Sinus cavernosus Circulationshindernisse gegeben sind
(Sesemami).
37*
580
Orbita ; Anatomie : Venen ; Statopathien.
Die beiden Hauptvenenstämme der Orbita sind die Vena ophthabnica superior
oder cerehralis a (Flg. 83 nach Sesemann) und die Vena ophthalmica inferior b,
auch externa oder facialis genannt. Die erstere , welche ihrem Verlaufe nach der
Fig. 83.
Arteria supraorbitalis entspricht , setzt sich aus einem Stirnzweige und Lidästen
zusammen und communicirt in der inneren Winkelgegend durch starke Verbin-
dungsäste theils dirxct, theils indirect durch Lidzweige, mit der Vena angularis g
rnnA facialis anterior c. Sie geht dann unter dem musc. rectus superior nach Hinten
und ergiesst sich, nachdem sie die obere Augenhöhlenspalte passirt hat, in den Simis
cavernosus d. Auf diesem Wege anastomosirt sie durch zahlreiche Verbindungsäste
mit den Ciliarvenen e, mit der Vena centralis retinae f und mit der Vena ophthal-
mica inferior. Diese letztere geht aus einem Geflechte hervor, welches sich im Vor-
dertheile des Bodens der Orbita zwischen Musc. rect. inferior und internus befindet,
sämmtliche untere Conjunctivalvenen so wie einige Venen aus dem unteren Lide
aufnimmt, ausserdem aber auch in Verbindung steht mit der Vena ophthalmica
superior und facialis anterior. Der Stamm verläuft über dem Musc. rect. inferior
nach Hinten und mündet entweder in den Sinus cavernosus oder in die Vena oph-
thahnomeningea (Hyrtl), deren Stamm aus der Sylvischen Grube, an der Seite des
Türkensattels vorbei, durch die obere Augenhöhlenspalte in die Orbita dringt. Die
untere Orbitalvene anastomosirt auf diesem Wege reichlich mit der Vena oph-
thalmica superior und mit der Vena facialis, mit der Vena lacrymalis, welche durch
Conjunctivalvenen verstärkt zur Vena ophthalmica superior geht oder direct in
den Sinus cavernosus mündet, und steht ferner in Verbindung mit den Ciliarvenen
und dem Geflechte in der Flügelgaumengrube (Sesemann).
Der Augapfel ist in das Orbitalgewebe wie in einen Polster einge-
senkt. Der Widerstand des letzteren ist indessen gross genug, um den
Bulbus der vereinten Kraft der vier geraden Augenmuskeln gegenüber
in seiner normalen Lage unverrückt zu erhalten. Abweichungen von dieser'
Lage (Statopathien, Hasner) sind immer der Ausdruck für Erkrankungen
der Muskeln oder des Orbitalgefüges oder des Bulbus selbst.
In neuerer Zeit interessirt man sich sehr für sie und ist lebhaft bemüht um
Mittel, welche sie genau zu messen und in Zahlenwerthen auszudrücken gestatten.
Man hat zu diesem Ende eigene Instrumente ersonnen (Exophthalmometer, Ophthal-
Exophthalmometer ; Nosologie; Kutzündiuig d. Schcidüiihaut; Uodeiu ; Hyi)oitioi)hid. Entzündungen. 581
moprostatometer , H. Cohn, Zehender, EmmeH) (Orthovieter, TIasner). Mittelst der-
selben lässt sich der sagiltale Abstand des Horiiliautsclieitels von der Mitte des
äusseren (Ilasner) oder des oberen Orbit alrandes (IL Cohn) sehr leicht messen und
damit auch ein et\vaio;er Wechsel in der relativen Lage des Bnll)us ermitteln so
wie seiner Grösse nach schätzen. Für die Aufstellung von Normalwerthen sind
jedoch die genannten Instrumente und die gewählten Punkte nicht geeignet, da
die Hervorragung des Orbitalrandes nicht nur bei verschiedenen Individuen, sondern
bei demselben Individuum auf beiden Seiten innerhalb weiter Grenzen wechselt
(H. Cohn), beim oberen Orbitalrande überdies der sehr wandelbare Fettpolster in
Rechnung kömmt und ausserdem die relative Lage des Ilornhautscheitels bei sonst
ganz gleichen Verhältnissen wesentlich influencirt wird von der Länge des Diameter
anteroposterior des Auges.
Nosologie. Entzündungen der eigentlichen Orbitalgebildc kommen
im Ganzen nicht gar selten vor. Der Process beschränkt sich öfters auf
die zwischen Augapfel und Periorbita gelegenen Weichgebilde, während in
anderen Fällen die Beinhaut als solche oder die Knochenwand selbst den
Sitz der Entzündung abgeben. Auch geschieht es ziemlich oft, dass alle
die genannten Organe in den Process einbezogen werden, sei es primär,
sei es secundär, in Eolge der Eortplianzung von Einem Gebilde auf die
übrigen.
1. In höchst seltenen Fällen soll die Scheidenhaut des Aiigapfels den alleinigen
oder vorzugsweisen Sitz einer Entzündung abgeben und unter sehr lebhaften reissen-
den Schmerzen grössere Productmengen zwischen Sclera und Bonnet'sche Kapsel
absetzen, so dass der Bulbus etwas hervorgetrieben und in seinen Bewegungen
wesentlich gehindert wird (0. Ferral). Die Augapfelbindehaut soll dabei mächtig
aufgeschwollen, dunkel geröthet sein, aber wenig absondern. Die Binnenorgane des
Auges hat man bald im normalen Zustande gefunden (WecJcer), bald gingen un-
zweifelhaft Chorioiditis und Hyalitis nebenher oder voraus (Rydel, 0. Becker). Als
Ursachen werden Erysipel und Verkältung genannt. Die Krankheit soll immer mit
Heilung enden.
2. Entzündungen des orbitalen Binde- und Fettgeivebes werden öfters
beobachtet. Sie können zur Hypertrophie und in Folge deren zu ständigem
Exophthalmus führen.
So sieht man bisweilen nach der Einwirkung traum,atischer oder jjhysikali-
scher etc. Krankheitsursachen, im Verlauf eines Erysipielas faciei, einer Entzündung
der knöchernen Aiigenhöhlemcandungeti , einer suppurativen Panophthabnitis , im
Verlaufe hochgradiger Sgndesmitides, den Bulbus aus der Orbita hervortreten, indem
das lockere Bindegewebe, welches ihn umhüllt, in einen entzündlichen Wucherungs-
process gerathen ist und eine beträchtliche Volumszunahme erlitten hat. Bei
genauerer Untersuchung erweiset sich dann die Schwellung gewöhnlich zum aller-
grössten Theile bedingt durch massenhafte seröse oder gelatinöse Infiltrate, der Pro-
cess trägt mehr den Charakter des entzündlichen Oedemes. Es geht dieses in der
Regel alsbald zurück, wenn der entzündliche Process seinem Ausgleiche näher
kömmt. In einzelnen Ausnahmsfällen jedoch nimmt das Bindegewebe an Masse zu,
verdichtet sich theilweise wohl auch zu derbem sehnigen Gebälke, in dessen Maschen
ein ziemlich consistentes sulzartiges Product eingeschlossen erscheint. Am ersten
geschieht dieses, wenn die Entzündungen des Orbitalgefüges sich oft wiederholen
oder längere Zeit unterhalten werden (Hivdy, Sichel, Duval).
Eelativ am häufigsten zeigt sich die Hypertrophie des Augenhöhlen -
polsters neben einer analogen Uebernährung der Schilddrüse als Theil-
erscheinuvg eines allgemeinen Leidens, welches seine Quelle höchst wahr-
scheinlich in Erkrankung der sympathischen Nervencentra hat und gewöhn-
lich mit tiefen Störungen in der Blutbildung und Gesammternährung ein-
hergeht (Exophthalmus mit Kropf- und Herzleiden, Exnphtholmvs cachecticus,
Basedoio' sehe Krankheit,
5(S2 Orbita ; Nosologie; Suppurative Entzündungen; Periostitis.
Weitaus in der grössten Mehrzahl der Fälle trägt die Entzündung
der Orbitalweichtheile den suppurativen Charakter. Gewöhnlich wird das
Polster seiner grössten Masse nach, einschliesslich der Muskelscheiden und
selbst der Muskeln, in den Process verwickelt. Es bilden sich dann ent-
weder klehie zerstreute Abscesse, welche nicht immer mit einander zusammen-
hängen und von derb infiltrirten Partien wuchernden Bindegewebes, in
grösserer Entfernung aber von entzündlich ödematösem Gefüge umgeben
sind ; oder aber es entwickelt sich eine einzelne grössere Äbscesshöhle mit
Hohlgängen und Seitenkammern, deren Seitenwandungen, so weit sie nicht
von der Periorbita gebildet werden, durch entzündliche Gewebswucherung
in grösserer oder geringerer Dicke verhärtet erscheinen.
3. An den Wandungen der Augenhöhle wird öfters die Periostitis
beobachtet. Die gefassreiche Periorbita wird dabei in grösserem oder
geringeren Umfange dicht injicirt und schwillt an, bisweilen so stark, dass
bei oberflächlicher Lage des betreifenden Knochenstückes Erhabenheiten von
ziemlicher Consistenz gefühlt werden können. Es gehen diese Tumoren
nach Ablauf der Entzündung oft wieder zurück. Mitunter jedoch hinter-
lassen sie eine ansehnliche Verdickung der Beinhaut. In einzelnen Fällen
wächst der Tumor wohl auch fort, verdichtet sich allmälig zu einem
faserig knorpeligen Gefüge oder verknöchert gar iind wird solchermassen
stündig.
Meistens ist das Produet der Periostitis ein eitriges, sei es, dass der
Process gleich von vorneherein mit grosser Intensität auftrat, oder dass die
Ungunst der obwaltenden Verhältnisse, namentlich der Druck, unter welchem
sich die wiichernden Elemente zwischen Beinhaut und Knochen befinden,
eine Höhergestaltung der Neubildungen unmöglich macht. Es wird dann
von dem sich sammelnden Eiter die Beinhaut rasch in grösserer oder
geringerer Ausdehnung abgehoben, sohin die Blutzufuhr zu dem unterlagernden
Knochen beschränkt oder gar verhindert und in Folge davon öfters dessen
Absterben, Nekrosis, veranlasst.
4. In der Regel erscheint die Periostitis gleich von vorneherein mit
Entzündung des unterlagernden Knochentheiles gepaart. Bisweilen ist blos die
dem Perioste zunächst gelegene Corticahuhsianz in den Process hinein-
gezogen. Häufiger jedoch leidet die entsprechende Partie der Knochen-
wandungen ihrer ganzen Dicke nach und dann ist meistens auch das Periost
der zweiten Oberfläche mit den daran grenzenden Weichtheilen in den Process
verwickelt. Das entzündete Knochengefüge erscheint geröthet, schwillt etwas
an und verliert mehr weniger an Consistenz.
Es werden nämlich die Kalksalze im Bereiche des Entzündungsherdes theil-
weise oder ganz aufgesaugt, während die hyperämirte bindegewebige Auskleidung
der Markkanäle und Markzellen durch die Prolification ihrer Elemente sich be-
trächtlich ausdehnt und auflockert.
Bei geringer Intensität des Processes und übrigens günstigen Verhält-
nissen kann der Ausgleich ein vollständiger werden. Oefters jedoch stellt
sich das Knochengefüge im Bereiche des Entzündungsherdes nicht wieder
vollständig und in seiner ursprünglichen Form her, der Knochen bleibt
etwas aufgebläht, porös und sclerosirt. Bisweilen erheben sich in Folge
fortgesetzter Wucherung wohl auch mächtige Geschwülste aus dem Knochen-
gefüge, welche den aus der Periostitis hervorgehenden in jeder Beziehung
gleichen.
Ostitis; Caries; Nekrosis; Blutergüsse; Knochensprünge; Emphysem. 583
In den meisten Fällen jedoch, und bei höheren Tntensitätsgraden der
Entzündung; fast immer, ist Eiterung das Resultat der Ostitis. Es erscheint
dann der aufgelockerte, schwammig gewordene, stark geröthete Knoclien
im Centrum des Entzündungsherdes von Eiter wie durclidrungen, es erfüllt
der letztere in Gestalt kleiner Tröpfchen die Markkanälchen und Mark-
zellen und erweitert sie, indem das wuchei-nde Bindegewebe sammt der
knorpeligen Gi'undlage des Knochens schmilzt, die Kalktheilchen aber mehr
und mehr aufsesaua-t werden. Man findet endlich nur mehr ein knöchernes
Netzwerk, dessen Maschen ganz von weichem wuchernden gefässreichen
Bindegewebe und von kleinen Eitertröpfchen ausgefüllt werden, und welches
die Oberfläche des Knochenstückes auffällig rauh macht. Bei grosser Intensität
des Processes geschieht es übrigens auch ziemlich oft, dass ein Theil des
entzündeten Knochens ganz abstirbt.
Gleichwie bei Abscessen in Weichtheilen die Eiterung nur im Centrum des
Entzündungsherdes stattfindet, die Abscesshöhle aber vonTheilen umschlossen
erscheint, in welchen die entzündliche Wucherung mit geringerer Intensität
einhergeht und Elemente producirt, welche der Höher gestaltung fähig und
zum Ersätze des Verlorenen bestimmt sind: eben so wird die cariöse oder
theilweise nekrosirte Knochenpartie immer umgrenzt von Knochgewebe, in
welchem die wuchernden Elemente der Höhergestaltung zustreben und Granu-
lationen bilden, die das lebensunfähig Gewordene allmälig von der Unter-
lage abheben, ausstossen und, indem sie später sich selbst zu Knochen oder
zu Narbengewebe umwandeln, die Knochenlücke theilweise oder gänzlich
wieder augfüllen.
5. Eine besondere Erwähnung verdienen die orbitalen Blutergüsse. Dieselben
rühren in der Mehrzahl der Fälle von den in der Augenhöhle verzweigten Gefässen
her, welche dann entweder spontan, oder in Folge der Einwirkung äusserer Gewal-
ten geborsten sind. Bei einiger Massenhaftigkeit drängen die Extravasate den Bulbus
je nach ihrem Sitze nach vorne oder auch zur Seite. Sie pflegen sich zu senken
und auch wohl zu diffundiren, so dass sie, obgleich ursprünglich tief gelegen,
unter der Bindehaut erscheinen, diese hervorbauchen und färben können. In der
Regel werden sie unschwer durch Resorption beseitigt. Doch kann es auch geschehen,
dass sie sich eindicken und vermöge fort und fort loiederholter apoplectischer Nach-
schübe sich häufen, so dass der Exophthalmus ganz erstaunliche Grade erreicht und
den Eindruck eines üppig wuchernden Aftergebildes macht (Fischer).
In anderen Fällen ist ein Knochensprung die Quelle des Extravasates, oder
das Blut ist durch einen Riss in den Wandungen der Orbita «ms den Nachbar-
höhlen ins Fettpolster des Auges gelangt. Ist die innere oder untere Orbitalvvand
geborsten (Laroson, HidkeJ, so kömmt es nebenbei bisweilen zum Emphysem der
Augenhöhle, es entwickelt sich ein Exophthalmus, welcher durch Schneuzen gesteigert
wird und durch das Knistern unter dem drückenden Finger seine Natur unzwei-
deutig offenbart. Gewöhnlich verheilt die Wunde leicht und das Extravasat sammt
Emphysem verschwinden spurlos. In zwei Fällen war der Bulbus durch ein Loch
der unteren Orbitalwand in die Oberkieferhöhle dislocirt worden und einmal darin
durch Narbengewebe festgewachsen (Becker) , das andere Mal bei Zeiten reponirt
und zur vollen Functionstüchtigkeit zurückgebracht worden (Langenheck). Ist die
obere Oi'bitalwand gebrochen oder gesprungen (Pepper , Hidke, Manz), so ist der
Ausgang in der Regel, aber nicht immer (Küchler) lethal. Manche glauben, dass
das von dem Dache der Orbita stammende Blut sich immer senke und unter
der oberen Bindehauthälfte zum Vorscheine komme, sowie dass man umgekehrt
von solchen Bindehaidecchymosen, welche erst mehrere Stunden nach einer den
Schädel treffenden schweren Gewalt sich zeigen, auf Sprünge im Orbitaldache
schliessen könne. Genauere Beobachtungen und Experimente am Cadaver haben
dies aber nicht ganz bestätigt. Sie ergaben, dass eine grössere Menge von Blut
ergossen werden und auch das Periost durchrissen sein muss , wenn eine Fissur
in dem Orbitaldache zu Bindehautecchymosen führen soll; weiters dass Blut und
584 Morbus Basedowi; Krankheitsbild; Herzleiden; Kropf.
Exsudate aus der Schädelhöhle auch ohne Fractur durch das Foramen opticum
und durch den vordersten Theil der oberen Augenhöhlenspalte unter die Periorbita
gelangen und, falls diese durchbrochen ist, sich in die orbitalen Weichgebilde
einen Weg bahnen können. Sie erwiesen weiters, dass solche Bindehautecchymosen
eben so gut aus den Gefässen des Fettpohters stammen können, und dass die
Fascia tarsoorbitalis ein Vordringen orbitaler Extravasate unter die äussere Lid-
decke hindere (Friedherg).
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S. 344, 349, 362, 366, 369. — Manz, A. f. O. XII. 1. S. 1, 5. — Lawson,
Schmidt's Jahrb. 135. Bd. S. 264. — Pepper, ibid. S. 201. — Hulke, ibid. 140. Bd.
S. 203. — Küchler, Deutsche Klinik. 1866. Nr. 28. — Becker, A. f. O. XII. 2. S. 289.
— Langenheck, ibid. XIII. 2. S. 447.
1. Basedow'sche Krankheit.
Krankheitsbild. Charakteristisch sind sehr auffällige Intiervations-
störungen der Lidmuskeln und des Herzens, der Exophthalmus und die Kropf-
bildung.
1. Die gestörte Herzthätigkeit bekundet sich durch überaus beschleunigte
verstärkte und oft auch ihnregelmässige Contractionen sowie durch systolische
Blasegeräusche im Herzen und in den grossen Gefässen der Halsgegend. Die
Palpitationen sind oft, namentlich zeitweilig, so stark, dass die Brustwand
mächtig erschüttert wird und man die Pulsationen in den Carotiden, den
Gesichtsarterien und selbst in der Orbita auf Distanz wahrnehmen kann.
In der Art. brachialis und cruralis soll indessen der Puls eher schwächer
als in der Norm sein (Trousseau). Es treten diese Palpitationen besonders
bei körperlichen und geistigen Anstrengungen, bisweilen aber auch ohne
Veranlassung anfallsweise auf und sind dann gewöhnlich mit äusserster
Dispnoe und öfters auch mit Vergrösserung des Exophthalmus sowie mit
einer merkbaren Anschwellung des Kropfes gepaart. EigentHche Herzfehler
kommen nebenbei vor, fehlen jedoch in der Eegel und sind überhaupt nur
zufällige Complicationen.
2. Der Kropf gedeiht zu sehr verschiedenen Graden ohne jemals
indessen so beträchtlich zu werden, dass er an und für sich erhebliche
Functionsstörungen bedingen könnte.
Exophthalmus; Inneiv.ttioiisstörungen; Keflexlähmungeii. 585
3. Der Exophthalmus ist mit seltenen Ausnahmen beiderseitig, aber
nicht immer ji;anz gloichmässig- auf beiden Augen cntwiekclt. Kr zeigt
sich oft schon sehr frühzeitig, gcwölinlic;]! aber erst nach längerem Vor-
angehen der Herzsymptome und der Ki'opfbildung. Kr ist mitunter kaum
merkbar oder scheint zeitweilig völlig zurückzugehen, besonders in den
ersten Stadien des Leidens, wo er überhaupt gleicli dem Kröpfe sehr zu
schwanken pflegt. In anderen Fällen ist er überaus beträchtlich, ohne
dass es jemals zu einer förmlichen Ophthalmoptosis käme. Die Vortreibung
der Augäpfel erfolgt gewöhnlich in der Richtung der (3rbitalaxe ; nur
selten kömmt es zu einer Schiefstellung des Auges wegen ungleichmässiger
Volumszunahme des Orbitalpolsters (GraefeJ.
Der Exophthalmus beruht nachgewiesener Massen ebenso wie die An-
schwelhing der Schilddrüse auf einer Erweiterung der Gefässe, besonders der Venen.
Im Einklänge damit pflegt er vorübergehend merkbar zu steigen, wenn wegen
vermehrter Herzthätigkeit oder in P^olge von Stauungen im oberen Hohlvenen-
gebiete der Blutdruck in der Orbita zunimmt, umgekehrt aber geht er im Tode
fast gänzlich zurück. Erst bei längerem Bestände der Blutüberfüllung kömmt es
secundär zur Hypertrophie des Bindegewebes und in der Schilddrüse wohl auch zur
Entwickelung choloider Cysten (Virchow).
4. Die Innervationsstörungen kommen ebensowohl auf dem Gebiete der
Reflexthätigkeiten als auf jenem der willkürlichen Coordinationsbewegungen zur
Geltung und äussern sich überdies nicht selten auch unter der Gestalt
wahrer Lahmungen.
a. In die erste Kategorie gehört eines der constantesten und gemeinig-
lich vom ersten Beginne an vorhandenen Symptome, nämlich die weite
Oeffnung der Lidspalte und die Unvollständigheit und Seltenheit des rhythmischen
Lidschlages. Die Klaffung der Lidspalte ist gewöhnlich so gross, dass über
und unter dem Hornhautrande eine ziemlich breite Zone der Sclera blos-
liegt. Der rhythmische Lidschlag bleibt oft mehrere Minuten lang gänzlich
aus, ist auch meistens ein ganz unvoUstündiger und wird durch ein leichtes
Kinwärtsziehen und durch eine schwach schraubenförmige Drehung des
Lidrandes ersetzt. Ks gibt dieses Symptom im A'ereine mit der weiten
Oeffnung der Lidspalte der Physiognomie des Kranken das eigenthümlich
Harte und Starre, welches von vielen Autoren hervorgehoben wird.
Es können diese Motilitätsstörungen nicht wohl aus dem Exophthalmus er-
klärt werden , da sie der Vortreibung des Augapfels in der Regel lange voran-
gehen und unabhängig von deren Schwankungen fallen und steigen. Der Exoph-
thalmus steigert eben nur durch die Vergrösserung der Widerstände die bereits
vorhandenen Motilitätsstörungen , bei höheren Entwicklungsgraden bisweilen aller-
dings in dem Masse, dass die Lidspalte auch vährend dem Schlafe bis zu einer
gewissen Breite otfen bleibt, womit eine ergiebige Quelle für andauernde und
mitunter bedrohliche Beizzustände gesetzt wird. Es lassen sich die fraglichen
Motilitätsstörungen auch nicht aus einem tonischen Krämpfe des Levator palpebrae
superioris oder des ohei-en organischen Lidmu^tkels ableiten, da willkürliche Inner-
vationen des Kreismuskels vollkräftige Zusammenziehungen auslösen, deren effective
Leistung hinter der normalen kaum zurücksteht. Die Freiheit der imllkürlichen
Bewegungen unterscheidet den Zustand aber auch gründlich von Lähmungen im
engeren Wortsinne. Man kann also wohl sagen, es spreche sich in diesen Er-
scheinungen lediglich eine Hemmung jener Reflexstromungen aus , welche während
dem wachen Zustande von den sensiblen Nerven der Bulbusoberfläche und von der
Netzhaut beständig auf die Augenportion des 7. Gehirnnerven geleitet werden und
im Kreismuskel einerseits einen gewissen Grad von tonischer Spannung erhalten,
andererseits aber auch den rhythmischen Lidschlag anregen.
586 Morbus Basedowi ; Krankheitsbild ; Thi'änenträufeln ; Xerosis ; Coordinationslähimmgen.
Mit der Sistirung des rhythmischen Lidschlages fällt der wichtigste
Factor der TliränenJeitung (S. 552j, daher die Kranken, besonders anfäng-
lich, häufig Ton Thränenträufeln zu leiden haben und dies zwar urasomehr,
als die loeite Oeffnung der Lidspalte den reizenden Eindruck der atmo-
sphärischen Luft u. s. w. und damit auch die Secretion der Thränen steigert.
In den späteren Stadien des Processes stumpft sich jedoch die Erregbarkeit
der Gefühlsnerven beträchtlich ab, die Lidspalte wird nur melu' von
Thränen überHuthet, wenn stärkere Reize auf das Auge wirken, bei rauher
stürmischer Witterung, in rauchiger staubiger Atmosphäre etc. Unter
gewöhnlichen Umständen dagegen wird kaum mehr als in der Xorm abge-
sondert. Bei der Geringfügigkeit dessen und bei der reichlichen Ver-
dtmstung auf der stets weit entblössten Bulbusoberliäche kömmt es dann
leicht zur Vertrocknung der epithelialen Schichten. Diese finden sich denn
auch wirklich in den späteren Stadien des Leidens und bei höhergradig
entwickeltem Exophthalmus ganz häufig merklich getrübt, trocken und
schilferig. Damit wachsen selbstverständKch die Widerstände des Orbicular-
muskels, während gleichzeitig die ßeizwirkung der atmosphärischen Luft
und äusserer Schädlichkeiten wesentlich abnimmt. Es steigern sich solcher-
massen die fraglichen Motilitätsstörungen und die Xerosis gegenseitig im
fehlerhaften Cii'kel und letztere gedeiht bisweilen zu einem so hohen
Grade, dass das Bestreichen der Bulbusoberfläche mit einem Pederbarte
wohl gefühlt wird, aber keine Schmerzen und noch weniger Reflexkrämpfe
erregt.
Die Xerose kann nach Allem nicht als Ursache, sondern nur als
Wirkung der Innervationsstörungen aufgefasst werden, um so mehr als
diese jener in der Regel lange vorausgehen und die Xerose überhaupt auch
häufig wälirend dem ganzen Verlaufe des Leidens fehlt.
b. Von Störungen willkürlicher Coordinationsbewegungen ist nur Eine
sehr gewöhnlich. Sie äussert sich darin, dass das obere Lid nur loenig
oder gar nicht dem Bulbus folgt, wenn die Visirehene gesenkt luird (Graefe).
Man findet dieses Symptom in der Regel von den frühesten Stadien der
Krankheit an neben den oben geschilderten Störungen der Reflexthätigkeit.
Doch ist es im allgemeinen weniger häufig, als diese letzteren. Es wechselt
gleich diesen dem Grade nach und tritt während dem Verlaufe des Leidens
öfters zeitweilig auch völlig zurück.
In einem Falle wurde eine vorühergehende vollständige Behindeintng der seit-
lichen Blickheicegungen beobachtet. Die Gesichtslinien beider Augen standen völlig
parallel. Die Visirebene konnte beliebig gehoben oder gesenkt werden. Auch
waren die Convergenzheicegnngen völlig frei. Doch fehlte absolut das Vermögen,
beide Augen gleichzeitig nach einer oder der anderen Seite hin zu richten.
Während die seitlichen geraden Augenmuskeln also Convergenzinipiilsen ungehindert
folgten, waren sie für Seitenblickinnervafionen absohd gelähmt. Es wiederholt sich
darin ein ähnliches Verhalten, wie jenes des Kreismuskels, welcher auf icillkürliche
directe Impulse sich mit normaler 'K.ra.it zusammenzieht, während er Impulsen gegen-
über, welche auf Senkung des Blickes zielen, in vollständiger Unthätigkeit verharrt.
c. Wahre Lahmungen sind im Ganzen nicht selten, aber nichts weniger
als charakteristisch, meistens auch sehr wandelbar und vergänglich. Sie
betreffen relativ am häufigsten die Augenmuskeln, seltener die respiratorischen
Gesichtsmuskeln, den Trigeminus und Opticus.
Schiefstellungen des Auges werden in der That von verschiedenen Beobach-
tern als ziemlich häufige Complicationen des Basedow'schen Leidens erwähnt und
Wahre Lähmungen ; Mydriasis; Anästhesien; Nenroparalyt. Cornealgeschwüre ; Nebenerscheinungen. 587
gehören nach den bisherigen Erfahrungen in der Mehrzahl der Fälle ohne Zweifel
auf Rechnung von Leüunffshemmimgen der motorischen Augennerven, verhalten sich
auch in jeder Beziehung ganz so wie diese. Immeriiin mögen solche Schiefstellun-
gen in manchen Fällen durch vorwaltende Verfettigunc/ eines oder des anderen
Augenmuskels fRecklin(jhausenJ bedingt worden sein. Auch steht es fest, dass der
Exophthalmus nn sich bisweilen eine Luscitas auf rein mechanischem Wege be-
gründet und überdiess im Verhältnisse zu seinem Entwicklungsgrade Excursions-
heschränkumien nach den verscliiedensteu Richtungen hin veranlasst.
Zu diesen Lähmungen gehört bestimmt auch die nicht ganz selten vor-
kommende Mydriasis (Mooren, Demvie, Heymann). Sie erscheint ebcnsowold in Ver-
bindung mit den charakteristischen Störungen der Oculomotoriuslähmung, als
selhstiindiy und kann im letzteren Falle möglicher Weise von der durch den
Exophthalmus verursachten Zerrimg der Ciliarnerven abhängen. Häufiger indessen
scheint sie die Bedeutung einer centralen Leitungshemmung zu haben.
Die Lähmungen der resjjiratoi-ischen Gesichts muslcehi dürften gewöhnlich un-
vollständig sein und äussern sich durch eine eigenthümliche Starrheit und Unbe-
weglichkeit der betreflenden Gesichtshälfte beim Pfeifen, Blasen etc. und bei Affecten.
Häufiger sind An'dstJtesien ivi Trigeviimisgehiete. Sie beschränken sich öfters
auf die vordere Bulbusoherfläche und mögen dann manchmal gleich der Mydriasis
aus der Zerrung der Ciliarnerven zu erklären sein. In anderen Fällen verbreiten
sie sich über grössere Bezirke und müssen dann auf Rechnung von Leitungs-
störungen in den Aesten oder Centr altheilen des Quintus gebracht werden. Sie sind
bei solcher Ausbreitung im Ganzen sehr wandelbar und zeigen sich auch wohl
blos anfallsweise.
Es unterliegt keinem Zweifel, dass die Verschwärungen der Hornhaid, welche
bei der Basedow'schen Krankheit mitunter beobachtet werden, damit zum Theile
im pathogenetischen Zusammenhange stehen und dass auch die mitunter sehr be-
trächtliche (Mackenzie) VertrocTcnung der Bidhusoherfläche in manchen Fällen dadurch
wesentlich gefördert wird. Doch wäre es ein grosser Irrthum , wenn man allen
Verschwärungen der Hornhaut beim Basedow'schen Leiden eine neicroparalytische
Basis unterschieben wollte. Es kommen Ulcerationen der Hornhaut nämlich auch
bei kaum vermindej'ter Sensibilität, unter starker Ciliarreizung und überaus reich-
lichem Thränenträufeln vor. Sie finden dann ihr ätiologisches Moment wahrschein-
lich in äusseren Irritamenten und werden durch die weite Klaflfung der Lidspalte
wesentlich begünstigt.
Auch Sehstörungen werden ausnahmsweise beobachtet, dürften jedoch ge-
wöhnlich durch die Mydriasis, durch die Vertrocknung der Hornhautoberfläche
v. s. w. veranlasst werden. Hie und da zeig-en sich übrio^ens auch wohl ivirkliche
Amhlyopien und in Einem Falle ist, vielleicht ziifällig, eine loahre Amaurosis mit
complefer Atrophie des Sehnerven gefunden worden.
5. Als Nehenerscheinimgen sind ferner anzuführen Anämie oder
Chlorose mit hochgradiger Ernährungsstörung, oft bis zur äussersten Abma-
gerung, bei Weibern mit Unterdrückung der Menstruation. Es finden sich
diese Zustände sehr häufig, namentlich in den späteren Stadien, können
jedoch auch völlig abgehen. Theilweise im Zusammenhange damit stehen:
Verdauungsheschioerden, Dyspepsie , wässeriges oder blutiges Erbrechen,
blutige Stühle; erschöpfende Schweisse , Hypersecretion des Harnes;
äusserste Schwäche mit Neigung zum Schwindel , Ohrensausen, Kopf-
schmerz, häufige Ohnmächten; weiters allgemeine nervöse Verstimmung,
grosse Reizbarkeit bis zur völligen Aenderung des Charakters. Es können
diese Symptome übrigens auch bei scheinbar normaler Blutbildung gegeben
sein und fehlen, sind also nichts Constantes (Trousseau).
Pathogenese. Man hat guten Grund anzunehmen, dass der gesammte
reichhaltige Symptomencomplex des Basedow'schen Leidens aus einer
gemeinsamen Quelle fliesse und dass diese in Erkrankungen der Centraltheile
des sympathischen Nerven zu suchen sei {Geigel, Friedreich). Die pathogno-
monische Trias : Exophthalmus , Kropf und Herzleiden , trägt den
Ö88 Morbus Basedowi; Pathogenese.
angimiexirotischen Charakter offen an der Stirne und lässt sich mit Functions-
störuno-en der vasomotorischen Centra in unmittelbaren Zusammenhans:
bringen. Die vielen, höchst unhestundigen Nebensymptome aber, welche die
Krankheit zu einem wahren Proteus gestalten , können theils als directe,
theils als indirecte Folgen jenes Centralleidens gedeutet werden. Insbesondere
weisen die mannigfaltigen Innervationsstörungen der motorischen und
sensiblen Xerven gleichwie die häufigen psychischen Alterationen auf
multiple Krankheitsherde hin , welche in den verschiedensten Punkten des
Gehirnes, in dessen Einde , in den einzelnen Reflex- und Coordinations-
centris , in den Ursprungskernen der einzelnen Xei-ven u. s. w. zerstreut
auftreten und in Anbetracht ihrer "Wandelbarkeit und "\'ergänglichkeit wohl
nur auf umschriebene paralytische Gefässerweiterungen zu beziehen sind,
welche indessen secundär, wie anderwärts, so auch im Gehirne, durch
Begünstigung der Filtration und entzündlichen Exsudation zu wirklichen
Verbildungen des nervösen Gefüges führen und die davon abhängigen
Functionsstörungen einigermassen fixiren können.
Vielseitig glaubt man den cei-vicalen Grenzstrang als den Ausgangspunkt der
Krankheit bezeichnen zu müssen (Aran, KoehenJ. Wirklich sind sehr auffällige
Veränderungen desselben in einer Keihe von Fällen nachgewiesen worden (Trousseau,
Reith, Cmise, M'Donnel, Traube, Biermer, Virchoiv, GeigelJ. In anderen Fällen
jedoch fehlte mit Bestimmtheit jede erkennbare Erkrankung des cervicalen Grenz-
stranges (Becklinghausen, Paul, Fournier, OlUvier). Auch entsprechen die charakte-
ristischen Symptome des Basedow'schen Leidens nicht jenen, welche durch operative
und ziifdllige Leitungsunterbrechungen im Halssympathicus (Eidenhiirg, Guttmann)
begründet werden. Es liegt also der Verdacht nahe, es seien die erwähnten Ver-
änderungen des cervicalen Grenzstranges blos zufällige und vielleicht eben auch
nur als neuroparalytische Localherde zu deuten. Zudem ist, allerdings nur einmal,
wirklich eine Veiicachsung des Centralkanales des Rückenmarkes und der Medulla
oblongata mit deutlichen Anzeichen von Hyperämie und Entzündung in der näch-
sten Umgebung als wahrscheinliche Quelle des Basedow'schen Leidens nachge-
wiesen worden (Geigel). Bei der geringen Aufmerksamkeit, welche den Central-
theilen des Sympathicus bisher geschenkt worden ist, lässt sich aber leicht annehmen,
dass krankhafte Veränderungen derselben öfter bestehen mögen, wenn sie macros-
kopisch auch nicht immer sehr auffällig sein dürften.
Die Neigung des Basedow'schen Leidens zu multiplen Krankheitsherden in
den verschiedensten Gebieten des sympathischen Nerven wird diirch einen Fall
(Prael) illustrirt, in w^elchem zahlreiche Erweichungsherde im Gehirne nachgewiesen
wurden. Sie äussert sich aber auch ganz unzweideutig in dem häufigen Zustande-
kommen theils reiner, theils mit Oedeni und entzündlichen Exsudationen combinirter,
circumscripter Gefässparalysen an der Peripherie des Körpers. Hierher gehören
die bisweilen halbseitigen, anfallsweise oder bei psychischen Erregungen auftreten-
den, mit starker Wärmeentwicklung verknüpften tiefen Röthungen grösserer Haut-
bezirke; die ständigen enormen Gefässerweiterungen, welche sich nicht selten an
der Wange und Nase finden; die sogenannten Taches cerebrales (Trousseau, Paul,
DuschJ und gewisse , diesen ganz analoge , ephemere Geschwidstbildungen in der
Brauengegend und an den Lidern, welche mitunter von enormen Anschwellungen
der hier streichenden Venenstämme oder einzelner Arterien (DecesJ begleitet
sind. Auf entzündliche Exsudationen zurückführbare, diffuse, ziemlich derbe An-
schwellungen wurden an den Wangen und Lippen beobachtet. Auch lässt sich
als Beispiel eines secundär entzündlichen umschriebenen Krankheitsherdes vielleicht
ein Fall geltend machen, in welchem sich hochgradige Schwellung und Röthung
der Bindehaut mit Exsudation eines memhrandsen Productes während dem Verlaufe
des Basedow'schen Leidens wiederholt anfallsweise einstellte (Heymann).
Die Ursachen des Leidens sind noch wenig erforscht. Es scheint,
dass heftige Gemüthsbeivegungen in der Aetiologie eine hervorragende Rolle
spielen. Man hat die Krankheit ausnahmsweise bei Kindern beobachtet
Ursachen; Verlauf; Ausgänge. 589
(Rosenberg, Trousseau, Deval), In der liegcl betrifft sie Individuen
jugendlichen oder mittleren Lebensalters, besonders solche; mit zarter Consti-
tution, hellem Teint, blauen Augen, blonden oder röthliehen Haaren und
reizbarem nervösen Temperamente. Schv^^ere chronische Krankheiten und
Säfteverluste erhöhen die Disposition. Weiber sind der Krankheit etwa
vier Mal mehr als Männer ausgesetzt (Dusch).
Verlauf. Die Fmtwickelung der Krankheit in allen ihren Zügen ist
bisweilen eine überaus rasche, innerhalb vv^eniger Wochen, ja selbst inner-
halb einiger Tage, vollendete. In der i?eg'e^ jedoch bildet sich der Symptomen-
complex nur ganz allm'dlig aus, es vergehen Monate und Jahre, während
welchen blos die Lidsymptome bestehen und das Herzleiden inehr oder minder
heftige und häufige Paroxjrsmen macht. Dann kömmt der Kropf und der
Exophthalmus zum Vorscheine, worauf endlich die fehlerhafte Blutbiidung,
die Verdauungsstörungen etc. sich geltend machen. Mitunter jedoch gehen
auch die letzteren Zustände voran, das Herzleiden tritt später hervor und
nach diesem der Kropf und der Exophthalmus.
Einmal entwickelt, besteht die Krankheit oft Jahre lang mit mehr
weniger auffälligen Schwankungen fort, so zwar, dass bei geringer Ver-
änderlichkeit des Exophthalmus und des Kropfes die übrigen Erscheinungen
einzeln oder in ihrer Gesammtheit bald stärker, bald schwächer ausgeprägt,
sind. Namentlich gilt dieses von dem Herzleiden, welches öfters eine
geraume Zeit völlig zurücktritt, so dass es den Anschein gewinnt, als wäre
dem Uebel wirksam gesteuert, bis es auf einmal mit der früheren oder
selbst verstärkten Heftigkeit wieder hervortritt. Aber auch die Retraction
und Unbeweglichkeit der Lider kann verschwinden , obgleich der Exoph-
thalmus fortbesteht.
Ausgänge. Die Krankheit kann völlig heilen oder wenigstens sich so
weit bessern, dass nur von dem Kröpfe und dem Exophthalmus, oder von
einem der beiden, merkliche Spuren zurückbleiben. Es setzt dieses voraus,
dass die krankhafte Herzthätigkeit dauernd beschwichtiget wird. Wo das
Herzleiden fortbesteht, darf man erfahrungsmässig auf einen so günstigen
Ausgang niemals rechnen, selbt wenn die übrigen Erscheinungen völlig
zurückgingen, da dann in der Regel sehr bald wieder Recidiven eintreten.
Am wenigsten darf man auf Besserungen in dem Verdauungsvermögen und
in der Blutbildung bauen, so wie umgekehrt selbst gänzliches Darnieder-
liegen dieser Functionen nicht nothwendig eine schlechte Prognose invol-
virt, insoferne wiederholt rasche Erholung des Kranken beobachtet worden
ist, wenn unter solchen Verhältnissen das Herz zur Ruhe gelangte. Immerhin
ist schnelle Ueberhandnahme der Anämie und der Verdauungsstörung vom
Uebel, da der Kranke am Ende wohl auch an völliger Erschöpfung stirbt
(Graefe). Im Allgemeinen ist der Tod kein häufiger Ausgang (7:56).
Aber auch dauernde Heilungen sind nicht gewöhnlich (20:56). Ausgiebige
und anhaltende Besserungen werden bei richtiger Therapie am öftesten
(30:56) erzielt (Dusch).
IVIitunter wird die Cornea bei höhergradigem Exophthalmus durch
partielle Verschwärung zerstört und ausnahmsweise geht dann der Bulbus
durch Phthise zu Grunde.
Behandlung. Der anerkannt angioneurotische Charakter der Krankheit
hat in letzter Zeit zu Versuchen mit Galvanisation des cervicaleri Grenz-
590 Morbus Basedowi; Behandlung; Quellen.
Stranges angeregt und, soweit die bisherigen Erfahrungen reichen, scheint
es, als ob darin wirklich ein hilligen Anforderungen entsprechendes Mittel
gefanden worden wäre. In der That geht bei zweckentsprechendem Ver-
fahren häufig die Zahl und Stärke des Pulses zurück, das Herz beruhigt
sich und die mit seinen stürmischen Bewegungen verknüpften Athmungs-
beschwerden etc. weichen ; auch der Ernährungszustand des Individuums
wird ein günstigerer. Ueberdies pflegen der Kropf und der Exophthalmus
sich in frischen Fällen rasch zu vermindern und die mannigfaltigen
Innervationsstörungen der Lider etc. binnen Kurzem vollständig beseitigt
zu werden. Günstige Lebensverhältnisse , Landaufenthalt , gemüthliche
Ruhe scheinen dauernde Heilungen sehr zu fordern.
Einzelne loben »ystemafische Wasserkuren, welche bei stark hervorstechendem
Herzleiden mit dem Gebrauche der Digitalis zu verbinden sind (Trousseau). Die
tonischen Mittel und das Eisen, welche man den Verdauungsstörungen und der
mangelhaften Blutbildung entgegenstellte, haben sich nicht bewährt. Sie werden
besonders schlecht von Männern vertragen und es scheint, dass diesen Ergotin und
Chinin besser bekomme (Graefe). Auch liess das Jod im Stiche , welches mau
behufs einer Eesorptionsbethätigung im Bereiche der Schilddilise und der Orbita
vielfach versucht hat. In einzelnen Fällen soll es sogar schwere Zufälle bedingt
haben. Dafür soll örtliche Wärnieentziehung der Enticickelung des Kropfes und des
Exophthalmus merkbar gesteuert haben (Trousseau). Um den theilweise entblössten
Bulbus zu schützen, wurde die Tarsoraphie empfohlen (Graefe). Doch verfehlt die-
selbe gewöhnlich ihren Zweck. Man schlägt daher neuerlich statt ihrer die Tenotoviie
der Sehne des Äufhehemuskels vor, insoferne dadurch eine leichte Ptosis des oberen
Lides mit Sicherheit erzielt wird (Graefe).
QneUen: Basedow, Caspers Wochenschrift 1840. — Hellft, ibid. 1849. Nr. 48,
49. — Prael, A. f. O. ni. 2. S. 199, 205. — Graefe, ibid. S. 278. 280, 281, 285,
287, 288, 290, 293, 294, 296. 299, 305; Med. Neuigkeiten. 1864. Nr. 15; Deutsche
Klinik. 1864. Nr. 16; Centralbl. 1867. S. 650; Congi-es ophth. 1868. S. 58. —
Remak, Bezold, ibid. — Mackenzie, Traite d. mal. d. yeux. Traduit p. Warlomont
et Testelin I. Paris. 1856. S. 458; UI. S. 146, 149. — Wecker, Etudes ophth. I.
Paris 1864. S. 704. — Trousseau, Archiv, gen. de med. XX. S. 244—248, 488. —
Gnyon u. A. ibid. S. 119, 359, 362, 365. — Aran, nach Trousseau. — Reith, kl.
Mntbl. 1866. S. 138, 140. — Recklinghausen, ibid. S. 141. — Gros, ibid. 1865.
S. 298. — Gi-os und Charcot, Gaz. med. de Paris. 1856. Nr. 38, 39; 1857. Nr. 14.
— Geigel, Centralbl. d. m. Wiss. 1866. Nr. 48; Würzbg. med. Zeitschrift. VII.
S. 84 u. f. — Friedreich, Lebrb. d. Herzkrankheiten. Erlangen. 1867. S. 317. —
Eulenburg, Landois, Wien. med. Wochenschrift. 1867. Nr. 91. — Eulenburg, Gutt-
mann, Arch. f. Psychiatrie. I. S. 420, 447 u. f. — Paul, ibid. S. 452. — Aran,
Koeben, ibid. S. 434, 435. — Deces, ibid, S. 443. — Deval, ibid. S. 432. — Traube,
Recklinghausen. Deutsche Klinik. 1863. S. 286. — Heymann, Ophth. Leipzig. 1868.
S. 9. — Stellwag, Wien. med. Jahrbücher. 1869. S. 25, 33, 44 u. f. — Dusch,
Lehrb. d. Herzkhtn. Leipzig. 1868. S. 349, 353 u. f. — Baeumler, Deutsch. Arch.
IV. S. 595. — Yirchow, Die krankhaften Geschwülste. III. S. 73 u. f. — Cheadle,
Lancet. 1869. I. S. 845. — Rosenherg, Centralbl. 1866. S. 76. — Foumiei; Ollimer,
Ceutralbl. 1868. S. 124. — Mooren, Ophth. Beiträge. S. 32.
2. Der Angenliölilenal3scess.
Krankheitsbild. Charakteristisch ist ein unter Entzündungserscheinungen
zu Stande kommender, mit Schwellung der Bindehaut und Lider gepaarter
Exophthalmus.
Die entzündlichen Erscheinungen sind einigermassen wandelbar je nach
der In- und Extensität des Processes. Gewöhnlich geht der letztere unter
OrMtalaIjscess ; Krankheitsbikl ; Ursachen. 591
lebhaftem, oft sogar synochalem Fieber einher. Die Schmerzen pflegen bei
einfacher Entzündung des orbitalen Bindegewebes, also bei Abhandensein
von Periostitis, nielir dumpf zu sein und überhaupt erst mit der Hervor-
treibung des Augapfels höhere Grade zu erreichen. Durch Druck auf den
Bulbus, nicht aber auf den knöchernen Orbitalrand, werden sie gesteigert
(Graefe). Alsbald macht sich auch die Theil nähme der Bindekaut und der
Lider geltend, dieselben schwellen meistens sehr beträchtlich auf und
erstere bedeckt nicht selten in Gestalt mächtiger Wülste die Cornea grossen
Theiles oder gänzlich.
Bei tieferem Sitze des orbitalen Entzündungsherdes und geringerer Intensität
des Processes trägt diese Geschwulst der Bindehaut und Lider häufig den Cha-
rakter des reinen oder entzündlichen Oedemes. Bei hochgradiger Intensität des Pro-
cesses oder mehr oherß'dchlicher Lage des Herdes hat sie indessen häufig ein
chemotisches oder rothlauf artiges Ansehen, ist lieiss, elastisch gespannt und tief
geröthet. In letzterem Falle stockt dann meistens die Abso7iderung der Conjunctiva
und diese erscheint dort, wo sie der Luft ausgesetzt war, vertrocknet. Bei mehr
ödematösem Charakter der Schwellung ist hingegen die Secretion meistens verstärkt
und kann selbst einen blennoii'hoischen Zustand vorspiegeln.
Der Exophthalmus steht meistens im Verhältnisse zur Ausdehnung des
Entzündungsherdes. Bei tiefem Sitze des Abscesses pHegt die Hervortreibung
des Augapfels eine mehr gleichmässige zu sein, während bei Periostitis der
Bulbus gewöhnlich vorwaltend nach einer Seite hin gedrängt wird. Anfäng-
lich ist der Exophthalmus oft ziemlich unbedeutend und nur durch einen
genauen Vergleich des Standes der beiden Hornhautcentra zu ermitteln.
Späterhin aber tritt der Augapfel gewöhnlich so weit aus der Orbita her-
aus, dass die Lider nicht mehr gescMossen werden können und die von
mächtigen Bindehautwülsteu ausgefüllte Lidspalte weit klafft. Die Bewegungen
des Augapfels sind dabei immer wesentlich behindert, oft überaus schmerz-
haft und häufig sogar völlig aufgehoben.
Die Cornea erscheint anfänglich vollkommen rein, stark glänzend ; die
Pupille meistens zusammengezogen, staiT und glänzend schwarz. Bei der
ophthalmoskopischen Untersuchung findet man öfters die Centralvenen merk-
lich erweitert.
Selten fehlen subjective Gesichtserscheinungeii, immer ist das Gesichts-
feld stark umnebelt, oft eingeengt, ja in vielen Fällen ist das Licht-
empfindungsvermögen sogar völlig vernichtet.
Ursachen. Die Krankheit entwickelt sich selten ohne nachweisbare
genügende Ursache. Manchmal wird rascher Temperaturwechsel als nächste
Veranlassung angeklagt. Das gewichtigste unter den ätiologischen Momenten
sind jedoch Verletzungen, besonders Erschütterungen, eindringende und durch-
dringende, vornehmlich aber verunreinigte Wunden (Mackenzie , Zander,
Geissler, Hulke, u. A.)
Nicht minder sind bisweilen der Gebrauch des Olüheisens oder starker
Aetzmittel behufs der Verödung des Thränensackes, so wie Einspritzungen reizender
Solutionen in den Thräneuschlauch und Austritt derselben in das umgebende
lockere Gefüge durch einen Riss der Wandung Veranlassung von höchst verderb-
lichen Orbitalabscessen geworden (Graefe).
Häufiger ist der Augenhöhlenabscess ein secundäres, durch Fort-
pflanzung der Entzündung von den Nachbarorganen her begründetes Leiden.
Es entwickelt sich derselbe nicht gar selten im Verlaufe eitriger Meningitis,
indem die Entzündung durch die beiden Augenhöhleuspalten auf das lockere
o92 Orbitalabscess ; TJrsaclien ; Verlauf.
Orbitalgewebe übergeht, oder indem der Process durch Thromhosirung der
Blutleiter auf die Venen der Orbita fortgepflanzt wird (Knapp). Er ist
dann oft beiderseitig und besteht aus einer grossen Menge kleiner hämor-
rhagischer Eiterherde, welche allenthalben und besonders in der Tiefe das
von Oedem mächtig aufgeschwollene Fettpolster und die Muskeln durch-
setzen. Ton aussen her macht der Process dann ganz den Eindruck eines
Gesichtsrothlaufes und scheint auch öfters damit verwechselt worden zu
sein (Leyden). Uebrigens ist nicht zu läugnen, dass das Erysipel des
Gesichtes und der behaarten Kopfhaut öfters wirkhch in die Augenhöhle vor-
dringe und hier ganz ähnliche Eiterherde setze (Mackenzie, Biermann). Das-
selbe gilt von der Phlebitis, welche sich aus der mittelbaren oder unmittel-
baren Nachbarschaft auf die A'enen der Orbita fortpflanzen und so die
Quelle von suppurativen Entzündungen in der Augenhöhle werden kann
{Mackenzie, Oessinger, Knapp). Ausserdem verläuft kaum eine suppurative
PanOphthalmitis, ohne dass es zu ausgebreiteten Infiltrationen des Fett-
polsters käme und manchmal ist dann theilweise Verschwärung desselben
der Ausgang. Bei eitriger Periostitis der Augenhöhlenwandungen sind Absce-
dirungen der vorliegenden Weichtheile eine fast ausnahmslose Regel. End-
lich bietet das Orbitalbindegewebe erfahrungsmässig einen sehr günstigen
Ort für metastatische Ablagerungen und es sind solche Augenhöhlenabscesse
im Verlaufe der Pyämie, puerperaler Processe, anomal verlaufender Exan-
theme u. s. w. gar nicht selten Gegenstand der Beobachtung. In einzelnen
Fällen kann der Augenhöhlenabscess die Bedeutung eines tuberculösen
Localherdes haben (Fischer).
Der Verlauf ist öfters ein iwahrhaft stürmischer, in der Regel aber
wenigstens insoferue ein acuter, als der Process innerhalb 8 — 14 Tagen
seinen Höhenpunkt überschreitet und von da an unter allmähger Ab-
nahme der entzündlichen Erscheinungen seinen Endausgängen sich zuwendet.
Der völlige Ausgleich der durch den Process gesetzten Schäden nimmt
freilich nicht gar selten Wochen und Monate, wenn nicht gar Jahre, in
Anspruch.
Manchmal hat die Krankheit einen mehr subacuten Verlauf oder neigt
gar von vorneherein zur Chronicität. Der Process tritt dann gewöhnlich
unter minder auffälligen entzündlichen Erscheinungen hervor, oder es nehmen
dieselben bald ab, wenn sie anfänglich eine grössere Intensität gezeigt
haben. Der Bulbus wird inzwischen langsam bis zu einem gewissen Grade
hervorgedrängt, während die Bindehaut sammt den Lidern von weichem
Oedeme schwellen. Es vergehen so einige Wochen, ohne dass sich der
Zustand, unerhebliche Exacerbationen und Remissionen der Entzündung
abgerechnet, wesentlich ändert, bis endlich Kunsthilfe einschreitet oder
anderweitig ein bestimmter Ausgang angebahnt wird.
In höchst seltenen Ausuahmsfällen wurden auch sogenannte kalte Ahscesse
beobachtet. Es hatte sich während Monaten und Jahren ganz allmälig Eiter inner-
halb der Augenhöhle angesammelt und den Augapfel um ein Geringes nach vorne
gedrängt, ohne dass irgend welche auffällige Erscheinungen das Vorhandensein
einer Entzündung angedeutet hätten. Endlich aber nahm der Process einen leb-
haften Aufschwung und führte unter den gewöhnlichen Symptomen eines acuten
Orbitalabscesses zu dessen Folgezuständen (Mackenzie, Carron du Villards).
Ausgänge. 1 . Es kann der Process auf dem Wege der Zertheilung
zu seinem Ausgleiche gelangen. Verhältnissmässig am leichtesten geschieht
Ausgänge; Durclibruch; Mitleidenschaft des Bulbus und Sehnerven. 593
dieses, ehe sicli noch eigentliche Ahscesse gebildet haben, also in den Anfangn-
stadien der Entzündung, wenn diese nicht mit allzugrosser Intensität auf-
getreten ist.
2. Hat sich einmal Eiter in grösseren Mengen entwickelt, so kömmt es
in der Regel zum Durchbruche. Während dieser sich vorbereitet, lässt
gewöhnlich das Fieber nach, die etwa vorhandenen Schmerzen werden
minder lästig, die Geschwulst wird weicher und endlich zeigt sich an
einem Punkte Fluctuation. Wird auch jetzt noch nicht zur künstlichen
Entleerung geschritten, so erscheint hinter der Bindehaut oder an der
äusseren Lidhaut, mitunter gar in grösserer Entfernung vom Orbitalrande,
ein Eiterpunkt, welcher allmälig sich vergrössert und zuletzt durchbricht.
Es sinkt dann der Bulbus nach Massgabe der mehr oder minder voll-
ständigen Entleerung des Abscesses zurück. Die normale Lage und Be-
weglichkeit erreicht er jedoch erst nach Verlauf einiger Zeit, da die
Eiterung meistens eine geraume Weile fortdauert und auch die Induration
der Höhlenwände sowie das Oedem ihrer weiteren Umgebungen nur ganz
allmälig zurückgehen. Die Durchbruchsöffnung schliesst sich am Ende durch
Granulationen.
In der Mehrzahl der Fälle öffnet sich der Abscess an einer einzigen
Stelle. Mitunter erfolgt jedoch der Durchbruch an mehreren Punkten
gleichzeitig oder in kurzen Zwischenpausen. Bisweilen bildet sich sogar
eine grosse Anzahl von Hohlgängen, welche in dem Orbitalgefüge nach den
verschiedensten Richtungen hin streichen und weit entfernt von einander
sich öffnen.
Manchmal geschieht es, dass der Hohlgang sich nahe seiner äusseren
Oeffnung durch Granulationen schliesst, ehe die Eiterung an den Wänden
der eigentlichen Abscesshöhle zum Abschlüsse gekommen ist. Es sammelt
sich dann wieder der Eiter und das Resultat ist eine Wiederholung des
ganzen Processes.
3. Der Augapfel wird häufig arg beschädigt. Allerdings verträgt er
mitunter ausserordentlich viel. Es sind Beispiele bekannt, nach welchen
er weit aus der Lidspalte hervorgetrieben werden und wochenlang in dieser
Lage verharren kann, ohne dass er die Fähigkeit verliert, nach Rückgang
der entzündlichen Erscheinungen seine Functionen im vollen Umfange wieder
aufzunehmen. Doch ist dieses lange nicht die Regel. Nicht gar selten pflanzt
sich der Process auf das ISTeurilem des Sehnerven fort, es entwickelt sich
eine Neuritis oder Neurodictyitis mit mehr minder massenhafter Exsudation,
welche schliesslich den grauen Schwund zurücklässt. Oder es verfällt der
Opticus in Folge des von aussen her auf ihn wirkenden Druckes und
der Circulationsstörung der grauen Atrophie, der Augapfel erblindet, und
zwar wird dieser Ausgang nicht blos bei in- und extensiv sehr ausgebil-
deten, sondern auch in Fällen beobachtet, in welchen die Hervortreibung
des Bulbus verhältnissmässig gering ist, ja er ist nach einfachen Erysipelen
der Augengegend gesehen worden (Graefe). Nicht minder kommen Netz-
hautablösungen (S. 223) im Gefolge von Orbitalabscessen vor. Oefters
nimmt der Augapfel unter der Form der Iridochorioiditis Theil und
atrophirt (Tetzer), oder er geht unter den Erscheinungen der Panophthal-
mitis suppurativa zu Grunde. Mitunter stii-bt bei grosser Intensität des Pro-
cesses und bei hochgradigem Exophthalmus die Cornea brandig ab, oder es
st eil wag, Augenheilkunde. 38
594 Orbitalabscess ; Ansgänge: Behandlung; Entfernung fremder Körper.
entvsdckeln sich in ihr Abscesse oder Geschwüre, die zum Durchbruche
führen und am Ende Phthisis des Bulbus bedingen.
Abgesehen hiervon wird aber auch die Beiveglichkeit des in seine nor-
male Lage zurückgekehrten Augapfels nicht immer Tollständig hergestellt,
es bleibt eine mehr oder minder auffällige Luscitas zurück. Es leidet
nämUch nicht gar selten, namentlich bei ausgebreiteteren Abscessen, ein
oder der andere Muskel oder Nerve, sei es direct durch Entzündung iind
partielle Vereiterung, oder indirect in Folge der Bildung dichter derber
und weit verzweigter Narben im Augenhöhlenbindegewebe. Auch in Folge
narbiger Contractionen der Conjunctiva und der Lider wird gar nicht selten
die Beweglichkeit des Bulbus sehr vermindert oder dieser gar in einer
falschen Stellung fixirt.
4. Von der allergrössten Wichtigkeit ist in prognostischer Beziehung
der Umstand, dass nicht gar selten die knöchernen Wandungen der Oi'bita
unter der Form einer Periostitis oder Ostitis in Mitleidenschaft gezogen
werden. Die weitere Folge ist dann sehr gewöhnlich Caries oder Nekrosis.
Durch eine solchermassen entstandene Lücke kann sich ausnahmsweise der
Orbitalabscess in die ■ Naseii- und Highmorshöhle, gegen die Flügelgaumen-
grube hin, oder wohl gar in die Schädelhöhle entleeren.
5. Im letzteren Falle ist meistens, aber nicht immer, Tod der Aus-
gang. Der Tod kann übrigens auch durch directe Fortpflanzung der Ent-
zündung auf das Gehirn und seine Häute bedingt werden. Bisweilen
stirbt der Kranke schon sehr frühe, ehe es noch zu massenhaften Ansamm-
lungen von Eiter in der Orbita gekommen ist. Der lethale Ausgang ist
am meisten zu fürchten, wenn der Process unter sehr stürmischen Symptomen
auftritt, oder wenn er auf einer Phlebitis fusst, da sich diese ausnehmend
leicht, sowohl durch Contiguität als auf dem Wege der Thrombose, von der
Orbita auf das Gehirn verbreiten kann. Lndem nicht gar selten die
Phlebitis unter den äusseren Erscheinungen des Erysipels verläuft, ist es
dringend zu rathen, bei rothlaufartigen Entzündungen in der Augengegend
den Zustand der Venen auf das Genaueste zu prüfen, um prognostischen
Irrthümern auszuweichen.
Die Behandlung ist im Grunde genommen dieselbe, wie bei Abscessen
in anderen Körpertiicilen. Doch treten die Indicationen vermöge der hohen
Gefahi", welche der Process nach verscliiedenen Kichtungen hin mit sich
bringt, viel dringender und bestimmter heraus. Die erste Aufgabe ist es,
der übermässigen Gewebswucherung entgegenzutreten, sfe in In- und Extensität
möglichst zu beschränken oder gar zu unterdrücken. Ist einmal Eiter in
grösserer Menge als vorhanden zu vermuthen, so muss so rasch als möglich
zur Entleerung des Abscesses geschritten und weiterhin für einen leichten
Ausflugs des purulenten Secretes sowie für einen möglichst günstigen Ver-
heilungsmodus gesorgt werden.
1. Wenn ein Trauma mit Wahrscheinlichkeit oder Gewissheit als
die Veranlassung des Leidens anzunehmen ist, so muss die grösste Auf-
merksamkeit auf den Umstand gelenkt werden, dass möglicher Weise ein
fremder Körper in die Orbita gedrungen und dort stecken gebheben ist.
Man untersuche namentlich die Bindehaut auf das Genaueste, um etwaige
Wunden oder Narben zu entdecken. Zu wiederholten Malen hat man
hinter ganz unscheinbaren Wunden oder Narben Schrottkörner, Metall-
Antiplilogosis ; Eröffnung dor Eitorliöhlo. 595
Splitter, selbst abgobrochone Pfcifcnspitzon u. dgl. gefunden. Diese waren
in das Orbitalbindogewebc eingedrungen und bisweilen schon incapsulirt
(Mackenzie, Zander, Geissler, Graefe). Weiset die Sonde einen solchen
Körper nach, so muss darauf eingeschnitten und die Kxtraction bewerk-
stelligt werden.
Entwickelt sich der Orbitalabscess in secundärer Form, so muss neben-
bei das primäre Leiden naeh allen Regeln der Kunst und je; nach den
gegebenen Verhältnissen auch ein etwa vorhandenes Allgemeinleiden be-
handelt werden.
2. Die Indicatio viorhi zielt in ei'ster Linie auf ein dor jeweiligen
Intensität des Processes entsprechendes antiphlogistisches Verfahren. Grösste
körperliche und geistige Ruhe, in der Regel Bettlage, schmale und leicht
Terdauliclie Kost u. s. w. sind unter allen Umständen geboten.
Bei grosser Intensität der Entzündung und lebhaftem Fieber wird
man oft gezwungen sein, innerlich antiphlogistische Mittel, kühlende Getränke,
bei heftigem Gefässsturme die Digitalis, das Aconit und ähnliche Mittel zu
verabfolgen. Oertlich sind Eisüberschläge energisch und in ununterbrochener
Folge zu appliciren, auch durch eine wiederholte Anlegung einer grösseren
Zahl von Blutegeln zu unterstützen. Ist die Spannung der Theile eine
übermässige und sind auch die Schmerzen höchstgradig, droht der Bulbus
in Folge dessen vielleicht gar schon unter der Form einer Payiophthalmitis
ergriffen zu werden, oder durch Yerschwärung, oder durch Brand der
Hornhaut zu Grunde zu gehen : so zögere man keinen Augenblick länger mit
dem Einstiche, um wenigstens den Druck, unter welchem die Theile stehen,
zu vermindern.
Es wird zu diesem Ende ein spitzes Bistouri auf 1 Zoll Tiefe zwischen
dem Bulbus und der Orbitalwand an jener Seite eingesenkt, an welcher
der erstere durch die Geschwulst am weitesten von der Knochenwand weg-
gedrängt erscheint. Bei dem Einstiche muss man sich sehr gut die
Streichungsverhältnisse der betreffenden Wand vergegenwärtigen, an der
Innenseite des Augapfels das Messer etwas schief nach hinten und nach
aussen von der Medianlinie des Kopfes, an der Aussenseite aber schief nach
innen und hinten horizontal vorschieben.
Halten sich die Entzündungssymptome innerhalb den Grenzen der Massig-
keit, so genügen neben strengem antiphlogistischen Verhalten des Ki-anken
zeitweilige Eisüberschläge. Bei der subacuten Form, wenn keine örtliche
Temperaturerhöhung nachweisbar ist , empfiehlt sich der Verband mit Watta.
3. Sobald man Grund hat, beträchtliche Eiteransammlungen innerhalb
der Orbita als gegeben zu vermuthen, muss unter allen V'erhältnissen sogleich
deren Entleerung durch einen in der vorerwähnten Weise auszuführenden
operativen Eingriff angestrebt werden, widrigenfalls man Gefahr läuft,
dass die eitrige Zerstörung weiter und weiter greift, dass sich Hohlgänge
nach den verschiedensten Richtungen bilden, der Knochen und Bulbus in
Mitleidenschaft gezogen werden und am Ende hässliche tind für die
Functionstüchtigkeit des Augapfels höchst verderbliche Narben zu Stande
kommen.
Es ist besser zu früh, als zu spät den Einstich zu machen. Wartet man, bis
sich an einer Stelle Fluctiiafion oder gar schon ein Eiterpunkt bemerklich macht,
so wird man liäulig die eben genannten und noch sclilimmere Folgen zu beklagen
haben. Operirt mau aber zn früh \ind entleert sich nur sehr wenig oder gar kein
38*
596 Ortitalabscess ; Behandlung; Entleerung des Eiters; Drainage.
Eiter, so ist damit durchaus kein Schaden gestiftet, im Gegentheile geschieht es
dann sehr gewöhnlich, dass alle Erscheinungen überraschend schnell an Intensität
abnehmen und der Process seinem Ausgleiche zugeht. Es ist nämlich der Druck,
unter welchem sich das wuchernde Gefiige befindet, cm und für sich ein die Vege-
tationsverhältnisse missliebig beeinflussendes Moment. Dieser Druck wird aber
durch die theilweise Trennung der Fascien, sowie durch die Blutung und auch
durch die Entleerung kleiner Abscesshöhlen, wesentlich herabgesetzt. Ausserdem
öffnen sich kleine Abscesse leichter in den nahen Wundkanal, als sie nach vorne
durchbrechen. Falls sich daher unmittelbar nach der Eröffnung nichts entleeren
würde, darf man mit einiger Zuversicht hoffen, dass dieses nach der Hand in
kurzer Zeit geschehe und dass so der Zweck erreicht w-erde. Im schlimmsten Falle
muss man nach einiger Zeit den Eingriff wiederholen.
Nach dem Einstiche darf man den Ausfluss immer nur durch einen
sehr massigen Druck fördern. Einspritzungen in den Wundkanal behufs der
Ausschwemmung eitriger Producte sind zu unterlassen, da sich das Wasser
in dem lockeren Gefüge diffundiren und Veranlassung zu einer beträcht-
lichen Steigerung der Entzündung, somit auch zur Erweiterung der Grenzen
der Eiterung geben kann. Wohl thut man, alsbald nach der Operation
mittelst vorsichtiger Sondirung nach etwaigen Erkrankungen der Knochen-
wandungen zu forschen. Findet sich Caries oder Nekrosis, so ist nach den
später zu erörternden Regeln vorzugehen. Jedenfalls muss der Wundkayial
offen erhalten werden, bis sich kein Eiter mehr entleert und die Abscess-
höhle Zeit gefunden hat, sich vom Grunde aus durch Granulationen aus-
zufüllen. Das Mittel hiex'zu ist die Einführung eines dünnen Kautschuk-
röhrchens, das an den Seiten kleine Löcher hat und so dem Eiter einen
beständigen Ausfluss ermöglicht. Verstopft sich dessen vordere Mündung
durch vertrocknetes Product, so muss mit einer zarten Sonde die Durch-
gängigkeit wieder hergestellt werden.
Wuchern die Granulationen gar zu üppig über die Oberfläche der Bindehaut
hervor, so sind selbe durch Betupfung mit Opiumtinctur niederzuhalten und nöthi-
genfalls mit der Schere abzutragen.
Bleibt nach Verschluss der Oeönung der Bidhus noch etwas vorgedrängt und
zögert das Oedem der Conjunctiva mit der Rückbildung, so ist ein Druckverband
anzulegen und durch einige Zeit zu tragen. Er führt meistens rasch zu dem ge-
wünschten Ziele.
Zeigt sich im Verlaufe des Leidens der Bulbus überaus hart und
gespannt, oder entwickelt sich ein Hypopyon, so ist die Paracentesis corneae
dringend geboten und nöthigenfalls auch zu wiederholen. Hat sich Eiter
im hinteren Augenraume angesammelt, so ist es um den Bulbus geschehen,
doch versäume man nicht, den Eiter so bald als möglich durch einen Ein-
stich in die Sclera zu entleeren, um die Qualen des Kranken zu mildern
und zu retten, was zu retten ist.
Versuche, SteUungsanomalien des Augapfels und der Lider, wie sie öfters durch
die Zusauimenziehung der Narben bedingt werden, durch Verbände u. s. w. zu
verhindern, bleiben fast immer fruclitlos. Wo die Verhältnisse die Möglichkeit
eines günstigen Erfolges zulassen, darf man derartige Versuche natürlich nicht
vernaclilässijjen.
Die Kegeln für die Behandlung, welche Affectionen des Gehirnes erheischen,
gibt die specielle Therapie.
Quellen: Mackenzie, Traite d. mal. d. yeux. Traduit p. Warlomont et Testelin.
I. Paris. 1856. S. 2 u. f. , 168, 171, 441, 443. — Himly, Krankheiten u. Missbil-
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des Auges. III. Prag. 1856. S. 425. — Fischer, Lehrb. der ges. Entzündungen.
Prag. 1846. S. 359. — Stellwag, Ophth. II. 1257, 1261, 1263, 1333. Nota 261 u. f.
— Leyden, Virchow's Archiv. 29. Bd. S. 199. — Graefe, kl. Monatbl. 1863. S. 49,
Periostitis orbitae ; Krankheitsbild ; Verlauf; Acute, ciironische Farm. 597
50, 53, 56, 58, 59; Virchow's Jahresber. 1868. II. S. 510. — Berlin, ibid. 1866.
S. 77. — Tetzer, Bydel, Wien. med. Jahrb. 1866. 4. S. 75, 77. — 0. Becker, Wien,
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Mooren, Ophth. Beitr. S. 26. — Biermann, klin. Monatbl. 1869. S. 71. — Knapp,
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140. Bd. S. 203. — Oettinger, Schmidt's Jahrl). 133. Bd. S. 328. — Zander,
Geissler, Verletzungen d. Auges. 1864. S. 219, 291, 335, 399.
3. Periostitis mit Caries und Nekrosis der Orbital-
knoclienwan düngen.
Krankheitsbild und Verlauf. Im ersten Beginne macht die Krank-
heit meistens ganz den Kindruck eines einfachen Abscesses und lässt sich
davon oft platterdings nicht mit Gewissheit unterscheiden, bis sich der
Eiter entleert hat und durch den solchermassen entstandenen geschwürigen
Hohlgang eine Sonde eingeführt werden kann. Doch pflegen gleich von
vorneherein lebhaftere Schmerzen zu bestehen, welche oft weithin ausstrahlen
und in der Regel durch Druck sowie durch Klopfen auf den knöchernen
Orbitalrand sehr autfällig gesteigert werden. Auch nehmen die über-
lagernden Theile der Bindehaut und der äusseren Haut gewöhnlich später
Antheil an der Entzündung. Ausserdem wird bei tieferem Sitze des
Leidens, und wenn nicht gerade die Spitze der Pyramide das Herdcentrum
abgibt, der Augapfel nicht so gleichmässig von der Geschwulst umgeben
und nach vorne getrieben, wie beim einfachen Orbitalabscesse, sondern
je nach der Oertlichkeit der erkrankten Wandpartie vorwiegend bald
nach dieser bald nach jener Seite gedrängt und in seinen Bewegungen
gehemmt.
Der Process entwickelt sich öfters in acuter Form, unter lebhaftem
Fieber und intensiven Entzündungserscheinungen, welche sich rasch zu steigern
pflegen, bis die Eiterung im Gange ist und der Durchbruch sich allmälig
vorbereitet.
In anderen Fällen ist die Intensität des Processes gleich von vorne-
herein eine massige. Derselbe entwickelt sich dann weniger rapid oder
neigt gar zum subacuten Verlaufe, indem Wochen vergehen können, ehe es
zum eitrigen Durchbruche kömmt. Das Fieber fehlt gänzlich oder macht
sich nur zeitweise bemerkbar. Die entzündliche Geschwulst der Weich-
theile trägt mehr den Charakter des einfachen Oedems. Die Schmerzen
jedoch sind meistens ziemlich bedeutend. Sie treten mitunter, z. B. bei
syphilitischer Grundlage, nur periodisch, zu gewissen Tageszeiten auf; in
der Regel aber sind sie continuirlich und schwanken zwischen Exacerbationen
und Remissionen. Sie werden gewöhnlich als spannend oder reissend
bezeichnet. Ist der knöcherne Augenhöhlenrand oder dessen nächste Umgebung
ergriffen, so kann man bisweilen die Avftreibung des Knochens oder die
Abhebung der Beinhaut, letztere durch das Auftreten eines undeutlich
fluctuirenden härtlichen Tumors, nachweisen.
Sehr häufig endlich entwickelt sich das Knochenleiden überaus lang-
sam und schleichend unter so unmerklichen Erscheinungen, dass es lange Zeit
ganz unbeachtet bleiben kann, bis endlich nach Wochen oder Monaten der
598 Periostitis orbitae; KraiikheitsbUd ; Durchbiuch; Ilohlgescliwür ; Caries; Nekrosis.
Process einen Aufschwung nimmt und der Eiter zum Durchbruche gelangt.
Besonders bei tiefem Sitze des Herdes wird die Krankheit oft übersehen,
da objective Symptome fast ganz fehlen und höchstens ein von Zeit zu
Zeit exacerbirender Schmerz, welcher übrigens durch Druck auf den Orbital-
rand nicht immer wesentlich gesteigert oder hervorgerufen wird, auf die
vorhandene Störung hindeutet. Bei mehr oberflächlicher Lage des erkrankten
Knocheustückes ist jedoch die merkliche Verdickung des Knochens oder die
blasige Hervorbauchung der Beinhaut auffällig genug, um diagnostische
Irrthümer zu verhindern.
Der Durchbruch erfolgt in der Eegel nach aussen durch die Bindehaut
oder die Lidhaut, ersteres, wenn der Eiterherd hinter der Fascia tarso-
orbitalis gelegen ist, letzteres, wenn der Knochenra?id den Sitz des Leidens
abgibt. Meistens bildet sich nur Ein Hohlgang , selten bohrt sich der
Eiter an mehreren von einander entfernten Stellen eine Bahn. Ausnahms-
weise kömmt es indessen wohl auch vor, dass nach partieller Zerstörung
der Wandknochen der Abscess sich in die Nasen-, Stirn- oder Highmors-
höhle entleert, oder dass er in die Schädelhöhle sich ergiesst.
Der Eiter, welcher sich durch den Hohlgang entleert, ist gemeiniglich
von übler Beschaffenheit, schwärzt silberne Sonden oder zeigt wohl gar
schon durch Missfärbigkeit iind Gestank seine fortgeschrittene Zersetzung.
Erst wenn das Knochenübel seiner Heilung zuschreitet, wird er dicker und
gutartiger. Dem entsprechend tragen denn auch die Wandungen der Eiter-
höhle und des Hohlganges ganz den Charakter einer wahren Verschwärung,
was sich besonders an der Mündung der Cloake offenbart, welche meistens
in grösserem oder geringerem Umfange von geschwelltem 'aber schlaffen,
mit einem Stiche ins Blaue oder Braune tief gerötheten, nicht selten granu-
lirenden Gefüge umgeben erscheint.
Eine durch den Hohlgang eingeführte Sonde lässt dann leicht die
Rauhigkeit des betreffenden Knochenstückes , so wie etwa bereits auf-
geschossene Granulationen durch das Gefühl wahrnehmen. Selten nur findet
man gleich anfänglich ein Knochenstück lose und verschiebbar, da die
Abstossung nekrosirter Splitter gewöhnlich längere Zeit in Ansprucli nimmt.
Ausnahmsweise gelangt man mittelst der Sonde durch eine von rauhem
Knochengefüge umgrenzte Oeffnung in eine nachbarliche Höhle; doch
geschieht dieses sehr selten, da eben die Caries und Nekrose meistens nur
oberflächlich sind.
Der Hohlgang schliesst sich dauernd erst dann , wenn die Caries
wirklich getilgt oder das etwa abgestoi'bene Knochenstück ausgestossen ist.
Erfolgt die Schliessung früher, sei es durch üppig wuchernde Granulationen
oder durch förmliche Narbenbildung, so sammelt sich der Eiter in der Tiefe
und der Process wiederholt sich, wobei gewöhnlich die eitrige Zerstörung
der Weichtheile sowohl als auch des Knochens eine bedauerliche Aus-
breitung gewinnt. Sehr häufig vergehen viele Monate und selbst Jalu'e,
ehe der Process seinen Abschluss findet.
Ursachen. Primär entwickelt sich die Krankheit nicht gar selten in
Folge von Erschütterungen und Verletzungen der Augenhöhlenwände, wobei
wohl zu merken ist, dass öfters Wochen und Monate vergehen, ehe sie
sich durch äussere Erscheinungen zu erkennen gibt. In neuerer Zeit ist
sie öfters auch durch unvorsichtiges Gebahren bei Verödung des Thränen-
Ursachen; Dyscrasien; Ausgänge; Dislocatiou der Lider. 509
sackes hervorgerufen worden. Ausserdem stellt sie manchmal einen Localherd
der allgemeinen Syphilis dar und A'erläufl dann gewöhnlieh suhacut. Auch
die Mercitrialdi/scrasie und Gicht wvrdvn als pathogenetisclu^ Momente
betrachtet. Am häufigsten jedoch liegt der Caries und Neki-ose ScropJiulosis
zu Grunde, daher sich dieselbe denn auch in eiiiem überaus grossen pro-
centarischen Vei'hältuisso bei elenden, schlecht genährten Kindern findet.
Sie tritt dann oft an einer grossen Anzahl, von Knoclien gleichzeitig oder in
kurzen Zwischenpausen auf und zeichnet sich meistens durch ausserordent-
liche Torpidität und überaus schleppenden Verlauf aus. Ihr Licblingssitz
ist der knöcherne Orbitalrand und besonders dessen äussere untere Partie.
Oft fehlt wohl auch jede nachweisbare Veranlassung, der Process entwickelt
sich scheinbar spontan in sonst völlig gesunden Individuen.
Secundär kömmt es zur Caries und Nekrose manchmal im Ge-
folge von Orbitalabscessen , von Dacryocystitio phlegmonosa, mitunter auch
nach Erysipelas faciei und durch Embolie. In einzelnen Fällen werden die
Orbitalknochcnwandungen durch Fortpflanzung des Processes von den
umgebenden Thcilen des Gesichtsskeletes in den Process verwickelt. Auch
Geschwülste, welche sich in den nachbarlichen Höhlen entwickeln und deren
Wandungen aus einander treiben , werden nicht selten Veranlassung der
Caries und Nekrose. Endlich ist noch die Meningitis suppurativa und der
Gehirnabscess als mögliches pathogenetisches Moment zu erwähnen. In
der That weisen nicht wenige Erfahrungen darauf hin, dass primär in der
Schädelhöhle auftretende Eiterherde durch cariöse oder nekrotische Zer-
störung der Orbitaldecke sich einen Weg nach aussen bahnen und dadurch
zur Heilung gelangen können.
Ausgänge. In der Regel endet der Process mit Heilung , nachdem
der cariöse Knochentheil seine Eauhigkeit verloren und eine etwa lebens-
unfähig gewordene nekrosirte Partie sich abgestossen hat, was meistens
ganz allmälig in kleinen, oft mikroskopischen Splittern, selten in grösseren
Fragmenten geschieht. Es entwickeln sich dann au der früher rauhen
Stelle oder am Rande der Knochenlücke Gramdationen, der aus dem Hohl-
gange abfliessende Eiter wird sparsamer und gewinnt ein besseres Aus-
sehen, die Cloake selbst wird enger, die Umgebung ihrer äusseren Mündung
wird blässer und zeigt eine hellere Nuance von Roth ; endlich schliesst sich
die Cloake, um nicht mehr aufziibrechen.
Bisweilen wird auf diese Weise die Heilung vollendet , ohne dass
erhebliche Schäden afts dem Processe resultiren. Viel häufiger indessen
führt die Narbenbildung zu höchst bedauerlichen ständigen Folgeübeln, welche
an und für sich die Function des Auges und selbst den Bestand des-
selben in Frage stellen können. Es hängt dieses natürlich zum grossen
Theile von der Oertlichkeit des Krankheitsherdes und von dessen Aus-
breitung ab.
Am häufigsten kömmt die Caries und Nekrose am Augenhöhlenrande
vor und zerstört kleinere oder grössere Portionen der Randleiste, was sich
zum Theile daraus erklärt, dass diese Partie am meisten der Verletzung
ausgesetzt ist und dass bei disponirten Individuen, in specie bei scrophu-
lösen Kindern, schon anscheinend ganz geringfügige Traumen hinreichen,
um Entzündungen üblen Charakters im Knochen hervorzui'ufen. Das
Resultat ist eine tiefe trichterförmige narbige Einziehung der äusseren Haut,
600 Periostitis orbitae; Ausgänge; Ectropium; Mitleidenschaft des Bulbus und Sehnerven.
welche in den meisten Fällen ein mehr weniger hochgradiges Ectropium
mit sich bringt (S. 538, c.).
Auch im vorderen Drittheile der Orhitalwände wird der Process ziemlich
oft beobachtet. Bei scrophulösen Kindern ist vornehmlich die Thränen-
drüsengrube ausgesetzt. Die Folge davon ist meistens narbige Uinstülpung
des oberen Lides oder ein durch Verkürzung der äusseren Lidhaut bedingter
Lagophthalmus. Es verschwärt unter solchen Verhältnissen nämlich ganz
gewöhnlich die äussere Decke rings um die Mündung der Cloake und zieht
sich weiterhin unter narbiger Schrumpfung sehr bedeutend zusammen,
während gleichzeitig die der Knochenoberfläche entsprossenen Granulationen
und das die Abscesshöhle sowie die Cloake umgebende wuchernde Gefüge
sich in dichtes Narbengefüge umwandeln, welches sich mehr und mehr con-
trahirt und so die Lidnarbe oft fast unmittelbar an die Knochennarbe her-
anzieht. Ist die innere Partie der vorderen Waudportion der Sitz des
Leidens, so wird meistens der Thränensack in den Process einbezogen und
geschädigt.
Minder häufig kömmt die Caries und Nekrose an den hinteren
Portionen der Orbitalwände vor. Es sind dieses die schlimmsten Fälle.
Das Knochenleiden führt dann nämlich immer zu sehr ausgebreiteten Ver-
eiterungen des Orbitalzellgewebes und deren Folgen. Mcht selten wird der
Sehnerve ergriffen und durch Entzündung functionsuntüchtig gemacht, oder
durch die Aufschwellung des Knochens und Hervortreibuug der Periorbita
im Foramen opticum zusammengedrückt und zur Atrophie gebracht {Homer).
tJeberdies Hegt unter solchen Verhältnissen der lethale Ausgang nicht gar
ferne. Es ist nämlich die massenhafte und durch lange Zeit anhaltende
Eiteraussonderung an und für sich genügend, um ohnehin schon sehr her-
abgekommene schwächliche Lidividuen völlig zu erschöpfen. Sind die
Augenhöhlenwandungen vielleicht gar nur secundär, z. B. durch eine weiter
und weiter fortschreitende Ozäna, in Mitleidenschaft gezogen worden, oder
hat sich, wie dieses besonders bei syphilitischem Grundleiden bisweilen
geschieht, eine anfänglich engumgrenzte Caries der Orbitalwandungen
allmälig über grosse Theile des Gesichtsskeletes ausgebreitet, so unterliegen
am Ende wohl auch kräftige Leute. Abgesehen hiervon ist die Nähe des
Gehirnes von grösstem Belange. Bei Caries und Nekrose des Orbitaldaches
leiden früher oder später immer die Meninges und wohl gar das Gehirn
mit und verrathen dieses gewöhnlich auch durch ganz auffällige Sj^mptome.
In manchen Fällen wird hierdurch schon sehr frühzeitig der Tod herbei-
geführt. Bisweilen erfolgt derselbe urplötzlich unter apoplectischen Er-
scheinungen, indem der orbitale Eiterherd durch die cariöse oder nekro-
tische Lücke des Augenhöhlendaches in die Schädelhöhle perforirt. Häufig
tritt der Tod jedoch erst spät und nach langem Leiden ein. Es ist über-
haupt ganz merkwürdig, was der Organismus in dieser Beziehung ver-
tragen kann. Es sind nicht wenige Fälle bekannt, in welchen die orbi-
tale Abscesshöhle durch eine solche cariöse, oder einfach in Folge von
Usur entstandene Knochenlücke mit nuss- bis hühnereigrossen Gehirn-
abscessen im Zusammenhange stand, so dass letztere in der nach aussen
führenden Cloake ihren Abzugskanal hatten. Derartige Gehirnabscesse
bestanden Monate und Jahre ohne sonderlich auffallende, darauf hinweisende
Symptome und gelangten am Ende wohl gar zu dauernder Heilung durch
Narbenbildung.
Behandlung; Antiphlogosis ; Eröffnung; Drainage. 601
Behandlung. Wie bei Caries und Neki'osis an anderen Theilen des
Skeletes zielt die erste Indication auf TUguncj oder thnnlichste Beschränkung
des entzündlichen Gewebswucherungsprocesses. Die zweite Sorge ist auf mäylichst
rasche Entleerung des etwa schon angesammelten Eiters und auf Erhaltung
eines freien Abflusses, so wie auf Begünstigung der Aiisstossung abgestorbener
Knochentheile zu richten. Endlich hat die Therapie auch noch Einfluss
zu nehmen auf den Vemarbungsprocess , um wo möglich die darin begrün-
deten misslichen Folgen auf ein Kleinstes zu reduciren.
1. Die Causalindication tritt besonders drängend bei dyscratischem
Grundleiden hervor und fordert häufig eine energische allgemeine Behand-
lung. Ohne diese ist bei syphilitischer oder scrophulöser Basis in der That
wenig oder nichts zu erwarten. Aber auch dann , wenn in Folge des
Knochenleidens der gesammte Organismus hart mitgenommen worden ist,
kann eine entsprechende allgemeine Behandlung nicht entbehrt werden,
indem missliche Vegetationsverhältnisse des ganzen Körpers höchst ungünstig
auf das Localleiden zurückwirken. Es versteht sich von selbst, dass dort,
wo die Caries oder Nekrose der Augenhöhlenwandungen ein secundäres
Leiden ist, der primären Affection die gebührende therapeutische Beachtung
gezollt werden müsse.
2. Die directe Behandlung ßilU mit der des Orbitalabscesses nahe
zusammen. Im ersten Stadium ist die Antiphlogose je nach Massgabe der
Intensität des Processes mehr minder streng zu handhaben. Bei sehr
chronisch einhergehenden Processen ist allerdings die locale Antiphlogose
von geringem Erfolge und muss sich meisthin auf die in ihrer Wirkung
sehr problematischen Einreibungen von Mercurialsalben , auf Anlegung eines
Wattaverbandes u. dgl. beschränken. Doch sind derlei Processe meistens
dyscratischer Natur, und gelingt es, das Grundleiden zu heben, so sind locale,
auf Antiphlogose zielende Eingriffe in der Regel ganz entbehrlich.
3. Sobald sich die Bildung eines Eiterherdes verräth, muss sogleich zur
Eröffnung geschritten werden. Die Regeln hierfür sind S. 595 angegeben
worden. Zeigt sich dabei die Beinhaut stark verdickt oder gar blasig vom
Eiter emporgehoben, so ist es von grösster Wichtigkeit, dieselbe bis auf
den Knochen zu spalten, um einerseits die Spannung zu beheben, ander-
seits aber auch um die weitere Ablösung des Periostes vom Knochen zu
verliindern. Bei mehr oberflächlichem Sitze des Entzündungsherdes unterliegt
dieses keinerlei Schwierigkeiten. Bei tiefer Lage des Herdes ist es öfters
iiicht ausführbar. Da ist es aber auch selten möglich, den fraglichen Zu-
stand mit Sicherheit zu erkennen, daher gewöhnlich der spontane Durch-
bruch abgewartet wird.
4. Hat sich der Eiterherd nach aussen entleert, so muss die Schliessung
der Cloake gehindert werden , was durch Einführung mit Fett bestrichener
Charpiewieken oder besser durchlöcherter feiner Kautschukröhren, deren
Lichtungen mit Sorgfalt offen zu erhalten sind, geschieht. Nicht zu ver-
nachlässigen sind hierbei öftere Sondirungen, um den Zustand des erkrank-
ten Knochens zu prüfen und etwa bereits abgestossene, in der Cloake liegende
Knochensplitter bald zu entdecken und mit der Pincette nach aussen zu
fördern. Manche greifen bei oberflächlicher Lage des Herdes wohl auch
zu eigens construirten zarten Trepanen (Demarquay). Nimmt der Process
einen sehr schleppenden Verlauf, fehlen alle Reizsymptome, entleert sich
602 Krankhafte Geschwülste ; Gut- und bösartige.
ein dünnflüssiger Eiter, so kann wohl auch durch Bestreichung der Charpie-
wieke mit reizenden Salben, durch Aetzungen mit Höllenstein und, bei ober-
flächlicher Lage des afficirten Kuochentheiles, durch Anwendung des Glüh-
eisens der Abschluss des Processes gefördert werden. Uebermässig touchernde
Granulafioneti sind immer durch Höllenstein oder Opiumtinctur niederzu-
halten. Erst wenn der Knochen jede Rauhigkeit verloren hat und alles
nekrotische abgestossen ist, ausserdem aber auch nur sehr wenig gutartiger
Eiter ausgeschieden wird, darf die Cloake zur Heilmig geführt werden.
5. Um Verkürzungen der Lidhaut und Ectropien zu verhindern, dürfte
bei Caries und IS^eki'osis des Orbitab'anrfes die Tarsoraphie erspriessliche
Dienste leisten. Bei tieferem Sitze des Knochenleidens sind alle Versuche
vergeblich, welche gemacht werden könnten, um den aus der Narbeu-
bildung direct resultirenden Schäden wirksam entgegenzutreten.
Quellen: Mackenzie, Traite d. mal. d. yeux. Traduit p. Warlomont et Testelin.
I. Paris. 1856. S. 37, 40—53. — Stellwag, Ophth. II. S. 1343. Nota 301. — Oraefe,
A. f. O. I. 1. S. 430, 433; IV. 2. S. 162; kl. Miitbl. 1863. S. 50. — Ho^mer, kl.
Mutbl. 1863. S. 71, 74—77. — Heymann, A. f. O. VII. 1. S. 144. — Pagen-
stecher und Sämisch, kl. Beobachtungen. I. Wiesbaden. 1861. S. 75. — Demarquay,
Centralbl. 1868. S. 862. — Hulke, Lancet. 1867. II. S. 395.
ZWEITES HAUPTSTÜCK.
Die krankhaften Geschwülste.
Nosologie, Krankheitsbild und Verlauf. Es kommen in dem
Augapfel sowie in seinen Hilfs- und Schutzorganen krankhafte Geschwülste
der mannigfaltigsten Art vor. Manche trifft man hier sehr selten, manche
werden häufiger beobachtet. Gewisse finden sich nur in bestimmten Organen ;
andere können hier und da und wohl auch in jedem beliebigen gefäss-
hältigen Theile ihre Wurzel schlagen.
Man pflegte sie früher in gutartige und bösartige zu. scheiden und
bezeichnete mit letzterem Namen solche, welche bei mehr oder weniger
raschem Wachsthumc sich auf Gewebe der verschiedensten Art ausbreiten
und diese zerstören, auch gerne durch Vermittelung der Lymph- und Blut-
bahnen weiter schreiten, in Organen der diiferentesten Systeme neue Herde
bilden, daher schwer zu beseitigen sind, in der Regel recidiviren und am
Ende sogar allgemein werden, einen constitutionellen Habitus annehmen.
Es haften diese Eigenschaften jedoch nicht an bestimmten specifischen
Elementen, so dass aus dem Vorhandensein oder Fehlen derselben auf den
gut- oder bösartigen Charakter einer Geschwulst geschlossen werden könnte.
Vielmehr wiederholen sich an dem Gefüge der mannigfaltigsten Geschwulst-
arten nur die Typen normaler Gebilde, des Epithels, der Muskelzelle, des
Bindegewebes in seinen verschiedenen Modificationen, des Knorpels, Knochens
lloiiKilogc, hctcroloffc TuiiioR'ii ; KinUiciliiiij,' : (Vmiodo; Milhini, 603
u. s. w. Ueberhaupt sind nicht sowohl die Formelemente an sich das über
die Gut- und liösartigkeit onlscheidciidc, sondern deren j^rössere oder
gerinj^ere Uehereinstimmuny mit den Matterzellen, aus welchen sie hervor-
gingen. Dieselben Elemente haben eine verschiedene prognostische Bedeutung,
je nachdem sie diesem oder jenem Gefüge entsprossen sind, je nachdem sie
also homolog oder heterolog erscheinen. Sie sind geradezu bedenklich, wenn
sie sich weit von dem Typus des Muttergewebes entfernen oder gar aus der
histologischen Reihe desselben heraustreten, z. B. im Bindegewebe oder
Knorpel den epithelialen Charakter annehmen. Ihre Bösartigkeit luächst,
wenn sie sehr saftig sind und zumal wt'nu sie reichliche Mengen eines
ausdrückbaren Saftes in die Intercellularsubstanz abscheiden ; oder wenn
sie sehr vergänglich sind, rasch zerfallen und durch üppige Wucherung
immer wieder regenerirt werden; oder endlich wenn der Boden, auf welchem
sie sich entwickeln, von Lymph- und Blutgefässen dicht durchwebt ist. In
dem Masse nämlich, als der Gehalt einer Geschwulst an Saft oder recre-
mentitiellcn Bestandtheilen und an Lymph- und Bhitgefässen zunimmt,
wachsen auch die Bedingungen für die Aufnahme krankhafter Stoffe ins
Blut und für deren Verführung durch den ganzen Körper. Die nächste
Folge sind dann lleizzustände in den verschiedensten disponirten Organen,
die Ausbildung neuer Herde an den mannigfaltigsten Orten und schliesslich
nicht selten auch die Uebersättigung des Blutes mit fremdartigem Materialc,
das Sinken des gesammten Ernährungszustandes, das Hervortreten der
Cachexie (Virchow).
Eine durchgreifende Eintheilung der Geschwülste lässt sich nur von
dem anatomisch genetischen Standpunkte aus durchführen. Wird dieser ins
Auge gefasst, so sondern sich vorerst drei Hauptgruppen, welchen man
allenfalls die durch Blasenwürmer bedingten Tumoren als vierte anreihen
kann. Die erste derselben umfasst Geschwülste, welche durch Ansammlung
von Blut oder von unmittelbar aus dem Blute stammenden Stoffen in natür-
lichen oder auf mechanischem Wege neu geschaffenen Räumen zu Stande
gekommen sind, die Extravasat-, Transsudat- und Exsudatgeschwülste. Die
zweite begreift Tumoren, welche der Anhäufung wirklicher Secretstoff'e in be-
stehenden Höhlen ihren Ursprung verdanken, Retentions-, Dilatationsgeschwülste.
Die dritte Gruppe endlich wird von den Gewächsen, den eigentlichen
Aftergebilden oder Pseudoplasmen dargestellt, welche unmittelbar aus dem
Gefüge der Organe herauswachsen, ihre Quelle in wirklich formativen Pro-
cessen, in einer wahren Gewebswucherung finden (VirchowJ.
A. Geschwülste der ersten Ordnung sind auf oculistischem Gebiete sehr
seltene Vorkommnisse.
Ausser manchen in der Tiefe der Orbita beobachteten Cysten gehören jene
orhitalen (S. 583) und subchorioidalen (S. 323) Tumoren hierher, welche sich aus
Blutergüssen durch Eindickung und durch theilweise Organisation dei Gerinnsel bilden.
B. Die zweite Gruppe ist, entsprechend dem Rcichthume der Augen-
gegend an drüsigen Organen, sehr stark vertreten.
1. Die Liddecke und die nachbarlichen Theile der Gesichtshaut finden sich
häufig dicht besäet von Comedonen und Miliumknoten. Ausnahmsweise erreichen die
letzteren Hirsekoi-ngrösse und darüber, indem die Secretionszellen der Schmeer-
bälge verhornen und sich schichtweise übereinander lagern. Es entstehen so knorpel-
harte weissgelbliche runde Knoten, welche stark hervorspringen und viele Aehnlich-
keit mit den Perlgeschwülsten haben. In früheren Zeiten scheint man sie theilweise
als Lithiasis {Himly) oder, nach einem alten Wachspräparate zu urtheilen, als
604 Tumoren ; Perlgeschwulst ; Balggescilwulst ; Encanthis ; Cysten ; ScUeimpolypen.
Gh^ando beschrieben zu haben. In einem Falle war der freie Rand beider Lider
des linken Auges in einer etwa 2'" breiten Zone ganz bedeckt von solchen Knoten,
so dass er das Ansehen einer durchschnittenen Feige darbot. Stellenweise häuften
sich die Geschwülste zu beerentraubenähnlichen grösseren Klumpen. An der Ober-
fläche der meisten Knoten war ein Nabel deutlich zu unterscheiden. Die Wivipe7-7i
waren gut erhalten und wuchsen neben und zwischen den Knoten heraus. Am
unteren Lide waren mehrere 7-andständige Hordeola zu sehen. Die ganze Gesichts-
haut zeigte sich durchwegs reichlich besetzt mit ähnlichen Geschwülsten und Milien,
mit Comedonen und zahllosen Acnepiisteln.
Manchmal stösst man in dem fraglichen Bezirke, zumal in der Brauengegend,
auf Kalkcysten von beträchtlicher Grösse. Sie enthalten in einem Gerüste von
organischer Substanz kohlensauren Kalk und Magnesia. Sie sind knochenhart und
adhäriren gewöhnlich blos nach hinten an einer Stelle (Sichel). Viel gewöhnlicher
sind Balggeschwülste im engeren Wortsinne mit fettig griesigem oder sulzigera, auch
wohl honigartigem Inhalte (Atherom, Meliceris). Aus ihrer Innenwand wachsen bis-
weilen Haare (Himly, Kerst, Stavenhagen). Ausnahmsweise erreichen sie ganz be-
deutende Grössen, dringen tief in die Orbita hinein (Schwarz, Testelin) und können
Exophthalmus bedingen. Wenn sie in der Thräjiensackgegend sich entwickeln, können
sie leicht eine Dacryocystoblennorrhoe vortäuschen (Himly, Hasner). Manches
Molluscum, welches an den Lidern beobachtet wurde (Mackenzie), mag eine modificirte
Balggeschwulst gewesen sein. Auch die Hagelkörner lassen sich in gewisser Beziehung
als Kystome betrachten.
2. In der an Schmeerdrüsen sehr reichen Carunkel werden acneähnliche Pro-
cesse gleichfalls beobachtet. Sie treten bald spontan (Mackenzie) , bald in Folge
mechanischer Reizung durch eingedrungene fremde Körper, eingebogene Wimpern
oder steife verkrümmte Carunkelhaare (Himly) auf. Gewöhnlich ist Verschwärung
einzelner oder vieler Schmeerdrüsen der Ausgang. Mitunter jedoch führt die Secret-
stockung zu entzündlicher Hypertrophie des Stroma, die Carunkel schwillt zu einem
ansehnlichen Tumor auf, an dessen Oberfläche dann die gefüllten Follikel als gelb-
liche rundliche Knoten hervortreten oder wenigstens durchscheinen (Himly, Graefe).
Ihr Inhalt dickt sich gerne zu einer fettig griesigen atheromatosen Masse ein
(Benedikt, Weller); seltener bilden sich darin grössere Concremente (Encanthis
calculosaj, welche ausnahmsweise einen ziemlich bedeutenden Umfang erreichen
(Blasius, Sandifort, Schmucker, Riheri). Hier und da wird die Carunkel in Folge
üppiger Wucherung des Stroma zu einem schwammähnlichen mächtigen Tumor auf-
getrieben (Encanthis fungosa), granalirt förmlich und bildet fleischwärzchenähnliche
Auswüchse. Wahrscheinlich sind auch manche der Schleimpolypen (Mackenzie) und
Cysten (Riheri, Quadri), welche auf der Carunkel gesehen worden sind, als Reten-
tionsgeschwülste aufzufassen.
3. Die Drüsen der Bindehaut und des Thr-änenschlauches sind in analoger
Weise der Ausdehnung durch angehäuftes Secret unterworfen. Der Tumor ent-
wickelt sich bisweilen unter der Gestalt eines Schleimpolypen. Viel häufiger jedoch
trägt er den Charakter einer Cyste. Man findet diese gelegentlich an den verschie-
densten Stellen des Conjunctivalsackes als hirse- bis erbsen- oder bohnengrosse
dünnwandige und steil aus der Oberfläche der Membran hervortretende Blasen mit
wasserhellem serösen Inhalte. Wird der überaus verdünnte mucose Ueberzug der-
selben durchschnitten, so rollt die Cyste oft von selbst heraus, sie hängt nur lose
mit dem umgebenden Gefüge zusammen. In anderen Fällen erreichen derlei Cysten
ein ganz bedeutendes Voluvien, werden hühnereigross und darüber. Sie wachsen
dann gerne in die Augenhöhle hinein und begründen einen Exophthalmus. Ihre
Wandungen pflegen unter solchen Umständen sehr dick, apo7ieurosenartig zu sein
und nur locker an dem zu einem mächtigen sehnigen Balge verdichteten orbitalen
Bindegewebe zu haften. Ihr Inhalt ist meistens flüssig, serumähnlich, öfters gelblich
oder bräunlich gefärbt, seltener haemorrhagisch, ausnahmsweise milchartig oder
sulzig. Sie sitzen mitunter nach aussen oder oben (Bourdillat), am häufigsten aber
nach innen vom Bulbus und zerstören dann im Laufe der Jahre nicht selten
die Siehplatte, bohren sich so in die Nasenhöhle hinein und breiten sich darin aus
(Schuh, Ressel, Caratheodori, Fano). In einem Falle war eine solche Cyste durch
das Sehloch in die Schädelhöhle gedrungen und hatte durch Druck auf das Gehirn
eingewirkt (Delpech).
i. Die Schleimpolypen und Cysten, welche in der Nasen-, Stirn- und Kieferhöhle
auftreten und manchmal zu ganz erstaunlichen Grössen gedeihen, so dass die Orbita
Cysten der Iris ; Histoide, organoide, teratoide Gewächse ; Combiiiationsgeschwulste. 605
und selbst die Schädelhölile unter Verdrängung der betreffenden Kuochenwandungen
beengt werden fAIackenzieJ, stammen erwiesener Massen zum guten Tlieile von den
Dfüsen des seh leim häutigen Ueherzuges, sind ursprünglich durch Anhäufung von
Secretstoflfen begründet worden (Virchow). Sie sind gleich den Orbitalcysten öfters
mehrßicherig.
5. Zu den Dilatationsgeschwülsten sind weiters streng genommen auch die
mit blennorrlioischer Entzündung des Schlauches gepaarte Ecta.ne des Thr'dnensackes
und vornehmlich der sogenannte Hgdrojjs sacci lacryinalli (S. 565), so wie der
Dacryops (S. 553) und endlich die Wasserblase der Tliräneiidrüse (Ad. Schmidt, Beer)
zu zählen. Letztere wird indessen von Manchen auf einen Blasenwurm bezogen
(Himly). Sie entwickelt sich bald rasch, bald mehr chronisch, verursacht einen sehr
starken Exophthalmus und kann durch Verdrängung des Orbitaldaches aucli einen
Druck auf das Gehirn ausüben, ja selbst apoplektische Erscheinungen im Gefolge
haben. Mitunter vereitert sie und der Ausgang ist Heilung oder die Bildung einer
Fistel.
6. Erwähnung verdienen überdies die Cysten der Iris, obgleich deren Zurück-
führung auf P"'altung und Absackung eines Regenbogenhautabschnittes (Weckei-) für
die grösste Mehrzahl der Fälle kaum zutreffend sein dürfte und die fraglichen
Gebilde höchst wahrscheinlich mit Retentionsgeschwülsten sehr wenig gemein haben.
Nach den vorhandenen Zusammenstellungen (Hulke, Wecker) führen sie in der
Regel einen serumähnlichen Inhalt , ausnahmsweise jedoch auch einen fettig
grumösen, ja selbst Haare (Graefe). Ihre Höhlung ist von Epithel überkleidet und
ihre Wandung steht in unmittelbarer Verbindung mit dem Irisgewebe, oder ist
vielmehr nichts Anderes, als rareficirtes Irisgewebe selber. Es sitzen derlei Cysten
am häufigsten im unteren Theile der Iris und erreichen bisweilen sehr beträchtliche
Grössen , so dass sie den Kammerraum fast vollständig erfüllen. In fast zwei
Dritteln der Fälle sind sie auf Traumen, namentlich auf perforirende Hornhautver-
letzungen zurückführbar gewesen (HidkeJ.
In einem Falle wurde eine angeborene Cyste mit klarem serösen Inhalte im
vorderen unteren Theile der Sclerotica. sitzend gefunden und auf eine Ausweitung
des Schlemm'schen Kanales bezogen (Waldhauer).
C. Die eigentlichen Gewächse, welche am Auge und seinen Hilfs-
organen vorkommen , sind bald histoide, aus einem einfachen Gewebe zu-
sammengesetzte und erweisen sich dann oft als blosse Hyperplasien irgend
eines histologischen Bestandtheiles ; bald sind sie organoide, es concurriren
bei ihrer Bildung mehrere Gewebsarten, welche nicht selten eine bestimmte
typische Anordnung zeigen und so dem Tumor Aehnlichkeit mit gewissen
Organen geben ; bald endlich treten mehrere Organe zusammen und ent-
sprechen in ihrer Vereinigung einem ganzen Systeme des Körpers (teratoide
Tumoren). Dazu kommen noch die Combinationsgeschwülste, in welchen
mehrere Geschwulstformen sich mit einander vereinigt haben.
Die Comhinationsfähigkeit der Geschwülste ist eine überaus grosse, und
zwar combiniren sich nicht blos die mannigfaltigsten Aftergehlide unter
einander, sondern Tumoren aller drei erwähnten Havptgruppen. In der That
geschieht es bisweilen, dass in einem vorhandenen Aftergebilde durch
Extravasat, Transsudat und Exsudat Höhkingen gebildet werden , um
welche herum das verdrängte und entzündlich gereizte Gefüge zu einer
Art Balg sich verdichtet und der Geschwulst einen cystoiden Charakter
aufprägt. Andererseits stösst man nicht selten auf Geschwülste der ersten
oder zweiten Hauptgruppe, in deren Balg oder Bette Aftergebilde wuchern,
welche die Cyste allmälig umschliessen oder in ihre Höhle hineinwachsen
lind selbe ausfüllen. Auch kömmt es vor, dass Pseudoplasmen in drüsigen
Organen sich entwickeln und dxu'ch mechanische Beengung der Ausführungs-
gänge Veranlassung von Secretstockungen iind Cystenbildungen werden.
(306 Tumoren; Fibrome; Pinguecula.
Diese Veränderlichkeit des Geschwulsttypus ist vom praktischen Stand-
punkte aus überaus wichtig, indem ursprünglich völlig gutartige Tumoren
allmähg in maligne Formen übergehen können. Im Ganzen darf nämlich
eine Geschwulst nur so lange als gutartig betrachtet werden, als sie homolog
im engeren Wortsinne ist. Sobald sie aufhört, dies zu sein, hat sie zum
mindesten als verdächtig zu gelten {Virchoxo), zumal in der Augengegend.
Es kömmt hier nämlich der sehr beträchtliche Eeichthum an Lymph- und
Blutgefässen so wie der Umstand in Betracht, dass die Orbita von wenig
oder nicht zugänglichen Höhlen umgeben ist, welche schon ein continuir-
liches Weitersehreiten der Geschwulst, um so mehr aber Disseminationen
verderblich machen.
1. Die Fibrome fuhren als alleinigen oder Haupthestandtheil Bindegewehe
in der gewöhnlichen Bedeutuns: des Xamens. Sie gehen meistens aus dem
Stroma der Organe und vorzugsweise aus den dichteren derberen Binde-
gewebsausbreitungen hervor, welche als Häute auftreten. Sehr selten ent-
spriessen sie anderen verwandten Gefügen, zumal dem Knochen, und
erscheinen solchermassen als keterologe Gebilde. Häufig sind sie histoid
und stellen dann eine blosse Hyperplasie dar; oft jedoch ist ihr Bau ein
compücirter, die Geschwulst gewinnt einen organoiden Anstrich. Zudem
findet sich das Fibrom sehr oft in Combinationsgeschicülsten, sei es, da.'äs
verschiedene nebeneinander lagernde Theile eines Gefüges gleich von vorne
herein differente Elemente produciren, oder dass eine ursprünglich rein
fibröse Geschwulst streckenweise den Bildungstypus ändert, massenhaft
Schleimgewebe oder zellige Elemente, Gefässe entwickelt, verknorpelt,
verknöchert u. s. w., oder gar durch alveolare Structur und die charakte-
ristischen Einlagerungen epithelialer Gebilde den Uebergang in Ki*ebs
andeutet, sich also in entschieden maligne Formen umwandelt. Man
unterscheidet im Allgemeinen diffuse, papilläre oder loarzige und tuberöse
Formen.
a. In die erste Reihe gehört die Elephantiasis, welche in höchst seltenen
Fällen an den Lidern beobachtet worden ist (Carron du Villards, GraefeJ und
manche Formen von Molluscum (VirchoicJ.
b. In der ziceiten Reihe möge der Lidspaltenßeck, die Pinguecula, einen Platz
finden. Man trifft dieses Xeugebilde immer nur im Lidspaltenf heile der Sderalhinde-
haut, es reicht mit seinen Wurzeln jedoch öfters bis in das Episcleralgefüge und
selbst bis in die Lederhaut. Es sind hirse- bis hanfkomgrosse, selten umfangreichere
plattrundliche, bisweilen gelappte Klümpchen einer weissgelblichen Masse, welche
äusserlich viel Aehnlichkeit mit Fett hat, sich bei genauerer Untersuchung aber
als embryonales Bindegewebe beurkundet. Es werden diese Klümpchen meistens von
einigen stark ausgedehnten Gefässen um- oder übersponnen, sind ganz unschmerz-
haft und bestehen, einmal entwickelt, gewöhnlich zeitlebens unverändert fort. Man
trifft sie bei alten Leiiten häufiger als bei jungen. Es scheint, dass die BlossteUung
des genannten Bindehautstückes gegenüber äusseren Schädlichkeitseinwirkungeu
als Chiind des häufigen Vorkommens dieser Art von Hypertrophie aufzufassen sei.
Jedenfalls begünstigen häufig wiederkehrende Reizzustände der Bindehaut das Auf-
treten der Pinguecula (Seitz).
c. Die papillären, icai-zigen, zottigen Fibrome entwickeln sich gelegentlich an
der äusseren Haut, der Conjunctiva, der Carunkel. Ausnahmsweise hat man sie aus
einem Follikel der letzteren in Fransenform hervorwuchern gesehen (Carron du
Villards). Ihr Ausgangspunkt ist das bindegewebige Strovia. Sie entstehen hier als
kleine amorphe körnige oder homogene Knospen, in denen erst später Zellen sicht-
bar werden (Virchow). Ihre weitere Vergrösserung geschieht durch Vermehrung der
zelligen Theile oder der Intercellularsubstanz. Die ersteren überwiegen oft in dem
Masse, dass ein wirklicher Granulationszustand sich ausbildet und die Auswüchse
Papilläre, tuberosp Pilirmiip; FiliriVso rnl)'pcn: Dormnido. 007
ein den Fleischivä7r.chen oder Schrammen ähnliclics Aussehen bekommen, wie selbe
sich bisweilen auf Geschwüren der Bindehaut und Cornea, auf vorgefallenen Iris-
theilen u. s. w. entwickeln und öfters aucii gestielt sind. Gefässe können in iln-om
Gofüge ganz fehlen oder doch sehr spärlich vertreten sein. Meistens jedoch sind
derlei Geschwülste von überaus dichten Gefässnetzen durchwebt und können dann,
wenn sie nur eine dünne oberflächliche Lage von weichem Epithel füliren , leicht
zu spontanen Blutungen neigen (Seitz), welche unter Umständen vermöge ihrer
Massenhaftigkeit Gefahren begründen. Es sitzen die papillären Fibrome oft flach
ihrer Unterlage auf und erscheinen als isolirte oder gruppig zusammengehäufte,
blasse oder tief geröthete, mehr weniger derbe Knötchen, welche meistens ziemlich
unempfindlich sind, ausnahmsweise jedoch überaus stark jucken (Beer). Manchmal
wachsen solche Knoten zu himheer'dlmlichen grösseren Tumoren zusammen (Himly,
Chelius, Ammon), welche gewöhnlich sehr gefässreich, in einzelnen Fällen aber von
Pigment ganz dunkel gefärbt erscheinen (Travers), Oefters erheben sie sicli auf
einem Stiele über die Oberfläche des Mutterbodens (Mackenzie, Arlt, Hasner). Der
Stiel ist von sehr derbem Bindegewebe gebildet und enthält gewöhnlich starke
Gefässe, welche bei der Abtragung der Geschwulst profuse Blutungen zu veranlassen
pflegen. Bei einzelnen wurden Recidiven beobachtet (Arlt).
d. Die tuberösen Fibrome umfassen unter anderen Gewächse, welche früher
als Fihroide, Sfeatome, fibröse Polypen, und wenn sie auf der äusseren Haut den
Standort hatten, als Mollusken l)eschrieben wurden. Sie bestehen aus einem radiären
und fasciculirten Bindegewebe, das sich bisweilen bis zur Knorpelhärte verdichtet,
häufig aber auch eine viel geringere Consistenz darbietet und oftmals durch Aiif-
nahme reichlicher Mengen von Schleimgewebe sogar sehr weich, ja fast schwap-
pend wird (Virchoio). Abgesehen von der äusseren Haut sind die Fascien und das
Periost die gewöhnlichen Ausgangspunkte. Die derben dichten Knoten, welche im
Bereiche der Orbita vorkommen, lagern meistens in der Nähe des Augenhöhlen-
randes und haften dann häufig mit breiter Fläche der knöchernen Wandung an.
Sie wachsen in der Regel langsam, verknöchern bisweilen (Graefe) oder verkalken
(Bader), und erreichen selten ansehnliche Grössen (Schuh, Weinlechner, Zehender,
Mooren). Wo ihr Volumen ein bedeutenderes ist, handelt es sicli fast immer um
eine Combinationsgeschicidst, z. B. um secundäre Ci/stenbildungen (Mackenzie, Schiess-
Gemuseus), um einen Uebergang in Krebs u. s. w. Die iveicheren tuberösen Fibrome
sind häufig gestielt und ragen weit über die Oberfläche hervor, treiben dabei die
schleimhäutigen Decken vor sich her und werden von denselben bis auf den Stiel
hin überkleidet. Der letztere ist meistens sehr derb und entspringt mit einer oder
mehreren Wurzeln, gewöhnlich im Perioste. Der Körper der Geschwulst kann knor-
pelhart sein (Laicrence) ; gemeiniglich aber ist er sehr weich. Man hat solche ge-
stielte Fibrome oder fibröse Polypen im Bereiche des Bindehautsackes (Graefe),
auf der Sclera wurzelnd und den Bulbus bis zum Sehnerveneintritte hin auf einer
Seite deckend (Borelli), im Thränenschlauche (S. 555), und in den die Oi-bita umgehen-
den, von Schleimhaut überzogenen Höhlen gesehen. An der Bindehaut übersteigen
sie nur ausnahmsweise (Jüngken) den Umfang einer Haselnuss. Die tiefe Lage
ihrer Wurzeln macht, dass sie nach der Abtragung gerne wiederkehren.
2. Die Dermoidgeschioülste wurden früher unter dem Namen „ W^aj-zen"
mit manchen anderen Geschwülsten zusammengeworfen. An der äusseren
Liddecke und an der freien Lidrandfläche kommen sie ziemlich oft vor.
Ausnahmsweise trifft man deren auch an der oberen Uebergangsfalte, wo
sie sich wulst- oder klappenförmig zwischen dem oberen und äusseren
geraden Augenmuskel herausstülpen (Graefe) und, da sie mit Lappen sub-
conjunctivalen Fettes zusammenzuhängen pflegen , für TApome gehalten
wurden. Ausserdem liegt eine lange Reihe von Fällen vor, in welchen
Dermoide sich an der Cornealgre.nze entwickelt hatten, mit einem Theile
ihres Umfanges in der Hornhaut, mit dem anderen in der Bindehaut oder
Sclera wurzelten und oft tief in deren Gefüge eingriffen.
Es sind diese Warzen gewöhnlich pfefferkorn- bis bolmengross, erstrecken
sich bisweilen aber auch fast über die ganze Hornhaut oder decken gar eine
Hälfte des vorderen Bulbusumfanges (Gi-aefe). Sie sind meistens rundlich oder
oval und treten mehr weniger stark über ihre Grundlage hervor. Ihre Consistenz
608 Tumoren; Coruealwarzen ; Lipome; Myxome.
ist oft schwammähnlich weich, oft aber auch ziemlich derb und selbst knorpelartig
hart (HilcUge), Die Farbe wechselt ausserordentlich, indem sie bald sehnig weiss,
bald fettgelb, bald roth, braunroth oder gar dunkelbraun gefunden wird. Die Ober-
fläche der Geschwulst ist bald glatt, bald nach Art einer Erd- oder Himbeere
drusigkörnig und trägt häufig eine Anzahl von zarten kurzen blassen, oder von
steifen langen dunklen Haaren (Tr-ichosis bulbi). Es bestehen diese Geschwülste
aus einem von einer dicken Lage Epithel gedeckten Polster von Bindegewebe und
elastischen Fasern, in welchem die Haarfollikel bald mit bald ohne zugehörige
Schmeerdrüsen und häufig auch Gruppen von Fettzellen sitzen (Virchow). Sie sind
meistens angeboren und vergrössern sich mit dem Wachsthume des Körpers allmälig
(Riha, Fischer, E. Müller, Graefe, Lainati, Visconti Achilli u. A.). Man glaubt
dieselben in genetischen Zusammenhang bringen zu müssen mit den congenitalen
Lidspalten, bei welchen sie wenigstens andeutungsweise vorhanden sein sollen. Man
meint nämlich, dass jener Theil des Cutisüberzuges, welcher beim Hervorwachsen
der Lider über den Bulbus in Bindehaut umgebildet wird, an der betreffenden
Stelle die Charaktere der äusseren Haut beibehält und so das Dermoid darstellt
(Wecker).
3. Lipome. Sie enthalten ein mehr öhlartiges Fett in gekernten Zellen, welche
etwas grösser als in der Norm zu sein pflegen, sind immer lappig und stets auf
Neubildung, auf Hyperplasie vorhandener Fettlager, zurückzuführen. Es überwiegt in
ihnen bald das Fett, wo sie sehr weich sind, bald das Bindegewebe, wo sie dann
eine sehr bedeutende Consistenz erlangen können. Nach Manchen sollen sie in der
Orbita häufiger vorkommen [Demarquay). Andere erfahrene Autoren sahen sie hier
nie und halten dafür, dass die daselbst beobachteten Lipome meistens lappige
Blutgefässschwämme gewesen seien, welche ersteren oft zum Verwechseln ähnlich
sind (Schuh). In einem Falle soll ein Lipom im subcorijunctivalen Gefüge (0. Becker)
imd in einem anderen sogar in der Iris (Mooren) gefunden worden sein.
4. Myxome. Der hauptsächliche Bestandtheil derselben ist Schleim-
geivebe, welches im Glaskörper und der Sülze des Nabelstranges, so wie
in der Neuroglia des Nervensystemes, seine normalen Eepräsentanten findet
und mit dem Fettgewebe auf das Innigste verwandt ist, indem beide
durch Aufnahme und beziehungsweise Abgabe von Fett unmittelbar in
einander überzugehen vermögen. Sie sind sehr weich, oft sogar gleich
Cysten schwappend, selten derber und entleeren aus Durchschnittsflächen
eine fadenziehende Flüssigkeit, welche sich ganz wie Schleim verhält.
Daneben findet sich eine faserige Grundsuhstanz, deren Elemente den Binde-
gewebsfibrillen sehr ähnlich, aber sehr locker und durchwegs von mucin-
hältiger Flüssigkeit durchtränkt sind. Die Intercellularsubstanz führt zellige
Elemente in wechselnder Menge und von sehr verschiedener Gestalt
(Virchow).
In jungen Myxomen überwiegen die runden Zellen (Schleimkörper), in älteren
die sjjiitdeligen und sternjörmigen, welche letztere mitunter anastomosiren und einen
areolaren Bau erzeugen. Je nachdem die Zellen mehr zurücktreten, oder in sehr
reichlicher Menge vorhanden sind, oder durch Aufnahme von Fett sich in Fett-
zellen umwandeln, erscheint die Geschwiilst mehr hyalin, markartig, oder liponi-
ähnlich. Oefters geschiet es auch, dass die Intercellularsubstanz ganz verflüssigt
und cystenähnliche Höhlungen gebildet werden, oder dass das Gerüste sich zu
einem derben bindegewebigen Maschenwerke verdichtet, oder gar knorpelartige
Eigenschaften annimmt, oder Gefässe in sehr reichlicher Menge führt, welche
überdies streckenweise eine telangiektatische Beschaffenheit zeigen , das Myxom
ändert theilweise in die cystoide, fibröse, knoipelige, telangiektatische Form ab
( Virchow).
Im Ganzen sind Myxome keine häufige Erscheinung. Sie entwickeln
sich meistens in der Bedeutung homologer Geschwülste und haben dann
einen gutartigen Charakter. Doch sind sie der mannigfaltigsten Combinationen
mit anderen Gewächsarten fähig, gehen auch nicht selten auf die ver-
Myxom ; Cliondrom ; Osteom ; Leontiasis. 609
schiedensten Gewebe über, werden herterolog und nehmen einen ausgesprochenen
malignen Charakter au (Vircliow).
Erwiesen ist das Vorkommen des Myxoms im Sehnerven, wo es mehr minder
mächtige Tumoren bildet, welche von der Scheide des Opticus kapselartig um-
schlossen werden, den Bulbus mehr gleichmässig nach vorne treiben und seine
Beweglichkeit beschränken, ohne selbe aufzuheben, rasch vAxr Erblindung führen
und schmerzlos verlaufen. In einem solchen P''alle war der Augapfel in Folge von
Iloriihautverschwärung bereits entleert und von vorne nach hinten platt zusammen-
gedrückt (Rothmund). In einem anderen Falle bestand der Bulbus noch und man
konnte ojjhfhalmo/fkopisch das Vordringen der Afterwucherung auf die Papille
durch beträchtliche Vorwölbung und Trübung derselben, so wie durch sehr aus-
gesprochene Stauungseracheinungen im Gefässsysteme der Netzhaut erschliessen
(GraefeJ. In einem dritten Falle hatte sich ein Myxomherd in der Papille neben
einer Mehrzahl analoger kleiner Tumoren im Orbitalfettgewebe entwickelt (Jacohson).
In einem vierten Falle erfüllte das Myxom als recAdivirende Geschwulst die ganze
Orbita, nachdem der Bulbus wegen einem seit zwei Jahren bestehenden , gelblich
weisses Licht reflectirenden Tumor des hinteren Augenraumes exstirpirt worden
war (Lehrun).
5. Chondrome, deren Grundsubstanz Knorpel geioehe ist, mögen hier und da im
Bereiche der Orbita beobachtet worden sein und unter dem Namen Osteosteatom,
Osteosarcom (Mackevzie, CheliusJ etc. in der Literatur vorkommen. Doch lassen sich
die strenge hierher gehörigen Fälle kaum herausfinden. Jedenfalls sind Chondrome
auf oculistischem Boden sehr selten (Schuh). Einmal wurde in einer mit Drüsen
versehenen Warze an der Cornealgrenze ein Stück Netzknorpel gefunden (Schweigger).
Auch wurden Chomlrome in der Thränendrüse nachgewiesen (Busch). Sie entwickeln
sich bald aus normalem Knorpel, bald aus anderen Geweben, sind daher bald
homolog bald heterolog und vermögen in letzterer Eigenschaft sehr bösartig zu wer-
den. Sie können sehr weich sein, aber auch verknöchern, amyloid degeneriren und
verschwären. Sie treten oft in Combination mit anderen Geschwulstarten auf, mit
Myxom, Krebs etc. Man trifft sie vei'hältnissmässig am häufigsten bei jugendlichen
Individiien (Virchow).
6. Osteome entwickeln sich aus einer ursprünglich hindegeioehigen oder Icnor-
peligen Grundsubstanz , unterscheiden sich aber von verknöchernden Fibromen,
Chondromen u. s. w. dadurch, dass bei ihnen die ganze Bildung von vorneherein
auf Knochenerzeugung gerichtet ist. Sie sind oft elfenheinhart, bestehen aus überaus
compacter Knochensubstanz mit Gefässen und einem beinhaut- oder knorpelähnlichen
Ucberzuge. In anderen Fällen ist das Gefüge schwammig, enthält wohl auch Mark
in kleinen Canälen oder grösseren Höhlen. Die Osteome sind meistens blosse
Hyperplasien, finden sich jedoch auch als heterologe Gewächse und kommen nicht
ganz selten in Comhination mit anderen Geschwulstformen, namentlich Myxomen,
Myxomcysten u. s. w. vor (Virchoio). Das homologe Osteom stellt sich bisweilen als
eine übermässige Entwickelung einzelner Knochen oder ganzer Skelettheile dar,
welche dann zu unförmlichen Massen aufgetrieben werden (Leontiasis, Virchoiü,
Acrel). Häufiger jedoch bilden sie umschriebene Tumoren, welche sich mehr weniger
über die Oberfläche des Mutterknochens erheben. Sie wachsen bald unmittelbar
aus der Substanz des letzteren hervor; bald ist ihr Ursprung auf eine Wucherung
der Beinhaut zurückzuführen, es entsteht vorerst eine bindegervebige Geschwulst,
welche allmälig verknöchert und sich mit dem unterlagernden Knochen vereiniget.
Die in der Orbita vorkommenden Osteome sind in der Regel elfenbeinhart. Sie gehen
sehr häufig von der Diploe der betreffenden Knochen aus und brechen gerne nach
beiden Seiten durch, so dass der in der Augenhöhle erscheinende Tumor nur der
Theil einer Geschwulst ist, welche in eine oder mehrere Nachbarhöhlen hineinragt
(Mackenzie, Knapp). Es muss hierauf stets Bedacht genommen werden, zumal wenn
es sich um operative Beseitigung der Geschwulst handelt. Vom Siehbeine (Maisonneuve,
Boivman) und dem Boden der Augenhöhle (Mackenzie) wird ein Osteom allerdings
gewöhnlich ohne iinmittelbare Gefahr abgetrennt werden können. Sitzt es aber an
oder nahe dem Dache der Orbita, so ist ein solcher operativer Eingrifi:" überaus
gewagt, indem das gleichzeitige Vordringen der Geschwulst in das Cavum cranii
sich keineswegs immer durch auffällige Erscheinungen verräth (Knapp). Immerliin
sind auch von hier ausgehende Osteome mit gutem Erfolge operirt w-orden
{Mackenzie, Knap)p), Textor), da eben nicht alle nach beiden Seiten durchgreifen. Aus-
St eilwag, Augenheilkunde. 39
ßlO Tumoren; Nosologie; Melanom; Myom; Gliom.
nahmsweise stösst man übrigens auch auf Knochengeschwülste, welche von den den
Wandungen der Orbita nachbarlichen Knochen entspringen, erstere aber vor sich
herdrängen und so die Augenhöhle zusammendrücken (Mackenzie), oder sich gar
in dieselbe hineinbohren (Baillie, Hasner). Es sind die oi'bitalen Osteome bald klein,
bald von bedeutender Grösse. Hier und da wurden deren gleichzeitig in beiden
Augenhöhlen beobachtet {Frank, H. Walton, Howshlp, Hasner). Junge Leute sind
häufiger die Träger als alte, Weiber häufiger als Männer {Virchow). Die Veran-
lassung ist oft ein Trauma, die Entwickelung und Vergrösserung meistens eine sehr
langsame, bald schmerzlose, bald mit überaus heftigen Leiden gepaarte. In einzelnen
Fällen sollen sich Osteome wieder zurückgebildet haben [Mackenzie), oder vom Mutter-
boden abgebrochen und durch Eiterung ausgestossen (Stanley), oder nach voraus-
gängigen operativen Versuchen cariös zerstört und beseitigt {Brassant, Spöring)
worden sein.
7. Melanome, deren charakteristischer Bestandtheil stark pigmenti7-te Zellen sind,
wie sie dem Uvealstroma zukommen, finden sich als ausgebreitete fleckweise, in
allen Schattirungen des Braun und Schwarz wechselnde Färbungen der Liddecke,
der Sclera (S. 378) und Bindehaut. Mitunter kommen sie jedoch auch in Form von
Geschicülsten vor, welche bald schwammähnlich aus der Hornhaut {Langhans), der
Bindehaut, dem Orbitalgefüge hervorwaehsen {Lisfranc, Cunier), bald in Warzen-
form an der Cornealgrenze sich erheben {Travers, Ed. Jaeger, Hedäus), bald endlich
in der Lis sitzen {Qraefe).
8. Myom. Es ist dasselbe bisher nur einmal und zwar in Combination mit
Sarcom auf oculistischem Gebiete nachgewiesen worden. Es sass im inneren
Quadranten des Ciliarkörpers und der Chorioidea, verlief mit heftigen Schmerzen
und hatte zwei Jahre na,ch der Eniicleation noch keine Eecidive gesetzt. Der
Tumor nahm die ganze innere Portion des Ciliarkörpers ein, erschien im Durch-
schnitte weisslich, faserig, an seiner vorderen Peripherie pigmentirt und grenzte
sich allenthalben ziemlich scharf von den nachbarlichen normalen Theilen ab.
Der im Bereiche des Ciliarkörpers gelegene Theil bestand aus spindeligen Zellen
mit verlängerten Kernen , w eiche in meridional ziehende Bündel geordnet waren
und in ihrem Aussehen ganz den glatten Muskelfasern entsprachen. Es Hess sich
in ihnen nirgends eine Kerntheilung wahrnehmen. Die Zwischenräume waren mit
runden und sternförmigen Bindegewebszellen und fein fibrillirter Intercellularsubstanz
ausgefüllt. Die äusserste Peripherie des Tumors bestand aus runden Zellen,
zwischen welchen hier und da stark pigmentirte sternförmige und spindelige
Zellen, mitunter auch Bindegewebsfasern lagen. Auch fanden sich Capillargefässe
darin. In den Nachbarportionen des Corjjus ciliare waren die Muskelfasern ganz
unverändert und dazwischen lagerten neoplastische embryonale Zellen ; doch schon
2 — 3 Millm. jenseits der Grenzen des Tumors erschienen sämmtliche Gefüge normal
(Iivanoffj.
9. Das Gliom oder der Markschwamm, auch Encephaloid genannt, geht
aus der Neuroglia, dem interstitiellen Bindegewebe der Netzhaut, hervor
und setzt sich aus einer dem letzteren analogen Grundsubstanz und aus
zelligen Elementen zusammen (Virchow).
Die zelligen Elemente bilden die Hauptmasse der Geschwulst. Sie sind meist
fein granulirt, zart, rundlich, sehr klein und enthalten einen verhältnissmässig sehr
grossen rundlichen Kern, welcher von dem Zellcontour enge umschlossen wird. In
anderen Fällen erscheinen sie etwas grösser, ebenfalls mit sehr massigem Zell-
körper, welcher in der Regel eine runde , zuweilen aber auch eine mehr unregel-
mässige, mit feinen Fortsätzen versehene Gestalt annimmt. Hier und da isoliren
sich längere Faserzellen mit sehr langen Fortsätzen und mit einem sehr schlanken
und kurzen Zellkörper. Auch hängen mitunter mehrere derselben unter einander
zusammen.
Die Intercellidarstibstanz ist bald ganz weich, fast zerfliessend und lässt nach
künstlicher Härtung das der Neuroglia eigenthümliche feinstfibrilläre Netzwerk
erkennen ; bald ist sie , wenigstens in einzelnen Abschnitten , dicht, derb und in
Balken oder Blätter geordnet, welche eine mehr parcdlele, nicht netzförmige Faser-
streifung mehr minder deutlich erkennen lassen. Je nach dem Vorwiegen dieser
oder jener Art der Intercellularsubstanz und je nach dem Massenverhältnisse der-
selben erweisen sich die Gliome als weiche oder harte.
Ulioiii, weich., hart.; Myxogl. ; Mcdiilhugl.: Ciliosarc. ; (iliofilir. ; Kndoph. exoph. Foriii. (j 1 1
Die rt^eichen Gliome roiner Form enthalten m'ds.iige Quantitäten der homogenen
körnigen Gnuuisnbstanz mit wechsehulen Mengen iibrillärer Theile, welclie in sein-
reeelmässicje Netze angeordnet sind und die Kerne und Zeilen in iiiren Knoten-
punl<ten enthalten. Wächst die Weite der Maschen und häuft sicli in ihnen Schleim-
stoft" an, was ziemlich oft geschieht, so ist ein Uehergang zum Myxom gegeben.
Oft nehmen aber auch die zelUgen Elemente überhand, derart, dass die Gritnd-
substanz nahezu verschwindet und in dem Gefüge nur mehr das Gezweige der
mächtig verdickten Gefässe heraussticlit, wodurch leicht ein alveolarer Bau vor-
getäuscht werden kann. Man spricht dann von einem wahren Medullargliom. Das-
selbe kann seinerseits wieder Uehergünge in das Medidlarsarcom oder Gliosarcom
machen, indem die Zellen an Grösse und innerer Ausstattung sich weiter ent-
wickeln. Oft findet man alle diese U eher gangs formen an einer und derselben Ge-
schwulst , ja noch mehr, durch überreiche Entwickelung von Gefässen, welche
bisweilen einen colossalen Durchmesser erreichen {Hirscliherg) , können Theile des
Gewächses das typische Bild des Blutscltwammes vorspiegeln. Die harten Gliome
stehen den Fibromen näher und in einzelnen Fällen kann man geradezu von Com-
biuationen, von Fibrogliomen, sprechen. Die nervösen Elemente gehen in der After-
wucherung immer unter (Virchow).
Das Gliom kann gelegentlich in jeder einzelnen Schichte der Netzhaut
seine ersten Keime setzen (Iwanoff). In dei* Regel scheint es von der
NeurogUa der inneren Körnerschichte auszugehen (Robin, HirschhergJ, seltener
von der äusseren Körner schichte (Knapp), oder von dem Gerüste der inneren
Netzhautschichten , insonderheit der Nervenfaserlage (Manfredi , Iwanoff').
Es entwickelt sich bald unter der Gestalt kleiner weisser oder grauer
Stippchen, welche sich weiterhin vergrössern und zu einem oder mehreren
grösseren Knoten anwachsen ; bald tritt es in Gestalt einer flächenartig
ausgebreiteten diffusen Infiltration auf, welche an einer oder an mehreren
Stellen sich allmälig verdickt und so zu einer linsen- oder fladenförmigen
Geschwulst wird.
Tritt das Gliom primär in den äusseren Netzhautschicliten auf, so pflegt es
alsbald nach aussen durchzixbrechen (Glioma exophgtum). Es präsentirt sich dann
gewöhnlich als ein umschriebener Knoten von weicher Cousistenz , von weissem
oder weissröthlichem gefässreichen Aussehen und lappiger selbst blumenkohlähnlich
zerklüfteter Oberfläche, welcher der meisthin schon in weitem Umfange abgehobe-
nen Netzha^d von Aussen her aufsitzt. Die Elemente der Retina sind dabei, soweit
die gliose Infiltration reicht, in der Regel bereits völlig untergegangen, während
die überlagernden inneren Strata sich gewöhnlich lange im Zustande der Integrität
erhalten. Weiterhin greift die gliose Infiltration der Körnerschichten immer mehr
um sich , während sich neue und neue Knoten bilden, welche unter einander zu-
sammenfliesseu. Zuletzt erscheint die Netzhaut als ein dickwandiger, von mächtigen
Knoten durchsetzter Trichter, dessen spitzes Ende mit dem Sehnerveneintritte zu-
sammenhängt vmd welcher bei fortschreitendem Wachsthume schliesslich die Glas-
körperhöhle völlig auszufüllen vermag.
Entwickelt sich das Gliom von den inneren Schichten der Netzhaut aus, so
zeigt es sich im ersten Beginne öfters als eine diffuse Infiltration der Nervenfaser-
schichte mit Auflagerung glioser Massen auf die innere Oberfläche der Limitans
interna. Diese Auflagerung erscheint anfänglich als eine ziemlich gleichmässige,
am gehärteten Präparate gefaserte Schichte, in welche an vielen Stellen Ausläufer
der retinalen Stützfaseru eintreten. Späterhin verdickt sich dieselbe zu Stippchen
und Knötchen von verschiedenem Caliber, welche schon mit freiem Auge deutlich
wahrgenommen werden können. Die Hauptmasse dieser Knötchen wird von Gliom-
zellen gebildet, welche durch Lücken der Limitans interna in unmittelbarem Zu-
sammenhange stehen mit dem Gliomlager der Nervenfaserschichte und offenbar
aus dieser auf die freie Oberfläche der Netzhaut gelangt sind. Grössere Knoten
erscheinen übrigens auch von Gefässen durchsetzt, welche aus den retinalen
Stämmchen ihren Ursprung nehmen. In anderen Fällen entwickelt sich das Gliom
der inneren Netzhaiitschichten in Gestalt umschriebener Knoten, welche erst bei
zunehmendem Wachsthume sich allmälig bis in die innere Körnerschichte hinein
39*
612 Tumoren; Nosologie; Gliom; TJebergang anf den Sehnerven und die Aderhaut.
ausbreiten. Sie sind bei grösserem Umfange immer sehr gefässreich, nnd ihre klein-
zelligen Elemente erscheinen auf Durchschnitten in concentrischen Ringen um die
Gefässwandungen herum angehäuft. Bei fortgesetztem Wachsthume pflegen auch
diese Knoten die Grenzhaitt. zu durchbrechen, worauf die Aftermasse mit ihren
Gefässen an der Innenwand der Netzhaut weiter wuchert und in Gestalt eines
mächtigen Tumors den Glaskörper allmälig verdrängt (GUoma endophytum, Iwanoff),
Die von den inneren Netzhautschichten ausgehenden Gliome scheinen Netz-
hautahhehungen weniger zu begünstigen. Es steht übrigens dahin, ob jene Pralle, in
welchen die infiltrirte Netzhaut in Gestalt einer Kiigelschale (Sichel, Pockels), oder
einer Feige (Homer) der Aderhaut, anliegend gefunden wurde, den endophyten
Gliomen zugezählt werden dürfen.
Der Pi'ocess greift in der Regel schon sehr fx-ühzeitig theils durch
unmittelbare Fortpflanzung, theils durch Ausstreuung neuer Keime auf den
Sehnerven und die Aderhaut über.
Im Sehnerven bildet das Gliom anfänglich rundliche oder längliche Herde.
Dieselben stellen sich auf Längsschnitten als Züge von kleinen Rundzellen dar,
welche zwischen den Nervenfaserbündeln mehr weniger weit sich nach Hinten er-
strecken. Bei fortschreitender Wucherung gehen die Nervenfasern allmälig zu
Grunde und der Orbitaltheil des Opticus schwillt mehr und mehr an. Er erscheint
dann bald walzig, bald spindelförmig, bald wird er unter beträchtlicher Flächen-
vergrösserung der Siebhaiit rosenkelchähnlich aufgetrieben. Der Process pflanzt
sich dabei häufig schrittweise, oder sprungweise, d. i. durch Dissemination von
Keimen, auf den intracraniellen Theil fort, welcher dann nicht selten umfangsreiche
Geschwülste bildet, die für den Kranken meist binnen Kurzem tödflich werden
(Mackenzie, Joffroy). Nur ausnahmsweise bleibt der Sehnerve bei vorgeschrittenem
gliösen Netzhautleiden unversehrt oder geht atrophisch unter (Virchow, Knapp,
Schiess- Gemuseus).
Der Uebergang auf die Aderhaut findet am häufigsten am Sehnerveneintritte
statt, wo das Stroma und die Gefässe der Netz- und Aderhaut unmittelbar zixsam-
menhängen. In anderen Fällen greift der Process an Stellen über, an welchen der
retinale Tumor mit der Oberfläche der Äderhaut in Berührung steht und man
findet dann bisweilen strangartige Verbindungen, aus Gefässen bestehend, deren
Adventitia von einer dicken Lage gliöser Elemente überdeckt ist (Schiceigger,
Hirschbery). Nicht selten jedoch bilden sich secundäre Aderhautherde auch an
Stellen aus, welche von dem Netzhauttumor durch subretinale Flüssigkeit getrennt
sind. Die Uebertragung geschieht dann entweder durch die Gefässe oder dadurch,
dass von der Netzhautgeschwulst sieh einzelne Theile ablösen, auf die Chorioidea
fallen und hier in das Stroma hineiniruchern (Knapp). Es zeigen sich solche
secundäre Aderha^itherde anfänglich als dünne weiche weissliche membrauartige
Auflagerungen auf das Tapet, später als Rundzellenherde unter dem Aderhaut-
epithel und schliesslich als flache scheibenartige Nester kleiner Rundzellen im
sonst völlig normalen eigentlichen Aderhautgefüge (Knapp). Indem von diesem
Herde aus die Wucherung weiter und weiter fortschreitet, entwickelt sich allmälig
ein linsen- oder kuchenförmiger , oder ein knollenartiger Aderhauttumor, welcher
gewöhnlich etwas derber i;nd fester ist, als das Netzhautgliom und in seinem
Stroma meistens eine deutlichere Faserung erkennen lässt. Es geschieht dann bis-
weilen , dass die Aderhautgeschwulst in ihrem Wachsthume wieder etwas ztirück-
hleibt, während der retinale Tumor schliesslich den ganzen noch disponiblen Glas-
körperraum ausfüllt, auch wohl gar die Linse dislocirt oder zer-stört und so durch
die Pupille in die Vorderkammer hineinwächst (Weller, Ammon, Chelius). Häufiger
aber breitet sich der Aderhauttumor va^hv flächenartig aus, umgreift schalenartig
den Netzhautbecher und schliesst ihn endlich in Gestalt einer mehr weniger
dicken, stellenweise knollig aufgetriebenen Hülse seinem grössten oder ganzen
Umfange nach ein. Das Aderhautgliom pflegt unter solchen Umständen im Be-
reiche des Sehnerveneintrittes mit dem Netzhauttumor zusammenzuhängen, sonst
aber allenthalben sich strenge abzugrenzen, indem sich gewöhnlich die Grenzhaut
mit Resten des Tapetes und selbst die Choriocapillaris ziemlich lange erhalten.
Letztere erscheinen anf meridionalen Durchschnitten (Fig. 84) als eine dunkle Linie,
welche von den Ciliarfortsätzen beginnend geschlängelten Laufes gegen den
Opticuseintritt hin streicht. Nicht selten greift das Aderhautgliom an seiner vorde-
Regressive Metamorphosen.
613
ren Grenze auch wohl auf das den Ciliarkörpcr mit der Sclera verknüpfende
Bindegewehe über, drängt das Corpus ciliare an einer Stelle zur Seite, oder consumirt
Fig. 84.
letzteres ebenfalls imd gelangt
so in die Vorderkammer, welche
es bald gänzlich ausfüllt.
Auf diesem Punkte
angelangt \\\\([ häufig' auch
noch früher beginuen ein-
zelne Theile der Aftermasse
sich regressiv zu metamor-
phosiren , zu verfettigen, zu
verkalken oder zu veröden.
Die herdweise Verfdhmg
gellt immer mit einer beträcht-
lichen Vergrösserung der Gliom-
zellen einher und bedingt die
Verwandlung der Aftermassen
in käsige Klumpen, oder in
eine weiche, schmutzig weiss-
gelbe zerfliessende eiterähn-
liche Substanz, deren Haupt-
bestandtheile Fettkörnchenzel-
len, Fettkörnchenkugeln und
fettiger Detritus sind , und
welche häufig reichliche Men-
gen von Salzen in sandförmigen
Grumen enthält. Eigentliche cystoide Ericeiclmngen (Sichel) sind jedoch selten. Bis-
weilen erreichen die Coucremente eine ansehnliche Grösse (Rohin). Sie pflegen
hauptsächlich aus phosphorsaurem und kohlensaurem Kalke zu bestehen. Bei der
Verödung zeigen einzelne Theile der Geschwulst eine gelbe käsige Beschaffenheit
xind lassen in ihrem Bereiche die zelligen Elemente und Kerne geschrumpft er-
scheinen. Die derberen Bestaudtheile der Geschwulst gewinnen bei diesen Pro-
cessen manchmal ein sehnen- oder selbst knorpelähnliches Aussehen und bilden
Blätter oder ein Balkenwerk, in welchem die fettigen sandigen oder käsigen Reste
der zerfallenen Massen lagern, und welches streckenweise im Laufe der Zeiten zu
verknöchern vermag.
Man glaubt auf Grundlage neuerer Beobachtungen behaupten zu
dürfen, das.s auf diesem Wege der gliomatöse Process kaum jemals wirklich
und dauernd abgeschlossen werde, obgleich einige ältere Erfahrungen dafür
zu sprechen schienen. So viel steht fest, dass partielle Rückgänge des
Glioms in der Regel entweder gar keinen oder doch nur einen sehr
vorübergehenden Stillstand in dem Wachsthume der Geschwulst als Ganzen
mit sich zu bringen pflegen. Immerhin kommen Stillstände vor, welche
bisweilen Monate, ja selbst Jahre lang anhalten. Sie sind öfters in Zu-
sammenhang zu bringen mit entzündlichen Zufällen, welche sich gemeinigüch
unter dem Bilde der Iridochorioiditis geltend machen. Der Bulbus wird
dann manchmal nach Beschwichtigung des entzündlichen Anfalles in sehr
auffälligem Grade weich, welk oder schrumpft wohl gar merklich zusam-
men, und man kann, falls die Gelegenheit sich bietet, in seinem Inneren die
Producte als hintere Synechien, iridokyklitische Schwarten, verknöchernde
Schalen an der Oberfläche der Chorioidea u. s. w. nachweisen (Schiess-
Gemuseus, Hirschberg, Knapp).
In einzelnen Fällen hat man solche transitorische Atrophien des Bulbus
loiederholt auftreten, d. i. mit Episoden wechseln gesehen, in welchen der welk
gewordene Bulbus sich wieder füllte und zu erhöhter Spannung gelangte, während
die Afterwucherung einen Aufschwung nahm (Knapp).
614
Tumoren ; Nosologie ; Glioma retinae ; Durehbiuch.
In dei" Mehrzahl der Fälle jedoch fehlen auch zeitweilige Stillstände
gänzlich, das intraoculare Gliom wuchert fort und fort, zerstreut seine
Keime und bricht endlich durch.
Die Perforation erfolgt gemeiniglich durch die Hornhaut, seltener
durch die Sclerotica, oder durch die Scheide des bereits infiltrirten Opticus
(Hulke, Hirschberg, Neumann).
Die Zerstörung der Cornea wird bisweilen durch neuroparalytiache Ulcerationen,
gewöhnlich aber durch Fortschreiten einer Panojjhfhalmifis auf die Hornhaut ange-
bahnt, oder es wächst die die Vor-
'^' ■ derkammer bereits erfüllende Gliom-
masse in das Comealgefilge hinein
(Hirschherg) und consumirt es bis
auf den letzten Rest. Ist die After-
niasse solchergestalt aus der vorderen
Scleralöffnuiig hervorgetreten, so wird
das M^achsthum gewölinlich ein über-
aus rasches , binnen Kurzem ist das
Gliom zu einem mächtigen Tumor
aufgeschwollen, welcher mit hais-
förmig eingeschnürter Basis aus der
vorderen Scleralöffnuiig hervorquillt
(Fig. 85), eine dnnkelrothe Farbe
annimmt , leicht blutet und unter
fortgesetzter Massenzunahme meistens
bald die Kräfte des Kranken auf-
reibt. Der Bulbus bewahrt bei diesen
Processen oft lange seine natürliche
äussere Form. Oft wird indessen die
vordere Sderalöffnvng unter dem
Drucke des hervorquellenden Pseudo-
plasma sehr stark ausgeweitet und die
Lederhaut bildet einen walzlichen
Becher, eine Glocke oder gar eine
tellerförmige Schale.
Der Dnrchhruch durch die Scle-
rotica wird bisweilen dadurch ermög-
licht, dass sich unter entzündlichen
Erscheinungen Scleralecfasien ent-
Ausnahmsweise ist eine zufällige oder operative
Perforafionswunde der Lederhaut der Weg, auf welchem die Aftermasse nach aussen
tritt (Greeve). In der Pegel jedoch erfolgt der Durchbruch der Sclera, ebenso wie
jener der Opticvsscheide, indem diese Häute vom Gliome durchwachsen werden. Diese
Durchwachsung geschieht sehr wahrscheinlich immer in der Richtung von innen
nach aussen. Das Gefüge der Lederhaut oder Opticusscheide wird nämlich au
Stellen, an welchen es mit der im Binnenraume oder im Opticusmarke wuchernden
Aftermasse in unmittelbarer Berührung steht, von Gliomzellen durchsetzt, es bilden
sich förmliche Nester, welche die normalen Elemente auseinander drängen, in
der Dicke der Lederhaut nicht selten taschenförmige Räume ausweiten und schliess-
lich nach aussen perforiren.
Nach dem Durchbruche wächst der Tumor an der äusseren Wand
des Bulbus oder des Opticus gewöhnlich in der kürzesten Zeit zu beträcht-
lichem Umfange heran, verdrängt die Orbitalgebilde oder wächst in sie
hinein und zerstört sie in grosser Ausdehnung.
Sehr häufig bilden sich auch secundäre Herde im Episcleralgewebe
oder an der äusseren Oberfläche der Opticusscheide, welche mit dem
intraoculären Markschwamme primär nirgends im Zusammenhange stehen
und daher unzweifelhaft auf Keime zurückgeführt werden müssen, welche
durch die Gefässe verführt worden sind.
wickeln, welche bersten (Lerche).
Seouudare Hfide in d. (hl)ita u. il. Naclilmrliöhleii ; Kociiliviiciides Orbitalgliom. f)15
Sie zeigjPii sich öfters schon sehr frühzeitijr, pjreifcii bisweilen sehr tief ein
in die Dicke der Ledcrluiut und OpticussclieicU-, verdünnen dieselben streckenweise
auf ein Miniuuun, dürften jedoch nach zahlreichen Beobachtung'cn kaum jemals
nach innen hin förmlich durchbrechen und so in die Höhlung des Augapfels oder
des Opticus hineinwachsen. Es ist bald ein einzelner Knoten, bald eine Mehrzahl
derselben. Man hat den Orbitaltheil des Sehnerven seiner ganzen Länge nach
von zahlreichen gliosen Knoten durchsetzt gefiniden (Bader). Es zeigen solche
extraoculäre Knoten in der Mehrzahl der Fälle eine Vorliebe, sich flächenartig an
der Obertläche der Lederhaut und Opticusscheide auszubreiten, indem sie den
Bulbus und den Opticus nicht selten auf grosse Strecken hin schalenartig umhüllen.
Oft entwickeln sich seeundäre Gliomherde auch im Orbitalgewehe.
Sie erscheinen anfäng-lich knotig, greifen aber rasch weiter und consumiren
heteroplastisch die einzelnen Gebilde , Nerven, Muskeln , Thränendrüse.
Sie werden dabei gerne grosszellig und gewinnen solchermassen den
Charakter des Gliosareoms. Falls sie bei ihrem Wachsthume auf Knoten
stossen, welche der Episclera oder Opticusscheide aufsitzen oder durch
diese von innen her durchgebrochen sind, pflegen sie rasch mit ihnen zu
verschmelzen. Das orbitale Gliom bildet schliesslich nicht selten einen
förmlichen Abguss der Augenhöhle, drängt wohl auch deren Wandungen
auseinander oder usurirt sie bis zu wirklichen Defecten, führt zu cariöser
Zerstörung derselben (Hasse, Lincke) , oder geht unmittelbar auf den
Knochen über (Brodowski) und schafft sich so Wege in die Nachbarhöhlen.
Manchmal greift das Gliom auch durch die Fascia tarsoorbitalis auf die
Lider über oder entwickelt daselbst neue seeundäre Herde.
Den gleichen Gang verfolgen auch die recidivirenden gliösen Orhitalgeschwülste,
welche in der Regel von dem Opticusstumpfe ausgehen, denselben mächtig auf-
treiben, schliesslich durchbohren und auf das umgebende Orbitalgefüge übergehen,
oft aber a\ich ihren Ursprung von dem Fettpolster der Orbita, selbst von den
Knochenvvandungen und Lymphdrüsen aus nehmen, nebenbei nicht selten Herde
in den Lidern setzen und in der Regel überaus rasch zu bedeutendem Volumen
heranwachsen. Sie sind gewöhnlich auch kleinzellig, bisweilen sogar dann, wenn
die primäre Geschwulst grosszellig war, also in die Kategorie der Gliosarcome ge-
hörte (Hirschherg).
Greift das orbitale Gliom durch die Decke der Augenhöhle hindurch,
sei es, dass daselbst sich ein wirklicher Defect gebildet hat, oder dass die
Knochenwandungen selbst den Ausgangspunkt secundärer glioser Herde
abgaben, so erfolgt in der Regel bald der Tod, indem sich die Geschwulst
innerhalb der Schädelhöhle rasch zu vergrösseru , neue Tochterherde
anzubilden und so das Gehirn mehr und mehr zu verdrängen pflegt.
Doch ist dies nicht der gewöhnliche Weg , auf welchem das Gliom
in das Cavum cranii vordringt ; dieser führt den Opticus entlang. In der
That schwillt der Sehnerv nicht nur häufig zu colossalen Dimensionen
an, sondern umgibt sich mit zahlreichen, rasch wachsenden disseminirten
Herden, welche sich meistens besonders in der Gegend des Türkensattels
anhäufen, mitunter jedoch auch bis in das Bückenmark vordringen (Reckling-
hausen, Knapp) und manchmal sich auch als neuromähnliche Anschwellun-
gen in anderen Hirnnerven localisiren (Hjort Heiberg, Recklinghausen).
Neben diesen mehr localen Keimverstreuungen kommen nicht selten
seeundäre Herde auch in entfernteren Körpertheilen vor und zeugen entschie-
den für die Bösartigkeit des Glioms. Man findet solche Metastasen
gelegenthch in jedem beliebigen Körpertheile, die entferntesten Partien des
Knochenskeletes nicht ausgenommen.
616 Tumoren; Nosologie; Gliom; Metastasen; Binoculäres Auftreten; Aetiologie; Sarcom.
Insbesondere sind die Lymphdrüsen in der Gegend der Parotis und des
Unterkleferioinkels (Knapp), welche mit dem Bulbus durch Lymphvvege zusammen-
hängen, als öfterer Sitz secundärer Herde zu nennen. Weniger oft betheiligen sich
die Lymphdrüsen am Halse, im Gekröse u. s. w. Von Eingeweiden scheint nach
den bisherigen Erfahrungen die Leher am meisten disponirt zu sein. Ausnahms-
weise hat man gliose Herde aber auch in der Niere , in den Ovarien (Heymann,
Fiedler), in dem Uterus (Mackenzie) u. s. w. gefunden.
Das retinale Gliom greift in etwa einem Fünftheile der Fälle
(Hirschherg) auf das ziueite Auge über. Sehr ausnahmsweise bildet dann
das Chiasma die Brücke (Hjort Heiberg, GreeveJ, oder es bricht die After-
masse vom Gehirne aus in die zweite Orbita und treibt daselbst den Bulbus
heryor (Lawrence). Ln der Regel ist es ein neuer Herd , welcher sich im
zweiten Bulbus durch Dissemination entwickelt und seine Phasen
durchmacht.
Das Güoma retinae ist im Ganzen ein nicht gar seltenes Leiden,
denn es wird in 0,05 "/q der Augenkranken beobachtet (Hirschberg). Man kann
es im ganz eigentlichen Wortsinne eine Krankheit des Kindesalters nennen
(Mackenzie), wenigstens ist bisher kein unzweifelhafter Fall von retinalem
Markschwamme bei einem Individuum jenseits des zwölften Lebensjahres
beobachtet worden (Hirschberg). Das Lebensalter, in welchem das Gliom
beginnt, umfasst die ganze Zeit von der Geburt bis zu der genannten
Periode. Wiederholt ist es bereits an Neugebornen gefunden worden
(Sichel, Virchow, Knapp u. A.), so dass man seine Eutwickelung ivährend
dem Fötalleben annehmen muss. In mehreren Fällen wurde es bei
mehreren Kindern derselben Ellern gesehen (^Lerche, Sichel, Graefe). In
Betreff des Geschlechtes ist ein geringes Uebergewicht bei Knaben nachge-
wiesen worden {Hirschberg). Specielle ätiologische Momente sind unbekannt.
Eine objectiv wahrnehmbare Kakochymie oder sonstige fehlerhafte Diathese
liegt gewiss nicht zu Grunde. Im Gegentheile lässt die grösste Mehrzahl
der ergriffenen Kinder durch ihr blühendes Aussehen und das höchst
befriedigende Allgemeinbefinden auf normale Nutritionsverhältnisse schliessen.
Eben so wenig sind äussere Schädlichkeiten, Traumen etc. einer Einfluss-
nahme auf das Zustandekommen des retinalen Markschwammes zu
beschuldigen {Hirschberg).
10. Das Sarcom wechselt in seiiier äusseren Erscheinung ganz ausser-
ordentlich und wurde daher unter den verschiedensten Titeln , als fibro-
plastisches, medulläres, melanotisches Sarcom oder Carcinom, als Speckgeschwulst,
Markschwamm, fibröser Polyp u. s. w. beschrieben. Sein Gefüge nähert sich
dem Typus bald dieser, bald jener Gruppe des Bindegewebes, bildet gleich-
sam Uebergänge, so dass man fibröse, mucöse, gliose, melanotische, Knorpel-
und Knochensarcome zu unterscheiden veranlasst ist. Doch ist ihm die
vorwiegende Entwickelung der zelligen Elemente eigenthümlich. Diese
zeigen noch die bekannten Formen der Bindesubstanzgebilde , aber gewisser-
massen in hypertrophirtem Zustande. Sie verharren auch in dieser Eigen-
schaft, ohne in ihrer Entwickelung zu vollendetem Bindegewebe weiterzu-
schreiten. Andererseits sind dieselben mit der Intercellularsubstanz noch
zu einer relativ festen und in sich cohärenten Structur vereinigt , welche
Gefässe in sich aufnimmt und in contivuirlichem Zusammenhange mit den
nachbarlichen Geweben der Bindesubstanz steht , was eine wesentliche
Differenz den Epithelformationen, namentlich aber allen Krebsen und cysti-
schen Geschwülsten gegenüber ergibt. Die Intercellularsubstanz tritt zudem
Sarcom; Medulläre, melanotische Form; Netz-, Spindel-, Kund-, Riesenzellensarc. 617
häuii"' sehr stark zurücl", wälirend dio Zellen überhand nehraen vind erstere
fast ganz decken. Das Sarcom erhält solchermassen ein markähnliches Aus-
sehen, wird medullär, oder, falls die Zellen mit Pigment reichlich geschwängert
sind, melanotisch ( Virchow).
Die sei/igen Elemente sind bald .sfernförnrnj , bald spinde/lff, bald rnndlicli.
Letztere gedeihen nicht selten zn ganz kolossalen Grössen, wo sie dann eine Un-
zahl von Kernen führen. Je nach dem Vorherrschen dieser oder jener Zellenart
werden daher anch Netz-, Spindel- Rund- und RiesenzeUensarcome unterschieden.
Die ersteren nähern sich den einfachen Gewächsen der Biudegewebsreihe am meisten
und wären von ihnen kaum zu iinterscheiden, wenn sich nicht sehr häufig Ueher-
gänge zu Spindel- und Kundzellensarcomen fänden, die Zellen gewöhnlich stärker
entwickelt und an Masse derart überwiegend wären, dass die Intercellularsubstanz
nur mit Noth nachzuweisen ist. Zumal pigmentirte Sternzellen entwickeln sich
nicht selten in solcher Masse und zu so bedeutender Grösse, dass man zuletzt fast
nichts, als dicke schwarzbraune Pigmenthaufen sieht. — Die S2)indelzeUensarcome
(ßJ>roplastischen Geschicillste) sind überaus scharf charakterisirt durch die eigen-
thümliche Form der Zellen, welche langgestreckt sind, an beiden Enden in fädige,
bei üppiger Wucherung wohl auch verzicelgle P^ortsätze auslaufen und einen läng-
lichen eiförmigen Kern führen. Sie sind oft stark pigmentirt und im Allgemeinen
sehr zerbrechlich, so dass man oft freie Kerne im Gefüge zerstreut sieht. Es lagern
diese Zellen bald in reichlicher Intercellularsubstanz, bald rücken sie so nahe an
einander, dass letztere fast ganz verschwindet. Durch nahes Zusammentreten und
parallele Axenrichtung bilden sie häufig blätter-, bündel- oder balkenförmige Züge,
welche sich mitunter kreuzen und im Ganzen einen wesentlichen Einfluss auf das
makroskopische Verhalten des Gewächses ausüben. — Die Rundzellensarcome wer-
den fast durchwegs mit medullären und, falls sie viel Pigment führen, mit vielano-
ti'icJien Krebsen zusammengeworfen. Die Aehnlichkeit ist auch eine überaus grosse,
wenn dicht verzweigte Gefässe oder Reste des Mutterbodens einen alveolaren Bau
vortäuschen. Doch tragen die Zellen beim Sarcom eben nicht den epithelialen Cha-
rakter, sie sind nicht platt, sondern rund, eiföi'mig oder höchstens linsenförmig;
lagern auch nicht grupjjenioeise in Lücken der Intercellularsubstanz, sondern sind
allenthalben, wenn auch von minimalen Quantitäten der letzteren, umgeben. Ihre
Zerstörbarkeit ist eine aussergewöhnlich grosse, so dass freie Kerne in den Präpa-
raten sehr reichlich vertreten zu sein pflegen. Diese Kerne sind gewöhnlich ver-
hältnissmässig gross und mit mächtigen Kernkörperchen versehen. Man findet der-
lei Rundzellen gelegentlich in jeder Form des Sarcoms. Häufig sind dieselben seh7-
klein, die Geschwulst bildet einen Uebergang in das Oliosarcom. In anderen Fällen
erscheinen sie grösser, werden mehrkernig und gelangen durch zahlreiche, oft in
demselben Präparate nebeneinander bestehende Uebergänge zu ganz erstaunlichem
Umfange. Fallen solche Riesenzellen aus dem Stroma heraus, so kann ebenfalls ein
alveolares Aussehen begründet werden , doch lagert eben nur eine , nicht mehrere
grosse Zellen oder ganze Haufen, in den einzelnen Lücken (Virchoiv).
Die Tnfercellularsubsfanz ist selten rein bindegeivebig , leimgebend, meistens
enthält sie albuminose, caseinöse oder mucinose Bestandtheile. Wo sie in grösserem
Massenverhältnisse auftritt, wird sie mitbestimmend für den Artunterschied des
Sarcomes. Sie ist bisweilen fibrillär und stempelt das Sarcom zu einem Fibro-
sarcom. In anderen Fällen ist sie körnig. Es kömmt dies am häufigsten bei den
Gliosarcomen und bei manchen kleinzelligen Myxosarcomen vor. Häufig endlich er-
scheint sie homogen iind zwar als eine hyaline gallertige Schleimmasse, welche von
einer gewissen Menge breiter und dunkler Fasern durchzogen ist (bei manchen
Myxosarcomen), oder überaus dicht und fest, fast knorpelähnlich. Die letzteren
Eigenschaften hat sie dann entweder von vorneherein, oder gewinnt sie durch eine
Art Sclerose fibrillärer oder schleimiger Massen. Es geht eine solche Verdichtung
in der Regel der Verkalkung und Verknöcherung voraus und bildet den gewöhn-
lichen Entwickelungsgang der Osteosarcome (Virchoiv).
Alle Sarcome enthalten Gefässe. Dieselben wachsen aus dem MxMerboden in
das Aftergebilde hinein und verzweigen sich darin bald zu schütteren, bald zu
übei-aus dichten Netzen (Wedl). In manchen Fällen sind die Gefässe so reichlich
vertreten, dass sie geradezu an Masse vorherrschen und vermöge ihrem beträcht-
lichen Caliber der Geschwulst grosse Aehnlichkeit mit Blutschwämmen verleihen
(Sarcoma telangiektodes oder cavernosumj. Selbstverständlich begünstigt die Anwe-
618 Tumoren; Nosologie; Sarcom ; Knotige, diffuse Form; Cystosarcom; Combinationen.
senheit zalilreicher Gefässe das rasche Wachstlnun und den Saftgelialt, folgerecht
also auch die Infectionsfäliigkeit der Geschwulst. Ist diese bereits blosgelegt, so
wird auch das Nässen, so wie das Bluten derselben dadurch gefördert. Es erfolgen
Haemori-liagien bald nach aussen, bald nach innen. Iin letzteren Falle können sie
eine schnelle Vergrösserung des Tumor begründen und vermöge der allmäligen
Umwandlung des Extravasates in Pigmentkörner auch melanoHsche Färbungen
veranlasse7i.
Das Sarcom entwickelt sich meistens in Form von Knoten, welche
unter Umständen sehr beträchtliche Durchmesser erlan2;en können und
durch Anschiessen neuer Herde leicht ein lappiges Aussehen erhalten.
Wuchern solche Geschwülste an Oberflächen, so treten sie gerne über die-
selben hervor und werden auf Häuten oft polypenähnlich oder schwamm-
förmig. Seltener erscheint das Sarcom diffus im Inneren eines Organes
nach der Art eines Infiltrates oder einer Hypertrophie. Sind drüsige Organe
der Sitz , so können die natürlichen Höhlen und Kanäle derselben auf
mechanischem Wege erweitert und der Begriff eines Cystosarcomes erschöpft
werden (Virchow).
Es ist ein solcher Zustand wohl zu unterscheiden von jenem, wo ein Sarcom
in der Wand einer bereits bestehenden Cyste auftritt und allenfalls in sie hinein-
wächst; oder wo ein Sarcom durch partielle Erweichung und Verflüssigimg seines
Gefüges Höhlungen bekömmt; oder sich mit einer derben Hülle überkleidet, gleich-
sam incajjstdirt wird.
Es gehen die Sarcome mit entschiedener Vorliebe aus dem Binde-
geiuehe im engeren Wortsinne hervor. Sie können jedoch auch jedem anderen
zur Bindesubstanzreihe gehörigen Gefüge entspriessen , und dann pflegen
sich im Gewächse die besonderen Eigenthümlichkeiten der Matrix theilweise
zu wiederholen , so dass das Sarcom je nach der speciellen Art seines
Keimbodens sich zum fibrösen, mucösen, gliosen, knorpeligen, knocliigen,
melanotischen Sarcom ausbildet. Immerhin ist ein solches Anlehnen an
den Typus des Mattergewebes keine durchgreifende Regel. Zudem ist auch
die Combinationsfähigkeit des Sarcoms eine sehr grosse; nicht selten kann
in einer und derselben Geschwulst eine Mehrzahl von Gewächsarten nach-
gewiesen werden, welche dann nicht einmal stets der Bindesubstanzreihe
angehören.
So sieht man gar nicht selten die Elemente des Krebses neben jenen des
Sarcoms aus der Matrix hervorwuchern (Virchow). Die ersteren ordnen sich dann
bisweilen innerhalb der sarcomatösen Geschwulst zu schlauchartigen, vielfach unter
einander anastomosirenden Zügen mit zapfen- und kolbenähnlichen Auswüchsen
und stellen so ein cancroides Gebilde dar, welches vielfach unter dem Namen Ade-
noid beschrieben wird (RecMinghausen, Hirschberg). In anderen Fällen findet man
hyaline, vielfach verzweigte, plexusartig unter einander anastomosirende Stränge
von flbrocartilaginösem Gefüge, deren Grundlage offenbar Gefässe sind und welche
neuerer Zeit als der charakteristische Bestandtheil der plexiformen Tumoren (Bill-
roth, Czexny) aufgefasst werden.
Die Sarcome sind keineswegs gutartige Geschwülste, welche blos local
wiederkehren. Ihre Infectionsfähigkeit ist vielmehr eine überaus stark ausge-
sprochene. Past allgemein findet sich die continuirliche Infection der Nachbar-
schaft, und zwar schreitet die Wucherung vorerst im homologen Gefüge
weiter, geht dann aber ganz gewöhnlich auf heterologe, in organischem
Zusammenhange stehende Theile über. Nur die Knorpel und im geringeren
Grade auch die fibrösen Häute widerstehen längere Zeit, bilden gleichsam
eine Schranke. Später kömmt es sehr oft auch zur discontinuirlichen
Infection, es entwickeln sich vorerst neue Herde in der Nähe, oder es
Bösartigkeit; Disseininationen ; Stillstände; Regressive Metamorphosen. 619
treten nach Art der Aletastnsen Knoicii in den TTungon, vornchmlic.li aber
in der Leber, Niere, dem Gehirne u. s. \v. auf. Es pÜanzen sich dabei
die EiqenthümUchkeiten des Primärherdes .^ehr häufig auf die 'rochterknoten
fort; primäre Melanosarcome, MeduUarsarcome, Osteosarcome etc. erzeugen
durch Infeetion gewöhnlich wieder melanotische, medulläre, osteoide u. s. w.
Producte {Virchow).
Der Umstand, dass bei diesen Disseminationeu die Lymphdrüsen sehr häutig
frei bleiben, zeichnet die Sarcome einigermassen unter den übrigen malignen Ge-
wächsen aus; lässt ausserdem aber vermuthen, dass die Verführung des Samens
nicht sowohl durch die Lymphwege, als durch das Blut geschehe.
Es offenbart sich der maligne Charakter der Sarcome indessen nicht
immer gleich von vorneherein. Die meisten haben eine unschuldige Periode,
während welcher sie auf den Mutterboden gebannt bleiben und überaus
langsam, oft auch mit langen Stillständen, wachsen ; ja manche bestehen
in ihrer Anlage seit Jugend oder sind gar angeboren und werden erst im
reifen oder im Greisenalter unter plötzlicher Yolumszunahme bösartig.
Auch ist nicht jede Art des Sarcoms in gleichem Masse infectiös. Am
wenigsten scheinen dies ganz harte Fibrosarcome zu sein. Doch kommt
auch diesen ein gewisser Grad von Ansteckungsfähigkeit zu, wie daraus
hervorgeht, dass sie trotz scheinbarer völliger Exstirpation öfters recidiviren
und dies zwar bisweilen mit verändertem histologischen Charakter, in
medullärer Form u. s. w. {Hirschberg). Im Uebrigen sind grosszellige
Sarcome, auch wenn sie weich sind, insbesondere die Spindel- und Riesen-
zellensarcome, minder verderblich, als die Jcleinzelligen. Am schlimmsten unter
allen sind die melanotischen, welche eben zumeist nichts als pigmentirte
medulläre Formen darstellen. Von hohem Belange sind weiters der Sitz
und das Verhältniss des Gewächses zum Gefäss- und Lymphsysteme. Orbitale
Sarcome erzeugen erfahrungsmässig viel rascher Tochterherde und werden
auch viel schneller disseminirt, als gleichartige intraoculare Tumoren, welche
häufig lange im Augapfel abgeschlossen bleiben, üeberall ist das bereits
merkbare Uebergehen auf heterogene Gewebsarten und noch mehr eine etwa
schon erfolgte Durchbohrung derber -widerstandsfiihiger Scheidewände, z. B.
der Cornea, Sclera, ein Zeichen der übelsten Bedeutung, insoferne unter
solchen Umständen fast constant Infectionen , selbst entlegenerer Theile,
bereits stattgefunden haben.
Uebrigens schreitet das Sarcom nicht alleraal ganz stetig seinen Aus-
gängen zu. Gar oft werden, namentlich im Binnenraume des Augapfels,
Biickbikhingen beobachtet. Es beschränken sich dieselben nicht selten aixf
Theile der Geschwulst, der Eest derselben wuchert um so üppiger weiter;
falls aber auch der Rückgang den ganzen Tumor beträfe, ist damit häufig
nur ein zeitweiliger Stillstand des Processes gegeben, indem über kurz oder
lang die Afterbildung sich wieder geltend macht und dann gewöhnlich
mit äusserster Bösartigkeit ihre Ziele verfolgt. Es wird die regressive
Metamorphose durch Verfettigung der zelligen Elemente eingeleitet, welche
letztere sich nach und nach in Fettkörnchenzellen, Fettkörnchenkugeln und
schliesslich in einen emulsiven fettigen Detritus verwandeln.
Es wird diese Verfettigung gelegentlich bei jeder Art des Sarcoms
beobachtet ; doch neigen die zellenreichen und überhaupt die schnell
wachsenden Gewächsformen am meisten dazu. Bei harten Formen, zumal
bei den Fibrosarcomen, wird dadurch unter fortschreitender Resorption der
620 Tnmoreu; Nosologie; Sarcom; Verschwärung : Aetiologie : Keloid: Saroom der Lider.
zersetzten Stoffe oft ein Einsinken der Geschwulst und die Schrumpfung
zu einem derben narbenartigeu zellenarmen Gefüge veranlasst, welches
mitunter verknöchert. Bei weicheren Sarcomarten liingegen wird die Masse
mehr breiartig und dickt sich scliliesslich zu einer käsigen Substanz ein,
die viel Fett und oft auch Kalksalzgrumen enthält.
In anderen Fällen führt die Verfettigung zur Erweichung, es bilden
sich Hohlräume im Inneren der Geschwulst, welche bei eintretender Resorption
des Zerfallenen nicht einsinken, sondern das Verlorene durch Flüssigkeit
ersetzen und so am Ende das Aussehen von Cysten gewinnen. Oft werden
bei einer derartigen Erweichung auch Gefässe angefressen, es kömmt zu
massigen parenchymatösen Blutungen, welche dann ein Uebergehen der
Erweichung in Ulceration zu veranlassen pflegen.
Im Ganzen neigen Sarcome wenig zur Verschwärung. Doch gibt es
keine Form derselben, welche nicht endlich aufbrechen und ein Geschwür
liefern könnte. Die harten Formen, welche zugleich meistens ein langsames
Wachsthum haben , bleiben am längsten geschlossene Geschwülste und
erreichen daher zuweilen sehr bedeutende Grössen. Bei weichen, namentlich
zellenreichen Sarcomen hingegen tritt die Verschwärung gewöhnlich sehr
bald ein und schreitet auch sehr rasch weiter, wobei die Absonderung eine
sehr reichliche, häufig blutige oder gar faulige zu werden pflegt und
binnen Kurzem OHgaemie, Marasmus, Inanition des Individuums herbeizu-
führen vermag. Eine eigentliche Cachexie, wie bei Krebsen, entwickelt
sich bei Sarcomen nicht leicht, es bleibt bei einfacher Ernährungsstörung.
Das Sarcom ist bei Erwachsenen viel häufiger als bei Kindern. Es
kömmt an den verschiedensten Theilen des ophthalmologischen Gebietes
primär vor. Es tritt oft ohne nachweisbare Ursache auf. In anderen Fällen
sind andauernde oder sich häufig wiederholende Reizzustände oder Entzün-
dungen als ^Veranlassung aufzufassen. Hin und wieder geht es aus schrum-
pfenden Narben hervor und wird dann Keloid genannt.
a. In der Liddecke entwickelt sich das Sarcom nicht ganz selten aus Fleisch-
tvareen oder pigmentirien Malern, welche von Geburt aus bestehen oder doch schon
in der ersten Kindheit bemerkt wurden. Es sind diese Gewächse meistens sehr
kleinzellig und können als Sarcome in der Anlage betrachtet werden. Sie bleiben
gewöhnlich bis ins höhere Alter ziemlich unverändert, werden dann aber mit oder
ohne äusseren Anlass, z. B. in Folge einer Verletzung, plötzlich sehr empfindlich
und wohl auch in hohem Grade schmerzhaft, schwellen auf und verwandeln sich
in lappige Geschwülste. Doch kommen auch Hautsarcome vor, welche tief im sub-
cutanen Gefüge wurzeln. Sie stellen glatte Geschwülste dar, treiben das Integument
vor sich her, ohne dasselbe immer zu durchgreifen, erreichen manchmal sehr be-
deutende Grössen und können auch sehr schmerzhaft werden (Mackenzie, WedlJ.
Hierlier gehört auch eine eigenthümliche Gesehwulst, welche bei einem Greise an
allen vier Lidern beobachtet wurde. Dieselbe lagerte im laxen Bindegewebe und
Hess sich mit Leichtigkeit von ihren Umgebungen lostrennen. Dieselbe gab den
Lidern das Aussehen starken Oedems, war prall elastisch, etwas lappig, von Farbe
weiss gelblich wachsähnlich und erwies sich als ein kleinzelliges Sarcom (Schirmer).
Es erinnert dieser Fall an einen anderen, wo im oberen Augenlide eines Knaben
eine ähnliche Geschwulst, aber mit p?ea;(/b?-«ie7?i Charakter, gefunden wurde (Billroth).
Im Oriente sind analoge Geschwülste am oberen Augenlide sehr häufig und werden
schon von Celsus als Hydatis oder Vesica pinguis des Näheren gewürdigt. Sie
entstehen gewöhnlich bei Kindeni, erschweren die Hebung des oberen Augen-
deckels und lassen sich durch eine horizontale Hautwunde leicht mit den Fingern
herausziehen (J. E. Polak). In einem alten geschrumpften Weingeistpräparate Hess
sich die Zusammensetzung aus zelligeu Elementen und einer bindegewebigen Grund-
substanz entnehmen.
Sarcom der Bindehaut, der Orbifa; Mitleideuscliaft des Bulbus und des Gehirnes. 621
b. In der Bindehaut geben bisweilen F/ei.ichwarzen, polypöse nnd schivamviige
Auswüchse, melanotische Tumoren den Boden ab, aus welchem Sarconio hervor-
wuehern, ja nicht wenige der unter jenen Namen beschriebenen Gewächse mögen
von vorneherein die Bedeutung von Sarcomen haben. Nicht minder entwickelt sich
das fragliche Gewächs auch primär in vorläufig gesundem Gewebe, oder secimdär
durch hifection von Seite intraocularer oder orbitaler Geschwülste. Es zeigt sich
vorerst als ein einzelnes oder als eine Mehrzahl zerstreuter rötlilicher oder stark
pigmentirter Knötchen, welche gemeiniglich im sulmiucosen Gefiige lagern, bald zu-
sammenfliessen und bisweilen zu ganz ansehnlichen Tumoren" heranwachsen. Sitzen
sie der vorderen Bulhusohtr fläche auf, so breiten sie sich gerne der Flüche nach
aus, greifen gelegentlich auf die Hornhaut über {His), dringen im Episcleralgevvebe
nach hinten, und bilden bisweilen förmliche Schalen, welche den Bulbus grossen-
theils umhüllen und aus seiner natürlichen Lage drücken.
c. Li der Orbita finden sich Sarcome häufig. Sie sind hier öfters
sehr kleinzellig, erweisen sich als GUo- und Myxosarcome, welche streckenweise
bisweilen den plexiformen (RecJdinghausen, Czerny) oder cancroiden {Hirsch-
berg) Charakter tragen. In anderen Fällen erweisen sie sich als Fibrosarcome
{Hirschberg), oder als überaus bösartige Melanosarcome, seltener als cavernose
{Pagenstecher) oder als Cystosarcome {Mackenzie, Schiess-Gemuseus , Hirsch-
berg, M. Singer). Sie gehen in der Regel vom Fettgeivebe aus {Virchow)
und pflanzen sich meistens bald auf die übrigen Theile fort, pflegen darum
auch mit den Fascien und zumal mit der Periorbita fest zusammenzuhän-
gen. Sitzt das Gewächs weit nach vorne, so tritt es gemeiniglich bald zur
Lidspalte heraus und bildet mitunter mächtige Tumoren {Chelius), ehe es
die Bindehaut durchbricht und zu verschwären beginnt. Meistens wuchert
es dabei gleichzeitig nach hinten und bedingt Exophthalmus. Hat das
Sarcom seinen Ausgangspunkt hinter dem Augapfelgleicher, so wird der
Bulbus selbstverständlich um so früher aus der Orbita hervorgedräugt.
Eine häufige Folge dessen sind intraoculäre Entzündungen mit Ausgang
in Atrophia bulbi et nervi optici , oder in Vereiterung der Hornhaut und
Phthise des Auges. Ein directes Hineinioachsen des Aftergebildes in die
Höhlung des vorgetriebenen Bulbusstumpfes findet sicherlich nur äusserst
selten statt, wurde jedoch in einem Falle als sehr wahrscheinhch nachge-
wiesen {Virchow). Dagegen bohren sich Orbitalsarcome , besonders die
melanotischen, gar nicht selten durch die knöchernen Scheidewände, indem
sie selbe entweder durch Caries, IJsiir oder Xekrose zerstören, oder indem
die Afterwucherung sich auf die Beinhaut und das Knochengewebe unmit-
telbar fortsetzt. Ist das Pseudoplasma solchermassen in eine Nachbarhöhle
vorgedrungen, so pflegt es sich in der Orbita nur mehr langsam zu ver-
grössern. So kömmt es, dass man mitunter nur eine ganz massige und
scharf umgrenzte Geschwulst vor sich zu haben glaubt, während diese in
den unzugänglichen Nachbarhöhlen schon zu einem mächtigen Tumor
angewachsen ist. In einzelnen Fällen hat der Process wohl auch den
umgekehrten Weg genommen, ist aus der Highmorshöhle {Pagenstecher),
Nasenhöhle (Graefe), Stirnhöhle {Eothmund) etc. in die Orbita vorgedrun-
gen. Jedenfalls indessen viel häufiger, als solche directe Uebergänge, sind
Bildungen von Tochterherden im Knochen xind in den Weichtheilen der
angrenzenden Räume. Besonders gefährdet erscheinen in dieser Hinsicht
der Inhalt der Schädelhöhle und zwar in erster Linie die weichen Hirnhäute
{Virchow). Diese Disseminationen und wirklichen Metastasen, zu welchen
Orbitalsarcome, zumal die melanotischen, überaus stark hinneigen und
welche öfters schon sehr frühzeitig erfolgen, sind nicht nur operativen
622
Tumoren; Nosologie; Sarcom der Thräuendrüse, d. Cornea, d. Iris u. d. Ciliarkorpers.
Eingriffen im hohen Grade missgünstig ; sie führen durch Functionsbehin-
derung lebenswichtiger Organe auch oft zum Tode, ehe der Primärherd zu
einer übermässigen Entwickehmg gediehen ist.
d. In der Thränendrüse kommen Avahrscheinlich Sarcome häufiger vor, als sie
daselbst nachgewiesen (Stengel) wurden. Manche für einfache Verhärtung oder
Hypertrojjhie (S. 553) gehaltene Erkrankung und manche Cystenbildung (S. 605)
mag als Sa7-com oder wenigstens als eine Mischgeschwidst mit sarcomatöser Grund-
lage zu gelten haben. In mehreren Fällen hat man die durch ihre eigenthümliche
grünliche Färbung ausgezeichnete Varietät, das Chloroma, in der Thränendrüse
beobachtet {Paget, Bums, BaJfour, Durand-Fardel).
e. In der Hornhaid sind primäre Sarcombilduugen grosse Seltenheiten. In
einem Falle wurde ein sehr gefässreiches haseluussgrosses lappiges Netzzellensarcom,
welches in der Cornea und Sclera wurzelnd steiltussig hervortrat, gefunden (Berthold).
Unzweifelhaft gehören hierher auch manche jener melanotischen oder fleischähnlichen
Gewächse, welche gleich itr»prÜ7\glich in der Cornea wurzelten {Cooper, Nelaton,
Steffan), dieselbe grossentheils oder ganz zerstörten und zu ziemlichen Grössen
gelangt waren, ohne die Descemet! zu durchbohren iind ohne auf den Limbus
conjunctivalis und die Lederhaut überzugehen. Viel häufiger sind secundäre
Cornealsarcome. Dieselben stammen von Bindehaidsarcomen, welche sich allmälig
über die Hornhaut ausgedehnt haben, oder von fleischähnlichen und melanotischen
Warzen (Virchoio), welche an der Hornhautgrenze sassen und sich allmälig zu
wahren Sarcomen ausgebildet haben. Die melanotische Form gleicht in ihrem
Fortschreiten einem Pannus crassus, welcher von dem Primärherde aus unter
dem Epithele weiter und weiter wuchert und höckerige Geschwülste aus seiner
Oberfläche treibt. Die medidlare Art hingegen stellt sich in ihren Anfängen
als eine wolkig umgrenzte weissgraue Infiltration dar, welche sich allmälig aus-
breitet, Gefässe bildet und wildem Fleische ähnliche Knötchen erzeugt, die rasch
anwachsen, zusammenfliessen, sich mit dem Mutterknoten vereinigen und dessen
Umfang vermehren.
/. Auch in der Iris (Lehrun, Htrschherg) sowie im Ciliarkörper {Knapp,
Qraefe, Cowell, Warren), oder in beiden zugleich {Knajjp, Berthold) entwickeln sich
ausnahmsweise primär Sarcome der mannigfaltigsten Art. Sie zeigen sich in der
Iris gewöhnlich unter der Form von Knoten, welche breit aufsitzen und unter
allmäliger Vergrösserung meistens bald den Kammerraum ausfüllen, oftmals auch
auf den Strahlenkranz übergreifen und denselben gleich der Iris grösstentheils
oder ganz bis zur Ora serrata hin zerstören {Dixon). Im Ciliarkörper erscheinen
sie bisweilen als diffuse Infiltrationen {Graefe). In der Regel jedoch treten sie hier
ebenfalls in der Knotenforvi auf und consumiren nach und nach grosse Portionen
des Strahlenkranzes. Sie drängen bisweilen die Iris zur Seite [Knapp), häufiger
j,. gg wachsen sie in dieselbe hinein
und füllen dann bald den
Kammerraum aus. Mitunter
greifen sie auch nach rück-
wärts auf die Chorioidea. In
der grössten Mehi-zahl der
Fälle jedoch ist das Sarcom
ij des Ciliarkorpers und der Iris
~ ein secundüres, von der Ader-
haut überkommenes (Alf.
Graefe, Demarquay, Hirsch-
herg). Es erregen solche Sar-
come im Ciliarkörper und der
Iris öfters heftige Kntzündun-
gen, welche das zweite Auge
sympathisch gefährden können
(Mooren), führen jedoch selten
zurNetzhautabhebungfiCna^jpJ.
Mitunter kömmt es zu Scleral-
ectasien , welche später bersten iind dem Tumor den Austritt gestatten. In einem
Falle war die Wunde, welche behufs der Ausschneidung eines von einem Knoten
besetzten Irisstückes in die Cornealgrenze gelegt wurde, die Ausgangspforte
Aderhautsarcom ; Mikroskoii. Unterschiede; Ausgangspunkte. 623
(Lebrun). In der Regel durchwächst das Sarcom förmlich die Cornea und Sclera.
Nach erfolgter Perforation wuchert das Aftergebildo rasch jsu einem ganz ansehn-
lichen Tumor (Fig. 86) heran, welcher mit eingeschnürtem Halse dem Augapfel
aufsitzt. In einzelnen Fällen wurde nach einem solchen Vorgänge die Rückbildung
der Geschumlst mit Atrophie und Schrumpfung des Augapfels beobachtet (Saunders,
Lawrence, Maitre-Jean, Graefe), wobei jedoch die Möglichkeit nicht ausgeschlossen
ist, dass es sich um Gramdome gehandelt hat.
g. Am allerhäufigsten stösst man im Bereiche dej- Aderhaut auf
Sarcome. Die Aftcrwuclierung geht hier nicht selten unter auffälligen
Reizerscheinungen einher, daher man sie in der Bedeutung einer Entzün-
dung aufgefasst und den Process als Chorioiditis hyperplastica und sarco-
matosa beschrieben hat.
Das Aderhautsarcom ist oftmals stark pigmentirt; eben so oft aber auch blos
dunkel gestrichelt, gesprenkelt, gestreift, marmorirt. Dagegen sind ungefärbte
sogenannte Leucosarcome {Virchoiv, Graefe, Hirschherg, Knap2}, Hutchinson, HidkeJ
seltener. Vielleicht hat auf die Grösse des Farbstoftgehaltes die wandelbare
Pigmentirung des Muttergewebes einen Einfluss (Haase, Berthold). Gewöhnlich über-
wiegen die Spindehellen, zumal an der Oberfläche der Geschwulst, wo sie oft eine
ziemlich derbe Hülle darstellen. Doch finden sich auch Stern- und Rundzellen gar
nicht selten in grosser Menge und in vielen Fällen sind Theile des Gewächses
geradezu medidlar. Die Intercelhdarsuhstanz ist bald sehr dicht, deutlich faserig,
besonders in der Hülle, bald sehr weich, beinahe zerfliessend, oder tritt fast ganz
zurück. In einzelnen Fällen zeigten sich darin die eigenthümlichen plexiformen GehiXAQ
(Knapp), in anderen war der Bau entschieden cavernös (Leber, Knap>p, HtilkeJ.
Manchmal findet sich das Sarcom in Combination mit Krebs (Landsberg, Gn-aefe).
Das Aderhautsarcom entwickelt sich bald von der subchorioidalen Schichte,
wo dann die eigentliche Chorioidea längere Zeit ihre Integrität erhalten kann; bald
geht es von der innersten Gef'ässschichte aus, diese beginnt zu granuliren, es zeigen
sich daselbst zahlreiche Bildungszellen, welche allmälig den Charakter der Sarcom-
zellen annehmen (Knapp). Sie sind öfters mit Myeloplaxen, d. i. Protoplasmamassen
von ganz unregelmässiger wechselnder Gestalt, welche von runden und ovalen
Kernen gefüllt sind, durchmischt und lagern in einer deutlich feinfaserigen Inter-
cellularsubstanz (Iwanoff). In manchen Fällen scheint es zu einer Exsudation auf
der Oberfläche der Aderhaüt zu kommen. Es treten gelbe Flecke auf, welche
allmälig confluiren und von den Gefässen der Netzhaut straff überspannt scheinen.
Weiterhin kömmt neben diesen Gefässen ein zweites Gefässuetz zum Vorscheine,
welches aus dem Aderhauttumor in die damit verklebte Netzhaut hineingewachsen
ist und öfters Hämorrhagien veranlasst. Schliesslich wächst die Aftermasse wohl
auch durch die Netzhaut hindurch und breitet sich im Glaskörperraume aus
(Knapp). Die Textur des 'Nctzliautinfiltrates ist dann öfters sehr kleinzellig, trägt
ganz den Charakter des Glioms oder Gliosarcoms. Es combiniren sich dann also
in einer und derselben Geschwulst Gliom und Sarcom (Virchow, Homer, Rind-
fleisch, Graefe, Hirschberg, Berthold).
Das Aderhautsarcom stellt anfänglich einen linsenförmigen Fladen
dar, welcher zwischen Chorioidea und Lederhaut gelagert, buckeiförmig in
den hinteren Augenraum hineinragt (Fig. 87 a). Unter fortgesetztem Wachs-
thume der Neoplasie erhebt sich dieser Buckel immer mehr, er bildet eine
rundliche Geschwulst h, deren Zenith sich allmälig der optischen Axe
nähert oder dieselbe gar überschreitet , während der Fuss sich immer
weiter ausbreitet, so dass endlich die Hälfte und mehr des hinteren Augen-
raumes ausgefüllt erscheint. Ausnahmsweise jedoch verbreitet sich das
Sarcom in diffuser "Weise und umhüllt schliesslich den hinteren Bulbus-
raum in Form einer mehr weniger dicken Schale" (Hirschherg^.
Gewöhnlich erhält sich die Grenzhaut c der Chorioidea trotz bedeu-
tender Massenzunahme des Tumors und übcrkleidet denselben seiner ganzen
Ausdehnung nach als ein strafft gespanntes Häutchen , welches sich unun-
624
Tumoren; Nosologie; Aderhautsarcom ; Verlauf; Entzündliche Episoden.
- d
terbroclien auf die die Geschwulst umgebenden und von deren Fuss
meistens etwas emporgehobenen Partien der Aderhaut d fortsetzt. Die
pj„. 87. Oberfläche der Geschwulst ist
in solchen Fällen in der
Regel eine ganz glatte. Die
darüber lagernde Netzhautpartie
wird meistens schon frühzeitig
durch eine mehr weniger
reichliche Menge von Flüssig-
keit in Form eines Sackes e
von dem Tumor abgehoben, er-
scheint faltig und flottirt stark,
die Geschwulst wird gleichsam
maskirt durch eine Netzhautab-
hebung. Späterhin schmiegt sich
die gewöhnlich stark getrübte
Xetzhaut bisweilen wieder der
Oberfläche der Geschwulst
innig an, verklebt wohl auch
mit ihr und wird schliesslich von ihr förmlich durchwachsen (Mooren,
Knapp).
Es kommen Fälle vor, wo der Tumor bereits den grössten Theil des hinteren
Bulbusranmes ausgefüllt imd die eine Hälfte der Netzhaut vor sich her in die
Concavität der anderen getrieben hat, so dass die Retina schlafhaubenförmig
eingesiü/jjt erscheint und ihre beiden Blätter nur durch eine dünne Schichte trüben
Glaskörpers von einander getrennt sind. Auch sieht man die Netzhaut öfters zu
einem langgestielten Trichter zusammengezogen und fast ringsum von der sarco-
matosen Masse iimgeben.
In manchen Fällen waren derlei Gewächse gestielt. Der derbe gefässhältige
Stiel wurzelte in der Aderhaut und der Körper der Geschwulst war mit der trichter»
artig zusammengefalteten Netzhaut verwachsen (Knajyp, Klebs, LandesbergJ.
Das Aderhautsarcom entwickelt sich bisweilen, zumal wenn Traumen
seine Veranlassung waren, ziemUch schnell und gedeihet binnen Monatfrist
zu ganz beträchtlichem Umfange. In der Regel aber ist sein Wachsthum
ein überaus langsames und von Stillständen vielfach unterbrochenes. Manche
Chorioidalsarcome bestehen Jahre lang ohne auffällige Veränderung. Eir
Beginn bleibt öfters sogar ganz unbemerkt, erst die Erblindung des Auges
macht den Kranken auf sein Leiden aufmerksam.
Nicht ganz selten werden dann Verletzungen als Ursache beschuldigt, welche
vor langer Zeit den Bulbus functionsuntüchtig gemacht haben. Es kann auch wohl
sein, dass schrumpfende Narben, welche gerne einen gewissen Erregungszustand
unterhalten, manchmal den Ausgangspunkt der Afterwucherung abgeben.
Häufig stellen sich zeitweilig heftige Reizzustände oder förmliche Ent-
zündungen ein. Letztere verlaufen häufig unter merklicher Erhöhung des
intraocularen Druckes und präseutiren sich nicht selten unter dem ausge-
sprochenen Krankheitsbilde des chronischen, nicht selten jedoch auch des
acuten Glaucoms. In anderen Fällen trägt das intercurrente Leiden den
Charakter der Iridochorioiditis und fülrrt öfters zu Verwachsungen des
Pupillarrandes, weiterhin aber zu partiellen oder totalen Sclerochorioidal-
staphglomen und nicht ganz selten zu sgmpathischen Ophthalmien des anderen
Auges (Mooren). Bisweilen kömmt es wohl auch zur Eiterung, die Cornea
Eegressivo Motamorpliosen ; Durchbruch. 625
infiltrirt sich unter den Erschoinnne;en der Panophthalmitis suppurativa, und
bricht durch.
Wenn der Sch(nn niclit trügt, kann ansnahmswoise der Tumor sammt dem
Bulbus auf suppurativcm Woge zerstört wcrflen, phthisiach zu Grunde gehen. I^eider
ist die sarcomatöse Natur der bezüglichen Fcälle nicht erwiesen und es kann der
Einwand geltend gemacht werden, dass es sich nicht sowohl um ein Sarcom, als
vielmehr um ein Oranulom u. dgl. gehandelt habe.
Das Wachsthum der Geschwulst pflegt unter den entzündlichen Vor-
gängen einen Aufschwung zu nehmen. Mitunter geschieht jedoch gerade
das Gegentheil, es datirt von daher ein auffälliger Rückgang des After-
processes, das Sarcom verfettigt und schrumpft vermöge der Aufsaugung
der zerfallenen und löslich gewordenen Bestandtheile, während gleichzeitig
der Augapfel weich, welk wird und unter Faltung der Lederhaut zu einem
unförmlichen Stumpfe sich zusammenrunzelt.
Verhältnissmässig am öftesten schrumpfen wohl intraoculare Sarcome,
bevor sie durchgebrochen sind. Doch kömmt es bisweilen zur Atrophie
auch dann, wenn der Aderhauttumor sich bereits einen Weg nach Aussen
gebahnt hat (Berthold). Im Ganzen ist sehr wohl festzuhalten, dass die regressive
Metamorphose des intraocularen Sarcoms und der damit einhergehende
Schwund des Augapfels durchaus nicht immer einen wirklichen und dauernden
Äbschluss des Processes bedeuten. In der That wird häufig das geschrumpfte
und verödete Gewächs nach Monaten und Jalu'en wieder lebendig, es ent-
keimen demselben oder seiner Nachbarschaft neue Herde, welche dann mit
Schnelligkeit an Umfang zunehmen und in vielen Fällen einen sehr hös-
arfigen Charakter entfalten. Bei partiellen Yerfettungen oder Schrumpfungen
geht die Wucherung in den angrenzenden Theilen des Tumors häufig sogar
um so rascher vor sich.
Ueberhaupt bilden Bückgänge des Processes keineswegs die Regel.
Meistens schreitet die Afterwucherung stetig oder mit zeitweiligen Unter-
brechungen vorwärts, füllt den hinteren Bulbusraum mehr und mehr aus,
greift auf die Netzhaut, auf den Strahlenkranz und die Iris über, stopft
den Kammerraum voll und bricht endlich durch, worauf die Geschwulst
aus der Oeffnung hervorquillt, sich meistens überaus rasch zu einem
mächtigen Tumor vergrössei't und zu verjauchen beginnt.
Der Durchbruch erfolgt öfters durch die Hornhaut, indem dieselbe
neuroparalytisch oder in Folge eines intercurreitten heftigen Entzündungs-
processes verschwärt, auch wohl brandig zerstöi't wird, oder indem sie von
der die Kammer erfüllenden Geschwulst einfach durchwachsen wird. In
seltenen Fällen pflanzt sich die Geschwulst auf den Sehnerven fort (Pagen-
stecher) und bricht durch dessen Scheide hindurch. Am häufigsten jedoch
und recht oft schon sehr frühzeitig perforirt das Aderhautsarcom die Sclero-
tica und breitet sich dann unter beschleunigtem Wachsthume in der Orbita
aus, so dass häufig binnen Kui'zem der Augapfel aus der Lidspalte hervor-
getrieben und unbeweglich wird.
Die Perforation kann gelegentlich an jedem beliebigen Punkte stattfinden.
Doch sind Stellen, an welchen viele Gefässe hindurchtreten, der vordere Gürtel,
die Gleicherzone (Fig. 88) und der hintere Umfang der öclerotica bevorzugt. Der
Durchbruch wird nicht sowohl auf mechaniscliem Wege, als vielmehr durch ein
Uehergreifen des Processes auf das Lederhautgefüge vermittelt. Man sieht daselbst
deutlich die zelligen Elemente sich vermehren (Virchow), endlich aber das Faser-
gewebe ganz in der Afterwucherung untergehen. Nicht selten bilden sich durch
Stellwag, Augenheilkunde. 40
626
Tumoren; Nosologie: Saicom; Metastasen; Granulome.
ungleichmässige Anhäufung von Produkten taschenähnliche Räume in der Dicke der
Lederhaut, ehe die Perforation erfolgt. Ist dieses geschehen, so werden die Ränder
der Oeffnung von
F'?- 88. Seite des nach aus-
sen drängenden
Tumors oft trichter-
förmig hervorge-
staut. Der letztere
pflegt sich dann im
Inneren des Bulbus
nicht wesentlich
mehr zu vergrössern,
sein Wachsthum
geht vorzugsweise
nach aussen, daher
sich in solchen Fällen
die Cornea lange er-
hält.
Sehr oft ent-
wickeln sich noch
vor dem Durch-
bruche , und um
somehr nach dem-
selben, Tochter -
herde indem locke-
ren Episcleralgefüge , welche mit dem Hauptherde öfters gar nicht zu-
sammenhängen (Knapp), in anderen Fällen jedoch durch Züge neopla-
stischer Zellen communiciren (Hirschberg). Ebenso oft finden sich secundäre
Herde in der Orbita. Dieselben wuchern gleich den episcleralen Tochter-
herden gemeiniglich ziemlich rasch zu beträchtlichen Grössen heran und
verhalten sich im Uebrigen ganz ähnlich wie die primären Sarcome der
Augenhöhle (S. 621). Auch sind Metastasen in entferntere Theile, beson-
ders in das Gehirn, die Lunge, Leber u. s. w. bei vorgeschrittenem Pro-
cesse etwas sehr gewöhnliches. Bisweilen machen sich dieselben schon
sehr frühzeitig geltend oder legen wenigstens die Keime nieder, welche
sich nach der Exstirpation des primären Tumors, auch wenn diese
bald nach dem ersten Auftreten des letzteren vorgenommen wird , rasch
entwickeln und als locale Hecidiven oder entfernte Metastasen zum Vor-
scheine kommen {Alf. Graefe).
10. Die Granulationngeschwülste oder Granulome schliessen sich an die
bindegewebsartigen Gewächse unmittelbar an, stellen aber in ihrem Blüthe-
stadium keine reife Bhidesubstanz dar, sondern sind überwiegend aus
vergänglichen Elementen zusammengesetzt und pflegen mit deren Zerfall
unterzugehen. Ihr vorzugsweiser Keimboden ist Bindegewebe oder binde-
gewebsartiges Gefüge.
Ihr hauptsächlicher Bestandtheil sind kleine runde, mit verhältnissmässig grossem
Kerne versehene Zellen, welche viel Aehnlichkeit mit Lyniph- oder Exsudatkörpern
haben, sich aber nicht immer vollständig ausbilden, indem die Muf.terzellen oft
schon während ihrer Vergrösserung und Kerntheilung verfettigen. In einzelnen
Fällen sind dazwischen auch zahlreiche Kiesenzellen gefunden worden (Graefe).
An den Gren::en und Rändern der Geschwulst stösst man gemeiniglich auf Elemente
wahren Bindegewebes, auf anastomosirende sternförmige und spindehge Zellen. Die
Intercellularsuhstanz ist bald mehr faserig, wo dann die ganze Strnctur dem Binde-
gewebe entspricht; bald ist s\e weich, sclileimähnlich, oAev g^nz zerfliessend und eiter-
artig {VirchoirJ.
Grannlomo der Iris u. Aderhant : Lupus; Gummen; Exophthalmia fung. ; Papillome. 62 (
Man hat derlei Granulome in der Iris p;efnnden (Lincke, Graefe). Sie zeigten
sich daselbst primär als eine partielle Verdickung; der Regenbogenhaut, welche
sich unter entzündlichen P^rscheinungen entwickelte und rasch zu einem l)lassen
Tumor heranwuchs, der alsbald vascularisirte, einen grossen Theil der Kammer
ausfüllte, aber auch auf den Ciliarkörper übergriff und diesen eine Strecke weit
völlig consumirte. Man sah solche Ttunoren lange Zeit .9<rt/'Jo?iäj- bleiben. Schliesslich
pflegen sie jedoch die Hornhaut zu durchwachsen, sich au der freien Oberfläche
des Bulbus schwamniälinlich auszubreiten, dann aber constant, sei es nach chirur-
gischen Eingriffen, wie Abkappung, (Kauterisation u. s. w., oder spontan zu dauernder
Atrophie des Bulbus zu führen.
Möglicher Weise gehören hielicr auch mächtige Geschwülste der Aderhavl,
welche sich in Bezug auf Ausbreitung ganz wie Sarcome verhielten, den Bulbus
vollständig ausfüllten, nach vorne durch die Cornea brachen und dann unter Ver-
fettigung und Schrumpfung mit theil weiser Verkalkung und Verknöcherung des
bindegewebigen Gerüstes zu einer dichten derben, stellenweise bröckelig sandigen
Masse schrumpften ; in einem Falle aucli die Sclerotica nach hinten durchwuchsen,
die Orbita zum grossen Theile anstopften und mehrere beträchtliche secundäre
Herde in der Stirn- und Zitzenfortsatzgegend bildeten, nach einer ganz unvoll-
ständigen Exstirpation der Orbitalgeschwulst jedoch suppurativ zerfielen und unter
Narbenl)ildung dauernd heilten.
Aiisserdem sind hieher zu rechnen der Lupus (8. 486) und die Gummiye-
schicühte. Letztere finden sich sehr gewöhnlich an der Iris (S. 280), können aus-
nahmsweise jedoch auch sich über sämvitliche Häute des Auges verbreiten und den
Bulbus unter den Erscheinungen der Panophthalmitis zu Grunde richten (Hippel).
In mehreren Fällen wurden sie an den Lidern (S. 486), an den Knochenwänden der
Orbita (Chelins), öfters an der Schädelbasis (Graefe) und einmal im Chiasma (Arcoleo)
beobachtet.
Wahrscheinlich sind auch gewisse dem submucosen Gefüge entsprossene Ge-
wächse, welche früher zur Aufstellung einer Exophthalmia fungosa Veranlassung
gegeben haben mögen, in der Bedeutung von Granulomen aufzufassen. Man sieht
sie bisweilen sehr zahlreich im Bereiche der Tarsalbindehaut und insbesondere der
halbmondförmigen Falte. Sie sind meistens rundlich, pfefferkorn- bis bohnengross,
wurzeln diffus im lockeren Stroma und st;iuen die überlagernde Bindehaut vor sich
her. Durch Zusammenhäufuvig gedeihen sie mitunter zu ganz beträchtlichem Umfange,
so dass die Schliessung der Lidspalte erschwert oder behindert und selbst die
Stellung des Ai;gendeckels alterirt wird. Am Uebergangstheile der Bindehaut zeigen
sich nebenbei meistens Querwülste, welche sich auf breiter Basis erheben und
mehrere Linien im Durchmesser erreichen können, so dass sie den betreffenden
Augendeckel nach aussen hervorbauchen oder, indem sie zwischen dem Bulbus und
Lidrande sich nach aussen drängen, die Veranlassung eines Ectropiums werden. Es
finden sich diese Geschwülste gewöhnlich in Begleitung eines Trachomes. Die sie
überkleidende Bindehaut ist dann von Granulationen bedeckt oder bereits sehnig
entartet. Die Tumoren sind ziemlich hart, elastisch und lassen sich durch anhalten-
den Druck nur wenig verkleinern. Sie bestehen oft Jahre lang unverändert fort.
Ihr Gefüge besteht aus einem mehr weniger dichten Balkenwerk von sehnigen
Strängen und Häuten, dessen Zwischeniäume durch sulzähnliches Bindegewebe
erfüllt werden.
Ausserdem kommen hier in Betracht die Granulationen, welche sich bisweilen
an randständigen oder mit einem Irisvorfalle combinirten Hornhautgeschwüren ent-
wickeln und ausnahmsweise langgestielte pfefferkorn- bis erbsengrosse Tumoren dar-
stellen. Weiters sind hierher zu rechnen die Papillome, welche bei hochgradigem
Pannus bisweilen aus der subepithelialen Bildungsschichte hervorwachsen (Iwanoff),
ixnd ausnahmsweise die Hornhaut völlig deckend zu einem so beträchtlichen Volumen
gedeihen können, dass sie die Lider auseinander drängen (Businelli). Nicht minder
gehören in diese Kategorie sch.irammige Au.suiilchse, welche sich manchmal \un fremde,
in der Uebergangsfalte lagernde, oder in der Conjunctiva bulbi steckende Körper
erheben, dieselben mitunter förmlich einhüllen und der Wahrnehmung entziehen.
Auch sind die kohlblmnenähnUchen Excrescenzen zu erwähnen, welche aus eiternden
Bindehautwunden hervorsprossen und am öftesten nach der Strahotomie beobachtet
werden, zumal wenn dabei ein Theil der Muskelsehne am Bulbus haften geblieben
ist. Auch das Hagelkorn ist, so lange es viel unentwickeltes Bindegewebe in
seiner Höhle führt, als Granulom zu betrachten.
40*
(528 Tumoren ; Nosologie ; Irisgrannlome ; C'arcinome.
In Hinblick auf den nicht seltenen Uebergang von Honihautgranulationen
in epitheliale Narben (S. 120) mögen endlich gewisse Irisgeschicülste hier einen Platz
finden, welche zum grössten Theile aus eindermoidalen Zellen bestanden iind durch
Verdichtung der äusseren Hülle Aehnlichkeit mit Balggeschwülsten gewonnen hatten.
Sie enthielten ein oder mehrere Wimjjernhaare, welche in Folge eines Trauvia in
die Kammer gelangt waren und sind kaum anders als in der Bedeutung einer Art
von Incapsulation aufzufassen (Pamard, Graefe, Langenheck^ StöherJ.
11. Die Carcinome oder Krebse sind durch den alveolaren Bau ihres
Stroma und durch den epithelialen Charakter ihrer zelligen Elemente aus-
gezeichnet. Es lagern die letzteren in besonderen Maschenräumen des
Gefüges haufenweise, dicht an einander gedrängt, ohne alle Intercellular-
substanz; sie verhalten sich nicht wie Parenchymzellen, sondern lassen sich
von der alveolaren Grundlage trennen, auf Durchschnitten in Form eines
Saftes aus den Lücken des Gerüstes auspressen. Sie führen öfters viel
Pigment und stempeln den Krebs dadurch zu einem melanotischen
(Virchow).
Die Zellen erscheinen nicht selten spindelförmig mit polaren fädigen Fortsätzen
und machen so die Geschwulst den Spindelzellensarcomen sehr ähnlich. Doch tritt,
zumal an Querschnitten, die Abflachung und die derbe hörn artige Beschaffenheit der
Zellenmembran so wie die Zusamraenhäufung in Stromalücken gewöhnlich deutlich
hervor. In anderen Fällen sind sie sehr klein., plaftrundlich und geben dem Krebse
ein medidlares Aussehen. Auch kommen Riesenzellen mit 6 — 12 und mehr Kernen
vor; doch erreichen dieselben niemals so bedeutende Grössen, wie beim Sarcom,
lagern nicht einzeln, sondern immer in Gruppen beisammen und sind nebenbei mit
grossen Zellen gemischt, welche blos Einen, dafür aber ganz unverhältnissmässig
grossen Kern führen (Virchow).
Der äusseren Gestalt nach kommen die Carcinome bald mit dieser,
bald mit jener der im Vorhergehenden geschilderten Gewächsarteu so nahe
überein, dass nur eine sorgsame Untersuchung des feineren Baues den
krebsigeu Charakter zu ermitteln im Stande ist.
Es unterliegt darum auch gar keinem Zweifel, dass gar manche der oben
citirten Fälle auf Krebs zu beziehen seien, und dieses zwar um so mehr, als sich
eben die verschiedensten Aftergebilde gleich von vorneherein, oder in ihrem weiteren
Verläufe mit Carcinom combiniren wnA mehr und mehr den Charakter desselben
annehmen können, indem die dem Krebse eigenthümlichen Elemente sich strecken-
weise in Form von Nestern oder von plexusähnlichen Zügen zusammenhäufen und
bei fortgesetzter Wucherung allmälig das Uebergewicht erlangen.
Im Allgemeinen kann man sagen, dass die Bösartigkeit bei keinem anderen
PseudopJasma sich in dem Grade ausspreche, als bei Carcinomen. In der
Eegel ist schon sehr zeitHch die Infection vom Mutterherde aus weit
vorgeschritten, ohne dass sie sich jedoch immer gleich durch aufTällige,
dem freien Auge wahrnehmbare Veränderungen des Gefüges offenbart. Auch
greift der Krebs viel leichter auf heterologe Gewebsarten über und selbst
derbe sehnige oder knöcherne Scheidewände sind nur schwache Schranken,
welche bald überwunden werden. Zudem ist die discontinuirliche Infection,
die Bildung von Tochterherden an entlegeneren Stellen und das Auftreten
förmlicher Metastasen bei Krebsen meistens viel rascher und in ausgiebigerem
Masse zu erwarten, als bei den anderen mehr histoiden Geschwulstarten.
Die Vermittler der Fortpflanzung sind, zum Unterschiede von den Sar-
comen, vorzugsweise die Lymphgefässe ; daher denn auch gewöhnlich schon
sehr früh Anschwellungen der Lymphdrüsen hervortreten. Uebrigens deutet
die baldige Ausbildung einer Cachexie bei Krebsen darauf hin, dass die
Ueberfuhr abgelöster morphologischer Bestandtheile ins Blut eine sehr reich-
Sitz; Epithelialkrebs. 629
liehe sein möge. Endlich ist, der Umstand, dass Carcinome meistens vom
Anbeginne an mit lebhafteren Schmerzen verknüpft zu sein pflegen, ein
nicht zu verachtender praktischer Behelf, wenn es sich um Beurtheilung
einer Geschwulst am Lebenden handelt.
Das Carcinom kann gelegentlich ohne Zweifel in jedem einzelnen
Theile und in jeder Gewebsart des ophthalmologischcn Gebietes primär
auftreten.
Docli scheinen die Binnenorgane im Ganzen weniger zu Krebsbildungen zu
neigen, wenigstens ist bisher keinYaW. von jjriviäfem intraoctdären Curcmome völlig
sichergestellt und wo Krebseleniente gefunden wurden, waren sie stets nur in
Sarcomen u. s. w. eingesprenrjt.
Im Uebrigen wurden Carcinome als nielir weniger vascularisirte, bisweilen
jiigmentirte, steilfiissige, oberflächlich lappige Geschwülste auf der Hornhaut (Lang-
hans), an der Cornealgrenze und zum Theile im Lederhaxitgeßlge wurzelnd (Berthold,
Sieffan, Classen), in der äusseren Haut, in der Bindehaut (Althof) und in der Orbita
(Graefe, Sichel, Rothraund), gefunden. In einzelnen Fällen ging das Aftergewächs
von den henachharten Skelettheilen, dem Keilbeine (Graefe), den Gesichtsknochen
(Hnlke) aus iind wmcherte unter weitläufigen Zerstörungen der zwischenliegenden
Gebilde in die Orbita hinein. Die in der Thr'dnendnise beobachteten cancroiden
Gewächse scheinen den plexiformen Tumoren eingereiht werden zu müssen.
Eine besondere Erwähnung verdient das unter dem Namen Epithelial-
krebs seit Langem bekannte Hautcarcinom. Es entwickelt sich dasselbe nur
selten bei jugendlichen Lidividuen, ziemlich häufig aber im späteren
Mannes- und Greisenalter und ist im letzteren Falle meistens viel bösartiger,
indem selbst unter günstigen Umständen vorgenommene Operationen in der
Eegel nur einen sehr unvollständigen Erfolg haben, der Krebs fast immer
recidivirt. Es sitzt das Epithelialcarcinom stets in den oberflächlichen
Theilen des Körpers und geht niemals auf Eingeweide über. Es kommt nur
sehr selten primär an den Lidern, an der Bindehaut oder an der Hornhaut
vor ; desto öfter setzt es sich von der Wangen-, Stirn- und Nasenhaut
auf die Augendeckel und von diesen auf die orbitalen Gebilde fort. Es ist
fast immer die flache, selten die drusige Art, welche mau in dieser
Gegend beobachtet.
a. Der flache Epithelialkrebs erscheint in der äusseren Haut unter der Ge-
stalt kleiner rundlicher harter lichter Knötchen, welche sich verschiedenartig
gruppiren, sich späterhin mit zahlreichen venösen Gefässen überspinnen und dadurch
ein marmorirtes oder gestreiftes Aussehen bekommen. Die Knoten belegen sich dann
mit gelben Borken, unter welchen man zunächst blos eine excoriirte, weiterhin aber
eine geschwürige Fläche findet, die eine dünneitrige Flüssigkeit absondert, harte
Ränder zeigt, zeitweilig sich wohl auch schliesst, bald aber wieder aufbricht und in
diesem Zustande Monate und Jahre verharren kann, ohne sich wesentlich nach
Umfang und Tiefe zu vergrössern. Dabei ist die Aifection fast schmerzlos, oder
es treten blos zeitweilig Stiche auf. Erst nach längerem, öfters mehrjährige^n, Be-
stände greift der Krebs sowohl tiefer als weiter um sich und zerstört durch Schmel-
zung der sich fort und fort neu bildenden Knoten nicht nur die äussere Haut, sondern
auch alle '> interliegenden Gebilde des einen und des anderen Lides. Er setzt sich
dann auf das fettreiche orbitale Bindegewebe fort, fixirt den Augapfel und bringt ihn
unter fortwährenden Entzündungen seiner Bestandtheile ziir Schrumpfung. In manchen
Fällen indessen pflanzt er sich unmittelbar oder durch disseminirte Keime auf die
Bindehaut und vom Limbus conjunctivalis aus theils über, theils unter der Bow-
man'schen Membran auf die Cornea fort (Iivanoff). Unter allmäligem Wachsthume
der Aftermasse wird dann mehr und mehr von der Hornhaut zerstört und am Ende
die Phthisis des Bidbus eingeleitet. Indem der Krebs an der Oberfläche nach und
nach abstirbt, dafür aber tiefer eindringt, wird die Augenhöhle immer weiter ge-
öfl'net und der schrumpfende Bulbus mehr und mehr entblösst. Früher oder später
schreitet er auch auf die knöchernen Wandungen der Augenhöhle fort, zerstört sie
630 Tumoren ; Nosologie ; Epithelialkrebs ; Angiome ; Cavernöse Tumoren.
in wachsendem Umfange, stellt solchermassen Verbindungen der Orbita mit den
umliegenden Höhlen her und kann am Ende wohl auch eine oder die andere Hälfte
des GesicJitsskelefes mehr weniger vollständig vernichten. Sobald der Krebs einmal tiefer
greift und wohl gar schon den Bulbus fixirthat, stellen sich immer sehr heßige Schmerzen
ein, welche sich aus dem starken Drucke und aus der Spannung erklären, denen
die Nerven von Seite des Krebses ausgesetzt sind. Die Schmerzen wüthen besonders
des Nachts, verbreiten sich über den ganzen Kopf und rauben vermöge ihrer Hef-
tigkeit dem Kranken seinen Schlaf. Es pflegen dann «auch die Li/nvphdrüsen in der
Umo-ebnng der Parotis stark anzuschwellen. Zuletzt magert der Kranke unter dem
fortwährenden Leiden immer mehr ab, die Gesichtsfarbe wird eine üble, es tritt
Zehrfieher ein und der Kranke stirbt (ScInihJ.
h. Der drusige EpiÜielialkrehs entwickelt sich sowohl an der äusseren Decke,
als auch im Unterhautbindegewebe, im Muskelgefüge, in der Bindekaut der Lider
und des Augapfels primär. Er tritt bald als umschriebene Geschwulst, bald in der Form
von Infiltration auf. Es bilden sich hierbei in oder unter der Haut ein oder mehrere
runde harte und bei stärkerem Drucke schmerzhafte Knötchen, welche bis zu
Erbsen- oder Wallnussgrösse anschwellen können, ehe sie aufbrechen, was meistens
erst im Laufe einiger Wochen geschieht. Die entblösste Geschwulstoberfläche
erscheint dann dunkelroth, bisweilen braunroth, und ziemlich eben, sie sondert
schmutzigweisses dünneitriges Secret ab, das l)ald übel riecht und zu Krusten ver-
trocknet. Bisweilen bilden sich streifenweise Ueherhäutungen od&r wirkliche grubige
Narben. Die Ränder des Geschwüres sind stark aufgeworfen, mehr weniger nach
aussen gekehrt, rundliche Wülste darstellend oder eingekerbt. In Betreff des
weiteren Verlaufes und der Ausgänge verhält sich der drusige P>pithelialkrebs ähnlich
wie der flache. Doch werden bei der drusigen Art die Lymphdrüsen der Nachbar-
schaft sehr zeitlich in Mitleidenschaft gezogen, was die Aussicht auf Heilung durch
die Operation sehr vermindert (Schuh).
12. Angiome. Es sind dies Geschwülste, welche durch die Aus-
deliuung normaler, oder durch die Entartung, Neubildung und Erweiterung
pathologischer Gefässe dargestellt werden. Das Hervorgehen aus Gefässen
unterscheidet sie wesentlich von den telangiektoden Formen der vorhin
geschilderten Gewächsarten, welche eben nur nebenbei und häufig blos
streckemveise durch die übermässige Vascularisatiou die Eigenschaften eines
Blutschwammes, eines Fungus haematodes annehmen, ohne jedoch ihren
ursprünglichen Charakter als Myxom, Sarcom, Carcinom u. s. w. aufzu-
geben. Sie sind ihrem histologischen Verhalten und der äusseren Er-
scheinung nach überaus mannigfaltig, daher sie in mehrere Kategorien ge-
trennt werden.
o. Angioma cavernosum, Cavernöse Tumoren. Es gehören dieselben
eigentlich nicht zu den Gefässgesehwülsten, da sie nicht sowohl Gefässen,
als vielmehr einer bindegewebigen oder hindegewebsartigen Grundlage ent-
spriessen und Fachwerke mit rundlichen oder hautartigen Balken dar-
.stellen, deren Lücken von Venen aus mit Blut gefüllt werden und so dem
Gewächse eine Aehnlichkeii mit Schwellkörpern verleihen. Die Balken
bestehen aus einer hyalinen feinfibrillirten oder lockig faserigen Intercellular-
substauz mit zahlreichen gestreckten Kernzellen und bilden bald ein zartes
filzartiges, bald ein grobes Gerüste. Sie wachsen oft in hohle runde Kolben,
bisweilen auch in dentritisch verzweigte Schläuche aus, welche gleichfalls
Blut führen (Rokitansky).
Die cavernösen Geschwülste entwickeln sich nicht selten in den tiefe-
ren Schichten des Unterhautbindegewebes der Lider und in deren nächsten
Umgebungen, wurzeln bisweilen aber auch im Orbitalgefilge (Wecker, de Ricci,
Manz) und zwar in wechselnden Tiefen. Sie sind gewöhnlich mit den Ge-
weben ohne bestimmte Grenzen verstrickt, seltener von einer dünnen Zell-
Cavernöse Tiinioi(Mi; Plexiforme Geseliwulste ; Cylindrome. 631
gewebshülle umgebon und daher ausschälbar. Bisweilen erscheinen sie auch
gestielt und hängen dann an einer Stolle fest. Wenn siti oherflächlich lagern
und ungehindert nach allen Richtungen wachsen können, so erscheinen sie
meistens rundlich und undeutlich lappig, beurkunden einen ziemlichen
Gi'ad von Elasticität und bisweilen sogar eine dunkle Schwappung. Auch
macht sich dann ihre Schwellbarkeit sehr auttallig geltend, sie vergrössern
sich beim Schreien, Drängen, Huvsten etc., überhaupt bei jeder Blut-
stauung in der oberen Körperhälfte, lassen sich aber leicht zusammen-
drücken und gellen sogleich wieder auf ihren früheren Umfang zurück,
wenn die mechanische Hyperämie behoben wii"d. Sie drängen sich bei ihrem
Wachsthume und bei vorübergehenden Anschwellungen zur Lidspalte
heraus {Bhssig) oder treiben das eine oder beide (Borelli) Lider in Gestalt
mächtiger Beutel hervor. Sie scheinen dann gewöhnlich dunkelbläulich bis
schwärzlich durch. Doch ist Letzteres keineswegs immer der Eall, öfters
ist die Geschwulst obex'flächlich ganz blass und wird dann leicht mit einem
Lipome verwechselt, bis ein Einschnitt die wahre Natur verräth. Es füllen
sich eben die Maschen des Gerüstes nicht immer gleich von vorneherein
mit Blut , sondern bleiben theilweise eine Zeit lang ausser Verbin-
dung mit Venen und präsentiren sich als solide Geschwülste. Im loeiteren
Verlaufe verwachsen die Tumoren gerne mit der äusseren Decke und
brechen in Gestalt kleiner beerenartiger rothbrauner Auswüchse nach aussen,
nachdem die Venennetze der Haut sich stark und oft in grossem Um-
kreise ausgedehnt haben. Oft dringen sie gleichzeitig nach rückwärts in
die Augenhöhle, usuriren wohl auch den Knochen und gelangen so in die
Nachbarhöhlen, um sich dort auszubreiten. Entwickeln sie sich tiefer
hinten, z. B. im Muskeltrichter (Graefe) oder ausserhalb desselben im Fett-
gewebe (Bowman), so kommen ihre Eigenthümlichkeiten nicht so deutlich
zur Aeusserung wegen dem Drucke, unter welchem sie sich von Seite
der Umgebungen befinden; ihre Consistenz erscheint dann viel grösser, die
Elasticität geringer und auch die Schwellbarkeit ist nur schwer nachweis-
bar. Sie sind in der Regel angeboren. Oft treten sie schon bei ganz jungen
Kindern mit einem beträchtlichen Umfange hervor und wachsen auch sehr
schnell. In anderen Fällen ist die Volumszunahme eine sehr langsame, die
Geschwulst macht sich erst im späteren Kindesaller oder gar am Erwachsenen
bemerkbar. Es können die Blutschwämme ganz enorme Grössen ei'reicheii
und, falls sie in der Orbita sitzen, diese völlig ausfüllen und den Aug-
apfel weit hervortreiben. Oft finden sich nebenbei ähnliche Tumoren an
anderen Stellen der Körperoberfläche. Sie sind schmerzlos und pflegen
keinen nachtheiligen Eiufluss avif die Vegetationsverhältnisse des Gesammt-
organismus auszuüben, ihre Schädlichkeit ist in den mechanischen Verhält-
nissen begründet (Schuh).
h. Plexiforme Geschwülste. Dieselben kommen im Ganzen selten vor und sind
dann überdies meistens mit anderen Gewächsarten , vornehmlich mit Myxom und
Sarcom gemischt. Die charakteristischen Bestandtheile derselben sind vielfach unter
einander anastomosirende, oft knotige Schläuche von derber Consistenz, welche
blind endende Kolben und Zapfen treiben. Die histologischen Eigenschaften dieser
Gebilde ivechseln in den einzelnen Fällen und zwingen vorläufig zur Unterscheidung
mehrerer Gruppen, welche jedoch darin übereinkommen, dass sie sämmtlich von
den Lyviphgefdssen auszitgehen und einer Wucherung des Epithels der letzteren
ihren Ursprung zu verdanken scheinen (Koester). Bei der einen Gruppe, welche
auch als Cylindrom beschrieben wurde, erweisen sich die derben Schläuche und
Blindkolben anfänglich zusammengesetzt aus Bildungszellen und deren verschiedenen
ß32 Tumoren; Nosologie; Plexiforme Geschwülste; Telangiektasien.
Uebergängen zur Spindel- und Sternform, welche in eine hindegeivehige faserstreifige
Intercellularsubstanz eingebettet sind. Später verfettigen diese Elemente zum Theile,
zumeist aber entarten sie zu einer hyalinen structurlosen, anfangs weichen, später
fester und selbst beinhart werdenden Masse , welche den plexiformen Gebilden
ganz das Aiissehen gibt, als wären sie von knorpeligem Gefüge. In manchen Fällen
stimmt die Textur der Schläuche und Blindkolben aber auch wirklich mit jener
des wahren Knorpels überein und führt die diesem eigenthümlichen grosskeraigen
Zellen von beträchtlichem Umfange fBoettcher), daher man diese Gruppe zu den
Enchondromeu zu zählen und als Chondroma telangiektodes in das System einzu-
zureihen sich veranlasst fand. In einer dritten Gruppe, zu welcher auch die soge-
nannten Adenoide theil weise gehören mögen, tragen die die Schläuche bildenden
Elemente durchwegs den epithelialen Charakter , liegen enge aneinander ohne
Ziohchensubstanz und stempeln das Gewächs solchermassen zum Cancroide (Hirsch-
hergj, während sie durch ihre Neigung zur gallertartigen Degeneratiori und durch die
Entwickelung zahlreicher Alveolen mit choloidem Inhalte sowie durch ihre plexiforme
Gestaltung ihre innige Verwandtschaft mit den vorgenannten beiden Gruppen
verrathen.
Die Schläuche der ersten und zweiten Gruppe sind häufig an den Verlauf
der Nerven und besonders der kleinen Gefässe gebunden und scheinen aus den
diese umspinnenden Lymphgefässnetzen hervorzugehen. Sie stellen dann eigentlich
nur verzweigte Röhren dar, in deren Lichtung die Gefässe und Nerven eine Strecke
weit eingehüllt sind. Mitunter jedoch entwickeln sich diese Geschwülste auch
selbständig auf fibrocartilaginösem Boden und wuchern aus demselben in Gestalt
von Cylindern, Kolben oder Dendriten hervor. Sie scheinen in ihrer ersten Anlage
angeboren zu sein und später selbständig, meist schmerzlos zu wachsen, auf die
Vegetationsverhältnisse des Individuums wenig Einfluss zu nehmen und, wenn sie
vollständig exstirpirt werden konnten und in reiner Form auftraten , nicht leicht
zu recidiviren. Sie stellen meistens mehr weniger grosse lappige, elastisch weiche,
bisweilen lipomähnliche Geschwülste dar, in welchen sich die derberen knotigen
Stränge, mitunter auch mächtige Knollen, deutlich fühlen lassen. Sie lagern am
häufigsten sehr oberflächlich. Man fand sie im Unterhautbindegewebe des oberen Lides.
Sie sandten von hier Stränge in die Orbita hinein (KnapjjJ oder breiteten sich
auf die Brauen- und Stirngegend aus (Billroth). In anderen Fällen sassen sie im
vorderen Theile der Orbita nahe der Decke und stülpten das Lid hervor (Czerny,
Graefe), oder hatten sich hinter dem Thränensacke entwickelt und diesen nach aussen
und vorne getrieben (Graefe). Manchmal gehen sie jedoch auch vom Hintergrunde
der Augenhöhle aus und drängen den Bulbus hervor (Graefe). In einem Falle hatte
eine derartige Geschwulst die Knochen der Orbita gegen die Schädelhöhle hin
(Boettcher), in einem anderen nach unten (Koester) dtirchbi-ochen.
Die cancroide Form wurde im Vordertheile der Orbita (Hirschberg) nachge-
wiesen und allem Anscheine nach sind auch manche der in der Thränendrüse be-
obachteten adenoiden Geschivülste (0. Becker) auf sie zu beziehen.
c. Telangiektasieyi kommen als xmischriebene Geschwülste und in flächenartiger
Ausbreitung vor. Es liegt ihnen wahrscheinlich nicht blos eine Ausdehnung, son-
dern auch eine Neubildung von Capillaren zu Grunde. Die letzteren erscheinen
stark gewunden, knäuelartig unter einander verschlungen, oft auch sackförmig
erweitert, ja in einzelnen Fällen fliessen wegen Resorption der Zwischenwände
eine Anzahl solcher Hohlräume zusammen und geben der Geschwulst einige Aehn-
lichkeit mit cavernosen Tumoren {Rokitansky). Immer sind auch die nachijarlichen
kleinen Gefässe ektatisch und zwar bald vorwiegend die arteriellen, bald die venösen,
je nachdem der Process in den Capillaren mehr nach dieser oder jener Seite hin
greift (active und passive Telangiektasie). Die mehr arteriellen Geschwülste pflegen
sich durch eine etwas hellere Färbung auszuzeichnen, können auch wohl pulsiren
und nähern sich in ihrem ganzen Verhalten schon sehr dem Aneurysma anastomo-
ticum. Allen Telangiektasien ist eine gewisse Schwellbarkeit eigen, welche sich bei
Blutwallungen und besonders bei Blutstockungen im Gebiete der oberen Hohlvene
sehr auffällig zu machen pflegt. Sie antworten auf Verletzungen, selbst auf sehr gering-
fügige, durch reichliche Blutungen und neigen zu partiellen Verschwänmgen
{Mackenzie). Sie sind gemeiniglich angeboren oder zeigen sich wenigstens schon im
frühesten Alter; gehen späterhin öfters wieder zurück, bestehen aber in der Regel
zeitlebens fort, vergrössern sich wohl gar und sollen ausnahmsweise ganz er-
staunliche Grössen erreicht haben (Pauli, AVClelland). Man findet sie am häufigsten
Pulsirendo Gescliwülsto ; Aneurysma anastomoticum. 633
in und unter der äusseren Ilmd; seltener gehen sie auf die Bindehaut über
{Mooren) oder entwickeln sicli daselbst jjrimär (Graefe). Mitunter dringen sie auch
tief in die Orhita hinein [Wardrop). In einem solchen Falle hat man anbei eine
starke Erweiterung und Selilängelnng der Netzhau/venen beobachtet (Schirvier).
Es ist ungewiss , ob die als Telangiektasien und als Naevi venosi beschriebenen
Geschwülste, welche aus der Iris {Mooren), aus dem suhconjnnctivalen Gewebe und
aus der Carnnkel {Aminon), aus dem Vordertheile des orbitali'U Fettpolsters {Bnrns,
Ahernethy , Schön) hervorwucherten, oder vernu'ige ihrer tiefen Lage Exophthalmus
begründeten {Kemjf, Soler), zu den Telangiektasien gehören, oder ob sie nicht
vielmehr als cavernöse Tumoren, Cylindrome , Phlebektasien zu betrachten seien.
Namentlich ist dieser Zweifel gerechtfertigt, wo ein Trauma die Ursache abgegeben
zu haben scheint.
d) Die pulsirenden Geschwülste. Es lagern dieselben bisweilen sehr
oberflächlich und zeigen sich als ziemlich umschriebene höokei'ige Gefäss-
conYolute (Bell, Wardrop), welche den Telangiektasien sehr ähnlich sind und
in der Bedeutung eines Aneurysma anastomoticum aufgefasst werden dürfen.
In der grössten Mehrzahl der Tälle jedoch sitzen sie tiefer in der
Orhita und bedingen einen Exophthalmus, welcher gewöhnlich mit sehr be-
trächtlichen Sehstörung-en einhergeht und häufig auch den Bulbus durch
Atrophie zu Grunde richtet. Die hervorragendsten Symptome sind aneurys-
matische Geräusche und die sehr auffälligen Pulsationen. Die ersteren sind
an dem Augapfel sowie in dessen Nachbarschaft , an den Schläfen, der
Stirne und sogar noch in weiterem Umfange hörbar. Die Pulsationen
können nicht nur gefühlt, sondern häufig auch deutlich gesehen werden.
Auch die Kranken hören und fühlen die Geräusche, zuweilen in einer
sehr qualvollen, ja unerträglichen Weise. Nicht selten bestehen dabei
heftige Schmerzen im Kopfe und Auge. Durch das Eingehen mit dem
Finger zwischen Orbitalrand und den Bulbus lässt sich die Geschwulst
als eine meistens sehr weiche, leicht zusammendrückbare elastische, in der Regel
nicht scharf umschriebene Masse nachweisen. Das Zurückdrängen des Aug-
apfels ist in der Regel nicht schmerzhaft und findet meistens auch keinen
besonderen Widerstand. Circulationshindernisse im Bereiche der oberen
Hohlvene pflegen den Exophthalmus und die etwa sichtbare Geschwulst zu
vergrössern, wogegen Compression oder gar Unterbindung der gleichseitigen
Carotis den Tumor verkleinert und nebenbei das Pulsiren und Schwirren
aufhebt, oder wenigstens zeitweilig wesentlich vermindert (Travers, Dal-
rymple , Walton, Brainard , Freeman , Morton, Bell, Lawrence, Coüard,
Williams, Demarquay, Mackenzie, Poland, Zander, Geissler, Zehender, Schiess-
Gemuseus),
In nicht wenigen Fällen ragt die Geschwulst wohl auch nach vorne hin
aus der Orhita heraus und drängt die Lider sowie die Conjunctiva hervor. Sie
steht dann bisweilen mit sehr erweiterten Gefässen im Zusammenhange , welche
sich auf die Lider, die Stirne und Nasengegend etc. ( Wecker, Bourguet, Bell,
Sahiess - Gemuseus) verfolgen lassen und dann mitunter dasselbe Pulsiren und
Schwirren zur Wahrnehmung bringen. In einzelnen Fällen wurde nebenbei eine
sehr starke Erweiterung der Venen und Arterien des Augapfels beobachtet ( Wecker,
Schiess- Gemuseus). In einem Falle schien die Geschwulst in die Stirnhöhle einge-
drungen zu sein {Johert) und in einem anderen fanden sich ganz ähnliche pulsirende
Tumoren im Gehirne, den Lungen und Waden (Lenoir). Ausnahmsweise erwies
sich die Geschwulst doppelseitig {Velpeau, Herpin, Desormeaux).
In der grösseren Hälfte der hierher gehöiigen Fälle gab ein Trauma die
nächste Veranlassung. Der Exophthalmus zeigte sich zuweilen unmitfeWar darnach,
meistens jedoch erst spüler, manchmal sogar nach Wochen, Monaten und selbst
Jahren. Die Entwickeluug des Tumors war dann liänfig mit starken Kopfschmerzen,
mit den Gefühlen von Krachen, Klopfen und von Sausen im Ohre verbunden.
634 Tumoren; Nosologie; Pulsirende Geschwülste; Wahre Aneurysmen; Phlebektasien.
Einige Male trat er während der Schioangerschaft, während der Enthindung {Nunnehy),
in Folge heftigen Hustens etc. hervor.
Laut anatomischen Untersuchungen finden sich derlei pulsirende Orbital-
geschwülste öfters in Combination mit Strömungshmdernissen im Sinus cavernosus
und es lag nahe, die Stauung in den beiden Venis ophthalmicis als den patho-
genetischen Grund des Exophthalmus anzuerkennen {Nunneley). Es erwiesen sich
diese Circulationshindernisse begründet: durch massige Exti-avasate, welche im
Sinus cavernosus ringsum die Carotis lagerten ( Gendrin); durch entzündliche Producte
{Hxclke) und durch wuchernde Geschwülste [Nnnneley , Lenoir), welche den Sinus
cavernosus verstopften; durch ein wahres Aneurysma dei' Carotis, welches gerade
an der Ursprungsstelle der Arteria ophthalmica sass und die gleichnamige Vene
zusammendrückte [Nunneley); endlich durch einen Varix aneitrysmaticas der Carotis,
welche von einem Knochensplitter an der Austrittsstelle aus dem Canalis caroticus
durchrissen worden war und ihren Inhalt mit dem des Sinus cavernosus mischte
{Nelaton). Die Zurückführung pulsirender Orbitalgescliwülste auf Verstopfungen
im Sinus cavernosus wird indessen einerseits durch die weite Communication der
Venae ophthalmicae mit der Vena facialis anterior (S. 580) bedenJdich ; anderseits
stehen ihr Fälle entgegen, in welchen ganz dieselben Erscheinungen während des
Lebens bestanden und nach dem Tode entweder gar nichts Krankhaftes gefunden
wurde (Boicma7i), oder wenigstens jedes Circulationshindeniiss im Sinus cavernosus
ausgeschlossen werden konnte ; dafür aber eine sehr beträchtliche Erweiterung der
orbitalen Venen und eine entzündliche Verdickung ihrer Wandungen nachgewiesen
wurde [Wecker). Es ist nach diesen Befunden kaum zu zweifeln, dass nicht
sowohl die Venenstauung an sich, als vielmehr die entzündliche Erweiterung der
orbitalen Gefässnetze der Grund des Exophthalmus auch in jenen Fällen gewesen
sei, in welchen der Sinus cavernosus an der Leiche verstopft getroffen wurde,
und dass das Pidsationsphänomen durch die Fortpflanzung des systolischen Herz-
druckes auf die dilatirten Gefässe erklärt werden müsse.
Wahre Aneurysmen sind nur selten anatomisch nachgewiesen worden.
Dieselben betrafen gewöhnlich den Stamm der Arteria ophthalmica {Guthrie,
Carron du Villards, Passavant). In einem Falle sass die Geschwulst in der Schädelhöhle
an jener Stelle der Carotis, an welcher die Arteria ophthalmica abgeht (Giraudet).
In anderen Fällen bestanden Aneurysmen an den Endzweigen der Arteria ophthal-
mica [Parish, Hort, Szokalski). Auch hat man die pulsirende Erweiterung eines
Hauptastes der Arteria centralis retinae ophthalmoscopisch beobachtet [Sous) und
laut älteren Aufzeichnungen sogar an der Leiche getroffen [llimly , Graefe sen.,
Beultet).
e. Einfache Phlebektasien. Hierher gehört eine mit starker Erweiterung der
Lidvenen einhergehende , übrigens nur zeitweilig oberhalb der äusseren Lidcom-
missur hervortretende , einen Pldebolith enthaltende erbsengrosse Geschwulst im
vordersten Theile des Orbitalbindegewebes {Graefe). Ueberdies sollen Phlebektasien
in Gestalt mächtiger Varices an der Bindehaut gefunden worden sein (K. Jaeger,
RoosbroeckJ. Einmal hatte sich nach einem Trauma im unteren Lide ein „venöser
Tumor" gebildet, welcher bei aufrechter Körperstellung völlig zurücktrat, bei vor-
gebeugtem Kopfe aber zur Mandelgrösse anschwoll {Foucher). Möglicher Weise
gehören auch gewisse Exophthalmi mit ganz ähnlichem Verhalten hierher. Es traten
die Augäpfel bei stark geneigtem Oberkörper um ein Beträchtliches hervor, sanken
unter entgegengesetzten Verhältnissen aber in ihre normale Lage zurück {Andrae,
Mackenzie), oder hoben und senkten sich ausserdem mit dem Wechsel des Respira-
tionsdruckes {Ad. Schmidt).
D. Blasenwürmer. In der Augengegend sind bisher nur der Echino-
coccus hominis und der Cysticercus cellulosae nachgewiesen worden. Der
erstere stellt mächtige schwappende Geschwülste cystoiden Charakters dar,
welche in seröser oder klebriger Elüssigkeit eine kleinere oder grössere
Anzahl wasserheller Blasen von wechselndem Durchmesser enthalten und
bei Eröffnung des Thiersackes nach aussen entleeren. Der Cysticercus
erreicht meistens nur Kirschkorngrösse , und kennzeichnet sich als eine
trübe zarte Blase, welcher der überaus contractile Hals- und Kopftheil des
Thieres aufsitzt.
Blasenwünner; Echinococcus; Cysticercus. 63o
1. Der Echinococcus ist im Stirnhnochen (Ke.ate), im suhcutanen CSefüge der
Schläfen- und Jochgegend [Mackenzie) und in der Orhüa (Lawrence, Boioman,
Waldhauer, Wharton Jones) gefunden worden. In der Augenhöhle scheint er den
inneren oberen Winkel zu bevorzugen, l)reitet sich jedoch meistens stark aus und
begründet dann hochgradigen Exophthalmus mit dessen Folgen. Er ist stets von
einer Kapsel aus verdichtetem Bindegewebe umschlossen, welche von dem ver-
dräno-ten Stroma gebildet wird und nur lose mit der Thierbhise zusammenhängt,
so dass letztere aus ersterer losgeschält werden kann.
2. Der Cysticercus ist im nördlichen Deutschland eine ziemlich häufige
Erscheinung, im südlichen hingegen, so wie in Oesterreich, Frankreich und
in der Schweiz eine grosse Seltenheit. Das jüngste ergriffene Kind stand
im achten, das älteste Individuum im siebzigsten Lebensjahre. Nur selten
finden sich nebenbei Blasenwürmer in anderen Körpertheilen, oder der
Bandwurm in den Eingeweiden. In zwei Fällen deuteten Gehirner-
scheinungen auf das gleichzeitige Vorhandensein eines Cysticercus im Ge-
hirne hin.
Man hat den Cysticercus im vorderen Theile des Orhitalgefüges
(Graefe), zwischen den Lamellen der Hornhaut (Appia), im submucosen
Gefüge an der Cornealgrenze (Estlin) und wiederliolt unter der Augapfel-
hindehaut nahe der Uebergangsfalte {Boioman, Höring, Sichel, Graefe etc.)
beobachtet.
Eine Verwechselung mit einfachen Cysten ist, wenn das Thier oberflächlich
und zumal unter der Conjunctiva haust, nicht sehr schwer zu vermeiden. Cysten
der Bindehaut haben nämlich einen ganz wasserhellen Inhalt und scheinen stark
durch, indem die darüber hinwegziehende Schleimhaut sehr verdünnt und nur von
spärlichen Gefässen durchstrickt zu sein pflegt. Die Blasenfinne dagegen ist
mehr trübe und lässt ausserdem nicht ganz selten den Kopf- und Halstheil des
Wurmes als eine weissere dichtere Masse erkennen. Auch bedingt ihre Einquartirung
gewöhnlich starke Reizzustände, in Folge deren sich Hyperämien und weiterhin
entzündliche Producte einstellen, welche zur Verdichtung des nachbarlichen Gewebes
führen {Graefe).
Ungleich häufiger kömmt der Cj'sticercus im Inneren des Auges vor.
In der Vorderkammer ist er schon vor mehreren Jahrzehuten entdeckt
worden {Schott, Logan) und seitdem hat sich die Zahl der bezüglichen
Fälle ansehnlicli vermehrt {Mackenzie, Canton, Graefe, Hirschler, Mende,
Krüger). Einmal sass er in der Iris {Teale); einmal in der Linse {Graefe).
Sein Lieblingssitz ist jedoch unstreitig der hintere Theil der Bulbushöhle.
Obwohl er hier erst nach Erfindung des Augenspiegels gesehen worden
ist {Coccius, Graefe), liegen doch schon eine lange Reihe ophthalmoskopischer
Beobachtungen vor. In einem der hierher gehörigen Fälle fanden sich
zwei Cysticerci im Glaskörperraume {Mauthner). Auch war bereits mehr-
mals Gelegenheit zu anatomischen Untersuchungen von Augen, in welchen
die Blasenfinne in oder unter der Netzhaut sich entwickelt hatte
{Schweigger, Soelberg, Jacobson, Alf. Graefe, Hirschberg); oder wo eine
subretinale Cyste {A. Weber) so wie ein in der Chorioidea steckender
Wurm {E. Jaeger) mit Wahrscheinlichkeit als Blasenfinne aufgefasst
werden durfte.
Mau hat guten Grund zur Annahme, dass alle Cysticerci, welche im Inneren
des Bidhus Wohnung nehmen , ihre Entwickelungsphasen in den gefässhaltigen
Binnenorganen beginnen. Doch bohren sie sich gerne durch und gelangen so in die
durchsichtigen Medien.
Die in der Vorderkammer sitzenden Blasentinnen scheinen immer aus der
Iris hervorzugehen ; wenigstens hängen sie gewöhnlich mit einem Theile der Blase
636 Tumoren; Nosologie; Cysticercus; Filaria.
an der Regenbogenhaut fest, obgleich deren auch gefunden werden, welche frei im
Humor aqueus herumschwimmen.
Die in den hinteren Partien der Bulbushöhle auftretenden Cysticerci jedoch
dürften mit seltenen Ausnahmen in der Netzhaut ilire Keimstätte haben. In einem
grossen Theile der beobachteten Fälle lagerte der Wurm nämlich noch unter der
Retina und stand mit deren Gefüge in unmittelbarem Zusammenhange, während
das betreffende Stück der Chorioidea verhältnissmässig wenig verändert war. Gar
oft verharrte das Thier wohl auch an jenem Orte, incapsulirte sich daselbst, ohne
die Netzhaut zu perforiren. In einzelnen Fällen dagegen konnte man den Durch-
Iruch direct oder in seinen Folgen nachweisen, man beobachtete das Hervortreten
des Wurmkopfes aus der Lücke der ringsum getrübten Nervenhaut und später-
hin die das Loch schliessende Narbe (Grae/e, Schioeigger). Wo aber der Cysticercus
bereits in den Glaskör2]er hinein vorgedrungen war, bestand meistens eine Ver-
bindung durch einen sträng- oder schlauchförmigen trüben Fortsatz, welcher von
der Blase zu einem Theile der Netzhaut hinzog {Graefe).
Das erste Auftreten des Cysticercus ist häufig mit heftigen Reiz-
zuständen gepaart, welche in der Eegel zu reichlichen Productausscheidungen
in der nächsten Umgebung des Wurmes führen ; daher dieser denn auch
öfters gedeckt, der unmittelbaren Wahrnehmung entzogen wird. Doch
geht die Entzündung gewöhnlich bald vorüber und die Trübungen hellen
sich auf.
Sind die mit der Einmiethung und etwaigen späteren Durchbohrung
verknüpften Stürme vorübergegangen, so beruhigt sich das Auge allmälig
und trägt den Wurm ohne sonderliche Beschwerden Wochen und Monate
lang. Am Ende jedoch geht der Bulbus in der Regel durch Iridocho-
rioiditis zu Grunde. Diese kann zur Vereiterung und acuten PanOphthalmitis
führen {Schweigger, Jacobson); gewöhnlich aber geht sie mehr schleichend
einher und bedingt, zeitweilig exacerbirend, schliesslich Schrumpfung des
Bidbus mit totaler Netzhautabhebuug. Nur ausnahmsweise incapsulirt sich
ein im Glaskörper sitzender Wurm und stirbt später ab , wo dann der
Bulbus und selbst ein Theil des Sehvermögens erhalten bleiben kann.
Die Erscheinungen der Iridochorioiditis pflegen sich zwischen dem ersten
und fünften Vierteljahre nach Beginn der Sehstörung geltend zu machen. In ein-
zelnen Fällen hat die reactive Entzündung durch sympathische Reizung das andere
Auge in Gefahr gebracht {Schweigger). Im Uebrigen scheinen abgestorbene
Cysticerci in geschrumpften Augen wolil vertragen zu werden. Die Lef>ensdauer
des Wurmes ist unbekannt. Sie beträgt sicherlich 2, vielleicht 3 bis 4 Jahre.
Eitrige Entzündungen des Bulbus und mehr noch Verkalkung und Schrumpfung
der ihn umgebenden Exsudate scheinen demselben verderblich zu werden {Graefe).
E) Fila7na. Man will dieselbe zweimal lebend {Fano, Quadri) und einmal
todt {Mauthner) im Glaskörper gesehen haben.
Quellen: Virchow, Die krankhaften Geschwülste. Berlin. 1863. 1 — 10. Vorlesg.
Kystome: Virchow, 1. c. S. 211, 219, 221, 224, 231, 238, 244, 249, 286. —
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IL S. 426, 439, 477. — Amnion, 1. c. IL Taf. 9. — Pagenstecher und Saemisch, kl.
Beobachtungen. IL Wiesbaden. 1861. S. 41. — Jüngken, Lehre v. d. Augenkhtn,
Berbn. 1836. S. 628. — Schuh, 1. c. — Weinlechner, Zeitschft. d. Wien. Aerzte. 1865,
Wochenbl. S. 263. — Bader, Schmidt's Jahrb. 112. Bd. S. 261. — Zehender, A. f.
0. IV. 2. S. 55, 62. — Hegmann, ibid. VII. 1. S. 135, 142. — Mooren, Opbtb.
Beiträge. S. 40. — Borelli, Schmidt's Jahrb. 142. Bd. S. 83. — Schiess-Geimiseus,
A. f. O. XIV. 1. S. 87. — Lawson, Ophtb. Hosp. Rep. VI. 3. S. 206.
Dermoide: Virchow, dessen Archiv. VI. S. 225. — Ryha, Dusensy's Diss.
Prag. 1833. S. 63. ~ Fischer, Lehrb. der ges. Entzündungen etc. Prag. 1846. S. 303. —
Wardrop, Morb. anat. of the eye. I. London 1819. S. 31. — Mackenzie 1. c. I.
S. 362. — Chelius, 1. c. IL S. 483. — Himly, 1. c. IL S. 15, 19; Ophtb. Biblioth.
IL S. 700. — Ammon, 1. c. IL Taf. 3. — ArU. 1. c. I. S. 171, — Stellwag, Ophth.
1. S. 227, 355 Nota 228; IL S. 877, 963. — Schön, Path. Anat. des Auges. Hambg.
1828. S. 167; Beiträge z. prakt. Augenheilkunde. Hamb. 1861. S. 198. — Graefe,
A. f. O. L 2. S. 287; IL 2. S. 3.84; VII. 2. S. 3, 7; X. 1. S. 214; XIL 2. S. 226.
— Visconti Achilli, Centralbl. 1867. S. 111. — Hildige, Schmidt's Jahrb. 142. Bd.
S. 82. — Wecker, Arcb, f. Aug.- u. Obrenbeilkde. I. S. 126. — Lainati, Arcb. gen.
de med. 1867. II. S. 350. — £. Müller, A. f. O. IL 2. S. \bQ. ~ Heyfelder, Deutsche
Klinik 1850. Nr. 28. — Hock, Wien. Zeitschft. für prakt. Heilkd."l895. Nr. 26. —
Lipome: Virchotv, 1. c. 14. Vorlesg. — Demarquay ibid, S. 374. — Schuh,
1. c. — 0. Becker, Wiener Augenklinik. Ber. S. 119. — Mooren, Ophth.
Beiträge S. 128.
Myxome: Virchoiv, 1. c. 15. Vorles. S. 425. — Mackenzie, 1. c. I. S. 360. —
Graefe, A. f. 0. X. I. S. 193, 197, 201. — Jacobson, A. f. O. X. 2. S. 55, 62. —
Rothmund, Jahresbericht 186%. München. S. 21; klin. Monatbl. 1863. S. 261. —
Szokalski, Congres int. d'ophth. Paris. 1863. S. 245. — Lebrun, Schmidt's Jahrb.
141. Bd. S. 211.
Chondrome: Virchoiv, 1. c. 16. Vorlesg. — Mackenzie, 1. c. I. S. 67. — Graefe,
A. f. O. I. 1. S. 415; VU. 2. S. 5. — Schweigger, ibid. VII. 2. S. 6. — Busch, nacb
Virchow 1. c. I. S. 515. — Schuh, 1. c. — Chelius, 1. c. S. 455. — Travers, nach
Mackenzie 1. c. I. S. 61.
Osteome: Virchoiv, 1. c. 17. Vorlesg. IL S. 22, 25, 27, 28, 37, 43—52, 99. —
Mackenzie, 1. c. I. S. 54, 56, 61, 73, 98, 481. — Chelius, 1. c. IL S. 453. — Knapp,
A. f. O. VIII. 1. S. 239; kl. Monatbl. 1865. S. 376. — Zander und Geissler, 1. c.
S. 414. — Stellwag, Ophtb. IL S. 1285. — Acrel, nach Mackenzie, 1. c. I. S. 65.
— Baillie, ibid. S. 59. — H. Walton, ibid. S. 63. — Brassant, Sp)öriny, ibid. S. 64.
— Stanley, ibid. S. 73. — Maisonneuve, ibid. S. 65. — Hoivship, ibid. S. 90. —
Frank, ibid. S. 59. — Bowman, Verhandlgn. der Heidelbg. Versammlung. Berlin.
1860. S. 18. — Textor, Canstatt's Jabresber. 1865. III. S. 34. — Hasner, Stato-
pathien. 1869. S. 17.
Melanome: Virchow, 1. c. 18. Vorlesg. S. 119, 122. — Mackenzie, 1. c. I.
S. 366, 486. — Cunier, ibid. S. 367. — Desmarres, Traite d. mal. d. yeux. Paris.
1847. S. 353. — Stellwag, Ophth. II. S. 879. — Lisfranc, nach Himly, 1. c. L S. 233.
— Fd. Jaeger, Staar und Staaroperat. Wien. 1854. S. 63. — Hed'dus, A. f. O. VIII.
1. S. 314.— Graefe, ibid. I. 1. S. 414; VII. 2. S 35. —Schön, Beiträge etc. S. 200.
638 Tumoren; Nosologie; Quellen.
— Hirschherg, A. f. O. XIV. 3. S. 293, 2%&. — Haase, ibid. XIV. 1. S. 63. —
Langhans, Virchow's Arch. 49. Bd. S. 117.
Myom: Iwanoff, Congres ophth. 1868. S. 118.
Gliome: Virchow, 1. c. 18. Vorlesg. II. S. 123, 151—169. — Knapp, Die
intraocularen Ge.schwülste, Carlsruhe. 1868; Congres ophth. S. 25; kl. Monatbl.
1868. S. 316, 428; 1869. S. 106. — Hirschberg, Der Markschwamm d. Netzhaut,
Berlin. 1869; A. f. 0. XIV. 2. S. 30. — Mackenzie, 1. c. II. S. 267—273, 277—286.
— Chelius, 1. c. S. 491, 496, 506. — Schweigger, A. f. O. VI. 2. S. 324, 327; VII.
2. S. 47. — Robin, ibid. VI. 2. S. 330. — Graefe, ibid. VII. 2. S. 42, 45, 46; X.
1. S. 216, 219; XIV. 2. S. 103, 128 u. f. — hvanoff, ibid. XI. 1. S. 135, 146, 148,
151, 154; XV. 2. S. 69, 73, 77, 88. -- 3Ietaxa, nach Mackenzie 1. c. II. S. 273.—
Homer, Rindfleisch, kl. Motiatbl. 1863. S. 341, 345, 346, 349. — SzokalsU, ibid.
1865. S. 396, 398. — Stelhoag, Ophth. II. S. 611, 613. — Lincke, Sichel, nach
Virchow 1. c. S. 152, 167. — Travers, nach Mackenzie, 1. c. II. S. 268, 269, 271.
— Saunders, Stevenson, ibid. S. 284. — Lerche, Verm. Abhandlgn. a. d. Gebiete
der Heilkd. Petersbg. 1830. S. 202. — Netunann, A. f. O. XII. 2. S. 278. — Schiess-
Gemuseus, ibid. XIV. 1. S. 73; Virchow's Arch. 46. Bd. S. 286. — Joffroy, Gaz.
med. de Paris. 1869. S. 35. — Manfredi, Centralbl. 1869. S. 602. — Leh-un,
Schmidt's Jahrb. 141. Bd. S. 211. - Betz, kl. Monatbl. 1868. S. 274. — Alf.
Graefe, ibid. 1869. S. 161. — Hjort Heiberg, A. f. O. XV. 1. S. 184. — Heymann,
Fiedler, ibid. XV. 2. S. 173. — Hidke, Ophtli. Hosp. Rep. V. S. 173. — Pockels,
nach Hirschberg, S. 94. — Weller, Ammon, ibid. S. 123. — Hasse, ibid. S. 58, 116.
— Brodoivski, ibid. S. 40. — Recklinghausen, ibid. S. 121, 122. — Lawrence, ibid.
S. 67. — Bader, ibid. S. 111. — Greeve, VII. Jaarl. Verslag. Utrecht. S. 1. u. f.
Sarcome: Virchow 1. c. 19. Vorlesg. II. S. 222, 248, 268, 270, 279—285,
346, 348, 349, 353, 357. — Wedl, Sitzungsberichte der Wien. k. Akad. 1. Abthlg.
53. Bd. S. 343 ; Grundzüge der path. Histolog. Wien. 1854. S. 469. — Mackenzie,
1. c. I, S. 67, 118, 122—127, 216, 217, 364-369, 477—481, 486; II. S. 259—275,
287-301. — Sichel, Gaz. med. de Paris. 1867. Nr. 27. — Hirschberg, A. f. O. XIV.
2. S. 71; 3. S. 285; kl. Monatbl. 1868. S. 153, 159, 163, 170, 175; 1869. S. 65,
70, 74, 83. — Schirmet; ibid. 1867. S. 124. -^- Alf Graefe, ibid. 1869. S. 161, 169.
— Iwanoff, A. f. O. XV. 2. S. 28. — Haase, ibid. XIV. 1. S. 63. — Leber, ibid.
XIV. 2. >S. 221. — i^eeZ/ioM, ibid. XIV. 3. S. 149; XV. 1. S. 159, 176; kl. Monatbl.
1870. S. 19, 23. — Recklinghausen, A. f. O. X. 1. S. 189; X. 2. S. 62. — Billroth,
Arch. f. Chirurgie. XI. S. 230. — Czerny, ibid. S. 234. — Demarquay, Schmidt's
Jahrb. 141. Bd. S. 210. — Lebrun, ihiä. — Hulke, Ophth. Hosp. Rep. IV. S. 82. —
Hutchinson, ibid. V. S. 90. — Coioell, Warren, ibid. 8. 188, 230. — /. E. Polak, briefl.
Mittheilg. — Paget, Bums, Balfour, Durand- Fardel, Mackenzie's Traite, I. S. 122.
— Saunders, Lawrence, Maitre-Jean, ibid. II. S. 265. — Chelius, 1. c. II. S. 439,
459, 463, 466. 480, 484, 512. — Schuh, 1. c. — Stellwag, Ophth. I. 182, 186, 344
Nota 183, S. 346 Nota 184; II. S. 306, 691, 969, 1270, 1273, 1343 Nota 304. —
— Steffan, Cooper, Nelaton, kl. Monatbl. 1864. S. 81, 83. — Dixon, ibid. 1863.
S. 405. — Stengel, Aerztl. Intelligenzblatt. 1866. Juli. — Ressel, 1. c. — Singer,
Wien. allg. med. Zeitung. 1860. Nr. 46. — His, Beiträge zur norm. u. path. Histo-
logie der Cornea. Basel. 1846. S. 134. — Parjenstecher und Sämisch 1. c. I. S. 78 ;
II. S. 91, 93; III. S. 70. — Graefe, A. f. O. I. 1. S. 413, 417; II. 1. S. 214, 221;
IV. 2. S. 220; VII. 2. S. 37, 40; X. 1. S. 177, 179, 190, 215; XII. 2. S. 233, 237,
239; XIV. 2. S. 106. — Dor, ibid. VI. 2. S. 244, 248. — Schiess-Gemuseus ibid.
X. 2. S. 109, 118, 123, 130; XIV. 1. S. 87. — Lnndsherq, ibid. XI. 1. S. 58, 66;
XV. 1. S. 210. — Klebs ibid. XI. 2. S. 253. — Jacohi ibid. XI. 3. S. 165 ; kl.
Monatbl. 186.3. S. 121. — Kna2}p ibid. 1865. S. 378, 383; 1868. S. 318; 1869. S.
108; Die intraocularen Geschwülste. Karlsruhe. 1868; Centralbl. 1866. 8. 726. —
Küchler, deutsche Klinik, 1866. Nr. 17, 18, 19, 21, 23, 27, 28. — Rothmund, ibid.
1865. S. 86. — Mooren, ophth. Beob. S. 35; lieber symp. Ophth. 8. 41. — Emmert,
zwei Fälle von Sarcom der Orbita. Bern. 1870.
Granulome: Virchoio 1. c. 20. Vorlesg. II. 8. 390, 462. — Chelius 1. c. II,
8. 452. — Desmarres 1. c. 8. 352. — Pamard, Ann. d'. oc. V. S. 157 — Graefe,
A. f. O. III. 2. S. 412; VII. 2. 8. 24, 33, 39; X. 1. S. 211; XII. 2. 8. 231. —
Lincke, Hirschberg ibid. XIV. 3. S. 296. — Iwanoff', Pagenstecher's kl Beob. III.
8. 135. — Businelli, Schmidt's Jahrb. 141. Bd. 8. 324. — Colsman, kl. Monatbl.
1869. 8. 53. — Arcoleo, Congres ophth. 1868. 8. 183, 186. — Hijjpel, A. f. O,
Tumoren; Quellen. 639
XIII. 1. S. 65. — Sfoeber, kl. Monatbl. 1864. S. 362, 364. — Stellwag, Ophtli. II.
S. 443 Nota 142, S. 877.
Carcinome- Virchoiü 1. c. II. S. 196, 198, 206, 208, 213, 214, 257, 263. —
Schuh, 1. c. — Graefe, A. f. O. I. 1. S. 417; X. 1. S. 184, 206 ; XII. 2. 8. 244; XIV. 2.
S. 106, 114. — Althof, ibid. VIII. 1. S. 137. — Äefa?i, kl. Monthl. 1864. S. 81, 85. —
Hock, 1. c. — Pagenstecher and Snemisch, 1. c. II. S. 40. — Berthold A. f. 0. XIV. 3.
S. 149. — Itoanoff, Pagenstecher's kl. Beob. III. S. 135. — Hiilke, ychmidt's Jahrb.
135. Bd. S. 203! — Mooren, ophtli. Beob, S. 50. — Classen, Ceiitralblatt 1868. S.
39; Virchovv's Arch. 50. Bd. S. 56. — Sichel, Gaz. med. de Paris. 1867. Nr. 27. —
Rothmund, Deutsche Klinik. 1865. S. 86.
Angiome: Rokitansky, Lehrb. der path. Anat. I. Wien. 1855. 8. 202 — 209, II.
S. 315, 344, 346, 347, 364, 380. — Schuh, 1. c. — Demarquay, Sehmidt's Jahrb.
112. Bd. S. 259— 264. — GemZer ibid. 102. Bd. S. 52— 54; 114. Bd. S. 346; 139 Bd.
S. 219. — Zander und Geissler 1. c. S. 423—436. — Mackenzie 1. c. I. S. 223—242,
455, 487-504. — Himly, 1. c. I. S. 220-224, 376 — 380; II. S. 417. — Chelius I.e.
II. S. 428, 456. — Stellwag, Ophth. II. S. 964, 1233, 1275, 1276, 1345, Nota 308
bis 310. — Graefe, A. f. 0. 1. 1. 8. 420; VII. 2. Ö. 11, 19; X. 1. S. 184; X. 2. 8. 55; XII.
2. S. 222, 223. — Recklinghausen, ibid. X. 1. 8. 189 ; X. 2. 8. 62. — Knapp, Arch.
f. Aug.- u. Ohrenheilk. I. 8. 1, 14; A. f. 0. XIV. 1. 8. 213. — Czerny, Billroth, Arch.
f. klin. Chirurgie XI. 8. 230, 234. — Bruns, Virchow's Archiv. 50. Bd. 8. 80. —
Schirmer, A. f. O. VII. 8. 119. — Szokalski, kl. Monatbl.. 1864. 8. 326, 427. —
Ammon 1. c. If. Taf. 9. Fig. 10. — Schön, Beiträge etc. 8. 204; Handb. 8. 159. —
Abernethy, nach Mackenzie I. 8. 227. — Wardrop ibid. S. 239, 240. — Pauli ibid.
8. 226. — Bums ibid. 8. 238. — K. Jaeger, Roosbroeck, ibid. 8. 358. — Poucher,
Schniidt's Jahrb. 102. Bd. S. 52. — Soler nach Zander und Geissler 1. c. 8. 435.
— Kempf Canstatt's Jahresber. 1864. III. 8. 164. — Nunneley, kl. Monatbl. 1865.
8. 244; 8chmidt's Jahrb. 112. Bd. 8. 263. — And,rae nach Fischer's Lehrb. 8. 361.
— Ad. Schmidt, Ophth. Bibliothek. III. 8. 174. — Boioman, 8chmidt's Jahrb. 112.
Bd. 8. 262. — Gendrin, Hidke, Nelaton ibid. 8. 259. — Bell, nach Mackenzie 1. c.
I. 8. 237. — Bourgtiet ibid. 8. 490. — Travers ibid, 8. 495. — Balrymple ibid. 497.
— .Tohert, ibid. 8. 499. — Velpeau, Walton, ibid. 8. 500. — Brainard, ibid. 8. 501.
— Guthrie, ibid. 8. 488. — Carron du Villards, nach Himly I. 8. 376. — Parish,
Americ. journ. of med. science, 1841. — Sous, Graefe sen., Scultet, Ann. d'. oc.
53. Bd. 8. 241. — Poland, nach Zander und Geissler 1. c. 8. 427. — Hart ibid.
8. 431. — Küchler, Deutsche Klinik, 1866. Nr. 28. — AfClelland, 8chmidt's
Jahrb. 142. Bd. 8. 320. — De Ricci, Centralbl. 1866. 8. 45. — BorelH, Congres
ophth. 1868. 8. 149. — Mooren, Ophth. Beob. 8. 119, 125. — Freeman, Centralbl.
1866. 8. 798. — Boettcher, Virchow's Archiv. 28. Bd. 8. 400. — Koester ibid. 40.
Bd. 8. 468. — Blessig, Centralbl. 1868. 8. 87. — Williams, Med. record. New-
York 1868. III. Nr. 52. — Wecker, kl. Monatbl. 1868. 8. 47, 406. — Zehender
ibid. 8. 99. — Laiorence ibid. 8. 126. — Herpin, Desormeaux, Passavanl, Giraudet,
Le7ioir, nach Zehender 1. c. — Hirschberg, kl. Monatbl. 1868. 8. 153, 157. —
Schiess-Gemuseus ibid. 1870. 8. 56. — Collard, Gaz. med. de Paris. 1866. Nr. 39.
— Morton, Prager Vierteljahrschrift. 93 Bd. Mise. 8. 81. — Manz, kl. Monatsbl.
1868. 8. 182. — O. Becker, Wien. Augenkl. Ber. 8. 162.
Blasenwürmer, Filaria: Mackenzie, 1. c. II. 8. 860—871. — Stellivag, Ophth.
II. 8. 1289, 1356. — Keate nach Mackenzie I. 8. 70. — Lawrence, Bowman ibid.
II. 8. 861. — Waldhauer, kl. Monatbl. 1865. 8. 385, 388. — Zehender, 8eitz Handb.
etc. S. 552—558. — Hirschler, A. f. O. IV. 2. S. 113. — 0. Becker, Zeitschrift der
Wien. Aerzte. 1865. Wochenbl. 8. 385. — Grae/e, A. f. O. I. 1.8. 453,457, 463,465;
I. 2. S. 326; IL 2. 8. 334, 339; IIL 2. 8. 308, 311, 312, 316, 318, 327, 328, 330,
332 — .336; IV. 2. 8. 171; VIL 2. S. 48, 49, 52; X. 1. 8. 205; XIL 2. 8. 174. —
Appia, nach Mackenzie 1. c. IL 8. 868. — Estlin ibid. 8. 862. — Boivman ibid. 8. 803.
Anmkg. — Sichel, Höiing, nach Zander und Geissler 1. c. S. 417. — Schott, nach
Mackenzie 1. c. IL 8. 863. — Logan ibid. 8. 864. — Canton ibid. 8. 868. — Mende,
A. f. O. VII. 1. 8. 123. — Coccius, Ueber die Anwendung des Augenspiegels. Leip-
zig, 1853. 8. 93. — Schweigger, A. f. O. VIL 2. 8. 53; Vorlesgn. über den Gebrauch
des Augenspiegels, Berlin, 1864. 8. 54. — Soelherg- Wells, Ophth. Hosp. Rep. III.
8. 324. — Jacobson, A. f. O. XL 2. 8. 147, 152, 157, 158, 161. — Alf. Graefe,
kl. Monatbl. 1863. 8. 232., 242. — A. Weber ibid. 1864 8. 223. — E. Jaeger, nach
Mackenzie 1. c. IL 8. 869. — Liebreich, A. f. O. I. 2. 8. 343; Atlas der Ophth.
Berlin. 1863. Taf. 7. — Busch, A. f. O. IV. 2. S. 99, 102. — Nagel ibid. V. 2. 8.
640 Extraoculäre Geschwülste; Krankheitstild.
183. — Hirschberg, Virchow's Archiv. 45. Bd. S. 509. — Krüger, kl. Monatbl.
1867. S. 59. — Mauthner, Lehrb. d. Ophthscop. 1868. S. 461, 468. — Teale,
Med. Record. 1868. III. 52. S. 83. — Merkel, Centralbl. 1867. S. 560. — Arlt,
Wocheusch. d. Wien. Aerzte. 1867. S. 252. — Wliarton Jones, Canstatt's Jahresb.
1865. III. S. 36. — Mooren, lieber symp. Ophth. S. 41. — Fano, Quadri, L'union
med. 1868. Nr. 31.
1. Die extraocularen Geschwülste.
Krankheitsbild. Die Geschwülste begründen je nach ihrem
Standorte und Umfange mannigfaltige Störungen, welche im Krankheits-
bilde eine wichtige Rolle spielen. Auf der äusseren Liddecke werden sie
bei einigermassen bedeutenderer Grösse dem Lidschlage hinderlich und
können ihn wohl auch ganz aufheben. Sitzen sie auf der Cornea, in
oder unter der Bindehaut, so drängen sie sich bei fortschreitendem Wachs-
thume gerne aus der Lidspalte hervor, machen deren Schliessung unmöglich,
beirren die Leitung der Thränen, drücken häufig die Augendeckel aus
ihrer normalen Lage, oder stülpen sie förmlich um ; beschränken übrigens,
indem sie sich an den Lidrändern stemmen, die Bewegungen des Bulbus,
veranlassen also bei gewissen Blickrichtungen Schiefstellung der optischen
Axe und Diplopie, oder beeinträchtigen das Sehen durch theilweise oder
gänzliche Deckung der Pupille. Im Falle sie hinter der Fascia tarso-
orbitalis im Vordertheile der Orbita wurzeln, schieben sie nebenbei oft den
ganzen Augapfel zur Seite, verrücken seinen Drehpunkt.
Gewächse, welche tief in der Orbita liinter dem Bulbus lagern, ver-
ursachen stets einen Exophthalmus. Lagern sie hierbei ganz innerhalb des
Muskeltrichters und sind die Muskeln selbst frei geblieben, so wird der Aug-
apfel gemeiniglich gerade nach vorne getrieben und seine Bewegungen
erweisen sich nach allen Seiten hin ziemlich gleichmässig beschränkt. Die
Drehungen erfolgen noch um den Mittelpunkt des Bulbus, wenn die Geschwulst
mit letzterem in keinem unmittelbaren Zusammenhange steht, sondern durch
Beste des Fettpolsters davon getrennt ist. Ist der Tumor hingegen mit
der Augenkapsel verwachsen , so wird der Drehpunkt ein excentrischer oder
fällt ausserhalb des Binnenraumes. Hat sich das Aftergebilde ausserhalb
des Muskeltrichters entwickelt, so ist die Vorschiebung des Auges stes eine
mehr schräge und die Excursionsfähigkeit erscheint vorwaltend nach der
Seite der Geschwulst hin vermindert. Ist sie in einer Richtung ganz auf-
gehoben, so liegt die Yermuthung nahe, dass die betreifenden Muskeln selbst
in die Afterwucheruug einbezogen wurden, was seinerseits wieder auf die
Neigung des Gewächses, verschiedene Gewebsarten anzugehen, also auf einen
bösartigen Charakter hindeutet (Graefe).
Der Exophthalmus kann längere Zeit bestehen, ohne dass der Bulbus
nothwendig dauernden Schaden litte. Häufig jedoch wird die nunmehrige
Unzulänglichkeit der natürlichen Schutzmittel oder die Zerrung und Zu-
sammendrückung der Gefässe und Nerven den Ernährungsverhältnissen des
Augapfels abträglich; es kömmt zu intraocularcn Entzündungen, öfters mit
Stauungserscheinungen in den Netzhautvenen, zu Hydrops subretinalis und
ausnahmsweise zu Abhebungen der Aderhaut, woratif schliesslich der Bulbus
unter den Erscheinungen der Iridochorioiditis atrophisch zu Grunde geht;
Behaiidlinin; Oliciniicliliilii' Tiiinnron ; CarotisHiid'iliiiifluiiK'; Aotzpasten. 041
oder CS verschwärl dio Hovnhaul in Folge von Neuropai'alysis odcM- von
iutcrcurrenteii heftigen Entzündungen und der Ausgang ist Phlhisis des
Auges. Nicht, gar sehen entwickelt sich ^^Wwäj- oder durch retrobulbäre
Neuritis bedingt Schwund des Sehnerven; ja bisweilen wird der Opticus von
der Aftermasse selber angegriffen und zerstört.
Es steht jedoch die Grösse des Exophthalmus keineswegs nothwendig
im geraden Verhältnisse zum jewoiligon Umfange der orbitalen Geschwulst,
(jar nicht selten wird eine oder die anderem Wand der A.ugenhöhle usurirt,
durch Carics oder Nekrose zerstört oder in den Wucherungsprocess ein-
bezogen und durchlöchert. Der Tumor findet solchermasscn, selbst früh-
zeitig, einen Weg in die Nasen-, Stirn- oder Kieferhöhle, in die Flügel-
gaumengrube oder wohl gar in den Schädelraum, breitet sich darin aus,
drängt die in seiner Bahn gelegenen Organe zur Seite, bringt sie zur
Atrophie oder pflanzt sich auf dieselben fort, während er in der Orbita
nur wenig mehr an Grösse zunimmt.
Ausnahmsweise bohren sich Gewächse in umgekehrter llichtiing von einer
Nachbarhöhle aus in die Orbita (iS. 621). Dagegen werden Gescliwülste, welche
sich in den umliegenden Räumen entwickelt liaben , der Augenhöhle und dem
Bulbus öfters dadurch verderblich, dass sie bei ihrem Wachsthume die Wandunsren
vor sich her treiben, die Orbita mehr und mehr verengern, am Ende wohl gar auf
einen Spalt zusammendrücken und den hervorgedrängteu Augapfel durch Ernährungs-
behinderung oder Entzündung zu Grunde richten (Mackenzie).
Die Behandlung hat in erster Linie die Entfernung der Gcschrvulst
zur Aufgabe. Das Mittel dazu ist in der Regel das Messer.
Bei kleinen Cysten genügt öfters die mehrmalige Function und Entleerung
der Höhle, besonders wenn nachträglich die Innenwand cauterisirt wird. Bei grös-
sere« Cysten sind wiederholte Einspritzungen mit reizenden Mitteln, zumal mit der
Jodtinctur, nebst der Drainage für nützlich erkannt worden.
Umschriebene, oherfläclilich lagernde Angiome hat man in einigen Fällen da-
durch beseitigt, dass man Nadeln kreuzweise einstacli und bis zum Rothglülien
erhitzte (Mackenzie). Von den tiefer liegenden pidsirenden Orhitaltumoren soll einer
ganz spontan zurückgegangen sein {Viichow), andere sollen durch den Gebrauch
von Ergotin und Veratnnn, von kalten Ueberschlägen, eine grössere Anzahl durch
Injection von coagnlirenden Flüssigkeiten, insbesondere von Sesquichloretum ferri,
geheilt worden sein (Zeheuder). Die Digitalcompression nach Vanzetti hat in einigen
Fällen Günstiges geleistet, in anderen jede Wirkung versagt. Die meisten Heilun-
gen oder wenigstens befriedigenden Resultate (23 in 31 Fällen, Zehender) sind
durch die Unterhind.ung der Carotis erzielt worden. Doch ist dies eine jedenfalls
sehr bedenkliche Operation. Aus einer Zusammenstellung von 586 Fällen {O. Filz)
ergibt sich, dass in Folge der Carotisunterbindung etwa 43% der Kranken sterben
und 53% genesen ; dass 30% der Kranken wesentliche Gehii'nstörungen erleiden
und dass etwa bei 8% Lähmungen sich entwickeln.
Eigentliche Aftergewächse lassen sich, wenn sie oberflächlich lagern, mitunter
durcli Aetzpasten entfernen. Man benützt die Wiener Faste oder das Chlorzink.
Manche beschränken sich in deren Gebrauche nicht auf oberflächliche Tumoren,
sondern benützen diese Caustica auch, um die verdächtig infiltrirten Wundflächen
nach der Exstirpation von Orbitaltumoren gründlich und selbst bis in den Knochen
hinein zu zerstören (Sichel, Rohin, Lairson). In neuerer Zeit wird ausserdem,
besonders bei Fpilhelioma der Lider, der innerliche und äusscriiche Gebrauch von
Kali chloricnm gerühmt. Es sollen Charpiebäusche , vvelche mit einer Lösung von
Kali chloricum in Wasser (1:15) imprägnirt worden sind, auf die wuchernde
Fläche gelegt und täglich 3 — 4 Mal erneuert werden. Nebenbei sollen innerlich
etwa 7 Gran des Mittels pro die in einer wässerigen Solution (1:180) genommen
werden (Mugni, Stavenhagen). Die Cur scheint einige Monate in Anspruch zu
nehmen.
OeschwiUste gutartigen Charakters, welche mit einem Stiele ganz oberflächlich
wurzeln, können bisweilen auch durch Absrliniirnng zur Heilung gebracht werden.
Stell wag, Augenheilkunde. 41
642 Extraocnläre Tumoren; Behandlung; Exstirpatlon.
Die Exstirpation soll im AUgemeiuen so frühzeitig als möglich vor-
genommen werden, namentlich bei eigentlichen Gewächsen, welche in fort-
schreitendem Wachsthume begriffen sind. Es handelt sich nämlich nicht
blos darum, Schäden zu verhüten und zu begleichen, welche den Nachbar-
organen auf mechanische Weise zugefügt wei'den ; die Hauptgefahr liegt in
der oft sehr raschen Infection der Umgebung, in der Verstreuung von Keimen
und deren Entwickelung zu Tochterherden. Das scheinbar unschuldige
Aussehen eines Tumors darf bei erweisbar zunehmender Vergi-össerung
nicht als eine Rechtfertigung des Säumens gelten ; denn es steht fest, dass
gutartige Aftergebilde , welche lange Zeit unverändert blieben und ohne
Schaden bestanden, öfters plötzlich ihren Charakter wechseln und im höchsten
Grade infectiös werden. Es ist aber unmöglich , den Zeitpunkt einer
solchen unglücklichen AVendung zu bestimmen, und ist es einmal zur An-
steckung der i^achbarschaft oder gar zur Dissemination von Keimen
gekommen, so bleibt die Operation in der Regel erfolglos, weil die Tochter-
herde sich anfänglich kaum verrathen, also leicht stehen gelassen werden,
oder gar an unzugänglichen Orten auftreten. Gewöhnlich stellen sich
daher sehr rasch Recidiven ein, welche dann mit furchtbarer Schnelligkeit
weiter greifen und den Kranken auch bald zu tödten pflegen.
Offenhart sich die Bösartigkeit eines Gewächses unzweifelhaft durch
dessen Uebergang auf verschiedene, im organischen Zusammenhange stehende
Gewebsarten, oder hat dasselbe vielleicht gar schon derbe, sehnige oder
knöcherne Scheidewände in den Afterprocess einbezogen und durchbohrt;
so ist die Wahrscheinlichkeit des Vorhandenseins zerstreuter Tochterherde
überaus gross und die Operation nur mehr ein Glücksspiel mit höchst
zweifelhaftem Erfolge.
Macht sich eine Mehrzahl von Tochtei'herden bereits in sehr entwickeltem
Zustande bemei'klich; oder zeigen sich in den zugehörigen Lymphbahnen
die Drüsen angeschwollen; oder ist ({\e primäre Geschwulst zu einem sehr
bedeutenden Umfange gedielien und theilweise gar in Verjauchung über-
gegangen; oder tritt schon die Cachexie im Krankheitsbilde hervor: so ist
jeder blutige Eingriff strenge zu meiden, denn es wird dadurch der Process
nur angefacht und die olmehin karg bemessene Lebensdauer des Ki'anken
wesentlich verkürzt.
Hauptregel ist bei der Operation, namentlich verdächtiger oder ent-
schieden bösartiger Gewächse, dass alles Krankhafte entfernt werde und auch
nicht der kleinste Theil der Aftermasse zurückbleibe. Die Schnitte müssen
daher immer ausserhalb der Grenzen des Tumors und überhaupt der merk-
bar veränderten Gewebstheile geführt werden. Wo die Geschwulst in
Höhlen vorgedrungen ist, welche eine völlige Beseitigung nicht erlauben,
ist die Operation ganz zu unterlassen.
Die Schnittführung ist selbstverständlich dem Standorte und der Flächen-
ausdehnung der Wui'zeln des Gewächses anzupassen. Im Allgemeinen lässt
sich nur das Gesetz aufstellen, dass jeder Messerzug von der Rücksicht auf
eine möglichst wenig störende Narbe geleitet werden soll. Lisbesondere bei
Pseudoplasraen der äusseren Haut und Conjunctiva ist den einzelnen Schnitten
immer eine Richtung zu geben, welche die Lücke nachträglich durch Zu-
ziehung nachbarlicher Theile ohne sonderliche Zerrung zu decken erlaubt,
Exstirpation oberflächlicher Geschwülste. 643
einer Zuheilung ohne Eiterung also die günstigsten Bedingungen dar-
biethet.
a. Dermoidgeschivülste, welche auf dei* Cornealgre.nze, sitzen, werden mit der
Pincette gefasst, etwas hervorgezogen und mittelst eines Staarmessers abgetragen
(Graefe). Was noch etwa über das Niveau der Cornealoberfläche hervorragt, kann
mit einer krummen Schere beseitigt werden. Sollte die Wundfläche übermässig
granuliren, so sind Aetzungen mit Höllenstein und später Betupfungen mit Opium-
tinctur am Orte.
b. Bei Cancroiden der ScXeralgrenze ist es gerathen, die Bindehaut rings um
die Grenze des Aftergewächses in einem Abstände von mindestens 1'" einzu-
schneiden, letzteres hierauf mit der Pincette hervorzuziehen iind mittelst eines
Staarmessers in langen Zügen so abzutragen, dass die Schnittfläche ihrer ganzen
Ausdehnung nach in gesundes Hörn- und Lederhautgefüge fällt. Um den Substanz-
verlust der Bindehaut zu decken und übermässige Fleischwärzchenbildung zu ver-
meiden, sollen dann von den Wundrändern aus zwei viereckige Lappen in der
Bindehaut abgegrenzt werden, von denen einer schräg nach Oben und Aussen, der
andere schräg nach Innen Unten gerichtet ist und welche, nachdem sie von der
Unterlage abpräparirt sind, über die Scleralwundfläche zusammengezogeir und durch
Knopfnäthe vereinigt werden {Knapp).
c. Epitheliome, welche in der Lidhaut wuchern, fordern die Exstir^^ation
sammt ihren Wurzeln. So lange dieselben noch nicht weit reichen, wird es in der
Regel leicht sein, die Wundfläche durch Zuziehung nachbarlicher Theile ohne
besondere Difl'ormitäten und Functionsstörungen der Lider zu decken. Hat das
Gewächs aber nur einigen Umfang erreicht und greift es etwas tiefer, so wird
die Deckung des Substanzverlustes meistens schwierig. Man hat zu diesem
Behufe mehrere sehr sinnreiche Methoden der Blepharo-plastik empfohlen {Hasner,
Knapp). Doch fragt es sich sehr, ob dieselben ihrem Zwecke entsprechen und
der Mühe lohnen, indem der Epithelialkrebs bei einigermassen grösserer Ausbrei-
tung in der Lidgegend hnmer wieder recidivirt und dann gewöhnlich rapid um
sich greift.
d) Gewächse, welche nahe unter der äusseren Haut oder unter der
Bindehaut lagern, müssen behufs der Exstirpation erst biosgelegt werden.
Zu diesem Ende genügt öfters Eine lineare Schnittwunde, welche am besten
hergestellt wird, indem man die Decke der Geschwulst in der günstigsten
Richtung in eine Falte aufhebt und diese dann mit dem Bistouri oder der
Schere durchschneidet. Bei grösserem Umfange des Tumors wird häufig ein
Kreuz- oder T-Schnitt erforderlich. Hängt die Geschwulst aber stellenweise
mit ihrer Decke fest zusammen, so ist es am besten, die verwachsene Partie
des Integumentes durch 2 ellipsoidische Schnitte zu umgrenzen. Sodann
wird die Decke des Aftergebildes nach Bedarf in grösserem oder geringerem
Umfange Ton der Oberfläche der Geschwulst abpräparirt, diese mit der
gezähnten Pincette oder Museux'schen Zange gefasst, etwas hervorgezogen
und sorgfältig bis auf den letzten Rest aus den normalen Umgebungen her-
ausgelöst.
Bei Angiomen der Lider , welche eine starke Blutung befürchten
lassen, kann man sich der Desmarres'schen Ringpincette bedienen, welche
durch Compression der Gefässe die Operation wesentlich erleichtert
{Stavenhagen). Ist das Gewächs entfernt, so werden, falls man von der
äusseren Decke eingegangen war, die Wundränder durch Heftpflasterstreifen
oder besser durch Jeine Knopfnähte vereinigt und ein leichter Baumwollen-
bausch aufgebunden, um die Wundhöhle wo möglich per primam intentionem
zur Verheilung zu bringen. Wo ein solches günstiges Ereigniss aber von
vorneherein nicht anzuhoffen ist, darf das Einlegen einer Charpiewieke in die
Wundhöhle nicht vergessen werden. Im Uebrigen bleibt der Verband der-
selbe. Wurde das Aftergebilde von der Bindehaut aus exstirpirt, so sind
41*
(l44 Extraoculäre Tumoren; Bp.handluiig ; Exsf.irpatioii iiefsitzender Geschwulste.
Nähte nur bei sehr langen oder sich kreuzenden Schnittwunden angezeigt
und müssen mit den feinsten Seidenfäden hergestellt , übrigens auch
möglichst bald wieder beseitigt werden. Der Schutzverhand hat dann den
Zweck, die Bewegungen der Lider , die Verschiebung der Bindehaut-
wundränder u. s. w. zu verhindern, die Verheilung sonach zu be-
günstigen. Einführungen von Wieken sind unter solchen Verhältnissen
zu meiden.
Cysten, welche tmter der Bindehaut lagern, springen oft von seibat heraus,
wenn die Conjunctiva darüber gespalten wird. Die Verheilung erfolgt fast immer
in der allerkürzesten Zeit. Platzt die Cyste während der Operation und wird
so die gänzliche Entfernung wegen der Zartheit der Cystenwand schwer, so kann
man sich getrost mit der theilweisen Beseitigung derselben begnügen, ohne einen
Misserfolg zu befürchten. Zur grösseren Sicherheit kann man übrigens den bios-
gelegten Wandrest mit Höllenstein ätzen.
e. Bei Aftergebilden, welche tiefer im Orbilalhindegewehe wurzeln, ist
die Exstirpation etwas schwieriger, in der Mehrzahl der Fälle aber um
so dringender geboten, namentlich wenn sie rasch wachsen. Man soll dann
die Exstirpation wo möglich von der äusseren Lidfläche aus vornehmen,
da ein Eingehen von der Bindehaut aus weit umständlicher und wegen
Hinterlassung von schrumpfenden Conjunctivalnarben bedenklich ist. Es wird
zu diesem Behufe an der Stelle der grössten Hervorragung ein dem
knöchernen Orbitalrande paralleler Schnitt bis auf die Oberfläche der
Geschwulst geführt und diese sonach biosgelegt. Bei grösserem Umfange
derselben muss noch ein zweiter darauf senkrechter Schnitt geführt werden,
so dass eine T-förmige Wunde resultirt. Die Decken der Geschwulst werden
sodann in genügendem Umfange losgeschält, das Pseudoplasma mit der
Museux'schen Zange gefasst, kräftig hervorgezogen und mit dem Scalpel
oder mit einer Schere aus seinen Verbindungen gelöst.
Haftet das Pseudoplasma an der Beinhaut fest, und ist diese vielleicht
gar stärker geschwellt, so erscheint es gerathen, die kranke Stelle mit dem
Schabeeisen tüchtig zu bearbeiten und, falls der Knochen sich stark alterirt
zeigt, wohl auch ein Stück desselben mit dem Handmeisscl auszustemmen.
Geradezu geboten ist diese Vorsicht bei Gewächsen verdächtiger Art oder
erwiesenermassen bösartigen Charakters. Manche bedienen sich als Surrogat
unter solchen Verhältnissen der Chlorzinkpasta (Sichel, Lawson). Doch steht
es dahin, ob dieselbe ihrem Zwecke entspricht.
Der Augapfel selbst muss während der Operation auf das Schonendste
behandelt und besonders vor Stössen bewahrt werden. Eine gleichzeitige
Exstirpation desselben ist, so lange seine Bestandtheile nicht auffällige
materielle Veränderungen erlitten haben, nur gerechtfertigt, wenn ohne dem
eine völlige Beseitigung des Pseudoplasmas kaum oder nur unter den
grössten Schwierigkeiten zu bewerkstelligen ist. Weitaus in den meisten
Fällen aber, namentlich wenn die Geschwulst ausserhalb des Muskeltrichters
gelagert ist, kann und muss der Bulbus geschont werden. Die Kothwendig-
keit, den Augapfel in grösserem Umfange blos zu legen, hebt diese Pflicht
nicht auf, da die Erfahrung bereits genügend dargethan hat, dass auch
unter solchen Verhältnissen der Bulbus sich nicht nur formel ei-halten,
sondern auch einen Theil seiner Functionen wieder aufnehmen und dauernd
fortführen könne {Berlin, Zehender, Graefe, Schiess-Gemuseus).
Ist das Aftergebilde herausgelöst und die etwaige Blutung gestillt, so
wii'd die Hautwunde durch Knopfnülile bis auf einen kleinen Spalt ge-
Exstirpatio bulbi; Anzeigen; Verfahren. 645
schlössen. Durcli den letztei'eii wivd ein Leinwandläppchcn bis auf den
Grund der Wundhöhle eingeführt, nra dem sich bildenden Kiter einen
steten Abfluss zu sichern. Im Uebrigen ist die Behandlung dieselbe, wie
bei anderen tiefen Wunden. ]^]s bilden sich gcwöhnlicli bald Granulationen
an den Wänden der Wundhöhle, welche diese allmälig ausfüllen, bis sie
endlich an die äussere Hautöifnung h(M"antrcten und die Vernarbung dem
Processe ein Ende macht. Nicht selten bleiben indessen Monate und Jahre
lang Hohlgänge übrig, welche fortwährend Kiter aussondern und sich daher
nicht schliessen. Es geschieht dieses öfters, ohne dass es zur Caries oder
Nekrose eines Theiles der knöchernen Orbitahvände gekommen wäre. Man
rauss dann die Höhle kräftig mit Höllenstein ätzen, oder reizende Salben anwen-
den, im Nothfalle selbst zum Glüheisen schreiten, vorausgesetzt, dass die
Schädelbasis nicht zu nahe liegt, da sonst leicht eine Meningitis bedingt
werden kann. Voi'züglich angezeigt ist ein solches Verfahren, wenn wegen
mangelhafter Granulationsbildung sich tiefe und entstellende Narben zu bilden
drohen.
/. Erscheint der Augapfel der Mitaffection verdächtig, oder ist dessen
Mitleidenschaft erwiesen, greift der Krebs voraussichtlich in den Muskeltrichter
hinein, oder ist das Aftergebilde schon zu einem beträchtlichen Umfange
gediehen und können Nebenherde im Orbitalzellgewebe vermuthet werden :
so ist es immer das Gerathenste, den Bulbus sammt der ganzen Masse des
theilweise entarteten Fettpolsters auszuschneiden.
Die Exstirpation des Bulbus und seines Fettpolsters ist wegen der
bedeutenden Schmerzhaftigkeit immer während der Narkose des Kranken
vorzunehmen. Ein Assistent hat diese zu leiten, ein anderer fixirt den
Kopf des Kranken und hält die Lidspalte möglichst weit geöffnet, der
dritte endlich übernimmt die Stillung der meistens sehr beträchtlichen
Blutung. Um den Zugang zur Augenhöhle möglichst zu erweitern und
die Hantirung zu erleichtern, erscheint es in der Mehrzahl der Fälle vor-
theilhaft, die äussere Commissur der Lider durch einen horizontalen Schnitt
bis zum Knochenrande hin zu spalten. Hierauf fasst die linke Hand des
Operateurs mittelst einer Museux'schen Zange den Bulbus oder das hervor-
ragende Aftergebilde und zieht die Masse nach vorne und nach oben. Ist
dieses geschehen, so wird ein starkes, wenig gebauchtes, allenfalls auch
leicht nach der Fläche gekrümmtes Skalpel in der Gegend des inneren
oder äusseren Lidwinkels hart am Knochen auf mehr als einen Zoll in die
Tiefe eingestochen und der Augapfel nach unten in Sägezügen bis zur Höhe
des anderen Canthus umschnitten. Sodann wird die Zange gesenkt und die
von ihr gefasste Masse nach vorwärts und unten gezogen, um von dem.
einen Wundwinkel aus in ganz gleicher Weise den Bulbus nach oben
umschneiden zu können. Es lässt sich derselbe sammt seinen umgebenden
Hüllen nun schon sehr beträchtlich nach vorne herausziehen, worauf eine
starke nach der Fläche gekrümmte Schere in den Seitentheil der Wunde
geschlossen eingeführt, sodann aber weit geöffnet wird, um den Sehnerven
thunlichst weit nach hinten zwischen die Blätter zu bekommen und mit
einem Schlage zu durchschneiden. Sind noch einige Vei'bindungen zurück-
geblieben, so werden dieselben leicht durch wiederholte Scherenschnitte
geti'ennt und solchermassen der Bulbus mit der Aftermasse entfernt. Es
wird nun die Thränendrüse mit der Zange gefasst, hervorgezogen und mit
646 Extraoculäre Tumoren; Beliandlung; Exstirpatio bulbi; Verband.
dem Messer oder der Schere abgelöst. Ist dieses geschehen, so wird mit
dem Finger die Wundfläche auf das genaueste untersucht. Wo sich etwas
Krankhaftes zeigt, muss es bis zum Knochen ausgeschnitten, nöthigenfalls
auch das Periost abgeschabt und selbst ein Stück der Knochenwand aus-
gestemmt werden. Dringt das Gewächs durch eine Wand hindurch, so kann man
versuchen , dasselbe mit der Zange hervorzuzerren und zu exstirpiren,
was bisweilen gelingt.
Die Blutung, so profus sie auch meistens ist, wird doch in der Eegel
ziemlich leicht durch Einspritzen von Eiswasser gestillt. Steht sie, so wird
die Augenhöhle tamponirt, um den nicht seltenen Nachblutungen zu begegnen.
Es geschieht dieses am besten durch Ausfüllung mit kleinen, sorgsam auf
einander gepassten Charpiebäuschen, über welchen die Lider geschlossen
und mit einem grossen Charpiebausch belegt werden, den eine straff ange-
zogene Zirkelbinde in seiner Lage erhält und gegen den Augenhöhlen-
tampon kräftig drückt.
Ist die Taraponade sorgfältig durchgeführt, so genügt sie fast immer ihrem
Zwecke, selbst dann, wenn die Ärteria ophthalmica nahe dem Sehloche durchschnit-
ten wurde und darum sich nicht zurückziehen und mechanisch schliessen kann.
Es ist deshalb in Fällen, in welchen das starke Spritzen einen solchen Zufall
verräth, anzurathen, sich nicht lange mit den ohnehin vergeblichen Versuchen, die
Blutung auf eine andere Weise zu stillen, aufzuhalten, sondern nach Entfernung
alles Krankhaften sogleich die Tamponade in der geschilderten Weise vorzuneh-
men. Die Torsion der Arteria ophthalmica oder die Conqji-ession derselben durch
eine Sperrpincette, welche durch einen oder zwei Tage liegen gelassen wird, ist
kaum jemals erforderlich. Die Anwendung des Glüheisens zur Stillung der Blutung
ist wegen der Nähe des Gehirnes gefährlich und überhaupt nicht verlässlich. Wegen
der Nähe des Gehirnes ist auch das Sesquichloretu7n ferri kaum verwendbar, da es
das Blut in den Gefässen auf grössere Abstände hin chemisch alterirt und zum
Stocken bringt, derlei Pfropfe in den Gefässen der Schädelbasis aber leicht sehr
verderblich werden können.
Der Verband darf erst nach zwei oder drei Tagen, überhaupt wenn
sich schon die Zeichen beginnender Eiterxmg bemerklich machen, erneuert
werden. Im Ganzen ist er zu tragen, bis die Orbita sich bereits mit einer
Schichte von Granulationen überkleidet hat. Mittlerweile ist der Kranke
gleich einem schwer Verwundeten zu behandeln und namentlich auf
Mässigung der örtlichen Entzündung und des etwa auftretenden heftigen
Fiebers hinzuarbeiten.
In einzelnen seltenen Fällen kömmt es nach Exstirpationen zu wahren trau-
matischen Hirnhautentzündtingen. Dieselben neigen wegen ihres eitrigen Charakters
zu stürmischem Verlaufe, in welchem sich die schulgerechten Stadien mehr ver-
wischen. Der Puls ist ein sehr schneller, die Temperatur örtlich sehr erhöht, der
Kopfschmerz sehr heftig und die Geistesthätigkeit bald umnebelt. Es folgen dann
rasch Lähmungserscheinungen, allgemeiner Collapsus und der Tod. Selten gelingt
es, den Process gleich in seinem ersten Beginne durch kräftige Antiphlogose zu
bemeistern. Doch scheint mitunter der Eintritt der Eiterung an den orbitalen Wund-
rändern eine Wendung zum Guten anzubahnen (Graefe).
Ist die Gefahr einer Nachblutung vorüber und die Augenhöhle mit
Granulationen überdeckt, so kann man olme weiteres den Verband weg-
lassen und sich auf tägUches mehrmahges Ausspritzen der Wundhöhle be-
schränken, bis die Vernarbung erfolgt ist. Es ist diese oft schon in kurzer
Zeit, innerhalb 14 Tagen, vollendet, zumal wenn grössere Portionen der
Bindehaut geschont werden konnten, da diese sich zusammenziehen und
die Orbita nach vorne gleich einem Vorhange abschliessen, die Wundfläche
also bedeutend verkleinern.
JutiaoiiiUire Tuiiiuioii; Krankheitsbild. 647
Zögert die Granulationsbilduno- sehr, oder ivuchern die Wundflächea
unter starker Eiterung- übermässig und cn-seheinen die Granulationen blass
schlaff uiul sehr weich, so sind örlliclie Reizmittel, Opiumtinctur, Höllen-
stein u. s. w. anzuwenden.
g. Wird die Operation als unerspricsslich aufgegeben, so stellt sich die
Aufgabe, dem Kranken seinen höchst peinliehen Zustand möglichst erträglich
zu machen und sein elendes Dasein thunlichst zu verlängern. Oertlich ist
dann geboten: Fernhaltung jeder Schädlichkeitseinwirkung, sorgfaltigste
Reinhaltung der Geschwulst durch mehrmals des Tags wiederholte Bespülungen
mit reinem lauen Wasser und ein entsprechender Verband theils des
Schutzes wegen, theils um die scheussliche Entstellung zu verdecken.
Treten später Blutungen ein, so können Ueberschlägc von verdünnter
Chlorina liquida angewendet werden. Beginnen sich bereits Stücke vom
Gewächse abzustossen, so pflegt man Kohlenpulver aufzulegen, um den
penetranten Fäuluissgeruch einigei'massen zu dämpfen. Im Uebrigen
empfiehlt sich die Vermeidung körperlicher und geistiger stärkerer Auf-
regungen. Gegen locale Entzündungserscheinungen werden mit Vortheil
kalte üeberschläge angewendet, besondei\s wenn eine beträchtliche örtliche
Temperaturzunahme nachweisbar ist. Gegen heftige Schmerzen helfen bis-
weilen Narcodca. Bei stäi'kerem Fieber empfiehlt sich die Digitalis, das
Aconit und nach Umständen das Chinin. Zeigt sich bereits der zuneh-
mende Verfall des Körpers , so kann man Chinapräparate nebst leicht
verdaulicher nährender Kost und massigen Gaben leichten Bieres
reichen u. s. w.
Quellen. Hhnly, Krankheiten u. Missbildungen etc. I. Berlin. 1843. S. 505. —
Mackenzie, Traite des mal. d. yeux. Traduit p. Warlomont et Testelin. I. Paris.
1856. S. 70-107, 226—242, 487—504. — Küchler, Deutsche Klinik 1866. Nr. 18,
19, 28. — Stellwag, Ophth. II. S. 1221-1230. — Graefe, A. f. O. I. 2. S. 288; X,
1. S. 193, 194, 200, 205; X. 2. S. 197. — Schiess-Geviuseus ibid. XIV. 1. S. 73.
— Zehender ibid. IV. 2. S. 55; kl. Moiiatsbl. 1868. S. 108. — Kna2)2h A. f. O.
XIII. 1. S. 183; XIV. 1. S. 278, 283; Arcli. f. Aug. u. Ohrenheilkde. I. S. 1, 3.
— Hasner, Entwurf einer anat. Begründg. Prag. 1847. S. 248. — Jacobson, A. f. O.
X. 2. S. 55. 77. — Zander und Geissler, die Verletzungen des Auges. Leipzig u.
Heidelberg. 1864. S. 424, 431—435. — Schuh, Wien. med. Wochenschiift 1861.
Nr. 1 — 5. — Chelius, Handbuch der Augenheilkunde. II. Stuttgart. 1839. S. 515.
— Berlin, kl. Monatsbl. 1866. S. 81. — Hirschherg, kl. Monatbl. 1869. 8. 76. —
Sichel, Rohin ibid. 1868. S. 275. — Lawson, Lancet. 1869. I. S. 10. — Magni, Rivista
clinica 1869. — Stavenhagen, kl. Beob. S. 23. — Berthold, A. f. 0. XIV. 3. S. 107.
— 0. Pilz, Arch. f. kl. Chirurgie. IX. S. 257.
2. Die intraoculareii Geschwülste.
Krankheitsbild. Aftergebilde , welche sich im Hintertheile des
Binnenraumes entwickeln, führen immer bald zu tiefen Sehstörungen. Oft
ist schon sehr frühzeitig die Lichterapfindung im ganzen Umkreise des
Gesichtsfeldes aufgehoben, oder es hat sich nur an einer oder der anderen
Stelle desselben ein undeutliches Wahrnehmungsvermögen erhalten und
erlischt später bei fortschreitendem Processe völlig. In vielen Fällen ist
es auch gerade die monoculare Erblindung, durch welche der Kranke auf
sein Leiden aufmerksam gemacht wird, indem der Tumor sich ausbilden
ß48 lutraoculäre Tumweii; Gliom; Kraukheitsbild.
und selbst zu ansehnlichen Grössen gedeihen kann, ohne sonstige Beschwer-
den zu verursachen oder das Aussehen des Auges irgendwie erheblich
zu verändern. Häufig bedarf es sogar einer eingehenden Untersuchung, um
das Gewächs zur Wahrnehmung zu bringen.
Das Netzhautgliom in seinem ersten Beginne zeigt sicli unter der Gestalt
einer diffusen (Knapp), oder einer in zahlreiche, ziemlich scharf umgrenzte,
grössere und kleinere Herde gesonderten Trübung von bläulichweisser bis
gesättigt weisser, jeder Beimischung von Gelb entbehrender Farbe, welche
gewöhnlich frühzeitig von einzelnen dichteren, deutlich hervorspringenden
Knoten durchsetzt wird, die Netzhautgefässe stellenweise frei lässt, stellenweise
aber verschleiert oder gänzlich verhüllt und nicht selten sich vascularisirt,
ausnahmsweise in dem Grade, dass der Bestand hellrother Fleischwärzchen
vorgetäuscht wird. Der vorwaltend weisse , gesättigte Farbenton , die
Opacität des Infiltrates, die Glätte der Geschwulstoberiläche und der
Mangel aller auf Entzündung hindeutenden Erscheinungen, besonders das
Fehlen auffälliger Trübungen im Glaskörper, wirken dann zusammen, um
einerseits die Annahme exsudativer oder hyperplastischer Formen der
Neurodictyitis unthunlich erscheinen zu lassen, andererseits um einen
starken Reflex zu ermöglichen , welcher sich besonders bei erweiterter
Pupille und bei günstiger Stellung zum Lichte geltend macht und ein
Aufleuchten des Augengrundes mit intensivem hellweissen metallischen Glänze
veranlasst. Gewöhnlich ist es dieses höchst aufTällige Symptom, welches
die Umgebung des erkrankten Kindes auf das vorhandene Leiden aufmerk-
sam macht und eine Untersuchung anregt, welche immer schon eine fast
vollständige Erblindung des betreffenden Auges nachweiset. Bei fortschrei-
tender Wucherung drängt sich die Aftermasse immer näher an die optische
Axe heran und kann dann stets schon mit freiem Auge deutlich gesehen
werden. Es wird nämlich in der Regel schon sehr frühzeitig der betreffende
Abschnitt der Netzhaut im weiten Umfange von der Aderhaut abgehoben
und rückt mit einzelnen Theilen häufig sogar bis unmittelbar an die hintere
Linsenfläche heran ; oft sogar wird die Ablösung der Retina eine totale.
Die ungewöhnliche Lage und Gestalt des abgehobenen Netzhauttheiles, die
Excentricität der Trichteraxe bei totaler Amotion , die intensiv helle
Färbung und die Opacität, sowie die oberflächliche Glätte des stellenweise
buckelig hervorgetriebenen abgehobenen Netzhauttheiles geben dann im
Vereine mit der eigenthümlichen Anordnung der darauf etwa wahrnehm-
baren Adergeflechte Anhaltspunkte genug, um den Zustand von einem
primären Hydrops subretinalis zu unterscheiden. Dazu kommen als diagno-
stische Hilfsmittel noch der Fortbestand des normalen oder gar die
nachweisbare Steigerung des Binnendruckes, ja nicht selten die Ent Wickelung
eines wirklichen Status glaucomatosus mit allen seinen charakteristischen
Merkmalen, also ein Zusammenfluss von Verhältnissen, wie sie sonst bei
Kindern kaum jemals beobachtet werden. Im weiteren Verlaufe treten
dann intereurrente Entzündungen unter der Form von Tridochorioiditis auf,
welche, wenn sie nicht zur A'creiterung und zum Durchbruche führen,
bisweilen eine temporäre Schrumpfung des Bulbus vei'anlassen.
Es ist diese zeüiveilige Phthise nicht immer mit einem Einsinken des Bulbus
gepaart, vielmehr findet man mitunter sogar eine leichte Vortreibung, welche dann
im Vereine mit leichten Excursiousbeschräukungen den Uebergang des Glioms auf
Intraoculäres Sarcom; KrankUeitsbild. 049
das vetrobulhäre Gefihjt oder weiiifjjsteiis eine massenhafte Infiltration des vorderen
Seimervenstückes verräth (Graefe).
Das Sarcom zeigt sich in der Iris uutcr der Form bräunliclicr bis
schwarzer, mehr weniger vascularisirter Knoten, welche im Parenchyme der
Regenbogenhaut wurzelnd in die Kammer hineinragen. Das Aderhaut sarcom
stellt sich in seinem ersten Beginne gowöhnlicli als eine linsenförmige,
flach aufsitzende Geschwulst von graurother oder bräunlichrother Farbe
dar, auf deren meistens glatter Oberfläche sich öfters reiche Gefässnetze
und auch wohl Haemorrhayien zeigen i^Knapp). Häufig ist dieselbe von
Resten des zerworfenen Tapetes dunkel gefleckt oder gesprenkelt, bei sehr
grossem Pigmentreich thume auch wohl mattschwarz. Insoferne sie immer
noch mehr Licht reflectirt, als die normale Chorioidea, erscheint der
Augengrund stark rauchig, in's Grünliche schimmernd, oder bei heller
Färbung stellenweise röthlich oder weissgrau und unter günstigen Ver-
hältnissen matt leuchtend.
Wo das Aderhaiitsarcoin rasch zur Verklebung der Netzhaut mit der Chorioidea
führt und in Gliosarcom umsetzend die Netzhaut durchwächst, sind die Erscheinungen
wolil auch jenen des reinen Netzhautglioms sehr ähnhcli, wenn nicht darin ein
Unterschied gesucht wird, dass in einzehien Fällen in der Umgebung des hellweissen
Tumors unregelmässige lichte, nicht erhabene Flecke unter der schleierartig ge-
trübten Netzhaut beobachtet wurden (Graefe), welche unzweifelhaft auf partielle
Zerstörungen des Aderhauttapetes zu beziehen sind.
Im Ganzen ist es nur ein Ausnahmsfnll , wenn das Aderhautsarcom
in seinem ersten Beginne als solches zur Wahrnehmung gelangt. In der
Regel wird nämlich die Netzhaut sehr frühzeitig in weitem Umfange abgelöst
und getrübt, so dass der Tumor vollständig verhüllt wird. Erst wenn der
letztere sich vergrössert, kömmt er mit der Netzhaut wieder in Berührung
und vermag, falls diese durch entzündliche \^orgänge nicht zu sehr getrübt
und verdickt ist, mit seiner grauröthliehen, bräunlichen bis schwarzen
Farbe durchzuschimmern. Bevor dies der Fall ist, liefern wieder die
ungewöhnliche Lage und Form der Netzhautabhebung die Verdachts gründe
für den Bestand eines intraoculären Pseudoplasmas.
Dabei findet man übrigens öfters eine ansehnliche xmA obendrein ungleirk-
mässige Erweiterung der Pupille, was bei der einfachen Netzhatitabhebung nicht
der Fall ist. Ausserdem ist mitunter eine eigenthümliche Art der Gefässeinspritzung
im Bereiche der Episclera und Conjnnctiva zu beobachten, es ersclieint ein ein-
zelner Quadrant, eine Hälfte der Lederhaut mit groben, vielfach unter einander
verschlungeneu und anastomosirenden Venen überdeckt, während an den übrigen
Stellen der Bulbusaussenfläche die Congestion nur wenig oder gar nicht ausge-
sprochen ist.
Bestimmtere Anhaltspunkte für die Ditferentialdiagnose gibt die in
der Regel vorhandene und bei reinem Hydrops subretinalis ganz unge-
wöhnliche Steigerung des intraoculären Druckes , welcher sich bald die
übrigen Sj'mplome des chronischen Glaucoms beizugesellen pflegen. In
diesem glaucomähnlichen Zustande vorharrt der Bulbus oft längere Zeit,
wenn es nicht zum Durchbruche des Aftergewäohses kömmt. Die Linse
trübt sich dann gewöhnlich ziemlich rasch und das Krankheitsbild gewinnt
ganz den Charakter des abgelaufenen absobden Glaucoms. Nicht selten wird
die Ausbildung dieses Sj'mptomencomplexes auch sehr beschleunigt durch
entzündliche Anfiille mit überaus heftigen Reizerscheinungen, welche ganz
das Gepräge des acuten Glaucoms an sich tragen. Der solchermassen
entartete Augapfel kömmt jedoch nicht, wie dies bei reinem Glaucom
650 Intraoculäre Tumoren; Sareom; Cysticercus; KrankheitsWId.
meistens der Fall ist, zu einer länger dauernden Ruhe, vielmehr wieder-
holen sich gewöhnlich die entzündlichen Anfälle und pflegen mit überaus
heftigen, ja oft unerträglichen Beschwerden des Kranken einherzugehen,
besonders weim, wie dies leicht geschieht, intraoculäre Hämorrhagien
hinzutreten. Endlich bilden sich Scleralstaphylome aus, welche gemeinig-
lich den Durchbruch vorbereiten , oder es beginnt allmälig das Auge zu
schritmpfen. In manchen Fällen erheben sich die entzündlichen Insulte
wohl aiich zur Bedeutung einer suppurativen Ii-idochoi'ioiditis oder förm-
lichen PanOphthalmitis und schaffen dem Tumor durch Zerstörung der
Hornhaut oder durch Perforation der Sclerotica einen Ausweg, oder aber
sie führen zur temporären Phthisis des Auges.
Die Neigung zu entzündlichen Anfällen dauert in den atrophischen oder
phthisischen Stümpfen fort, was die letzteren von jenen unterscheidet, welche ihren
Ausgangspunkt in reinen Entzündungen des Augapfels finden und an einer chronisch
fortschleichenden Kyklitis kranken. Auch zeichnen sich diese entzündlichen An-
fälle dadurch aus, dass sie mit überaus heftigen Paroxysmen spontaner Schmerzen
einhergehen, während die Ciliargegend eine geringe Empfindlichkeit gegen Be-
tastung offenbart. Im Uebrigen haben derlei Stümpfe das Eigenthümhche, dass
bei ihnen die Schrumpfung hauptsächlich von Vo7-ne nach Hinten erfolgt, der
äquatoriale Durchmesser hingegen verhältnissmässig wenig verkürzt wird. Die
Kuchenform des Stumpfes bringt selbstverständlich ein beträchtliches Zurücktreten
der vorderen Bulbusoberfläche mit sich. Wo dieses ein sehr geringen oder gar
Null ist, hat man Grund an den Bestand eines retrohulbären Tochterherdes oder
an den bereits erfolgten Durchbruch des intraoculären Tumors nach hinten zu denken
(GraefeJ.
Blasenfinnen, welche in der Vorclerkammer hausen, können stets schon
mit freiem Auge deutlich gesehen werden. Sitzt eine solche aber im
Glaskörper, so bedarf es des Augenspiegels , um selbe zu erkennen. Sie
stellt sich als eine rundliche trübe Blase von bläulicher Färbung dar,
welche zeitweilig auifallende wurmförmige Bewegungen macht , während
der Kopis sich bald vorstreckt, bald wieder zurücktritt. Manchmal konnte
man selbst den Hakenkranz deutlich wahrnehmen {Liehreich). Uebrigens
macht sich das Thier unter solchen Verhältnissen auch subjectiv bemerkbar,
indem die von ihm beschattete Netzhautstelle als ein dunkler Fleck im
Gesichtsfelde erscheint , welcher in einem Falle sogar die Bewegungen des
Kopftheiles wiedergab, sich bald verlängerte,' bald verkürzte. Lagert der
Wurm noch unter der Netzhaut, so zeigt er sich im ersten Beginne ophthal-
moscopisch als eine blaugraue Trübung von etwa doppelter Papillengrösse,
welche rasch nach allen Dimensionen wächst, die Netzhaut vor sich her-
staut und zu durchdringen scheint, indem die Gefässe daselbst mehr und
mehr verschleiert und auch wohl ganz unkenntlich werden. Bricht jetzt
der Wurm nicht in den Glaskörper hinein, so zeigt sich öfters neben jener
bläulichen Trübung ein abgerundeter heller Fleck am Augengrunde,
welcher mit der Zeit nicht selten bandartig verlängert wird, was daher
rührt, dass der Cysticercus sich imter der Netzhaut weiter bewegt, eine
entfärbte Aderhautpartie zurücklassend. Wo frühzeitig Netzhautabhebung
eintrat, der Wurm also vom Anbeginne an frei beweglich war, fehlen diese
Flecke und Streifen, ebenso wie dort, wo der Wurm sich binnen Kurzem
in den Glaskörper durchgebohrt hat.
i Die hegleitenden Entzündimgserscheimingen sind ihrer Intensität nach aus-
nehmend wechselnd, bald sehr heftig und ausgebreitet, bald ganz geringfügig. Im
späteren Verlaufe stellen sich fast immer sehr dichte Glaskörpertrübungen ein, welche
Behandlung; Entfsrnung von Irisgewächsen; Extractio Cysticerci. G51
die Diagnose nicht wenig erschweren. Dieselben zeichnen sich vor anderweitig
begründeten durch ihre memhranöse Beschaftenhuit und durch ihre Aehnlichkeit
mit mehreren über einander liegenden schleierartigen Voriiängen aus, welche quer
durch das Auge ziehen und nicht leicht Unterbrechungen, wohl aber häufig Falten
zeigen. Ist einmal Iridochorioidüis eingetreten, so entzieht sich der Augengrund
dem Einblicke und mit der Diagnosticirbarkeit des Cysticercus ohne Anamnese hat es
ein Ende (Graefe).
Behandlung. Deren Aufgabe zielt selbstverständlich in erster Linie
auf die Enffermmg des Neugebildes und, wo diese ohne Zerstörung des
Auges nicht ausführbar ist , auf Beseitigung des ganzen Bulbus , um der
drohenden Infection nachbarlicher Organe und einer Verallgemeinerung des
Leidens zuvorzukommen.
Sitzen derlei Tumoren mit wenig xMr[(a.ngreicher B&sis a.ui der Regenbogenhaut,
so genügt eine lineare Hornhantwunde, wie sie zum Zwecke der Iridectomie gemacht
wird, um die Geschwulst mittelst einer Pincette hervorziehen und .snnniit dein
betreffenden Stücke der Iris ausschneiden zu können.
Blasenfinnen, welche in der Vorderkammer hausen, lassen sich in ganz
ähnlicher Weise entfernen. Vortheilhafter scheint jedoch ein Lappenschnitt
zu sein, indem sich der Wurm leichter spontan entleert, jedenfalls aber
sicherer gefasst und extrahirt, oder nöthigenfalls von seinen Verbindungen
getrennt werden kann. Cysticerci, welche noch unter der Netzhaut lagern,
oder durch neoplastische Schwarten mit derselben verbunden sind, werden
ohne Zweifel am besten durch eine meridional streichende Scleralwunde
ausgezogen. Falls der Wurm jedoch in den Glaskörper eingetreten und
daselbst noch ziemlich frei beweglich ist, scheint man eine Entfernung am
sichersten durch den peripheren Linearschnitt anzubahnen.
Es muss zu diesem Behixfe die Iris im Bereiche der Scleralwunde hreit aus-
geschnitten und die Linse möglichst vollständig entleert werden. Ist dieses ge-
schehen, so soll mit dem früher zur Cataractextraction benützten stumpfen Haken
in jener Richtung eingegangen werden, in welcher das Thier mit dem Augenspiegel
gesehen worden war. Man bringt es dann entweder sofort heraus oder fördert
trübe Glaskörpersubstanz zu Tage, welche den Wurm umhüllte. Hierin hat man
so lange fortzufahren, bis der Cysticercus sichtbar wird. Jetzt soll man, um dessen
Verwundung möglichst zu vermeiden, auf das Thier nicht mehr direct losgehen,
sondern durch Wegräumen von Glaskörper es ermöglichen, dass derselbe unter
sanftem Drucke herausschlüpfen kann (Graefe). Es soll dies nicht nur gewöhnlich
gelingen, sondern in mehreren Fällen sogar ein gewisser Grad von Sehvermögen gerettet
worden sein, was sehr hoch anzuchlagen ist , da bei den früher gebräuchlichen
Methoden fast durchwegs Phthisis bulbi das Resultat war.
Die Extraction der Blasenfinnen erscheint dringend geboten in An-
betracht der entzündlichen Insulte, welche in manchen Fällen von Anbe-
ginn an den Kranken quälen und schliesslich stets den Bulbus zu Gninde
richten, einmal angeregt auch ganz unbestimmbare Zeit hindurch fort-
dauern, oder anfallsweise wiederkehren und am Ende gar den zweiten
Bulbus auf sympathischem Wege gefährden {Alf. Graefe, Jacobson). Um
diese Entzündungen und die von ihnen abhängigen Hindernisse oder Er-
schwerungen der Operation möglichst zu umgehen, erscheint es darum
auch am klügsten, mit der Operation nicht zu zaudern , sobald man von
dem Bestände eines Cysticercus im Lineren des Bulbus Gewissheil
erlangt hat.
Wenn der Cysticercus durch ausgebreitete dichte Schwarten mit seinen Um-
gebungen fest verwachsen ist und sich daher voraussichtlich nicht ohne Zerstörung
des Bulbus beseitigen lässt, darf man auch wohl gleich von vorneherein die Ver-
eiterung des Augapfels durch Einfülirung eines Fadens (S. 392) anstreben (OraefeJ.
(352 lutiaoculäre Tumoren ; Behandlung.
Hat sicil eine Iridokylclitis ausgebildet, welche den anderen Bulbus auf sympathischem
Wege bedroht, so scheint es gerathen, lieber 2?« enucleiren.
Gewächse, welche sehr breit auf der Iris aufsitzen, im Ciliarkörper
oder in den tieferen Binnenorganen wuchern, fordern nach dem, was über
deren Verhalten mitgetheilt worden ist, die möglichst frühzeitige Ausschälung
des Augapfels, auch wenn sie zur Zeit einen gutartigen Charakter bekun-
den. Es gilt dies vorzugsweise von den Gliomen. In der That sind nur
äusserst wenige Fälle bekannt, wo die Enucleation bei erwiesenem Bestände
eines intraoculären Markschwammes eine Heilung oder auch nur eine
länger dauernde Unterbrechung des Wucherungsprocesses erzielt hat und
zwar waren diess durchwegs Fälle, in welchen das Leiden wälu-end seiner
allerersten Stadien zur Behandlung gekommen ist. Wenn das Gliom
bereits längere Zeit bestanden und sich auf der Netzhaut nur einiger-
massen ausgebreitet hatte , blieb die Ausschälung des Augapfels stets
erfolglos und nur selten säumte die Eecidive länger als zwei Monate
(Hirschher g)\ gewöhnlich trat sie schon früher hervor und führte den
Kranken zum Tode, oft viel rascher, als dieses nach dem bisherigen Ver-
laufe des Leidens bei Unterlassung der Operation voraussichtlich der Fall
gewesen wäre. Da nun die Kranken nur sehr ausnahmsweise im ersten
Beginne der Krankheit die Hilfe des Arztes in Ansprach nehmen und
meistens erst auf das Leiden aufmerksam werden , wenn durch den hell-
glänzenden Reflex des Augengrundes sich schon eine vorgeschrittene Ent-
wickelungsperiode des Gewächses offenbart, so kann den Arzt kein Vor-
wurf tretfen, welcher die Operation im Allgemeinen vermeidet und sich
nur dazu entschliesst, wenn die vorhin erwähnten günstigen Umstände
noch eine schwache Aussicht auf Erfolg übrig lassen.
Bei intraoculären Sarcomen ist ohne Zweifel die Operation im Ganzen
und Grossen eine lohnendere. Fälle, in welchen eine Jahre lang andauernde
und vielleicht aiich gründliche Heilung durch die Enucleation des erkrankten
Auges erzielt wurde, auch wenn das Gewächs bereits Monate und länger
im Binnenraume wucherte, sind nicht übermässig selten {Knapp) und jeder
Augenarzt, welcher über ein grösseres Material verfügt, dürfte einen oder
den anderen derartigen Fall aufzuweisen liaben. In Berücksichtigung dessen
erscheint denn auch hier die Operation unter sonst günstigen Bedingungen
nicht nur gerechtfertigt, sondern geradezu angezeigt, obgleich man mit
vollem Herzen jenen zustimmen muss, welche die Sarcome zu den bösar-
tigsten Pseudoplasmen rechnen und obgleich gar nicht zu läugnen ist,
dass häufig, ja vielleicht in der Regel , es binnen Kurzem zu Recidiven
kömmt, welche möglicherweise das Leben des Kranken um ein Beträcht-
liches abkürzen.
Wo das Pseudoplasma jedoch bereits die Cornea oder Lederhaut
durchbrochen hat, ist von einer Entfernung des Bulbus nur wenig oder
gar nichts mehr zu erwarten, indem wohl immer schon die Infection
sich weit über die Nachbartheile ausgebreitet und Tochterherde erzeugt hat.
Wo die Operation auf einen späteren Zeitpunkt verschoben, oder als
hoffnungslos aufgegeben wird, hat sich die Behandlung auf Fernhaltung
aller Schädlichkeiten und auf die Bekämpfung etwaiger Reizzustände,
lästiger Symptome u. s. w. zu beschränken, da es an Mitteln fehlt, welche
die Afterwuclierung als solche in zweckentsprechender Weise zu beein-
flussen vermögen.
Eiiucleatio Imllii ; Aii/,i'ip;i'ii. 653
Quellen: Graefe, A. f. O. II. 1. S. 219; Jll. 2. S. 312, 321, 327 ; IV. 2. S. 171,
176, 182, 218, 224, 227; VII. 2. S. 43; IX. 2. S. 105, 110; X. 1. S. 176; XII. 2.
S. 174, 178, 189, 237, 239; XIV. 2. S. 103, 108, 116, 128, 137; Congres oplitli.
1868. S. 59; Virchow's Jahresber. 1868. II. S. 512. — Liehreich, Atlas der Oplitli.
Berlin. 1863. S. 19. — Jacobi, kl. Monathl. 1863. S. 121. — Btisch, A. f. O. IV.
2. S. 99, 102. — Gnersanf, Bulletin tlioraj). 1865. 30. Sept. — Mackenzie, Traite
d. mal. (1. yenx. Tradnit p. Warlomont et Testelin. II. Paris. 1857. S. 285. —
Stellivag, Wien. med. Woelienselirift. 1864. Nr. 10 — 12. — Ilimly, Krankheiten und
Missbildungen etc. I. Berlin. 1843. S. 516. — Cheliu.f, Handb. d. Augenheilkunde.
II. Stuttgart. 1839. S. 508. — Knapp, Congres ophth. 1868. S. 29; kl. Monatbl.
1869. S. 112. — Mooren, lieber symp. Ophth. Berlin. 1869. S. 41. — Alf. Graefe,
kl. Monatbl. 1863. S. 242. — Jacohson, A. f. O. XI. 2. S. 147. — Hirschhercj,
Der Markschwamm in der Netzhaut. Berlin. 1869. S. 169, 247, 250, 261.
Die Ausschäluu^ des Augapfels, Eiiucleatio bulbi.
Anzeigen. Die Ausschälung oder Entkapselung des Bulbus (0 Ferral,
Bonnet, Arlt) ist am Platze bei intraocularen Geschwülsten so wie bei After-
gebilden, welche an der Oberfläche des Auges festsitzen und nur wenig
oder gar nicht in das Orbitalgewebe hineinragen, sich also saramt dem
Bulbus voraussichtlicher Weise leicht und vollständig aus dem Fettpolster
auslösen zu lassen versprechen. Ausserdem findet sie eine Indication hei
erblindeten Augen, welche durch fortwährende entzündliche Recidiven und
heftige Ciliarneurosen, oder durch intensive subjective Licht- und Farben-
erscheinungen dem Kranken qualvoll werden, wenn nicht das Leiden durch
eine minder eingreifende Behandlung getilgt werden kann ; vornehmlich
aber, wenn wegen chronischer Irldokyklitis eine sympathische Erkrankung des
zweiten Auges zu befürchten steht (S. 332).
Man hat die Enucleatio bulbi auch zu rein cosmetischen Zwecken bei ausge-
breiteten, bereits stabil gewordenen und aller Reizerscheinungen baren Sclero-
chorioidaJstaphylomen und Totalstaphylomen des Bulbus emplohlen, indem die Ope-
ration es nachträglich möglich macht, ein künstliches Auge einzusetzen und so den
Schönheitsfehler einigermassen zu decken. Es darf hierbei jedoch nicht vergessen
werden , dass bei bedeutenden Ectasien des Augapfels das orhitale Fettgeivehe in
Folge des auf dasselbe wirkenden Druckes verkünmiert, dass soliin nach der Opera-
tion der Bindehautsack stark nach rückwärts gezogen wird, das künstliche Auge
schiver haftet und ausserdem imt>eweylich bleibt.
Die Vortheile, welche ein Stumpf bei der nachträglichen Application eines
künstlichen Auges bietet, haben Manche bestimmt, die Enucleation überhaupt da-
durch zu unigeJien , dass sie die Cornea ausschneiden und die Linse sammt einem
Theile des Glaskörpers entleeren, oder die garise Vorderhälfte des Augapfels abtragen,
indem sie ein Staarmesser durch den Aequator bulbi hindurchstossen und sodann
mit der Schere den Circulärschnitt vollenden (Himly, Williams). Bei degenerativen
Processen ist ein solcher Versuch sehr gefährlich, indem aus den Chorioidal- und
Netzhautgefässen oft ganz erstaunliche und gar nicht zu stillende Blutungen zu
Stande kommen, welche allsogleich oder nachträglich die Enucleatio als leben-
rettendes Mittel verlangen.
Im Allgemeinen hat als Regel zu gelten, dass die Operation nicht
leichtsinnig und ohne dringende Noth vorgenommen werde. Abgesehen
von der Verstümmelung ist nämlich wohl zu berücksichtigen, dass die
Enucleation keineswegs eine Bürgschaft für das Eintreten besserer Ernäh-
rungsverhältnisse am anderen Auge in sich schliesse und oft genug versage,
trotzdem sie frühzeitig durchgeführt wurde. Zudem kömmt in Betracht,
dass sie unter Umständen auch wohl gefährlich werden kann. In der That
hat man in ihrem Gefolge, freilich sehr ausnahmsweise, Meningitis und
654
Enucleatio bulbi; Verfahren; Subcutane Neurotomie.
Tod beobachtet (Mannhardf, Homer). Insbesondere scheint dieser üble Aus-
gang zu drohen , wenn bei Bestand einer eitrigen Panophthalmitis operirt
wird (Graefe).
Verfahren. Die Operation soll in der Regel während der Narkose
des Kranken, die ein eigener Assistent zu leiten hat, vorgenommen werden.
Ein zweiter Assistent fixirt den Kopf des Kranken und hält die Lidspalte
möglichst weit geöffnet; ein dritter hat die Blutung zu stillen. Ist der
Bulbus sehr vergrössert , oder steht er mit einem umfangreicheren After-
gebilde im Zusammenhange, so dass dessen Hervorziehung aus der Lidspalte
voraussichtlicher Weise Schwierigkeiten finden wird, so muss vorläufig die
äussere Commissur der Lider durcli einen horizontalen Schnitt bis zum
äusseren Knochenrande der Orbita gespalten werden. Hierauf wird die
Bindehaut mittelst einer Pin-
"' ' cette über der Ansatzstelle
der Sehne des Knksseitigen ge-
raden Augenmuskels in eine ho-
rizontale Falte emporgezogen,
mit einer Schere durchschnit-
ten, nun die Muskelsehne mit
der Pincette gefasst, durch
die verticale Bindehautwunde
hervorgeholt und in einiger
Entfernung von der Ansatz-
linie durch trennt. Ist dieses
geschehen , so wird das eine
Blatt der nach der Fläche
gekrümmten Schere von dem
einen Wundwinkel aus unter
der Bindehaut bis zum An-
sätze des nächsten geraden
Augenmuskels fortgeschoben,
die Conjunctiva durch einen
Scherenschlag durchschnitten,
nun die blosliegende zweite Sehne gefasst, abgetrennt und so fort, bis alle
vier gerade Muskeln vom Bulbus gelöst sind. Ist dann nicht zu fürchten,
dass der Bulbus platzt und vorzeitig seinen Inhalt entleert, also coUabirt,
so kann eine Museux'sche Zange gebraucht werden ; widrigenfalls thut man
besser, den Sehnenstumpf des linken geraden Augenmuskels mit einer
starken und verlässlichen Pincette zu fassen (Fig. 89), um den Bulbus
kräftig nach aussen wälzen und zugleich Jiach vorne ziehen zu können.
Hierauf wird eine starke, nach der Fläche gekrümmte Schere knapp an
der linken Wand des Bulbus geschlossen in die Wunde geführt , sodann
geöff"net, um den Sehnerven zwischen die Blätter zu bekommen, und dieser
mittelst eines kräftigen Schlages thunlichst weit nach hinten durchschnitten.
Es lässt sich nun der Augapfel sehr leicht aus der Lidspalte hervorziehen
und aus seinen noch übrigen Verbindungen trennen (Arlt).
Wenn die Enncleation wegen dem Bestände intraocnJarer Tumoren, insbeson-
dere eines Netzhaufglioius, vorgenommen wird, so erscheint es in Berücksichtigung
des frülizeitigen Ueberganges der Afterwuchernng auf den Sehnerven gerathen, diesen
letzteren so nahe als möglich am Sehlocbe zu dnrclischneiden. Zu diesem Ende
Modificationen des VerfahrPiis; Quellen. 655
empfiehlt man, unmittelbar vor der Enncleation ein Nenrotom längs der äusseren
Wand in den >lintergrund der Orbita eiiizusteclieii und damit die Trennung vor-
zunehmen. Es unterliegt dies keinen Schwierigkeiten, wenn man nach der Durch-
trennung der Augenmuskeln den Bulbus mit der Fixirpincette möglichst stark nach
Vorne zieht. Es lässt sich diese subcutane Neurofomie übrigens auch in der ange-
deuteten Weise ohne vorläufige Durchschneidung der Augenmuskeln ausführen und
wui'de in mehreren Fällen mit Erfolg in Anwendung gebracht, wo in erblindeten
Augen intensive Licht- und Feuererscheinungen fortdauerten und dem Kranken uner-
träglich wurden (Oraefe).
Wenn die Enucleation des erblindeten Auges wegen sympathischer Gefähr-
dung des anderen ausgeführt und die spätere Einlegung eines kilnsflichen Auges
in Aussicht genommen wird, scheint es jedoch vortlieilhafter, den Sehnerven 7m-
mitlelhar am Bulbus durchzuschneiden. Nimmt man nämlich ein grösseres Stuck
vom Sehnervenstamme hinweg, so wird die Scheidenhaut des Auges an der Ein-
trittsstelle des Opticus gefenstert, der Stammtheil zieht sich etwas zurück und die
runde Oeffnung der Scheide wird nicht mehr durch den Sehnerven aus einander
gehalten, sondern heilt i;nter einer strahligen Narbenbildung, in Folge deren die
hintere Hälfte des Bindehautsackes weit nach hinten gezerrt und für das Tragen
eines künstlichen Auges ein unausgleichbares Hinderniss geschaffen werden kann
(Mooren).
Ist der zu enucleirende Bulbus, wie dies ausnahmsweise vorkömmt, durch sehnige
Stränge mit dem Orbitalpolster verwachsen, so ist eine reine Ausschälung selbst-
verständlich nicht möglich, man muss denselben aus seinen Verbindungen heraus-
präpariren (Sichel).
Die Blutung ist in den meisten Fällen nicht sehr bedeutend und wird
durch Einspritzung von Eiswasser meistens leicht gestillt. Sieht sie, so
werden nach Entfernung der Coagula die Lider geschlossen, die etwa
getrennte äussere Commissur durch Heftpflasterstreifen wieder vereinigt
und nun über die Lider ein stark gepolsterter Druckverhand angelegt. Ist
die Blutung schwer zu stillen oder treten Nachblutungen ein, so wird man
sich öfters zur Tamponade nach der bei der Exstirpatio bulbi (S. 646)
erwähnten Methode verstehen müssen. Wo die Tamponade jedoch nicht
wirklich nöthig ist, soll man sie hier lieber meiden, weil sie die Eiterung
vermehrt und die Heilung etwas verzögert.
Gewöhnlich erfolgt die Vemarhung schon innerhalb weniger Tage.
Es sinken nämlich die Lider nach rückwärts und verkleinern so die
Wundhöhle um ein Bedeutendes. Ueberdies ziehen sich die Ränder der
rundlichen Conjanctivalöffnung stark zusammen und verwachsen dann durch
eine strahlige Narbe, die nach hinten mit dem Stumpfe zusammenhängt,
welcher aus den durch Granulationen vereinigten Vorderenden der Muskeln
und des Sehnerven gebildet wird. Es ist nunmehr der Bindehautsack wieder
geschlossen und es kann nach Verlauf einiger Zeit leicht ein künstliches
Auge eingelegt werden.
Quellen: Bonnet, Ann. d'oc. VII. S. 30. — Mackenzie, Traite d. mal. d. yeux.
Traduit p. Warlomont et Testelin. II. Paris. 1857. S. 302. — O. Ferral, ibid. —
Arlf, Zeitschrift der Wien. Aerzte. 1859. S. 145, 148, 149, 151. — Blodig, ibid. 1860.
S. 293, 45t. — Critchett,'LRncei. 1851. S. 386; kl. Monatbl. 1863. S. 440, 442,446;
AUg. Wien. med. Zeitung. 1860. S. 50, 83. — Pagenstecher und Saemisch, kl. Beob-
achtungen. II. Wiesbaden. 1862. S. 44. — Oraefe, A. f. O. III. 2. S. 442, 444; VI.
I. S. 122, 124, 12(1, 129, 131, 134; kl. Monatbl. 1863. S. 448, 456; Congres ophth.
1868. S. 59. — Mannhardt, Homer, ibid. 1863. S. 456. — Höring, ibid. 1863.
S. 219, 222. — Hlvdy, Krankheiten und Missbildungen etc. Berlin. 1843. I. S. 506;
II. S. 365. — Williams, Congres intern, d'ophth. Paris. 1863. S. 139. — 3Iaaf.s,
Zesde Jaarl. Verslag. Utrecht. 1865. S. 25, 66, 68. — Sichel, Gaz. med. de Paris.
1867. Nr. 27. - Berlin, A. f. O. XIV. 2. S. 279. — Mooren, lieber symp. Ophth.
Berlin. 1869. S. 149.
656 Prothesis ocularis; Anzeigen.
Die Eiulegnug- eines künstlicheu Anges, Prothesis ocularis.
Anzeigen. Die Einlegung oder Einsetzung eines künstlichen Auges
hat vornehmlich den Zweck, die Entstellung tliunlichst zu vermindern, welche
ein sehr verbildetes Auge oder dessen gänzlicher Abgang mit sich bringt. Es
liegt dieses durchaus nicht blos im Interesse der persönlichen Eitelkeit des
Kranken, sondern ist häufig auch für das bessere Fortkommen des Indivi-
duums von grösster Wichtigkeit, ja bisweilen geradezu eine Lebensfrage.
Uebrigens gestaltet sich die Prothesis bei völligem Abgange so wie bei sehr
bedeutender Verkleinerung eines Bulbus auch zu einem wahren Heilmittel,
wenn sie zeitlich genug ausgeführt wird. Sie macht nämlich, dass sich die
Orbita nicht leicht verengert und eine Misstaltung des ganzen Gesichts-
skeletes veranlasst; auch hindert sie das Einsinken und Schrumpfen der Lider,
so wie die Einstülpung der Lidränder, welche mitunter zu sehr heftigen
und anhaltenden Reizzuständen im Bulbusstumpfe oder an dem Bindehaut-
sacke führt ; endlich ermöglicht sie durch richtige Stellung der Lider und
Gestattung des Lidschlages die normale Thränenleitung und behebt so das
peinliche Thränenträufeln mit seinen weiteren Folgen.
Auf dass ein gut gewähltes künstliches Auge diese Zwecke zu erfüllen
vermöge, ist es nothwendig, dass es nicht nur nach vorne von den Lidern
genügend fixirt werden könne, sondern auch an seiner hinteren concaven
Fläche möglichfit viele Stützpunkte finde und dass die geraden Augenmuskeln
durch diese Stützen einen Einliuss auf die Lage desselben zu nehmen in
den Stand gesetzt werden.
Es leistet darum die Prothesis am ivenigsten dort, wo das Auge sammt einem
grossen Tlieile des Fettpolsters durch Exstirpation entfernt worden ist. Selbst wenn
eine he/rärh/liche Portion der BindeJiaut erhalten worden wäre, sind doch die Ver-
hältnisse sehr ungünstig. Es sinkt dann nämlich die hintere Hälfte des Conjunctival-
sackes sehr tief ein, man benöthigt, um den Lidern die gehörige Stellung zu geben,
ein sehr grosses künstliches Auge, das sich blos mit seinen Rändern an dem ßinde-
hautfalze und Knochen stützt, an seiner hinteren Fläche aber liohl liegt, daher ent-
weder sehr unsicher haftet, oder aber drückt und, ganz abgesehen von seiner Schwere,
wegen dem Abgange der Miiskeln völlig starr bleibt.
Etwas günstiger sind die Umstände , wenn der Augapfel durch Ausschälung
entfernt worden ist, oder noch als ein Heines Knopfchen Ijesteht, es wäre denn,
dass der Fettpolster sehr atrophirt ist und die Lider somit beträchtlich nach hinten
gezogen erscheinen. Es ist der Substanzverlust nämlich ein geringerer, daher ein
kleineres künstliches Auge genügt, welches nicht ringsum nahe an der Knochen-
irand ansteht, sondern kleine Verschiebungen gestattet. Der Bindehantsack ist dann
auch meistens von entsprechender Räumlichkeit; seine hintere Portion drängt sich
mit dem Fettpolster an die concave Fläche des künstlichen Auges, wodurch die
Beriihrung.spunkte sich vervielfältigen; überdies bestehen die Muskeln fort und thei-
len dem künstlichen Auge mittelbar durch seine Stützen, die Lider und die Con-
junctiva, einen geicissen Grad von Beweglichkeit mit.
Am meisten leistet die Prothesis, wenn ein vorhandener missbildeter Bulbus
an Grösse nur wenig dem normalen Augapfel nachsteht. Es reicht dann nämlich
ein sehr kleines künstliches Auge hin, um den Fehler zu decken, und ein solches
kleines Auge gestattet eine sehr beträchtliche seitliche Verschiebung. Es schmiegt
sicii dasselbe mit seiner hinteren Fläche aber auch fast völlig dem Stumpfe an,
7iiht auf letzterem ganz sicher und folgt allen seinen Bewegungen. Diese sind nicht
selten so excursiv, wie in der Norm, da eben der Bogen, mit welchem die Muskeln
den Stumpf umspannen, nur wenig verkürzt erscheint.
Ist der verhihlete Ävgap)fel von normaler Grösse, oder hat sein Umfang durch
krankhafte Processe etwas zugenommen, so ist kein Raum für ein genügend grosses
Verfahren. 657
nnd dickes künstliches Auge übrig. Es drängt dieses nämlich die Lider unver-
haltnissraässig nach vorne und djnickf, auf den Stumpf, daher es entstellt und meistens
auch gar nicht vertragen wird. Wollte man es aber sehr dünn machen, so würde
es sehr zerbrechlich werden , und wollte man seinen Umfang übermässig verklei-
nern, so liefe man Gefahr, dass es bei den Bewegungen des Stumpfes aus dem
Bindehautsacke herausfällt. Es muss daher in solchen Fällen der Augapfel immer
erst auf operativem Wege verkleinert werden , doch begreiflicher Weise nur um so
viel, als erforderlich ist, um ein kleines künstliches Auge ohne sonderliche mecha-
nische Beirrung der Theile einlegen zu können; denn jede heträchtlichere Verklei-
nerung geht auf Kosten der Beweglichkeit des künstlichen Auges und des dadurch
zu erzielenden Nutzens.
Das künstliche Auge soll erst dann eingelegt werden, wenn von der
Bindehaut und dem Stumpfe jede Spur von Entzündung und Empfindlichkeit
gewichen ist; widrigenfalls wird es häufig nicht vertragen, erregt heftige
Entzündungen mit unerträglichen Schmerzen und kann sogar zur sympa-
thischen Ophthalmie des anderen Auges führen {Moore-ii). Doch darf man
nicht übermässig lange zaudern, wenn der Stumpf sehr klein ist oder der
Bulbus ganz entfernt wurde, da sonst der Bindehautsack und selbst die
Lider schrumpfen, die Lidspalte sich verengert und am Ende gar die Oi'bita
selbst an Räumlichkeit verliert.
Verfahren. Zuerst muss man die dem speciellen Falle entsprechende
Grösse und Gestalt des einzulegenden Auges auf das genaueste bestimmen.
Es bilden die künstlichen Augen im Allgemeinen Abschnitte von Kugelschalen,
welche aus Schmelz gefertigt sind, und denen eine ebenfalls aus Schmelz darge-
stellte Hornhaut sammt Iris eingefügt ist.
Die Convexität derselben wird bei Erwachsenen eine andere sein müssen als
bei Kindeim , da bei ersteren das Auge etwas grösser ist als bei letzteren. Doch
variirt der uöthige Halbmesser in beiden Fällen nur wenig von einem halben Zoll.
Die Grösse des Kugelschalenabschnittes, welchen das künstliche Auge im
concreten Falle darstellen muss, hängt wesentlich ab von der Grösse des Stumpfes.
Ist dieser nur wenig kleiner als ein normales Auge, so darf auch das künstliche
Auge nur einen sehr geringen Umfang haben , weil es sonst drücken und bei den
Bewegungen des Stumpfes sich allenthalben stemmen würde. Doch darf es nicht
so klein sein, dass es beim Avfwärtsv;enAeTi des Auges mit seinem unteren Rande
über den unteren Lidrand steigt, da es sich beim nachherigen Ahwärtssehen an
dem letzteren gpiessen und so herausgedrückt würde. Fig. 90 a (nach Ritterich)
Fig. 90.
a b c
d e
stellt ein für solche Fälle entsprechendes künstliches Auge dar. Je grösser der
Unterschied zwischen der Grösse des normalen Auges und des Stumpfes, um so
grössere Kugelabschnitte sind erforderlich (Fig. 90 b c). Ist der Stumpf sehr klein
oder fehlt das Äuge ganz, so wird das künstliche Auge schon eine Halbkugel dar-
stellen müssen (Fig. 90 d).
S t e 1 1 w a g , Ängenlieilkunde. 42
(358 Prothesis ocularis : Verfahren.
Die hintere Fläche des künstliclieii Auges miiss immer hohl sein. Ist der
Stumpf so gross, dass das erstere auf der Vorderfläche des letzteren anfliegt, so
darf die künstliche Iris nach hinten 7Hcht vorspr-ingen , da sonst ein unerträglicher
Druck auf den Stumpf ausgeübt würde. Ist dieser aber sehr Mein oder fehlt er
ganz, so kann die Iris immerhin vorsin-ingen , denn dann muss die hintere Fläche
des künstlichen Auges hohl liegen. Das Auge so dick zu machen, dass es auch
in solchen Fällen nach hinten fest anliegen könne, ist nämlich insoferne unthunlich,
als dasselbe zu schrver würde.
Wegen der Schwere darf überhaupt das künstliche Auge nicht massiger ge-
macht werden, als unbedingt nothicendig ist, um ihm einen gewissen Grad von
Festigkeit zu verleihen. Im Allgemeinen ist für den Scleraltheil eine Dicke von
etwas mehr als 1/4'", für den, äusseren Schädlichkeiten am meisten ausgesetzten
Cornealtheil aber ^2'" Dicke zu empfehlen.
Der Rand des künstlichen Auges mus sehr glatt sein. Ein blosses Abschleifen
desselben genügt nicht. Damit er die Bindehaut nicht aufdrücke und wund mache,
muss die Schale daselbst umgebogen werden. Finden sich im Uebergangstheile Vor-
spriinge, sehnige Verbindungsstränge, so ist es nothwendig, für diese Vorsprünge
Einschnitte in den Rand zu machen, so dass das künstliche Auge darauf gleichsam
reitet (Fig. 90 e). Allerdings wird dadurch die Beweglichkeit sehr vermindert.
Am besten ist es, eine Sammlung künstlicher Augen zur Verfügung
zu haben, um daraus jedes Mal das entsprechende wählen zu können. Am
Ende genügt jedoch auch die grösste Sammlung nicht für alle Fälle und
man ist öfters gezwungen, ein für den concreten Fall passendes Auge
eigens anfertigen zu lassen.
Die Einsetzung eines solchen Auges fordert eine grosse Vorsicht wegen
der Zerbrechlichkeit derselben. Sie gelingt am besten, wenn man das künst-
liche Auge an dem äusseren Winkeltheile fasst und, den inneren Winkeltheil
voran, unter das obere etwas hervorgezogene Lid steckt, hierauf den unteren
Ilaiid des künstlichen Auges von oben her durch Zeige- und Mittelfinger
der linken Hand fixirt und mittlerweile das untere Lid herab und über
den unteren Eand des künstlichen Auges hervorzieht. Lässt man dann die
Lider aus, so drücken sie von selbst das Auge in die entsprechende Lage.
Will man im Gegentheile das künstliche Auge herausnehmen, so muss das
untere Lid /<eraigezogen werden, so dass man mit dem Knopfe einer Steck-
nadel hinter das Auge gelangen kann. Mittelst der Nadel lässt sich das
Auge leicht so weit hervor drücken, dass man den unteren Rand mit den
Fingern fassen und das Auge wegheben kann.
Das künstliche Auge soll täglich vor dem Schlafengehen aus dem
Bindehautsacke entfernt und gehörig gereinigt werden. Es geschieht dieses
am besten durch Abwischen mit einem reinen Leinwandfetzen und von
Zeit zu Zeit durch Eintauchen in Spiritus oder Kölnerwasser.
Es ist unzweckmässig, dasselbe in Wasser zu legen, da dieses Säuren und
Salze enthält, welche den Schmelz angreifen, rauh machen und da überhaupt
Wasser nicht geeignet ist, um die fettigen Theile, welche dem künstlichen Auge
anhaften, zu lösen und zu beseitigen. Dazu kömmt, wenn kaltes Wasser ange-
wendet wird, der rasche Temperaturwechsel und, falls das Auge mit den Fingern
eingetaucht wird, die ungleichm'dssige Wärmeeinwirkung. Es reichen diese Momente
hin, um an der Oberfläche feine Sprünge zu erzeugen, welche einem späteren
spontanen Bersten die Wege vorbereiten. Die zum Reinigen gebrauchte Leinwand
muss mit der grössten Sorgfalt vor jeder Berührung mit Staub etc. gehütet werden.
In England sollen die wenigsten künstlichen Augen bersten, in Frankreich mehr
und in Deutschland am meisten. Man ist geneigt, diesen Umstand daraus zu er-
klären, dass in Deutschland allenthalben der Streusand in Gebrauch ist, welcher
sich an alle Kleidungsstücke , Sacktücher anhängt und dann beim Abwischen des
künstlichen Auges kleine Kitze bildet. (Boissonneau Vater).
Oraiioi- Sliiar ; Krystall ; Anatomie. 659
Bei sovp;lichom Vorgehen kann das Auge Jahre lang erhalten werden.
Am Ende wird es trüb und aucli rauh. Dann muss es geputzt werden.
Dieses geschieht mittelst englischem Koth in derselben Weise, wie bei
Metallknöpfen. Das Auge muss dabei auf einem mit Modellirwachs
überzogenen kugeligen Leinwandbausche fixirt werden. Zuletzt nützt auch
das Putzen nichts mehr, es muss ein neues künstliches Auge angeschafft
werden.
Quellen: Chelius, Hdbch. d. Augeiihlkd, II. Stuttgart. 1839. S. 549. — Hhnly,
Krankht. und Missbildgn. I. Berlin. 1848. S. 5.33. — Ritterich, Das kiinstl. Auge.
Leipzig. 1852. — Mackenzie, Traite d. mal. d. yeux. trad. p. Warlomont et Testelin.
II. Paris. 1857. S. 223. — Boissomienu, fils, sur les yeux artif. Paris. 1862. —
Boissonneau pere, Mündliche Mittheilungen. — Schauenhurg, Ueber den Gebrauch
kiinstl. Augen. Lahr. 1862. — Hasner, Sitzungsbericht der k. böhm. Gesellschaft
f. Wissenschaften. 1861. 21. Oct. — Ärlt, Zeitschrift der Wien. Aerzte. 1859.
S. 147. — Burow, A. f. O. VI. 1. S. 111. — Mooren, Ueber symp. Ophth. Berlin.
1869. S. 52, 124, 125, 129, 130. — Lawson, Ophth. Hosp. Rep. VL 2. S. 123. —
Qraefe, A. f. O. XIV. 2. S. 138.
DEITTES HAUPTSTÜCK.
Der graue Staar, Cataracta.
Anatomie. Der Krystall, Corpus crystaUinum, ist in der Lich-
tung des Strahlenkranzes durch die Zonula (Fig. 2, e, /, S. 54) so be-
festigt, dass seine 2'" messende Axe mit der optischen Axe des Auges
nahebei zusammenfällt. Seine vordere, weniger convexe Fläche ragt mit
ihrem Mitteltheile etwas über die Ursprungsebene der Regenbogenhaut her-
vor, daher die Iris von dem luystalle kuppelartig nach Vorne gebaucht
und fixirt erscheint. Die hintere, mehr gewölbte Fläche ist in die teller-
förmige Grübe des Glaskörpers eingebettet. Ihre periphere Zone ist mit der Zonula
verschmolzen. Der centrale Theil hingegen hängt mit der Vitrina fest
zusammen.
Der Krystall besteht aus zwei wesentlich verschiedenen Theilen, aus
einer glashäutigen Hülle, der Linsenkapsel, und aus der eigentlichen
Kry stalllinse.
Die Kapsel ist eine sackförmig geschlossene, völlig wasserklare, elastische
und permeable Membran , welche unter dem Mkroskope ganz homogen,
stvucturlos erscheint, in krankhaften Zuständen jedoch mitunter Andeutungen
eines geschichteten Baues erkennen lässt. Ihre vordere Hälfte, die Vorder-
kapsel, hat eine sehr ansehnliche Dicke, verdünnt sich aber knapp hinter
der Versclimelzung mit der Zonula sehr rasch. Der Eandtheil und die
hintere Kapsel sind überaus zart. Die Kapsel ist fest genug, um der Ein-
wirkung stumpfer Instrumente einen ansehnlichen Widerstand entgegen-
42*
QQQ Krystall; Anatomie; Kapsel; Kapselepithel; Linsenfasern ; Kernzone.
zusetzen, lässt sich indessen leicht zerreissen, zerschneiden und durch-
stechen. Wird sie verletzt, so reisst sie vermöge ihrer eigenen Spannung
gemeiniglich von den Wundwinkeln aus weiter ein, bisweilen bis zur
Ansatzlinie der Zonula, und es kann sogar geschehen, dass die Linse heraus-
tritt. Die Wundränder ziehen sich dann zurück, indem sie sich falten oder
förmlich nach innen einrollen, so weit als es der Stand der Wundwinkel
erlaubt. Die Kapsel ist es, auf deren Eechnung hauptsächlich der hohe
Elasticitätsgrad des in voller Integrität bestehenden Krystallkörpers kömmt,
denn die Linse an sich und ausser Verbindung mit ihrer glashäutigen
Hülle ist weich und leicht zerdrückbar.
Die Kapsel entbehrt eines Epithels. Im mittleren Theile der hinteren
Fläche der Vorderkapsel findet sich allerdings eine einschichtige Lage von
schönen hellen polygonalen Zellen mit runden Kernen, welchen ehemals
die Bedeutung eines Epithels beigemessen wurde. Doch gehören dieselben
unzweifelhaft zur Lirise selbst und stehen in dem innigsten Bezüge zu
den Ernährungsverhältnissen und zum Wachsthume des Krystalles. Aus
ihnen entwickeln sich neue Linsenelemente, welche durch Apposition an
die bereits bestehenden die Vergrösserung der Linse nach der Geburt in
äquatorialer Richtung bewerkstelligen. In sagittaler Richtung dürfte eine
Volumszunahme der Linse nach der Geburt nämlich kaum mehr statt-
finden (Sappey, Ed. Jaeger). In der That gehen die sogenannten Epithelial-
zellen der Vorderkapsel gegen die Randzone hin in Kernfusem über, welche
sich mehr und mehr verlängern, in das Gefüge der eigentlichen Linse
eintreten und als loahre Linsenfasern aufzufassen sind.
Die Linsenfasern präsentiren sich zumeist als lange bandförmige,
im senkrechten Durchschnitte sechsseitige abgeplattete Röhren von sehr
beträchtlicher Durchsichtigkeit, Biegsamkeit und Zähigkeit, welche sich
an ihren beiden Enden ausnahmsweise zuspitzen, in der Regel aber stark
verflachen und verbreitern. Jede derselben führt, wenigstens in ihrem
Jugendzustande, noch den ihren Ursprung aus einer Zelle bekundenden
Zellenkern.
Es lag^ern die Kerne sämmtlich in den dem Gleicher nahen Theilen der
Linsenfasern, doch in verschiedener Höhe, daher sie keine besondere Anschwellung
der betreffenden Krystallpartie verursachen. Ihre Zusammenhäufung in einem ver-
hältnissmässig schmalen Gürtel der Linsenperipherie rechtfertigt die anatomische
Unterscheidung einer Kernzone (H. Meyer).
Die Linsenfasern streichen dicht an einander gedrängt, ohne zwischen-
lagemde Kittsubstanz. Ein senkrecht auf ihren Verlauf gerichteter Schnitt
gibt das Bild einer zarten, aus sechsseitigen, alternirend geordneten
Plättchen bestehenden Mosaik. Ihre Seitenränder sind gezähnt und greifen
übereinander, hängen darum auch fester zusammen, als die platten Flächen,
von welchen die beiden breitesten immer parallel zur Oberfläche der Linse
streichen. Daraus erklärt sich die Spaltbarkeit der Linse in parallel zu
ihrer Oberfläche gelagerte, nicht ganz gleichmässige Scliichten, wodurch
der Krystall das Ansehen gewinnt, als wäre er aus zwiebelähnlich in ein-
ander geschachtelten, völlig geschlossenen Schalen zusammengesetzt, welche
einen kleinen rundlichen Kern umgeben.
Jede einzelne Faser gehört in der Regel beiden Hälften einer und derselben
Schichte an, indem sie sich in /S förmigem Verlaufe um den Aequator derselben
herumschlägt. Die~ Hauptrichtung derselben ist im Allgemeinen eine 7-adiäre; doch
erreichen nur icenir/e den vorderen oder hinteren Pol des betreffenden Stratums,
Anordnung der Fasern; Globulin; Humor Morgagni; Linsenkern. 661
sondern enden entfernt von demselben, indem ihr breites, gröber zackiges Ende
mit dem einer anderen Faser unter spitzem Winkel zusammentrifft. Durch das
spitzwinklige Zusanniientreflen je zweier Fasern werden lineare Nähte gebildet,
welche sternförmig aus dem Pole ausstrahlen und, indem sie in sämmtlichen
Schichten der vorderen und hinteren Linsonhält'te je über einander lagern, diese
gleich senkrechten Scheidewänden in eine Anzahl von Dreiecken abtheilen. Im
Neiigehornen finden sich fast constant sowohl an der vorderen als an der hinteren
Hälfte der Linse drei solcher Dreiecke , welche man auch Wirbel oder Voi-lices
nennt und welciie zwischen sich eine dreistrahlige Sternjigur einschliessen. Mit
zunehmendem Alter vermehren sich jedoch unter fortgesetzter Apposition neuer
Faserlagen diese Wirbel und dem entsprechend auch die Strahlen der sternförmigen
Figur. Am Ende kommt es wohl auch zur Entwicklung secundärer Vortices, deren
Scheitel entfernt von den Polen sich zu einem Hauptstrahle vereinigen, gleichsam
eine Gabelung des letzteren darstellen.
Es stossen in den Nähten oder Strahlen der sternförmigen Figur die Linsen-
fasern unmittelbar auf einander. Die Annahme einer daselbst angehäuften dick-
flüssigen homogenen Kittsnbstanz (Heule) scheint nach neueren Untersuchungen
auf Täuscluing zu beruhen {Zernoff). In gleicher Weise sind die interfibrillären
Gänge, welche sich zwischen den tieferen Faserlagen befinden sollen (F. Becker),
durch eingehende Nachuntersuchungen mehr als zweifelhaft geworden (C. Ritter,
Zernoff).
Im Centrum der Linse hört die Schichtung auf und es finden sich
darin eine Anzahl li^urzer, sehr unregehnässig gestalteter, an beiden Slnden
zugespitzter, mit zackigen Seitenrändern in einander eingreifender Fasern,
welche zum Theile kernlos sind, zum Theile aber einen sehr peripher
gelegenen Kern führen und parallel zur Krystallaxe lagern (C. Ritter,
Zernoff).
Die Liusenfasern Neugeborner und Kinder sind sehr loeich, sie formiren
mehr Röhren, welche aus einer überaus feinen und zarten glashellen Hülle
und aus einem ganz wasserklaren flüssigen und bei Zusammenhangstrennun-
gen der Elemente in grossen Tropfen ausströmenden Inhalte bestehen. Man
hat in letzterem einen eigenthümlicheii Protei'nkörper, das Globulin oder
Crystallin, nachgewiesen. Mit zunehmendem Alter des Individuums steigert
sich vom Linsenkerne aus der Gehalt der Linsenmasse an jenem Stoffe,
daher die Elemente an Consistenz geioinnen, während sich an der Oberfläche
der Linse neue Röhren mit flüssigem Inhalte ansetzen. Beim Schlüsse des
Körperwachsthumes scheint auch die Apposition neuer oberflächlicher Röhren -
strata aufzuhören ; dagegen schreitet die Verdickung des Röhreninhaltes
vom Centrum gegen die Oberfläche allmälig weiter. Gleichzeitig scheinen
die centralen Elemente etwas an Volumen einzubüssen, dabei rauh zu werden.
Auch verlieren sie ihre Kerne. Am Ende kann mau im Mannesalter schon
einen ganz festen, ziemlich harten und fast trockenen Kern und oberfläch-
liche, aus weichen Röhren zusammengesetzte Rindenschichten unterscheiden.
Je alter das Individuum wird, um so grösser wird der Kern und um so
mehr nimmt seine Festigkeit und Härte zu, um so dünner wird natürlich
auch das noch weiche Corticalstratum.
Es sind die Elemente dieser letztgenannten Schichte in hohem Grade ver-
gänglich, lösen sich sehr bald nach dem Tode auf und bilden eine trübe Flüssig-
keit, welche seit langem her als Humor Morgagni beschrieben wird, bei Lebzeiten
aber nicht besteht. Das Kapselepithel liefert dazu keinen Beitrag, da es sich oft
noch mehrere Tage nach dem Ableben im Zustande der Integrität vorfindet
(F. Becker).
Ein Theil des durch Zerstörung der Linsenröhren freigewordenen Inhaltes
verdichtet sich hierbei zu derben geschichteten Kugeln (Myelinkugeln) , welche mit
den cboloiden Auflagerungen der Aderhaut (S. 312) viele Aebulicbkeit haben. Man
662 Krystall; Anatomie; Memlirana capsulopupillaris ; Senile Veränderungen.
sieht dieselben in Linsen, welche nicht ganz frisch in erhärtende Flüssigkeiten
gelegt wurden oder zur Untersiichung kamen, oft auch sehr zahlreich zwischen den
einzelnen Stratis der noch erhaltenen Fasern lagern.
Der Krystallkörper entbehrt der Gefässe und Nerven. Aber noch kurz
vor der Geburt umgibt die Kapsel ein gefiissreicher Saek, welcher die
tellerförmige Grube auskleidet und von da aus sich um den Gleicher
herumschlägt, die vordere Kapsel überkleidet, mit dem Pupillarrande der
Iris zusammenhängt und das Sehloch verschliesst (Membrana capsulo-
pupillaris). Nach dem Verschwinden dieses Sackes erhält der Krj^stall
seine Nahrungsstoffe aus dem Kammerwasser und Glaskörper durch Trans-
fusion. Sein normaler Bestand ist insoferne von der Integrität dieser
Medien und in weiterer Instanz von der Integrität der Tunica uvea und
Retina abhängig. Es scheint, dass die Oiliarfortsätze bei der Ernährung des
Krystalles vorzugsweise betheiligt seien.
Senile Veränderungen. Es machen sich dieselben bald früher, bald
später bemerklich. Im Allgemeinen kann man wohl sagen, dass sie um so
deutlicher zu sein pflegen, je stärker sich im Gesammtorganismus der
Marasmus ausspricht. Insbesondere auffällig treten sie gewöhnlich in Augen
hervor, deren Cornea einen schön entwickelten Greisenbogen zeigt. Sie
bestehen in der Auflagerung hyaliner Massen auf die Hinterwand der
Vorderkapsel und hauptsächlich in einer Verdichtung der Linse.
Die ersteren kommen in ihren chemischen und physikalischen Eigenschaften
mit den choloiden Auflagerungen der Descemet! und Aderhaut völlig überein. Sie
stellen sich gleich diesen bald als halbkugelige, breit aufsitzende, selten gestielte
Massen dar; bald erscheinen sie in fläclten artig er Ausbreitung und machen den
Eindruck ansehnlicher Verdickungen der Glashaut. Sie sind dann öfters sehr
lückenhaft. Ihre Oberfläche ist häufig sehr uneben, so dass sie Aehnlichkeit mit
einem Glasgusse gewinnen. Gewöhnlich schliessen sie sich unmittelbar an die Innen-
wand der Vorderkapsel an, so dass deren Grenze im Durchschnitte nur eine sehr
feine dunkle Linie bildet. In anderen Fällen findet sich zicischen beiden eine
Schichte körniger Masse, welche wahrscheinlich von dem Untergange des ober-
flächlichen Linsenzellenstratums herrührt (H. Müller, WedlJ.
Die Linse wird im Allgemeinen trockener, spröder und spaltbarer.
Besonders gilt dieses aber von dem Kerne der Linse, welcher in der Regel
eine zarte weingelbliche oder bcrsteinähnliche, bisweilen sogar in's Bräun-
liche spielende Färbung annimmt. In sehr vielen Fällen kömmt es dann
noch überdies zu molecularen Trübungen in den Randtheilen der dem Kerne
unmittelbar aufliegenden Rindenstrata, welche bei Benützung des lichtschwachen
Augenspiegels besonders deutlich hervortreten.
Es beschränken sich diese Trübungen im Anfange auf eine schmale Zone
der vorderen und hinteren Aequatorialpartie der betreffenden Schichten und sind
ausserordentlich mannigfaltig gestaltet. Am öftesten trifft man radiäre Streifen, die
im Allgemeinen dem Zuge der Linsenfasern folgen und auf Trübungen der Linsen-
fasern selbst so wie auf Zioischenlagerung molekularer Massen bezogen werden. Sie
finden sich sehr gewöhnlich gepaart mit zarten dünnen, theilweise scharf begrenz-
ten weisslichen Wölkchen, welche aus Körnchen verschiedenen Calibers bestehen
und flächenartig an einer oder beiden Hälften der äquatorialen Kernoberfläche sich
ausbreiten. Häufig zeigt sich der Aequator des Ivernes wohl auch ringsum bedeckt
von einem zarten graunebeligen Gürtel ohne bestimmte Umrisse. Es reicht dieser,
mehr weniger breite, äquatoriale Gürtel immer durch mehrere Schichten hindurch
und ist bedingt durch eine Ausscheidung von Fettkörnchen, die sich besonders in
der Nähe des Gleichers häufen und daselbst zu grösseren Tröpfchen zusammen-
fliessen. Selten kommen kurze und sehr schmale weisse Streifen oder Striche vor,
welche als ununterbrochene Kreislinie den Kernäquator umschliessen und so hier
öerontoxoii lentis; Nosologie; Phakitis. 663
die Differenzirung'smaiko bilden. Sie inaclien den Eiiidrnclt, als hätten sieli Klüfte
zwischen den concentrischen Faserschichten g;el)ildct, welclie mit inolecularer Sub-
stanz auRffofüllt sind (Förster). Man hat diese sich ül)riji^ens vielfach mit einander
comhinirenden Formen der scliiclitw(nsen Trübung am Kernä([uator mit dem Greisen-
bogen der ("ornea zusauunengestellt und als deroiUoxon lentis beschrieben (A7n7nonJ.
Durch diese Alterationen wird selbstvei-ständlich der Lichtreflex
im Bereiche des Krystallkörpers vermehrt. Dem entsprechend erscheint
die Pupille des Greisenaucjes nicht melir glänzend scliwarz , sondern
rauchig, und oft sogar aufFiiUig trübe, besonders wenn grelles diffuses
Licht einwirkt, oder wenn directes Licht schief einfällt. Es ist die Trü-
bung sehr gewöhnlich so stai'k, dass man unwillkürlich an eine in ihrer
Entwickelung bereits ziemlich weit vorgeschrittene cataractöse Verbildung
denken muss.
Die Täuschuug wird nueh vullständiger , wenn die künstliche Beleuclitung
mittelst Sammellinsen in Anwendung gebracht wird. Da erscheint die Oberfläche
des Krystalles in der Kegel mit einem dichten, bisweilen seidenglänzenden, öfters
leicht streifigen grauweissen Schleier überdeckt. Auch die Kernyrenze macht sicli
durch einen matten grauweissen oder graugelblichen Schimmer bemerklich. Ganz
vorzüglich aber treten die Trübungen am Ae^nator der Kernoberfläche hervor. Der
von der Lichtquelle ahgewendete Theil des Kernrandes maclit ganz den Eindruck, als
Stacke er in einem Falze, welclier von zwei in einem Winkel zusammenfiiessenden,
inwendig glatten und glänzenden, gegen den Pol hin verwaschenen, bisweilen
wolkig oder streifig gezeichneten Flächen gebildet wird. Die Breite dieses Gürtels
wechselt sehr, die Farbe ist l)ald grauweiss, bald graugelb.
Es werden diese Trübungen Avirklich von mehreren Seiten für den
ersten Beginn einer ivahren Cataracta erklärt. Es bestehen dieselben jedoch
in der bei weitem grössten Mehrzahl der Fälle ohne merkliche Verände-
rung durch viele Jahre und führen selbst im höchsten Alter nicht noth-
wendig, ja nicht einmal häufig, zur wirklichen Staarbildung.
Die senile Verdichtung der Linse macht sich übrigens auch noch sehr
auffällig geltend durch Erschwerung der accommodativen Formveränderungen
der Linse. Auch nimmt bei fortgesetzter Verdichtung des Krystalles dessen
Volumen etwas ab, wenigstens verflachen sich etwas die beiden Oberflächen
und der Kern. Der Brechzustand des Auges sinkt in Folge dessen um ein
Bedeutendes.
Nosologie. Staarbildung und Schwund des Krystallkörpers sind im
Grunde genommen gleichbedeutende Ausdrücke. V^ie in anderen Organen
kömmt es auch in der Linse bald wegen verminderter oder überhaupt alte-
rirter Stoffzufuhr zur Atrophie ; bald wird dieser Process durch entzündliche
Wucherungen der zelligen Elemente der Linse vorbereitet und thatsächlich
begründet. Dem entsprechend findet man in Cataracten bald lediglich die
Resultate der Atrophie, bald sind diese mit den Ergebnissen der elementaren
Prolification gepaax't.
1. Die Entzündung charakterisirt sich im Krystalle durch ganz ähn-
liche Erscheinungen wie anderwärts. Es sammeln sich wechselnde Mengen
von Bildungszellen an beiden Oberflächen, vornehmlich in der äquatorialen
Zone der Linse und dringen zum Theile in die Tiefe, wo sie dann reihen-
weise zwischen den Linsenfasern oder in flächenartigen Herden zwischen
den einzelnen Schichten des Krystalles eingelagert erscheinen. Dabei ge-
rathen die oberflächlichen polygonalen Zellen und ganz vorzüglich die an
der Ilandzone gelegenen jungen Linsenfasern in einen Wucherungsprocess,
ihre Kerne umgeben sich mit körnigem Protoplasma, schwellen auf und
664 Cataracta ; Nosologie ; Phakitis ; Capsnlitis ; Eiterstaar.
theilen sich schliesslich, während der übrige Zelleninhalt sich trübt. In
völlig entwickelten Linsenfasern, in welchen sich der Zelleninhalt bereits
ganz zu Globulin umgewandelt hat, findet eine eigentliche Kerntheilung
niemals statt, man beobachtet blos eine Aufblähung und molekulare Trübung,
welche lediglich auf osmotische Vorgänge zu beziehen ist (Iwanoff).
Indem sich die Producte der Entzündung vornehmlich in der ohei-fl'dchlichsten
Zellenschichte der Linse häufen, hat man den Process früher auch als Capsiditis
und Phakohymenitis beschrieben. Doch ist in Anbetracht der tief in das Gefüge
der Linse eingreifenden, offenbar entzündlichen Veränderungen der Name Linsen-
entznndimg, Phakitis, unstreitig ein viel treffenderer, um so mehr als die eigent-
liche Kapselsubstanz an dem Vorgange einen nur sehr geringen, in der Regel ganz
unnachweisbaren Anthell nimmt.
In einzelnen Fällen, namentlich wenn sich die Phakitis als Theil-
erscheinung einer Panophthalmitis suppurativa, oder in Folge intensiver,
die Linse direct treffender äusserer Schädlichkeiten, z. B. einer Verletzung
und besonders verunreinigter Wunden, entwickelt, nehmen die neoplastischen
Zellen den Charakter der Eiterkörperclien an und zerfliessen sammt den auf-
gequollenen Linsenfasern in eine fettig körnige eiterartige Masse, der Zu-
stand erschöpft den Begrifi' eines Eiterstaares, Cataracta purulenta (Moers,
0. 0. Weber, Lohmeyer, Knapp).
In der Regel- jedoch, besonders bei mehr chronisch verlaufenden
Formen der Entzündung, spricht sich in den eingewanderten und durch
Endogenese neu erzeugten Zellen eine entschiedene Xeigung zur Höherge-
staltung, zur Umbildung in Linsenelemente aus.
Es zeigt sich an der vorderen und hinteren Oberfläche der Linse neben
Bildungszellen eine grosse Menge junger ausicachsender Zellen, welche oft in
mehreren Schichten über einander lagern, oder in unregelmässige Haufen zusam-
mengedrängt sind und die Formelemente der Linse von der Kapsel weg gegen
das Centrum des Krj'stalles zu drängen scheinen. Sie ähneln zum Theile den
polygonalen Zellen des vorderen Linsenpoles , zum Theile verlängern sie sich und
bilden Uebergänge zu Kernfasern. Doch sind sie immer sehr unregelmässig gestaltet,
ihr Inhalt ist leicht getrübt, ihren Kern umgibt ein dickes Lager von Protoplasma
und häufig sieht man an ihnen Theilungen der Kerne und der Zelle selber. Dabei
degeneriren sie auch leicht in choloide und schleimige Massen, wenigstens findet
man neben ihnen sehr häufig ansehnliche Mengen einer homogenen, leicht getrübten
Substanz von wechselnder Consistenz, in welcher öfters auch kugelige Drusen von
choloidem Aussehen lagern. In den tieferen Rindenschichten stösst man oft auf
Zellen von wechselndem Umfange, ja von kolossaler Grösse, welche bald rundlich
sind und bei leicht getrübtem Inhalte einen oder mehrere Kerne führen; bald sich
mehr der Spindelform nähern und eine feine Molekularmasse mit gröberen und
dunkleren Körnern, aber keine Kerne enthalten; bald endlich sich in kernlose
dunkle fettähnliche Körnerhaufen aufgelöst haben. Die stark getrübten Linsen-
fasern, deren Kerne meistens sehr angeschwollen und dunkel gekörnt erscheinen,
werden durch die zwischengelagerten neoplastisehen Elemente aus ihrer gegen-
seitigen Stellung gedrückt, manchmal förmlich geknickt und wie verdreht. Ihre
verbreiterten Enden zeigen sich aufgequollen und haben durch Niederschlag und
netzförmige Anordnung einer trüben Masse in ihrem Inneren ein ganz verändertes
Aussehen bekommen (Wedl, Iwanoff).
Die weiteren Veränderungen sind im Ganzen sehr wandelbar. Oefters
geht der Process alsbald wieder zurück, die wuchernden Zellen mit ihren
Kernen klären sich und das Gefüge gewinnt allmälig sein früheres normales
Aussehen. Häufiger aber führt die Entzündung zur Atrophie der Linse,
deren Elemente zersetzen sich, zerfallen und gehen dann secundäre Meta-
morphosen ein, das Resultat ist Staarhildung im engeren Wortsinne. Häufiger
kommt es dann noch zur Entwickelung von Bindegewehe und seinen Deri-
Bindegewebige Neubildungen; Reiner Schwund der Linse. (565
vaten, eine grosse Quote der neoplastischen Elemente wächst aus, gewinnt
allmälig die Charaktere der Bindegewebszellen, während die zwischen-
lagernde Intercellularsubstanz faserstreifig wird und sich schliesslich wohl
auch in die eigenthünilichen feinen, wellig lockigen Faserbündel spaltet.
Man findet nicht selten dieses neojjlastisclie Bindef/ewehe in mehr weniger
mächtigen Lagen zwischen Kapsel und dem cataractösen Linsenkerne flächenartig
ausgebreitet. Seltener stösst man an der Ilinterwand der Vorderkapsel auf warzen-
ähnliche, streng begrenzte rundliche Auswüchse, welche bald platt aufsitzen, bald
einen rundlichen Kopf und einen deutlichen Stiel erkennen lassen. Sie bestehen
aus einer Art Hülle von concentrisch gelagerten oblongen Zellen und aus einem
Kerne von kleineren rundlichen Zellen. Es scheinen diese Zellen sehr bald zu
zerfallen luid gehen in eine fein molekulirte, schmutzig bräunlich gelbe, in Salz-
säure unveränderliche Masse über. Bisweilen findet sich der kleinzellige Kern wohl
auch ganz von Glassubstanz eingehüllt (Wedl). In einzelnen Fällen erscheinen
umschriebene Eiterherde in eine bindegewebige Hülle eingeschlossen (Moers).
Die dichten und ihres Zellenkernes verlustig gewordenen Fasern des
Linsenkernes alter Individuen betheiligen sich an den entzündlichen Vor-
gängen meistens blos durch einige Trübung und Aufblähung. Häufig
bleiben sie auch ganz unverändert, oder schrumpfen im weiteren Verlaufe
nur noch mehr zusammen.
Insoferne die Phakitis selten seihständig auftritt , sondern in der
Eegel durch entzündliche Processe im Vordertheile der Uvea hervorge-
rufen wird, finden sich ihre Producte gewöhnlich neben anderen, welche
von der Iris und den Ciliarfortsätzen ausgegangen sind und den Krystall
von vorneher in einer der Dicke nach sehr wechselnden Schichte über-
kleiden.
2. Der reine Schwund äussert sich zuvörderst durch eine chemische
Scheidung oder Zerfällung der Linsenelemente in Stoffe mannigfaltiger
Art, welche zum Theile flüssig und resorbirbar, zum Theile aber fest sind
und letzteres bleiben, oder unter fortgesetzten chemischen Wandelungen
allmälig der Aufsaugung verfallen. Das nächste wahrnehmbare Resultat
der Zersetzung ist optische Ungleichartigkeit der Elemente, also Trübung
derselben. Weiterhin jedoch gestalten sich die davon abhängigen Veräiide-
rungen sehr verschieden je nach der Consistenz der atrophirenden Theile,
d. i. je nach der grösseren oder geringeren Dichtigkeit, welche dieselben
in der gegebenen Zeit erlangt haben.
a. In den harten Kernen alter Individuen, in deren Elementen die
festen Stofi'e bei weitem überwiegen, während der Wassergehalt auf ein
Kleines geschwunden ist, geht der chemische Scheidungsprocess nur sehr
langsam vor sich und wird auch weniger aufiallig, da eben durch das
Austreten der flüssigen Bestandtheile die Grundform der Elemente nur
wenig mehr alterirt werden kann. In Uebereinstimmung damit behält der
Kern auch einen ziemlich bedeutenden Grad von Dlaphanität, die Ver-
minderung der optischen Gleichartigkeit zeigt sich mehr in der Verstärkung
des Lichtreflexes, in der deutlichen Färbung des genannten Organtheiles.
Es erscheint der Kern nämlich bräunlich gelb, bei weit vorgeschrittenem
Processe wohl auch schmutzig graubraun, selten rothbraun oder purpur-
braun, oder gar schwarzbraun. Wird er von den Rindenschichten ent-
blösst und der atmosphärischen Luft ausgesetzt, so nimmt die Dunkelheit
der Färbung rasch zu und hellt sich beim Einlegen in Wasser nur wenig
mehr auf. Es zeigt sich der Kern, frisch aus dem Auge genommen, trocken,
666 Cataracta; Nosologie; Eeiner Schwuiul.
hart und spröde. Er spaltet sich leicht in concentrische Schalen, deren
jede fast durchsichtig ist und ins Gelbliche oder Eöthliche spielt. Fast
immer findet man die Convexitäten der beiden Oberflächen im Vergleiche
zur Norm sehr vermindert. Im Allgemeinen kann man sagen, die Ver-
flachung wachse mit dem aequatorialen Umfange des cataractösen Kernes.
Der Umfang des letzteren aber scheint im Verhältnisse zum Alter des
Individuums zuzunehmen ; wenigstens stösst man bei hochbetagten Greisen fast
constant auf grosse und flache, bei minder bejahrten Individuen auf kleine
und stärker convexe Kerne.
Unter dem Mikroskope erscheinen die einzelnen, leicht abzublätternden
Schichten in der Gestalt stark durchscheinender, orelblicher oder bräunlicher Platten
mit treppenartig abfallenden rauhen dunklen Bruchrändern und glatter Ober-
fläche, welche mit mehr weniger dunkler, höchst feiner Molekularmasse, oft auch
mit rostrothen oder bräunlichen Körnern von grösserem Caliber oder mit Fett-
kügelchen bestreut sind. In diesen Platten ist öfters die Verschmelzung der ein-
zelneu Fasern eine so innige geworden, dass deren Grenzlinien nicht mehr zu
unterscheiden sind. In anderen Platten jedoch kann man die Seitenränder der
einzelnen, bisweilen sichtlich geschrumpften Fasern noch recht gut als etwas rauhe
und parallel zu einander streichende Linien erkennen. In sehr harten Kernen von
Greisenstaaren sieht man die Seitenränder der Fasern oft sogar sehr dunkel und
wie benagt, während die Flächen der Fasern wie besäet erscheinen von dunklen
Punkten, welche bei genauer Untersuchung sich als kleine Lücken erweisen.
h. An loeniyer dichten Linsenschichten geht der cataractöse Scheidungs-
process in der liegel viel rascher und vollstäitdiger vor sich und macht
sich auch durch starke Trübung einzelner Schichten oder der gesammten
Linse geltend. Es bewahren die trüben Strata dabei häufig ihren Zusammen-
hang sehr lange und man erkennt in ihnen oft sogar mit freiem Auge
den radiären Zug der einzelnen Fasern. Am Ende jedoch zerfallen die
Elemente und stellen einen weissgrauen Brei dar, dessen Consistenz je nach
dem Entwickeluugszustande der betreffenden Linsentheile etwas wechselt,
gewöhnlich aber topfenähnlich ist.
In den getrübten Fasern und in deren meistens etwas geschwellten Kernen
erscheint eine hellere oder dunklere Molekularmasse und nebstbei in grösserer oder
geringerer Menge Fett in Körnchen und Tröpfchen mit zahlreichen Myelinkugeln.
Es tritt das Myelin auch häufig in Tropfenform ans, so dass die Linsenröhren förm-
lich zusammenfallen und als flache Bänder, in Bündel gehäuft, in den Zerfällungs-
producten herumschwimmen, welche immer in grösserer oder geringerer Menge
zwischen den Resten der einzelnen Faserlagen abgelagert erscheinen. Hier und da
findet man auch die oben erwähnten sjjröden Platten, welche möglicher Weise aus
diesem Zersetzungsprocesse hervorgegangen sind. Sie enthalten gewöhnlich noch
eine grössere Anzahl myeliner Kugeln , welche sich bei der Zertrümmerung
isoliren und den Platten das Aussehen eines Maschenwerkes mit grossen Lücken
geben (Wedl).
Die Elemente des Kapselepithels erhalten sich dabei oft lange unverändert,
oder zeigen höchstens eine feine molekulare oder fettige Trübung des Inhaltes.
In einzelnen Fällen gehen späterhin jedoch die Zellenwandungen ganz unter und
man findet nur mehr die stark getrübten, angeschwollenen und mannigfaltig aus-
gewachsenen, mitunter wohl auch schon im Zerfalle begrifienen oder sichtlich
verkümmerten Kerne, zwischen welchen Molekularmasse abgelagert ist. Nicht
selten sind selbst die Kerne untergegangen, das Epithel hat sich in Fladen einer
fettig körnigen Masse aufgelöst, welche bisweilen noch die polygonale Begrenzung
der Zellen beiliehalten haben. Daneben findet man manchmal Strecken, in welchen
einzelne Zellen oder Zellengruppen einen eigenthümlichen Verdichtungspirocess ein-
gegangen sind. Es hat sich nämlich um den Kern eine gelbliche durchscheinende
feste Masse gebildet, die mehr und mehr zunimmt, endlich die ganze Zelle ausfüllt
und dieselbe in eine solide derbe, chemisch sehr indifferente Scheibe von opali-
sirendera Glänze verwandelt. Diese Scheiben fliessen späterhin zu ganz unregel-
Harter, gemischter iiiid weiclier Staar, 667
massigen drusigen Haufen zusammen, oder stehen einzeln zwischen dem Detritus
anderer Zellen (H. Müller, Wedl).
c. Ganz iveiche Linsenelemente zerfallen unter dem Walten des catarac-
tösen Proccsscs in der Regel überaus schnell in eine trübe , dem Stärke-
kleister ähnliche ifasse, oder sie lösen sich in eine molkenartige Flüssigkeit
auf, in welcher trübe gestaltlose fettigkörnige Flocken schwimmen.
3. Da die physikalischen Eigenschaften der Staarmasse hauptsächlich
von dem jeweiligen Entwickelungszustande der betreifenden Kiemente abhängen,
dieser aber nicht nur in Bezug auf die Linse als Ganzes , sondern auch
in Bezug auf die einzelnen Schichten des Krystalles je nacli dem Alter der
Individuen sehr bedeutend wechselt; da weiters nur selten die Linse ihrer
ganzen Dicke nach auf eittmal staarig entai'tet, die cataractösc Wandlung
vielmehr bald von dem Kerne, bald von den oberflächlichen Schichten des
Krystalles ausgeht und sich nur allmälig über den Rest des Organes aus-
breitet : so ist es klar, dass die gröberen anatomischen Verhältnisse der Staare
in hohem Grade variiren müssen. Diese sind aber gerade in praktischer
Beziehung von grösstem Belange, daher sie denn auch eine genaue Berück-
sichtigung verdienen.
a. Im höheren Mannes- und im Greisenalter geht der Staar, wenn nicht
besondere äussere Verhältnisse den Gang des Processes verkehren, gewöhn-
lich vom Kerne aus. Dieser scheidet sich gleichsam von der Rinde, wird
hart, spröde und trocken, trübt und färbt sich. Die oberflächlichen Strata
bewahren dabei oft noch lange einen fast normalen Durchsichtigkeitsgrad,
und nur in der nächsten Nähe des Kernes kömmt als Folge theilweiser
Umsetzung der Fasern ein stark entwickelter Linsen greisenbogen fS. 6G3)
zum Vorscheine. Mau nennt diese Form des Staares den harten Kernstaar
oder Kernstaar schlechtweg, auch Phacoftcleroma. Mit der Zeit, früher oder
später, verfallen auch die oberflächlichen Strata allmälig dem Processe. Sie
trüben sich erstlich, ohne dass die Elemente ihre Form aufgeben ; am
Ende jedoch lösen sie sich meistens in einen mehr oder weniger consistenten
Brei, selten in eine mehr flüssige Masse auf , der Kernstaar erscheint in
Combination mit dem Bindensiaare, ein Zustand, welchen man seit Alters als
gemischten Staar beschreibt.
b. In den früheren Mannesjahren und im Jugendalter entwickelt sich
der Staar häufiger von der Oberfläche als von dem Kerne der Linse aus,
bleibt aber oft nicht lange auf einzelne Theile beschränkt, sondern greift
binnen kurzem durch die ganze Dicke der Linse hindurch. Das Resultat ist
dann ein weicher Staar (Phacomalacia) . Wenn der Process auf den Kern
gebannt ist, während die Rindenschichten noch ihre normale Durchsichtig-
keit bewahrt haben, spricht man von einem weichen Kernstaare oder von
einer weichen centralen Linsencataracta . Beginnt der Process aber in den
peripheren Schichten und geht er von hier allmälig auf den Kern über,
so pflegt man, so lange der Kern seine Durchsichtigkeit bewahrt, einen
Rindenstaar, Cataracta corticalis, zu diagnosticiren.
c. Bei Kindern wird ebenfalls meisthin die Binde der Linse zuerst
getrübt, seltener der Kern. Doch schreitet hier der Process gewöhnlich
so rasch vorwärts, dass man nur selten einen eigentlichen Rindenstaar oder
einen iveichen Kernstaar, sondern in der grössten Mehrzahl der Fälle schon
einen über die gesummte Linse ausgebreiteten Staar findet. Die Zerfällniss
ist dabei fast immer eine möglichst vollständige, die ganze Linse erscheint
668 Cataracta; Nosologie; Regressive Metamorphosen.
aufgelöst in eine stärkekleisterähnliche Subf?tanz. Doch stösst man mit-
unter auch im Kindesalter trotz längerem Bestände des Processes und
völliger Verflüssigung der Rinde auf halbiveiche, trübe, oder sogar auf
sclerosirte Kerne.
4. Mit den gescliilderten ,,primären" Wandlungen der Linse ist der
cataractöse Process keineswegs abgeschlossen. In vergilbten harten Kernen
werden secundäre Metamorphosen allerdings durch den geringen Feuchtig-
keitsgehalt sehr erschwert oder unmöglich gemacht ; man beobachtet nur
eine fernere Zunahme der Trockenheit, Sprödigkeit und Härte, sowie eine
Verdunkelung der Farbe. In weicheren Krystallscliichten jedoch machen sich
die secundären Metamorphosen sehr auffällig. Sie beginnen bisweilen schon
sehr frühzeitig, lange bevor der Staar sich über das ganze Gebiet der Linse
ausgebreitet hat und ehe die cataractösen Theile vollkommen zerfallen sind.
Gewöhnlich aber kömmt es zu den secundären Metamorphosen erst, nach-
dem der betreffende Liusentheil in formloses Magma zersetzt worden ist.
Die Theile verfolgen hierbei nur sehr ausnahmsweise eine progressive Rich-
tung; in der Regel ist der Process ein stetiges Herabsteigen auf der organi-
schen Stufenleiter, das Magma wird unter fortschreitender chemischer Zer-
fällung und Aufsaugung der löslich gewordenen Theile in eine fettig sandige
oder in eine dichte trockene Masse verwandelt , deren Hauptbestandtheile
neben einer formlosen organischen Grundlage Fett, Kalksalze und Myelin
in wechselnden relativen Massenverhältnissen sind.
Das Fett zeigt sich als ein durch die Masse vertheilter Staub, oder als Körn-
chen und Kugeln von grösserem Caliber, welche öfters in unregelmässige Haufen
gruppirt sind. Ein grosser Theil desselben pflegt sich in C'holestearin umzuwandeln
und in den bekannten schönen Tafeln zu krystallisiren. Oft sind diese Krystalle
nesterartig gehäuft, so dass man sie schon mit freiem Auge an dem eigenthümlichen
Glänze erkennen kann. Auch Fettsäuren scheinen bisweilen in Gestalt nadeiförmiger
Krystalle vorzukommen. In seltenen Ausnahrasfällcu fliesst das freie Fett in grössere
ölartige Tropfen zusammen.
Der Kalk tritt meistens als kohlensaures, seltener als phosphorsaures (GraefeJ
Salz auf. Er wird gleich dem Fette in Gestalt staubähnlicher Moleküle ausgeschieden,
welche später zusammensintern und grössere Körner und Drusen bilden, die sowohl
durch das freie Auge als durch das Gefühl erkennbar sind. Sehr häutig, nament-
lich wo Entzündungen dem Staare zu Grunde liegen, kommen auch grössere Concre-
mente zu Stande. Es haben diese öfters ganz das Aussehen von unregelmässigen
Kreidetrümmern und liegen dann frei in dem fettig sandigen Magma. Häufig jedoch
stellen sie auch Schuppen oder umfangreiche Schalen von geringerer oder grösserer
Mächtigkeit dar, welche der inneren Oberfläche der vorderen oder heidpr Kapsel-
hälften anhaften. An Schliffen solcher Concremente findet man den Kalk oft in
Körnerform dicht durch die wellig gestreifte durchscheinende, oder ganz amorphe
und feinkörnige organische Grundlage vertheilt; oft aber auch streckenweise zu
grösseren Massen zusammengehäuft, welche die mannigfaltigsten Gestalten und
Gruppirungen zeigen und mitunter ganz den Eindruck von unvollkommen ent-
wickelten Knochenkörperchen machen; daher denn auch solche Concremente viel-
fach mit den überaus selten vorkommenden Verknöcherungen der Linse verwechselt
worden sind. Ausnahmsweise zeigt sich der Kalk, besonders in der Nähe der Kapsel,
auch in Gestalt von K>yxtal.len.
Die organische G rundsuhstanz findet man im Stadium der secundären Staar-
raetamorphosen nur selten flüssig, so dass die cataractöse Masse einigermassen
Aehnlichkeit mit Kalkmilch hat. In der grössten Mehrzahl der Fälle stellt sie sich
als eine ganz formlose schmierige trübe Substanz dar, welche das Fett und die
Kalksalze nebst hyalinen Kugeln zu einem mehr weniger consistenten, fettig san-
digen Brei vereinigt. Seltener erscheint sie umgewandelt in eine halbdurchschei-
nende oder ganz opake, feinkörnige oder homogene, überaus spröde und brüchige,
sonst aber sehr consistente und trockene Substanz, ähnlich der, welche schon
Kapsellinsenstaar ; Kiilkconcremente. 669
in primären Staaren durch Versclimelzuug von Linsenfaseru in Gestalt von Platten
zu Stande kömmt. In den Kernschickien weicher oder hathweicher Staare, so wie in
der nächsten Nähe sclerosirte)- Kerne, bewahren indessen trotz einji^etretener secun-
därer Metamorphose die Elemente bisweilen ihre urspriinyliche Form und ihren
Zusammenhalt, ja öfters sieht man sogar noch an Schliflen umfangreicher stein-
harter Concre^nente die charakteristischen gradlinigen parallelen Begrenzungslinien
der Linsenfasern.
Die peripheren Theile des Staarmagma gehen die secundären Metamor-
phosen immer zuerst ein. Besonders gilt dies von den im Bereiche der
Pupille gelegenen Portionen der vorderen Rindenschichten, welche daher
auch gewöhnlich am iveitesten in dieser Wandlung vorgeschritten erscheinen.
Die verdichteten Massen heften sich dabei gerne an die Kapsel, machen
dieselbe steif und unfähig, sich nach Zusaramenhangstrennungen vermöge
eigener Elasticität zurückzuziehen. Oft findet man in der That schon sehr
frühzeitig die Innenwand der vorderen oder hinteren oder heider Kapsel-
hälften in wechselnder Ausdehnung mit einer trüben Masse beschlagen,
welche sich stellenweise zu kleineren oder grösseren Tüpfeln oder zu mannig-
faltig figurirten und gruppirten Klümpchen häuft, nicht selten sogar sich
zu schuppeuähnlichen, unregelmässig gestalteten Biäitchen verdichtet. In
anderen Fällen erreicht dieser Beschlag eine beträchtliche Dicke und präsen-
tirt sich unter der Form eines fibröskörnigen Maschenwerkes, oder unter
der Form von trüben Schwarten mit fransigen oder wolkig verschwommenen
Rändern. Bisweilen ist die Kapsel jedoch auch mit mächtiyen Schalen von
verkalkter Staarmasse verwachsen. Mau nennt diese Staare KapselUnsen-
staare, Cataractae capsulolenticulares.
Die Glashaut selbst wird bei diesen Veränderungen in ihrerii Gefüge nur aus-
nahmsweise alterirt. Scheinbare Verdickungen durch Anlagerung neugebildeter glas-
häutiger Schichten sind allerdings nichts Seltenes, die eigentliche Kupselsubstanz
verharrt dabei jedoch meistens in voller Integrität Die Mögliclikeit einer TriUniiig
derselben ist indessen nicht ausgeschlossen, obgleich auch nicht nachgewiesen.
Stücke derselben, welche zwischen iritischen Auflagerungen und entzündliclien An-
lagerungen an der Innenfläche eingeschlossen sind, finden sich bisweilen, vielleicht
durch Usur, verdilnrit. Nach einigen Untersuchungen scheint es, als ob unter solchen
Verhältnissen die Kapsel, so weit die An- und Auflagerungen reichen, auch ganz
zu Grunde gehtii könne (IVedl, U. Müller).
Wo keine Entzündungen vorangingen , sind die der inneren Kapselwand fest
anhaftenden trüben Massen gewöhnlich nicht sehr massenreich imd erweisen sich
zum allergrös^sten Theile als eingedicktes Staarmagma. Sie bestehen aus einer kör-
nigen, oft deutlich fettig kalkigen und durch ihren Pigmentgehalt ins schmutzig
Gelbe oder Bräunliche spielenden Grundlage, in welcher Haufen von Kalksalzen
und Cholestearinkrystallen, ausnahmsweise auch Kalkkrystalle so wie spröde weisse
zerbröckelnde Platten aus kohlensaurem Kalke , höchst selten auch schwarze
(Melanin-Vj Krystalle etc. zerstreut oder zu Gruppen conglomerirt lagern. Dazwischen
erscheinen gewöhnlich choloide Drusen und Haufen verdichteter Epithelzellen,
welche durch Aufnahme von Kalksalzen oft ein dunkel körniges Aussehen gewonnen
haben. Streckenweise besteht au der Vorderkapsel das Epithel wohl gar noch als
solches, wenn es auch meisthin in der regressiven Metamorphose schon weit vor-
geschritten ist (Wedl, H. Müller, Schweigger).
Wo hingegen Entzündungen deii Staarprocess beeinflusst liaben, findet man
in der Regel ein mächtiges Stratum zwischen Kapsel und das secundär metamor-
phosirte Staarmagma eingeschoben, in welchem sich die Zersetzungsproducte der
Linsensubstanz mit gejorriiten und ihrer ganzen Erscheinung nach unzweifelhaft
aus Wucherungsprocessen hervorgegangenen Elementen mischen. Es sind diese
letzteren meistens selbst schon durch die regressive Metamorphose alterirt, ge-
schrumpft, von Fett und Kalksalzen durchstreut. Mitunter überwiegen wohl gar
die Kalksalze in dem Grade, dass die Neubildung völlig den Charakter eines
Concrevientes gewinnt.
670 Cataracta; Nosologie; ßegressive Metamorphosen; Staarschruinpfung.
An der Hinterkapsel sind diese Auflagerungen gemeiniglich viel weniger massen-
reich, als an der Vorderkapsel und fehlen sogar häufig in Fallen, wo an der letzteren
ein sehr mächtiges Stratum der geschilderten Art haftet. Immerhin kommen auch
Fälle vor, wo die Vorderkapsel frei, dagegen die hintere im weiten Umfange von
derartigen Auflagerungen bedeckt wird. Es sind die hinteren Kapselstaare bisweilen
mit polarer oder Glaslcörpercafaracta (S. 164) combinirt. Meistens jedoch bestehen
sie in reiner Form, die Auflagerung ist lediglich eine intracapsulare und kömmt auf
Rechnung der eigentlichen Linsensuhstanz. Sie erweiset sich dann öfters als einfach
regressiv gewordenes eingedicktes Magma; viel gewöhnliciier aber sind in ihr die
Spuren zelUger Bildungen ganz unverkennbar und sie muss als das Product einer
wahren Phakitis betrachtet werden (Schweigger, WedlJ.
Die secundären Staarwandlungen gehen immer mit Schrumpfung ein-
her, in Folge deren die Kapsel sich faltet und ihren Zusammenhang mit
der tellerförmigen Grube lockert, so dass der Krj'stall mit seiner Hülle
sich leicht vom Glaskörper hinwegheben lässt. Die Grösse der Volums-
verminderung, welche die Cataracta erleidet, hängt vornehmlich von dem
gegenseitigen Massenverhältnisse ab, in welchem die löslich gewordenen
Bestandtheile zu den unlösbar bleibenden stehen, in weiterer Instanz also
auch von der Dichtigkeit des primären Staares. Doch sind die festen Sub-
stanzen secundär metamorphosirter Cataracten keineswegs blos als Rück-
stände zu betrachten; der Resorptionsprocess stellt sich nicht als eine reine
Abfuhr dar, sondern als ein Austausch von Stoffen, bei welchem sich der
Gewinn und Verlust an festen Bestandtheilen auf diese und jene Seite
neigen kann. In der That kommen sehr häufig derlei Staare vor, in
welchen die Summe der festen Stoffe weitaus grösser ist, als sie es während
dem Normalzustande der Linse sein konnte, in welchen also die secundäre
Metamorphose offenbar mit einer überwiegenden Zufuhr von festen Stoffen
gepaart war. Es wird der Process aber auch wesentlich beeinflusst von
den Ernährungsverhältnissen, unter welchen sich das Auge und zumal der
Krystall jeweilig befindet.
a. Wo die secundären Metamorphosen einfach nur der Ausdruck der
fortschreitenden Atrophie der ursprünglichen Linsenelemente sind, pflegt der
unlösbare Kückstand ein verhältnissmässig kleiner, die Schrumpfung der
Linse folgerecht eine sehr auffällige zu sein.
Am wenigsten hervorstechend sind die secundären Veränderungen
begreiflicher Weise bei „überreifen"' gemischten Staaren, besonders wenn der
sclerosirte Kern einen grossen Umfang hat, die Rindenschichten demnach an
Masse sehr zurückstehen. Es flacht sich dann die Linse nur etwas ab und
die durch neugebildete glashäutige Schichten verdickte, durch aufgelagerte
Staarmassen getrübte Kapsel schliesst sich dem Kerne mehr an, wird nur
durch ein verhältnissmässig dünnes Stratum fettigsandigen Breies, in welchem
gewöhnlich der Kalk, selten das Fett vorherrscht, von dem sclerosirten Kerne
getrennt.
Bisweilen ist dieser Rückstand so gering, dass er nicht mehr eine continuirliche
Schichte, sondern Haufen, Streifen u. s. w. bildet, zwischen denen der Kern fast
unmittelbar der Kapsel anliegt. Deren beide Hälften treten dann am Rande des
Scleroms so nahe an einander, dass der Staar Aehnlichkeit mit einem geflügelten
Samen gewinnt.
Weiche Staare schrumpfen in Folge der secundären Metamorphose
immer sehr bedeutend, so dass sie am Ende mehr Scheiben mit unregel-
mässig runzeliger Oberfläche ähnlich werden, deren Dicke häufig unter
7-2 — -'/s Linie sinkt. Es sind diese scheibenförmigen Cataracten gewöhnlich
Scheibenförmiger, 1 rockonhulsigor, Mik'hslaar. (37 1
ganz üacli nach Art einer Sclicidowaivd in der Li(!]ifun<;' dos Stralilon-
körpcrs ausgebreitet. Nicht selten ersclieinen sie aucli kuppelig nadi vorne
gebaucht; die vordere Kapsclhälfte hat nur wenig an ihrer noi'malen Con-
vexität eingebüsst und demnacli ihr Lageverhältniss zur Ebene der PujJÜle
nicht sehr verändert ; die hintere Kapselhälfte liingegen hat bei der all-
mäligen Massenverminderung des Staarmagma ihre Wölbung verkehrt^ sie
hat sicli in die Concavität der vorderen Kapsel hineingestülpt , indem die
vordere Wand des Glaskörpers in Folge einer Vermehrung der Vitrina in
entsprechendem Masse nach vorne getreten ist (Fig. 17, 8. 144).
Man erkennt an solchen Cataracten schon mit freiein Auge sehr gut die
beiden, durch neugehildete glashäutige Schichten und durcli Außagermiy secundär
metamorphosirter Linsensubstanz verdickten und getrübten Kapselh'älften. Die
Staamiasse selbst ist gewöhnlieJi ein fettig kalkiger Brei mit oder ohne grössere
Concretionen, in welchem stellenweise bald das Cholestearin, bald der Kalk her-
vorsticht und welcher, indem er sich hier und da etwas mehr anhäuft, manchmal
buckeiförmige Hervorragungen an der Oberfläche der Cataracta veranlasst. Oft
jedoch findet man bei scheibenförmigen Staaren auch als Hauptbestandtheil eine
halbdurchscheinende, ins Gelbliche oder Bräunliche spielende, trockene und brüchige
(myeline ?) Substanz, welche macht, dass diese Cataracten bei operativen Eingriften
gerne in eine Unzahl von Trümmern zersplittern und sich nur schwer oder gar nicht
aus dem Bulbus entfernen lassen.
Mitunter verflüssigen weiche Totalstaare, lösen sich in ein kalk-
milchähnliches Fluidum auf, in welchem zahlreiche, höchst feine Kalk-
körncheu nebst Fett suspendirt sind und sich zum Theile auch in Gestalt
zarter Punkte oder einer überaus dünnen florähnlichen Schichte an der
Innenwand der Kapsel niedergeschlagen haben. Man nennt diesen Zu-
stand Cataracta lactea, Milchstaar, auch Phakohydropsie. Früher scheint
er auch unter dem Namen Cataracta cystica beschi'ieben worden zu
sein (Hasner).
Häufig werden derartige flüssige »Staare, sowie überhaupt die sehr
weichen Cataracten des kindlichen Alters, im weiteren Verlaufe der secundären
Metamorphosen bis auf sehr geringe fettigkalkige Reste aufgesaugt, so dass
die beiden Kapselhälften in ihrer grössten Ausdehnung nahezu unmittelbar
mit einander in Berührung kommen. Die Cataracta präsentirt sich dann
unter der Form einer derben zähen, mehr weniger trüben Haut, welche
flach oder mit nach vorne springender Wölbung hinter der Pupille aus-
gespannt ist. Sie besteht aus den beiden Kapselhälften, zwischen denen
sich regressive Staamiasse in einer dünnen, durch klumpige Anhäufungen
ungleichmässigen Schichte eingeschlossen findet. Man hat diese Staare in
Anbetracht ihrer Aehnlichkeit mit vertrockneten Samenschoten Cataractae
siliquatae, trockenhülsige Staare, genannt und durch das Beiwort ,,häutig'^
oder „membranös^^ von den vorerwähnten scheibenförmigen Staaren unter-
schieden.
Es liegt auf der Hand , dass die drei geschilderten Formen nur die Haript-
repr'dsentanten einer Reihe von verschieden zusammengesetzten Staaren darstellen,
welche letztere gleichsam als Uehergäiige von einer zur anderen Art aufgefasst
werden müssen. So gibt es scheibenartige Staare, welche einen kleinen sclerosirten
Kern enthalten, meinbranöse trockenhülsige Staare, bei welchen sich stellenweise
die Staarmasse so häuft, dass sie sich unmittelbar den scheihenßjrmigen Staaren
anschliessen u. s. w.
Uebrigens setzt das Zustandekommen der fraglichen Staarformen auch noch
voraus, dass die Zomda ringsum ihre volle Integrität bewahrt hat. Ist diese schon
vor dem Beginne des cataractösen Processes oder während, den secnndüren Metamor-
672 Cataracta; Nosologie; Eegress. Metamorph. ; Cat. cholestearin, calcar, flbrosa.
phosen in grösserer Ausdehnung zerrissen, so erfolgt die Schrumpfung des Staares
nicht mehr ausschliesslich in der Richtung von vorne nach h'mteyi, sondern auch
von einer Seite zur anderen und die äussere Gestalt des Staares wird demnach sehr
wesentlich modificirt, mehr weniger unregelmässig.
h. Haben auf die Entwickelung und auf die secundären Metamorphosen
des Staares heftige Entzündungen Einfluss genommen, so lässt sich zwar con-
stant eine Volumsverminderung des Krystalles und eine entsprechende Fal-
tung der Kapsel nachweisen, doch ist die Grössenabnahme wegen der
reichlichen Zufuhr von festen Bestandtheilen niemals so bedeutend, wie in
den unter a. geschilderten Cataractformen. Gewöhnüch platten sich die
beiden Oberflächen des Staares einfach ab, während der äquatoriale Durch-
messer sich etwas verkürzt, ohne dass jedoch die Linsenform gänzlich ver-
loren ginge.
Seltener werden die beiden Convexitäten des Krystalles unter Verkürzung
des Gleichers und unter entsprechender Dehnung der Zouula verstärkt, während
der Linsenrand sich abrundet; der Staar bekömmt eine mehr kugelälinliche Gestalt.
Ist jedoch die Zonula geborsten, so schrumpft der Staar meistens zu einem ganz
unregelmässigen Klumpen.
Auch in diesen Fällen pflegt die Hauptmasse der Cataracta von Fett
und Kalk dargestellt zu werden. Ausnahmsweise wiegt der Fettgehalt vor,
die Cholestearinkrystalle häufen sich besonders an der Oberfläche und
treten wohl gar zu einer continuirlichen Schichte zusammen, welche mit
eigenthümlichem perlmutter- oder silberähnlichem Glänze durch die ver-
dickte und getrübte Kapsel durchschimmert {Cataracta argentea seu ehole-
stearinica). In der Regel sind Kalksalze das bei weitem Vorherrschende.
Sie formiren sehr häufig schalenartige Concremente, welche bald der vorderen,
bald der hinteren, gewöhnlich aber beiden Kapselhälften von innen her anla-
gern. Die Schalen fliessen in letzterem Falle gewöhnlich am Rande der Linse
zusammen und bilden solchermassen eine Art von Gehäuse , welches eine
mehr minder grosse, unregelmässig geformte Höhlung umschliesst, die ent-
weder blos von fettig kalkigem Brei mit oder ohne grössere Concremente,
oder von einem verkalkten, oder von einem sclerosirten Kerne, ausgefüllt
wird {Kalkstaar, Cataracta calcarea). IVlitunter bleibt es jedoch auch bei
einer einfachen Verdickung und Trübung der Kapsel, es kömmt zu keinen
förmlichen Schalen, höchstens zur Bildung kleiner kalkiger Schuppen,
welche der Kapsel theilweise anhaften. Man findet dann die Kapsel-
höhle ausgefüllt von einem trockenen, fettig sandigen Brei , welcher
entweder einen Kernstaar, oder eine Anzahl kleinerer und grösserer Con-
cremente, oder ein einzelnes umfangreiches Concrement in sich scliliesst
(fettigkalkige Staare) .
Manchmal entwickelt sich unter solchen Umständen an der Innen-
wand der Kapsel ein dickes Lager von bindegewebigem derben festen Gefüge
mit schön wellig lockiger Faserung und zelligen Gebilden, welche den
Bindegewebskörpern ähnlich sind. Es kann unter dem Einflüsse des
wuchernden Zellenstratums sogar die ganze Masse des Staares in der pro-
gressiven Richtung umgewandelt werden. Die immer sehr abgeflachte Cataracta
hat dann ganz das Aussehen, als wäre sie aus gekochtem Eiweisse oder
Knorpel gebildet (Cataracta fibrosa). Meistens jedoch stellt das bindegewebige
Gefüge nur eine Art geschlossener Kapsel dar, deren Höhlung gewöhnlich
fettigkalkigen Staarbrei mit mehreren grösseren steinartigen Concrementen
oder einen sclerosirten Kern enthält {Cataracta fibrosocalcarea).
Cataracta pntrida, ossea, capsularis centralis, pyramidalis. 673
In höchst seltenen Fällen hat man in der Höhlung eine ölartige Flüssigkeit
von penetrantem ranzigen Gerüche gefunden (Cataracta cum buvsa ichorem tenente,
Cataracta putrida, A. Schmidt, Beer, Himly).
Im weiteren Verlaufe, namentlich, wenn sich massigere Knochenstrata
an der Oberfläche der Chorioidea und in dem sehnig entarteten Glaskörper
(S. 335) gebildet haben, verknöchert wohl auch die fibröse Staarmasse
(Cataracta ossea).
Es erscheinen dann in der wellig gestreiften Grundlage neben einer Unzahl
von Kalkkörnern eine Menge von theils verkümmerten, theils vollkommen ausge-
bildeten KnochenJcörperclien mit den eigenthümlichen strahligen Ausläufern. Merk-
würdiger Weise beginnt die Verknöcherung nicht an der äussersten Peripherie;
die der Kapsel zunächst anliegenden Schichten des sehnigen Gefüges bewahren
ihren ursprünglichen Charakter, so dass das Knochengehäuse durch eine hinde-
geivehige Schale von der Kapsel getrennt bleibt. Nur wo die äussere Fläche der
Kapsel direct an ein neugebildetes Knochenstück anstösst, reicht öfters die osteoide
Staarmasse an sie heran uiid verschviikt mit letzterem, indem das zwischenliegende
Kapselstück untergeht. Den thatsächlichen Beobachtungen gegenüber fallen die
Bedenken, welche man betreffs der Möglichkeit einer Ossification der Linse erhoben
hat (Virchow, Pagenstecher), nicht allzuschwer ins Gewicht (R. Wagner).
5. Nicht immer wird die ganze Linse in den Staarprocess hinein-
gezogen ; ziemlich häufig beschränJd sich derselbe vielmehr auf einzelne
Theile des Krystalles, diese zerfallen und gehen durch die secundäre Meta-
morphose des Magma ständige Formen ein, während der Rest der Linse
normal fortvegetirt, seine Durchsichtigkeit bewahrt , oder wenigstens erst
nach langen Jahren in den Process mitverwickelt wii'd. Man nennt
solche Cataracten partielle Staare, und unterscheidet nach dem Sitze, nach
der Form und der Grösse des entarteten Linsentheiles mehrere Arten.
a. Eine sehr charakteristische Art ist der sogenannte Centralkapsel-
staar. Er kömmt bisweilen angehören vor und mag dann öfters seinen
Ilrsprung aus dem trichterförmigen Fortsatze des in der Abschnürung
begriffenen fötalen Linsensackes herleiten lassen, indem man annimmt, dass
jener Fortsatz noch vor Beendigung der Abschnürung zu einem anomalen
Gewebe consolidirt. In der Eegel jedoch entwickelt sich der Central-
kapselstaar erst nach der Geburt , wenn in Folge eines Cornealdurch-
bruches (S. 95, Piringer, Arlt) oder einer Iritis (S. 287, Hasner) Exsudat-
klümpchen auf feinem im Bereiche der Pupille gelegenen Theile der Vorder-
kapsel haften geblieben und daselbst ständig geworden sind. Die hinter
der Auflagerung befindliche Portion des Zellenstratums und der oberfläch-
lichen Linsenschichten wird dann auf dem Wege der reinen Atrophie oder
einer wahren Gewebswucherung in entsprechendem oder grösserem Umfange
staarig getrübt und unter merklicher Schrumpfung durch secundäre Meta-
morphosen in ein kuorpel- oder kreideähnliches, mohn- bis hirsekorngrosses
Knötchen umgewandelt, welches der Innenwand der Vorderkapsel sehr fest
anhaftet und gleichsam in einer Lücke der Krystalloberfläche einge-
bettet lagert.
0 öfters werden unter solchen Verhältnissen anstatt eines rundlichen
Knötchens förmliche Zapfen von unregelmässig walziger Gestalt gebildet,
deren hinteres, meistens etwas kolbiges Ende mehr weniger tief, bisweilen
bis über die äquatoriale Ebene, in die durchsichtige Linse hineini'agt.
Das vordere Ende erhebt sich gewöhnlich über die vordere Krystallwölbung
und staut so die Vorderkapsel, mit der es fast untrennbar verwachsen ist,
hügelartig empor. In Folge dessen und des Umstandes, dass die übrigens
stellwag, ÄngenheiLkundö. 43
674 Cataracta; Nosologie: Partielle Staare: Pyramidenstaar ; Schichtstaar.
durchsichtige Linse sehr oft ganz bedeutend an Umfang abgenommen hat,
zeigt sich die Vorderkapsel in der Umgebung des Zapfens gewöhnlich in
schmale, meistens radiäre Falten gelegt. Man nennt diese Abart des Central-
kapselstaares Pyramidenstaar, Cataracta pyramidalis oder pyramidata.
Bei der Untersuchung eines solchen, leider von der Kapsel abgelösten
Zapfens hat man gefunden, dass derselbe an seiner Vorderfläche eines Kapselüber-
zuges entbehrte und völlig aus parallel über einander geschichteten Platten neo-
plastischer trüber Linsensvbstanz zusammengesetzt war. Es hatte ganz den Anschein,
als wäre der Zapfen durch ein Loch in der Kapsel aus der Linsensubstanz hervor-
gewachsen (Singer, Wedlj. Es ist dies wahrscheinlich ein Ausnahmsfall und der
Zapfen vielleicht ein Ueberbleibsel des fötalen Linsensackhalses. Es schlösse sich
dann dieser Fall an gewisse andere an, in welchen die Pyramide weit über die
vordere Fläche der Kapsel in die Kammer hineinragte oder wohl gar noch mit
der Hornhaut in Verbindung stand (Steffan), und bei welchen die Zurückführung
auf jene Hemmungsbildung vor der Hand nicht gut abzuweisen ist. In der Regel
jedoch sitzt der Zapfen auf der Hintericaiid der Vorderkapsel und besteht, wie er-
wähnt wurde, aus regressiven Producten entzündlicher Wucherungen und des ein-
fachen Staarbildungsprocesses, was auch die meistens nebenhergehende Voluvwab-
nahme und Gestaltveränderung des Linsenkörpers als Ganzen erklärt.
Erwähnenswerth sind der ganz abweichenden pathogenetischen Verhältnisse
wegen Fälle, in welchen bei völliger Durchsichtigkeit der hinteren Linsenhälfte die
vordere Hälfte fast gänzlich untergegangen war, so dass mir eine Anzahl von scharf
begrenzten kalkähnlichen Knötchen erübrigte, welche, eingebettet in äie pellucide
Linseumasse, der stark abgeflachten Vorderkapsel anhingen und, so weit sie im
Bereiche der Papille lagen, ganz den Eindruck von Centralkapselstaareu machten.
In ähnlicher Weise erklärt sich vielleicht der neiierlich beobachtete Fall eines
doppelten Pijramidenstaares (Manthner).
b. Häufig stösst man bei jugendlichen Individuen auf Linsen, in
welchen sich eine einzelne tief liegende Schichte in beiden, oder sehr aus-
nahmsweise blos in der vorderen oder hinteren Hälfte (HedäusJ, getrübt hat
und vielleicht schon secundäre Metamorphosen eingegangen ist. während
der Rest des Krystalles seine Durchsichtigkeit behauptet, oder doch erst nach
einer langen Reihe von Jahren in den Process verwickelt wird. Bisweilen
findet man in übrigens pelluciden Linsen wohl auch zwei oder drei ver-
schiedene und von einander getrennte tiefe Faserlagen staarig entartet
(Ed. Jaeger , D. E. Müller, Graefe). Man hat solche partielle Cataracten
Schichtstaare, auch pvrinucleare Staare genannt. Sie kommen fast immer
in beiden Augen zugleich vor, selten in einem Auge allein, und zwar sind
gewöhnlich gleichwerthige Schichten in dem einen uud dem anderen Krystalle
in analoger Weise alterirt (Ed. Jaeger, Graefe).
In der Mehrzahl der Fälle ist die Trübung ihrer ganzen Ausdehnung
nach eine fast gleichmässige, höchstens kann man unter günstiger Beleuch-
tung noch die radiäre Anordnung der Fasern au einer zarten Streifung
erkennen. Das cataractöse Stratum liebt sich mit vollkommen scharfer
Grenze einerseits von den überlagernden oberflächlichen, pellucid gebliebenen
Schichten, anderseits von dem durchsichtigen und meistens ins Weingelbe
verfärbten Kerne ab. In anderen Fällen zeigen blos die dem Aequator
nahen, allenfalls auch polare Theile, den staangen Zerfall. Der Rand des
durchsichtigen Kernes erscheint dann sowohl nach vorne als nach hinten
o^
von einer ti'üben Zone umgürtet, welche beiderseits gegen den Pol
der Schichte hin in Zacken ausläuft, seltener mit wolkig verschwommener
oder feinstreifiger Grenze endet. Es unterliegt kaum einem Zweifel,
dass die letztere Form einen unvollständig entvrickelten Schichtstaar reprä-
sentirt uud dass in der Regel vorerst die gesammte Schichte cataraetös zer-
Axen- und Spindelstaar; Kranklieitsbild. 675
fällt, ehe die secundären Metamorphosen in hervorstechender Weise Platz
greifen.
Ist dieses aber einmal geschehen, so ändert eich wesentlich das ana-
tomische Bild. Indem die löslichen Bestandtheile resorbirt werden, der fettig-
kalkige Bückstand aber sich verdichtet und gleichsam zusammenzieht,
wird die früher mehr gleichnässige Trübung lückenhaft, die Staarschichte
zerklüftet. Constant flacht sich hierbei die Linse als Ganzes beträchtlich ab.
Ausserdem pflegt sich aber auch der äquatoriale Durchmesser unter ent-
spi'echender Dehnung der Zonula zu verkürzen, so daes der Abstand des
Linsenrandes von den Köpfen der Ciliarfortsätze merklich zunimmt.
Ausnahmsweise kommen Fälle vor, in welchen von dem cataractösen Stra-
tum aus die structurlose Axensuhstanz des Kernes staarig zerfällt und so gleichsam
einen trüben Zapfen darstellt, welcher durch die Dicke des Kernes hindurch von
einer Schichthällte zur anderen reicht (Amvion, Pilz, D. E. Müller, 0. Becker). Mau
hat sie Spindel- oder Axenstaare genannt. Häufiger zerfällt der ganze Keim und
wird am Ende bis auf einige fettigkalkige Klümpchen resorbirt, welche in der
Mitte der verflachten Linse zurückbleiben.
c. Manchmal wird bei jugendlichen Individuen auch ein grösserer Theil
der Linse staarig zersetzt und secundär metamorphosirt, während der Rest
seine Durchsichtigkeit bewahrt. Besonders oft geht die ganze vordere Hälfte
der Linse bis auf ein dünnes Stratum fettigkalkiger Masse unter, ohne dass
die hintere Hälfte des Krystalles an dem Processe Theil nimmt. Der Staar
macht dann, von vorne gesehen, ganz den Eindruck einer Cataracta siliquata
und erst bei näherer Untersuchung findet man das mächtige Stratum von
durchsichtiger, meistens aber ins Weingelbe verfärbter und sulzähnlicher
Linsensubstanz, welches der trüben runzeligen und ganz verflachten Yorder-
kapsel anhaftet und diese so von der Hinterkapsel trennt. In ähnlicher
Weise kann auch die hintere Hälfte des Krystalles bei scheinbar normalem
Fortbeslande der vorderen staarig zerfallen.
Nicht minder geschieht es bisweilen, dass eine seitliche Hälfte der Linse
staarig entartet und unter secundärer Wandlung des Magma auf ein Kleines zu-
sammenschrumpft, während die andere seitliche Hälfte ihre Integrität bewahrt. Die
Linse bekömmt dann gewöhnlich die Form einer Niere. An der Hilusseite erscheint
die stark gerunzelte Kapsel von fettigkalkigen Staarresten getrübt. Die Zomda ist
daselbst entsprechend der Einsenkung des Hilus bedeutend verbreitert und meistens
auch von Auflagerungen sehnenartig trüb.
Selten werden ganz unregehnässige Stücke aus der Dicke der Linse in den
Process verwickelt und unter theilweiser Resorption in fettigkalkige oder sehnen-
ähnliche Massen verwandelt, welche in der abgeflachten und auch diametral ver-
kleinerten, übrigens aber pelluciden Linse eingeschaltet erscheinen (Oraefe, 0.
Becker). Die hinteren Kapsehfaare (S. 670) gehören im wesentlichen hierher.
Krankheitsbild. CJiarakteristisch ist eine Trübung, welche sich in geringer
Entfernung hinter oder in der Pupille bemerklich macht und das Sehvermögen
je nach ihrem Dichtigkeitsgrade und ihrer Ausbreitung mehr oder minder beein-
trächtigt.
Ä. In der Trübung spiegeln sich die mannigfaltigen Veränderungen,
welche die staarigen Linsenelemente erleiden, durch eigenthümliche Töne der
Farbe, des Glanzes, durch wechselnde Grade der Diaphanität u. s. w. ziem-
lich deutlieh ab, so dass man aus der Art der Trübung meistens die specielle
anatomische Form einer gegebenen Cataracta mit einiger Sicherheit zu er-
kennen vermag.
43*
ß76 Cataracta; Krankheitsbild; Kernstaar; Gemischter Staar.
1. a. Der Kernstaar beurkundet sich durch eine diffuse Trübung
welche, der vorderen Kei'noberfläche folgend, sich mit einer mehr oder
weniger starken Wölbung hinter der Pupille ausbreitet. Es ist die
Trübung im Centrum am dichtesten und verwäscht sich gegen den Kern-
rand hin, da dieser vermöge seiner geringen Dicke viel von dem auf-
fallenden Lichte durchlässt. Die Farbe der Trübung ist gewöhnlich grau-
gelb oder schmutzig bräuulichgrau ; mitunter spielt sie ins Rothbraune oder
Grüne ; selten erscheint sie bronzeartig, dunkelbraun oder gar schwärzlich.
Der Abstand der Trübung von der Pupillarebene ist immer ein merklicher
und im iUlgemeinen um so grösserer, je mächtiger das pellucid gebliebene
Rindenstratum, je kleiner also der sclerosirte Kern ist. Dieser Abstand
macht, dass man zwischen die Trübung und den Pupillarrand hineinsehen
und bei guter Beleuchtung den Schlagschatten der Iris als eine dunkle
Sichel wahrnehmen kann.
Mittelst eines lichtschwachen Augenspiegels zeigt sich der Kernstaar als eine
rvindliche dunkle Wolke mit verschwommenen Rändern ; bei starker Erlejichtung
schlägt das Roth des Augengrundes durch , doch lassen sich dessen Einzelnheiten
nicht mehr erkennen , der Augengrund erscheint in einen Nebel gehüllt, welcher
sich in der Mitte des Gesichtsfeldes öfters zu einer dunkleren Wolke concentrirt.
Am deutlichsten tritt die Farbe, die Convexität, die Begrenzung, die relative
Stellung zum Pupillarrande etc. bei weiter Piqnlle und schiefer Focalheleuchtiing
heraus. Mit Leichtigkeit erkennt man bei Anwendung dieses Mittels den Rand
des Scleromes und kann dessen Abstand von den Köpfen der Ciliarfortsätze , also
auch den Umfang des Staares, schätzen. Meistens macht sich dann am Rande
auch ein Linsengreisenhogen (S. 663) geltend.
b. Findet man mittelst der schiefen Focalbeleuchtung schon die
ausser sie Peri2)herie der Linse wolkig oder streifig, ist zwischen der Trübung
und den Köpfen der Ciliarfortsätze der Abstand fast auf Null reducirt, so
liegt nicht mehr ein reiner Kernstaar vor, sondern es leiden bereits die
Rindenschichten, die Cataracta ist eine gemis'chte. Bei deren weiteren Aus-
bildung rückt die Trübung von dem Rande immer weiter gegen den Pol
der oberflächlichen Strata vor, bis endlich diese ihrem ganzen Umfange nach
getrübt erscheinen.
So lange die Elemente ihre ursprüngliche Form nicht ganz aufgegeben
haben, bleibt die Corticalsubstanz durchscheinend, bläulichweiss. Schon mit
freiem Auge, noch besser aber mittelst schiefer Focalbeleuchtung, erkennt
man dann in der diffusen Trübung eine dem Faserzuge entsprechende
radiäre Streifung oder eine Unzahl von Punkten und wolkig verschwommenen
Flecken.
Sind die Streifen, welche sich übrigens gerne zu triangulären zackenahn-
lichen Figuren vereinigen, sehr schmal, linienförmig, gleichviel ob hellvveiss und
opak, oder diaplian und bläulich: so kann man mit Wahrscheinlichkeit annehmen,
dass die Rindenschiclden eine der Norm naliekommende Consistenz bev>ahrt haben.
Aehnliches gilt auch, wenn bei Ahlrandensein solcher Streifen die Trübung ivenig
satnrirt ist und die Punkte und Flecke sich nur wenig herausheben. Breite hl'äu-
lichgrave iinter der Kapsel etwas schillernde Streifen , welche nicht vollkommen
undurchsichtig sind und zwischen sich durchscheinende Sectoren oder mit groben
graulichen Flecken besprengte Linsenpartien lassen, so wie anderseits eine ziem-
lich stark saturirte Trübung nüt dichteren Punkten und Flecken, werden hingegen
als Wahrzeichen einer mehr sulz- oder stärkekleisterähnlichen Consistenz der Cor-
ticalstrata aufgefasst (Graefe).
Wird die Trübung dichter und dichter, verschwimmen die Zeichnungen
immer mehr, so dass die Cataracta am Ende dem freien Auge fast gleich-
Cataracta corticalis, regressiva. 677
massig hellweiss oder gelblichweiss und opak erscheint, reicht übi'igens diese
Trübung bis unmittelbar an den Pupillarrand heran, so dass der Schlag-
schatten der Iris vollkommen verschwindet: so kann man mit grösster
Wahrscheinlichkeit einen völligen Zerfall der Corticalschichten in breiiges
oder flüssiges Magma diagnosticiren. Der Kern hat dann meistens seinen
Einfluss auf die Färbung des Staares grössten Theils verloren ; es bedarf
der schiefen Focalbcleuchtung und eines sehr kleinen Einfallswinkels,
auf dass das concentrirte Licht den Kern schwach durchschimmern lassen
könne.
lu einzehien Fällen, wo die Rindenscliicliten sehr rasch zerfallen, scheint
auch eine Art Avfhlühvng, eine Massenzunahme in Folge reichlicher Zufuhr von
aussen her, Platz zu greifen. Man schliesst dieses aus dem Umstände, dass unter
solchen Verliältuissen die vordere Linsenconvexität ungewöhnlich stark hervortritt,
die Iris e'leiclisam vor sich her treibt und die Kanuner merklich veren<>-ert.
c. Beginnen secnndäre Metamorphosen in der cataractösen Binde, so
zeigen sich alsbald an der Oberfläche des Staares die der inneren Kapsel-
wand anhaftenden Producte. Es erscheinen zerstreute hellweisse, völlig opake,
kreideähnliche Punkte von wechselnder Grösse, welche sich weiterhin mehr
und mehr häufen, zu Kliimpchen, Streifen u. s. w. zusammenfliessen und
der Cataracta ein getüpfeltes, marmorirtes, netzartiges, streifiges oder
fleckiges Aussehen geben. Zwischendurch glitzern nicht selten in grösserer
oder geringerer Menge Haufen von Cholestearinkry stallen. Häufig findet
man ausserdem, namentlich im Pupillarb ezirke, sehnenähnliche gi-aue oder
gelblichgraue mattglänzende, leicht durchscheinende Streifen und Flecke
von ganz irregulärer Gestalt mit scharfen zerfransten oder wolkigen Grenzen.
Es stechen diese Producte, besonders bei schiefer Focalbeleuchtung, an der
Oberfläche des Staares um so deutlicher aus ihrer Umgebung heraus, als
ihre Bildung mit einer sehr bedeutenden Massenabnahme der Corticalschich-
ten und daher mit der Wiederkehr der Transparenz des Staares verbunden
zu sein pflegt.
In der That kann man bei weiter vor geschrittener secundärer Metamorphose
den Kern oftmals sehr dentlh-h wahrnehmen, oder dadurch zur Beobachtung bringen,
dass man den Kopf des Kranken eine Weile nach vorne beugen lässt. Man findet
ihn dann nicht immer gerade in der Mitte; bei grösserer Weichheit der Rinde
senkt er sich vielmehr öfters merklich nach abwärts. In einzelnen Fällen ist die
Resorption der Corticalschichten wohl auch eine so vollständige, dass der sclero-
sirte Kern nur von einem ganz dünnen, mit Kalkpunkten und Cholestearinhäufchen
bestreuten Schleier gedeckt erscheint.
Die Volumsverminderung des Krystalles beurkundet sich übrigens auch
noch durch das Zurücktreten der leicht gerunzelten Staaroberfläche hinter
die Ebene der Pupille und, was unmittelbar damit zusammenhängt, durch
das Wiederkehren eines Schlagschattens. Indem die Regenbogenhaut durch
die Abflachung des Staares ihrer natürlichen Stütze beraubt wird, kömmt
dann weiters auch noch das höchst charakteristische Schlottern derselben
(IridodonesisJ zum Vorscheine, besonders deutlich, wenn das Auge rasche
Seitenhewegungen macht.
d. Wenn heftige Entzündungen auf den Process Einfluss genommen haben,
so finden sich oft schon an der Aussenwand der Vorderkapsel mächtige
Lager von Neubildungen (S. 287, b), welche den Staar vollkommen ver-
decken. Zum mindesten erscheint die Kapsel mit dem Pupillarrande in
grossem Umfange verwachsen, so dass nur der mittlere Theil der Staar-
ß78 Cataracta; Krankheitsbild: Weicher Kernstaar; Corticalstaar.
Oberfläche zur Wahrnehmung gebracht werden kann. Dieser zeigt sich
dann gewöhnlich ganz gleichmässig kreideweiss, völlig opak und matt
glänzend, er macht ganz den Eindruck eines soliden kalkigen Concrementes
mit glasigem üeberzuge. Seltener ähnelt er mehr sehnigem Gefüge mit
oder ohne kalkige Einlagerungen. Ausnahmsweise schimmert seine Ober-
fläche wohl auch nach Art eines Perlmutterknopfes wegen Vorwiegen des
Cholestearins.
2. Das Bild des weichen Staares wechselt je nach dem Gange und
den Stadien des Processes wo möglich noch mehr.
a. Beginnt die cataractöse Zersetzung im Kerne, so tindet man in einiger
Entfernung hinter der Pupille eine nach vorne convexe, diffuse oder
fleckige, selten gestreifte Trübung von loeisshläulicher Farbe. Im Centrum
des „weichen Kernstaares'' ist die Trübung am dichtesten, gegen die Peripherie
hin nimmt jedoch die Diaphanität und demnach auch der bläuliche Ton zu.
Nirgends ist die Grenze eine ganz scharfe ; sowohl an der convexen Fläche
als an dem Rande löst sich die Trübung in einen zarten, wolkig flockigen
Flaum auf. In dem Masse, als der Process weiter schreitet, verdichtet sich
die Trübung mehr und mehr, sie wird hellweiss oder weissgelb und fast
opak, während ihre wolkige bläuliche Grenze immer näher an die Kapsel
rückt und den Sehlagschatten der Iris verschmälert. Gewöhnlich fangen
dann auch bald die Rindenschichten an, vom Gleicher aus zu zerfallen, der
Kern wird allmälig von oberflächlichen, diff'usen oder breitstreifigen Trübungen
gedeckt, welche von dem äussersten Linsenrande gegen die Pole hin sich
ausbreiten, es liegt ein weicher Totalstaar vor.
b. Beginnt der weiche Staar aber als eine Cor licaleatar acta, so zeigl
sich in der Regel vorerst an der Peripherie der Krystalloberfläche eine
bläulichweisse, leicht schillernde und oft noch unterbrochene Zone, zu deren
Wahrnehmung natürlich eine starke Erweiterung der Pupille erforderlich
ist. Es erscheint diese Zone öfters ganz diffus oder wolkig. Häufiger in-
dessen läuft sie sowohl an der vorderen als an der hinteren Fläche der
Linse in jene bläulichen schillernden Zacken aus, welche sich allmälig ver-
breitern und in meridionaler Richtung auch verlängern, so dass sie endlich
in der Ebene der Pupille erscheinen. Mitunter bleiben die verbreiterten
Enden der Fasern durchsichtig und es wird die sternförmige Structur der
oberflächlichen Linsenschichten, wenigstens theilweise, deutlich sichtbar.
Gewöhnlich aber werden auch die zivisehen den Zacken gelegenen Theile
der Rinde wolkig getrübt und streckenweise verschwimmen ausserdem die
Zacken in unregelmässigen Wolken und Flecken. Am Ende verliert die
ganze Linsenoberfläche ihre Durchsichtigkeit. So lange der Kern seine Pellu-
cidität bewahrt, erscheint dann die Trübung in der Mitte des Krystalles
am wenigsten dicht, bläulich; an dem Rande jedoch hellweiss oder weiss-
gelb und fast opak.
In einzelnen Fällen bleibt der Gleicher der Rindenschichten längere Zeit
durchsichtig, man findet an der vorderen, häufiger an der hinteren oder an beiden
Hälften der Corticahtrata einzelne Flecke, Punkte oder radiäre Streifen, welche
allmälig an Zahl und Umfang zunehmen und später sowohl an den Polen, als
besonders an dem Rande der Linse zusammenfliessen.
In seltenen Ausnahmsfällen beginnt die Trübung der Corticalschichten von
der Mitte aus, es werden einzelne oder alle Strahlen der sternförmigen Figur bläu-
lichweiss und heben sich daher von der noch durchsichtigen Umgebung deutlich
ab. Bisweilen setzt sich dann der Process vorerst auf die tieferen Lagen der Stern-
Weicher Totalstaar; Cataracta lactea. vegressiva. 679
ßyur fort, so dass es den Aiisclieiii j^ewinnt, als wäre die Linse diircli triihc Blätter,
welclie fregeii die Axe hin zusammenlaufen nnd senkrecht zur Oberfläche stehen,
in eine Anzahl von Sectoren {gespalten (Cataracta stellata). Erst später greift der
Process auf die o/jerßüch/ichen Faserioirtel und den Kern über.
c. Im weichen Totalstaare combiniveii sich die ErRcheinungen des Cortieal-
slaares mit dcuen des weichen Kernstaares. Die Trübung ist im Centrum
am dichtesten, an der Peripherie meliv bliiulicli diaphan. Sie reicht einer-
seits bis 7.\\ den Köpfen der Ciliai'fortsätzc, andererseits bis in die Ebene
der Pupille, ja bisweilen gipfelt sie sogar merkbar über der letzteren.
Von einem reinen Schlagschatten der Iris kann darum keine Rede sein.
Bei rasch entwickelten derartigen Cataracten macht sich wohl auch
eine Art Blähimg, eine Umfangsvermehrung, geltend und kömmt in
starker Vorivölbung der Iris und daheriger Verengerung der Kammer zum
.Vusdrucke.
Oft bewahrt der weiclie Totalstaar einen gewissen Grad von Durch-
scheinbarkeit bis in das Stadium der secundären Metamorphosen oder gar
über diese hinaus und man kann mittelst schiefer Focalbeleuclitung noch
ziemlich deutlich die Faserwirtel unter der Gestalt radiärer Streifen erkennen.
Es sind dieses jene Fälle, in welchen die Linsenelemente ihrer Form nach
nicht ganz untergehen, die staai'igen Schichten vielmehr eine der Norm nahe-
stehende Consistenz behalten, oder sich bei Opex'atiojien unter der Gestalt
einer stärkekleisterähnlichen Sülze präsentiren.
Geht aber die Zersetzung, wenigstens in den Rindenschichten, weiter,
löst sich die Linsensubstanz in formlosen Brei oder in eine tropfbare Flüssig-
keit auf, so verschwimmen allmälig jene verschiedenen Farbentöne und
Zeichnungen, höchstens erkennt maii mittelst der schiefen Focalbeleuchtung
dichtere weisse Punkte und kleine Flocken, dem freien Auge erscheint die
Trübung fast gleichmässig hellweiss oder gelblichweiss. Die Nuance dieser
Farbe hängt hauptsächlich von der grösseren oder geringeren Dichtigkeit
des Magmas und von dessen wechselndem Fettgehalte ab.
Ausserdem hat noch der Umstand einen Einfluss, dass bei Ruhe des Auges
die dichteren, in der Flüssigkeit suspendirten Flocken sich bisweilen senkest, daher
dann der untere Theil des Staares fast ganz opak und hellweissgelb , der obere
aber molkenähnlich, bläulichweiss und diaphan ei-scVieint. Die etwaige Anwesenheit
eines noch unzersefzten pelluciden, oder bereits getrübten, oder gar sclerosirten
Kernes verräth sich dann gewöhnlich durch keinerlei äussere Merkmale, sie kann
nur mit einiger Wahrscheinlichkeit aus dem Alter des Individuums errathen, keines-
wegs aber mit Sicherheit diagnosticirt werden, da auch jenseits der Pubertätsperiode
ganz flüssige Staare vorkommen.
d. Der Eintritt secundärer Metamorphosen macht sich bei der weichen
Totalcataracta durch analoge Erscheinungen, wie bei dem gemischten Staare
bemerkbar. Von grösster Wichtigkeit sind hierbei jene mannigfaltigen Zeich-
nungen, welche die fettigkalkigen oder sehnenähnlichen Producte durch ihre
Anlagerung an die Innenwand der Kapsel erzeugen. Es pflegen diese
Anlagerungen beim weichen Totalstaare etwas massenhafter zu sein, als bei
der Cataracta mixta, da bei ihrer Bildung eine grössere Menge von Magma
concurrirt. Gerade dieser Umstand macht aber auch, dass sie anfänglich
minder deutlich hervorstechen und erst auffällig werden, wenn der staarige
Brei durch fortgesetzte Resorption so weit vermindert worden ist, dass
der dunkle Augengrund wieder durchschlagen kann. Ein zweites wichtiges
diagnostisches Moment ist das Zurückweichen der Linsenoberfläche hinter die
630 Cataracta; Krankheitsbild ; Cataracta discoidea, siliquata, calcarea, fibrosa.
Ebene der Pupille, somit das Auftreten eines Schlagschattens und das starke
Schwanken der Iris. Wo diese Symptome sehr klar zur Anschauung kommen,
dort kann man gewiss sein, es mit einer sehr stark geschrumpften Cataracta
zu thun zu haben. Im gegentheiligen Falle aber, wenn die Oberfläche des
Staares mit deutlicher Convexität nach vorne tritt und demnach auch nur
schwache oder kleine Runzeln zeigt, ist das Gegebensein eines sehr
geschrumpften Staares nicht ausgeschlossen, da eben scheibenförmige und
trockenhülsige Staare von dem Glaskörper gar nicht selten nach vorne
gebaucht werden. Es entscheidet dann in diagnostischer Beziehung neben
jenen Zeichnungen an der Oberfläche die Altersperiode, in welcher der
Staar sich entwickelt hat, die Dauer seines bisherigen Bestandes und seine
grössere oder geringere Durchscheinbarkeit.
Scheibenförmige Staare zeigen bei erweiterter Pupille öfters eine sehr
unregelmässige kerbige oder winkelige Begrenzung und stehen darum stellen-
weise ziemlich weit ab von dem Strahlenkörper. Sie sind häufig beinahe
gleichmässig kreideweiss und völlig opak. Eben so oft jedoch haben sie ein
mehr sehnen- und knorpelähnliches Aussehen und sind dem entsprechend in
geringem Grade diaphan, so dass sich die fettigkalkigen Anlagerungen der
inneren Kapselwand vermöge ihrer helleren Farbe und Opacität merklich
abheben. Nicht selten endlich ist der scheibenförmige Staar bei einer
eigenthümlichen, schmutzig gelbgrauen , ins grünliche oder bräunliche
spielenden Färbung stark durchscheinend. Man findet dann an der Ober-
fläche sehr gewöhnlich bläulichgraue Flecken mit mattem sehnenähnlichen
Glänze. Solche Staare pflegen sehr spröde und brüchig zu sein.
Die trockenhülsigen Staare sind vermöge ihrer geringeren Dicke immer
in ziemlich hghem Grade durchscheinend. Ihre Grundfarbe ist bläulichweiss
und zwar schlägt je nach der Menge des cataractösen Rückstandes bald das
Blaue, bald das Weisse vor. Die mannigfaltigen Figuren, welche die an
der Innenwand der Kapsel haftenden kalkigen Concretionen, Cholestearin-
haufen und fibrösen Massen hervorbringen, treten auf dem wolkenähnlich
gezeichneten bläuüchweissen Grunde sehr deutlich hervor. Von Wichtig-
keit ist, dass der Staar meistens bis an die Ciliarfortsätze reicht und die
Trübung an der äussersten Grenze des verflachten Staares sehr oft am
dichtesten ist, indem sich in dem Kapselfalze die fettigkalkigen Producte
gleichsam häufen und diesem das Aussehen eines rundlichen Wülstchens
geben, welches den Staar kranzförmig umgürtet. Bei partiellen Cataracten
kömmt ein solcher kreidiger Saum kaum vor, er ist der Cataracta siliquata
allein eigen.
e. Wo sich der weiche Totalstaar unter Einßussnahme heftiger Ent-
zündungen entwickelt hat und weitere Wandlungen eingeht, gestaltet sich das
Bild desselben am Ende ganz analog, wie bei einer unter ähnlichen Ver-
hältnissen zu Stande gekommenen Cataracta mixta. Das im Bereiche der
meistens stark verzogenen Pupille sichtbare Stück des Staares erscheint,
wenn nicht iritische Producte dasselbe decken, meistens gleichmässig kreide-
weiss und opak, seltener sehnen- oder knorpelähnlich, ausnahmsweise perl-
mutterartig glänzend und hierauf ist man bei der Diagnose einer Cataracta
calcarea, fibrosa, argentea etc. beschränkt. Ist die Iris von der Cataracta
in sehr auffälliger Weise und vielleicht gar trichterförmig nach Mitten
gezogen, so kann man mit ziemlicher Sicherheit auf einen sehr geschrumpf-
Partielle Staare; Schichtstaar. 681
ten Staar schliessen. Hat die Iris aber nur wenig von ihrer normalen
Convexität eingebüsst, oder ist sie an die hintere Cornealwand herangerückt,
so kann man auf das Volumen des Staares höchstens noch aus der Lebens-
periode des Krauken Wahrscheinlichkeitsschlüsse ziehen.
3. a. Von den partiellen Cataracten sind am schwiei'igsten jene zu
erkennen, bei welchen die vorderen Corticalschichten oder die ganze vordere
Hälfte der Linse in dem Processc untergegangen sind. In den ersten
Stadien stellen sie sich nämlich unter ganz ähnlichen Erscheinungen dar,
wie der Corticalstaar ; sp'dierldn aber gleichen sie nahezu völlig einer ^roc/ce/i-
hülsigen Cataracta. Als diagnostisches Merkmal kann man den Umstand
benützen, dass bei solchen partiellen Staaren der äusserste Rand lueniger
getrübt zu sein pflegt wnd jedenfalls des, der siliquirten Cataracta eigenen
Kalkwulstes entbehrt. — Wo eine seitliche Hälfte oder ein ganz unregel-
mässiges Stück aus der Dicke des Krystalles staarig alterirt ist, unterliegt
die Diagnose keiner Schwierigkeit, da die anatomischen Veränderungen
(S. 675) sich dem Beobachter ganz unverhüllt präsentiren.
h. Der Schichtstaar ähnelt, wenn er völlig ausgebildet ist, sehr stark
dem weichen Kernstaare. Doch unterscheidet sich die rei7ie Form desselben
hinlänglich dadurch, dass sich die, meistens sehr zarte und bläulich durch-
scheinende, oft jedoch auch dichtere und dann mehr hellweisse Trübung
nicht etwa gegen den Pol hin an Intensität verwäscht, sondern fast gleich-
massig vertheilt und eher am Bande des cataractösen Stratums gesättigter
ist. Ein zweiter wichtiger Unterschied besteht darin, dass die trübe
Schichte sowohl an ihrer convexen Vorderfläche als an ihrem Aequator
sich scharf gegen die überlagernden pelluciden Strata abgrenzt und scharf
abgegrenzt bleibt, so lange der Schichtstaar stationär ist : daher man aus
einer wolkigen oder streifigen Trübung der oberflächlichen Schichten auf ein
Fortschreiten des Processes, auf den Uebergang des Schichtstaares in einen
weichen Totalstaar, schliessen darf.
Besonders klar treten diese Verhältnisse hervor bei der Untersuchung mit
dem lichtschwachen Augenspiegel. Das cataractöse Stratum zeigt sich bei senkrecht
auffallendem Lichte als ein kreisrunder, scharf begrenzter dunkler Fleck, in dessen
Cenf.rum der Augengrund röthlich durchsclieint, irnd an dessen Rande vorbei man
sehr deutlich die Netzhautgefässe u. s. w. sehen kann. Am auffälligsten jedoch
zeigen sich die Eigenthümlichkeiten des Schichtstaares bei Benützung der schiefen
Focalheleuchtung . Die Randtheile der oberflächlichen pelluciden Strata präsentiren
sich dann als eine breite dunkle ringförmige Zone, welche zwischen die Köpfe
der Ciliarfurtsätze und den Gleicher der cataractösen Schichte zwischengeschoben
ist und sieh von letzterer vermöge ihrer Schwärze sehr deutlich und mit scharfer
Grenze abhebt.
Hält man dieses alles fest, so unterHegt es auch keiner Schwierigkeit,
den Schichtstaar in seinem ersten Beginne als solchen zu erkennen, also zu
einer Zeit, in welcher er sich noch als eine wolkig diffuse oder speichen-
artig gestreifte und feinpunktirte Zone darstellt, die von ihrem peripheren
scharfen Eande aus sowohl nach hinten als nach vorne gegen die beiden
Pole der Schichte sich mehr und mehr ausbreitet.
Eben so wenig können dann aber auch diagnostische Zweifel auf-
tauchen, wenn der Schichtstaar bereits in secimdären Wandlungen begriffen
ist, die trübe Schichte allmälig zu zerklüften beginnt und durch die
Spalten und Lücken der pellucide Kern wieder zum Vorscheine kömmt.
Gewöhnlich findet man dann im vorderen Pole des betreffenden Stratums
682 Cataracta; Krankheitsbild; Schichtstaar: Ceutralkapselstaar.
eine Anzahl kreideähnlieher Punkte , welche sich mannigfaltig gruppiren,
mitunter wohl auch eine steimförmige Figur zusammensetzen. Es lagern
dieselben in der Mitte einer zarten bläulichen spinnengewebeartigen, mit
weissen Punkten und irregulären Streifen durchsetzten Zone, welche gegen
den Kand der Schichte hin sich mehr und mehr Terdichtet, so dass sie
nur kleine Lücken erkennen lässt und endlich ganz scharf abgesetzt ist.
In der Eegel erweiset sich der Linsendurchmesser unter solchen Yerhältnissen
verkleinert, der äusserste pellucide Rand der Linse erscheint unregelmässig
verzogen und steht stellenweise beträchtlich ab von den Köpfen der
Ciüarfortsätze, während die Volumsabnahme des Kj.ystalles ausserdem noch
durch das Schwanken der Iris und durch das Zurücktreten der vorderen
Kapsel hinter die Ebene der Pupille zum Ausdrucke kömmt.
c. Der Centralkapselstaar stellt sich dem beobachtenden Auge als ein
mohn- bis hirsekorngrosses, selten umfangreicheres, kreideweisses oder
knorpelähnliches, rundliches Knötchen dar, welches in der Ebene der Pupille
lagert und von deren Schwärze sehr deutlich absticht. Er ist bald ganz
scharf begrenzt, bald von einem wolkig verschwommenen bläulichen Hofe
umgeben. Mittelst der schiefen Focalbeleuchtung lässt sich dieser Hof sehr
deutlich zur Wahi'nehmung bringen, oft selbst in Fällen, wo er dem freien
Auge zu fehlen scheint. Häufig erkennt man auf der Höhe des Knötchens
auch ein kleines Häufchen von Irispigment und in dessen Umgebung eine
strahlige Faltung der Kapsel.
Selten finden sich zwei oder mehrere derartige Knötchen im Bereiche der
Pupille und dann ist der Centralkapselstaar öfters nichts anderes, als das Rück-
bleibsel einer über die ganzen Vorderschichferi der Linse ausgebreiteten und secundär
metaraorphosirten partiellen Cataracta (S. 674).
Ist das Knötchen zapfenartig nach hinten verlängert (Cataracta
pyramidalis), so ist es natürlich um so auffälliger. Es tritt dann öfters
merklich über die Ebene der Pupille hervor, oder ragt gar hornähnlich in
die Kammer hinein.
B. Die mit dem Staare verknüpften Sehstörungen resultiren zum Theile
aus der Diffusion und Absorption des Lichtes in der optisch ungleichartig
gewordenen Linsensubstanz, zum anderen Theile aber aus den mannig-
faltigen Verkrümmungen, welche die beiden Oberflächen des Krystalles so
häufig erleiden.
In ersterer Beziehung gilt nahezu dasselbe, was von den Corneal-
trübungen gesagt wurde ; es sind die auf Diffusion und Absorption
beruhenden Sehstörungen bei beiden diesen Zuständen nahezu dieselben
(Siehe S. 122).
Doch wird von cataractösen Trübungen unter übrigens gleichen Ver-
hältnissen weit weniger zerstreutes Licht auf die centralen Netzhauttheile
geworfen, ein Unterschied, welcher sich in sehr aufTälliger Weise geltend
macht bei minder dichten und besonders bei den auf einzelne Schichten
beschi-änkten Obscurationen. Nicht nur, dass periphere derartige Trübungen,
wie sie z. B. bei beginnendem Corticalstaare vorkommen, von der Regen-
bogenhaut vollständig gedeckt werden ; auch centrale Trübungen beirren das
Gesicht in einem viel geringeren Grade, als gleich dichte und gleich aus-
gebreitete nomhautß.eGke.
Es kömmt hierbei in Betracht , dass von dem seitlich auflfallenden diffusen
Lichte schon viel durch die spiegelnde und stark convexe Oberfläche der Cornea
Sehstörungen. 600
zurückgeworfen wird, also die Linse niciit mehr trift't; hauptsächlich aber, dass
die Regenhogenhmit unter gewöhnlichen Verhältnissen die grössere Hälfte des Kry-
stalles deckt und wie ein durchlöchertes Diaphragma wirkt, sowie dass die (Ober-
fläche des Linsenkörpers eine viel geringere Wölbung als die Cornea besitzt. Das
die Seiientheile der Hornhaut passirende, schon geschwächte, diffuse Licht trifi't
demnach unter sehr grossem Winkel auf die Mitte der vorderen Linsenfläche, ver-
liert daher durch Reflexion nochmals bedeutend an Litensität und vermag nur ein
sehr lichtschwaches Spectrum über die vorderste Zone der Netzhaut zu ergiessen.
Das von vorne kommende directe Licht aber erleidet, da es nahezu senkrecht auf
die Linse fällt, eine verhältnissmässig geringe Zerstreuung vxnd geht fast unge-
schwächt durch, kann daher scharfe Bilder von grossem scheinbaren Glänze auf
der Netzhaut entwerfen.
In der That nehmen Kranke, welche mit unreifem Kernstaare oder
mit Schichtstaar behaftet sind, grössere Objecte in mittleren Entfernungen
öfters ganz gut aus und pflegen auch grössere Druckschriften anstandslos,
obgleich nicht anhaltend, zu lesen, besonders wenn die fehlerhafte Ein-
stellung des dioptrischen Apparates durch entsprechende Brillen neutralisirl
und das diffuse Licht möglichst beseitigt, überdies auch die Pupille wegen
geringer Erleuchtung des Gesichtsfeldes weiter wird. Selbst Corticalstaare,
welche über die Pole reichen, schliessen nicht nothwendig die Fähigkeit
der Selbstführung aus und bei iritischen Auflagerungen auf die Vorderkapsel,
auch wenn die Pupille vollkommen abgeschlossen und das von ihr umgrenzte
Stück der Linsenoberfläche gaiiz gedeckt ist, staunt man oft über die Schärfe
des Gesichtes. Besonders auffällig ist die Geringfügigkeit der Sehstörung,
wenn es gelingt, das seifliche diffuse Licht abzuschneiden, und wenn die
Objecte gut beleuchtet sind ; daher denn auch solche Ki'anke auf jede
mögliche Weise das Auge zu beschatten und die Gegenstände in gutes Licht
zu bringen suchen, den Kopf meistens gesenkt tragen, in dem Gebrauche
dunkler Gläser imd breiter Augenschirme eine wesentliche Erleichterung
finden, die abendliche Dämmerung und das Licht trüber Tage als besonders
günstig hervorheben u. s. w.
Bei dichten und ausgebreiteten, namentlich aber auf eine grössere Anzahl
von Schichten ausgedehnten, cataractösen Trübungen werden diese Vortheile
indessen reichlich aufgewogen durch die Vei'grösserung der Lichtabsorption,
also durch die Verminderung des scheinbaren Glanzes der Netzhautbilder.
Bei Cataracten, welche auf den Ker-n beschränkt sind, bei reifen harten
und weichen Kernstaaren, bei gewissen partiellen Staaren, lässt sich durch
Erweiterung der Pupille, also dadurch, dass die pellucide Linsenperipherie
dem directen Lichte erschlossen wird, dieser Verlust allerdings bis zu einem
gewissen Grade ausgleichen und mindestens die seitliche Partie des Gesichts-
feldes zur deutlicheren Wahrnehmung bringen ; so wie aber die Trübung
nahe bis zum Rande der Linse vorgeschritten ist, und dies ist bei reifen
Staaren die Regel, werden äussere Objecte nicht mehr in deutlichen Bildern
auf der Netzhaut dargestellt und der Durchmesser des Sehloches hat nur
mehr Einfiuss auf die grössere oder geringere Erleuchtung des Spectrums.
Es erscheint dieses dem Kranken unter gewöhnlichen Verhältnissen meistens
als ein gleichmässig über das ganze Gesichtsfeld ergossener Nebel von weiss-
bläulicher, weisser, gelblicher, bei reinen und stark gefiirbten Kernstaaren
wohl aixch bräunlicher, sehr selten röthlicher Farbe. Fällt blos directes
Licht auf, sieht der Kranke aus einem dunklen Räume auf eine helle
Kerzenüamme, den Mond u. s. w., so zeigt sich ein begrenztes Spectrum
von rundlicher oder ovaler Form, dessen Randtheile heller, das Centrum
684 Cataracta; Krantheitsbild.
aber, wegen der gegen den Pol zunehmenden Dicke der Linse,
dunkler ist.
Die solchermassen begründete Abschwächung des die Netzhaut treffen-
den Lichtes ist wirklich eine sehr bedeutende. Es erhellt dieses am deutlich-
sten aus den dunklen Schatten, welche partielle und nur einen Theil der Pupille
verlegende cataractöse Trübungen, z. B. kleine sclerosirte Kerne, Central-
kapselstaare, einzelne Zacken eines beginnenden Corticalstaares u. s. w.
unter günstigen Verhältnissen auf die Eetina werfen und welche von dem
Kranken in der Gestalt von Scotomen wahrgenommen werden. Dieselben
lassen sich besonders deutlich durch die entoptische Untersuchungsmethode
zur Anschauung bringen (Siehe Scotome).
Es ist in Beti'eif dieses Symptomes von hohem Belange, dass die in dem
Bereiche der Pupille gelegenen cataraetösen Trübungen die bereits convergent ge-
machten Strahlenkegel in einem viel kleineren Durchmesser schneiden, bei gleicher
Ausdehnung demnach bei weitem mehr schwächen , als entsprechende Hornhaut-
trübungen. Dazu kömmt, dass die Staarbildung fast immer mit einer Abnahme der
Accominodalio7ishreite und mit einem abnormen Brechzustande des dioptrischen Appa-
rates verknüpft ist, dass sonach die von den Linsentrübungen ausgehenden Schatten-
kegel mit einem beträchtlichen Durchmesser auf die Netzhaut treffen.
So ist beim Kernstaare nicht nur die Accommodation sehr stark beeinträchtigt,
sondern wegen Ahflachung der Linse auch meistens eine hochgradige hyperme-
tropische Einstellung gegeben. Bei iveichen Staaren dürfte im Gegentheile eher
eine myopische Einstellung anzunehmen sein. Thatsächlich wird diese häufig beim
Schichtstaare beobachtet (Donders) und gehört bald einem angeborenen fehlerhaften
Bau des Bulbus auf Rechnung, bald ist sie erworben und erklärt sich aus dem
Umstände, dass die Gesichtsobjecte behufs genaueren Sehens dem Auge unver-
hältnissmässig nahe gehalten werden müssen. Bei geschrumpften Staaren aller Art
ist der dioptrische Apparat selbstverständlich für negative Entfernungen eingerichtet ;
ausserdem aber macht sich die mit der Verkleinerung der Linse verknüpfte Faltung
der Kapsel durch beträchtliche Verzerrung der Spectra oder der etwa noch ermög-
lichten Netzhautbilder geltend.
Beim Centralkapselstaare ist ausser der häufigen Volumsverminderung des
Krystalles die Runzelung der das Knötchen umgebenden Kapselportion eine Quelle
sehr beträchtlicher Sehstörungen.
Complicationen. Am meisten ins Gewicht fallen die auf Gewebs-
wucherung fussenden materiellen Veränderungen der gefässhaltigen Binnen-
organe des Augapfels und die darin begründeten Functionsstörungen des
licht empfind enden Apparates. Es sind solche Complicationen mit Amblyopie
oder Amaurose in der Mehrzahl jener Fälle gegeben, in welchen sich
der Staar unter dem Einflüsse von Entzündungen der Binnenorgane ent-
wickelt und ausgebildet hat. Bei der Cataracta calcarea, cholestearinica,
fibrosa, ossea und deren Mischformen ist die Amaurose sogar ein fast con-
stq/nter Begleiter.
Gewöhnlich deviten unter solchen Umständen gewisse äusserlich wahrnehm-
bare Symptome auf jene Alterationen mit grösserer oder geringerer Bestimmtheit
hin, wie z. B. auffällige Härte oder Weichheit des Bulbus, Erweiterung der im
Episcleralgewebe streichenden Ciliargefässstämme, beträchtliche Verengerung oder
Erweiterung der Kammer, Atrophie der Iris, Unbeweglichkeit oder Trägheit, Ver-
schluss oder Abschluss der Pupille u. s. w. Doch können einzelne oder mehrere
dieser Symptome vorhanden sein, ohne dass Amblyopie oder Amaurose, oder über-
haupt unheilbare Alterationen des lichtempfindenden Apparates bestehen, und um-
gekehrt kommen gar nicht selten sehr tief in die Organisation der betreffenden
Theile eingreifende Processe vor, z. B. reine Netzhautentzündungen, Netzhautab-
hebungen, entzündliche Sehnervenleiden, exsudative Aderhautentzündungen etc.,
welche in keinem Stadium ihres Verlaufes sich durch Veränderungen der ätisserlich
sichtbaren Theile des Bulbus verrathen, Ueberdies resultiren solche Functions-
Complicirende Amaiirosc; Prüfung dos Lichterapflndungsvermögens. 685
störuugen öfters ans angeborenen Bildungsfelileni , worauf ganz besonders bei der
Cataracta adnata Rücksielit zu nehmen ist. Bei ein-'i eiligen Staaren, welclic sich in
dem Kindesalter entwickelt haben , ist die complicirende Amblyopie nicht selten
eine blosse Folge der dauernden Vernachlässitjnng des Auges.
Insoferne nun eine derartige Complication von allergrösstem, ja geradezu
entscheidenden EinÜusse auf die Pi'ognose ist, ergibt sich aus dem Gesagten
die dringende Mahnung, bei Gegebensein einer Cataracta und besonders
vor operativen Eingriffen nicht nur alle objectiven Erscheinungen , welche
auf materielle Veränderungen der gefässhältigen Binnenorgane des Augapfels
hindeuten, auf das Sorgfältigste zu erforschen, sondern auch die suhjective
Seite des Ivrankheitsbildes, vornehmlich das Quantum und Quäle der Licht-
empfindung, einer eingehenden Untersuchung zu unterziehen. Ganz vor-
züglich nothwendig ist dies, wo ein schön entwickelter Kapselstaar neben-
bei gegeben ist.
Wenn man die Fuuctionstüchtigkeit des lichtempfindenden Apparates allein
aus der Lebhaftigkeit des Sjiieles der Pupille bemessen wollte, so liefe man Gefahr,
in einer nicht ganz geringen Zahl von Fällen diagnostischen Irrthümern anheim-
zufallen; da eben der Pupillarrand nicht selten durch hintere Synechien fixivt ist
und anderseits das Lichtempfindungsvermögen schon um ein Bedeutendes vermindert
sein kann , ohne dass die Reaction der Pupille auf Lichtwechsel sonderlich ge-
schwächt erscheint.
Die verlässlichsten Schlüsse dürften sich in dieser Beziehung aus der Entfer-
nung ziehen lassen, aus welcher ein cataractöses Auge im verdunkelten Zimmer das
Licht einer Kerze wahrzunehmen im Stande ist. Im allgemeinen gilt als Regel,
dass bei gemischten und iceichen Totalstaaren , wo die Dift'usion des aufi'allenden
Lichtes eine vollständige ist, das Hell der Lampe auf 15 Fuss und etwas darüber
deutlich unterschieden wird, worüber man sich leicht vergewissern kann, wenn man
die Flamme abwechselnd deckt und wieder freilässt. Bei unreifen Cataracten, bei
ausgebildeten Kernst aaren, bei Schichtstaaren, so wie bei der Cataracta discoidea
und siliquata ist unter Voraussetzung der Normalität der übrigen Bulbusorgane
die Distanz natürlich eine grössere, indem hier viel directes Licht durchgeht und
sich zu einem Spectrum von grösserem scheinbaren Glänze concentrirt. Wird der
nebenhergehende Fehler der dioptrischen Einstellung durch entsprechende Brillen-
gläser aufgehoben und das Spectrum sonach verkleinert, so kann die Distanz, in
welcher die Lampe wahrgenommen wird , sogar um ein Bedeutendes wachsen.
Besteht hingegen Amblyopie, so ist jene Entfernung eine vielmal geringere und um
so kürzere, je höher der Grad der P\mctionsstörung gediehen ist. Bei angeborenen
regressiven flüssigen Staaren giltt übrigens auch prompte quantitative Lichtemptindung
keine genügende Grundlage für günstige Prognosen. Es sind solche Cataracten
nämlich sehr dünn, durchscheinend i;nd zerstreuen darum wenig Licht. Hier muss
die Unterscheidung grösserer Objecte gefordert werden, wenn es sich darum handelt,
Functionsstörungen der Netzhaut auszuschliessen. In der That ist es nichts Seltenes,
dass solche Kranke auch kleinere Objecte ganz gut ausnehmen (Qraefe),
Von Nutzen ist auch der Gebrauch farbiger Gläser, welche vor das zu iinter-
suchende Auge gehalten werden, indem sich aus der Fähigkeit, verschiedene Farben
und besonders verschiedene Töne derselben Farbe zu unterscheiden, sehr sichere
Schlüsse auf den Grad der Fuuctionstüchtigkeit des lichtempfindenden Apparates
basiren lassen.
Einschränkungen und Unteibrechungen des Gesichtsfeldes wird man erkennen,
wenn man die Flamme einer Kerze oder eines Wachsstockes u. dgl. in geringer
Entfernung vom Auge im Gesichtsfelde herumführt und die Orte bemerkt, aus
welchen das Licht sehr schwach oder gar nicht wahrgenommen wird.
Auch die subjectiven Lichferscheinungen , welche entzündliche Processe der
tieferen Binnenorgaue des Augapfels sehr oft begleiten, sind wohl zu beachten.
Doch muss hierbei berücksichtiget werden, dass im Staarmagma vorhandene Chole-
stearinkrysf ankaufen bei günstiger Beleuchtung ähnliche Phänomene, das Sehen
von Funken, farbigen Ringen u. s. w. bedingen können. Der Umstand, dass der-
artige subjective Lichterscheinungen blos im hellen Lichte hervortreten und von
686 Cataracta; Ursachen; Cataracta adnata; Schichtstaar.
der Circulation des Blutes unabhängig sind, lässt sie leicht von den Aeusserungen
krankliofler Netzhauterregung unterscheiden.
Ursachen. 1. Es entwickelt sich der Staar meistens ohne alle nach-
loeisbare örtliche Veranlassung.
a. DerProcess beginnt öfters schon vor Eintritt der allgemeinen Involution
des Körpers, im Mannesalter, in der Jünglings- oder Kindesperiode. Nicht
selten wird er sogar mit auf die Welt gebracht {Cataracta adnata) und ist
dann oft mit Bildungsfehlem des Augapfels, z. B. mj-opischem Bau, Mikro-
phthalmie etc. oder mit den Folgen intrauterinaler Iridochorioiditis [Pagenstecher)
und darin begründeten Functionsstörungen der Binnenorgane, namentlich
der Netzhaut , rergesellschaftet. In manchen Fällen lässt sich eine
Vererbung des Uebels nachweisen ; doch kommen auch staarfreie Eltern-
paare vor, deren Ejnder in der Mehrzahl oder Gesammtheit frühzeitig an
Staar erkranken, oder cataractös geboren werden {Hasner, Froebelius, Schön).
Die aller gewöhnlichste Cataractform des jugendliehen Alters ist der
Schichtstaar. Es zeigt sich derselbe in den früheren Lebensperioden weitaus
häufiger, als alle anderen Staarformen zusammengenommen. Ihm reiht sich,
was die Häufigkeit anbelangt, der weiche und flüssige Totalstaar mit seinen
mannigfaltigen secundären Wandlungen an. Weiche Kernstaare und die
übrigen partiellen Cataracten, so weit sie auf spontaner Bildung beruhen,
sind schon recht seltene Erscheinungen.
Der Schichtstaar wird in einem höchst auffälligen procentarischen Verhält-
nisse beobachtet neben Zeichen vorausgegangener Erkrankungen des Gehirnes und
seiner Häiite , neben rachitischen, durch Querriffung der Flächen ausgezeichneten
Zähnen, neben hydrocephalischer Schädelform und öfters auch neben ungenügen-
der geistiger Entwickelung. Man glaubt daher mehrseitig, ihn aus Functions-
störungen des Gehirnes ableiten zu müssen, indem man annimmt, dass diese durch
gewisse zeitweilige Alterationen der Gesammternährung einen nachtheiligen Ein-
fluss auf die in der Entwickelung und im Wachsthume begriffenen Fasern der
Linse so wie des Zahnschmelzes ausüben (Homer, DavidsenJ. Andere halten dafür,
dass der Schichtstaar immer erst nach der Geburt zu Stande komme, und meinen,
dass starke Erschüttei-ungen des Linsensystemes bei Convulsionen, beim Keuch-
husten u. s. w. den nächsten Grund abgeben (ArltJ. Es ist bei diesen Hypothesen
allerdings schwer zu begreifen, wie die erwähnten pathogenetischen Momente auf
einzelne, dem Kern nahe Schichten wirken sollen, während die anderen unberührt
bleiben. Die Voraussetzung nämlich , dass die den Schichtstaar bildenden Faser-
lagen erst nach der Geburt, zur Zeit der Einwirkung jener Schädlichkeiten, ent-
stehen und der Linse von Aussen her angelagert werden, ist eine falsche; da der
Krystall im extrauterinalen Leben nur in äquatorialer, keineswegs aber in sagittaler
Richtung wächst (S. 660). Immerhin besteht die Fähigkeit der periuuclearen
Schichten, sich isolirt zu trüben, als unzweifelhafte Thatsache und kömmt auch in
der Entwickehtng des Linsengreisenbogens zum objectiven Ausdrucke. Man hat den
letzteren Umstand sogar benützt, um den Schicht- und den Kernstaar pathogenetisch
iiahe vericandt darzustellen (Förster). Uebrigens wurde die Ausbildung der Peri-
nuclearcataracta auch als Folge der Iritis, so wie an luxirten Linsen beobachtet
(Graefe, Hirschmann). Es kann wohl sein, dass der statistisch gut begründete Zu-
sammenhang zwischen Schichtstaar und Gehirnleiden schon aus der fötalen Periode
herrührt und der erstere gewöhnlich blos in der Anlage zur Welt gebracht wird,
um dann bei einer die Ernährungsverhältnisse der Linse beeinträchtigenden Ge-
legenheit hervorzutreten. Die autfällige Häufigkeit, in welcher der Schichtstaar sich
bei der stets angeborenen Ectopie und in spontan luxirten Linsen einstellt, so
wie die constante Doppeheitigkeit desselben sprechen einer solchen Ansicht das
Wort.
b. In der grössten Mehrzahl der Fälle kömmt es erst jenseits des 45.
Lebensjahres, nach Eintritt der allgemeinen Involution, zur Staarbildung ;
Cataracta senilis, diabetica, ergotita. 687
daher diese denn auch vornehmlich als eine Greisenkrankheit gilt. Die
Männer leiden in einem grösseren procentarischen Verliältnisse als die
Weiber. Es scheint, dass atheromatöse Degenerationen der Gefässe in den
vorderen Netzhautpartien und iu der CÜiorioidea (Mooren) dabei eine sehr
wichtige Rolle spielen. Jedenfalls ist es sehr beachtenswerth, dass senile
Cataracta und Netzhautödem so häufig oombinirt gefunden werden. Letzteres
hat aber seine hauptsächlichste Quelle eben in jenen Gefässentartungen
(Iwanoff).
c. J]s ist möglich, dass ausschweifendes Leben, übermässiger dauernder
Kummer, die Säufer- und Wechselfieber-Cachexie, Blutarrauth (Mooren)
etc. mit zu den entfernteren Ursachen des Staares gerechnet werden
dürfen, oder wenigstens das Auftreten des cataractösen Processes be-
schleunigen und begünstigen. Es stimmt damit die Beobachtung übereiu,
nach welcher cataractöse Individuen diesseits der öOger Jahre häufig sehr
geschwächte, elende, herabgekommene, kränkliche Leute sind.
Sicher besteht ein solcher ätiologischer Zusammenhang zwischen Catai'acta
und der Zuckerruhr, Diabetiker, besonders Männer (Leeorch4), werden in
einem auffallend hohen procentarischen \'erhältnisse staarblind und dieses
zwar in einem Lebensalter, in welchem sonst der Beginn eines cataractösen
Processes zu den Ausnahmen gehört.
Es ist nicht der erwiesene Zuckergehalt (Carius) oder die mehrseitig behauptete
Säuerung der dioptrischen Medien, welche etwa auf chemischein Wege den Zerfall
der Linse bedingen, sondern die hochgradige Depascenz des Gesammtorganismus,
welche sich gleich der vorgerückten senilen Involution auch in der Linse geltend
macht, wie daraus hervorgeht, dass die Cataracta fast immer nur bei selir hoch-
gradig entwickeltem Diabetes und erst in den späteren Stadien der Krankheit, nach-
dem der Körper sehr herabgekommen ist, und oftmals zu einer Zeit auftritt, in
welcher die Zuckerproduction schon sehr ahgenoimnen hat (Lecorchd).
Es hat übrigens der Staar der Diabetiker keine anafoviischen Besonderheiten.
Er ist meistens ein weicher und entwickelt sich rasch, weil die Zuckerruhr ge-
wöhnlich Individuen im Jünglings- oder im kräftigen Mannesalter befällt. Kömmt
der Diabetes im höheren Alter zum Ausbruche, so ist auch der davon abhängige
Staar ein gemischter mit grossem sctevosirten Kerne.
EigenthUmlich und vor therapeutisclien Eingriffen wohl zu berücksichtigen
ist indessen die verhältnissmässig grössere Häufigkeit der Complication mit Am-
blyopie. Es geht die letztere in den meisten Fällen vom Gehirne oder von einem
oder dem anderen Sehnerventruncus aus und charakterisirt sich gleich den anderen
Cerebralamauroseu durch Verdunkelung im Gesichtsfelde und durch die Erschei-
nungen des Schwundes im Sehnerveneintritte, durch dessen hellere weisse Färbung,
grössere Opacität, auffällige Verdünnung der arteriellen Centralgefässstücke etc.
(LecorcJie).
Es braucht nicht erst erwähnt zu werden , dass diese Amblyopie auch ohne
Cataracta bei Diabetikern auftritt und dass die effective Störung des Gesichtes unter
allen Verhältnissen um so grösser ausfallen müsse, als bei dem allgemeinen Ver-
falle des Nerven- und Muskelsystemes fast constant eine wahre Parese oder Paralyse
des Accommodationsapparates neben hochgradigem Diabetes einhergeht. (S. 245.)
In neuerer Zeit ist auch die Kriehelkrankheit (Raphanie, Ergotismus)
als eine Ursache der Cataractbildung nachgewiesen worden (J. Meyr).
Der Staar entwickelt sich meistens langsam und ist, insoferne die Grund-
krankheit am häufigsten jugendliche Individuen befällt, in der Regel
ein weicher.
Es ist noch nicht ausgemacht, ob das Gift vermöge seiner specifischen Ein-
wirkung auf das Ciliarsystem die Ernährung des Krystalles beeinträchtigt, oder ob
die Krämpfe, welche als Hauptsymptom des ganzen Leidens fungiren, auf mecha-
nische Weise zur Cataracta führen.
ß38 Cataracta ; Ursachen ; Entzündungen; Blutextravasate ; Cataracta nigra.
Tu einem Thale des Bregenzer Waldes wurde bei 3 Familien die wahr-
scheinlich erbliche Entwickelung einer eigenthümlichen Hautkrankheit und eines
constant damit verbundenen Staares beobachtet. Die Hautkrankheit zeisrt sich
immer in den ersten Lebensmonaten, und ist durch eine marmorartig gezeichnete
Röthung, welche später zu netzförmigen Narben führt und in einer fettigen De-
generation des Papillarkörpers und Rete Malpighi zu bestehen scheint, charak-
terisirt. Mit dem vierten bis sechsteu Lebensjahre kömmt es dann immer zur
Staarbildung und zwar an beiden Augen rasch nach einander {Rothmund).
2. In einer anderen Reihe von Fällen liegt die nächste Ursache der
Staarbildung in Entzündungen der Binnenorgane des Augapfels, insbesondere
der Vordertheile der Gefässhaut. Es kann die Entzündung iu mannigfaltiger
Weise die Quelle von I^utritionsstörungen der Linse werden und so auf
verschiedenen Wegen zur Cataracta führen.
Oftmals wird die Zellenschichte der Kapsel und selbst die Linse in
entzündliche Mitleidenschaft gezogen, dadurch in ihrer Organisation wesent-
lich alterirt und so eine unerlässliche Bedingung zum normalen Fortbestände
des Krystalles aufgehoben. In anderen Fällen wird die Cataracta zunächst
dadurch begründet, dass der entzündliche Process mit dem Schwunde der
gefässreichen Binnenorgane des Augapfels endet und solchermassen die Haupt-
quelle der Ernährungsstoffe für die Linse verstopft wird. Sehr oft liegt
der nächste Grund der Staarbildung in Beeinträchtigungen des freien Stoff-
austausches wegen Productauflagerungen auf die Vorderkapsel. Wenn solche
Producte einen grösseren Theil der Kapsel decken, geht meistens die
ganze Linse staarig zu Grunde. Beschränken sich aber die Auflagerungen
auf eine kleine Quote der Kapseloberfläche, so bleibt wohl auch der Staar
ein partieller.
Es versteht sich von selbst, dass in vielen Fällen diese pathogenetischen
Momente bei der Erzeugung und weiteren Ausbildung des Staares zusammenwirken.
Ob VerDiischung des KamTneric assers mit extravasirtem Blute u. s. w. an ioid
für sich eine Staarbildung bedingen könne, ist nicht ganz entschieden. Wahr-
scheinliclier ist es, dass die nebenhergehende Entzündung und die Auflagerung von
Gerinnseln auf die Vorderkapsel den Grund abgeben.
Mitunter nehmen massige Blutextravasate im Kammerraume einen sehr eigen-
thümlichen und nachhaltigen Einfluss auf die iceitere Gestaltung einer sich ent-
wickelnden Cataracta. Es dringt nämlich das im Kammerwasser gelöste Humatin
durch die Kapsel und färbt die oberflächlichen Schichten der allmälig zerfallenden
Linse roth. Später scheidet es sich im Staarmagma theilweise wieder aus und
man findet es dann gewöhnlich massenhaft unter der Gestalt dunkler pigment-
ähnlicher Körnchen und Grumen im Sfaarbreie eingelagert (Beger). Seltener stösst
man auf Gruppen schöner dunkelpurpurner oder schwarzer Hämatoidinkrystalle.
Bei der secundären Metamorphose wird das Magma, wohl in Folge der compliciren-
den Entzündungen, sehr dicht, fast knorpelhart, ohne sehr an Volumen abzunehmen,
daher solche Staare meistens sehr (/ros* erscheinen. Gleichzeitig gewinnt aber wegen
Resorption der löslich gewordenen Bestandtheile das umgewandelte Hämatin
immer mehr das Uebergewicht und gibt endlich der Oberfläche des Staares eine
purpurbraune bis dintenschwarze Farbe. Da das Hämatin nicht bis zum Kerne
vordringt, sind die Veränderungen des letzteren auch die gewöhnlichen, doch
scheint er öfter zu scla'osiren. Mau hat solche Staare ganz vorzüglich unter dem
Namen y,Cataracta nigra*^ beschrieben und mit Recht strenge gesondert von jenen
schwarzen Kernstaaren (S. 665), welche nichts anderes als der Ausdruck einer
sehr weit vorgeschrittenen Sclerose sind. Ihre Erkennung ist bei Benützung der
schiefen Focalbeleuchtung und des Augenspiegels nicht schwer; die erstere lässt
sehr deutlich den braunen oder grauschwarzen Ton, den matten Glanz und die
durch die Reste des Gerinnsels allenfalls bedingten Unebenheiten der Linsenober-
fläche zur Wahrnehmung bringen und durch den Augenspiegel erweist sich die
absolute Opacität der Pupille. Bei der Untersuchung mit dem freien Auge indessen
kann wegen der dunklen Färbung der Pupille der Staar leicht übersehen werden,
Verletzungen des Linsensysteraes; Cataracta traumatica. 689
namentlich wenn die Pupille sehr eng ist. Der Zustand wird dann gerne für eine
hochgradige Amhlijoine gehalten. Es ist diese übrigens eine geiröhuliclie Coinpli-
cation, erstlich weil Extravasate in der Kammer oft mit Hämorrhagien in der
Ader- und Netzhaut vergesellschaftet sind, zweitens weil massenhafte Blutaustretungen
gerne secundär durch Schwund der Theile zu Functionsstörungen des Auges Ver-
anlassung geben.
3. Eine sehr wichtige KoUe in der Aetiologie der Cataracta spielen
Verletzungen des Linsensystems.
a. Feine Stiche, welche nicht tief eindringen, verheilen in einzelnen
Fällen, ohne irgend eine Spur zu hinterlassen. Es pflegt sich dann kurz
nach der Verletzung rings um die Wunde eine Trübung einzustellen,
welche grössten Theils durch die Wucherung der nachbarlichen Linsen-
elemente bedingt wird und später wieder verschwindet, indem die proli-
ficirenden Zellen alsbald zur Norm zurückkehren. Oefter jedoch führt diese
Wucherung zu einer bleibenden Trübung, in deren Mitte, an der Stelle der
Kapselwunde, man eine dichtere narbenähnliche fettigkalkige Masse findet,
es ist eine partielle Cataracta traumatica gegeben.
Indem nämlich die den Stichkanal umgebenden Linsentheile zerfallen und
sich aufblähen, treten sie in die Kapselwunde hinein, oder erheben sich wohl
auch etwas über deren Ränder (Krystallflocke) , werden später theilweise resorbirt,
theilweise aber verkalken sie, besonders wenn heftigere Entzündungen mitwirken.
So entsteht eine Art Pfropf, welcher die Kapselwunde narbenähnlich schliesst,
oftmals aber tief in die Linsensubstanz eindringt und mit einer neoplastischen
glashäutigen Schichte, einer unmittelbaren Fortsetzung der Kapselwundränder, über-
kleidet zu sein pflegt.
Ausnahmsweise geschieht es, dass ausgehreitete Trübungen der Linse, selbst
solche, welche durch gröbere Verletzungen, z. B. das Eindringen eines Bolzens,
veranlasst wurden, sich bis auf geringe Reste wieder aufhellen und eine ver-
hältnissmässig unbedeutende Störung des Sehvermögens zurücklassen {Ressl, Rydl,
Colsmann).
In den meisten Fallen aber reicht eine noch so feine Kapselwunde beim
Menschen hin, um die ganze Linse zum staarigen Zerfalle zu bringen. Es
geht dieser Process immer unter einiger, oft unter einer sehr aufTälligen,
Volumsvergrösserung der sich zersetzenden Krystallsubstanz einher. In
Folge dieser Blühung reisst die Kapsel nicht selten von den Wundwinkeln
aus weiter ein, ein Theil der Staarmasse drängt sich hervor und wird
resorbirt, während die Kapselzipfel sich zurückziehen und durch den ver-
kalkenden Rest der Cataracta unter einander verklebt werden. Das Resultat
ist eine secundäre traumatische Cataracta. Wo aber die Kapsel nicht weiter
einreisst, wird deren Wunde bald durch die secundär metamorphosirenden
Staarreste geschlossen und die Cataracta je nach den Dichtigkeitsverhaltnissen
des Krystalles durch secundäre Metamorphosen in einen Kernstaar mit fettig-
kalkiger Oberfläche, in einen scheibenförmigen oder trockenhülsigen Staar ver-
wandelt.
Da übrigens die Verletzung an sich häufig direct zu heftigen Entzündungen
der gefässreichen Binnenorgane des Bulbus führt, oder diese indirect an-
regt durch die Blähung der Staarmasse und durch die so bedingte mechanische
Reizung der Iris, so kömmt es auch häufig zu eigentlichen Kalkstaaren
oder zu fibrösen Cataracten, welche in der Regel mit ausgebreiteten oder
totalen hinteren Synechien des Pupillarrandes verknüpft sind. Häufig findet
man dann die L-is und die Linse durch derbe sehnige Balken oder Blätter
mit der Cornealnarbe verwachsen. Ueberdies wird der Bulbus sehr gewöhn-
lich atrophirt wegen Theilnahme seiner sämmtlichen Bestandtheile am ent-
stell w a g , Augenheilkunde. 44
690 Cataracta; Ursachen; Verletzungen; Eingedrungene fremde Körper.
zündliclieu Processe. Diese ist sogar in nicht wenigen Fällen so intensiv,
dass das Endresultat eine wahre Phthise wird.
6. Je grösser die Kapsehcunde, um so sicherer kömmt es zum Total-
staare und den letztgenannten Ausgängen der Entzündung, weil dann die
Kapselwundränder sich iceit zurückziehen können, ein grösseres Stück der
Linse blosgelegt wird, der Humor aqueus demnach einen grösseren Einfluss
gewinnt, folgerecht also auch die staarige Zerfallung eine raschere und die
Blähung eine bedeutendere ist. Besonders gefährlich sind insoferne Kapsel-
wunden bei Individuen jenseits der Pubertätsperiode, wo die Linse schon
zu einem gewissen Grade von Dichtigkeit gelangt ist. Bei Kindern reizen
geblähte Linsen wenio^er, vielleicht weil sie weniger Consistenz haben und
weil auch die Resorption eine wahrhaft rapide ist, die Schädlichkeit also
verhältnissmässig viel kürzere Zeit dauert. In der That wird bei Kindern
eine verletzte Linse viel häufiger wieder grossen Theils aufgesaugt, ohne
dass der Bulbus durch Entzündungen übermässig gefährdet würde, als bei
Erwachsenen.
Uebrigens kommen, wenn auch sehr selten, doch Fälle vor, wo die Kapsel
in grosser Ausdehnung und selbst durch eine grössere Anzahl von sich kreuzenden
Schnitten oder Rissen getrennt und die Linse tief eingeschnitten worden war, trotz
allem dem aber nur eine partielle Cataracta resultirt, in der man die einzelnen
Wunden noch au entsprechenden blattartigen, senkrecht auf die Oberfläche ge-
stellten, dichten sehnenähnlichen, theilweise fettigkalkigen Einlagerungen erkennt,
welche von wolkig trüben Massen umgeben sind und sich deutlich von dem durch-
sichtig gebliebenen, meistens aber etwas vergilbten und sulzähnlich weichen Lin-
senreste abheben.
c. Am schlimmsten sind wohl vertinr einigte Wunden, welche oft gesetzt
werden, wenn kleine Metallsplitter. Theile von explodirten Kupferzünd-
hütchen, Pulverkömer (Mackenzie) etc. mit grosser Gewalt an die vordere
Bulbusfläche anspringen und, nachdem sie die Cornea mit oder ohne die
Iris durchbohrt haben, in dem Krystalle stecken bleiben. Es haften diese
Körper bisweilen ganz oberflächlich in der Kapsehcunde. Wenn dann die
umgebende Linsenpartie staarig zerfällt, werden sie aus der Wunde gedrückt,
fallen im Kammerraume zu Boden und fühi-en den Bulbus, da sie nicht
leicht gefunden und entfernt werden können, unter den fürchterlichsten
Qualen zur Atrophie oder Phthise. Oefters jedoch dringen sie tiefer in die
Linse ein und werden alsbald von dem cataractösen Magma vollkommen
eingehüllt. Xur in den allerseltensten Fällen erfolgt dann wieder eine Auf-
hellung bis auf die nächsten, den Eindringüng umgebenden Theile, so dass
das Sehvermögen halbwegs hergestellt wird (Ressl, Wagner, Wecker). In
der Regel kömmt es zum Totalstaare, ja gewöhnlieh entwickelt sich eine
sehr heftige Entzündung, welche den Bulbus völlig zu Grunde richten kann,
zum mindesten aber ausgebreitete hintere Synechien des Pupillarrandes mit
sich bringt und die Wandlung des Totalstaares in einen Kalkstaar oder
fibrösen Staar verursacht. Ein wichtiges Symptom in den späteren ^'er-
laufsstadien dieser Staare ist die tief orangegelbe oder rostrothe Färbung
der Kapselnarbe und ihrer Umgebung. Wo sich diese Färbung findet, kann
man mit grosser Wahrscheinlichkeit auf das Vorhandensein eines metallischen
Körpers im Staare rechnen. Es kömmt dieses der Diagnose um so mehr
zu gute, als die Eomhautwunde nicht immer eine kennbare Narbe hinter-
lässt und als die Ki-anken bisweilen gar nicht einmal von einer vorausge-
Entozoen; Cornealdurehbrucli ; Zonulaberstung. 691
gaiigenen Verletzung etwas wissen, da die letztere oftmals mit ganz unbe-
deutenden Schmerzen verknüpft ist und daher übersehen wird.
4. In einzelnen liöchst seltenen Fällen liat man als Ursache der Slaar-
bildung Entozoen gefunden, welche sich durch die Kapsel in die Linse ein-
gebohrt hatten. Es waren dies theils Bund-, theils Plattwürmer und
• wurden als Filaria oculi humani, Monostoma lentis und Distoma oculi humani
beschrieben (Nordmann, Gescheidt). In jüngster Zeit ist auch ein Cysti-
cercus im Krj'stalle gefunden worden (Graefe).
5. Eine weitere Quelle von Cataracten liegt in centralen Durchbrachen
der Hornhaut. Ist die hintere Geschwürsöffnung eine sehr kleine, so wird
die Vorderkapsel auch nur in sehr geringem Umfange mit der Cornea ver-
löthet und die Verbindung unter dem Drucke des sich sammelnden
Kammerwassers leicht wieder aufgehoben, worauf der an der Kapsel haften
bleibende Pfropftheil entweder resorbirt wird, oder einen Centralkapselstaar
veranlasst (S. 94). Uebersteigt der Durchmesser die Perforationsöffnung
aber etwa eine halbe Linie, so ist die Losreissung der Kapsel viel
schwieriger, in vielen Fällen bleibt die Linse durch den Narbenpfropf mit
der Cornea und oft auch mit dem Pupillarrande verwachsen (Fig. 6, S. 95)
Sie geht dann in der Regel sehr bald staarig zu Grunde und macht ihre
secuudären Metamorphosen unter dem Einflüsse des die Verwachsung ver-
mittelnden Entzündungsprocesses durch, wird also meistens eine kalkige oder
fibröse Cataracta, deren beträchtliche Schrumpfung durch tiefe Falten der
Kapsel, welche häufig strahlenförmig um den A'erbindungspfropf angeordnet
sind, zum Ausdrucke kömmt und stets auch mit bedeutender Zerrung und
Verbreiterung der Zonula verknüpft ist.
Oftmals geschieht es bei grösseren Diirchbriichen, dass die in die Oeftnung
vorgedrängte Kapselpartie uuter dem Drucke momentaner Muskelcontractioueu
herstet und dass ein Tlieil oder fast die ganze Linse entleert wird, während die
Kapsel zurückbleibt; ja bisweilen reisst sogar auch die Jdntere Kapsel ein und es
ergiesst sicli eine grössere oder kleinere Portion des Glaskörpers. Es kann aus-
nahmsweise unter solchen Verhältnissen geschehen, dass nur ein Theil des Linsen-
restes staarig zerfällt, das Uebrige aber durchsichtig bleibt, also eine Cataracta
partialis resultirt. In der Regel jedoch wird der ganze Linsenrest cataractös und
zum grössfen Theile aufgesaugt. Man findet dann am Ende den Staar in Form
eines unregelmässig gestalteten, hanf- oder pfefferkorngrossen, kalkigen oder knnrpel-
ähnlichen Knötchens mit dem Pupillarrande an der Horuhautnarbe angewachsen.
Wenn nach erfolgter Verlöthixng der Linse die Cornea oder die Narbe selber ectatisch
wird, so muss die Linse vermöge der Festigkeit des verbindenden Pfropfes natür-
lich nach vorne folgen, die Zonula wird immer mehr gedehnt und am Ende ringsum
eingerissen, so dass die Cataracta nur mehr an der Narbe in der Concavifät des
Staphylomes haftet (Fig. 45, 46, S. 382, Fig. 48, S. 387).
6. Endlich sind violente Zusammenhangstrennungen des Strahl enblättchens
unter den Ursachen des Staares zu erwähnen. Es können dieselben durch
Erschütterungen, welche sich von dem Knochengerüste auf das Auge fort-
pflanzen und die Zonula sammt den dioptrischen Medien in starke Schwingungen
versetzen, begründet werden. Am häufigsten werden sie jedoch veranlasst
durch die directe Einwirkung stumpfer Gewalten auf das Auge, z. B. durch
einen Peitschenhieb, einen Schlag, einen Stoss, welche den Bulbus nach
einer Richtung hin zusammendrücken und vermöge der Incompressibilität der
dioptrischen Medien eine compeusatorische Ausdehnung der übrigen, nicht
unmittelbar von der mechanischen Gewalt geti'offenen Portionen der Bulbus-
44*
692 Cataracta; Ursachen; Zonnlaherstung- ; Zitter- und Schwimmstaar ; Vorfall der Linse.
wand, also eine momentane Vergrösserung des Ursprungskreises des Strahlen-
blättchens mit sich bringen.
a. In einzelnen Fällen ist der Riss ein partieller. Derselbe kann dann viele
Jahre verborgen bleiben, da er nicht nothwendig binnen kurzer Zeit zur Staar-
bildung führt. Bei genauerer Untersuchung wird man indessen ai;f ihn aufmerksam
gemacht werden durch das starke Schwanlcen der Iris bei raschen Bewegungen
des Bulbus, durch das Yorgedrängtsein der einen und das Zurücktreten der anderen
Regenbogenhauthälfte; durch die Sehstörungen, welche aus der Schiefstellung und
der mangelhaften Fixation der Linse resultiren ; durch die stark myopische Einstel-
lung des Auges, welche eine Folge der bei Continuitätstrennungen der Zonula
Constanten Convexitätsvermehrung der Linse ist; endlich durch den gänzlichen
Mangel der Accommodation. Bei Erweiterung der Pupille wird wohl auch die
fehlerhafte Stellung, die Neigung oder Senkung der Linse direct zum Vorscheine
kommen. In der Folge entwickelt sich bisweileu der Schichtstaar (Chaefe), häufiger
aber eine Total Cataracta. Hat einmal die Staarhildung begonnen., so unterliegt die
Diagnose keinerlei Schwierigkeiten und wird um so leichter, je weiter die secundären
Metamorphosen vorschreiten, indem dann der Staar durch Schrumpfung oft ganz
imregelmässig gestaltet wird und die Zonula von den Wundwinkeln aus immer
weiter eiiirei.sst, also auch das Schicanken der Iris und des Staares (Cataracta
treimdans, Zitterstaar) zunimmt, bis endlich der letztere frei wird und in die Vorder-
kammer fällt oder, bei mittlerweile eingetretener Verflüssigung des Glaskörpers,
frei im Auge henivischiceift (Cataracta natans, Schicimnutaar) und eine mechanische
Ursache continuirlicher , oder fort und fort recidivirender Entzündungsprocesse
abgibt.
b. In anderen Fällen reisst sich der Krystallkörper gleich von vorneherein
ringsum los und wird in die Vorderkammer getrieben, wo er zwischen der Iris und
der Cornea eingekeilt liegen bleibt. Die Regenbogenhaut erscheint dann stark nach
rückwärts gedrängt, ihre Wölbung ist verkehrt; die Pupille ist meistens etwas er-
weitert und unbeweglich; die Linse, welche unter Verkürzung ihres Durchmessers
eine mehr kugelige Form annimmt, macht sich, so lange sie ihre Durchsichtigkeit
bewahrt, durch ihren eigeuthümliclien Reflex, besonders durch den Schattenring
bemerklich, welcher hinter ihrem freien Rande zur Wahrnehmung kömmt und von
dem spiegelnden Glänze des letzteren stark absticht.
Sehr häufig stellen sich alsbald intensive Entzündungen ein, welche den Aug-
apfel durch Vereiterung oder Atrophie zu Grunde richten. Es kann aber auch das
Gegentheil geschehen und der in seiner Kapsel eingeschlossene Krystallkörper
Jahre lang in der Vorderkammer lagern, ohne sonderliche Beschwerden zu veran-
lassen. Am gewöhnlichsten kömmt es zu Iritiden, welche bald acut auftreten, bald
aber gleich iirsprünglich bei geringer Intensität den chronischen Verlauf einschlagen
und im Ganzen unschwer beschwichtiget werden können, oft jedoch erst, nachdem
sie Proclucte geliefert haben , welche ständige Formen eingehen und den vorge-
fallenen Krystall in seiner Stellung dauernd fixirev. In der Regel recidiviren diese
Iritiden über kurz oder lang, und die Recidiven wiederholen sich alle Augenblicke,
so dass der Kranke selbst bei der grössten Vorsicht seines Lebens nicht froh
werden kann. Wird der Linsenkörper nicht entfernt, so i^articipirt am Ende auch
die Chorioidea und Netzhaut, das Auge wird amaurotisch und atrophirt, ohne dass
jedoch damit die Ruhe erkauft wird; vielmehr dauert die Empfindlichkeit fort und
oftmals geht erst jetzt unter einem neuen entzündlichen Anfalle das Auge durch
Phthisis verloren. Ueberdies ist es nichts Seltenes , dass die Iridochorioiditis auch
aitf dem anderen Auge zum Ausbruche kömmt und dieses in seiner Functioustüch-
tigkeit gefährdet.
Der Krystallköiper selbst kann Jahre lang einen gewissen Grad von Durch-
sichtigkeit behalten, oder doch nur an jenen Stellen staarig zerfallen, an welchen
er durch iritische Producte festhängt. Immer jedoch nimmt er im Laufe der Zeit
beträchtlich an Umfang ab. namentlich wird sein Durchmesser tind später wohl
aitch die Axe verkürzt, während die Linsensubstanz selbst eine mehr schmutzig
gelbliche Farbe annimmt. Zuletzt, obwohl bisweilen erst nach Jahren, beginnt
eme wirkliche cataractöse Umwandlung an der Oberfläche und schreitet langsam
gegen den Kern vor. Die Schrumjjfung ist dann eine viel ausgiebigere und um so
beträchtlichere, je kleiner der etwa schon vorhandene sclerosirte Kern ist und je
weniger intensiv die durch den Vorfall bedingten und unterhaltenen Entzündungen
Dislocation der Linse in d. Ohisk'lrpi'r, niili'i- d. Tündcluuif ; Eclnpiii, Lnxafio lentis adria);i. ß08
waren. Ausnahmsweise ist eine vöU'uje Außöxiimj und Uesorption der prolabirten
Linse beobachtet worden (DavhJ.
<: Wirkten seJü- intensive meclianische (tewa/teti auf den Jiullius , so wird der
aus seinen Vcrbindunp;en gerissene Krystidlkfirper wohl auch in den Glaskörper
tiineingetriehen (Haisner). In einzehien Fällen erleidet hierbei der Glasldhper eine
Drehinui und die Iris wii-d völlig nach hinton gestülpt (Antmon). Meistens kömmt
es in der Folge zu heftigen Knf::'dndit.iii/en der ItinnenorijuHe, um so mehr, als diese
unter solchen Umständen gewöhnlich ehenjnüs Risse davontragen, oder wenigstens
von Blut.extravasateH aus ihren Gelassen zu leiden haben. Ist nicht PhÜdsis Lalbi
das Resultat, so geht die Functionstüchtigkeit des Auges meistens durch degene-
rative Atroplde der Gefasshaui und des Hchtemjjfindetiden Apparates unter. Es ver-
ßü.isitjt daini gewöhnlich der Glaskörper und der Kvystullkürper wird allmälig zu
einer schrumpfenden Cataracta natans, welche bei den Bewegungen des Augapfels
frei in dessen Höhle herumschwimmt und fort und fort Reizungszustände unter-
hält, wenn sie nicht früher schon durch exsudative Entzündungen eingekajjselt und
mit einem Theile der hinteren Av gapfelwandrin<jen verbunden worden ist.
d. Bisweilen wird die Sc/erotica in der Nähe ihrer vorderen Grenze zersprengt
und, indem die dioptrischen Medien gegen den Riss hin auszuweichen suchen, der
von der Zonula abgerissene Kri/stallköiper mit oder ohne einen Theil der Iris in
die Wunde oder gar unter die Conjunctiva dislocirt. Der Riss findet sich fast immer
nach Oben, sehr selten nach Innen und am seltensten nach Unten oder Aussen (Latvson).
Er läuft stets nahezu concentrisch dem Cornealrande (Manz). Der Ausgang ist
häufig Phthise oder wenigstens degenerative Atrophie des Augai>fels. Doch kann
auch relative Heilung eintreten und ein gewisser Grad von Functionstüchtigkeit des
Auges erhalten bleiben. Man findet dann den Krystallkörjjer in Gestalt eines härt-
lichen, anfänglich noch durchsichtigen, später aber sich trübenden linsenartigen
Tumors unter der hyperämirten Conjunctiva, welche davon buckelartig hervorge-
trieben wird. Falls der Krystallkörper nicht durch Eiterung ausgestossen oder auf
operativem Wege entfernt wird, inkapsulirt er sich oder verkreidet. Manchmal
jedoch, namentlich bei jugendlichen Individuen, wird er auch vollständig aufgesaugt.
Es ist nicht unwichtig zu bemerken, dass derlei Berstungen der Sclera nicht noth-
wendig mit Dislocation der Linse unter die Bindehaut verknüpft sind, dass
ähnliche Vortreibungen der Conjunctiva mitunter auch durch prolabirte Glaskörper-
partien bedingt werden und dann in kurzer Zeit spontan zurückgehen.
e. Die geringere Resistenz der Zonula erklärt es, warum unter der Einwir-
kinig stumpfer Gewalten nur äusserst selten die Kapsel berstet und die Linse aus
der Kapselhöhle herausgedrängt, vielmehr fast constant der Krystallkörper als Ganzes
dislocirt wird. Doch werden Fälle der ersten Art ausnahmsweise beobachtet. Sie
führen zu analogen Folgen , wie Ortsveränderungen der Linse bei unverletzter
Kapsel, hinterlassen jedoch, wenn der Bulbus nicht durch Eiterung zu Grunde
geht, einen Nachstaar (Mackenzie, Graefe).
f. iCs kommen übrigens Dislocationen des Krystallkörper s tiucli ange-
boren vor, oder entwickeln sich nach der Geburt ohne eine, auch nur
annähernd genügende, äussere Veranlassung. Man stellt diese, fast immer
binocularen Dislocationen als „spontane^'' den traumatischen, gewöhnlich ein-
seitigen, gegenüber und unterscheidet Ectopien und spontane Luxationen
(Slppell). Unter Ectopie versteht man eine mindergradige Verrückung des
Linsensystems innerhalb des Strahlenkranzes bei Fortbestand der normalen
Fixationsraittel. Die spontane Luxation hingegen ist ein gänzliches Her-
austreten des Krystallkörpers aus der optischen Axe wegen Vernichtung oder
excessiver Dehnung der Zonula und wegen Trennung der zwischen Hinter-
kapsel und Glaskörper bestehenden Verbindungen.
Die Ecto2}ie ist stets ungeboren, oft auch ererbt und in der Regel ujit aus-
gesprochenem myopischen Bau des Bulbus vergesellschaftet. Die Linse ist dabei
meistens nach oben und gewöhnlich auch etwas nach innen verschoben. Sie drängt
mit ihrem unteren Rande die obere Hälfte der Iris nach vorne, während die untere
Hälfte der letzteren stark nach rückwärts weicht und auch in aufiälligem Grade
schlottert. Bei erweiterter Pu,pille sticht der Zwischenraum zwisclien dem unteren
694 Cataracta; Ursachen; Ectopia, luxatio lentis adnata.
Linsenrande und den Ciliarfortsätzen als eine dunkle schwarze Mondsichel deutlich
von der glänzenden Krystallgrenze ab. Bei der ophthalmoskopischen Untersuchung
hingegen erscheint der Linsenrand als ein dunkler, nach unten scharf begrenzter,
nach oben verwaschener, mondsichelförmiger Schatten im rothen Gesichtsfelde.
Fixirt der Kranke bei massig erweiterter Pupille Objecto, so erscheinen sie ihm
oft in Farbensäumen und, wegen der prismatisch ablenkenden Wirkung des blos-
gelegten Linsenrandes, öfters auch dopjjelt. Gewöhnlich aber zeigen sie sich wie
gebrochen und, wegen dem theilweisen Zusammenfallen der durch die Linse und
der itvter derselben hinweggehenden Strahlen avf der Netzhaut, auch sehr verwirrt.
Bei enger Pupille, wenn der untere Rand der dislocirten Linse von der Iris gedeckt
ist, findet man die Einstellung des Auges meistens myopisch und stark astigmatisch.
Wird aber der obere Theil der erweiterten Pupille gedeckt und dringen die Strah-
len blos unter dem Rande der Linse durch, so ist die Einstellung eine hyper-
metropische (Donders). Es bestehen diese Zustände meistens zeitlebens, ohne weitere
Folgen zu setzen; doch begründen sie eine Neigung zum Schichtstaare und bis-
weilen Abweichungen der Augenaxen bei Fixation von Objecten (Graefe).
Die spontanen Luxationen kommen als solche wohl nie angeboren vor, sondern
entwickeln sich immer erst nach der Geburt und dieses zwar früher oder später.
Die nächste Veranlassung bleibt oft völlig unbekannt. In anderen Fällen werden
geringfügige Erschütterungen des Bulbus, Niesen, Erbrechen, starkes Bücken u. s. w.
als Ursache angegeben. Offenbar sind eine beträchtliche Eesistenzoerminderung der
Zonula und eine Lockerung des zwischen Hinterkapsel und Glaskörper bestehen-
den Verbandes unerlässliche Bedingungen zum Zustandekommen einer spontanen
Luxation. Es gehört dieses pathogenetische Moment bisweilen auf Rechnung voraus-
gängiger Entzündungen oder vielmehr davon abhängiger Ectasien der vorderen Bul-
bushälfle und dadurch bedingter übermässiger Zerrixngen des Strahlenblättchens
(Ryha, Heymann.). Gewöhnlich jedoch fehlen alle auf derartige Processe hindeuten-
den Zeichen; die Resistenzverminderung der Zonula ist wahrscheinlich ein ange-
borener und bisweilen ererbter (Horner) Zustand, worauf übrigens schon die ge-
wöhnliche Doppelseitigkeit des Leidens hindeutet, und steht in mittelbarem Zusam-
menhange mit dem fast immer nachweisbaren bathymorphischen Baue des Auges. In ein-
zelnen Fällen handelt es sich nicht sowohl um eine Zerreissung, als vielmehr um
eine bedeutende Ausdehnung, Verbreiterung der Zonula (D. E. Müller). Häufiger ist
das Strahlenblättchen nur theilweise zerrissen , die Linse baumelt an dem Reste
desselben hin und her.
Die luxirten Linsen erscheinen bei ruhiger aufrechter Haltung des Kopfes
mehr weniger tief nach abwärts und öfters auch etwas seitlich auf den Grund der
hinteren Augenkammer gesenkt, so dass ihr oberer, stark abgerundeter Rand in
oder unter dem horizontalen Durchmesser der Pupille sichtbar wird. Sie lagern
dabei schief, ohne gerade umgelegt zu sein, da der Glaskörper fast immer wohl
erhalten ist. Bei Locomotionen der Augen und des Kopfes bewegen sich die Linsen
mit (Höring , Ed. Meyer), und dieses zwar entweder blos innerhalb der hinteren
Augenkammer , oder aber es können die Linsen durch gewisse Kopfbewegungen,
oft völlig willkürlich, durch die Pupille in die vordere Kammer und wieder zurück
gebracht werden. Letzteren Zustand hat man unter dem Namen der „spontanen
Freibeweglichkeit der Linse^'' beschrieben (Heymann).
Die Symj)tome der spontanen Luxation bedürfen nach dem von der Ectopia
Gemeldeten keiner speciellen Erörterung. So lange die Linsen auf dem Boden der
hinteren Kammer lagern, ist die Einstellung des Auges, gleich wie bei der Aphakie,
selbstverständlich eine hypermetropische ; treten sie aber an die Pupille heran oder
gar in die Vorderkammer, so wird die Einstellung eine excessiv myopische, da dann
die kttgelige Abrundung der Linse und deren Vorrückung mit dem myopischen Bau
der Augen concurriren. Charakteristisch ist jedoch der überaus rasche Wechsel dieser
beiden einander entgegengesetzten Einstellungen, wenn die verticale Kopfaxe nach
bestimmten Richtungen geneigt wird. Auch ist bei der spontanen Luxation das
Sehen in der Regel viel verworrener, als bei der einfachen Ectopie, indem die Linsen
bei den geringsten Bewegungen des Kopfes und der Augen, bei dem Verfolgen
der Zeilen u. s. w. in ziemlich excursive Schwankungen gerathen und längere Zeit
darin verharren. Nur wenn die Linse in der Vorderkammer lagert, wird dieser
Uebelstand wegen besserer Fixation des Krystalles weniger fühlbar; dafür aber
macht sich die starke Brechung des Lichtes an den abgerundeten Rändern als
Quelle einer um so grösseren Störung geltend, als die Pupille dann sehr erweitert
Verlauf; llailcr, fjoinischliT, wüicber Slaar. oOo
ZU sein pflegt. Diesen Verhältnissen ist es zuzuschroihen, class Coiivex- und Concao-
(j/äser, wolclie die jcwcilif^cn Eiiistclliin^^.sl'i'liler zu neutralisiren vermöchten, den
Bedürfnissen der Kranken nur wenijjj entspreclien, vvohei allerdinfjs die gänzliche
Vernichtung^ des Accommodalionsvennöijens erlieblich beiwirkt.
Die luxirten Linsen und iiire Kapsehi bleiben in der Kej^el viele Jahre lanp
vollkonnnen durchsichti«;-, werden aber kleiuer und fast k/ifjeh-im(L Hpätcrhin wird
der luxirte Krystall jedoeli immer cataructös. YVic Trültnnf^ bei^innt dann öfter von
den dem Kerne nächsten Schichten und täuscht so einen Schichistaar vor (Fagen-
utecher). Antanj:;lich kaini der Krystall bei seinen Locomotionen durch mechanische
Keizun;^ der Iris zu denselben Folgen führen, wie eine auf traimiatisdiem Wege
veranlasste Dislocation. Besteht die spontane Luxation jedoch schon einige Zeit
und ist die Linse selion Jileiner und kugelig geworden, so kömmt es nach den
bislierigen Beobachtungen kaum mehr zu einer Entzündung.
Verlauf. Im Allgemeinen kann man sagen, dass, wo nicht besondere
locale Ursachen der Staarbildung zu Grunde liegen, diese um so langsamer
vorwärts schreite, je älter das Individuum, je derber und fester also die
Linse bereits geworden ist.
a. In der Tliat bedürfen harte Kernstaart oftmals Jahre, ehe sie so
weit ausgebildet sind, dass sie die Selbstführung des Kranken unmöglich
machen, und es vergehen nicht selten Monate, ohne dass eine auffallende
Zunahme der Trübung bemerklich wird. Immerhin jedoch findet eine fort-
gesetzte, wenn auch sehr allmälige, Verdichtung des sclerosirten Kernes und
eine Vergrösserung seines Durchmessers mit entsprechender AbÜachung statt.
Wo der Staar daher bereits eine Reihe von Jahren besteht, kann man mit
grosser Wahrscheinlichkeit auf einen grossen Kern rechnen und muss bei
der Operation wohl darauf ßücksicht nehmen. Selbst die Erweichung der
oberflächlichen Schichten geht bei alten Leuten oft sehr laugsam vor sich.
Besonders dort, wo in der Corticalis eine ferne zarte Streifung hervortritt,
ist der* Fortschritt ein sehr langsamer ; während breite Streifen neben
beträchtlicher Consistenzabnahme der betreffenden Schichten auch eine
raschere Progression des Processes anzudeuten pHegen. Immerhin ist bei
einmal begonnener Malade der Binde der Fortschritt ein weit rascherer,
als bei der Sclerose des Kernes, und es kömmt wohl auch vor, dass inner-
halb weniger Wochen oder gar einiger Tage die Cataracta eine complete
wird, nachdem der Kern Jahre lang gebraucht hat, um zu einem höheren
Grade von Trübheit zu gelangen. Auch die secundären Wandlungen der
staarigen Rindenschichten gehen im Allgemeinen ziemlich langsam vor sich,
besonders wenn die Verhältnisse einer völligen Erweichung der Rinde
ungünstig waren. In der That findet man nicht selten seit Jahren
bestehende gemischte Staare, in deren Corticalis die secundären Metamor-
phosen kaum erst begonnen zu haben scheinen. Zuv förmlichen Schrumpfung
bedarf es immer einer Reihe von Jahren.
b. Weiche Staare sind hingegen häufig schon im Laufe mehrerer
Monate ausgebildet und machen auch die secundären Metamorphosen in ver-
hältnissmässig kürzerer Zeit durch. Besonders rasch pflegt es zu gehen,
wenn Entzündungen, Atrophien der gefässhältigen Binnenorgane oder äussere
Ursachen, vorzüglich Traumen, dem Staarprocesse zu Grunde liegen.
c. Im höheren Mannesalter stösst man öfters auf ganz unregelmässige
oder speichenartig von dem Linsengleicher ausgehende, gemeiniglich fein-
körnige Trüblingen in der vorderen ober hinteren Hälfte der Corticalis,
während der Kern noch keine auffalligen Merkmale der Sclerose nachweisen
lässt. Es bestehen solche unentwickelte partielle Corticalstaare häufig viele
696 Cataracta; Verlauf; Centralkapsel-, Schichtstaar.
Jahre lang, ohne dass sich eine Zunahme oder Flächenausdehnung der
der Kapsel scheinbar anliegenden Trübungen bemerklich machte. AUmälig
bringt sich dann die Sclerose des Kernes zur Geltung oder es nimmt
der cataractöse Process in der Linsenrinde einen plötzlichen Aufschwung
und führt dann binnen Kurzem zur vollständigen Zersetzung der Corticalis.
d. Partielle Staare entwickeln sich gleich den weichen Totalstaaren
gewöhnlich sehr rasch und werden dann stationär, indem die atrophirten
Elemente durch ihre secundären Metamorphosen allmälig in ständige Formen
übergehen, ohne dass der Process weiter schreitet. Es gilt dieses vorzüg-
lich von dem Centralkapselstaar und seinen Abarten. Diese werden der
Regel nach bis ins höchste Alter getragen, ohne dass sich irgend welche
sehr auffällige Veränderungen nachweisen Hessen oder gar ein Uebergang
in Totalstaar zu fürchten wäre. Weniger Bestand haben mehr ausgebreitete
Theilstaare, da hier nach Ablauf mehrerer Jahre oder im höheren Alter
ein Weitergreifen des Processes und die daherige Ausbildung eines Total-
staares kaum mehr zu den Seltenheiten gehört.
Der Schichtstaar entwickelt sich fast immer schon in der Kindheit oder
in der Jünglingsperiode und pflegt rasch an Ausbreitung und an Saturation
zuzunehmen, worauf ein Stillstand eintritt, welcher längere oder kürzere
Zeit, meistens Jahre, selten aber bis ins späte Mannesalter hinein dauert.
Bei längerem Bestände machen sich allmälig die secundären Metamorphosen
der staarig entarteten Schichte geltend und verändern im Laufe der Zeiten
einigermassen das Bild der Cataracta. Auf einmal und ohne nachweisbare
Ursache, bald früher, bald später, greift der Process weiter, es zeigen sich
in den oberflächlichen Slratis die dem Rindenstaare eigenthümlichen diffusen
flockigen oder streifigen Trübungen, welche sich bald rasch, bald sehr all-
mälig, mit oder ohne Unterbrechungen ausbreiten und, an einer gewissen
Grenze angelangt, wieder stille stehen, um durch secundäre Metamorphosen
eine ständige Form anzunehmen. Man hat dann eine Cataracta, deren Corti-
calis sehr stark geschrumpft, zum Theile in fettigkalkige Massen oder in
grössere, der Kapsel anhaftende, sehnenähnliche Flecke umgewandelt ist,
während der Kern noch seine normale Consistenz und Durchsichtigkeit
bewahrt, aber stark vergilbt erscheint. Am Ende wird wohl auch dieser
staarig zerfällt oder sclerosirt, die Cataracta ist eine totale geworden.
Im Allgemeinen kann man auch hier aus dem Auftreten breiter trüber Streifen
und dazwischen gelegener gröberer Punkte und Flecke auf ein rasches Vorwärts-
gehen schliessen , während sehr ferne und sparsame Streifen , so wie eine diffuse
oder fein punktirte Trübung ein langsames Weitergreifen vermuthen lassen.
Es versteht sich von selbst, dass die Zunahme der Trübung mit einer ent-
spreclienden Abnahme des Sehvermögens vergesellschaftet ist. Diese treibt den
Kranken auch meistens zum Arzte und daher kömmt es, dass auf Kliniken ver-
hältnissmässig häufig solche unreine und in Progression begriffene Schichtstaare
beobachtet werden.
e. Staare, welche ihre Ursache in Traumen, in Entzündungen, über-
haupt in rein öXfocÄen Verhältnissen finden, bleiben meistens aw/ cZas betreffende
Auge beschränkt und es spricht nichts für die Annahme, dass sie eine Neigung
zur Staarbildung im anderen Auge begründen. Ausnahmsweise erhalten
sich wohl auch ohne nachiveisbare Veranlassung aufgetretene Staare, wenn
sie jugendliche Individuen betreffen, also weich sind, lange Jahre oder bis
ins höhere Alter einseitig. Cataracten jedoch, welche auf allgemeiner seniler
oder pathologischer Involution des Körpers beruhen, oder in ursprünglichen
Ausgänge; RürVliililmiR riitzüinlliclicr- liinsonliiilnmgcii n. partieller Staate. b"7
Bildungsfehlern bogründot sind, entwickeln sich mit Ausnahme höclist
seltener Fälle immer in beiden Augen. Sie treten oftmals beiderseits gleich-
zeitig auf und dann geschieht es meistens, dass der Process in einem Auge
rascher als in dem anderen vorwärts schreitet. In der Mehrzahl der Fälle
aber zeigt sich der Staar zuerst auf einem Auge, und nachdem er hier
bis zu einem gewissen Grade ausgebildet ist, macht sich in dem anderen
Auge der Beginn des gleichen Processes geltend.
Ausgänge. Es betreffen diese einerseits den Zustand des Krystall-
körpers und die mit seiner Trübung verbundenen Sehstörungen ; anderseits
aber die Functionen der übrigen Bulbusorgane , da diese erfahi'ungsgemäss
unter gewissen Verhältnissen durch den Staar gefährdet werden.
A. Entzündete Linsenelemente können unter günstigen Umständen wieder
zur vollen Norm zurückkehren. In der That sieht man die zarte Trübung
der obertlächlichen Krystallschichten, welche sich gerne im Verlaufe von
Iritiden einstellt und unzweifelhaft auf Phakitis (Capsulitis) zu beziehen ist,
nach dem Rückgänge des Wucherungsprocesses recht oft vollständig ver-
schwinden. Der unveränderte Refractionszustand des Auges ist dann Bürge,
dass die Aufhellung nicht auf Kosten der Existenz der entzündet gewesenen
Linsentheile zu Stande gekommen ist. Es gilt dies aber nicht blos von
den zarten nebligen Trübungen. In einzelnen Fällen kömmt es unter den
fraglichen Umständen auch zu dichten Trübungen der Rindenschichten,
welche ganz den Eindruck eines vollkommen ausgebildeten Corticalstaares
machen, und auch diese gehen ausnahmsweise unter Hei'stellung des früheren
Einstellungswerthes wieder völlig zurück.
Ein anderes ist es mit staarigen Trübungen im engeren Wortsinne,
welche awi einem Zerfalle, auf Schwund der Theile beruhen. Ob auch bei
diesen eine wahre Heilung, eine Rückführung zur Norm möglich sei, ist
zweifelhaft, wird aber behauptet und zwar will man einen solchen Aus-
gang theils spontan (Himly, Ed. Jaeger), theils in Folge mannigfaltiger
Behandlung sioeisen (Siehe diese) beobachtet haben.
Die Mögliclikeit einer spontanen Heilung soll insbesondere voi'liegen bei
unvollständig entwickelten Staaren der oberflächlichen Linsenschichten, vorzüglich
bei streifigen Trübungen in den mittleren Lagen der hinteren Corticalstrata, welche
entweder für sich bestehen, oder doch nur mit kurzen Fortsätzen über den Linsen-
äquator in die vorderen Rindenschichten hineinragen und schon durch längere Zeit
stationär geblieben sind (Ed. Jaeger).
Dagegen wird durch völlige Aufsaugung der staarig gewordenen Linsen-
partien , so wie durch Verschiebung des ganzen Krystallkörpers, nicht ganz
selten eine relative Heilung oder wenigstens eine Verminderung der Seh-
störung zu Stande gebracht.
1. Die Resorption, soll sie an sich einem solchen Zwecke genügen,
setzt malacische Linsenschichten voraus ; bei sclerosirten, verkalkten, fibrösen
etc. Staarmassen ist sie eine viel zu langsame und unvollständige, als dass
ein günstiges Resultat dieser Art erzielt werden könnte.
a. Bei unverletzter Kapsel findet indessen auch schon die Resorption
iveicher Linsenschichten grosse Schwierigkeiten, und es geschieht wirklich
nur sehr selten, dass malacische Krj^stallpartien aus der geschlossenen Kapsel -
höhle in Folge von Aufsaugung simrlos verschwinden.
Am ehesten kömmt dieses noch vor bei pai-tiellen Staaren jugendlicher Indi-
viduen, vornehmlich aber bei unvollständig entwickelten Corticalcataraclen. Die Auf-
hellung geht dann immer auf Kosten des Umfanges und der Form des Krystalles;
ß98 Cataracta; Ausgänge; Resorption bei unverletzter und eröffneter Kapsel.
dessen Oberflächen platten sich in entsprcclicndem Masse ab iitid werden gewöhn-
lich unregelmässig, während gleichzeitig auch eine Schrumpfung vom Aequator
her einzutreten pflegt. Im Zusammenhange damit steht eine hypermetropische
Einstellung des dioptrischen Apparates und beziehungsweise eine Verzerrung der
Zerstreuungskreise , so wie eine fast völlige Vernichtung des Accomviodations-
vermöriens.
In der grössten Melirzahl der Fälle bleibt unter solchen Verhältnissen
die Aufsaugung eine unvollständige, die gegebenen Trübungen verkleinern
sich nur unter entsprechender Volumsabnahme und Missgestaltung des
Krj'stalles, sie zerfahren, spalten sich, es entstehen in der sich verdichten-
den Trübung Lücken und diese stellt endlich nur mehr Haufen von
Punkten oder Flecken, Streifen, Blättern u. s. w. dar, welche, aus fettig-
kalkiger hellweisser opaker Masse gebildet , in die durchsichtige Linsen-
sitbstanz eingesprengt erscheinen und mehr weniger grosse Zwischenräume
für den Durchgang directer Lichtstrahlen zwischen sich offen lassen.
So wird bisweilen bei ausgebreiteten corticalen Trübungen, welche längere
Zeit stationär geblieben waren , bei partielle7i Staareu aller Art einschliesslich
der traumatischen, und besonders bei Schichtstaaren, durch die secundäre Wandlung
der cataractösen Massen das sehr beeinträchtigte oder ganz aufgehobene Sehver-
mögen bis zu einem sehr ansehnlichen Grade wieder gebessert und, falls der Staar
nicht weiter schreitet, in diesem Zustande auch erhalten.
Bei Totahtaaren genügt die Resorption für sich allein nicht mehr, um eine
sehr erhebliche Besserung des Sehvermögens zu vermitteln. Doch schrumpfen mit-
unter flüssige Totalstaare in Folge fortgesetzter Resorption auf ein dünnes trockenes
Häutchen zusammen, welches stellenweise einen sehr hohen Grad von Durchschein-
barkeit erlangen und eine mühselige Selbstführung gestatten kann. Ausnahmsweise
wird ein solcher Staar wegen fast vollständiger Resorption des Magma wohl gar
so durchsichtig, dass die Kranken mit Zuhilfenahme entsprechender Gläser, und
selbst ohne diese, scharf sehen, ja kleinen Druck lesen. Einmal wurde ein solcher
Zustand in einer Familie erblich gefunden (Graefe). Möglicher Weise kömmt es wohl
auch bei gemischten Staareu mit flüssiger Oberfläche zur Herstellung eines massigen
Sehvermögens, indem die Rindenschichten fast völlig resorbirt werden, so dass nicht
nur durch den diaphanen Kern, sondern auch an diesem vorbei, ein gewisses
Quantum directen Lichtes passiren kann.
b. Wird die Kapselhöhle durch eine äussere Schädlichkeit oder auf
operativem Wege geöffnet und so den dioptrischen Flüssigkeiten die Möglich-
keit einer directen Einwirkung auf die staarige Linsenmasse geboten, so
leistet die Resorption ungleich mehr und wird unter übrigens normalen Ver-
hältnissen in ihrer Wii'ksamkeit noch wesentlich unterstützt durch das
Vermögen der Kapselzipfel, sich zusammenfalten und gegen den Aequator
hin bis auf die Verbindungslinie der einzelnen Wundwinkel zurückzuziehen.
Im A Ugemeinen gilt es hierbei ziemlich gleich , ob die Kapselverletzung
erst den Staarprocess eingeleitet hat, oder gesetzt worden ist, nachdem die
Cataracta bereits begonnen hatte und in ihrer Entwickelung mehr weniger
weit fortgeschritten war. Die Grösse des Erfolges hängt mehr ab von der
Länge und Tiefe, der Zahl und der Richtung der einzelnen Kapselwunden,
von dem Zustande der Kapsel, von der Consistenz der Linse in ihren
einzelnen Schichten und von der Intensität , mit welcher die blutführenden
Organe des Augapfels auf die Verletzung reagiren.
ct. Eine einfache lineare Kapselwunde gestattet natürlich kein sehr
erhebliches Kl offen der Oeffnung und gibt auch der directen Einwirkung der
dioptrischen Flüssigkeiten auf die Linsenmasse nur einen geringen Spiel-
raum. Ist die Wunde sehr kurz, so verheilt sie oft alsbald wieder mit oder
ohne Hinterlassung einer linearen fettigkalkigen Narbe. Ist sie aber länger,
Voigilnge bei weit Roöffiii'ti'r Kapsel; Cataracta secundaria; Krystallwulst. 609
SO gewinnt sie unter einiger lletraction der Wundnindcr eine scliinal
lanceitliche Form. In einem und dem anderen Falle bleibt die Resorption,
die Verhältnisse mögen ihr übrigens noch so günstig sein, eine unvoll-
ständige. Die beiden Kapselhälften rücken höchstens sehr nahe an einander
und werden durch die secundär metamorpliosirenden Staarreste zusammen-
gelöthet ; das Itesultat ist ein trockenhülsiger Nachstaar {Cataracta secundaria),
welcher sich von einer gewöhnlichen Cataracta siliquata oder discoidea nur
dadurch unterscheidet, dass seine vordere Wand eine fettigkalkigc Narbe
oder eine von gewulsteten Eändei'n umgebene lancettliche Spalte zeigt, die
nach hinten von der, meistens trüb beschlagenen Hinterkapsel verlegt wird.
War die hintere Kapsel indessen auch verletzt worden, so kann in der
Spalte der Glaskörper biosliegen und bei Zuhilfenahme entsprechender
Gläser ein deutliches iiud scharfes Sehen ermöglichet werden.
ß. Wurde die Kapselhöhle durch einen Lappenschnitt oder durch eine
Mehrzahl sich kreuzender Risse oder Schnitte geöffnet, so gestalten sich die
Verhätnisse weit günstiger, indem sich die Wundzipfel oder Lappen durch
Einrollung und Faltung zurückziehen. Die dioptrischen Feuchtigkeiten
wirken dann auf einen grossen Theil der Linsenmasse direct ein, daher
denn auch die Zerfallung eine sehr rasche zu sein pflegt und, wenn sie
mit starker Blähung einhergeht, nicht selten ein weiteres Einreissen der
Kapsel von den Wundwinkeln aus mit sich bringt, was das Zurückziehen
der Zipfel bis zum Linsenrande sehr begünstiget. Die im Bereiche der Kaps el-
öffnuvg gelegenen Theile des Krystalles werden dann, wenn nicht besondere
Umstände entgegentreten, meistens völlig aufgesaugt; die von den Kapscl-
resten gedeckten Portionen aber hinterlassen immer einen Rückstand, welcher
wenigstens theihveise verkalkt und die über einander liegenden Partien der
beiden Kapselhälften zusammenlöthet.
Waren beide Kapselhälften in loeitem Umfange zerspalten worden , so
stellt der Staar eine Art Ringwulst (Krystallwidst) dar, welcher secundär
metamophosirende Staarmassen enthält und eine aus den peripheren Theilen
der beiden Kapselhälften gebildete Hülle besitzt, die an ihrem inneren
Rande durch die verkalkten Staarreste schlauchartig abgeschlossen wird,
an dem äusseren Rande aber durch die Zouula in normaler Verbindung
mit dem Strahlenkörper steht. Erstreckten sich die Kapselwunden bis an
den Aequator, oder wurden gar einzelne Stücke aus der Peripherie der
Kapsel herausgerissen, so erscheint der Krj'stallwulst oft lückenhaft, er um-
säumt nur einzelne Portionen des Ciliarkörpers , an anderen fehlt jede
Spur, oder es finden sich daselbst nur einzelne trübe Fetzen vor. Es
wird dieser Kiystallwulst von der Iris völlig gedeckt, die Pupille zeigt
sich vollkommen rein und für directe Lichtstrahlen wie im Normalzustande
durchgängig.
War aber die Hinterkapsel unverletzt geblieben, so erscheint sie später-
hin in der Lichtung des Krystallwulstes wie in einem Rahmen ausgespannt.
Oefters zeigt sie eine ziemlich starke Vorbauchung, was durch die Massen-
zunahme des Glaskörpers zu erklären ist. Sie kann für immer ihre volle
Durchsichtigkeit bewahren : nicht selten aber geht sie schon trüb aus dem
Processe hervor oder verliert erst später ihre Pellucidität durch einen
mehr weniger dichten Beschlag, welcher aus Zellen oder ihren Derivaten
besteht, die sich an der vorderen Fläche der hinteren Kapsel neu zu bilden
700 Oatarai'ta; Ausgänge; Verliallen dfh Staares nach Zerkliiftiuifj der Kapsel.
pflegen (Schiess-Gemuseus) und im weiteren Verlaufe sich mannigfaltig
verändern.
War die Zerklüftung der vorderen Kapsel eine unvollkommene geblieben
und waren solchermassen nur einzelne kurze Zipfel gebildet worden, welche
sich vermöge der Lage der entsprechenden Wundwinkel nur wenig zurück-
ziehen konnten ; so kommt es vermöge der Absperrung der peripheren
Linsenportionen allerdings auch bisweilen zur Entwickelung eines wulst-
ähnlichen Rahmens ; dessen Lichtung wird aber zum grossen Theile verlegt
durch trübe häutige Ausläufer, welche aus den durch ein fettigkalkiges
Staarstratum übereinander gelötheten mittleren Portionen der beiden Kapsel-
hälften bestehen und, indem sie nur einen Theil der Pupille frei lassen,
immer eine sehr merkliche Beschränkung des Sehvermögens zur Folge haben.
Y. Auf dass sich die Zipfel der Kapsel zurückziehen können, wird unbe-
dingt vorausgesetzt, dass dieselben nicht durch entzündliche Auflagerungen
oder durch anhaftende, secundär metamorphosirte Staarreste der normalen
Elasticität verlustig geworden sind. Schon ganz dünne Auflagerungen, sie
mögen die innere oder äussere Wand betreffen, setzen der Retraction sehr
bedeutende Hindernisse entgegen. Bei einer gewissen Dicke genügen sie, um
selbst schmale und lange, fast lineare Balken in ihrer ursprünglichen Lage zu
erhalten. Es wird solchermassen die Wiedervereinigung neben einander
gelegener Kapselzipfel sehr begünstigt und die directe Einwirkung der
dioptrischen Feuchtigkeiten auf die staarige Linsenmasse sehr beschränkt.
Daher pflegt unter solchen Umständen die Resorption verhältnissmässig
weniger zu leisten, dafür aber die Kalkbildung eine reichliche zu sein.
c. Einen sehr wesentlichen Einfluss auf die Gestaltung der anato-
mischen Verhältnisse nimmt die Beschaffenheit der einzelnen Linsenschichten,
also die Form und der Entwickelungsgrad des gegebenen Staares. Im All-
gemeinen pflegt unter übrigens gleichen Umständen die Aufsaugung des
staarig zerfallenden Krystalles und die Retraction der Kapselzipfel eine um
so raschere und vollständigere zu sein, je toeicher die Linse in ihren einzelnen
Bestandtheilen ist. Flüssige Totalstaare ständen insoferne obenan, wenn
bei ihnen die secundären Metamorphosen nicht sehr früh begännen und
die Kapsel durch fettkalkige Beschläge der natürlichen Elasticität beraubten.
Weiche Staare, bei welchen die Malacie bis ins Centrum vorgeschritten ist,
insbesondere die von stärkekleisterähnlicher Consistenz und Farbe, werden
darum als die relativ günstigsten betrachtet. Uebrigens geht auch bei den
partiellen und unvollständig entwickelten Totalstaaren kindlicher oder sehr
jugendlicher Individuen die Resorption sehr rasch vor sich und es reichen
oft verhältnissmässig geringe Verletzungen hin, um die Pupille grossentheils
oder ganz frei zu legen. Jenseits der Pubertätsperiode ist die Consistenz
des Kernes einer raschen und vollständigen Resorption oft schon sehr hinder-
lich. Die Schwierigkeiten steigen aber im Verhältnisse, als mit fort-
schreitendem Alter die Dichtigkeit und der Umfang des Kernes wachsen.
Harte Kernstaare und gemischte Staare, wenn das Volumen des Scleromes
nur einigermassen bedeutender ist, verhalten sich in der That gegen ein-
fache Spaltungen, selbst wenn diese den Kern durchdringen, ziemlich in-
different. In noch höherem Grade aber gilt dieses von Staaren, bei welchen
die secundären Metamorphosen schon weit gediehen sind, von der Cataracta
siliquata, discoidea, calcarea, fibrosa. Damit hier ein Theil der Pupille für
Staarblähunf; und (li'ri'ii Folgen. /Ol
directe Lichtstrahlen duvchlässi<i; werde, müssen grössere Portionen aus der Mitte
der vorderen oder beider Ktipscln herausgerissen und sammt dem etwa vorhan-
denen sclerosirenden Kerne aus der optischen Axe des Auges dislocirt werden.
£. Die Beschaffenheit der einzelnen Linsenstrata bceinüiasst ausserdem
das Mass der mit dem staarigen Zerfalle verbundenen Blähung oder
Quellung und damit gewissermasscn auch noch das Mass der Gefahr ent-
zündlicher lieaction (Graefe). Bei breiig zerfallenen und besonders bei Linsen-
theilen, welche in den secundären Metamorphosen schon weit vorgeschritten
sind, ist die Aufquellung eine sehr geringe oder fast Null. Auch grosse
Trümmer sclerositer Kerne blähen sich wenig, da sie nur sehr langsam
von den dioptrischen Feuchtigkeiten angegriffen und der Resorption zuge-
führt werden. Mechanische Heizungen der gefässhaltigen Binnenorgane
sind von solchen Staartheilen also nur zu fürchten, wenn sie aus der
Kapselhöhle hervortreten oder gar auf den Boden der Kammer fallen und
mit der Regenbogenhaut in directe Berührung kommen. Kleinere Trümmer
sclerosirter Kerne hingegen schwellen unter günstigen Verhältnissen schon
mehr auf, weil sie den dioptrischen Feuchtigkeiten eine relativ viel grössere
Oberfläche darbieten, die Zersetzung also rascher erfolgen kann. Am meisten
blähen sich unter übrigens gleichen Umständen durchsichtige oder bereits
getrübte Liusentheile, welche die normale oder fast normale Consistenz haben
und zwar ist die Aufquellung eine um so raschere und bedeutendere, je
mehr die Kapsel und die Linse mechanisch zerklüftet wurden.
Die mit der Blähung verbundene mechanische Reizung der gefässhaltigen
Binnenorgane ist aber unter sonst gleichen Verhältnissen um so grösser
und droht um so mehr Gefahr, je grösser die Dichtigkeit der geblähten
und mit der Iris in Contact kommenden Theile ist. In der That werden
bei Kindern oft enorme Staarblähungen vertragen, ohne dass es ^u einer
heftigen Entzündung kömmt, während schon in der Pubertätsperiode relativ
geringe Blähungen intensive Reactionen mit sich zu bringen pflegen. Von
da an steigt die Missgunst der Verhältnisse und im höheren Mannes- und
Ghreisenalter genügt oft schon ein kleiner Kiystallflocken, welcher aus einer
zarten Stichwunde hervorragt, um wahrhaft deletäre Processe anzufachen.
Es kömmt hierbei sowohl die mit der Dichtigkeit der geblähten Theile
wachsende Schwierigkeit der Resorption, als auch die Dauer der mechani-
schen Reizwirkung in Betracht. Abgesehen hiervon ist jedoch auch das
Alter als solches von grossem Belange, denn es ist durch die Erfahrung so
ziemlich erwiesen, dass Kinderaugen auf gleiche Verletzungen im Ganzen
iveit weniger reagiren, als die Augen Erwachsener oder gar der Greise.
Es stehen diese Gefahren der Blähung ausserdem auch noch in einem sehr
lüohl TM beachtenden Verhältnisse ziir Grösse und Dauer der durch Atropin erziel-
baren Wirkungen, so dass man unter sonst gleichen Umstünden die Blähung für
loeniger bedenklich halten kann, wenn die Iris rasch und nachhaltig auf Atropin
reagirt, die Pupille also durch Mydriatica leicht auf das Maximum erweitert und
ausser dem Bereiche der Staartrümmer gehalten werden kann (Graefe).
Es versteht sich von selbst, dass auch individuelle, nicht näher bestimmbare
Eigenthümlichkeiten Einfluss nehmen. Diese führen bisweilen zu ganz übermässigen
Reactionen, ja zu eitrigen Zerstörungen des ganzen Bulbus, wo man es am wenigsten
erwartet hätte ; während sie umgekehrt in einzelnen Ausnahmsfällen den gröbsten
Beleidigungen der gefässhaltigen Biunenorgane die gefährliche Spitze abbrechen.
In wie weit bei diesen Vorgängen das chernisclie Moment der Staarzei"setzung
in Rechnung zu ziehen sei (Pagenisteclier), ist nicht ausgemacht. Jedenfalls ist der
vitale Einfluss des Wucherungsprocesses , welcher sich in den der Kapsel anhän-
702 Cataracta; Ausgänge; Einfluss d. Entzüiidg. auf d. Resorption; Heilung durch Dislocation.
genden, noch lebensfähigen Liusenelementen einzustellen pflegt, bei der Entwickelung
von Iritiden nicht ohne hohe Bedeutung (Graefe).
Wenn solchermassen angeregte Entzündungen übrigens auch ohne nam-
haftere Schädigung der gefässreichen Binnenorgane des Augapfels ablaufen,
so bleiben sie doch in hohem Grade misslich, indem unter ihrer Ein-
wirkung die Resorption nicht nur sehr verlangsamt, sondern oftmals geradezu
gehindert und der Uebergang der biosgelegten Staartheile in ständige Formen
begünstigt wird. Einerseits bilden sich in Folge von Iritis nämlich gerne
hintere Synechien, welche der Retraction der Kapselzipfel im Wege stehen ;
andererseits aber greift der Gewebswucherungsprocess leicht auf die eigent-
lichen Linsenelemente über. Thatsache ist wenigstens, dass unter solchen
Verhältnissen die im Bereiche der Kapselöffnung gelegenen Linsentheile
sich oftmals ansehnlich verdichten und mit der Zeit förmliche Schwarten
von fibrösem Aussehen oder Haufen von Kalkdrusen darstellen, welche die
Kapselhöhle nach vorne hin wieder abschliessen und sich öfters sogar mit
einem neoplastischen Glashäutchen überziehen, während der Inhalt der
Kapselhöhle gleichfalls unter vorwaltender Kalk- oder Cholestearinent-
wickelung ständig wird und die Catai'acta ganz den Charakter eines unter
heftigen Entzündungen entwickelten Staares gewinnt.
2. Ein anderer Weg für relative Heilungen des Staai'es ist in Sprengungen
der Zonula und in dadurch ermöglichten Verschiebungen des cataractösen
Krystallkörpers gegeben. Es versteht sich von selbst, dass als Ursachen einer
solchen Zusammenhangstrennung des Strahlenblättchens dieselben Verhält-
nisse in Betracht kommen, es möge die Linse staarig oder durchsichtig sein
(S. 692). Immerhin sind jedoch die Umstände einer partiellen oder
totalen Ablösung des Krystallkörpers bei Cataracten , besonders solchen,
welche in der regressiven Metamorphose scho7i weit vorgeschritten sind, um
ein Bedeutendes günstiger. Abgesehen davon, dass die Zonula bei Atrophie
der Linse selten ganz unberührt bleibt, wird nämlich durch die Schrumpfung
der Cataracta selbst ein Zug, und zwar oft ein ungleichmässiger, auf das
Strahlenblättchen ausgeübt, dieses demnach unverhältnissmässig gespannt
und oft sogar ziemlich stark ausgedehnt. Es bedarf dann blos einer geringen
äusseren Gewalt, oft nur einer kräftigen Contraction der geraden Augen-
muskeln, um die Zonula zum Bersten zu veranlasssen. Ist der Glaskörper
vielleicht gar verflüssigt, was bei Staaren, welche sich unter dem Ein-
Üusse heftiger Entzündungen entwickelt haben, nicht selten vorkömmt, so
genügen öfters schon die starken Schwingungen, in welche das Fluidum
durch rasche Bewegungen des Augapfels versetzt wird, um ein Springen der
Zonula zu bewirken.
Ist das Strahlenblättchen dann auch nur in geringem Umfange zerrissen,
so senkt sich der Staar, seiner Schwere folgend, bald nach dieser, bald nach
jener Richtung und legt so vielleicht vorübergehend Theile der Pupille blos.
Dazu kömmt, dass nach Trennungen der Zonula das Hinderniss für eine
Verkürzung des Durchmessers der Linse beseitiget ist. Kann sich aber die
Linse nach allen Dimensionen um ein Bedeutendes verkleinern, so wird
wohl auch ein grosser Theil der Pupille oder diese ihrem ganzen Umfange
nach bleibend frei.
So lange ein solcher geschrumpfter Staar noch durch Reste der Zonula
mit dem Ciliarkörper in Verbindung steht, kann er sich allerdings nicht von
der Stelle bewegen, doch folgt er allen Schwingungen des Glaskörpers und
Dislocatio eataractae; Zitter-, Scliwiminstaar; I-'olf^en iler Seli.stöning. 703
des Kamnierwassers, erscheint dcranaoli als Zitterstaar (Cataracta tremnlans) .
Er wird durch diese OsciUationen und die mechanische Ikürrung der llegen-
bogenhaut gerne die Ursache acuter^ oft höchst verderblicher Entzündungen.
Häutiger indessen veranlasst er chronische Tridochorioiditis, welche leicht
den Ruin des Bulbus liei'beifiihv(>n, ja selbst auch das andere Auye in ]\Iit-
Icidenschaft ziehen und gefährden kann. Doch kömmt es auch vor, dass
der Staar durch diese Entzündungen allmälig //a:;i/< und ?mscÄä(Z/tc7j gemacht
wird, oder dass seine Beivegungen vertragen werden, ohne irgend eine
erhebliche Reaction nach sich zu ziehen.
Verwächst der Zitterstaar nicht mit seinen gefässlialtigen Umgebungen,
so schreitet wegen der mit den OsciUationen verbundenen Zex-rung die
Trennung der Zonula oftmals weiter und am Phide wird ein Schwimmstaar
daraus, ein Ereigniss, welches übrigens auch gleich ursprünglich in Folge
der Einwirkung einer äusseren mechanischen Gewalt und in Folge einer
darin begründeten totalen Zerreissung des 8trahlenblättchens zu Staude
kommen kann.
Ein gänzlich aus seinen normalen Verbindungen gerissener Staar senkt
sich bisweilen einfach und wird auf entzündlichem Wege am Boden der
hinteren Kammer fixirt, möglicher Weise also auch für die Dauer unschäd-
lich gemacht. Oefter jedoch bleibt er, gleichviel ob Iridochorioiditis ein-
tritt oder nicht, längere Zeit frei und kömmt bald in die Vorderkammer,
bald tritt er wieder zurück. Verharrt er längere Zeit in der Vorderkammer,
so regt er vermöge der mechanischen Beeinträchtigung der Iris meistens
bald heftige Entzündungen an, welche selten auf die Regenbogenhaut be-
schränkt bleiben und den Staar fixiren, vielmehr in der Regel sich über
den gesammten Bulbus ausbreiten und diesen durch Atrophie oder Phthise
zu Grunde richten. War der Glaskörper bei der Ablösung des Krystalles
schon verflüssigt, oder verflüssigte er sich erst in Folge der Entzündungen,
welche durch den beweglichen Staar augeregt und unterhalten zu werden
pflegen : so kann der Staar im ganzen inneren Angenraume hei'umschwimmeu,
er erscheint bald in der Kammer, bald senkt er sich in die Tiefe des
Augengrundes, bis er endlich unter einer heftigeren Entzündung irgendwo
fixirt wird, oder der Bulbus durch Atrophie oder Phthise zum Schrumpfen
gebracht worden ist.
B. Die Sehstörungen, welche durch den Graustaar bedingt werden,
können unter gewissen Umständen einen nachtheiligen Einfluss auf die
Functionstüchtigkeit des licht empfindenden und des Beioegungsapparates der
Augen ausüben.
Entwickelt sich der Staar erst nach der Pubertätsperiode, oder gar im
reiferen Alter, so droht nur selten ein derartiges secundäres Leiden. Aller-
dings erscheinen solche Cataracten gar nicht selten in Gesellschaft von
Amblyopien und bisweilen auch von Motilitätsstörungen ; dieses sind aber
zufällige Complicationen, oder sie fliesseu mit dem Staare aus derselben
Quelle. Langjähriger Bestand der Cataracta, besonders einer einseitigen,
führt in dieser Altersperiode höchstens zu dem Uebelstande, dass der Kranke
nach einer glücklichen Operation die ihm gebotenen Theileindrücke nicht
recht zu sondern und zu beurtheilen vermag und einer längeren Uebung
bedarf, um in den Vollgenuss des wiedererlangten Sehvermögens zu
gelangen.
704 Cataracta; Ausgänge; Folgen der Sehstörung; Behandlung; Pharmaceut. Mittel.
Ungünstiger gestalten sich die Verhältnisse, wenn der Staar schon im
frühen Kindesalter oder gar schon ivährend der Fötalperiode zur Entwicke-
lung gekommen ist, und dies fällt um so schwerer in die Wagschale, als
derartige Cataracten ohnehin schon in einem nicht geringen Procente mit
Bildungshemmungen der übrigen Organe und davon abhängigen Functions-
störungen gepaart sind. Ist der Staar beiderseitig, so stellt sich fast immer
sehr bald Nystagmus ein, welcher mit den Jahren an Intensität zunimmt
und in der Regel auch bald zu einer sehr bedeutenden strabotischen Ab-
weichung des einen oder des anderen Auges führt. Dazu gesellt sich
erfahi'ungsgemäss nicht gar selten eine Abnahme der Functionstüchtigkeit
beider Netzhäute, welche bei Verschiebung der Operation mit den Jahren
sich steigert, öfter schon vor Beginn der Pubertätsperiode zu einer wahren
binocularen Amblyopie geworden ist und jeden weiteren Heilversuch frucht-
los macht. Ist der Staar ein einseitiger und bleibt er es durch lange Jahre,
so ist Amblyopie und Strabismus des cataractösen Auges eine sehr gewöhn-
liche Folge. Doch sind allerdings auch Fälle bekannt, wo solche im
frühesten Alter aufgetretene Staare in den späteren Lebensperioden mit dem
besten Erfolge operirt worden sind und das Auge seine normale Stellung
und Beiceglichkeit behauptet hat (Graefe, Knapp).
Die Therapie hat die Aufgabe, beginnende Staare rückgängig zu machen,
oder wenigstens in ihrer weiteren Entwickelung zu hemmen. Wo die
cataractöse Trübung lediglich der Ausdruck eines im vollen Gange befind-
lichen frischen Entzündung sprocesses ist, wird man durch entsprechendes
antiphlogistisches Verfahren diesem Zwecke zu genügen öfters in der Lage
sein. Widrigenfalls kömmt es darauf an, die mit der fortschreitenden
Ausbildung des Staares verbundenen Sehstörungen thunlichst zu vei-mindern,
bis sich die Entfernung des Staares aus der optischen Axe möglichst leicht und
gefahrlos bewerkstelligen, die Hauptindication also erfüllen lässt.
A. 1. Ob eine Rückbildung eigentlicher cataractöser Trübungen auf
therapeutischem Wege zu erzielen sei, ist mindestens sehr zweifelhaft.
Allerdings behaupten mehrere glaubwürdige Autoren nach dem systematischen
Gebrauche von Mercin-iaUen, nach mehrmonatlichen Einreibungen von Jodkalisalbe
in die Umgebung des Auges, nach der innerlichen und äusserlicheu Anwendung von
Phosphor (Tavignot), nach einer Behandlung mit Electricität {FayeJ, nach Bade-
kuren in Karlsbad, Eger (Himly, Arlt) u. s. w. eine völlige Aufhellung vorhandener
cataractöser Trübungen, besonders corlicaler, gesehen zu haben. Es sind diese Fälle
indessen so seltene Ausnahmen, dass sie kaum zur Einleitung derartiger Behandlungen
ermuntern. Die Hofl'nungen, welche man in BetreiJ" diabetischer Cataracten auf die
Heilwirkung der Karlsbader Quellen gesetzt hat (Melchior), sind nach den bisherigen
Erfahrungen als ganz gescheitert zu betrachten. Eben so hat sich die Wirksamkeit
-methodisch loiederholter Corneal^jaracentesen (S. 108) als nichtig erwiesen (Rivaud-
Landrau u. A.), doch will man damit den Fortschritt des Staarprocesses zeitweilig
gehemmt haben (Secondi). In wie weit der Einfluss concentrirten Sonnenlichtes zur
Aufhellung staariger Trübungen nutzbar gemacht werden kann (M. Laiigenbeck), ist
nicht genugsam geprüft worden.
Immerhin können therapeutische Behandlungen mittelbar von grossem
Nutzen werden, insoferne sie nämlich geeignet sind, directe oder indirecte
Ursachen der Staarbildung gründlich zu beheben.
Es lässt sich wenigstens a priori kaum abläugnen, dass mit der Beseitigung
der pathogenetischen Momente auch die Entivickehmg des Staares gehindert und dessen
Weiterscliveiten gehemmt werden könne. Gelingt dieses aber, so ist offenbar die
Möglirhkeif gegeben, dass die bereits getrübte Partie durch regressive Metamoiphose
und Aufsaugung zum Verschwinden gebracht oder beträchtlich zerklüftet und so
Diätetische Massregeln; Mydriatica. 705
eine relative Heilunj; eizielt wird. Die Indicatioii für ein solches therapeutisches
Vorgehen tritt am klarsten lieraus, wo geivisse Krankheiten einen verderblichen Ein-
fluss auf die Veqelationsverhältnisse des gesammten Körpers nehmen und eine i)atho-
loo-ische Involution begründen, so wie dort, wo locale Entzündungen die normale
Ernährung der Linse gefährden.
2. Bhitziehen sich die pathogenetischen Momente der Staarbildung der
Erkenntniss, oder liegen sie ausser dem Bereiche therapeutischer Heilwirkungen,
so ist es bei unreifen Catai-acten das beste, die Reife geduldig abzuwarten
und die ganze Sorge auf Fernhaltung von Schädlichkeiten zu richten, welche
den cataractösen Process möglicher Weise beschleunigen, oder die übrigen
Bulbusorgane in einen Zustand versetzen könnten, der den Erfolg der
später vorzunehmenden Operation gefährdet oder völlig aufhebt.
Es genügt in dieser Beziehung ein gemässigtes Leben und es wäre
ganz überflüssig, dem Kranken gewohnte und für seinen übrigen Körper
unschädliche Genüsse vorenthalten zu wollen. Doch ist es klug, wenn nicht
geradezu nothivendig, auf thunlichste Schonung der Augen zu dringen und
namentlich Beschäftigungen zu untersagen, welche ein genaues Sehen in
kurzen Distanzen erfordern, also anhaltendes Lesen, Schreiben, Nähen u. s. w.
3. Bei beiderseitigen Staaren, welche in ihrer Entwickelung bis zu
einem gewissen Grade vorgeschritten sind, verbieten sich Beschäftigungen,
die ein scharfes Sehen verlangen, in der Regel von selbst. So lange der-
artige Staare noch auf keinem Auge zur Reife gelangt sind, stellt sich die
Aufgabe, die damit verknüpften Sehstörungen einstweilen nach Thunlichkeit
zu vermindern, um dem Kranken sein trauriges Los zu erleichtern, bis die
Operation unter möglichst günstigen Aussichten auf Erfolg durchgeführt werden
kann. Gemeiniglich hilft sich der Kranke schon selbst durch starke Beschattung
der Augen und Abbiendung diffusen seitlichen Lichtes (S. 123), indem solcher-
massen die Pupille sich etwas erweitert und die Erleuchtungsintensität des
von der Linsentrübung ausgehenden Spectrums gemindert, die Deutlichkeit
und Helligkeit der Netzhautbilder sonach gesteigert wird. Der Arzt wird
breite Krampen, Augenschirme u. dgl. empfehlen, wenn directes Sonnen-
oder Lampenlicht abzuhalten ist; dunkle Gläser aber, wenn grelles diffuses
Licht gedämpft werden soll (S. 22).
Es werden in solchen Fällen vielfach die Mydriatica angewendet. Man hat
jedoch ihre Wirkung nicht ganz in der Hand. Werden Lösungen von Atropin etc.
eingeträufelt, so erweitert sich die Pupille gewöhnlich sehr stark und das Sehen wird
dann oft sehr verwirrt. Der Geivinn ist darum nur dort ein sehr in die Augen
springender, wo die durch Beschattung der Augen erzielbare Erweiterung des Seh-
loches einer erheblichen Besserung des Gesichtes niclit mehr genügt. Hier bleiben die
mydriatischen Lösungen jedenfalls ein zeitweilig verwendbares werthvoUes Palliativ.
In den übrigen Fällen ist die einfache Beschattung vorzuziehen.
4. Es genügen diese Hilfsmittel begreiÜicher Weise nur, wenn der
Staar in stetem Fortschreiten begriffen ist und die begründete Hoffnung gibt,
es werde in nicht ferner Zeit eine erfolgreiche Operation desselben mit ver-
hältnissmässig geringen Gefahren, wenigstens auf Einem Auge, vorgenommen
werden können. Bei partiellen Staaren, welche bereits stationär geworden
sind und erfahx'ungsgemäss Jahrzehende, ja das ganze Leben hindurch, ohne
wesentliche hier in Betracht kommende Veränderung fortbestehen können,
anderseits aber vermöge dem bedeutenden Uebergewichte der noch normal
vegetirenden durchsichtigen Linsentheile eine Staaroperation sehr gefährlich
erscheinen lassen : bei solchen Staaren müssen wirksamere Auskunftsmittel
st eil wag, Augenheilkunde. 45
706 Cataracta; Behaiidl.; Vmlagening der Pupille, Iridectomie liei Schichtstaar u. Cat. part.
ergriffen werden, will man den halbblinden Kranken nicht ins Unbestimmte
seinem beklagenswerthen Schicksale überlassen oder den Wechselfällen einer
anerkannt sehr gewagten Operation Preis geben.
Es handelt sich in solchen Fällen darum, durch Bloslegung durch-
sichtiger Linsentheile eine Erhöhung des scheinbaren Glanzes der Netzhaut-
bilder zu ermöglichen, andererseits aber auch durch Abhaltung überflüssigen
Lichtes die Erleuchtungsintensität des von den trüben Krystallportionen aus-
gehenden Spectrums zu vermindern. Dem ersten Zwecke kann man durch
eine Iridectomie genügen [Graefe, Steffan); dem anderen durch Beschattung
des Auges mittelst Schirmen und nötliigenfalls mittelst dunkler Gläser.
Besser würde das vorgesteckte Ziel allerdings erreicht durch eine glücklich
ausgeführte operative Verlagerung der Pupille (S. 302), da auf diesem
Wege gleichsam mit Einem Schlage die Durchgangsöffnung für directe
Strahlen erweitert und die lichtzerstreuende Trübung zum Theile verdeckt
wird, ohne dass damit das Spiel der Pupille und die Accommodation des
Auges einen sehr ins Gewicht fallenden Schaden erlitte (Pagenstecher, Ber-
lin). In der That hebt sich nach einem solchen Eingriffe das Sehvermögen
fast constant in sehr beträchtlichem Grade und es bedarf höchstens noch
relativ schioacher Gläser, um den vorhandenen Einstellungsfehler des Auges
in zureichender Weise zu corrigiren. Doch fallen auch die Gefahren der
Operation überaus schwer in das Gewicht und im Grossen und Ganzen
scheint es räthlicher, sich mit den geringeren, immerhin aber sehr be-
friedigenden Leistungen der Iridectomie zu begnügen. Natürlich wird
dabei vorausgesetzt, dass der Schichtstaar ein reiner und stationärer ist,
ausserdem aber eine fast linienbreite Zone des Linsenrandes vollkommen
frei lässt.
Reicht der Gleicher des trüben Stratums näher an den Aequator der Linse, so
ist die durch die Operation gewonnene Durchgangsöfi'uung für directe Lichtstrahlen
eine viel s^< Ideine, als dass die Netzhautbilder bei massiger Erleuchtung des Ge-
sichtsfeldes eine genügende scheinbare Helligkeit erhalten könnten. Ist der Schicht-
staar ein unreiner, fangen bereits andere i\nd besonders oberflächliche Strata der
Linse an, trüb zu werden, so verlohnt sich die Operation nicht der Mühe, da die
biosgelegten pelluciden Randtheile der Linse in der Regel bald wieder für directe
Lichtstrahlen undurchlässig werden.
Wären nicht die oben ausgesprochenen Bedenken, so Hesse sich die
Pupillenverlagerung auch bei anderen Formen 'partieller Staare und nament-
lich auch bei Ectopien der Linse (S. 693,/) nutzbringend anwenden. Im
letzteren Falle müsste die Pupille selbstverständlich gegen den mit dem
Strahleukörper in Berührung stehenden Theil des Linsenrandes verzogen
werden, damit die in der Pupille blosUegende Portion des letzteren von der
Iris gedeckt werde (^Pagens techer, Wecker, Knapp).
B. Ist der Staar einmal zur Reife gelangt, so stellt sich die Indication
auf operative Beseitigimg desselben und nur ausserhalb der Cataracta gelegene
Verhältnisse können eine Verschiebung oder gänzliche Unterlassung der
Operation rüthlich oder nothwendig erscheinen lassen.
Der Begriff der Staarreife ist übrigens kein scharf umgrenzbarer. Er
bezieht sich nämlich zunächst auf das Mass der Schwierigkeiten und Gefahren,
welche der Operation aus der Beschaffenheit der einzelnen Krj'stalltheile
erwachsen. Er wechselt darum auch mit den verschiedenen Verfahnmgs-
weisen, welche in einem bestimmten Falle durchgeführt werden können
und dehnt sicli im Allgemeinen um so mehr aus, je mehr Mittel und
Staarreife; Gefaliien der Operation unreifer Staare; Künstliche Staarreifung. 707
Wpf^e diese bieten, um die Cataracta in schonoider Weise zur Gänze aus
der Eulbushöhle zu entfernen.
Von überwiegender Wichtigkeit ist in dieser Beziehung der Zustand
der Linsenrinde. Wo die äussersten Krystallschichten breiig erweicht oder
förmlich zerflossen sind, hat selbst die Entbindung eines grossen durch-
sichtigen und normal consistenten Kernes keine Noth ; derlei Staare sind also
reif zur Operation. Auch schliesst der Bestand eines dünnen, völlig nor-
malen CorticaJ Stratums keine sonderlichen Gefahren in sich, wenn der Rest
der Linse sclerosirt ist, indem dann der Zusammenhang zwischen Rinde
und Kern ein sehr inniger ist und der Krystall sich gerne im Ganzen von
der Kapsel trennt oder doch nur spärliche Reste innerhalb der Höhle
zurücklässt. Haben aber die peripheren Krystallscliichten auf eine nur einiger-
massen beträchtliche Tiefe hin ihre Durchsichtigkeit oder wenigstens ihre
normale Consistenz bewahrt, so ist deren Ausräumung, da sie zu fest der
Kapsel anhaften, ohne sehr eingreifende und darum auch gefährliche Mani-
pulationen nicht denkbar. Es können dann die auf operativem Wege ge-
bildeten Kapselzipfel sich nur schwer zurückziehen, verkleben leicht mit
einander, schliessen das darunter gelegene Linsengefüge wieder theilweise
von der Berührung mit dem Kammerwasser ab und machen dessen Auf-
saugung mangelhaft (S. 700). Dazu kömmt, dass wenig getrübte und nor-
mal consistente Krystalltheile sich unter der Einwirkung des Kammer-
wassers stark aufblähen und die Iris mechanisch , ja vielleicht auch
chemisch (Pagenstecher) reizen; ausserdem aber, so weit sie ihre organische
Verbindung mit der Kapsel aufrecht erhalten haben, auch meistens in
einen üppigen Wucherungsprocess gerathen und damit möglicherweise den
krankhaften Erregungszustand der nachbarlichen Binnenorgane steigern
(GraefeJ. Auch kann bei verschiedenen ExUactionsmethoden der Umstand
von Belang werden, dass bei aufgehobenem Binnendrucke die intraoculäre
Filtration sehr zunimmt und ihr Product sehr reich an Fibrinogen wird,
der coagulable Theil desselben sich auch wohl mit den Staartrümmern und
den entzündlichen Exsudaten zu mischen und die Summe der Neubildung
beträchtlich zu vergrössern im Stande ist (Adamük). Das Ergebniss der
Operation ist also zum mindesten ein Nachstaar ; in der Regel aber eine
heftige Entzündung, welche oft die Existenz des Auges auf das Aeusserste
gefährdet und, falls sie auch beschwichtigt würde, die spätere Beseiti-
gung der Secundärcataracta durch hintere Synechien, durch Schwarten-
bildung an der rückwärtigen IrisÜäche, durch Kalkablagerungen in der
Kapselhöhle etc. sehr behindert. Es sind solche Staare, kurz gesagt, unreif
zur Operation.
Um in derlei Fällen den Operaiionsfermin nicht übermässig hinausschieben zu
müssen und dennoch den vorerwähnten Uebelständen die Spitze abzubrechen, hat
man neuerdings wieder die künstliche Reifung des Staares durch operative Eröffnung
der Vorderkapsel versucht und damit im Ganzen befriedigende Resultate erzielt.
Es wurde zu diesem Behufe vorerst eine Iridectoviie ausgeführt und dann nach
Ablauf von mindestens 5 Wochen mittelst einer durch die Cornea eingestochenen
feinen Staarnadel die Kapsebnitte kreuzweise durchschnitten, ohne dabei jedoch
tief in die eigentliche Liuseusubstanz einzudringen. Einige Tage darauf wurde zur
Beseitigung der Cataracta geschritten {Graefe). Manche verletzten die Kapsel gleich
bei der Iridectomie mit dem Lanzenmesser. Andere stachen die Kapsel mit einer Nadel
an und verbanden die etwa 8 Tage darnach vorgenommene Staaroperation mit der
Ausschneidung eines Irisstückes (Mannhardt). Es stellte sich jedoch bald heraus,
dass das Verfahren keineswegs ein ganz unschuldiges sei, dass vielmehr bei aller
45*
708 Cataracta; Behandlung; Ueberreifo ; Operation einseitiger Staare.
Vorsicht die Blähung eine übermässige werden könne und die entzündliche Reaction
sich nicht immer genugsam niederhalten lasse, dass vielmehr öfters auch der Ver-
lust des Auges zu beklagen komme (Arlt) , dass die forcirte Reifung demnach als ein
sehr gewagtes Unternehmen zu betrachten sei. — Vielleicht lässt sich die Gefährlich-
keit einigermassen dadurch vermindern , dass man die hintere Kapsel durch eine
von der Lederhaut aus eingestochene Nadel öffnet, indem so die Einwirkung der
geblähten Linsentheile auf die Iris vermieden wird.
Jedenfalls geben Tofalstaare, in welchen sämmtliche Bestandtheile zu
höheren Graden cataractöser Verbildung gediehen sind, die günstigsten Objecte
für operative Eingriffe ab. Doch wachsen die Vortheile der Eeife keines-
wegs stetig, wenn die Staarraasse in ihren Wandlungen weiter und weiter
fortschreitet. Im Gegentheile bringen die secundären Metamorphosen manche
Uehelstände mit sich, welche nicht nur den Gang der Operation erschweren,
sondern auch deren Erfolge in der misslichsten Weise zu beeinflussen ver-
mögen; der Rtaar kann auch überreif mit ungünstiger Bedeutung des Wortes
werden (^Arlt). Cataracten, deren Rinde oder Gesammtmasse in eine kalk-
milchähnliche Flüssigkeit mit kleinen sandähnlichen Körnern zersetzt, oder
in einen fettigkalkigen Brei eingedickt worden ist; vornehmlich aber Staare,
deren Corticalstrata in eine trockene spröde, der Kapsel anhaftende und bei
der Operation leicht zerbröckelnde Masse umgewandelt sind : lassen sich in
der That oft nur mit grosser Gefahr beseitigen, da die harten Kalktrümmer
nur schwierig zur Gänze aus dem Auge herausbefördert werden können,
sich an und hinter der Iris gerne festsetzen und dann gleich fremden
Körpern im höchsten Grade reizen.
1. Die Erspriesslichkeit der Operation hängt bei Vorhandensein einer
reifen oder überreifen Catai'acta zum grossen Theile davon ab, ob die
Function Aea einen oder feetder Augen in höherem Grade gestört oder aufgehoben ist.
a. Ist das eine Auge staarblind, während das andere normal functionirt
oder nur in sehr geringem Masse leidet und eine lange Zeit oder für die
Dauer sich brauchbar zu erhalten verspricht: so soll die Operation nur
vorgenommen werden, wenn der günstige Erfolg der Operation als ein
nahezu gesicherter betrachtet werden darf, wobei natürlich abgesehen wird
von den Fällen, in welchen das längere Verbleiben des Htaares im Auge
an sich verderblich zu werden droht, wie dieses z. B. bei traumatischen,
sich stark blähenden Cataracten, bei prolabirten Linsen und Linsentheilen
der Fall ist.
Die Vortheile, welche dem Kranken im Falle des Gelingens aus der Opera-
tion erwachsen, sind in der That nicht unerheblich. Vorerst kömmt schon das
cosmetische Interesse in Betracht und dieses ist bei jungen Leuten oft von hohem
Belange, so zwar, dass es an und für sich, die Operation fordern kann, selbst
wenn wegen Vxxncüonsmifiichligkeit des Uchtempfindenden Apparates eine Herstellung
des Sehvermögens nicht in Aussicht stände. Dazu kömmt die Ermöglichung des
Zusammemoirkens heider Augen, die Erweiterung des Gesichtsfeldes, die Vermehrung
der Intensität der optischen Eindrücke. Endlich kann nicht hoch genug ange-
schlagen werden , dass bei einer nachträglichen Ausbildung des Staares auf dem
anderen Auge der Kranke zu keiner Zeit dem traurigen Lose eines Halbblinden
oder Blinden verfällt.
Es ist indessen wahr und muss gegenüber dem Kranken vor der Operation
wohl betont werden, dass der ungleiche liefractionszustand beider Augen sich beim
scharfen Fixiren in misslicher Weise geltend macht, indem die Zerstreuungskreise
des linsenlosen mit den schaifen Netzhautbildern des gesunden Auges zu einer
gemeinschaftlichen, weniger deutliclien Wahrnehnning verschmelzen und dass diesem
Uebelstaude durch Vorsetzung eines entsprechenden Convexglases nicht begegnet
werden könne, wegen der unvermeidlichen Ungleichheit der Bildgi-össe und der
Operation beiderseitiger Staaro; Vorbodingungen zur Operation; Zustand der Augen. 709
Vernichtiing der Accommodatioii im liiiseiilosou Auge. Doch lernen die Kranlicu
nicht selten von den Zerstrenungskreiscn Ijcim Scliarfsehen abstrahircn, so dass
<iUe Störung verscJacindet. Oefter jedoch überwinden sie die letztere dadnrch, dass
sie die Walirnehimingen des linsenlosen Atiges gänzlich unterdrücken.
Dagegen sind die Nuchtheile im Falle des Mis.slingens nicht selten sehr ge-
wichtig nnd fordern zn einer genauen Erwägung aller Umstände auf, welche auf
den Erfolg der Operation Einfluss nehmen können. Ginge das operirte Auge im
schlimmsten Falle immer r«sc/i zu Grunde und gelangte es dann binnen kurzem
zur Ruhe, so köinite man sich am Ende noch trösten, da der Kranke neben dem
Verluste des ohnehin blinden Auges nur die Qual der Operation und der Nach-
behandlung zu beklagen hat. Es kann aber auch geschehen, dass die Entzün-
dungen unter heftigen Schmerzen monatelang anhalten, dann alle Augenblicke
recidiviren und erst ihr Ende finden, nachdem das andere Auge staarblind oder
vielleicht gar in entzündliche Mitleidenschaft gezogen, und nachdem der Kranke
die ganze lange Zeit über an dem freien Gebrauche des gesunden Auges gehindert
worden ist.
6. Ist der Staar auf einem Auge vollkommen ausgebildet, auf dem anderen
Auge aber in seiner Entwickelung bereits so weit vorgeschritten, dass er
sich durch beträchtliche Sehstörungen geltend macht; oder ist das zweite
Auge in anderer Weise functionsuntüchtig geworden ; oder sind beide Augen
mit reifen Cataracten behaftet : so ist die Operation ohne weiters vorzunehmen,
wenn nicht behebbare, ausser dem Staare gelegene Verhältnisse einen Auf-
schub reclitfertigen.
Die Frage, ob bei beiderseitiger Reife oder Ueherreife des Staares heide
Äugen in Einer Sitzung operirt werden sollen, lässt sich für jene Fälle, in welchen
ein günstiger Erfolg mit einiger Wahrscheinlichkeit in Aussicht gestellt werden
kann, ohne weiters bejahend beantworten. In dem Masse aber, als die Bürg-
schaften für das Gelingen der Operation sinken, wachsen auch die Bedenken gegen
ein solches Verfahren. Die tüchtigsten und erfahrensten Augenärzte widersprechen
sich in diesem Punkte und bekämpfen sich mit Gründen, welche sich nicht wider-
legen lassen, sondern nur mehr oder weniger schwer wiegen (MitterichJ.
2. Ehe zur Operation einer reifen oder überreifen Cataracta geschritten
wird, sind übrigens noch manche andere Verhältnisse genau zu erwägen.
a. Der Zustand der Augen selber. Im Allgemeinen gilt hier die Regel,
man solle nur dann operiren, wenn keine krankhaften Veränderungen am
Auge und dessen Adnexis vorhanden sind, welche den Heilungsprocess nach
der Operation ungünstig beeinflussen können, oder welche im Falle des
Gelingens der Operation den für den Kranken erwachsenden Gewinn auf
ein Kleinstes herabsetzen.
Insoferne gelten Entzündungen im Bulbus und dessen Adnexis für zeitweilige
Contraindicationen, es wäre denn, dass eine nach Verletzung der Kapsel sich
blähende oder eine dislocirte Linse die mechanische Ursache des Bestandes und
der Fortdauer des entzündlichen Processes abgibt, wo dann im Verhältnisse zu
der mit der Entzündung verknüpften Gefahr die Drhigliclikeit der Anzeige wächst.
Chronische Entzündungen der Adnexa, habituelle Blepharitis ciliaris, senile Binde-
hautkatarrhe, veraltete chronische Trachome, seit vielen Jahren bestehende Thränen-
sackblennorrhöen u. dgl. gestatten jedoch mitunter eine Ausnahme, trotzdem sie
sich während der Nachbehandlung immer in sehr misslicher Weise geltend machen.
Ihre vollständige Beseitigung ist nämlich nicht selten sehr schwierig, oder nimmt
eine unverhältnissmässig lange Zeit in Anspruch, welche bei alten Leuten bisweilen
sehr schwer ins Gewicht fällt.
In gleicher Weise sind Stelhmgsveränderungen der Lider (En- und Ectro-
pium), Trichiasis und ähnliche Zustände, welche das Auge äusseren Schädlichkeiten
biosiegen, oder gar directe mechanische Reizeinwirkrmgen mit sich bringen, als zeit-
loeilige Hindernisse der Operation zu betrachten. Sie lassen niu' in den dringendsten
Fällen den Augriff des Staares gerechtfertigt erscheinen und müssen, wo es nur
710 Cataracta; Operation; Vorbedingungen zur Operation; Zustand des Körpers; Alter.
immer vioglich ist, vorerst beseitigt werden, ehe man zur Operation der Caracta
schreitet.
Hat der lichlempfindende Apparat des staarUinden Auges einen Theil seiner
Functionstüchtigkeü eingebüsst, so ist die Operation in den allermeisten Fällen
fruchtlos oder g;ar schädlich. Man versäume daher ja nicht, vor der Operation die
IntegritJit des Lichfempßndungsverviögens und die Ausdehnung des Gesichtsfeldes auf
das genaueste zu untersuchen (S. 685), namentlich wenn passive Hyperämien in den
Ciliargefässen , Spuren vorausgegangener Entzündungen in den tieferen Bulbus-
organen, ein sehr ausgesprochener myojjischer Bau des Auges, welcher zu Scleral-
ectasien und zu Chorioiditis posterior disponirt, gegeben sind; oder wenn eine ange-
borene, eine diabetische Cataracta, ein schön entwickelter Kapselstaar oder ein theil-
weise oder ganz verflüssigter AUersstaar vorliegt, da diese häufiger mit amhlyopischen
Zuständen gepaart zu sein pflegen, als andere Formen der Cataracta. Werden
bestimmte Zeichen einer Functionsstörung des lichtempfindenden Apparates gefunden,
so wird die Operation besser unterlassen, es wäre denn, das der Kranke auf deren
Ausführung trotz aller Vorstellungen besteht , oder dass das cosmetische Interesse
von hohem Belange ist und eine wenig gefährliche Operationsmethode zum Ziele
zu führen verspricht. Eine weitere Atisnahvie gestatten auch Fälle, in welchen die
vorgefundene Stumpfheit der Netzhaut oder die Amblyopie mit Grund ans dem
langen Nichtgebrauche des Auges erklärt werden kann, indem unter solchen Um-
ständen zioeckmässige Uelnmgen nicht gar selten die Functionstüchtigkeit der Retina
bis zu einem befriedigenden Grade heben lassen.
Ausgedehnte Hornhautflecke ixnd Vericachsungen der Pupille sind keine Gegen-
anzeigen, sie machen nur Modificationen in dem Verfahren nothwendig und ver-
schlimmern die Prognose. Erstere drohen nämlich sehr eine Narbenkeratitis oder
wenigstens eine Zunahme der vorhandenen Hornhauttrübung; letztere sind der
Entbindung der Cataracta und der Zurückziehung der Kapselzipfel sehr hinderlich.
b. Der Gesundheif.szustand des Kranken, insoferne dieser den Ausgleich
der durch die Operation gesetzten localen Störungen missgünstig beeinflussen,
oder den Erfolg in anderer Weise gefährden kann.
Bei Individuen, welche durch Hunger, Elend, deprimirende Gemüthsaffecte
oder Krankheiten (z B. Diabetes) sehr herabgekominen sind, bei marastischen Greisen
mit welker fahler Haut oder sehr ausgedehnter Arteriosclerose, bei Leuten, welche
nachweisbar zu Eiterungen und Verschwärungen sehr geneigt sind und vielleicht gar
schönem Auge in Folge em&r gut ausgeführten Operation verloren haben: ist die Opera-
tion erfahrungsmässig eine bedenkliche und die Prognose um so vorsichtiger zu stellen,
je eingreifender das gebotene Verfahren ist. Sehr ausgesprochene Gicht, secundäre
Syphilis, Tuberculosis oder sehr entwickelte Scrophulosia sind ebenfalls misslich und
machen, besonders zur Zeit frischer Nachschübe, die Operation gefährlich. Auch
bei Säufern kömmt es öfters zu schlimmen Ausgängen, vornehmlich, wenn sich
während der Nachbehandlung Anfälle von Delirium tremens einstellen (Sichel).
Ausserdem wird von erfahrenen Praktikern die Zeit der Menstruation und der
Schwangerschaft gemieden , letztere wegen den Gefahren, welche das häufige Er-
brechen, die Unmöglichkeit, gewisse Körperlagen ruhig zu behaupten, und andere
Zufälle dieser Periode mit sich bringen. Aus ähnlichen Gründen werden auch
Urinbeschwerden, Asthma, chronischer Bronchialkatarrh etc. während der Nach-
behandlung sehr gefürchtet. Nicht minder sind habituelle Kopfschmerzen und beson-
ders auch heftige und häufige Zahnschmerzen, Nasenkalarrhe, Neigung zu Krämpfen
als höchst unangenehme und selbst gefährliche Complicationen in Anschlag zu
bringen.
c. Das Lebensalter des Kranken beeinflusst mehr die Wahl der Methode,
als die Indication zur Operation als solche.
Die Kindesperiode ist nicht, wie früher geglaubt wurde, als ein zeitliches
Hinderniss der Operation aufzufassen. Im Gegentheile wird heute zu Tage fast
von allen Seiten darauf gedrungen, dass die Operation im Falle der Staarreife so
bald als möglich vorgenommen werde, um den üblen Folgen eines längeren Nicht-
gebrauches kindlicher Augen (S. 704) zuvorzukommen. Bei angeborenen reifen
Staaren kann ohne weiters schon in den ersten Lebensmonaten die Operation ohne
sonderliche Gefahren ausgeführt werden: doch halten Viele die Zeit zwischen dem
2. und 4. Lebensjahre für die am besten entsprechende, da dann das Kind die
Aeussere Verhältnisse dus Kranken; Jahreszeit; Epidemien. 711
den meisten Wechselfällen ausgesetzt« Leheni^periode hinter sicli hat, wälirenrl fVu\
üblen Folgen der Staarhiindheit noch nicht zu einem die Heilung ausschliesacsndcn
Grade gediehen zu sein pflegen (Schön). Späleihin wird hei Weihern höchstens
noch die Zeit des MewstmaXionBeintrittes und des Climacteriiims einen Ayfschvh der
Operation rätlilich erscheinen lassen. Hohes Alter an sich bildet keine Gegenau-
zeige, da selbst mehr als 100jährige Greise mit dem besten Erfolge operirt worden
sind. Es ist nur darum weniger günstig, w(>il es häufiger mit utheromatöser Ent-
artung der Binnengefässe, mit Sclerose der Hörn- und Lederhaut, mit allgemeinem
Marasmus, allerlei Beschwerden (h) und ausserdem mit Abnahme der Verstandes-
kräfte des Kranken verknüpft ist. Auch vertragen sehr alte und überhaupt stark
marastische Leute schwer das ruhige Liegen und neigen zu hypostatischen Pneumo-
nien, welche selbst tödtlich werden können.
d. Die äusseren Verhältnisse, unter welchen der Kranke den Heüungs-
process und die Reconvalescenz durchzumachen Gelegenheit hat. Ein ganz
ruhiges, leicht zu lüftendes, trockenes Zimmer, welches sich nach Bedarf
gleichmässig verdunkeln und mehr weniger erhellen, ausserdem im Falle
der Noth gut heizen lässt ; ein bequemes, nicht zu warmes Bett mit Vor-
richtungen, welche dem Kranken das Aufsitzen ohne Muskelanstrengung
ermöglichen ; ein gut eingerichteter Lehnsessel, Leibschüssel und Uringläser ;
eine wohl geübte und sorgsame Wärterin und die Gelegenheit, sich jeweilig
eine entsprechende Kost zu verschaffen ; dies sind nothwendige Erfordernisse,
bei deren theilweisem oder gänzlichem Abgange man besser die Operation,
namentlich eine eingreifendere, unterlässt. Weniger vermögliche Personen
sind darum in der Regel auf Heilanstalten angewiesen, in welchen diesen
Bedingungen leichter entsprochen werden kann. Leider wird jedoch in
solchen Anstalten durch übermässiges Zusammenpferchen der Kranken und
durch manche andere bekannte Uebelstände nicht selten die Gunst der
Verhältnisse sehr beeinträchtigt und das Procent der Heilungen auch
wnrklich gemindert.
e. Die Jahreszeit, im Allgemeinen kann man zu jeder Jahreszeit mit
Aussicht auf Erfolg operiren. Doch thut man besser, wenn man während
der heissen Sommermonate eingreifenderen Staai'operationen ausweicht, indem
bei grosser Hitze ^'erletzungen schwerer per primam intentionem heilen,
ausserdem aber dem Kranken die nothwendige i'uliige Bettlage sehr lästig
oder geradezu unerträglich wird ; daher auch viel häufiger als sonst dem
Erfolge der Operation durch unzweckmässiges Verhalten des Kranken oder
durch wirkliche Erkrankungen desselben Gefahren erwachsen. Der Winter
hat hingegen das Ueble, dass der Kranke länger an das Zimmer gebannt
bleibt, was die Reconvalescenz merklich verzögert.
/. Zur Zeit herrschender Epidemien, z. B. der Cholera, soll man schon
in Berücksichtigung dessen nicht operiren, das deprimirende Gemüths-
affecte, vorzüglich grosse Angst, den Gang der Heilung erschweren. Das
Auftreten des Hospitalbrandes und der Diphtheritis (Homer) bildet eine
directe Gegenanzeige gegen eingreifendere Staaroperationen, vornehmlich
in Spitälern.
5. Hat man sich einmal zur Operation entschlossen, so muss die
Beschaffenheit des Staares und seiner Nachbarorgane auf das Genaueste
erwogen werden. Hiervon hängt es nämlich hauptsächlich ab, in welcher
Art und Weise die Cataracta am leichtesten und unter den geringsten Gefahren
aus der optischen Axe entfernt werden kann.
a. Flüssige und breiige, sowie stärkekleisterähnliche Totalstaare ohne con-
sistenteren Kern lassen sich leicht durch Zerschneidung oder Zerreissung der
712 Cataracta; Operation flüssiger nnd breiiger Totalstaare; Discissio; Lineare Extraction.
Kapsel beseitigen {Discissio seu Dilaceratio eataractae). Das Magma saugt
sich nämlich nach einem solchen Vorgange meistens ziemlich rasch auf,
wälirend die Kapselzipfel sich zurückziehen und, falls sie tief genug zer-
spalten sind, auch die Pupille freilegen. Die Reaction ist in der Eegel
gering, oder doch nicht gar schwer zu beschwichtigen, da derlei Staare
vornehmlich nur bei sehr jungen Individuen auftreten, deren Iris gegen
mechanische Reizungen weniger empfindlich ist und leicht durch
starke Mydriatica von den dislocirten Staartrümmem entfernt gehalten
werden kann.
Nicht immer indessen geht der Resorptionsprocess nach Wimsch von Statten.
Bei nicht ganz verflüssigten Cataracten geschieht es in der That trotz ausgiebiger
Zerstiickehmg der Kapsel nicht selten, dass das Magma unter fortschreitender
Aufsaugung zersetzter Bestandtheile sich eindickt, kuchenförmig zusammenbäckt
und lange Zeit in unverändertem Zustande zu verharren scheint. Es vergehen
dann öfters Wochen und selbst Monate, ehe sich Risse zeigen, welche sich allmälig
vergrössern, an Länge und Breite zunehmen und schliesslich ein Auseinanderfallen
der einzelnen Stücke zur Folge haben. Wurde die Kapsel nicht genugsam zerklüftet,
so verlöthen die "Wundränder der Kapsel wohl gar wieder unter einander und
sperren so einen Theil oder das ganze Magma von der Berührung mit dem Kammer-
wasser ab; es wird eine Wiederhohing der Operation nothwendig. Oft muss man
sogar mehrmal in entsprechenden Zwischenpausen zur Nadel greifen, um endlich
den Zweck zu erreichen. Die Discission ist also jedenfalls eine sehr unvollkommene
Operationsmethode.
Es können ganz weiche und flüssige Totalstaare nun auch auf direetem
Wege aus dem Auge herausbefördert werden. Es bedarf dazu blos einer
linearen, in der Richtung einer Sehne streichenden Hornhautwunde, welche
überaus leicht verheilt, und der Eröffnung der Kapsel. Indem sich nämlich
der Druck, welchen die geraden Augenmuskeln auf den Glaskörper aus-
üben, auf den Inhalt der Kapselhöhle fortpflanzt, wird dieser gezwungen,
sich nach aussen zu entleeren. Bleiben allenfalls Reste zurück, so können
dieselben, wenigstens theilweise, mittelst eines zarten Löffels hervorgeholt
werden (Lineare Extraction, Palucci, Graefe).
Es hat diese Operation der Discission gegenüber den Vortheil, dass sie an
die Resorptionsthätigkeit der Binnenorgane keine Anforderungen stellt, dass sie bei
vollständigem Gelingen die Gefahren umgeht, welche aus der Berührung der Iris
mit Linsentrümmern erwachsen und dass die lineare Honihautwunde die Möglich-
keit bietet, Kapseltheile , welche durch Auflagerungen die Fähigkeit sich zurück-
zuziehen verloren haben, mittelst der Pincette loszureissen und aus dem Auge zu
entfernen. Doch stehen neben diesen Lichtseiten auch dunkle Schatten. Bei unge-
berdigen Kranken, welche während der Operation sehr pressen, zumal bei Kindern,
wird nicht selten ein Theil der Iris mit dem Staare aus der Wunde herausgedrängt
und verheilt daselbst, eine sehr missliche Verziehung der Pupille begründend-, oder
es wird der Vorfall gar zum Ausgangspunkte heftiger und verderblicher Entzün-
dungen. Manchmal kömmt es wegen krampfhafter Zusammenziehung der Augenmuskeln
auch zur Sprengung der vorderen Glaskörpencand. , die Vitrina stürzt hervor und
schiebt, während sie sich durch die Hornhautwnnde entleert, die Staartheile zur
Seite, von der Oeflnung weg; die Operation muss rasch unterbrochen werden,
bevor der Staar noch ganz entleert ist. Durch eine tiefe Narkose lässt sich diesen
üblen Zufällen nur unter Aufgeben anderer Vortheile steuern. Indem nämlich die
Augenmuskeln ganz erschlaffen, kann sich der Staar nicht von selber entleeren; es
bedarf eines künstlichen Druckes von Aussen oder wiederholten Eingehens mit dem
Löffel, um den Brei herauszubefördern. Bei allem diesem reizenden Verfahren
bleibt aber die Auslöftelung oft eine sehr unvollständige, da die Pupille trotz vor-
ausgeschickten Einträufelungeu starker Atropinsolutionen im Momente des Kammer-
wasserabflusses sich stets sehr verengert und damit einen grossen Theil der Kapsel-
böhle für das Instrument unzugänglich macht. Zudem ist das Würgen und Er-
brechen, welches der Narkose gewöhnlich folgt, ein Moment von übler Bedeutiing,
Suctionsiuothodc ; Oper. d. wt'icli.Konistaares u. d. Corticalcu).; Iiiscis., liii. Extnict. in. Iridi'ct. 713
indem es öfters noch nachträglich zu Vorfällen der Iris und des Glaskörpers Veran-
lassung; gibt.
Vor alten Zeiten hat man ganz weiche und flüssige Staare mittelst einer in
die geöfl'nete Kapselhöhle eingeführten feinen Köhre aussaugen zu können geglaubt
(Sichel). Späterhin wurde diese der Vergessenheit anheimgefallene „SucHonsntethode^^
wieder in Aufnahme gebracht (Laugier) und soll dermalen noch in England Anhänger
zählen (Knapp). Es liegt jedoch auf der Ifand, dass zin- Aussaugung geeignete Staare
sich in der Regel schon bei der Eröffnung der Kajisel und um so mehr bei der Ein-
führung der Röhre entleeren müssen, dass für die Aussaugung also gewöhnlich nicht
viel übrig bleiben könne. Es lässt sich das ganze Verfahren recht gtit als eine lineare
JExf.raction mit künstlichen Hindernissen betrachten und erscheint ohne allen prakti-
schen Wertli, auch wenn dabei auf eine ausgiebigere Zerklüftung der Kapsel mehr
Rücksicht genommen und so der Ausbildung eines Nachstaares besser vorge-
beugt würde.
h. Ist die Linse nicht in allen ihren Theilen vollständig zerfallen, liegt
ein weicher Kernstaar oder eine Corticalcataracta mit käsigweichem oder
wachsähnlichem Kerne oder ein partieller, zumal ein Schichtstaar, vor : so
ist sowohl die Discission als die einfache Linearextraction ein höchst
gewagtes Unternehmen. Bei ersterer bleibt nämlich immer die Gesammt-
inasse der zertrümmerten Linse, bei letzterer aber gewöhnlich eine ansehn-
liche Quote consistenterer Theile im Auge zurück. Diese Reste blähen sich
dann sehr rasch und meistens auch überaus stark, wodurch in der Regel
sehr intensive Entzündungen angeregt werden, gegen welche selbst energische
Antiphlogose und das Atropin nur wenig vermögen, und welche fast stets
zu ausgebreiteten hinteren Synechien oder zum Pupillenab- oder Verschlusse
führen, übrigens häufig auch auf den Strahlenkranz und die Aderhaut fort-
schreiten und den Bulbus functipnsuntüchtig machen, oder gar in Eiterung
übergehen mid das Auge unter der Form einer Panophthalmitis suppurativa
phthisisch zu Grunde richten.
Bei der Discission ist der Umstand, dass das Kammerwasser in sehr grosser
Fläche aiif die zerklüftete Linsenmasse wirkt, einer übermässigen Blähung sehr
förderlich. Bei der Linearextraction aber stehen die Form, Richtung und Lage der
Hornhautwunde, sowie die bei Abfluss des Kammervvassers sich sehr verengernde
Pupille einer spontanen Entleerung der cohärenten Staartheile hinderlich im Wege,
gestatten ausserdem aber auch keine vollständige Zerspaltung und nachträgliche
Auslöft'elung, indem ein grösserer Theil der Kapselhöhle für das Instrument nicht
zugänglich ist. Hängen die consistenteren Staarpartien gar an der Kapsel an, so
ist deren Trennung auch an den mit dem Löffel erveichharen Stellen ohne sehr
gewaltthätige Eingriffe nur unvollkommen ausführl)ar. Was dann den Staartrümmern
im Vergleiche zur Discission an Masse abgeht, wird betreffs der Heizwirkung reichlicli
ersetzt durch die mit den operativen Handgriffen verbundenen mechanischen Belei-
digungen der Iris, durch den ungünstigen Einfluss der so häufig zu Stande kom-
menden Regenbogenhautvorfälle u. s. w.
Es lassen sich die Gefahren, welche der Discission und der einfaclien Linear-
extraction Hnvollständig zerfallener Cataracten ankleben, allerdings dadurch ver-
kleinern, dass man diesen Operationen die L-idectomie um mehrere Wochen voraus-
schickt oder beide mit einander verbindet (Graefe). Doch schützt eine solche Com-
bination mir sehr unvoUkominen vor bedauerlichen Misserfolgen, ziunal bei der
Discission, wo der ganze Staar im Auge zurückbleibt und einzelne Trümmer dessel-
ben sich gerne verschieben, in den Kammerraum herausfallen u. s. w. Dagegen
hat die Iridectomie bei der Linearextraction den Vortheil, dass sie die Zugänglich-
keif zur Kapselhohle vermehrt und sohin auch die vollständigere Entleerung des
Staares begünstigt. Immerhin bleibt der Spielrainn, welchen die lineare Hornhaut-
umnde gewährt, ein für den Zweck völlig ungenügender. Die spontane Entleerung
consistenterer und zusammenhängender Staartheile kann eine lineare, wenig
klaffende Oeffnung in der Cornea nimmer gestatten, es bedarf des Löffels. Dieser
wirkt aber vermöge der Lage der Wunde nothwendig unter einem grossen Winkel
auf die Linsenmasse , er kann letztere nur fassen , indem er selbe gegen die
714 Cataracta; Operation weicher Staare ; Excochleatio ; Depressio.
Iris Tiiid Hornhaut drückt. Minder derl)e Staartheile werden solchermasseu immer
schon im Momente des Löft'elaugritfes zerquetscht und von dem, was dem In-
strumente folgt, wird stets ein ansehnlicher Theil an den Rändern der engen
Hornhautspalte abgestreift. Die Rückstände werden hierbei unter der Einwirkung
des Instrumentes und des von hinten andrängenden Glaskörpers nach den ver-
schiedensten Richtungen im Kammerraume verschoben und lassen sich nur durch
loiederholtes Eingehen mit dem Löffel beseitigen, was an und fSr sich reizt, übrigens
auch selten zum Ziele führt, indem die einzelnen Flocken vermöge ihrer geringen
Trübung sich gerne der Wahrnehmung entziehen und ausserdem, zujnal bei un-
ruhigen Kranken, die Gefahr eines Glaskörpervorfalles zur raschen Beendigung der
Operation drängt.
Es werden diese Unzukömmlichkeiten nur theihveise dadurch beseitiget, dass
man die Schnittwunde an die äusserste Cornealgrenze oder ein wenig darüber hin-
aus rückt und ihr durch Verwendung einer breiteren Lanze eine grössere Länge
gibt. Erfahrungsraässig ist dann der Winkel, unter welchem der Löffel auf die Linse
wirkt, und somit auch der darauf ausgeübte Druck noch immer gross genug, auf
dass die Cataracta schon beim Fassen zersplittere. Falls sie aber auch bis zur
Wunde gebracht wird, bietet diese nicht Raum genug, um damit sie im unver-
kleinerfen Zustande durchtreten könne. Widersteht indessen der Staarkern vermöge
grösserer Dichtigkeit, so wird die Zerrung der Wimdwinkel eine höchst bedenkliche.
Dazu kömmt die hebelnde contusionirende Wirkung des Instrumentes auf den
Glaskörper und die anerkannt grosse Häufigkeit massenhafter Vorfälle des letzteren,
womit wieder sehr häufig entzündliche Trübungen der Vitrina veranlasst werden,
welche keineswegs immer völlig zurückgehen. Man kann in Anbetracht dessen dem
ganzen Verfahren, welches unter dem Namen der Excochleatio cataractae zur
Methode erhoben und selbst für harte Kernstaare verwendbar erklärt wurde {Schuft),
keinen rechten praktischen Werth beimessen. Es hat sich auch in der That nur
wenige Freunde erworben, indem die damit angestellten Versuche nicht sehr ein-
ladende Resultate geliefert haben (Mooren, Rothmuud, Graefe, Steffan, DantoneJ. Auch
die zweckentsprechendere Gestaltung des Löffels (Critchett, BowmanJ so wie dessen
Ersatz durch einen einfachen (Graefe) oder Doppelhaken {A. Weber) und die da-
mit ermöo'lichte schonendere und sicherere Fassung des Staares haben zu keinen
Ergebnissen geführt, welche die Meinung zu Gunsten der Excochleatio aufzubessern
vermöchten.
Will man Cataracten mit halhweichein oder normal coii-iistentem Kerne
ohne Zertrümmerung und dadurch bedingte Zuhilfenahme beleidigender
Handgriffe aus dem Auge entfernen, .so mus.s der Wunde eine grössere
Länge und ein stärkeres Klaffungsvermögen gegeben werden , als dies mit
einer Lanze möglich ist, es können nur jene Methoden zum Ziele fähren,
welche bei Altersstaaren im Gebrauche stehen.
c. Bei Staaren mit sclerosirtem Kerne ist die Discission schon an und
für sich sehr schwer durchführbar, indem der Kern wegen dem Mangel
einer resistenten Unterlage und wegen seiner Härte der Nadelschneide
beständig ausweicht ; es gelingt im besten Falle nur, den Kern in grössere
Stücke zu zerbröckeln, welche dann höchst intensive Entzündungsprocesse
anzuregen pflegen und dadurch dem Bulbus in der grössten Mehrzahl der
Fälle verderblich werden. Man hat es daher eine Zeit lang vorgezogen,
harte Staare im Ganzen umzulegen und in den unteren äusseren Theil
des Glaskörpers zu versenken {Niederdrückung, Depressio seu Reclinatio
cataractae).
Es wird zu diesem Behufe eine gerade Staarnadel per Scleronyxim in die
Lederhaut eingestochen, das myrthcnblattähnliche Ende derselben nahe an dem
Schlaf entheile der Ciliarfortsätze und des Pupillarrandes vorbei durch die Linsen-
peripherie hindurch in die Vorderkammer geführt, bis an den oberen inneren Rand
des Sehloches vorgeschoben, dann flach über das Centruiu des Staares gelegt und
nun auf das letztere ein sanfter, allmälig steigender Druck ausgeübt, auf dass sich
Gefahren der Depression ; Extractio catiiractae. 7 1 ö
das Linsensystem in möglichst grossem Umfange aus seiner Verbindung mit der
Zonula löse. Ist dieses geschehen, so wird das Nadelheft in der Meridianehene des
Einstichpunktes gehoben und dadurch der Staar mit, der Kapnel in den unteren
äusseren Theil des Glaskörpers hinabgesenkt. Durch eine leichte Drehung der Nadel
um ihre Axe wird deren Spitze, welche sicli gerne in den deprimirten Staarthcilen
fängt, frei und kann flach aus der Einstichswunde herausgeführt werden ohne
Gefahr, dass bei diesem Manöver der Staar folge und an einen Ort gelange, an
welchem er minder gut haftet, oder gar die bluthältigen Binnenorgane des Aug-
apfels gefährden könnte.
Es ist dieses Verfahren noch am ersten verioendhar bei sehr grossem
sclerosirten Kerne und verhiiltnissmässig dünner aber zäher Rinde. Bei sehr
dicker Rindenlage, vornehmlich wenn sie loeich ist, hat die Depression den
Uebelstand, dass der grösste Theil der Corticalis beim Eintritte in die
Glaskörperwnnde abgestreift wird, also im hinteren Kammerraume zurück-
bleibt und dort dieselben Gefahren setzt, welche die Discission des Alters-
staares gefürchtet machen. Die Hauptgefahr liegt jedoch in chronischen
Aderhautentzündungen mannigfaltiger Art , welche durch den dislocirten
Kern als einen fremden Körper angeregt werden, oft erst nach Wochen,
Monaten, selbst nach Jahren hervortreten und den Bulbus gewöhnlich
unter überaus grossen und langwierigen Leiden zu Grunde richten, ja oft
sogar den zweiten Bulbus in sympathische Mitleidenschaft ziehen.
In Anbetracht dessen erscheint bei derlei Staaren die Extraction als
die allein berechtigte Methode. Soll diese aber die mit der Discission und
Depression verknüpften Gefahren vermindern, so muss die Entbindung der
Cataracta zumeist durch den vom Glaskörper fortgepflanzten Muskeldruck
bewerkstelligt und nur durch schonende Handgriffe zweckentsprechend
geregelt werden können. Ferner ist es nothwendig , dass die Abstreifuny
der zerfallenen oder noch normalconsistenten ßinde möglichst beschränkt
und jede Zerrung der Theile, besonders der Wundwinkel, vermieden
werde. Diesen Anforderungen kann nur eine Wunde in der peripheren
Zone der Cornea oder in der vordersten Scleralgrenze genügen, eine Wunde,
deren Ebene die Hornhautaxe weit vor dem Krümmungscentrum der bei-
den Cornealflächen unter fast rechtem Winkel schneidet und solchermassen
einen Lappen abgrenzt, dessen Basis dem äquatorialen Durchmesser des
Staarkernes zum mindesten gleichkömmt und welcher am Scheitel eine
der Axe des Staarkernes entsprechende Klaffung gestattet.
Es ist der Querdurchmesser des Krystalles als Ganzen höchstens 10 Millm.,
die Axe 4 Millm. lang (Henle). Der horizontale Perimeter der Linse darf daher
im Maximum auf weniger als 23 Millm. geschätzt werden. Würde es sich darum
handeln, jeden Staar im Ganzen ohne Zerrung der Wundwinkel und ohne Ab-
streifung der Corticalschichten aus dem Auge zu fördern, so müsste offenbar die
Schnittiänge zum mindesten dem Querdurehmesser des Krystalles mehr der halben
Axe gleichen, für grösste Staare also 12 Millm. erreichen. In der Praxis mildert
sich jedoch diese Anforderung durch die Qualität der Corticalschichten. In der
That lässt sich ein in der unverletzten Kapsel eingehüllter Staar durch eine merk-
lich kleinere Oeffnung ohne jede gefährliche Zerrung der Wundränder entleeren,
indem die weiche Rinde leicht nachgibt und der Staar sich so etwas in die Länge
streckt. Bleibt aber die Kapsel im Bulbus zurück, so gelangt der Staar gar nicht
als Ganzes an die Wunde der äusseren Bulbuskapsel; es wird vielmehr immer
ein Theil der oberflächlichen weichen Corticalsehichte schon an den Wundrändern
der Kapselöffnung und weiters an dem Rande der natürlichen oder künstlichen
Pupille abgestreift. Sind die Rindenschichten gar noch von normaler Consistenz,
so bleibt ein grosser Theil derselben in Schalenform an der inneren Kapselhälfte
haften, es bricht nur der Kern heraus. In jedem Falle also wird der Staar vor
seinem Austritte in den bezüglichen Dimensionen \\m ein Beträchtliches verkleinert,
716 Cataracta; Estraction; Schnittlänge : Qnerextraction.
was eine V'ermiuderung; der Wimdlänge gestattet. Unter ungefähr 350, in schwachem
Weiugeiste aufbewahrten extrahirten Staaren waren blos zwei tief kaffeebraune,
von der Rinde entblösste Kerne, deren aequatorialer Durchmesser 7-6 u. 7.4 Millm.,
die Axe aber 3'5 und 3.2 MiUm. mass. Nur wenige der übrioren Staarkeme
näherten sich diesen Dimensionen, die übrigen standen darin weit zurück. Wäre
also llos die Zeming der Wundwinkel und Ränder zu vermeiden, so müsste in
allen Fällen eine Wundlänge genügen, welche 9.4 Millm. um ein Geringes über-
steigt. Soll jedoch der Staar sich leicht entleeren und auch die Abstreitung auf
ein möglichst Kleines herabgemindert werden, so ist in Anbetracht der Steifigkeit
der Hornhaut, welche das Klaffungsvermögen wesentlich beschränkt, eine Ver-
grösserung der Wundlänge für viaximale Staare dringend geboten, die Wunde
wird nicht unter 10 Millm. messen dürfen, damit eine genügende Klaffimg in
der Mitte des Lappens ermöglichet werde.
Es misst nun die Oeffnung der hinteren Cornealfläche im Mittel etwa
11 Millm. (Ed. Jaeger). Bei einem Krümmungsradius von 6-7 Millm. würde sich
die Länge eines Meridians der hinteren Cornealfläche auf ungefähr 13 Millm.
schätzen lassen. Ein im horizontalen Meridiane des Auges geführter , die innere
Hornhautfläche halhirender Schnitt müsste demnach einen Wrnidperimeter von un-
gefähr 26 Millm. beschaffen. Eine solche Wundöffnung übertrifft aber den horizon-
talen Umfang des Krystalles soweit, dass von Seite der Cornea dem Austritte selbst
maximaler Staare kein bedenkliches Hinderniss entgegenstehen kann.
Man hat in der That einen solchen Schnitt zum Behufe der Staarextraction
vorgeschlagen und damit in einer Reihe von Fällen auch befriedigende Resultate
erzielt (Querextraction, Küchler). Es liegt aber auf der Hand, dass eine quer über
die Pupille hinziehende Schnittnarbe das Sehvermögen des operirten Auges sehr
beträchtlich herabdrücken müsse. Dazu kömmt, dass das Klaffungsvermögen eines
in einem grössten Kreise der idealen Hornhautkugel geführten Schnittes wegen der
Steifigkeit der Cornealsubstanz ein sehr kleines ist. Es wird daher nur eine sehr
schmale Zone der Iris in der Wunde blosgelegt und muss, da der Rest zwischen
Staar und hintere Hornhautfläche gleichsam eingeklemmt ist, eine verhältnissmässig
sehr bedeutende Dehnung erfahren, um damit der Staar durch die Pupille aus-
treten könne. Eine Entbindung des Staares auf diesem Wege kann daher gar
nicht ohne massenhafte Abstreifung corticaler Schichten bewerkstelligt werden.
Ueberdies ist wohl zu beachten, dass der Staarkern. um sich mit seinem Rande
in die Wunde einzustellen, eine fast rechticinkelige Drehung um seinen Querdurch-
messer vollführen muss, was bei der Grösse der Widerstände, welche einer solchen
Bewegung entgegentreten, nur unter Beihilfe sehr gewaltthätiger Manipulationen
möglich ist und sehr gewöhnlich eine Zerbröckeluug der oberflächlichen Staar-
schichten mit sich bringen muss. Es lässt sich dieser Uebelstand allerdings ein
wenig dadurch abschwächen, dass man die Schnittebene etwas von dem grössten
Durchmesser der Hornhaut entfernt. Auf dass jedoch der Staar ohne sehr excur-
sive Drehung aus dem Auge entfernt werden könne, müsste der Schnitt seiner
ganzen Länge nach zwischen die Scleralgrenze und den Kernäquator fallen. Die
Länge eines durch den Krümraungsviittelpunkt gelegten Schnittes , welcher so weit
von dem Cornealscheitel absteht, würde jedoch um ein Bedeutendes hinter dem
Bedarfe zurückbleiben. Ein peripherer Hornhautschnitt, welcher' der Linse gestatten
soll, mit einer sehr kleinen Drehung nach aussen zu treten, kann daher nicht in
einem grössten Kreise der idealen Hornhautkugel liegen, sondern muss die Horn-
hautaxe unter fast rechtem Winkel weit vor dem Krümmungscentrum der hinteren
Cornealoberfläche schneiden, also den Bogen eines Kreluibscknittes bilden.
Ein in dem Ursprungskreise des Ligamentum pectinatum geführter und den-
selben halhirender Bogenschnitt erreicht bei einem Radius des ganzen Ursprungs-
kreises von 5'5 Millm. ungefähr 17 Millm. Länge, liefert also einen Wundperimeter,
welcher den horizontalen Umfang der ^grössten Linse bei Weitem übertrift't. Die
Widerstände, welche sich bei einem solchen Bogenschnitte dem Austritte des Staares
entgegen stellen, sind minimale, indem der abgegrenzte Lappen vermöge seiner
Höhe und Breite dem Drucke des vom Glaskörper hervorgedrängten Staares leicht
nachgeben kann und indem auch die halbe Iris ihrer Stütze beraubt ist, daher
eine entsprechende Erweiterung der Pupille ohne erhebliche Zerrung der Regen-
bogenhaut zu Stande kommen kann. Es ist ein solcher Schnitt jedoch durch die
anatomischen Verhältnisse sehr erschwert. Es tritt nämlich der mittlere Theil der
Extraction mit ileiii Hogenschiiittn, rtciiMi ficlaliii'ii; Iritis. 717
Iris und des Krystulles um ein Erlicbliciics nher die Ursprnrigselxnie des Lig.airieiitum
pectinatum hervor. Das Messer nuiss dalier im Bogen durch die Kammer gefüiirt
werden und den Scheitel der Linse beim Ausstiche zurüclidrücken, wodurch leicht
der periphere Theil der Iris unter die Messerschneide {beliefert wird. Zudem setzt
ein in dem Urspruugskreise des Ligamentum pectinatum verlaufender Schnitt eine
ungemein hi-eite Wundßüche voraus; der äussere Wundrand müsste, da die Scleral-
grenze an der vorderen Hornhautfläche merklich weiter nach vorne reicht, als an
der hinteren, fast 1 Millm. weit in die Lederhaut und den Limbus conjunctivalis
hineinfallen. Im Uebrigen kleben einem solchen maximalen Lappenschnitte auch
positive Nachtheile an. Seine Lage und enorme Klaffungsfähigkeit benehmen dem
vorderen Theil der Zonula jeden Widerhalt, dieselbe berstet, da sie dem ganzen
Drucke des Glaskörpers biosgestellt ist, nicht selten und führt zu bedenklichen
Glaskörpervorfällen; oft genug entleert sich ein Theil des Corpus vitreum sogar
vor der Cataracta und macht dann die Entbindung der letzteren überaus schwierig,
ja bisweilen fast unmöglich. Dazu kömmt, dass nach der Operation die Iris in
der Regel von dem nach vorne drängenden Glaskörper in die Wunde yetriehen und
so ein meistens sehr ausgedehnter Regenbogenhautvorfall veranlasst wird , welcher
nicht nur die Wundheihtng beirrt, sondern durch Erregung heftiger Entzündungen,
durch Verziehung und Verlagerung der Pupille den Erfolg der Operation in hohem
Grade zu gefährden im Stande ist. Man kann diesen Uebelständen durch die Vor-
nahme des operativen Eingriftes unter tiefer Narkose des Kranken und durch Aus-
schneidting eines breiten Irisstückes (Jacobson) nur theiliceise begegnen. Es erscheint
daher räthlich, die Höhe und Breite des Lappens auf das alfei'probte herkömmliche
Mass zu beschränken.
Jedenfalls genügt ein Lappen, dessen innerer Wundrand sich einen halben
Millm. von dem Ürsprungskreise des Ligamentum pectinatum entfernt hält und
dessen beide Wundwinkel in dem horizontalen Meridian der Hornhaut gelegen
sind , um selbst maximale Staare unter kleinen Widerständen , in der Regel sogar
durch den Glaskörperdruck allein nach aussen zu fördern. Bei Staaren mit kleinerem
Kerne und breiiger oder flüssiger Rinde darf der Ein- und Ausstich wohl auch in
einige Entfernung vom horizontalen Durchmesser der Hornhaut fallen und so die
Lappenhöhe verkürzt werden. Es gewährt ein solcher Lappen von geringerer
Breite und Höhe den wichtigen Vortheil der leichteren Anpassung und sichereren
Wundheilung. Ausserdem ist die Stütze, welche die Iris und die Zonula an dem
breiten peripheren Wundsaume findet, gemeiniglich zureichend, um Vorfälle der
L"is und des Glaskörpers während und nach der Operation zu verhindern, macht
also auch in vielen Fällen Verstümmelungen der Iris überflüssig, was namentlich
hei jugendlichen Individuen nicht nur im cosmetischen Interesse liegt, sondern aiich
die Functionstiichtigkeit des Auges um ein Gewisses erhöht.
Es ist die Lappenextraction mit dem Hornhautbo genschnitte, wie sie
seit Langem geübt wird , ein ziemlich gefahrliches Unternehmen und
fordert eine überaus sichere und geübte Hand, so wie eine genaue Kennt-
niss aller möglichen Zwischenfälle und der bei diesen erforderlichen
Handgriffe, also eine reiche Erfahrung, soll sie befriedigende Resul-
tate liefern.
Eine der häufigsten Folgen der Lappenextraction sind Regenbogen-
hautentzündungen. Geringgradige Iritiden gehören sogar zur Regel. Sie
hinterlassen in der Mehrzahl der Fälle partielle, narbige Eiiiziehungen
des Pupillarrandes und theilweise Verlöthungen desselben mit den Besten
der Kapsel, was indessen meistens keine erhebliche Störung des Seh-
vermögens zur Folge hat. Oft genug jedoch wird der Wucherungsprocess
auch ein sehr intensiver und begründet ausgebreitete hintere Synechien
oder völligen Verschluss des Sehloches; er pflanzt sich übrigens nicht selten
auch auf den Strahlenkranz und die Aderhaut fort und schädigt in
sehr bedauerlicher Weise die Functionstüchtigkeit des Auges , wenn
nicht gar der Schwund das Ergebniss ist. Manchmal nimmt der
Process den suppurativen Charakter an, wo dann der Bulbus meistens
^ X8 Cataracta: Ertraction durch den Lappenschnitt ; Deren Gefahren.
rasch atroplnrt oder nach eitriger Zerstörung der Cornea phthisisch zu
Grunde geht.
Es Tuachen sich diese verderblichen Iritiden selten vor Ablauf des
ziceiten Tages bemerklich, in der ßegel kommen sie erst am 4. — 10. Tage
und später zum deutlichen Ausdrucke. Sie sind sehr zu fürchten bei harten
und umfangreichen Kernen, so "wie überhaupt, •wo die Entbindung der
Cataracta wegen ungenügender Grösse des Hornhautschnittes , wegen
narbiger oder spastischer Contractur der Pupille schwierig erfolgte und
eine beträchtliche Zerrung oder Quetschung der Iris bedingte; weiters
wenn die Manipulation eine rohe gewesen ist, oder die Entfernung der
Corticalmassen ein wiederholtes Eingehen mit dem Staarlöffel erforderte.
Geicöhnlich indessen hegt die Ursache in dem Zurückbleiben grösserer Staar-
reste, zumal einer mächtigen, der Kapsel anhängenden Schichte normal
consist^nter blähungsfähiger Cor tical Substanz. Die letztere pflegt nämlich
alsbald in einen üppigen Wucherungsprocess zu gerathen und fügt solcher-
massen zu dem mechanischen Reize der aufgequollenen Trümmer den vitalen
der Entzündung hinzu ^Graefe , regt die Iris also in doppelter Weise zu
heftigen Reactiouen an, während die vermehrte Filtration fibrino^enreichen
Serums eine weitere Quelle coagulabler Producte eröffnet {Adamük). Das
Ergebniss sind ausser den Eolgen der Uveitis massige Nachstaare. Manch-
mal findet die Iritis ihren nächsten und hauptsächlichsten Grund auch in
einem Vorfalle durch die Lappemcunde und daheriger Einklemmung und
Zerrung der Regenbogenhaut. Es nimmt der Process dann gerne einen
chronischen Verlauf. Ausnahmsweise geht er mit sehr lebhafter Cihar-
reizung einher und kann unter solchen Umständen auf sympathischem Wege
das zweite Auge gefährden {Critchett).
Gleichwie bei den übrigen Staaroperationen lassen sich auch bei der
Lappenextraetion die Gefahren, welche unmittelbar oder mittelbar aus
der mechanischen Reizung der Binnenorgane resultiren, dadurch mindern,
dass man der Staarausziehung eine Iridectomie um mehrere Wochen vor-
ausschickt, oder beide Verfahren mit einander verbindet (Wenzel, Richter,
Graefe).
Es ^vird solchermassen nämlich die Ausgangsöffnung für den Staar ansehnlich
erweitert uud den Quetschungen der Iris so wie der Abslreifung heträchtlicher Men-
gen von Corticalsubstanz voigebeugt; oder, falls die Quetschung bei Integrität des
Pnpillarrandes durch den sich entbindenden Staarkern hfreils gesetzt worden wäre,
der mechanisch beleidigte Theil der Eegenbogenhant beseitigt und an seiner weiteren
Eiuflussnahme auf den Heilungsprocess gehindert. Ferner wird der Zugang zu etwa
rückgebliebeiien Staartrümmern während der Operation erleichtert und oft deren
gründliche Beseitigung durch den Löffel ohne sonderliche Läsion der Theile er-
möglicht: falls aber trotzdem Trümmer der Cataracta zurückgelassen werden
mnssten, wird wegen Verminderung der Berührungspunkte und Abspannung der
Iris die mechanische Reizwirkunff derselben wesentlich beschränkt. Zu allem dem
kömrat noch die Verhütung ttreiter Irlsvorfälle und der Umstand , dass bei xceit-
geöffneter Pupille eine theilweise narbige Zusammenziehung des Randes sowie
partielle hintere Synechien nicht so viel Schaden bringen, als bei einem normal
weiten Sehloche, und dass überhaupt nach ausgiebigen Iridectomien ein völliger
Ab- oder Verschluss der Pupille nicht so leicht zu Stande kömmt , als bei Inte-
grität der centralen Iriszone.
Das combinirte Verfahren erscheint nach dem Mitgetheilten dringend
geboten, wenn Staare mit breiigkalkiger oder normal consistenter und der
Kapsel fest anhängender Kinde der Operation unterzogen werden; wenn
fjttppenextraction mit Iiidoctiimic ; «Ilaskörperstich; Extraotion mit ilor Kapsel. 719
die Pupille sich Jiiif den Gebi'anoh des AtropinR nur wenig erweitert und
ihr Rand sonach dem Austritte des Staarkernes einen grossen Widerstand
entgegenzusetzen droht; wenn bei umfangsreiclien Scleromen der Hoi'n-
hautlappen etwas zu klei^ ausfiel und die Entbindung Schwierigkeiten
findet, oder wenn die Iris hierbei sehr gezerrt und gequetscht worden ist ;
besonders aber, wenn aus irgend welchem Grunde grössere Mengen von
Staartrümmern im Auge zurückgelassen werden raussten (^Arlt). Ausserdem
thut man wohl, die Iridectomie beizufügen, wo die normale Wundheilung
in dem Zustande des Gesammtorganisraus oder des Auges minder günstige
Bedingungen vorfindet.
Es ist jedoch ohne Zweifel übertrieben, wenn Manche die Combination der
Lappenextraction mit der Iridectomie für alle Fülle olme Ausnahme angezeigt er-
klären (Mooren), da bei günstigen allgemeinen und localen Verhältnissen so wie
bei anstandsloser DurchfiUtrung des Operationsactes die Gefahren der Lappenex-
traction um ein sehr Beträchtliches abnehmen und dann im Ganzen genommen
kaum mehr den Schaden aufwiegen, welchen eine breite künstliche Pupille dem
Sehvermögen des operirten Auges zufügt, indem diese bei stärkeren Erleuchtungen
des Gesichtsfeldes höchst peinliche Blendungserscheinungen bedingt und im Ver-
hältnisse zu ihrem Umfange auch die Zerstreuungskreise vergrössert , welche bei
nicht ganz scharfer Einstellung des dioptrischen Apparates die Netzhaut treffen,
wodurch natürlich die gänzliche Aufhebung des Accommodutionsvermögens doppelt
fühlbar gemacht wird. Besonders stark leidet die Deutlichkeit des excenlrischen
Sehens und damit die Orientirungsfähigiceit des Kranken beim Tragen der Staar-
brilleu (Graefe), da dann die Abweichungen der Kandstrahlen wegen mangelhafter
Abbiendung von Seite der Iris sehr stark heraustreten.
Vor Kurzem wurde auch der Glaskörperstich als Ersatzmittel der Iridectomie
empfohlen. Man glaubt dadurch die Gefahren des Nachstaares, der Iritis und
Pupillensperre, der Chorioiditis und selbst der ungünstigen Verheilung der Cor-
nealwunde in hohem Grade vermindern zu können, zugleich aljer auch den opti-
schen Effect allgemein ganz unvergleichlich besser zu gestalten, als dies bei den
anderen Operationsmethoden der Fall ist. Die Function soll unmittelbar nach dem
Austreten des Staares mittelst einer Nadel bewerkstelligt werden, indem diese im
Centrum der Tellergrube durch die Hinterkapsel in den Glaskörper eingestossen
wird. Das unmittelbare Ergebniss ist, dass etwas Vitrina in den Kammerraum her-
austritt, die Pupille ein wenig erweitert und die früher schlaffe Cornea wölbt,
während gleichzeitig der Kapselsack in einen ringförmigen Wulst umgewandelt und
aus dem Pupillargebiete hinweggedrängt wird, so dass das Sehloch in voller Klar-
heit erscheint und einen hohen Grad von Sehschärfe ermöglichet (Hasner). Es liegt
jedoch die Grösse des künstlicii hervorgerufenen Prolapsus corp. vitrei nicht ganz
in der Hand des Operateurs und da massigere Vorfalle dem Auge leicht Schaden
bringen, erscheint die Methode bedenklich.
Andere rathen, da sie die Haup>tqueUe aller Gefahren in dem Zurückbleiben
von Staarresten suchen, die Cataracta samnit der unverletzten Kap)sel auszuziehen
(Pagenstecher). Bei weit in der regressiven Metamorphose vorgeschrittenen Staaren,
deren Kapsel durch Anlagerung verkalkten Magmas sehr fest und zähe geworden
ist und auch nur lose in der Tellergrube haftet, gelingt dies mitunter sehr leicht.
Bei primären Staaren hingegen findet ein solcher Versuch meistens sehr grosse
Schtvievigkeiten, wie denn auch deutlich aus den vorgeschriebenen Operationsregeln
erhellt. Es bedarf nämlich vorerst eines grossen Bogenschniltes nach unten, welcher
etwa die Hälfte des Kreises umschreibt und behufs möglichster Verlängerung über
die Cornealgrenze hinaus zu legen ist. Um dann die Zugänglichkeit zum Linsen-
.systeme noch weiters zu erhöhen, soll ein breites Stück der Iris ausgeschnitten und
eine etwaige Verwachsung des Pupillarrandes mit der Vorderkapsel durch einen
feinen Haken gelöst werden. Lässt sich hierauf der Krystall durch sanftes Drücken
auf die vordere Lederhaufzone nicht luxiren , so soll ein Löffel hinter die Linse
gebracht und diese samnit Kapsel ausgezogen werden. Erweiset sich jedoch die
Zonida zu fest, so soll dieselbe vorerst durch einen Haken ringsum eingerissen xxnd
so die Kapsel frei gemacht werden. Da bei diesen Hantirungen die Gefahr reich-
licher Glaskurpervorfälle sehr gross ist, wird tiefe Narkose des Kranken für unei--
720 Cataracta; Extraction durch (len Lappenschnitt; Coruealvereiterung.
lässlich betrachtet. Trotzdem lässt sich dieses Ereigniss nicht ganz vermeiden und
kann arge Schäden nach sich ziehen, wie denn überhaupt verderbliche Reaclionen
nicht zu den Seltenheiten gehören. Wenn übrigens Nachstaare ausgeschlossen
sind, so wird dieser Vortheil genugsam aufgewogen durch das häufige Zustande-
kommen von entzündlichen Glaskörpertrühungen, welche oft Monate brauchen, um
zurückzugehen, und dies nicht einmal immer thun. Controlversuche sind in der
That nicht sehr einladend ausgefallen (Knapp, Bergmann, Wecker, Steffan).
Die Hauptgefahr der Lappenextraction mit dem Cornealbogenschnitte
liegt jedoch in der Vereiterung der Hornhaut. Sie findet ihren Grund
mitunter in fehlerhaftem Vorgehen von Seite des Operateurs, vornehmlich
in einem zu klein und namentlich zu flach ausgefallenen Schnitte. Ein
zu flacher Schnitt spaltet nämlich die Hornhaut eine Strecke weit in zwei
sehr dünn zulaufende Blätter, deren Eruährungsbedingungen selbstver-
ständlich ungünstige sind. Ueberdies verengt der innere Wundsaum unter
solchen Verhältnissen sehr beträchtlich die Oeffnung und wird beim Aus-
treten des Staares stark gedehnt, nicht selten sogar in Fetzen zerrissen,
was ganz abgesehen von dem mechanischem Wundreize eine directe Hei-
lung in hohem Grade erschwert. In anderen Fällen wird die suppurative
Entzündung durch unzweckmässiges Verhalten des Kranken nach der
Operation , besonders durch Losreissungcn des bereits angeklebten Lappens
in Folge zufälliger Traumen oder momentaner Steigerungen des Binnen-
druckes beim Husten , Messen u. s. w. veranlasst. Auch ist die Con-
stitution des Individuums von Einlluss. Erfahvungsmässig droht die
Cornealphthise mehr als bei anderen Individuen bei Leuten, bei welchen
auch Wunden anderer Körpertheile gerne eitern; ferner bei Leuten mit
rigider Sclerotica und atheromatösen Gefässen und bei sehr marastischen,
durch Alter, Krankheit, Elend, deprimirende Gemüthsaffecte etc. tief
herabgekommenen Individuen mit tonloser, welker, fahler, von trockener,
rissiger Epidermis überzogener Haut {Graefe, Mooren).
In der Mehrzalil der Fälle kommt indessen die Vereiterung auf
Rechnung der Methode selbst, indem sie sich nach den best ausgeführten
Lappenextractionen, bei dem zw eck massigsten Verhalten des Kranken und
unter den scheinbar günstigsten Verhältnissen einstellt. Hire vornehmlichste
Quelle ist dann ohne Zweifel in dem unvollständigen Anpassen des Lappen-
randes an den peripheren Wundsaum zu suchen. Wie anderwärts ist
nämlich auch in der Hornhaut ein genaues Aneinanderlegen der Wund-
iiächen die unerlässliche Bedingung für die directe Wiedervereinigung der-
selben. Die Gefahr der Vereiterung ist dem entsprechend um so grösser,
je ungünstiger sich die Verhältnisse für die richtige Lagerung des Lappens
gestalten, je mehr sich bei der Operation von den dioptrischen Medien
entleerte und je grösser die damit gesetzte Kxümmungsveränderung der
vorderen Bulbusoberiiäche wird; ferner je umfangr-eicher, besonders aber
je höher der gebildete Lappen ist, je leichter dieser also dem von hinten
her auf ihn einwirkenden Drucke des Augapfelinhaltes nachgeben kann.
Ausserdem wird die directe Wiedervereinigung des Lappens öfters durch
das Zwischenireten von Iristheilen, von Glaskörpersubstanz, von Kapsel-
trümmern oder Staarresten gehindert und so die Cornealphthise be-
günstigt.
Von mehreren Seiten wird behauptet , die Coruealvereiterung sei constant
eine secmulüre, an das Gegebeusein siippurativer Iridochorioiditis gebundene und
letztere finde ihr ätiologisches Moment immer in zurückgebliebenen, sich blähenden
Corneal Vereiterung, Process. 721
Slaarlrümmeni (Arlt, Mooren). Eine genaue Verfolgung der nacli dur Extraction
sich ergebenden Veränderungen am Atigc (Jacobson, Sichel, Pagensiecher) haben
jedoch das Gegentheil als die Regel erwiesen. Auch hat man Gelegenheit gehabt,
die Cornealvereiterung bei völliger Integrität der Uvea am Cadaver nachzuweisen
(Schweigger) und oft macht am Lebenden der noch ungetrübte Fortbestand des
Lichtempfindungsvermögens bei schon weit gediehener Cornealinfiltration die An-
nahme einer suppurativen Mitaffection der tieferen Binnenorgane des Augapfels
unannehmbar (Graefe). In Bezug auf den zweiten Theil jener Behauptung muss
der Umstand berücksichtigt werden , dass die Cornealphthise auch nach völliger
Entleerung der Linse, ja nach Extractionen vorkommt, bei welchen der Staar
sammt der Kapsel im Zusammenhange aus dem Auge entfernt wurde. Auch wurde
sie einmal bei einem irislosen Auge beobachtet (Graefe).
Die Cornealvereiterung beginnt an den Wundrändern, welche sich rasch
trüben und von eitrigen Producten aufquellen. Die Infiltration schreitet
dann von den Wiindwinkeln auf die peripheren Theile der nicht durch-
schnittenen Cornealhälfte fort, so dass sich ein kreisförmiger Gürtel von
infiltrirtem Eiter zeigt, innerhalb welchem die Hornhautsubstanz an-
fänglich nur leicht getrübt und etwas aufgequollen erscheint, dann aber
rasch die eitergelbe Farbe annimmt und unter beträchtlicher Schwellung
schmilzt, um sich fetzenweise abzulösen, oder aber zu einer Art Schorf
schrumpft, welcher sich im Zusammenhange abstösst, worauf der Bulbus
unter den Erscheinungen der suppurativen Panophthalmitis phthisisch zu
Grunde geht.
Doch bleibt mitunter die Eiterung auf die Wundränder beschränkt,
höchstens kömmt es zur Entwickelung eines circumscripten Eitergürtels.
In günstigen Fällen kann dann der Process wieder zurückgehen, so dass
die Wundränder unter Hinterlassung einer mehr minder breiten Narbe
verheilen. Viel öfter aber schreitet unter solchen Verhältnissen die Ent-
zündung alsbald auf die Iris und von dieser auf die tieferen Binnenorgane
des Augapfels über. Häufig ist dann Atrophie des Bulbus das Endresultat
und, falls grössere Mengen Eiter im Inneren des Augapfels erzeugt werden,
kömmt wohl auch eine nachträgliche Vereiterung eines Theiles oder der
ganzen Hornhaut mit consecutiver Phthisis bulbi zu beklagen (Graefe,
Jacobson),
In sehr seltenen Fällen soll sich erst am Ende der 2, oder 3. Woche ein
intensiv eitergelbes Infiltrat an einem Punkte der Wundregion bilden und indem
es sich rasch über den ganzen Lappen ausbreitet, diesen zerstören. Es soll diese
Affection unter zunehmender Empfindlichkeit und Conjunctivalschwellung beginnen
und sich rasch mit Iritis sxtppurativa vergesellschaften (Graefe).
Um der durch unvollständiges Anpassen des Lappens bedingten Horn-
hautvereiterung zu begegnen, genügt selbstverständlich eine Iridectomie nicht.
Ebensowenig darf mau von einer Verbindung der beiden Wundränder
durch Knopfnähte (Williams^ erwarten. Die Aufgabe zielt vielmehr unzwei-
deutig auf Verminderung des Klaffimgsvermögens, also auf die Anlegung eines
möglichst kurzen und geradlinigen Schnittes. Es ist nun aber die nothwendige
Länge des Wundperimeters durch den horizontalen Umfang des Staa,r-
kernes bestimmt und lässt sich ohne Herauf beschwöruug anderer schwer-
wiegender üebelstände nicht verkürzen. Man kann der Forderung also
nur durch die Verlegung des Schnittes in die Scleralgrenze einseitig gerecht
werden. Der Kreisumfang der vorderen Scleralgrenze ist nämlich jeden-
falls grösser als jener der peripheren Cornealzone und ein in ersteror ge-
führter Bogenschnitt wird bei gleicher Länge einen um so kleineren Theil
stell wag, Augenheilkunde. 46
722 Cataracta; Extraction mit dem ijeriplieren Liiiearsehnitte.
des ganzen Kreisumfanges darstellen, sich also um so mehr seiner Sehne
näliern, je weiter sich die Schnittebene von der Hornhaut entfernt. Doch
wird dieser Vortheil nicht ohne Opfer erkauft. Das geringe Klaffungs-
vermögen einer in die vordere Scleralgrenze hinausgerückten Lappen-
wunde in Verbindving mit der anatomischen Lage der Regenbogenhaut
und des Staares bedingen die Nothwendigkeit der Ausschneidung eines ent-
sprechenden Stückes der Iris.
Ist dadurch sowie durch die ausgiebige Zerschneidung der Vorderkapsel
jedes Hinderniss des freien Staaraustrittes beseitigt, so genügt in der Regel ein
auf den der Wunde entgegengesetzten Theil der Cornealgrenze ausgeübter leichter
Druck, um den Staar nach aussen zu fördern. Da nämlich der Glaskörper gleich-
zeitig von hiuteuher drängt, die Cataracta also von zicei einander schief entgegen-
wirkenden Kräften angegriften wird, muss dieselbe in dei' Richtung der Rexultiren-
den gegen die Wunde hin ausweichen und so mit einer ganz unbedeutenden
Drehung Letztere passiren. Gelänge einmal dieses Manöver nicht, um den Austritt
zu erzwingen, so kann die Cataracta unschwer ohne Beleidigung der Iris viit dem
Löffel hervo7-gehoÜ werden. Es lässt sich nämlich das Instrument leicht in gerader
Richtung von der Wunde aus an dem Gleicher des Krystalles vorbei hinter die
Linse bringen und hier bis zu deren jenseitigem Rande vorschieben. Der Staar
legt sich dann in die Höhlung des Instrumentes hinein und dessen etwas vor-
springende Vorderkante fasst ihn an seinem Gleicher fest genug, auf dass er dem
Zuge nach Aussen folgen muss. Die Hehelwirkung ist dabei eine minimale, die
Cataracta gleitet hinter der Iris weg, olnie diese sonderlich zu behelligen. Selbst
der Kapsel anhängende consistentere Rindenlagen lassen sicli durch den Löffelrand
ohne bedenklichen Druck auf die Regenbogenhaut ablösen und nach aussen fördern,
um so mehr also bereits getrennte Flocken.
Es macht die Anlegung des Bogenschnittes in der vorderen Scleral-
grenze und die Herausbeförderung des Staares durch die periphere Wunde
eine Keihe von Instrumenten und Hantirungen nothwendig , welche von
den bei der Lappenextraction gebräuchlichen sehr verschieden sind und
die Methode daher als eine eigenthümUche zu betrachten und zu beschreiben
zwingen. Man hat dafür die Benennung „Modificirte Linear extraction,
Extraction mit dem peripheren Linear schnitte und Extraction mit dem Scleral-
schnitte" vorgeschlagen. Es sind indessen alle diese Namen wenig zutreffend.
In Ermangelung einer besseren Bezeichnung möge jedoch der Name „Extrac-
tion mit dem peripheren Linearschnitte,^^ welche dem Erfinder (Graefe) am
passendsten dünkt, vorläufig im Gebrauche bleiben.
Streng genommen kann aus den oben angeführten Gründen von einer linearen
Wunde hier gar nicht die Rede sein, auch wenn man blos den äusseren Wundrand
ins Auge fasst und von der Stellung der Wundfläche zur Cornealaxe gänzlicli ab-
sieht. Noch greller sticht die Irrtliümlichkeit der Bezeichnung hervor, wenn man
die innere Wundötinung näher betrachtet. Diese ist durch die anatomischen Ver-
bältnisse und durch die mechanischen Bedingungen einer möglichst leichten Staar-
entbindung an den Ursprungskreis des Ligamentum pectinatum gebunden. Der
Radius dieses Kreises misst im Mittel 5-5 Millm. Das Minimum der Wundlänge
beträgt für maximale Altersstaare 10 Millm. Ein Bogen von dieser Länge hat
aber nothwendig eine Höhe von ungefähr 2 Millm. Ebensowenig passt der Name
„Scleralschnitt,^ da die Wundfläche laut anatomischen Untersuchungen nur mit
ihrer äussersten Zone in das Scleralgefüge fällt und zum allergrössten Theile in
der Hornhaitt liegt. Es ergibt sich daraus zugleich die Täuschung Jener, welche
den Hauxilvortlieil des peripheren Linearschnittes in der Verlegung der Wund-
fläclie in die Lederhaut suchen.
Die Ergebnisse, welche bisher in einer grossen Anzahl von Fällen
mit dem peripheren Linearschnitte erzielt wurden, sind unbestreitbar sehr
befriedigende und ganz geeignet, die Annahme eines Causalnexus zwischen
Statistik der Extraction mit dem poriplieren Linearschnittö. 723
der Cornealphthise uud (Miieiu grösseren Klatt'imgsvermögen der Wunde zu
stützen. Fasst man alles zusammen, was mau selbst zu beobachten, zu
lesen und unter dem Siegel der Verschwiegenheit verstohlen zu hören be-
kömmt, so darf man behaupten, dass das procentarische Verhältniss der
Cornealvereiterunyen beim peripheren Linearschnitte geringer sei, als bei dem
Cornealbogenschnitte, dass dieser Vortheil aber wieder aufgewogen werde
durch die grössere Häufigkeit verderblicher Entzündungen im Uvealtracte,
namentlich der Iridokyklitis und Iridochorioiditis mit Schwarienbildung. Es
erklärt sich dieses Verhältniss zum grossen Theile durch die schwierigere
Spaltung der an die hintere CornealÜäche sich andrängenden Vorderkapsel,
durch die schwer zu vermeidende Einheibmg der Iriswundränder in die
Winkel der Bogenwunde, durcli die häufigeren und nicht selten erst spät
stattfindenden Blutergüsse in den Kammerraum und durch die etwas ge-
steigerte Frequenz der sehr bedenklichen (S. 158, IG 3) Glaskörper Verluste.
Diese Verhältnisse in hestimmten Zahlen auszudrücken, hat seine grossen
Schwierigkeiten. Nach sorgfältigen statistischen Zusammenstellungen (Dantone)
schwanken die unverhiiUfen Totalverluste des Auges zwischen 2% (Knapp) uud
6'4% (Hoering), ja 28% (Ed. JaegerJ. Unvollkommene Erfolge, bei welchen die Seh-
schärfe bis '/g sank, ergaben sich von 2% (Homer) bis 20ö/q (Knapp). Vollständige
Erfolge wurden 74% (Hoering) bis 90% {Graefe) gezählt. Es beeinflussen eben
das Temperament, die mehr minder abhängige Stellung des Statistikers und mancher-
lei andere Motive ganz ausserordentlich die Färbung der Brille, durch welche die
Erfolge betrachtet und classiticirt werden. Es ist aber ein sehr dunkles Glas,
durch welches man dermalen die altherkömmliche Lappenextraction anzusehen be-
liebt, während man für den peripheren Linearschnitt ein freudigrothes gewählt
liat. Dazu kommt ein hochwichtiger Umstand, nämlich dass die grossen Fort-
schritte der Neuzeit, welche in der Erkenntniss der Ui-sachen der Misserfolge und
in der Nachbehandlung gemacht wurden, wohl der Extraction mit dem peripheren
Linearschnitte, nicht aber der Lajjpenextractiou zu Gute gekommen sind, indem die
allermeisten Augenärzte auf den ersten Wink die ältere Methode über Bord ge-
worfen haben und mit Enthusiasmus der neuen Fahne gefolgt sind, vielleicht um
sie beim nächsten Winke wieder eben so rasch zu verlassen. Wahi-lich ist die
alte Lappenextraction weit besser als ihr jetziger Ruf, auch wenn man davon
ganz absieht, dass mit dem marginalen Lappenschnitte, welchem alle durch den
peripheren Linearschnitt zu vermeidenden Fehler in pofenzirlem Grade anhaften,
bisher ganz unübertroffene Resultate erzielt wurden. Es ergab diese Methode näm-
lich in 78-5% eine Sehschärfe von y^ — i/g, in 19'G"/,, eine Sehschärfe von V^, — 1/20
und in 1"9% Phthisis bulbi (Jacobson).
Unter 287 genau protokollirten Fällen lieferte die einfache Lappenexi7-aclio7i
71"77% unmittelbare volle Erfolge, das heisst die Kranken verliessen die Klinik
mit normal weiter, vollkommen oder zum allergrössten Theile freier Pupille und
normal functionirender Netzhaut, so dass sie mit den entsprechenden Gläsern
mittlere Druckschrift auf circa 12" Entfernuna; entweder bereits lesen konnten oder
dies nach Ablauf weniger Wochen erwarten Hessen, es wäre denn, dass sich nach-
träglich die liintere Kapsel getrübt hätte und eine Nachoperation erforderlich machte.
UnvoUstikidige Erfolge, welche im besten Falle das Erkennen grosser Druckschrift
auf 12" Distanz und die Selbstführung gestatteten, wurden 2160% gezählt, doch
war die Hälfte davon durch eine Nachoperation auf einen vollen Erfolg zu
bringen. 2-09% der Augen gingen in Folge von Iridochorioiditis atrophisch, 4-52%
durch Suppuration zu Grunde. Unter den letztoperirten 47 Fällen waren 5, in
welchen das eine Auge nach der Extraction mit dem peripheren Linearschiütte
anderwärts unter Vereiterung zerstört worden war. In 4 dieser Fälle wurde mit
der Lappenextraction ein voller Erfolg erzielt , in Einem trat Iridokyklitis
mit Pupillensperre ein, worauf eine Iridectomie mit Durchbrechung der Schwarten
das Vermögen der Selbstführung herstellte.
Mit dem periphereii Linearsclinitte wurden in 44 Fällen 70'45% volle Erfolge,
20-457o unvollständige, zur Hälfte vielleicht wesentlich aufzubessernde Resultate
46*
724 Cataracta; Extractinn mit dem peripheren Linearschnitte, deren Leistungsfähigkeit.
erreicht, in 4'54''/o trat Coniealphthine und in eben so vielen Atrophia hulbi ein.
Es waren unter diesen Fällen 25, bei welchen in ein und derselben Sitzung beide
Augen operirt wurden und zwar das rechte stets mit dem pi^^'^pheren Lineai'schnitte,
das linke mit dem Hornlimdbogenschnitte. Der Erfolg war 13 Mal ein voller auf
beiden Augen, 6 mal ein tmvollständiger am linken und ein ro?/er am rechten Auge ;
4 mal ergab sich das entgegengesetzte Verhältniss; 2 mal war der Erfolg zur Zeit
der Entlassung beiderseits ein tmvollständiger. Ein Verlust des Auges war in keinem
Falle zu beklagen.
Im Grossen und Ganzen scheint die Leistung sfäliigkeit heidet Methoden
sich so ziemlich das Gleichgewicht zu halten. Wer die grössere Schwierig-
keit und Dauer der Operation, so wie die Verstümmelung der Regenbogen-
haut für u.nbedeutend erachtet und die grösstmöglichste Anzahl mittlerer
Erfolge anstrebt, der wird sich mit dem peripheren Linearschnitte vielleicht
am meisten befriedigt finden. Wer jedoch in der Eleganz, Einfachheit
und Schnelligkeit des operativen Actes, in der Leichtigkeit und Sicherheit
der Staarentbindung erhebliche Vortheile sieht und tadellose, dem Ideale
sich nähernde Erfolge erzielen, dafür auch allenfalls einen oder den
anderen Verlust in Kauf nehmen will, der wird immer wieder zur Lappen-
extraction zurückliehren und deren Uebelstände thunlichst zu mildern
suchen, ohne dass er jedoch den peripheren Linearschnitt gänzlich ver-
wirft. Wo die obwaltenden Umstände einer Cornealvereiterung sehr günstig
zu sein scheinen ; wo ausgebreitete Narbenflecke das Terrain für den
Lappenschnitt einnehmen und zugleich eine künstliche Pupillenbildung
nothwendig machen ; wo alle Bedingungen für die Entwickelung eines
Glaucoms vorhanden sind oder ein Auge gar bereits dieses Leiden trägt,
also eine Iridectomie in nicht ferner Zeit erforderlich werden könnte : 3a
ist es in der That räthlich, den peripheren Linearschnitt zu wählen. Ein Gleiches
gilt von jenen Fällen, in welchen das nach der Lappenextraction unerläss-
liche strenge Eegimen durch den Körperzustand des Kranken unerträglich
und selbst gefährlich werden könnte ; denn beim peripheren Linearschnitte
droht bei weitem weniger die Trennung der bereits verklebten Wund-
Üächen als beim Lappenschnitte, daher dem Kranken schon in den ersten
Tagen nach dem operativen Eingriffe wesentliche Erleichterungen zuge-
standen werden können.
Man hat auch die kürzere Heildauer zu Gunsten der Verallgemeinerung des
periplieren LinearscJinittes geltend zu machen gesucht. Doch lässt sich dieselbe nur
für die normal verlaufenden Fälle anerkennen. Die anomal verlaufenden, und
deren Zahl ist nicht gering (41"5*'/o) DantoneJ, wiegen diesen Vortheil so ziemlich
wieder auf, insoferne die chronische Iridokyklitis und Iridochorioiditis mit ihren
Folgen etwas häufiger sind und auch die nicht seltenen ci/stoiden Narben den Kranken
öfters recht lange belästigen.
Ein triftigerer Grund für die Vorzüglichkeit des ^:>e?'ip7<ere?2 Linear schnitt es
gegenüber dem Lappenschnitte scheint in der geringeren astigmatischen Differenz
zu liegen, welche die nach der ersteren Methode operirten Augen nachweisen
lassen (Reuss, WoinoivJ. Doch kömmt hier in Betracht, dass der Astigmatismus,
welcher der Staarextraction zu folgen pflegt, einige Zeit nach der Operation sich
immer wesentlich zu vermindern pflegt und dass, falls er nach dem Lappenschnitte
auch etwas grösser bliebe , der Unterschied kaum jemals so gross sein
dürfte, dass Cylindergläser ihn auszugleichen unvermögend wären. Insbesondere
aber ist zu berücksiclitigen, dass selbst ein grösserer und unregelmässigerer Astig-
matismus nach einer regulären Lappenextraction sich vermöge der geringeren
Weite lind der centralen Lage der Pupille subjectiv tveniger bemerklich machen
müsse, als nacli dem peripheren Linearschnitte in seiner Combination mit Iri-
dectomie.
Extraction des Staaros in der Kapsol ; Oporiitinn iibcn-oitcr Staare. 72o
Es hat auch nicht an Versuchen f!;efehlt, die der Plxtraction mit dem jyeri-
pheren Linearsclinitte anlclebendcii Ucbelstände üu niihlern oder ganz zu beseitigen.
So hat man gleich wie bei der Ijappenextraetion, um dem Zurückbh'iben von Staar-
triimmern zu steuern, die Anszieliuncj der Linse in der unverletzten Kajjsel empfohlen
und glaubt dies sogar ohne Verstümmelung der Iris bewerkstelligen zu können. Es
soll zu diesem Behufe nach Anlegung des peripheren Linearsehnittes ein Staar-
lötlel mit der Convexität gegen die Linse gewendet in die ]'u])ille eingeführt, der
Linsenrand zur Seite geschoben und die Zoniila mit dem Löifelrande durchtrennt
werden, worauf das Instrument hinter die Linse in die tellerförmige Grube einge-
führt inid der Krystall als Ganzes durch die Wunde hindurchgezogen wird. Man
rühmt die Leichtigkeit, Sicherheit und Vortreft'lichkeit der Erfolge (Gioppi, Hasner);
doch wird man sehr gut thun, Controlversuche abzuwarten.
d. Bei überreifen Staaren fordern die fettigkalkigeu Anlagerungen an
der Innenwand der Kapsel die sorglichste Beaclitung. Sie machen es den
durch die Operation gebildeten Kapselziiifeln ganz unmöglich , sich zu
retrahiren, daher selbst bei ausgiebiger Zerstückelung der Kapsel trübe lleste
derselben in der Pupille zurückbleiben, welche sich später meistens schwer
beseitigen lassen und das Sehvermögen sehr fühlbar beeinträchtigen.
Einfache Discissionen taugen dann also weniger, selbst wenn die Linse als
Ganzes bereits zerfallen wäre und einen fettigkalkigen Brei darstellte. Enthält der
regressive Staarbrei gar noch griesige Kalkconglomerate, so kann es geschehen,
dass dieselben in die Vorderkammer austreten und vermöge ihrer Consistenz eine
um so misslichere Reizwirkung ausüben, als sie sich nur langsavi lösen und nicht
leicht entfernt werden können. In einzelnen seltenen Fällen hat man beobachtet,
dass die Kalkmassen sich an der rauhen Oberfläche der Iris ansetzten und auch
die Hinterwand der Cornea mit einem unvertilgbareu Beschläge überzogen, der das
Sehen sehr unliebsam störte.
Bei regressiven flüssigen Totalstaaren flihrt mau am besten mit der
einfachen Linear extraction. Es ist dabei indessen nothwendig, dass das
Kammerwasser erst ganz abgelassen werde, ehe man zur Eröffnung der
Kapsel schreitet, damit der Krystall von dem Glaskörper fest an die hintere
Wand der Iris und Cornea angepresst, die Kammer also Nidl sei, wenn
die kalkmilchähuliche Flüssigkeit aus der Kapselhöhle entleert wird.
Auch thut man gut, den Linearschnitt etwas näher als sonst an das
Cornealcentrum zu rücken, damit die Oeifnung nicht verlegt werde, wenn
während des Ausüiessens des Humor aqueus die Pupille sich sehr ver-
engt. Selbstverständlich ist bei einem solchen Vorgehen eine ausgiebige
Zerldüftung der Kapsel nicht möglich. Manchmal gelingt es wohl die
letztere grössten Theiles herauszuziehen; häufiger jedoch muss man unver-
richteter Sache die Versuche aufgeben. Es bleibt dann ein Nachstaar
zurück, welcher später entfernt werden muss.
Man hat in Berücksichtigung dessen gerathen, den Einstich in die Cornea
nicht mit einer Lanze, sondern mit einer in allen ihren Durchmessern vergrösserten
Discissionsnadel zu machen, deren Hals die Wunde stopft und den Abfluss des
Kammerwassers verhindei't, die Kapsel also in genügendem Abstände von der
Descemeti hält, um selbe zerspalten zu können (Graefe). Daim wird aber offenbar
dem Austritte des kalkmilchähnlichen Magmas in den Kammerraum und dessen
üblen Folgen nicht gesteuert; die Methode ist demnach eine unpraktische.
Bei trockenhülsigen Staaren, so wie überhaupt bei sehr geschrumpften
Cataracten mit einer, durch Anlagerungen fester Massen sehr verdickten
zähen Kapsel und breiigem Kerne ist die einfache Linearextraction allen
anderen Methoden entschieden vorzuziehen und wird auch schon seit einer
langen Reihe von Jahren geübt (Friedr. Jaeger). Es folgen solche Staare
nämlich sehr leicht im Zusammenhange dem Zuge eines Hakens oder eiuer
726 Cataracta; Extraction überreifer Staare; Verfahren bei Bestand hinterer Synechien.
Pincette und lassen sich so durch die Corneal-wnnde ohne Anstand ent-
fernen. Gemeiniglich ist unter solchen Umständen nämlich die Zonula
atrophirt und reisst ein, wenn ein Zug auf sie wirkt; ausserdem aber ist
die Verbindung der hinteren Kapsel mit der Tellergrube sehr gelockert.
Trockenhülsige und secundäre Staare lassen sich übrigens auch durch eine
Lederhautwunde aus dem Auge herausbefördern. Früher war dieser Weg nicht
unbeliebt, ist aber längst verlassen worden, da er keine besonderen Yortheile
gegenüber der linearen Extraction durch den Hornhautstich bietet. Es wurde an
der Schläfenseite der Sclera, bei 2'" unter dem Horizontaldurchmesser, mittelst
einer Lanze oder eines Keratoms ein bei 3'" langer meridionaler Schnitt geführt,
dessen vorderes Ende bei 2'" von der Cornealgrenze entfernt war. Hierauf wurde
eine zarte stumpfgezähnte Pincette oder ein Irish'dkchen eingeführt, durch den Glas-
körper ^ bis zur Cataracta vorgeschoben, diese gefasst und hervorgezogen (Sichel,
Desinai~res).
Ueberreife Staare mit einem sclerosirten oder normal consistenten Kerne
müssen durch die Lappenextraction oder durch den peripheren Linearschnitt
beseitigt werden. Doch soll man hierbei stets den Versuch machen, das
Krystallsystem im, Zusammenhange auszuziehen, ehe man zur Einschneidung
der Kapsel schreitet. Recht oft gelingt das Manöver und dann ist viel
gewonnen, indem eine Ditfusion der kalkigen ßindentrümmer in den
Karamerraum und überdies auch das Zurückbleiben eines Nachstaares
unmöglich wird. Folgt indessen der Staar nicht dem Zuge des Hakens
oder der Pincette, so muss die Kapsel ausgiebig gespalten und dann nach
Entleerung der Linse stücJciveise extrahirt werden.
Um die üblen Folgen zu verhindern, welche das Zurückbleiben kleiner Kalk-
körnchen im Kammerraume veranlassen kann, wurde empfohlen, nach Austritt
des Kernes laues, auf ungefähr 30" ß. erwärmtes destillirtes "Wasser in den vor-
deren Bulbusraura zu träufeln oder sanft einzuspritzen, um so die Rückstände
gleichsam auszuschwemmen (Arlt).
e. Bei hinteren Synechien können sich die Kapselzipfel ebenfalls nicht
zurückziehen , weil sie theilweise mit der Iris zusammenhängen, ausserdem
aber, weil unter dem Einflüsse der vorangegangenen Entzündungen meistens
ziemlich massive, später verkalkende Producte an der Innemoand der Kapsel
abgesetzt werden und die durch äussere Auflagerungen bedingte Steifheit
derselben noch vergrössern. Dazu kömmt, dass sich unter dem Einflüsse
der Entzündung häufig der gesummte Staarbrei verdichtet und dass sich in
ihm Kalkcong lomerate entwickeln. Die Entblössung der Corticalis und
deren Austritt aus der Kapselhöhle wird dann um so gefährlicher, als die
Pupille vermöge der Productbildungen an ihrem Pande sich nicht gut
erweitei-n lässt und durch die Synechien selbst schon die Neigung zur
Rückkehr der Lritis ansehnlich gesteigert erscheint. Es ist unter so
bewandten Umständen dringend zu rathen, die Staaroperation mit der
Iridectomie zu paaren und, wo vermöge der Beschaffenheit der Cataracta
eine der Extraction smethoden angezeigt erscheint, immer erst die Ausziehung
bei unverletzter Kapsel zu versuchen ; die letztere also nur dann einzu-
schneiden und hinterher stückweise zu entfernen, wenn das Linsensystem
nicht als Ganzes dem Zuge folgt. Manche halten es für klug, die Operation
mit der Corelyse (S. 302) zu beginnen (Hasner).
f. Bei traumatischen Staaren können, wenn deren Entwickelung ohne
gefahrdrohende Reizzustände \or sich geht, die natürlichen Au^giiwge (S. 689)
unter strenger Antiphlogose und häufigen Einträufelungen von Atropin abge-
wartet werden. Insbesondere bei Kindern ist es gut, nicht allzu rasch zu
Extraction vorgefallener uiul schwimmender Staare. 727
operativen Eingriffen zu sclu-eiton, da eben nicht p;ar selten durch lle-
ßorption eine spontane llciluny erzielt wird. Bläht sich aber die Linse auf
und macht sich bereits eine Iritis geltend, gelingt es übrigens nicht auf
den gewöhnlichen Wegen, die Entzündung rasch zu beschwichtigen oder
steckt gar ein fremder Körper in der Linse, welcher herausfallen könnte
(S. 690) : so wird die Anzeige zur Operation eine drängende. Bei ganz
erweichten Staaren ist dann die Linear extr ad ioii mit der Iridectoraie oder
besser die Extraction mit einem Ideinen Lappenschnitte zu wählen. Bei un-
vollständig zerfallenem Krj'stalle und überhaupt bei älteren Individuen kann
nur die Extraction mit dem Lappen- oder peripheren Linearschnitte zum
Ziele führen. Leider erweist sich das Mittel häufig als ganz unzureichend
und führt sehr rasch zur Zerstörung des Auges durch Phthise oder Atrophie.
In Anbetracht dessen dürfte Jene kein Vorwiirf treffen, welche die Opera-
tion nur in der dringendsten Noth und in verzweifelten Fällen als einen
letzten Versuch für gerechtfertigt halten.
g. Für lAnsen, welche in die Vorderkammer vorgefallen und daselbst
fixirt sind, so wie für Linsen, welche theilweise oder ganz aus ihren normalen
Verbindungen losgerissen sind, vermöge ihres Herumschwankens mechanisch
reizend auf die Binnenorgane wirken und damit das Auge in Gefahr bringen,
sie mögen noch durchsichtig oder bereits staarig entartet sein : passt die
Lappenextraction.
Verkalkte Linsen, welche seit Langem in der Vorderkammer Hegen, haben
den Bulbus meistens durch Iridochorioiditis schon sehr mitgenommen und sehun-
fähig gemacht. Falls daher öftere Reizznstände und besonders Iridokyklitis zur
Operation auffordern, oder gar schon das zweite Auge in Gefalir sympathischer
Mitleidenschaft stünde, scheint es klüger, den Bulbus zu enucleiren, da der operative
Eingriff sonst leicht den entzündlichen Process noch mehr anfachen und auf das
zweite Auge übertragen könnte (Gvaefe). Um bei der Extraction von in der Vor-
derkammer lagernden Linsen grössere Glaskörperverbiste thunlichst hintanzuhalten,
empfiehlt man die vorläufige Verengerung der Pupille durch Calahaipräparate
(Pagenstecher).
Bei eigentlichen Schwimmstaaren hat man öfters grosse Noth, den Krystall
mit dem Löffel zu erhaschen, indem er in der den Bulbusraum erfüllenden
Flüssigkeit freibeweglich ist und gerne ausweicht. Es ist daher sehr zu
empfehlen, die Cataracta vorerst auf eine durch die Lederhaut eingestochene
Staarnadel aufzuspiessen, dieselbe in die Vorderkammer zu drängen und
gegen die hintere Coruealwaud zu pressen, um sie schliesslich durch einen
Lappenschnitt zu entfernen (Graefe, Hasner).
Gelingt es nicht, den Schwimmstaar auf der Nadel zu fixiren, so bleibt wohl
nichts übrig, als die sogenannte Scleralextraclion (Quadri). Behufs derselben wird
die Lederhaut in der Gleichergegend des Bulbus auf '4 — '/e ihres Umfanges parallel
dem Cornealrande durchgeschnitten, der verflüssigte Glaskörper entleert und die
Linse herausgezogen. Es geht dann das Auge allerdings häufig durch Eiterung zu
Grunde, doch fällt dies nicht schwer ins Gewicht, da bei der Cataracta natans
die Functionstüchtigkeit des Bulbus ohnehin auf Null gesetzt zu sein pflegt und
der Staar sehr häufig die Veranlassung von immer wiederkehrenden Entzündungen
ist, welche den Kranken nie zur Ruhe gelangen lassen und oft sogar den allge-
meinen Gesundheitszustand desselben schädigen. Da ist eine rasch verlaufende
Phthise des Bulbus oft sogar eiu Gewinn. In Aiibetracht dessen scheut man sich
auch nicht, dort wo man der Linse nicht habhaft werden konnte, die Vereiterung
des Bulbus durch Einziehung eines Fadens (S. 392) zu erzwingen. Im Falle als
eine sympathische Affection des anderen Auges droht, oder bereits besteht, wird die
Enucleatio bulbi für angezeigt gehalten (Graefe).
728 Cataracta: Operation eetopischer n. luxirter Linsen, des Naehstaares: Vorbereitungskur.
Bei der Ectopie und bei niederen Graden angeborner Luxation der Linse,
es möge der Krystall seine Durchsichtigkeit bewahrt haben oder cataractös
sein : kömmt man öfters mit der Iridectomie aus. Wer die Gefahr nicht
scheut, wird auch wohl die Verlagerung der Pupille wählen. Genügt dies
jedoch nicht, um ein deutliches Sehen zu erzielen oder setzt die luxirte
Linse vermöge ihres Schlotterns das Auge in Gefahr, so ist die Extraction,
am besten mit dem peripheren Linear schnitte, am Platze.
Ist die Linse unter die Bindehaut di^locirt, so erscheint es vortheilhaft, deren
Entfernung erst nach erfolgter Verkeilung der Scleralwunde vorzunehmen, um die
Entleerung des Glaskörpers zu vermeiden.
h. Nachstaare kann man durch Scleronyxis zerstückeln und theilweise
deprimiren. Besonders empfehlenswerth ist dieses Verfahren bei Trübungen
der Hinterkapstl, wie sich selbe öfters nach der Lappen- und Linear-
extraction bilden. ^lan thut dabei gut, das Operationsfeld durch eine Loupe
schief zu, beleuchten, um selbst die feiasten Trübungen deutlich wahrnehmen
zu können {Knapp). Massigere Nachstaare lassen sich am besten durch die
einfache Linearext raction beseitigen.
Wenn sie aber, was öfters der Fall ist, mit ii'idokyklitischen Schwarten fest
zusaninienhängen, ist der zur Extraction erforderliche Zug sehr gefährlich und kann
zu deletäreu Entzündungen führen. Wo derlei Adhäsionen bestehen, thut man
daher vielleicht besser, den Nachstaar mittelst ziceier Nadeln zu zerschneiden. Diese
Nadeln werden vou zwei entgegengesetzten Seiten durch die Cornea eingeführt, in
der Mitte der Cataracta secundaria in dieselbe Oeffnung eingesenkt und durch
Auseinanderziehen in entgegengesetzter Richtung ein freier Pupillarraum geschaifen
(Bowman, Fagenstecher).
4. Eine specielle Vorbereitungskur ist ganz überflüssig und eher geeig-
net, durch den beängstigenden Eindruck, welche sie auf den Kranken
ausübt, Schaden zu stiften. Doch ist es klug, dem Kranken am Tage vor
der Operation ein Abführmittel zu reichen, weil nach einer gehörigen Ent-
leerung des Darmkanales der Stuhlgang in der Eegel mehrere Tage aus-
setzt, was wegen den bei Absetzung von Fäcalstoffen nothwendigen Körper-
bewegungen, namentlich nach der Lappenextraction, höchst erwünscht ist.
Soll eine Nadeloperation oder eine lineare Extraction ausgeführt werden,
so ist auch eine wiederholte Einträufelung von Atropinlösung nothwendig,
um den Effect derselben möglichst sicher zu stellen.
Ist eine Lappenextraction im Plane, so erscheint die künstliche Erweiterung
der Pupille kaum erspriesslich. Doch glauben Viele, dass durch Schwächung des
Sphincter pupillae der Durchtritt des Staares erleichtert und so den misslichen
Folgen etwaiger Zerrungen der Iris einigermasseu vorgebeugt werden könne. Auch
soll die Mydriase iiach Vei-klebung der Hornhautwunde rasch iciederkehren und so
der Einfluss etwa zurückgebliebener Staartrümmer auf die Iris beschränkt werden
(SämischJ.
5. Die Operation wird am besten des Morgens vorgenommen, nach-
dem der Kranke eine oder die andere Stunde früher eine Schale Suppe
oder Milchkaffee zu sich genommen hat. Bei ganz leerem Magen tritt nach
der Operation gerne Brechreiz ein, was gefährlich werden kann. Bei
vollem Magen verträgt der Kranke nicht leicht die in der Regel erforder-
liche Eückenlage und neigt zu. Congestionen gegen den Kopf.
Li neuerer Zeit wird fast allgemein die Rückenlage des Kranken als
die günstigste angesehen, um die Operation durchzuführen. Man bringt
daher den Patienten vor der Operation im Nachtgewande in das gehörig
vorbereitete Bett und stellt dasselbe so, dass das Licht von einem oder
Lagerung des Kranken; Narkose; Fixation di>s Uulbus nnd der Lider. 729
zwei Fenstern schief auf den Kopf des Kranken falle und das Auge raii.
Ausschluss directer Sonnenstrahlen gehöi'ig beleuchte.
Der Vortheil dieses Vorgehens liegt darin , dass der Kranke, lun nach der
Operation in eine bequeme Bettlage zu koninieii, nicht erst zu Bewegungen ge-
zwungen wird, welche manche Gefahren in sich schliessen; dass Olinmachten wäh-
rend der Operation ihre Bedeutung verlieren ; dass der Kopf des Patienten sich
leichter fixiren lässt und dass der Operateur, indem er über den letzteren hinüber
manijjulirt, das obere Lid des staarigen Auges selbst abgezogen halten und so
leichter eines sehr geüljten Assistenten entbehren kann.
Wo indessen krankhafte Zustände des Körpers die Bettlage sehr lästig oder
gar unerträglich machen und eine sitzende Stellung während des grössten Thciles
der Heiluiigsperiode Bedürfniss ist, wird der Kranke besser in einem bequemen
Lehnsessel operirt und darin, zweckmässig bekleidet und gut unterstützt, Tags ül)er
sitzen gelassen, des Nachts aber in das nebenstehende Bett gebracht und mit dem
Kopfe hoch gelegt.
Kinder sind in der Nai'kose zu operiren. Es handelt sich bei diesen nämlich
fast immer um eine Discission und da kommen die ungestümen Bewegungen des
Kranken während dem späteren Halbrausche, so wie das häufig eintretende Würgen
und Erbrechen nicht sehr in Betracht, Wird aber die Narkose gescheut, so ist das
Kind mit einem Leintuche wohl zu umwickeln, so dass Arme und Füsse unbeweg-
lich in gestreckter Lage gehalten werden; ein sitzender Assistent fixirt das Kind
auf seinem Schoosse, während der gegenübersitzende Operateur die vimwickelten
Beine des Patienten zwischen seine Knie klemmt und ein zweiter Assistent über
den Kopf des Kranken hinüber dessen Lider auseinanderzieht und den Kopf hält.
Bei Erioaclisenen und überhaupt wo eine Extracfion mit dem Lajypen- oder
peripheren Linearschnitte ausgeführt werden soll, wird die Narkose am besten ge-
mieden, da die Unruhe des Kranken während dem Halbrausche bei und nach der
Operation den Erfolg in der misslichsten Weise gefährden kann und auch das
häufige Erbrechen sehr störend wirkt. Bei sehr üngstüchen Leuten indessen,
welche bei der Operation sich hin und her werfen und in der heftigsten AVeise
gegen die einzelnen Eingriffe reagiren, wird mau wie bei Kindern die tiefe Narkose
kaum entbehren können.
Vielleicht lassen sich die mit der Chloroformnarkose verknüpften Gefahren
durch den Gebrauch des Chloralhydrates sehr vermindern oder gänzlich beseitigen.
Man emptiehlt zu diesem Behufe dem Kranken eine Dosis von 2 — 4 Grammen
des Mittels, falls er ein Säufer ist, je nach Bedarf auch 5 Grammen innerlich bei-
zubringen und nachdem er in Schlaf gesunken ist, die Anaesthesirung durch
Chloroforminhalatioyien zu vervollständigen. Man hofft, es werden dann sehr kleine
Dosen Chloroform zum Zwecke genügen, nach der Operation werde das Stadium
der Auaesthesie schnell verschwinden und der Patient eines guten Schlafes sich
erfreuen (0. Liebreich). — Locale Anaesthesirungen nach der Richardson sehen
Methode sind laut directen Versuchen (Weber) nicht anwendbar.
Auch die Fixation des Bulbus (S. 295) wird, wo es nur immer thunlich ist,
besser miterlassen. Es gilt dies vornehmlich von der Lajjpenextraciion. Es kömmt
hier nämlich der Umstand in Rechnung, dass die Fixation ziemlich heftige Schmer-
zen veranlasst, und besonders bei sehr unruhigen Kranken gerne eine Ursache von
um so stärkerem Pressen und Drängen wird, was den Gang der Operation in der
ungünstigsten Weise beeinflussen, zu Glaskörpervorfällen u. s. w. führen kann.
Wird die Lappenextraction in der oberen Hälfte der Hornhaut durchgeführt, oder
der periphere Linearschnitt in Anwendung gebracht, so bleibt allerdings gar
oft nichts anderes übrig, als die Pincette zu gebrauchen, um den nach oben
fliehenden Bulbus nach unten zu drehen und so das Operationsfeld in der Lid-
spalte festzuhalten.
Von grösster Wichtigkeit ist die richtige Haltung der Augendeckel.
Sie erheischt einen geübten Assistenten, da es nicht leicht ist, die Lid-
spalte weit zu öffnen und die Lider mit Sicherheit abgezogen zu erhalten,
ohne dem Operateur im Wege zu stehen, so wie ohne den Bulbus im
mindesten zu belästigen und dadurch Veranlassung zur Unruhe des
Kranken zu geben. Das eine Lid fixirt in der Regel der Operateur und
730 Cataracta; Operation; Verband.
zwar je nach seiner Stellung hinter dem Kopfe oder an der Brustseiie das
obere oder untere, das andere der Assistent. Die beiden dazu verwendeten
Hände werden mit eingeschlagenem Eing- und kleinen Finger flach auf
die Stirne und das Gesicht gelegt und, während der Kranke die Lidspalte
öffnet, die Spitzen des ausgestreckten Zeige- und Mittelfingers über die
Wimpern an die Lidrandfläche gebraclit, worauf sich die Lider leicht an
der Convexität des Bulbus herabstreifen und mittelst der Cilien am Or-
bitalrande festhalten lassen, ohne den Bulbus auch nur im entferntesten
zu beleidigen. Wichtig ist dabei, dass die innere Lidlefze keinen Augenblick
vom Augapfel abgehoben werde, da sonst bei einigem Pressen des Kranken
leicht eine Umstülpung erfolgt , welche die Operation sehr erschwert
(Siehe Fig. 91 bis 96).
Augenlidhalter, welche stark genug sind, um dem ki-ampfhaft gespannten
Orbicularmu.skel Widerstand zu leisten, belästigen den Kranken sehr, vermehren
dessen Unrulie und sind darum im Allgemeinen zu meiden. Bei der Extraction mit
dem peripheren Linearschnitte jedoch lassen sie sich im zweiten Momente, während
der Anlegung der künstlichen Pupille, öfters schwer entbehren, da bei Fixation der
Lider von Seite des Assistenten der Rauvi fehlt, um damit ein zweiter Assistent mit
der Pincette den Bulbus festhalten könnte.
6. Unmittelbar vach der Operation wird der Kranke geheissen, die Lid-
spalte sanft wie zum Schlafe zu schliessen, die etwa ausgetretene Feuchtig-
keit mittelst weicher Charpie zart aufgetupft und sodann ein Schutzverband
über beide Augen angelegt.
Die Anlegung des Schutzverbandes fordert die allergrösste Aufmerksamkeit.
Die C'ha7-2ne muss möglichst fein geztqjß, zart und )-em sein; sie darf auch nicht
ahfasern, da sonst leicht einige Flocken zwischen die Lidränder gelangen und
höchst unangenehme Zufälle anregen können. Die daraus geformten beiden Bäusche
dürfen nicltt zu yross sein ; sie müssen allenthalben eine gleichmässige Dichtigkeit
haben; die Binde muss von feinstem und ganz neuen Flanell gefertigt sein, damit
sie sich vollkommen ghichm'dssig spanne, denn nur dann, wenn alle diese Bedin-
gungen erfüllt sind, kann der Verband sicli allentlialben ganz gleichmässig an die
Oberfläche der gesclilossenen Lider anschmiegen, was ein Haupterforderniss eines
guten Verbandes ist. Nicht genug gewarnt kann werden vor stärkerem Anziehen der
Binde, besonders nach Lappenextractionen , da dann leicht der Lappen verrückt
wird, in jedem Falle aber ein höchst unangenehmes Gefühl von Druck entsteht,
welches den Kranken unruhig macht und auch direcl zu üblen Folgen führen kann.
Der Verband hat in der Reixel keinen Druck auszuüben, sondern nur die Theiie in
ihrer natürlichen Lage zu sichern. Es fehlt zwar auch nicht an Stimmen, welche
einem stärkeren Drucke das Wort reden und unter Umständen, insbesondere bei Iris-
und Glaskörpervorfällen, bei Blutaustretungen, bei beginnender Cornealvereiterung
u. s, w. sogar einen Schnürverhand (S. 16) empfehlen (Graefe). Doch tliut man gut,
denselben nicht zu folgen.
Eine Verklebung der Lider mit Streifen von englischem Pflaster lässt sich
neben der Anwendung des Schutzverbandes nur bei sehr unruhigen und leicht-
sinnigen Kranken, so wie bei kindisch gewordenen Greisen rechtfertigen, da bei
derlei Individuen die Gefahr nahe Hegt, dass sie in unbewachten Augenblicken den
Verband lüften und den Effect der Operation vorzeitig prüfen, was die schwersten
Zufälle herbeiführen kann. Im Uebrigen ist sie zu verineiden (S. 16).
Kinder dulden häufig gar keinen Verband und müssen dann, will man nicht
durch ihr Schreien und Sträuben noch schwerere Zufälle eintreten lassen, mit
offenen Augen in einem vollkommen gleichmässig verdunkelten Zimmer gehalten wer-
den, was um so zulässiger ist, als bei ihnen meistens nur Nadeloperationen in An-
wendung -kommen.
Ist der Kranke verbunden, so muss er nun definitiv in die passende
Lage gebracht und diese ihm durch Polster so bequem als möglich gemacht
werden: denn eine unbequeme Lage hält er nicht lange aus, es stellen sich
Nachbehandlung; Wechsel des Verbandes. 731
Schmerzen im Kopfe, im Kreuze u. s. w. ein, er wird uni'uhig, wirft
sich herum und k;inn so leiclii- den Erfolp,-^ der Opei'ation gefährden.
Meistens ist die Rückenlage mit erhöhtem Kopfe die am besten ent-
sprechende. Wurde jedoch nur ein Auge operirt, so kann der Kranke
im Nothfalle aucli auf der anderen Seite liegen und blos zeitweiliy in die
Rückenlage gebracht werden.
Ist der Kranke gehörig gelagert, so wird das Eett an die schon vor-
her bestimmte Stelle des Zimmers gerückt, wo es Yor Zugluft, Ofenhitze,
Streiflichtern u. s. w. vollkommen geschützt ist. Das Zimmer wird dann
vollkommen gleichmässig verdunkelt, docli nicht mehr, als dass man bei
hellem Tage nach einigem Aufenthalte noch die einzelnen Theile des
Gesichtes deutlich unterscheiden kann.
7. Der Operirte muss während den ersten Tagen die grösste körperliche und
geistige Ruhe heicahren ; er darf nur das allernothwendigste leise sprechen ;
Muskelanstrengungen , Schnarchen , Husten , Messen müssen mit aller zu
Gebote stehenden Macht vermieden werden ; Besuche , aufregende Mit-
theilungen sind strengstens zu untersagen ; die Kost hat sich auf laue
Suppe und höchstens gedünstetes Obst zu beschränken. Säuerliche Getränke
sind, falls der Kranke sich darnach sehnt, mit Mass genossen, nicht schäd-
lich, eher zuträglich.
In neuester Zeit erheben sich Stimmen gegen die unbedingt mhige Lage des
Kranken nach der Operation. Dieselbe soll gegen die allgemeinen Principien der
Medicin Verstössen und gerne cerebrooculare Congestionen begründen , da sie die
zur normalen Circulation unbedingt nothweudige Muskelaction auf Null setzt
(Coursserant).
Die Charpie des Verbandes muss mehrere Stunden nach der Operation
gewechselt werden, da in der ersteren Zeit viel Kammerwasser abflLiesst und
auch wohl die Secretion der Bindehaut sehr vermehrt ist, dadurch aber
das die Augen deckende Polster verunreinigt wird, zusammenbäckt und
ungleichmässig drückt, was leicht zu Reizzuständen führt, jedenfalls aber
dem Kranken sehr lästig fällt. Die Rücksicht auf die Conjunctivalabson-
derung macht auch in den folgenden Tagen die täglich zweimalige Erneuerung
des Verbandes räthlich. Fast alle Kranken finden darin eine wesentliche
Erleichterung. Doch ist bei diesem Vorgange auf das Sorglichste zu ver-
hüten, dass das Auge nicht mechanisch beleidigt werde, oder dass ein
stärkeres Licht auf die geschlossenen Lider falle und der Kranke wohl gar
die Augen öffne. Es strafen sich derlei Versehen oft bitter durch höchst
verderbliche Reizzustände.
Es schliesst dies schon die dringende Warnung in sich, das Auge yiicht vor-
zeitig zu untersuchen. Wenn Manche dennoch dazu rathen (Desmarres, Zehender,
Kiiclder) und bei drohenden Symptomen schon in den ersten 10 Stunden so wie
alle folgenden Tage mit schiefem concentrii'tem Lichte Studien zu machen empfehlen
(Jacobson), so mag man dies mit dem Drange nach einer genaueren Kenntniss der
Heilungsvorgänge rechtfertigen. Wirklich ist in dieser Beziehung Bemerkenswerthes
geleistet worden {Sichel, Jacobson, Graefe). Der Kranke erkauft indessen diesen
Gewinn an Wissenschaft mit grossen Gefahren. Uebrigens steht auch nicht zu
erwarten, dass sich aus dem jeweiligen besonderen Verhalten der einzelnen Bulbias-
bestandtheile werden specielle Anzeigen für wirksame und ausführbare therapeutische
Massregeln ableiten lassen. Zu einem wiederholten operativen Eingriffe wird sich
der vorsichtige Arzt innerhalb der ersten Paar Tage nicht leicht entscliliessen.
Es kann sich also nur um das Vorhandensein einer Entzündung und um die Grad-
bestimmtmg derselben handeln. Da reichen aber die bei geschlossenen Lidern erörter-
baren objectiven und subjectiven Erscheinungen aus, um sich in Bezug auf die
732 Cataracta; Operation; Nachbehandlung hei mangelnder Keaetion.
erforderlichen und wahren Nutzen versprechenden Mittel gehörig zu orientireu.
Man vergesse ja nicht, dass Ruhe eines erkrankten Organes das icirksamste Anti-
phlogistiann sei und mehr leiste, als alle übrigen zusammengenommen.
Wo Ätropineintr'ävfebinfjen für erspriesslich gehalten werden, thut man iu der
ersten Zeit nach der Operation gut, den Krauken bei jedesmaliger Application an-
zuweisen, nach aufwärts zu sehen, während er die Lider geschlossen hält, sodann
das untere Lid leicht abzuziehen und in die Spalte einen oder mehrere Tropfen
der Lösung fallen zu lassen. Im Allgemeinen ist vieles Mauipuliren mit diesem
Mittel widerrät hlich. Es scheint, dass dadurch compensatorische Hyperaemien im
hinteren Theile des Uvealtractes sehr begünstigt werden (S. 39). Jedenfalls ist die
Heilwirkung des Atropins bei Iridokyklitis und Iridochorioiditis nach Staarextractionen
eine sehr problematische.
a. Ist gar keine Beaction eingetreten, so kann der Kranke nach Ablauf
des zweiten Tages, falls ihm das Liegen sehr schwer fällt , abwechselnd
in die sitzende Stellung gebracht und in derselben durch eine llücken-
lehue und Polster unterstützt werden. Auch ist es dann ohne Nachtheil,
wenn der Kranke bei Vorhandensein grosser Esslust etwas Fleischbrühe,
eingemachtes Hirn, leicht verdauliches Gemüse u. s. w. in kleinen Gaben
geniesst; bei sehr herahgekommenen Personen erscheint dieses sogar
nothwendig .
Erst am 5. oder 6. Tage darf das Sehvermögen des Kranken geprüft
werden, wobei die grösste Aufmerksamkeit darauf zu verwenden ist, dass
das Auge nicht von grellem Lichte, namentlich von Streiflichtern, von
dem Reflexe eines weissen oder glänzenden Gegenstandes getroffen werde,
widrigenfalls jetzt erst der Erfolg der Operation völlig vernichtet werden
kann ; denn die Monate und Jahre lang hinter der trüben Linse vor
grellem Lichte geschützte Netzhaut reagirt anfänglich schon gegen massige
Beleuchtungsintensitäten überaus stark, um so mehr, als sie seit der
Operation in völliger Dunkelheit gehalten worden ist. Unachtsames
Gebahren kann sehr leicht zu unheilbarer Amaurose fülu'en. Aus ähnlichen
Gründen dürfen die Sehversuche dem Gesichtsorgane kei7ie Anstrengungen
auferlegen. Wo die Pupille von Staartrümmern gedeckt ist, fallen sie ohne-
hin weg, oder haben doch nur die Grösse des Lichtempfindungsvermögens
zu ermitteln.
Von nun an genügt während des Tages ein einfacher Lappen-
verband. Nachts über thut man wohl, den Schutzverband anzulegen. Der
Kranke kann jetzt die Zeit ausser Bett in einem bequemen Lehnsessel
zubringen und besser genährt werden, jedoch mit Ausschluss aller, eine
Kauanstrengung erfordernden Speisen.
Nach 9 oder 10 Tagen steht nichts mehr entgegen, dem Kranken
den Gebrauch des operirten Auges zeitweilig zu gestatten. Khig ist es,
anfänglich hlos die Zeit der Abenddämmerung zu diesen Versuchen zu
benützen, da dann der Kranke am sichersten vor Streiflichtern bewahrt
werden kann. Nach Ablauf von 14 Tagen darf der Kranke schon den
ganzen Tag über das operirte Auge verwenden, jedoch mit der Vorsicht,
dass er durch Schirme und dunkle Gläser grelleres directes und diffuses
Licht abdämpft. Zur Sommerszeit thut man jetzt gut, den Operirten nach
Eintritt der Abenddämmerung in's Freie an einen windstillen Ort führen zu
lassen, da Aufenthalt in frischer Luft die Reconvalescenz vmgemein
abkürzt. Sind einmal 18 — 20 Tage ohne üble Zufälle abgelaufen, so
kann man den Kranken als geheilt betrachten und es genügt, ihn vor
etwaigen Schädlichkeiten, namentlich vor frühzeitigen Anstrengungen
Nachbehandlung hoim Auftreten ontzündlichor ßeactionen. 733
der Augcni, vor j^Tellera Lichte, vor Unnuiss in Speise und Trank etc. -
zu warnen. Dann ist es wohl auch an der Zeit, die für sein Auge
passenden Slaargläser zu ermittehi. Ein ausgiebiger Gebrauch derselben
sollte jedoch vor iveiterem Ablauf eines oder zweier Monate nicht gestat-
tet werden.
Es versteht sich von selbst, dass dieses nur allgemeine Regeln sind,
und dass je nach Umständen, namentlich in Bezug auf die angegebenen
Zeitmasse, manche Abweichungen zulässig erscheinen.
b. Nicht immer jedoch läuft der Heilung sprocess so ruhig ab, er wird
vielmehr gar nicht selten durch mannigfaltige Zufälle gestört, welche positive
Hilfeleistungen nothwendig machen und den Zeitpunkt der Eeconvalescenz
sehr weit hinausrücken können.
Ziemlich häufig stellen sich gleich nach der Operation, oder einige
Stunden später, Gefühle von Druck, von fremden Körpern, von Hitze, ja
selbst flüchtige Stiche und weilenweise heftige Schmerzen ein, verlieren sich
aber alsbald, nachdem sich einige Tropfen von Thräneuflüssigkeit aus der
Lidspalte entleert haben, oder die Charpie des Verbandes gewechselt wor-
den ist. Wo die Fixirpincette in Anwendung kam, kann man auf solche
vorübergehende Zufälle fast mit Bestimmtheit rechnen.
Steigern sich nach Ablauf mehrerer Stunden die Schmerzen noch immer,
nimmt die Ausscheidung heisser Thränen stetig zu, wird der obere Lid-
rand, oder der ganze obere Augendeckel geröthet und gewulstet : so darf
man an der Entwickeluug einer heftigen entzündlichen Reaction im Bulbus
nicht mehr zweifeln. Die Indication stellt sich dann auf kräftige Antiphlogose.
In der Regel sucht mau derselben vorerst durch Anlegung von Blutegeln
an die Schläfengegend oder hinter das Ohr zu entsprechen. Erscheint
aber die locale Temperatur in sehr auffälligem Grade erhöht, so ist es
gut, kalte Ueberschläge auf Stirn- und Schläfengegend zu appliciren. Sind
die Schmerzen heftig, so empfehlen sich hypodermatische Einspritzungen
einer Morphiumlösung.
Auch kann man, um das Einscldafen des Kranken zu fördern, eine Dose
von l'/g — 2 Scrupehi Cldoralkijdrat , mit dem fiintiachen Gewichte von Gnmmi-
schleini, mit eben so viel Orangensyrnp nnd etwa 1 Unze Wasser versetzt, inner-
lich anwenden (Graefe). Mit Atropineintrcmfelungen sei man vorsichtig. Sie nützen
wenig in diesem Zeiträume.
Gegen Blutegel, besonders wenn sie an der Schlät'engegend applicirt werden,
erheben sich neuerer Zeit Bedenken und man rätli dieselben lieber diircii einen
Aderlass- von 4 — 6 Unzen zn ersetzen (Graefe). Die Wirkungslosigkeit des letzteren
ist jedoch durch die Erfahrung der früheren Jalu'zehende genügend festgestellt,
daher er besser unterbleibt. Die Aufregung des Kranken, welclie man von Seite
der Blutegel fürchtet, ist übrigens bei dem Aderlasse kaum geringer. Eben so
wenig dürften Purganzen, von welchen man besonders das Calomel in Verbindung
mit Rheum rühmt, dem Zwecke entsprechen. Zum mindesten stören sie in der miss-
lichsten Weise die ruhige Bettlage des Kranken.
Den Sciuitzverband zu beseitigen und direct au f die Augengegend kalte Ueber-
schläge zu appliciren, ist selten dienlich; das Wechseln der Compressen fällt dem
Kranken beschwerlich und steigert oft den Eeizzustand. Irrigationen mit kaltem
Wasser sind der irritirenden Wirkung halber verwerflich. Doch wurden sie jüngst
empfohlen (Laurence).
Gelingt es durch diese Mittel und durcli Einhaltung strengster
antiphlogistischer Diät nicht, der Entzündung Herr zu werden, oder steigert
sich dieselbe vielleicht gar, so steht es mit dem Auge schlimm. Gewöhn-
Kch handelt es sich um eine heftige Iritis, welche von zurückgebliebenen
734 Cataracta; Operatiou; Nachbehandlung beim Auftreten entzündlicher Eeactionen.
Staarresten angeregt und unierhalten wird. Es sind die letzteren zu dieser
Zeit aber nur selten schon so weit zerweicht, dass sie sich ohne sehr
eingreifende und darum höchst gefährliche Hantirungen entfernen Hessen.
Nur bei kindliehen Individuen lässt die Beschaffenheit der Linse nach einer
vorausgegangenen Discission ein sehr rasches Zerfallen und damit die
schonende Beseitigung durch eine lineare Cornealwunde gewärtigen. Bei
Enoachsenen ist schon eine einfache Iridectomie während heftiger Reiz-
zustäude sehr bedenklich. Man thut daher erfahrungsmässig fast immer
am besten, unter Fortsetzung des streng antiphlogistischen Verfahrens die
Ausgänge geduldig abzuwarten. Oft kömmt es blos zu ausgebreiteten Synechien
und massigen Nachstaareu, welche dann nach völliger Tilgung des Pro-
cesses, am besten aber erst nach Ablauf mehrerer Wochen oder Monate,
durch die Coremorphose ohne sonderliche Gefahr corrigirt werden können.
Mit grösster Aufmerksamkeit muss, zumal nach Lappenextractionen, auf
die Zeichen einer Hornhautvereiterung geachtet werden. Es kündigt sich dieser
missUchste aller Zufälle öfters schon nach Ablauf von 12 — 24 Stunden, ge-
wöhnlich aber erst am Ende des zweiten Tages durch rasch steigende ödematöse
Schwellung der inneren Winkelgegend und der Lider, so wie durch reichliche
Ausscheidung von citrigen Bindehautsecreten an. Die Schmerzen können dabei
in allen möglichen Arten und Graden wechseln. Bei alten deci-epiden
Leuten infiltrirt sich nach der Lappenextraction die Cornea und selbst der
ganze Bulbus gar nicht selten mit Eiter, ohne dass erhebliche Schmerzen
hervortreten, ja bei völliger Schmerzlosigkeit des Bulbus. In einem solchen
Ealle thut man am besten, sich alsbald durch Besichtigung des Auges über
dessen Zustand Gewissheit zu verschaffen. Findet man bereits eine diffuse
Infiltration der Cornea, so ist die Hoffnung auf eine Herstellung des Seh-
vermögens auf Null gesunken, die beste Behandlung ist eine mehr symptomatische
und auf die Behaglichkeit des Ki-anken gerichtete. Erscheint der Bulbus
sehr gespannt und schmerzhaft, oder droht gar ein Durchbruch, so ist eine
Lüftung des Lappens oder eine Paraceniesis zu empfehlen. Häufig findet
der Kranke auch in Cataplasmen eine Erleichterung.
Droht jedoch erst die Phthise, so will man durch kräftige Aetzungen der
äusseren Lidhuut mit Höllenstein in Verbindung mit dem Schnürverhande günstige
Resultate erzielt haben. Es soll zu diesem Ende das Lid gereinigt und seiner
ganzen Breite nach mit Lapis mitigatns unter gehöriger Neutralisation und sorg-
fältigem Abtrocknen touchirt, dieser Eiugritf nach Bedarf wiederholt und mit dem
oben vorgezeichneten antiphlogistischen Verfahren, nämlich mit Aderlass, Pur-
ganzen u. s. w. verknüpft werden (Graefe). Die frülier so gerühmten aromatischen
warmen Umschläge werden jetzt ziemlich vernachlässigt. In Einem Falle hat man
eine bereits ditfus eitrig intiltrirte Hornhaut wenige Stunden nach der kräftigen
örtlichen Einwirkung einer Chinivlösung sich vollkommen aufklären und den Fall
mit voller Heilung enden gesehen (Nagel).
Nicht selten entwickeln sich, während der Verband noch am Auge
liegt, Bindchautkatarrhc. Sie kommen besonders gerne bei alten Leuten
mit schlaffer Haut vor und verlaufen öfters unter beträchtlicher ödema-
töser Schwellung der Theile. Es empfehlen sich dann XJeberschläge mit
in Aqua saturnina getränkten Charpiebäuschen. Stärkere Adstriugentieu
dürfen erst später, wenn eine Reizung des Bulbus nicht mehr gefährlich
erscheint, angewendet werden.
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Nota 209. — Ammon, kl. Darstell. I. Berlin, 1837. Taf. 11; III. Taf. 14. S, 67. —
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S. 142; VIII. 1. S. 227, 229, 233, 234, 236. — 0. lütter, ibid. VIII. 1. 8. 81;
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148, 149, 151, — ScJdess-- Gemuseus, Virchow's Arcliiv. 24. Bd. S. 557. — Moers,
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8, 150. — Stellwag, Ophth. I. 8. 466, 547, 549, 555, 560—593, 658, 750. Nota
153, 8. 784. Nota 313. — Beger, Zeitschft. f. Ophth. III. 8. 145. — Fetrequin,
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1. S. 195, 197; lll. 2. S.' 365, 371, 372; IV. 2. S. 211, 216. — Benders, ibid. VIL
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Discissin oataractao; Anznipfon; Vcrl'alireii. ii)i
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1866. S. 587, 678. — Gihson, A. f. O. I. 2. S. 221; X. 2. S. 210. — Schweüjtjer,
kl. Monatbl. 1863. S. 198. — Polucci, nach Himly 1. c. II. S. 285. — Pacjmutecher,
A. f. 0. VIII. 1. S. 192; klin. Beob. I. S. 41, 45, 46, 59; II. S. 28—34;' III. S. 1,
5, 6, 15, 21, 31; kl. Monatbl. 1805. S. 316. — Berlin, A. f. (). VI. 2. S. 73. —
Wecker, kl. Munatbl. 186.".. S. 114, 119; Ann. d'ücul. 59. Ikl. 135. — Maiinhardf,,
kl. Monatbl. 1864. S. 408; Con^rös ophth. 1868. S. 82; A. f. (). XIV. 3. K. 49.
— Knapp, kl. Monatbl. 1863. R. 165; 1868. S. 431,341; Dritter .laliresber. S. 19;
Cannstatfs Jaliresb. 1864. III. S. 155; A. f. O. XIII. 1. S 85, 98,124; XIV. 1. S.
262, 285; Arcli. f. Aug.- u. Oliriilkde. 8. 44, 58. — Sichel, kl. Monatbl. 1803. S.
125; Ann. d'oc. XVII. 8. 106; A. f. O. IX. 2. S. 117; XIV. 3. S. 1. — Schon, Bei-
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289, 291. — KiichJer, Deutsche Klinik. 1865. Nro. 41, 42; 1866. Nro. 37 u. d. f.,
Wien. med. Wochenschrft. 1866. Nro. 86; Congres ophth. 1868. S. 89; die Qner-
extraction des gr. Staares. Erlangen. 1868. — Sämisch, Würzb. med. Zeitscht'r. II.
4. 1861. — Jacohso», Ein neues und gefalirloses operat. Verfahren etc. Berlin.
1863; kl. Monatbl. 1864. S. 330; A. f. O. X. 2. 8. 78; XI. 1. 8. 114. 118, 121. 124;
XL 2. 8. 166—234; XIV. 2. 8. 247. - Braun, A. f. O. XL 1. 8. 200. — Ullers-
perger, XI. 2. S. 260. — Rossander, kl. Monatbl. 1864. S. 118. — Boeder ibid.
1865. 8. 307. — Agneio ibid. 1865. 8. 389. — Laurence ibid. 1863. 8. 416. — C'oiirs-
serant, Wien. med. Wochcnschft. 1865. Nr. 88. — Eeuss, Woi^iow, Ophth. 8tndien.
Wien. 1869. 8. 1—26. — Bergmann, A. f. O. XIII. 2. 8. 383. — Gourea ibid.
XV. 1. 8. 244, 257. — Williams, Arch. f. Aug.- n. Ohrenhlkde. I. 8. 91. — Hirsch,
kl. Monatbl. 1869. 8. 282.
1. Die Zerstückelung, Discissio.
Anzeigen. Die einfache Zerstückelung des Staares findet ihre Indi-
cation : 1 . Bei den mannigfaltigen Staarformen der Kindesperiode, ausgenom-
men die Cataracta siliquata. 2. Bei Trübungen der Hinterkapsel, wie selbe
sich öfters nach Staarextractionen entwickeln.
Verfahren. Die Zerstückelung kann sowohl von d^r Cornea, als auch
von der Sclera aus bewerkstelligt werden. Die Scleronyxis empfiehlt sich
insbesondere, wenn Verdachtgründe vorliegen, dass die Kojisel durch An-
lagerungen regressiv gewordener 8taarmassen an der Eetraction gehindert
wei'den wird, da bei der iScleronyxis die Vorderkapsel je nach Bedarf
durch flaches Auflegen der Nadel auch deprimirt werden kann ; ferner aus
gleicher Ursache auch bei jenen Trübungen der Hinterkapsel, welche nach
Extractionen öfters zurückbleiben.
Zur Scleronyxis gebraucht man fast allgemein die Beer'sche Staarnadel.
Für die Keratonyxis passt dieses Instrument jedoch nicht, da in dem Augen-
blicke, als das myrthenblattähnliche Ende der Nadel in den Kamraerraum
dringt, der Humor aqueus ausfliesst, die Linse sonach an die hintere,
SteUwag, Angenheilkunde. 47
738
Discissio cataractae ; Veifahron ; Sclcinnyxis ; Keiatonyxis.
Wand der Cornea heraurückt und die Kapsel ausser deu Wirkungskreis
der Nadel kömmt, Nachstaare also sehr begünstigt werden. Man benützt
daher mit Vortheil die Dalrymple'sche oder runde Stopfnadel, welche den
vorzeitigen Austritt des Kammerwassers verhindert.
a. Bei der Zerstückelung des Sfaares durch Scleronyxim wird die Beer'sche
Staarnadel nach möglichster Eriveiterung der Pupille etwa anderthalb Linien
„. „, hinter der Cornealgrenze und 1 — 2'"
unter dem horizontalen Meridiane des
Arxses in senkrechter Eichtuno; durch
die Schläfenseite der Lederhaut in den
Glaskörper gestossen , wobei die
Schneiden des myrthenblattähnlichen
Endes nach vorne und hinten sehen
müssen, um den Hauptgefässstämmen
der Aderhaut leichter auszuweichen.
Hierauf wird das Nadelende nach
vorne gewendet, an dem Schläfen-
theile der Ciliarfortsätze und des
Pupillarrandes vorbei durch die
Linsenperipherie in die Vordei'kammer
und in dieser bis an den oberen
inneren Rand der Pupille vorge-
schoben (Fig. 91). Um ein möglichst
grosses Stück aus der Mitte der Vorderkapsel herauszureissen und in den
Glaskörper zu versenken, wird das Vorderende der Nadel flach über das
Centrum der Kapsel gelegt und sachte unter allm'dlig steigendem Drucke
gegen den Glaskörper hin bewegt. Die Nadel muss dabei nach Art eines
zweiarmigen Hebels wirken, dessen Hypomochlion in der Scleralwunde
liegt und darf bei ihrer Excursion nicht aus der Ebene des Meridianes
Fig. 92.
der Stichwunde weichen. Ist dieses ge-
schehen, so wird die Starnadel aber-
mals in die Vorderkammer gelenkt, um
die stehen gebliebenen Theile der Vor-
derkapsel loszureissen oder nach Bedarf
zu zerschneiden, so wie um die Staar-
masse noch weiter zu zerklüften.
Ein geflissentliehes Vorschieben von
Staartrümniern in die Vorderkaninier ist nicht
wohl räthlich, da sich dieselben auf dem
Boden der Vorderkamraer sammeln und
leicht Iritiden hervorrufen. Deren Versen-
kung in den Glaskörper hat keine sonder-
liche Gefahr, da sie sich hier leicht auf-
saugen und übrigens nur zum kleinen
Theile dahin gelangen, indem sie sich eben
vermöge ihrer Weichheit am Eingange der
Glaskörperwunde zumeist abstreifen und in
der Hinterkammer zurückbleiben.
6. Bei der Zerstückelung des Staares durch Keratonyxis wird nach mög-
lichster Erweiterung der Pupille die Stopfnadel in der Mitte des unteren
äusseren Quadranten senkrecht durch die Hornhaut gestossen , ihre Spitze
Lineare Staarextraotion; Anzeigen: Verfahren. 739
durch die Vorderkaramor bis gegen den inneren oberen Rand der l'upille
vorgeschoben (Fig. 92) und die Kapsel sammt Linse nach verschiedenen
Richtungen hin zerspalten.
Die Stopfnadel musa senkrecht durch die Cornea gestossen werden, damit
der Wund kanal möglichst kurz ausfalle. Wird die Nadel Äc/tie/" eingestochen , so
wird der ohnehin grosne Widerstand, welchen sie beim Vordringen findet, noch
grösser, und man hat dann bei einiger Unruhe des Kranken Noth, die Operation
zu Ende zu führen. Es schliesst ein solcher schiefer Wundkanal aber auch Gefah-
ren in sich, indem bei den gewaltigen Excursionen des Nadelheftes die um den
Ein- und Ausgang des Kanales herumgelegenen Theile der Cornea sehr gezerrt
und gequietscht werden. Es könnnt dann leicht zu Entzündungen, selbst bis zur
Eiterung, und in der Regel bleiben Trühiingen der Cornea zurück. Ganz sicher
werden solche Trübungen übrigens auch nicht bei senlcrechtevi Einstiche vermieden,
daher der Rath mancher Augenärzte, die Nadel durch die Mitte der Cornea zu
führen, ganz verwerflich erscheint.
Quellen: Hivily, Krankh. u. Missbildgn. II. Berlin. 1843. S. 330— .339. — Arlt,
Krankh. des Auges. JI. Prag. S. 335. — Stellwag, Ophth. I. S. 570, 575, 583.
2. Die lineare Extraction.
Anzeigen. Es passt dieses Verfahi'en : 1. Bei flüssigen und breiig
erweichten, so wie bei stärkekleisterähnlichen Totalstaaren. 2. Nach der Zer-
stückelung des Staares und nach Traumen des Bulbus, wenn die aus der
verletzten Kapsel hervordringenden aufgequollenen Linsentheile heftige
Reizzustände anregen und der Krystall bereits seinem ganzen Umfange nach
breiig erweicht ist. 3. Bei regressiven und schon sehr geschrumpften kern-
losen Staaren, besonders bei der Cataracta siliquata und den ihr sehr ver-
wandten Formen des Nachstaares.
Das Verfahren ist im Grunde genommen ein ziemlich verschiedenes,
je nachdem man es mit einem völlig erweichten, oder mit einem zusammen-
geschrumpften lederartigen Staare zu thun hat. Eine Spaltung in zwei
besondere Methoden ist jedoch insoferne unstatthaft, als sehr oft Uebergänge
vom weichen Staare zur Cataracta siliquata vorkommen und ein aus beiden
Abarten combinirtes Verfahren nothwendig machen.
Von Instrumenten braucht man ein gerades Lanzenmesser und je nach
Umständen eine Sichelnadel oder ein Irishäkehen, eine Fischer'sche Pincelte
und einen Daviet sehen Löffel.
Vorerst wird nach möglichster Erweiterung der Pupille durch ivieder-
holte Einträufelung einer Atropinlösung die Kammer mittelst des Lanzen-
messers eröffnet. Der Einstich wird immer an der Schläfenseite der Horn-
haut und zwar im horizontalen Meridiane oder etwas unterlialb demselben,
ungefähr 1'" von der Scleralgrenze entfernt, gemacht. Das Messer muss
so aufgesetzt werden, dass seine Flächen senkrecht auf dem Meridiane des
Einstichspunktes stehen und dass seine Spitze schief durch die Dicke der
Cornea dringe. Ist die Spitze bis in den Kammerraum gelangt, so wird sie
in derselben Meridianebene zwischen Descemeti und Kapsel so weit vor-
geschoben, dass die Hornhautwunde etwa 2'" lang wird, und hierauf lang-
sam zurückgezogen, während das Karamerwasser hervorstürzt.
a. Ist der Staar flüssig oder breiig loeich und die Kapsel voraussicht-
lich rein, so führt man, nachdem der Kranke zur Ruhe gekommen ist,
47*
740
Linpaie Staarextractioii : Voifaliieii.
Fiar. 93.
eine Sichelnadel flach durch die Wunde bis nahe zum g-egenüberliegendeii
Kaude der Linse und spaltet die Kajjsel nach Thunlichkeit in langen Zügen
nach verschiedenen Richtungen. Flüs-
sige und stärkeldeisterähnliche 8taar-
niassen entleeren sich gewöhnlich
schon während dieser Manipulation
zum grossen Theile; breiig weiche
hingegen drängen sich blos gegen
die Wunde und treten nur zum
kleineji Theile aus. Um die Entleerwig
vollständig zu machen, wird nun
(Fig. 93) das Ende des Davierschen
Löffels mit der convexen Seite an
die hintere Wundlefze gelegt und
sanft angedrückt* so dass die Oeff-
nung spaltenartig klafft. Gleichzeitig
wird ein Finger der das Lid fixiren-
den Hand an den inneren Corneal-
rand gelegt und damit ein gegen
das Centrum der Pupille fortschreitender leiser Druck ausgeübt, um das
im inneren Theile des Kapselfalzcs befindliche Magma gcgeii die Wunde
der Kapsel und Cornea zu streichen. Genügt dieses nicht, um den Staar
gänzlich zu beseitigen, so wii'd bei geschlossener Lidspalte einige Zeit ge-
wartet, damit sich mittlerweile etwas Kammerwasser sammle, und sodann
durch kreisende Bewegungen des flach auf den Lidern aufliegenden Finger-
endes der Rest der cataractösen Masse gegen die Mitte des Pupillarraumes
zusammengeschoben. Man braucht hierauf die Cornealwunde nur wieder
klaffen zu lassen, um den Staarbrei nach aussen zu fördern. Falls es auf
diese Weise durchaus nicht gelingt, die Pupille rein zu erhalten, muss man
mit dem Löffel in die Kammer eingehen und die üeberbleibsel hervorholen.
Zeigen sich dann noch Reste der Kapsel im Bereiche des Sehloches, was
man an der verworrenen Spiegelung ihrer Falten oder an der schleier-
artigen Trübung erkennt, so müssen dieselben mit dem Ti'ishäkchen oder
mit der Pincette exfrahirt worden.
b. Ist die Knj)sel durch. Anlagerung regressiver Sfaarthcile getrübt und
mehr weniger steif oder zähe, geworden, so thut man am besten, statt der
Sichelnadel ein Irishäkchen flach einzuführen, die Kapsel nahe an ihrem
inneren Rande einzuhaken, das Instrument dann langsam um seine Axe
zu drehen, um mehr Anhaltspunkte zu gewinnen und seine scharfe Spitze
in Kapselfalten zu hüllen, und sodann unter ganz allmälig steigendem vor-
sichtigen Zuge gegen die Cornealwunde hin zu bewegen. Ist die Vorder-
kapsei durch Anlagerungen schon recht zähe geworden, so gelingt es gar
nicht selten, sie im Zusammenhange aus der Wunde zu bringen. Reisst
aber auch das Häkchen aus, so ist doch die Kapselhöhle weit genug ge-
öffnet, um die Staai'masse unter Beihilfe des Daviel'schcn Löffels durch
das oben beschriebene Verfahren nach aussen zu fördern, worauf die
zurückgebliebenen Reste der Kapsel mit dem Häkchen oder der Pincette
neuerdings gefasst und extrahirt werden müssen.
Extr<i,ctiuii sili(iiiirt('r .Staarcs l'rlili' Zuralle.
741
c. Ist ein irockenhülsiger oder ein Nachstaar gegeben. , so isl das Vor-
fahren noch einfacher. Es folgen solche Staate nämlich in der Hegel als
Ganzes dem vorsichtigen Zuge des
Hakens (Mg. 1)4) nnd der Gebrauch
des Daviel'schen Löffels fällt ganz
weg. lieisst der Haken ans , oder
bietet die Cataracta gleich von vorne-
herein einen freien K,and zum Fassen
dar, so ist es besser, die Pincette
einzuführen und mittelst derselben
die Extraction zu vollenden, weil
die Pincette viel mehr Anhaltspunkte
findet und sonach sicherer fasst.
Der Einstich inuss naliezu eine
Linie oder darüber von der Sderalgrenze
entfernt sein, weil bei 2}^ri2)herer Lage der
inneren Wundöftnung überaus leiclit ein
Vorfall der Iris zu Stande kömmt, indem
der Pnpillarrand von dem ausströmenden
Humor aqueus und von der Staarmasse
in die Wunde gelriehen wird, besonders
wenn sich das Sehlocli wegen der Verminderung des intraocularen Druckes stärker
verengt. Ausserdem wird beim Einstiche näher am Rande der Cornea die Iris durch
die in die Wunde einzuführenden Instrumente gefährdet und oftmals in sehr miss-
licher Weise mechanisch beleidigt.
Die Lanze muss schief durch die Dicke der Cornea dringen, weil durch eine
schiefe M^unde die Instrumente leichter ein- und ausgeführt werden können , ohne
die innere Wundlefze zu zerren und zu quetschen; weil sich auch der Staar
leicliter in einer fast geraden Richtung herausbefördern lässt, als in einer unter
rechtem Winkel gehogenen.
Ueble Zufälle, l. Bisweilen verengt sich die PtqiMe sehr bedeutend in dem
Momente, als das Kammerwasser ausfliesst und der intraoculare Druck Null wird.
Es hindert dieses sehr die ausgiebige Zerschneidung der Kapsel, so wie den gänz-
lichen Austritt des Staares. Es lässt sich bei einem solchen Ereignisse nichts mehr
ändern, daher ihm durch sorgliche und wiederholte Anwendung der Mydriatica
thunlichst vorzubeugen ist.
2. Oefters kömmt loährend der Operation ein Vorfall der Iris zu Stande. Ist
mir ivenig prolabirt, so gelingt es nach Herausbeförderung der Kapsel und der
Staarmassen bisweilen, die Iris tvieder zur üclcznhr Ingen, wenn man bei geschlossener
Augenlidspalte die Oberfläclie des Pulbus durcli einen aufgelegten Finger unter
kreisförmigen Bewegungen in Zwischenpausen *an/({ reibt, und dadurch den Sphincter
zu kräftigen Contractionen anregt. Zumal bei Vorfällen der Pupillarzone ist
dieses Manöver öfters von günstigem Erfolge. Auch kann man in einem solchen
Falle den Versucli machen, den Prolapsus mittelst des Daviel'schen Löffels zu
reponiren. Doch hüte man sich vor zu vielem Manipuliren, da die mit solchen
Hantirungen verbundene mechanische Beleidigung der vorgefallenen Irispartie gerne
zu heftigen Entzündungen, führt, welche weit verderblicher sind als der Prolapsus
selbst. Gelingt die Reposition nicht leicht und rasch, so thut man am besten, den
vorgefallenen Theil mit der Pincette zu fassen und knapj} an der Hornhaut.iounde
abzutragen. In jedem Falle muss, wenn ein Theil des PupiUarrandes in die Wunde
gekommen war, gleichviel ob die Reposition oder die Ausschneidung durchgeführt
wurde, vor der Anlegung des Verbandes ein Tropfen starker Atropinlösung in den
Bindehautsack gebracht worden, damit die Pupille nach Verldebung der Wunde
sich stark erweitere und ihr Rand sich möglichst von der letzteren entferne. Es
ist diese Vorsicht übrigens auch dort am Platze, wo die Pupille sich während, der
Operation stark verengte, ohne dass ein Prolapsus eintrat, da dieser in solchen Fällen
sich bisweilen erst nach Anlegung des Verhcmdes bildet, wenn der Kranke wegen
742 Staarextraction mit dem LaiipensrliBitte ; AiizPigen ; Verfahren.
Schmerzen u. s. w. stark presst und das mittlerweile gesammelte Kammerwasser
aus der Wunde drängt.
3. Unvollständige Entleerung des Staares. Es droht dieser Uebelstand beim
regelrechten Gange der Operation nur, wenn man sich in der Beschaffenheit der
cataractösen Massen geirrt und sonach die lineare Extraction am unrechten Platze
angewendet hat, wenn statt einem flüssigen oder breiig erweichten Totalstaare eine
Cataracta mit normal consistenfer Binde oder mit derberem Kerne vorliegt, oder statt
einem lederartig zähen trockenhiilsigen Staare eine spröde, bei der Berührung in
Trümmer zerspringende (myeline?) oder eine par^ie^^e regressive Cataracta gegeben
ist. Es wäre in einem solchen Falle sehr unklug, die vollständige Entfernung durch
wiederholtes Eingehen mit dem Daviel'schen Löffel erzwingen zu wollen, da dann
fast immer sehr heftige Entzündungen folgen und überdies trotz allen Bemühungen
ein grosser Theil des Staares zra-ückziibleiben pflegt. Man thut am besten, sich
mit der Zertrümmerung des Staares zu begnügen, ein Stück aus der Iris auszuschneiden
vmd unmittelbar darauf, so wie auch zu luiederholten Malen während der Nachbe-
handlung starke Atropinlösungen in den Bindehautsack zu träufeln.
4. Vorfall des Olaskörjjers wegen Sprengung und instrumentaler Verletzung
der Hyaloidea. Er fordert die sogleiche Unterbrechimg der Operatio7i und die An-
legung des Verbandes, da fortgesetzte Versuche, die zurückgebliebenen Theile des
Linsensystemes zu entfernen, wegen der seitlichen Verschiebung derselben meistens
ohne Resultat bleiben, dagegen eine weitere Entleerung der Vitrina mit sich bringen
und solchermassen die Gefahr intraocularer Blutungen, Netzhautabhebungen, heftiger
Reactionen u. s. w. steigern.
Quellen: Himly, Krankheiten und Missbildungen. II. Berlin, 1843. S. 285.
— Fr. Jaeger nach Ed. Jaeger, Die Behandlung des grauen Staares. Wien. 1844.
S. 51 ; Staar und Staaroperat. Wien. 1854. S. 45. — Graefe, A. f. O. I. 2. S. 219,
278-286.
3. Die Lappenextraction.
Anzeigen. Die Lappenextraction findet eine gerechtfertigte Anwendung
nur hei Staaren mit einem Kerne, dessen Dichtigkeit jene der umgebenden
Rindenschichten merklich übersteigt, besonders 1 . Bei Corticalstaaren und
Totalstaaren jugendlicher und reifer Individuen, wenn die Rindenschichten er-
weicht sind, der Kern aber normale Consistenz besitzt oder gar etwas ver-
dichtet ist und einen grösseren Umfang hat. 2. Bei allen Greisenstaaren
und überhaupt, wo ein sclerosirter Kern von nur einiger Grösse gegeben ist,
die Rinde möge normal consistent, erweicht oder schon regressiv geworden sein.
Das Verfahren fordert grosse Uebung von Seite des Operateurs und
des Assistenten. Es wird in mehreren Momenten durchgeführt und nach
jedem derselben die Lidspalte sanft geschlossen, um dem Patienten Zeit zur
Erholung und Sammlung zu geben.
Die erforderlichen Listrumente sind : Ein Staarmesser, eine Sichelnadel
mit stumpfem Rücken, ein Irishäkchen, ein DavieV scher Löffel und eine
feine nach der Fläche gekrümmte Schere, nach Umständen auch eine
Fischer'sche Pincette. Ophthalmostaten (S. 295) werden bei der Lappen-
extracton am besten vermieden, da sie dem Kranken Schmerz verursachen
und ihn zu starkem Pressen veranlassen.
Von den vielen Staarmessern, welche im Laufe der Zeiten empfohlen worden
sind (Himlij), taugt am besten das Beer'sche und ist auch weitaus am meisten in
Gebrauch. In neuerer Zeit erheben sich indessen wieder Stimmen für Keratome
mit bauchiger Schneide (Zehender, Küchler), wie sie schon früher im Gebrauche waren
(Himly). Das Gräfe'sche Cystitom gewährt keinen guten Ersatz für die Sichelnadel,
da es vermöge seiner scharfen Winkel schwer gut zu schleifen ist und sich beim
Ein- und Ausführen durch die Cornealwunde leiclit in der Iris fängt und diese
verletzt.
CornealbogtMischiiiU; EiotVmniK dir Kapsel ; Schlitteiimiiuöver. 743
Der Lapptnschnitt muss in Bezug iiui' fjänijc. im V^erhältniss zum Um-
fange des Kernes stellen. Ist er zu gross, so passt er sich schwerer wieder
an und die Gefahr der Vereiterung- steigt ; ist er aber zu klein, so tritt
der St aar gar nicht oder nur unter Zerrung der Wundwinkel aus, der
Schnitt muss nachträglich verlängert werden, widrigenfalls b(n forcirfer Ent-
bindung höchst missliche Zufälle nicht ausbleiben. Unter allen Umständen,
selbst bei den grössten Kernstaaren genügt es, im horizontalen Durchmes-
ser der Cornea innerhalb der Grenze des Eindehautsaumes ein- und aus-
zustechen, überhaupt das Messer so zu führen, dass die äussere Lefze des
Lappens allenthalben nächst dem Rande des Limbus conjunctivalis läuft.
Bei kleinem Kerne und erweichter Corticalis genügt auch ein etwas kleinerer
Lappen. (S. 717.)
Um den Lappen zu bilden, wird, während der Kranke das betreffende
Auge etwas nach aussen gewendet hält, die Spitze des Staarmessers im oder
unterhalb dem horizontalen Diameter der Cornea und nahe an dem Lim-
bus conjunctivalis steil aufgesetzt, durch die Dicke der Hornhaut gestossen,
dann sogleich gewendet, mit thimlichster Schnelligkeit, aber ohne sich zu
übereilen, durch die Breite der Kammer geführt , in gleicher Höhe mit dem
Einstichspunkte dicht vor dem Bindehautblättchen ausgestochen und oh7ie
den mindesten Aufenthalt in vollkommen gleichmässigem Zuge so weit fort-
geschoben, dass die Schieide des Keratoms am untersten Segmente der
hinteren Cornealwand ansteht, oder daselbst bereits in die hintersten Lamellen
der Hornhaut eingedrungen ist. Nun wird eingehalten, dem Kranken ein
kurzer Augenblick zur Erholung gegönnt und endlich langsam mit grösster
Vorsicht ausgeschnitten, indem man das Messer noch etwas vor- und, falls
die Spitze des Instrumentes der Nase zu nahe käme, wieder zurückschiebt,
ohne einen Druck auf die Schneide auszuüben.
Nachdem sich nun der Kranke bei sanft geschlossenen Lidern wieder
gesammelt hat, wird zur Eröffnung der Kapsel geschritten. Zu diesem Ende
wird die Sichelnadel in horizontaler Lage mit dem Rücken voran von unten
her unter den Lappen geschoben, ohne diesen zu lüften. Ist die Schneide
in den Bereich der Pupille gelangt, so wird die Spitze gegen die Kapsel
gewendet und diese nach Thunlichkeit in grossem Umfange nach ver-
schiedenen Richtungen hin gespalten, wobei jede Vei'letzung der Iris auf
das Sorgfältigste vermieden werden muss. Ist dieses geschehen, so wird
die Nadel abermals gewendet und wieder in horizontaler Lage, mit dem
Rücken voraus, unter dem Lappen hervorgezogen.
Ist der Lappen von genügender oder überflüssig grosser Circumferenz,
so folgt, wenn die Augenmuskeln sich nur einigermassen anspannen, oft
schon jetzt der Kern und entbindet sich ohne alle Beihilfe. Ist dieses nicht
der Fall , so wird abermals die Lidspalte geschlossen tmd erst , nachdem
sich der Kranke wieder erholt hat, zur Entwickelung des Staares durch
das seit Langem gebräuchliche sogenannte Schlittenmanöver geschritten. Dieses
geschieht, indem man (Eig. 95) bei otfener Lidspalte und gehörig fixirten
Augendeckeln die convexe Seite des DavieVschen Löffels sanft auf die obere
Peripherie der Cornea aufdrückt. Der Druck pflanzt sich auf den oberen
Rand der Linse fort und, indem dieser nach hinten und etwas nach unten
ausweicht, tritt der untere Rand des Staarkernes nach vorne und oben,
drängt die untere Hälfte der Iris und den Hornhautlappen etwas hervor,
744
Staaiextiiictiuii mit rlem Lappfiischuitte; Vei fahren
Überwindet endlich den Widerstand des Pupillarrandes und gleitet unter
der Mitwirkung des von den geraden Augenmuskeln nach vorne gedrängten
Glaskörpers durch die klaffende
Wunde der Cornea. Zögert der
Kern längere Zeit mit dem Aus-
tritte, so ist es gut, die Operation
zu unterbrechen und dem Kranken
bei sanft geschlossenen Lidern
wieder einige Erholung zu gön-
nen, lim dann den Versuch zu
erneuern. Bei
Thätiskeit
Ist der Staarkern ausgetreten,
geschlossen und einige Zeit gewartet
der Augenmuskeln muss man bis-
weilen wohl zwei und drei Mal
die ganze Procedur wiederholen,
da ein stärkerer Druck mit dem
Daviel'schen Löffel leicht gefahr-
voll werden, insbesondere eine Ber-
stung der Zomda und einen vor-
zeitigen Prolapsus des Glaskörpers
bedingen kann,
so wird von Neuem die Lidspalte
Dann ist es gut, die Oberfläche des
Bulbus unter kreisenden Bewegungen des sanft aufgelegten Zeige- und
Mittelfingers vorsichtig zu reiben, um den Sphincter pupillae zu Contractionen
anzuregen und solchermassen etwaige Palten und Lageveränderungen der
Regenbogenhaut in der zartesten Weise auszugleichen, weiters aber um die
im Kapselfalze etwa zurückgebliebenen Slaartrümmer in den Bereich des
Sehloches zu treiben. Nun lässt man den Kranken das Auge vorsichtig
öffnen und sieht, ob die Pupille völlig schwarz und regelmässig ist, in
welchem Falle sogleich der Verband anzulegen ist. Zeigt sich die Pupille
noch mit Staarflocken verlegt, so muss der Daviel'sche Löffel flach unter
den Lappen geführt und, was an cataractösen Massen noch vorhanden ist,
vorsichtig ausgelöffelt werden. Ein besonderes Augenmerk ist hierbei noch
auf Flocken zu richten, welche etwa zioischen der Fläche der Iris und der
Hornhaut oder in der Wunde lagern, so wie auf eine etwaige Einklemmung
der Iris zwischen die Wundränder, da sie die Verwachsung erschweret.
Erst nachdem mit dem Löffel alle Staartrümmer aus dem Bereiche der
Wunde entfernt und etwa vorgefallene Irispartien reponirt worden sind, darf
der Verband angelegt werden.
1. Der Lappen kann auch nach ohen gebildet werden. Vor Zeiten wurde
dieses Verfahren blos in Anwendung gebracht, wenn es galt, narbigen Trühungen
an der unteren Cornealhälfte auszuweichen (Himly) , später aber zur Regel erhoben
(Fr. Jaeger). Es liat den Vortlieil, dass der Felder besser gedeckt wird, wenn der
Schnitt eine trübe Bogennarbe zurücklässt, wenn ein Sector der Iris unter das Messer
kam und ausgeschnitten wurde, oder wenn wegen einem Vorfalle der Regenbogen-
liaut die Pu])ille sehr verzogen ist. Der Hauptvortheil besteht aber darin, dass der
Lappen, im Falle er nicht ganz genau anpasst, sondern mit der äusseren Lefze
stufenförmig vorspringt, bei den Bewegungen des Bulbus nicht leicht an den Lidrand
anstossen und abgelöst werden, oder späterhin fortwährende heftige Reizzustände
unterhalten und so den Erfolg der Operation in mannigfaltiger Weise gefährden
kann. Doch ist die Operation in allen ihren Thcilen schwerer ausfiihi-bav, nament-
lich bei unruhigen Kranken, deren Auge oft nach oben unter das Lid flieht und
ViTlidufii; V.Mv 7ai\.iUv. 745
fliuchaus nicht nielir dein Willen des Ki;inkt'n j^aliurelit. Millelst der Fi.viipiiicelte
lässt sich freilicli der lUilbns in die gehörige Stellung zurückbringen. Dies hat
aber seine Nachtheile, da die Pincette oft mit grosser Gewalt und durch längere
Zeit auf den Bulbus wirken niuss.
2. Das Auge soll im Momente der Lappcnbildung etwas nach aus.ien .tehen,
da es bei dieser Stellung viel leichter ist, den Bogenschnitt zu vollenden, ohne
mit der Spitze des Messers in den Nasenrücken zu stechen, was den Kranken
iniruhig macht und den Operateur oft zwingt, einzuhalten, ehe die Schneide des
Messers am untersten Cornealsegmente angelangt ist, wo dann das Kanimer-
wasser rascli ausfliesst und ein yi-osser Theil der Iris unter das Messer kömmt. Es
droht dieses Ereigniss um so mehi', weini der Kranke, wie dieses häufig geschieht,
im Momente des Einstiches uuszuioeichen sucht und das Auge etwas nach innen
dreht. War die optische Axe leicht nacJi aussen gerichtet, so muss die Excursion
schon bedeutender sein, um die Operation zu beirren, und beansprucht auch wohl
etwas mehr Zeit, daher es leiclder gelingt, die Kannuer zu passiren und den Bulbus
völlig in die Gewalt zu bekommen, ehe die Spitze des Messers anstösat. Immerhin
gewährt auch dieses Manöver keine volle Sicherheit, daher man beim Einstiche auf
das Fliehen des A>iges (jefasst sein muss. Man soll daher niemals das Messer
ansetzen mit der Idee, dass man durchkonnnen müsse. Weicht das Auge aus, so ist
es klüger, das Instrument wieder ahzuliehen und das Verfahren zu wiederholen,
bis ein Moment der Rulie die Schnittführung erlaubt.
3. Die Spitze des Keratoms muss steil eingestochen werden. Wird das Messer
beim Einstiche zu flach gehalten, so dringt es sehr schief durch die Cornea, der
Einstichskanal wird sehr lang und hält das Messer in der ursprünglichen Lage
fest, daher dessen Spitze die Kammer sehr nahe an der hinteren Cornealwand
passirt und ehen so schief wieder aussticht. Die Bogenschnitt flache wird dann sehr
hreit und die Oeffhung im Verhältnisse schmäler, daher sich der Staar entweder
gar nicJd oder überaus schwer entbindet, wobei der zvgeschürfte Inneurand der
hinteren Wundlefze in der Gegend der Wundwinkel leicht gedehnt, gezerrt oder
zerrissen wird und heftige Entzündungen eine Veranlassung finden.
4. Das Ausschneiden muss sehr langsam und vorsichtig geschehen, es darf
dabei durchaus kein Druck auf die Schneide ausgeübt werden, widrigenfalls bei
ruckweisem Herausfahren des Messers der Kranke leicht ersclnückt, die Augenmuskeln
krampfhaft zusammenzieht, und nicht nur die Linse, sondern auch einen 'J'heil des
Glaskörpers herausschleudert. Die Kraft muss daher immer nur in der Axe des
Instrumentes wirken.
5. Die Handhabung des Daviel'schen Lößeis fordert die grösste Vorsicht. Es
muss derselbe leise auf den oberen Cornealrand aufgesetzt und der Druck nur
sehr allmälig gesteigert werden. Bei hastigem Vorgehen hat der Druck nicht Zeit,
sich zu vertheilen, es kann die untere Partie der Zonula einreissen und den Glas-
körper herauslassen. Uebrigens darf auch der Druck niemals ein beträchtlicher
werden.
6. In neuerer Zeit wird der Daviel'sche Löffel von Vielen ganz gemieden
und der Staar mittelst der Finger, welche, um nicht zu glitschen, nöthigen Falles
mit einem feinen Tuche umwickelt werden, entbunden (Arlt). Während der Kranke
nach aufwärts zu sehen geheissen wird, setzt der Operateur die Beugefläche seiner
beiden Daumen, oder des Daumens der einen und des Zeigefingers der anderen
Hand, je auf das obere und untere Lid, so dass er selbe nach Belieben an der
Convexität des Bulbus verschieben kann. Während er nun das obere Lid etwas
nach abwärts streift, übt er einen sanften Druck auf die obere Cornealgrenze inid
zwingt so den Staarkern , seinen unteren Gleicherrand nach vorne gegen ilie
Wunde hin zu kehren. Das untere Lid wird gleichzeitig mit der anderen Hand
emptoj-geschoben und unter leisem Anpressen an den vorderen Augapfelumfang der
Cataracta die Neigung gegeben, sich durch die Bogenwunde und die leicht geöff-
nete Lidspalte nach aussen zu entleeren. Die noch rückständigen Corticalreste
werden weiters dadurch zum Austritte bestimmt, dass das obere Lid wiederholt an
der vorderen Hornliautfläche herabgestrichen wird.
Ueble Zufälle, l. Verletzungen der Regenbogenhaut, a) Wird die Iris gleich
beim Einstiche angespiesst, so ist es das Beste, das Messer zurückztizlehen und die
Operation erst nach Verheilung der Corneal wunde wieder vorzunehmen, weil bei
weiterem Vordringoi des Instrumentes die Kegeubogenhaut unter grosser Zerrung
746 Staarextrattiou mit dem Lappenschnitte; Ueble Zufalle.
in beträchtlicher Breite durchschnitten wird, was die weiteren Operationsacte sehr
beirrt und auch gefährliche Entzündungen im Gefolge haben kann, b) Am häufig-
sten wird lüährend des Ausschnittes ein Sector der Iris exscindirt. Besonders leicht
geschieht dieses, wenn die Kammer sehr enge, die Pupille contrahirt und die Iris
stark nach vorne gebaucht ist, da dann das Messer nur schwer vorbei geführt
werden kann. Uebrigens fällt auch bei weiter Kammer die Iris unter das Messer,
wenn dasselbe nicht genug rasch oder mit Unterbrechungen die Kammer passirt.
Oefters gelingt es dann noch, die Iris von der Schneide loegzudr'dngen, wenn man
diese nach vorne wendet und mit der Fingerspitze einen massigen Druck auf den
unteren Cornealabschnitt ausübt, so dass derselbe etwas abgeflacht wird, oder wenn
man die sanft aufdrückende Fingerspitze über die vor der Schneide gelegene Partie
der Cornea von oben herabsfreicht. Oft versagt aber auch dieses Verfahren und es
bleibt nichts übrig, als den betreft'enden Sector der Iris zu opfern. Mitunter bleibt
der entsprechende Theil des Pupillarrandes stehen und es wird ein Loch aus der
Breite der Iris geschnitten. Dann ist es nothic endig , die Brücke sogleich mit der
Nadel zu spalten, damit sich der Staar nicht fange, die Iris zerre und selbst die
Brücke zerreisse.
2. Der Staar tritt schwer oder gar nicht aus, er drängt trotz kräftiger Con-
tractionen der Augenmuskeln und wirksamer Naclihilfe von Seite des Operateurs
die untere Irishälfte wiederholt zwischen den Wundrändern der Cornea hervor,
weicht aber immer wieder zurück oder windet sich endlich müJisam, unter be-
träclitlicher Dehnung und Zerrung des Pupillarrandes, durch das Sehloch hindurch.
Oefters ist die bedeutende Grösse des scierosirten Kernes oder eine ausgebreitete
Synechie und schwielige Verbildung des Pupillarrandes, selten eine krampfhafte
Contraction des Sphincter pupillae die Uisache. Man wird dann entweder gleich
nach dem Lapptnschnifte die Iridectomie machen, um den Weg zu bahnen oder, falls
der Staar schon durchgetreten ist, die Iridectomie naclischicken , um den gezerrten
Iristheil zu entfernen und den Folgen der med i ansehen Reizung vorzubeugen. Die
gewöhnlichste Ursache des schwierigen Austrittes aber ist, dass der Lappen zu
klein angelegt oder der Bogenschnitt sehr flach durch die Cornea geführt wixrde.
Erkennt man diesen missliehen Zufall, so hüte man sich vor dem gewaltsamen
Auspressen des Staares, da die Wundwinkel stark gezerrt werden und oftmals die
Entbindung doch nicht gelingt, indem der Glaskörper früher austritt. Vielmehr
erweitere man den Bogenschnitt sogleich nach Bedarf, indem man das stumpfgespitzte
Blatt einer zarten Louis'schen Schere von der Seite her zwischen Lappen und Iris
vorsichtig einführt und dann das Instrument in der Verlängerung eines oder des
andern Wundwinkels wirken lässt. Die traditionelle Furcht vor der Schere ist ganz
unbegründet, da der von der Schere gebildete Wundtheil in der Regel eben so
leicht zuheilt, als der mit dem Messer zu Stande gebrachte, und meistens nicht
einmal eine trübe Narbe zurücküisst, vorausgesetzt natürlich, dass der Bulbus und
namentlich die Wundwinkel nicht gar zu hart mitgenommen wurden, ehe die
Schere in Anwendung kam. Ist ein solcher Fehler geschehen, so muss ebenfalls
die Lidecfomie ausgeführt werden.
3. Die Entbindung des Staares ist eine unvollständige, ein grosser Theil der
Corticalis ist gleich ursprünglich an der Kapsel haften geblieben, oder hat sich
beim Durchtritte des Staares durch das Sehloch abgestreift und lässt sich mit
dem Daviel'schen Löffel nicht völlig oder doch nur unter der Gefahr eines Glas-
körpervorfalles oder einer beträchtlichen Reizung der Iris entfernen. Bei schicierigem
Durchtritte des Staares durch das Sehloch, so wie bei der Extraction von Staaren
mit normal consistenter Rinde, also besonders bei der Operation unreifer Kern-
staare, ist ein solcher übler Zufall etwas sehr gewöhnliches vind um so schwerer
zu verhüten, wenn die zuiückgebliebenen Staartheile noch durchsichtig sind, sich
bei der Operation also der Wahrnehmung entziehen. Wo man gewiss ist, oder mit
Wahrscheinlichkeit vermuthen kann, dass grössere Mengen blähungsfähiger Trümmer
der Cataracta zurückgelassen wurden, ist die Iridectomie sogleich der Extraction
nachzuschicken.
4. Es kömmt der Glaskörper vor dem Staare. Es tritt dieses höchst missliche
Ereigniss besonders gerne ein, wenn ein Theil des Bogenschnittes in die Sclera
gefallen ist, oder wenn man bei der Eröffnung der Kapsel dem Linsenrande mit
der Nadel zu nahe kam, oder wenn bei der Enthindung des Staares der Löffel zu
rasch und zu fest aufgedrückt wurde, also unter Verhältnissen, welche einen Theil
der Zonula der Berstung oder der Verletzung mit der Nadel aussetzen. Starkes
Ueble Zufalle. 747
Pressen von Seite des Kranken heg'dnutigl den Prolapsus ungemein. Es bleibt in
einem solchen Falle häufitr niclits anderes übrig, als die Operation zu unlerhrechen
und den Verband anzTilegen. Bei fortgesetzten Versuchen, den Staar nach aussen
zu befördern, entleert sich nämlich mehr und mehr Glaskörper, die Linse sinkt
immer weiter zurück und am Ende nniss man doch abstehen, nachdem man die
Gefahr intraocularer Blutungen, einer Netzhautabhebung, unvollkommener An-
passung des Lappens , heftiger Entzündungen u. s. \v. auf das Höchste gesteigert
hat. Doch kann man bei ruhigen Kranken bisweilen zum Ziele gelangen, wenn
man einen breiten S'ector der Iris aussclineidtt , nun mit dem zur Excochleatio
cataractae gebräuchlichen Löffel den Staar fasst, gegen die hintere Cornealwand
drückt und hervorzieht.
5. Es stürzt die Linse sammt einem Tlieile des Glaskörpers hervor. Es droht
dieser Zufall ganz besonders bei imruliiijen Kranken, welche stark pressen , wenn
der Hornhautschnitt zu gross angelegt worden ist, oder der Daviel'sche Löffel unvor-
sichtig gehandhabt wurde. Man muss dann sogleich jede weitere Manipulation auf-
geben und den Verband anlegen, widrigenfalls der Glaskörper zum grossen Theile
entleert wird, was nach dem l)ereits Mitgetheilten zu sehr üblen Folgen führen kann.
6. Unricldiges Anheilen des Lajijjens, treppenförmiges Vorspringen des Lappen-
randes. Der letztere stösst dann bei den Bewegungen des Augapfels an den unteren
Lidrand und bedingt so eine sehr bedeutende Reizwirkung, welche oftmals die
Quelle höchst verderblicher Entzündungen wird. Die Gefahr ist um so grösser, als
der schlecht anliegende Lappen bei den Bewegungen des Auges öfters wieder
theilweise gelöst vxnd so der intraoculare Druck loiederholt auf Null herabgesetzt
wird, bis endlich die Narbe genügende Festigkeit erlangt. Es lässt sich dagegen
leider sehr wenig thun, besonders in den ersten Tagen nach der Operation, wo es
am meisten Noth thäte. Weder Pflaster noch CoUodiumbestreichuiigen reichen aus,
um das untere Lid vom Bulbus abgezogen zu erhalten, da vermöge des vorhandenen
Reizzustandes bei künstlichem Ectropium immer viel Thränen ausfliessen und alles
abweichen, die hierzu nöthigeu Hantirungen übrigens kurz nach der Operation
auch gefährlich sind. Am besten wird man unter möglichster Fernhaltung aller
anderen Schädlichkeiten ruhig die allmälige spontane Ahschleifung des vorspringen-
den Randes abivarten. Gewöhnlich ist sie im Verlaufe einiger Wochen vollendet.
7. Ein Irisvorfall. Er ist öfters die mittelbare Folge der unrichtigen Anheilung
des Lappens und kann bei unvorsichtigem Gebahren des Kranken noch nach Ab-
lauf mehrerer Wochen zu Stande kommen. Am gewöhnlichsten jedoch datiren derlei
Vorfälle von der Operation selbst her, indem beim Austritte der Linse ein Theil der
Regenbogenhaut mitgerissen wurde und der Operateur es versäumte, ihn zurückzu-
bringen, oder indem wegen Glaskörpervorfall oder Unruhe des Kranken die Repo-
sition unterlassen werden musste. Jedenfalls resultirt dann eine sehr bedeutende
Verziehung der Pupille, ja es kann bei grossen Vorfällen sogar zum Verschlusse des
Sehloches kommen, besonders wenn sich heftige Iritiden einstellen, wie dieses gar
nicht selten der Fall ist. Auch kann es geschehen, dass der Lappen eine sehr un-
regelmässige Krümmung erhält und das Sehvermögen sehr übel beeinflusst, indem
die Narbe sich wohl contrahirt, immerhin jedoch eine gewisse Breite behält, so dass
also der Lappenrand von der unteren Wundlefze absteht (Fig. 20 S. 145). Um
solchen üblen Folgen vorzubeugen, ist es nothwendig, den Verband länger tragen
zu lassen, als es sonst uöthig ist, so lange nämlich, bis die Narbe dicht und wider-
standskräftig geworden ist. Ist der Pupillarrand eingeheilt, so muss auch Atropin ange-
wendet werden, um den oberen Thcil desselben möglichst ferne von der Verwachsungs-
stelle zu halten. Eine Abtragung oder wiederholte Punction ist nur angezeigt bei
sehr grossen und noch immer wachsenden Vorfällen aus der Breite der Iris, besonders
wenn die Gefahr droht, dass endlich der Pupillarrand in den Bereich der Wunde
gezogen werde.
8. Die Entwickelung eines Entropixims. Dieser Zufall ist gar nicht selten bei
sehr schlaffen alten Individuen zu beklagen, besonders während der Nachbehand-
lung. Es fordert die allsogleiche Entfernung des etwa noch liegenden Schutzver-
bandes, da dieser die Einstülpung des Lides sehr begünstigt. Unter den positiven
Mitteln (S. 530) ist besonders die Canthoplastik (S. 5i3) zu empfehlen.
Quellen. Beer, Lehre v. d. Augenkrankh. IL Wien. 1817. S. 366, 372. —
Himly, Krankh. n. Missbilgn. II. Berlin. 1843. S. 255, 263, 275, 284, 286. — Ai-lf,
Krankh. des Auges. II. Prag. 1853. S. 298, 300. — Hasner, Kl. Vorträge. Prag.
( 4:8 StiiarexlriiL-tiuii mit iluiii periiilifii'H Liiiciirschiütl ; Anzeigen.
1860. S. '289, '2m, 301. — Sf.eUwar/, Oi)htli. I. S. 635, 637, 642. — Zehender, Kl.
Monatbl. 1863. 8. 73. — Küchler, Deutsche KliuiU. 1865. Nr. 39. — Hönny, Kl.
Monatbl. 1863. S. 217.
4. Die Extraction mit dem peripheren Linear-
schnitte (Graefe).
Die Anzeigen fallen mit jenen der Lappenextraction zusammen.
Doch hat. der periphere Linearschnitt Vorzüge: 1. wo glaucoma-
iöse Zustände drohen, 2. bei Ectopie der staarigen Linse, 3. wo allge-
meine oder örtliche Verhältnisse die Gefahr einer Hornhautvereiterung nahe
legen und 3. wo der Zustand des Kranken ein weniger strenges Regimen,
insbesondere aber die Abkürzung des in ruhiger RücJcenlage zuzubringenden
Zeitraumes sehr wünschenswerth oder geradezu nothweudig machen.
Das Verfahren hat manche Aehnlichkeit mit dem bei der Lappen-
extraction einzuhaltenden, und wird gleich diesem in mehreren , durch
Pausen der Euhe und Erholung geschiedenen Momenten ausgeführt.
Die erforderlichen Instrumente sind: ein sehr schmales und spitziges
Messer (Graefe); eine Irisjiincette und eine feine gei'ade oder Louis" sehe
Schere ; eine zarte Sichelnadel mit abgerundetem stumpfen Convexrücken
oder ein Cystitom mit sehr schmaler Fliete , welcher sich seiner Form
nach einem einfachen senkrechten Haken nähert (Graefe); ein scharfes
und ein stumpfes Häkchen; ein Staarlöß'el von Metall oder gehärtetem
Kautschuk ; eine verlässliche Zahnpincette und ein federnder Augenlidhalter.
Die Sichelnadel, das Cystitom und die Häkchen verlangen einen biegsamen
Hals, nm demselben eine nach Bedarf wechselnde winkelige Krümmung geben zu
können. Ist der Hals nämlich gerade und starr, so lässt sich das Instrument, zumal
bei tiefer liegenden Augen, nicht leiclit flach in die Wunde eiufülyeu und hier in
der Ebene der Iris nach verschiedenen Richtungen herumbewetren. Aus ähnlichem
Grunde werden auch die Löffel handsamer, wenn ihre Hohlfläche in einem nach
vorne sehenden Bogen gegen den Hals gestellt wird.
Als AnyenlidhaÜer taugt der seit Langem gebräuchliche Snowden'sche in so-
ferne wenig, als das Verbindungsstück seiner Arme die Führung der einzelnen In-
strumente oft wesentlich beirrt. Man hat darum den genannten Theil sehr ver-
längert und nach hinten gebogen, so dass er sich beim Gebrauche an die Schläfe
legt (Graefe). Durch die "N'erlängerung der Arme geht aber viel von der federnden
Wirkung verloren, daher das Instrument entweder viel massiver gebaut oder mit
Stellschrauben versehen werden muss, was seinerseits wieder manche Uebelstände
mit sich bringt. Hs scheint darum von Vortheil , dem nach Snowden's Principe
gefertigten Instrumente bei ivenig vergrösserten Dimensionen eine scharfe Krümmung
nach vorne zu geben, so dass das Verbindungsstück sich an die Seitenwand der
Nase anlegt, wenn die Arme in den Bindehautsack eingeführt werden. Neuerer
Zeit sind mehrere Sperrelevateure nach diesem Principe gebaut worden (Stilling,
Schroeter).
Die Bulbuskapsel wird in der Regel im oberen Theile des vorderen
Lederhautgürtels eröffnet. Um den erforderlichen Linearschnitt an diesem
Orte ungestört in einem oder wenigen Messerzügen vollenden zu können,
ist es nothwendig, dass der obere Augendeckel durch einen Augenlidhalter,
oder mittelst der Finger des Operateurs oder eines Assistenten in stark
emporgehobener Stellung wohl fixirt werde (Fig. 96). Ausserdem muss
der Bulbus durch eine verlässliche Zahnpincette, welche genau unter dem
Vfrt'iiliii'U ; Sclmilltülinu
Iridcclniiiir.
749
untersten Punkto dov Hör nliaul grenze cinzusolzon isl , um das Rollen dos
AugTs zu Yorhindorn, uaeli abiuürts <>'ozo2,'('n und in dicsci' Lafj,'(> uuvoiTiic.kt
erliaUou \vi'rd(>u.
Doi" Schnitt st'lhsl wird in seinci' Länj^c je nacli der niuiliraassliohen
Gi'össe äes Linsenkernes otwas wechseln müssen; doch lassen sich ^^l^'" ^^^ das
für Alterstaarc entsprechendste Maass bezeichnen. Um diesem Bedürfnisse zu
o'cnüa,en, ist Aex Einstichspunlct etwa '/.j'" — ^/.y"'\o\\ der vor(/er«i Cornealurcnze
entfernt und '^/-i'" — 1'" unicriudb einer an den höchsten Jlandpuiikt der
Cornea gelegten TaJigente u\\ äusseren Theüe des vordersten Scleralgürtcls zu
wälilen. Das Messer muss mit nach innen und oben sehender Schneide
so aufgesetzt werden, dass die Spitze fast gegen den ÄfiifeJjninkt dm- vorderen
Kammer zielt. In dieser liich-
tung wird es dann schief durch- .. '^' ' ''
gestossen, so dass es knapp am
Irisursprunge in der vorderen
Kammer erseheint, und in ge-
rader Linie etwa 3'" weit fort-
geschoben , dann aber in die
ivagrechfe Stellung gewendet, um
in gleicher Höhe und in gleicher
Entfernung von dem Hornhaut-
rande, wie der Einstichspunkt,
durch den entsprechenden Iimen-
theil der vorderen Led erbaut -
Zone ausgestochen zu werden.
Ist dies geschehen, so wird das
Instrument mit naeli unten und
leicht nach vorne gekehrtem
Rücken in wagrechter Richtung
(Fig. 96) weiter vor-, und falls die Spitze dem Nasenrücken nahe käme,
wieder zurück geschoben, bis die Schneide die Verbindungen des oberen
Irissectors mit dem Rande der Descemeti durchtrenut hat und an der In-
nenwand des betreffenden Lederhauttheiles ansteht. Nun ist es Zeit, die
Klinge ein klein wenig nach Vorne zu drehen, so dass der Rücken etwas
schief nach Hinten und Unten sieht, lam die Bulbuskapsel nicht ganz
flach, aber auch nicht senkrecht auf ihre Fläche, also schräg in langem
Zuge zu durchschneiden. Das Messer lagei't jetzt zwischen der Sclera und
Rindehaut, welche letztere in eine breite Querfalte aufgehoben erscheint.
Damit der Conjimctivallajjpen wegen der sehr beträchtlichen Nachgiebig-
keit und Dehnbarkeit der Mucosa unter den folgenden Messerzügen nicht
übermässig grosse Durchmesser erlange und dadurch Verlegenheiten bereite,
soll die Schneide nun nach vorne gerichtet und die Bindehaut sägend
durchschnitten werden. Die Wunde der letzteren bildet solchermassen einen
nach vorne convexen Bogen, dessen Scheitel den Limbus fast erreicht.
Um beim zweiten Momente, der Ausschneidung des an die Wunde
stossenden Iristheiles, ohne Störung hantireu zu können, ist es dringend
nothwendig, den Bindehautlax>pen von der Wunde wegzustreichen und auf
die Cornea zurückzulegen. Der betreffende Regenbogenhautsector muss
mit der Pincette breit gefasst, straff angezogen und knapp an dem Scleral-
750 Staarextraction mit ÜPin peiipliPiPri Linearschiiitte ; Verfahren.
schuittraude abgetrageu werden, damit nicht etwa Zipfel zurückbleiben,
welche sich in der Wunde einklemmen können. Bei der Länge der
Wunde ist es jedoch sehr schwer, den ganzen zugehörign Iristheil zwischen
die Branchen der Pincette auf einmal zu bekommen ; daher es vortheil-
haft scheint, die Irisausschneidung in mehreren Tempis zu vollführen,
vorerst also den mittleren Theil zu fassen und abzutragen , sodann nach
einander den inneren und äusseren Wundsaum hervorzuholen und aus-
zuschneiden. Es ist dabei nothwendig, die Iris straff anzuziehen, so dass
sie sich in grösserer Ausdehnung entwickelt. Hierauf ist die Stellung der
unteren Hälfte des Pupillarrandes genau zu beobachten. Oefters findet man
sie bereits in der ihr normaliter zukommenden Lage. Ist dies nicht der Fall, er-
scheint sie etwas gegen die Wunde gezogen, so hängt ein Theil des Iriswund-
sauraes in den Winkeln des Cornealschnittes fest und zwar findet dies gewöhn-
lich an der Schläfenseite statt. Um die Einklemmung zu beseitigen, dient der
Kautschuklöffel. Es werden mit dessen convexer Fläche leichte Streich-
manöver auf der Oberfläche des Bulbus gemacht, welche ihren Ausgangs-
punkt etwas scleralwärts von der betreffenden Wundecke haben und über
diese hinweg gegen das Hornhautcentrum gerichtet sind.
Es können diese Manöver auch alternirend melir in einer der Wundlänge
entsprechenden Richtung, immer von der betreffenden Ecke ausgehend, oder auch
wohl in circulärer Richtung über der betreffenden Partie verrichtet werden. Ist
nur der nasale Iriswundsaum eingeklemmt, so erreicht man auch häufig den Zweck
bei der Einführung des Cystitoms, indem man mit dessen in die vordere Kammer
eintretenden Rücken die Iris vorsichtig glättet, elie man zur Oeffnung der Kapsel
übergeht.
Die Erößhung der Kapsel geschieht am besten in vier Tempis, um
ein möglichst grosses Stück derselben durch Schnitte umgrenzen und dem
austretenden Staare Gelegenheit geben zu können , dasselbe gleich einem
A'orhange vor sich her in die Wunde zu treiben. Das dazu erforderliche
Instrument, das flietenförmige Cystitom oder die Sichelnadel, deren Hals
in einem entsprechenden Winkel gebogen ist, wird flach durch die Wunde
bis zum unteren Theile des Pupillarrandes vorgeschoben , dann mit der
Schneide gegen die Kapsel gewendet und diese vorerst längs der beiden
seitlichen Pupillar- und Colobomränder in der ganzen Höhe des Pupillar-
raumes, hierauf aber zweimal in querer liichtung gespalten und zwar das
eine ]\fal hart an der unteren Pupillenperiplierie, das andere Mal ungefähr
ein Millim. unterhalb des oberen Linsenäquators {A. Weber).
Ist die Kapsel genügend zerklüftet worden, so stellt sich der Linseu-
kern häufig schon von selbst an die Oeffnung der Lederhaut, es bedarf
nur geringer Beihilfe, um ihn austreten zu machen. Behufs dessen ist
der Kaufschuklöffel mit dem convexen Bücken an die untere Grenze der
C!ornea leicht anzudrücken, wodurch die Scleralwunde sich bereits etwas
öffnet. Hierauf mnss der Löffel etwas gewendet werden , so dass sein
oberer Rand sich ein wenig in die Hornhaut eindrückt. Indem man
dann das Instrument in dieser Lage an der Cornealoberfläche sanft nach
oben streicht, wird der Staar leicht aus der Wunde herausgetrieben und
kann, wenn er diese mit einem grossen Theile seines Umfanges passirt
hat, mit dem Löffel leicht hervorgehoben werden.
Was au diesen Vorgängen an weicher zerldüfteter Linsenmasse im
Kapselraume zurückgeblieben ist, kann wie bei der Lappenextracfion dadurch
Vfifalirch. 751
gegen die W uiuie liiiigiMlriüigt werden, dass uian den lii'n-keti eini's LöiJ'els
von unten her leielit an der Hornhaut hinstreichl. I'lni leeren sieh die
Rückstände nicht vollständig, so bleibt freilich nichts übrig, als inil dtnu
Löffel in die Wunde einzugchen und erstei'e hervorzuholen.
Ueberhuupt gilt gleich wie bei der liappenextraction die Regel, dass man
die cataractöse Linse so weit nur immer möglich vnllutündig ausräume;
durch Auflagerungen steif gewordene KapseUhe.ile m\{ der Pincette aas-
ziehe ; auch die Wunde gehörig reinige und etwa eingeklemmte Iriszipfel
beseitige; endlich den Bindehautlappen in seine natürliche Lage zurück-
schiebe. Hat man diesen Anfurderungen genügt, so erscheint es überdies
räthlich, nach Ablauf von '/o — 1 Minute nochmals das Auge zu öffnen,
und das mittlerweile angesammelte Kararaerwasser zu entleeren. Es führt
dieses nämlich nicht selten noch einzelne kleine Staarbröckchen mit sich
fort und schwemmt auch ergossenes Blut nach aussen.
Die Nachbehandlung und der Verband sind nach denselben Gesetzen
zu regeln, wie bei der Lappenextraction. Doch kann bei der modifrcirten
Linearextraction dem Kranken schon vor Ablauf der ersten zwei Tage
eine minder beengende Haltung uud eine grössere Beweglichkeit gestattet
werden, da hier das Losgehen des Lappens, also die Wiedereröffnung der
Wunde weit weniger zu fürchten ist.
1. Ein ganz steiler Hovnhautschnitt , wie er frülier angewendet wurde und
auch noch dermalen von Manchen belieht wird, hat den Nachtlieil, dass er der
Zonula im Bereiche der Wunde jeden Halt nimmt und dadurch GlaskörpeyvorfüUe
wva so mehr begünstigt, als der .Staar, auf dass er sich in die Oetfnung einstellen
könne, eine bedeutende Drehung nach vorne ausi'üln-en muss, daher auch der die
Entbindung fördernde Löffel einen stärkeren Druck in senkreciiter Richtung auf
den unteren Staarrand auszuüben hat, was nothwendig ein Hervordrängen des
Glaskörpers gegen die Wundöffnung hin mit sich bringt. Bei einem mehr schrägen
Schnitte fällt die Drehung des Staares weg, derselbe kann in der Richtung seiner
Aequatorialebene sich nach aussen bewegen. Dazu kömmt, dass der hintere Wund-
saum sich unter den vorderen Wundrand hin wegschiebt und, durch den intraocu-
lären Druck angepresst, die Oeft'nung klappenähnlich schliesst, daher kein Theil
der Zonula biosgelegt erscheint.
Der Cornealschnitt kann selbstverständlich auch an der unteren Hornhaut-
grenze gemacht werden. Es operirt sich hier sogar leichter. Doch treten vermöge
dem Irisausschnitte gerne Blendungserscheinungen auf, welche den Kranken sehr
belästigen. Es lässt sich ein solcher Vorgang also nur rechtfertigen, weim der Zustand
des Auges und seiner Umgebungen oder die Ungeberdigkeit des Kranken die
Schnittführung nach oben sehr ersciiwereu.
2. Der Gebrauch des Atigenlidhalfers hat im zweiten Momente der Operation
den Vortheil, einen zweiten Assistenten zu ersparen. Da nämlicli beide Hände des
Operateurs mit der Irispincette und Schere, jene des Geliiifen aber mit den beiden
Lidern des Kranken beschäftigt sind, bedürfte es zur Führung der Fixirpincette
einer fünften Hand, was abgesehen von anderen Uebelständen das Missliclie hat,
dass der ohnehin beschränkte Raum noch mehr beengt wird. In den übriqen Ope-
rationsmomenten hat der Operateur stets eine Hand zur Fixirung des Bulbus oder
des einen Augendeckels ./?•£«; da ist der Angenlidlialter e?i</>e/;r/jr/i und wird besser
beseitigt, indem er den Kranken sehr belästigt und zu übermässigem Pressen ver-
leitet, was den Operationsgang beirren, auch zu Glaskörpervorfällen Veranlassung
geben kann.
3. Die Bildung sehr grosser Bindeliaritlajopen ist nicht zu empfehlen, da die-
selben sich gerne aufrollen, infiltriren und damit die Heilung der Scleralwunde
ungünstig beeinflussen können. Es ist aber aueh eine gänzliche Abtragung der-
selben vom Uebel, da gerne eine grössere Wundfläche resultirt, deren Schliessung
und Verharschung lücht immer ohne bedenkliche Reizzustände abläuft. Diese Ver-
hältnisse sind es, welche die Wendung des Messers nach vorne gebieten, wenn
'IK
752 Staarextraction mit dem peripliereii Linearschnitte ; Verfahren.
letzteres die Lederhaut durchschnitten hat und unter der Bindehaut erscheint;
anderseits aber auch die Schonung des so gebildeten, nach vorne convexen Con-
junctivallappens zur Pflicht machen und dessen Zurückstreichung auf die Cornea
wiihrend der folgenden Operationsmomente verlangen, damit es von den Instrumenten
nicht leide.
4. Die Iris muss knapp an dem vorderen Scleralvvundrande ahgetragen werden.
Bleiben nämlich Theile der Regenbogenhaut in der Wunde eingeklemmt, so werden
sie vermöge der Zerrung, welcher sie ausgesetzt sind, gerne der Ausgangspunkt ver-
derblicher Entzündungen. In einzelnen Fällen bauchen sie sich späterhin blasig
hervor und fordern eine nachträgliche Ausschneidung. Abgesehen davon haben
derlei Iriseinklemmungen das Missliche, dass der untere Theil des Pupillarrandes
durch sie sehr stark emporgezogen, bisweilen sogar über den horizontalen Durch-
messer des Auges gehohen und so eine grosse Quote der Pupille bei etwas tieferem
Stande des oberen Lides verlegt, wird. Das Sehvermögen leidet dann um so mehr,
als durch eine solchermassen verlagerte Pupille keine centralen, sondern blos
liandstrahlen zur Netzhaut gelangen, daselbst also weniger scharfe Bilder erzeugt
werden. Man glaubt, dass sich die vollständige Ausschneidung der Iris im ganzen
Bereiche des Cornealschnittes leichter und sicherer durch eine gerade oder knie-
förniig gebogene, als durch eine nach der Fläche gekrümmte Schere bewerkstelligen
lasse (Graefe).
5. Die ausgiebige Zerklüffmig der Kapsel bis zum oberen Gleicherrande ist bei
der p]xtraction mit dem peripheren Linearschnitte noch viel dringender nothwendig,
als bei der Lappenextraction, da bei ersterer die mechanischen Verhältnisse für
ein Herausbrechen des Staarkernes aus der Kapselhöhle ganz wegfallen, die Linse
vielmehr lediglich in ihrer Aequaforialehene gegen die Wunde hin rücken muss und
hierbei in einem unverletzten Kapselfalze meistens ein schwer überwindliches Hinder-
niss findet. Eine grosse Schwierigkeit liegt bei diesem Acte darin, dass die vor-
dere Kapsel nach Abflnss des Kammerwassers unter dem Glaskörperdrucke dicht
an die hintere Cornealfläche herangedrängt wird, dass der centrale Theil derselben
gerade in die stärkste Concavität der Hornhaut hineinfällt und so für die Schneide
des Instrumentes schwer ziigänglich wird. Daher kömmt es auch, dass gar oft
ein mehr weniger breiter mondsichelförmiger Kapselsaum im unteren Theile des
Pupillarraumes stehen bleibt. Derselbe trübt sich später, verlegt die vom oberen
Lide theilweise gedeckte Pupille und schädigt die Sehschärfe ganz ausserordent-
lich. Durch die mannigfaltigen Aendeningen in der Gestalt des Cystitoms (Ed.
Meyer, A. Weher u. A.J kann diesem Uebelstande nicht abgeholfen werden; die
Aufgabe geht vielmehr nur dahin, die Spitze des Instrumentes über die Convexität
der vorderen Kapsel hinweg unter das Niveau des unteren Pupillarrandes zu bringen,
ohne vorher in die Kapselhöhle einzudringen.
6. Ist die Kapsel durch Auflagerungen sehr derb und zähe geworden, so er-
scheint eine zureichende Zerschneidung derselben gewöhnlich unausführbar. Dann
ist es besser, gleich von vorneherein statt mit der Sichelnadel mit einem scharfen
Häkchen einzugehen und sie tief zu fassen. Gar nicht selten gelingt es, ihre
vordere Hälfte im Zusammenhange losziitrennen und nach aussen zu fördern.
Bei regressiven oder geschrumpften Staaren folgt öfters sogar das ganze Linsen-
system auf einmal dem Zuge und kann ohne Schwierigkeit aus dem Auge ent-
fernt werden.
7. Die Entbindung des Staares lässt sich gleich wie bei der Lappenextraction
auch blos mit //tV/e der auf die lAder aufgelegten Finger (S. 745, 6) bewerkstelligen.
Früher wurde zu diesem Behufe empfohlen, die Fixirpincette etwas straffer anzu-
ziehen und so den unteren Theil der Bulbuskapsel zu spannen, ausserdem aber
den hinteren Wundrand der Sclera mit dem Convexrücken eines Löffels etwas
niederzudrücken und das Instrument hierbei in horizontaler Richtung hin und her-
gleiten zu lassen. Auch hat man vielfach das sogenannte Schlittenmanöver in An-
wendung gebracht, d. h. es wurde, während der den oberen Lidrand fixirende
Finger einen leisen Druck auf den oberen Umfang des Bulbus ausübte, der Löffel-
rücken wiederholt auf die untere Grenze der Hornhaut aufgesetzt und unter sanfter
Pression gegen deren Centrum hinaufgestrichen. In neuerer Zeit hält man jeden
Druck auf den peripheren Wundsaum und auf den oberen Umfang des Bulbus für
widerräthlich oder wenigstens überflüssig. Einzelne sprechen diesem Manöver jedoch
noch das Wort und glauben, dass das leichte Niederdrücken des peripheren Wund-
saumes das Klaffen der Wunde, also auch den Aiistritt des Staares wesentlich
Ueble Zufälle. 753
förcleru, dass übeidicss aber der aufgesetzte Löffelrückeu der Zonula einen Halt
geben und Glaskörpervorfälle verhindern könne (Knapp),
Ueble Zufälle. 1. Eine zu kleine ode^- zu flache Linearwunde. Dieser Fehler
kann bei einiger Aufmerksamkeit und Hebung wohl nicht vorkommen, da die
Schnittfüliruug im Ganzen eine überaus leichte ist. Das eingestochene Messer
stopft nämlich die Wunde mit ziemlicher Sicherheit uiul hindert solchermassen den
vorzeitigen Ausfluss des Kammerwassers. Sollte darum auch die Spitze desselben
weit vor dem Ursprungskreise des Lig. pectinatum oder etwas zu hoch eingestossen
worden sein, so hat man Zeit genug, durch Tieferlegung des Ausstichspuuktes das
Mangelnde zu ergänzen. Selbst ein theilweises Zurückziehen des Messers in die
Kammer, um nochmals auszustechen, findet keine Schwierigkeiten. Sollte trotz allem
der Fehler gemacht worden sein, so bleibt kaum etwas anderes übrig, als die Wunde
mit der Schere zu erweitern.
2. Blidaustritt in die Kammer. Es stellt sich dieser Zufall bisweilen schon bei
der Durchschneidung der Bindehaut ein, häufiger jedoch wird er als Folge der
Iridectomie beobachtet. Er hat dann nicht viel auf sich. Man braucht die Opera-
tion blos eine Weile zu unterbrechen und dann den Löffelrücken sanft über die
Oberfläche der Cornea heraufzustreichen, um das Blut aus der Wunde zu drängen.
Hat sich bereits wieder etwas Kammerwasser gesammelt, so genügt es oft, die hin-
tere Wundlefze leise niederzudrücken, um den Ausfluss zu bewerkstelligen und das
Operationsfeld für die Eröffnung der Kapsel rein zu erhalten. Bisweilen jedoch
füllt sich die Kammer immer wieder, so oft man sie auch entleert. Dann wird
das Extravasat für die weiteren Acte in hohem Grade misslich und nicht selten
auch der Erfolg der Operation wesentlicii gefährdet. Es deutet dieser Zufall näm-
lich auf eine weit vorgeschrittene Degeneration der Gefässe, besonders wenn das
ausgetretene Blut eine sehr dunkle Färbung zeigt. Es wiederholen sich dann die
Hämorrhagien gerne nach der Operation, während die Aufsaugung eine ganz un-
vollständige bleibt; die Coagula mehren sich, organisiren zum Theile in Verbin-
dung mit den Producten der reactiven Entzündiing und bedingen zum mindesten
den Wiederverschluss der Pupille. Häufig kömmt es auch wohl zu Iridochorioiditis
oder Iridokyklitis mit deren höchst deletären Folgen. In nicht wenigen Fällen
zeigen sich Blutextravasate überhaupt erst mehrere Tage nach der Operation in
der Kammer, oder auch wohl in der Hornhaut (S. 62. 5). Sie sind dann aus gleichen
Gründen sehr bedenklich.
3. Schwierige Entbindung des Staares. Sie findet ihren Grund zumeist in
einem zu kleinen, bisweilen jedoch gewiss auch in &h\em zu flachen Cornealschnitte.
Sie erfordert in einem solchen Falle die Erweiterung der Wunde mittelst der Schere.
Manchmal jedoch entbindet sich der Staar trotz ausreichend langem Cornealschnitte
und genugsam zerklüfteter Vorderkapsel bei aller Zweckmässigkeit der ausgeführten
Manöver nicht. Unter solchen Umständen ist es, so viel sich auch Manche dagegen
sträuben mögen, gewiss nicht unklug, von den sogenannten Tractionsinstrument&i
Gebrauch zir macheu. Sicherlich schliesst deren vorsichtige und sanfte Anwendung
weniger Gefahren in sich, als ein fortgesetztes Herumquetschen am Bulbus, welches am
Ende vielleicht doch nicht den gewünsciiten Erfolg hat, oder gar einen Glaskörpervorfall
nach sich zieht. Handelt es sich um einen sclerosirten grossen Kern, so wird man
am besten fahren mit einem stuvqifen Haken, welcher gleich der Sichelnadel mit
winkelig abgebogenem Halse flach durch die Wunde und die hintere Rindenschichte
des Staares bis jenseits des Kerngleichers vorzuschieben und dann mit der Spitze
nach vorne zu wenden ist, um den Kern zu fassen und nach aussen zu ziehen.
Der letztere folgt fast immer willig, auch wenn der obere Eandtheil der Kapsel
nicht ausreichend durclischnitten worden wäre, indem dieser unter dem Drucke
der vorrückenden Cataracta leicht nach aussen umgestülpt wird. Bei Staaren mit
normal consiste7item Kerne schneidet der Haken jedoch gerne durch, zertrümmert
also die Linse und lässt die Stücke zurück, da dieselben ihm leicht ausweichen
können. Unter solchen Verhältnissen, so wie dort, wo eine normal consistente Corti-
calis von der Kapsel losgetrennt werden muss, wird der Haken besser durch einen
zweckmässig gebauten Löffel ersetzt.
4. Ein Glaskörpervorfall. Dies ist der häufigste der üblen Zufälle. Er ist be-
sonders zu fürchten bei Individuen, welche stark pressen oder in Folge voraus-
gegangener Erkrankungen des Bulbus an Verflüssigung des Glaskörpers leiden.
Er kann unter so bewandten Umständen in yecieju Momente der Operation eintreten
St eil wag, Augenheilkande. 48
754 Cataracta; Extraction mit dem peripheren Linearschnitte; Ueble ZuföUe.
und die folgenden Acte in der misslicbsten Weise beirren. Sonst pflegt er sich ein-
zustellen, wenn der Linearschuitt zu weit nach hinten in die Lederhaut fiel und
einen Theil der Zonula entblösste; oder wenn letztere bei dem Manöveriren mit der
Sichelnadel und dem Haken verletzt wurde ; oder endlich wenn das Strahlenblättchen
oder der glasbäutige Ueberzug der Tellergrube bei den Versuchen der Staarent-
bindung zu stark gespannt, mit den Instrumenten durchstossen oder auf eine andere
Weise zersprengt wurde. Entleert sich ein Theil des Glaskörpers vor der Cataracta,
so muss der Haken oder Löffel rasch zu Hilfe genommen werden, um die Linse
möglichst sicher zu fassen und hervorziehen zu können. Tritt aber der Glaskörper
mit oder nach dem Staare heraus, so ist es das Beste, die Lidspalte sogleich zu
schliessen und den Verband für die ersten paar Stunden etwas straffer anzuspannen,
damit die Neigung zu intraocularen Blutungen und zur Netzhautablösung möglichst
beschränkt werde. Jedenfalls sind Glaskörpervorfälle von übler Bedeutung, da sie
sehr gerne entziindliche Trübungen und Abhebungen (S. 158, 163) des im Auge zurück-
gebliebenen Theiles nach sich ziehen.
5. Baucht sich ein Theil des Glaskörpers bei unverletzter Zonula in die Wunde
der Lederhaut hinein, so ist es räthlich, denselben stehen zu lassen und einfach
den Verband anzulegen. Der Schaden pflegt nämlich nicht erheblich zu werden,
und der Prolapsus durch Resorption bald zu verschwinden , während ein Abtragen
desselben die Gefahr einer massigen Entleerung mit sich bringt.
6. Oefters bleiben, besonders wenn die Corticalis noch nicht völlig zerweicht
war, Staarreste im PupiUarraume zurück, welche sich dann später blähen und durch
Anregung lieftiger Entzündungen sehr gefährlich werden. Man hat empfohlen, am
3. oder 4. Tage die Wunde wieder zu lüften, um die Trümmer mit dem Löffel
hervorzuholen (Küchler). Controlversuche haben ergeben, dass beim Versuche jedes-
mal Glaskörpervorfall erfolgte und die Trümmer zurückgelassen werden mussten
(Knapp). Im Uebrigen liegt die Gefährlichkeit eines solchen Unternehmens
auf der Hand, daher sich auch die gewichtigsten Stimmen energisch dagegen
aussprechen.
7. Die Entivickelung eines Kapselstaares. Sie kömmt häufig auf Rechnung
einer ungenügenden Zerklüftung der Vorderkapsel. Häufig jedoch resultirt die
Trübung ai;s einer nachträglichen Wucherung der der Hinterkapsel anhängen
bleibenden Staarreste, oder aus der daselbstigen Neubihhing von ständig werdenden
Producten und ist dann nicht zu vermeiden. Es verlangen solche Trübungen die
Discission. Doch ist sehr zu rathen, dem durch die Extraction hart mitgenommenen
Bulbus mehrere Wochen Zeit zu gönnen, um sich zu erholen. Manche empfehlen,
keinen Kranken aus der Behandlung zu entlassen, bevor nicht durch einen neuen
operativen Act die Hinterkapsel in ausgiebiger Weise zerklüftet worden ist (Crit-
chett). Doch wird man gut thun, diesen für den Kranken peinlichen Act auf jene
Fälle zu beschränken, in welchen er ein wirkliches Bedürfniss ist.
6. In nicht seltenen Fällen hat man liinterher eine cystoide Vernarbung zu
beklagen. Für ihre Behandlung gelten die (S. 359, d) bereits früher aufgestellten
Regeln.
Quellen: Graefe. A. f. O. XL 3. S. 24—80; XH. 1. S. 156—181, 198, 202 bis
210; XIII. 1. S. 273; XIH. 2. S. 549, 559; XIV. 3. S. 106, 119, 134 u. f.; kl.
Mouatbl. 1870. S. 1, 8 u. f.; Congres ophth. 1868. S. 61, 95. — 0. Becker, ibid.
S. 72. — Critchett, ibid. S. 80; nach Knapp. A. f. 0. XIV. 1. S. 305. — Heymann,
Ophthalmologisches. Leipzig. 1868. S. 38, 45 u. f. — Knajjp, A. f. O. XIH. 1. S.
58—103; XIV. 1. S. 287, 291, 293; Arch. f. Aug. u. Ohrenhlkde. L S. 47. —
Weber, A. f. 0. XIIL 1. S. 250, 256; kl. Mouatbl. 1868. S. 384. — Ed. Meyer,
ibid, S. 382. — Stilling, ibid. S. 289. — Nagel, ibid. S. 340. — Schröter ibid. 1869.
S. 126. — Küchler, Die Querextraction. Erlangen. 1868. S. 24. — Dantone, Bei-
träge zur Extraction etc. Erlangen. 1869. S. 06.
Refractions- und Accdiiiniodationsfeliler; Vorbegrifte; Trennungsflächen ; HauptscLnitte. 755
VIERTES HAUPTSTÜCK.
Functionsf elller.
ERSTER ABSCHNITT.
Refractions- und Accommodationsfehler.
Vorbegrifife. Die Haupthestandtheile des lichtbrechenden oder dioptrischen
Apparates des Auges sind die Hornhaut und der KrystaUkörper, welche
beide als Sammellinsen wirken und durch das Kammerwasser von einander,
durch den Glaskörper aber von der Netzhaut getrennt werden. Ihre Ober-
flächen, die Haupttrennungsflächen des dioptrischen Apparates, stellen Abschnitte
yon Ellipsoiden dar, deren Excentricität jedoch unter ?ion?iaZe?i Verhältnissen so
gering ist, dass ihre im Bereiche der mittelweiten Pupille gelegenen Central-
stücke ohne erheblichen Fehler als Segmente von Kugelflächen betrachtet
werden können.
1. Insonderheit präsentirt die vordere Cornealob er fläche das Scheitel-
segment eines dreiaxigen EUipsoides, dessen längste Axe von vorne nach
hinten streicht, während die beiden kürzeren Axen senkrecht auf dieser und
mit seltenen Ausnahmen {Donders) auch auf einander stehen {Knapp). Die
Hauptschnitte, d. i. Ebenen, welche durch die längste und je eine der beiden
kürzeren Axen gelegt werden, können im Einzelufalle (\.\xvg[\ jeden beliebigen
Meridian der Cornea gehen {Javal, Donders) ; doch fällt der der kleinsten
Axe entsprechende Hauptschnitt, also das Maximum der Krümmung, ge-
wöhnlich näher dem verticalen, das Minimum der Convexität demnach näher
dem horizontalen Meridiane der Hornhaut {Knapp, Donders, Reuss, Woinoio,
Snellen). Nur selten findet das Gegenthe.il statt, oder ist der Unterschied
zwischen der grössten und kleinsten Ivi-ümmung Null, so dass die Corneal-
oberfläche das Scheitelstück eines Eotationsellipsoides darstellt.
Von den Krümmungen der beiden Linsenoberflächen (Helmholtz, Knajjp,
Rosoiü) gilt Aehnliches. Auch sie sind asymmetrisch mit einem Meridiane
der grössten und kleinsten Krümmung, welche gleichfalls in der Regel einen
rechten Winkel einschliessen. Doch wird das Maximum der Krümmung,
entgegen jenem der Hornhaut, meistens näher äex ivagrechten, das Minimum
also näher der senkrechten Richtung gefunden {Knapp, Donders), ohne dass
jedoch die bezüglichen Hauptschnitte der Cornea und des Krystalles in
Einer Ebene zusammenzutreffen pflegten. Uebrigens sind die Convexitäten
der Linsenoberflächen häufig viel loeniger regulär, als jene der Hornhaut,
die Werthe ihrer Halbmesser steigen und fallen in den neben einander
liegenden Meridianen recht oft ziemlich ungleichmässig, ja sind selbst in
den einzelnen Abschnitten eines und desselben Meridianes verschieden
{Donders).
48*
7Ö6 Anomal, d. Ket'r. u. Act-.; Vorbegrift'e ; Gesiclitslinien ; I5rechung iu Corneii u. Linse; Winkel a.
2. Ausserdem sind die Haupttrennung sflächen des dioptrischen Apparates
unter einander nicht vollkommen centrirt ; vielmehr liegt der Scheitel der
Cornea auf der Nasenseite der Linsenaxe {Helmholtz) . Auch steht die Gleicher-
ebene des Krystalles häufig etwas schief zur Hornhautbasis (Knapp). Doch
sind diese Abweichungen unter normalen V^erhältnissen zu gering, um auf
Gestalt und Lage der Netzhautbilder einen fühlbaren störenden Einfluss
zu üben.
3. Ueberdies fallt die Scheitelaxe der Hornhaut keineswegs zusammen
mit der Gesichtslinie, d. h. dem Richtungsstrahle, welcher den fixirten
Objectpunkt mit der Stelle des directen Sehens verbindet; vielmehr
schneidet die Gesichtslinie die Hornhaut in der Regel nach innen vom
Zenithe und meistens unter, selten über dem wagrechten Meridiane {You7ig,
Helmholtz, Knapp). Die horizontale Abweiclumg schwankt zwischen 2 und
8 Graden (Schuerman) , die verticale zwischen 1 und 3 Graden (Mandel-
stamm). Doch ist dieser Winkel a kein constanter , da er vom Knoten-
punkte aus zu messen ist und letzterer bei dem Accommodationswechsel
des Auges seine Lage ändert. Er muss darum auch bei einem und dem-
selben Individuum je nach den verschiedenen Convergenzgxü,Aen der Gesichts-
linien ein anderer werden (Reuss, Woinoio, Mauthner).
4. Die wichtigste der vier Trennungsflächen ist die vordere Hornhaut-
fläche. In ihr werden die auffallenden Strahlen am meisten von ihrer
ursprünglichen Richtung abgelenkt. Es tritt hier nämlich das Licht aus
einem Medium von sehr geringem Brechungsvermögen , aus der Luft , in
ein Medium von relativ grossem Brechungsvermögen über. In der That
lehrt eine einfache Berechnung, dass ein Bündel jjara^^eZer Strahlen, welches
auf die vordere Hornhautfläche aiiftallt, von dieser so gebrochen wird,
dass es nahe an 5'" hinter der Netzhaut zur Vereinigung käme. Man
kann daher sagen, dass die hintere Brennweite der vorderen Hornhautfläche
die optische Axe des Auges nur \un wenige Linien übertrift't.
Die hintere Hornhautfläche, obwohl sie eine stärkere Krümmung besitzt,
kömmt in dioptrischer Beziehung nur wenig in Betracht. Es können die
durchtretenden Lichtstrahlen fast wie in einem und demselben Medium
fortschreitend betrachtet werden, da das Brechungsvermögen der Corneal-
substanz von d(>m des Kammerwassers nur sehr ivenig verschieden ist.
Wegen der Kleinheit des Unterschiedes in dem Brechungsvermögen der
auf einander treffenden Medien haben auch die beiden Oberflächen der Linse
einen nur geringen Einfluss auf den Gang der Lichtstrahlen. Dass der
Krystall dennoch als ein ziemlich stark brechendes Medium wirkt , hat seinen
Grund darin, dass die Linse aris einer grossen Anzahl von Schichten zusammen-
gesetzt ist , deren Brechungsvermögen von der Peripherie gegen das
Centrum hin ivächst, dass im Inneren des Krystalles selbst also eine Anzahl
von Trennungsflächen besteht, welche ihren dioptrischen Effect gleichsam
Summiren. Wirklich werden vermöge dieses Baues die die Linse passi-
renden Strahlen mehr von ihrer ursprünglichen Richtung abgelenkt, als
wenn der Krystall bei vollkommen homogenem Gefüge ein Brechungs-
vermögen gleich dem des Kernes hätte (Senff, Helmholtz). So geschieht es,
dass parallel auf die Cornea auffallende Strahlen unter normalen \qy-
hältnissen in der lichtempfindenden Schichte der Netzhaut zur Vereinigung
kommen können.
Normaler, rej^ulärer Astigmatismus. 757
5. Eine vollkommene Vcrcinig-ung der von einzelnen Objectpunklcn
ausgehenden Lichtstrahlen findet jedoch nicht statt. Abgesehen von der
sehr geringen und unter normalen Verhältnissen ganz unmerklichen chromati-
schen Abweichung [Helmholtz, Fick, Pope) werden durch den asymmetrischen
Bau des dioptrischen Apparates auch ^Vberrationen gleichfarbiger Strahlen,
also monochromatische Abiveichungen {HclmhoUz) veranlasst, welche unter dem
Namen ,, Astigmatismus^^ beschrieben worden {Young, Äiry).
6. Die ellipsoidische Form der Haupttrennungsflächen bringt es mit sich,
dass homocentrisches Licht in den verschiedenen Meridianebenen des dioptri-
schen Apparates eine ungleiche Ablenkung erfährt, also auch in verschiedenen
Entfernungen zur Vereinigung kömmt. Diese Art der monochromatischen
Abweichung, so weit sie sich blos auf Sti'ahlen bezieht, welche in ver-
schiedenen Meridianebenen gebrochen worden sind, bekundet in ihren Er-
scheinungen eine der Grundform der Haupttrennungsflächen entsprechende
Gesetzmässigkeit und Einfachheit, daher sie auch als regulärer Astigmatismus
beschi'ieben wird. Sie findet ihre Hauptquelle in der ellipsoidischen
Krümmung der vorderen Cornealoberfläche, da der Brechwerth derselben
jenen der übrigen Trennungsflächen weitaus überbietet. Immerhin ist
auch die Linsenasymmetrie von bedeutendem Einflüsse imd zwar meistens
in correctivem Sinne, insoferne die Maxima und Minima ihrer Krümmung
jenen der Cornea entgegengestellt zu sein pflegen. Indem jedoch diese
Gegenstellung nur selten eine annähernd genaue ist, liegt es auf der Hand,
dass der Ausgleich minder vollständig sein müsse, als den Brechwerthen der
einzelnen Linsenmeridiane zukömmt. Man kann eben nur sagen, dass der
Astigmatismus der Cornea für sich allein im Allgemeinen bedeutend {Reuss,
Woinow) grösser sei, als jener des dioptrischen Apparates überhaupt; keines-
wegs aber, dass letzterer dem Unterschiede zwischen dem Astigmatismus
der Cornea und der Linse entspreche (Middelburg, Donders). Uebrigens
finden sich auch Fälle, wo die Maxima und Minima der Convexitäten in
der Cornea und Linse sich nähern oder gar zusammenfallen, wo der
Astigmatismus beider sich also summirt (Knapp). Auch scheint die
corrective Wirkung der Linse bei verschiedenen Acommodationszuständen
desselben Auges nicht die gleiche zu bleiben, sondern entsprechend der
Formveränderung der Linse zu wechseln (Dobroivolsky, Woinoio).
Im Grossen und Ganzen gilt also die Regel, dass die Maxima und
Minima der Brechwerthe im dioptrischen Apparate von der vorderen Horn-
hautoberfläche beherrscht werden, dass folgerecht also jene Strahlen, welche
in einem dem verticalen nahen Meridiane auf die Coimea trefi'en, in der
kürzesten, horizontal divergirende Lichtstrahlen jedoch in der grössten Ent-
fernung zur Vereinigung gebracht werden.
Um diese Form des Astigmatismus richtig aufzufassen, ist es gut, den Gang
der Lichtstrahleji im dioptrischen Apparate einer näheren Betrachtung zu unter-
ziehen. Ist die Brechnung im verticalen Hauptschnitte eine wmaswuaZe, im Aoj'KontaZen
eine minimale, so wird ein Strahlenbiindel, welches von einem in der verlängerten
optischen Axe gelegenen Lichtpunkte auf die Cornea trifi"t, nach seinem Durch-
tritte durch die Pupille und die Linse nicht mehr einen kr eis förmigen Durchschnitt
geben, sondern auf einen die optische Axe unter rechtem Winkel schneidenden
Schirme ein elliptisches Zerstreuungsbild entwerfen, dessen lange Axe horizontal
streicht und dessen Excentricität zimimmt, wenn der Schirm nacJi hielten weicht. In
einer gewissen Distanz werden dann die im verticalen Meridiane auf die Hornhaut
treffenden Strahlen sich vereinigen, während die übrigen noch convergiren, der Durch-
758 Anomal. A. Refr. u. Accom. ; Vorbegriffe; Brennlinien; Breunstrecken.
schnitt wird, da die Zerstreuungsbilder der noch convergirenden Sectoren des
Strahlenbündels sich sämmtlich in einer horizontalen Linie decken, eine loagrechte
Linie darstellen. Jenseits dieser Linie, der vorderen Brennlinie, divergiren die im
verticalen Hauptschnitte streichenden Strahlen bereits wieder, während die im hori-
zontalen Hauptschnitte gelegenen Strahlen noch convergiren, das Zerstreuungsbild
auf dem Schirme stellt wieder eine liegende Ellipse dar, deren Excentricität aber
ahnimmt, wenn der Schirm nach hinten rückt, und an einer gewissen Stelle end-
lich Nidl wird, so dass das Zerstreuungsbild also die Kreisform gewinnt. Es ist
dieses zugleich der Ort, an welchem die Strahlen verhältnissmässig die grösste Con-
centration erleiden, daher er auch mit einigem Rechte als mittlere Brennweite
oder beziehungsweise mittlere Vereinigungstveiie bezeichnet werden kann. Jenseits
dieser Stelle geht die Zerstreuungsfigur wieder in eine Ellipse über, deren lange
Axe aber lotlirecht steht und deren Excentricität loäclist, wenn der Schirm nach
hinten weicht, bis endlich die im horizontalen Hauptschnitte sireichenden Strahlen
zur Vereinigung kommen und der senkrechte Durchschnitt des Strahlenbündels, wegen
gegenseitiger Deckimg der im verticalen und in den schrägen Meridianebenen ge-
Isrochenen Sectoren, eine lothrechle Linie (die hintere Brennlinie) darstellt, lieber
diese Linie hinaus wird die Zerstreuungsfigur abermals eine Ellipse mit lothrechter
langer Axe (Knapp, DondersJ.
Ein genaueres Eingehen in die Refractionsverhältnisse des dioptrischen Appa-
rates ergibt, dass nur die Brennpunkte der in beiden Hauptschnitten gebrocheneu
Strahlen in die optische Axe fallen; dass dagegen die Brennpunkte der übrigen
Strahlen in einer windschiefen Fläche liegen, welche die beiden Brennlinien mit ein-
ander verbindet. Weiters lehrt es, dass die Länge der vorderen Brennlinie zur Länge
der hinteren sich verhalte, wie die Brennweite des stärker gekrümmten Haupt-
schnittes zur Brennweite des schwächer gekrümmten, dass also die vordere Brenn-
linie kürzer, als die hintere sei. Endlich geht daraus hervor, dass der kreisförmige
Querschnitt, also der Ort der grössten Concentration des im dioptrischen Apparate
gebrochenen homocentrischen Strahlenbündels, der vorderen Brennlhiie näher und
zwar um so näher liege, je grösser die Differenz der beiden Brennlinien ist (K^iapp,
DondersJ.
Streng genommen sollte man also nicht von einer Brennweite des
dioptrischen Apparates, sondern immer nur von einer Brennstrecke sprechen,
deren T^änge im concreten Falle gleich ist dem Unterschiede der Brennweiten
der beiden Hauptschnitte, also im Verhältnisse zur KrümmungsdifFerenz der
letzteren wächst und abnimmt; höchstens könnte man als Brennweite eine
Stelle innerhalb der Brennsfrecke anerkennen, an welcher die Strahlen die
grösste Concentration erleiden und welche der vorderen Grenze der Brenn-
strecke näher als der hinteren liegt {Knapp). In der ßegel jedoch sind
die Unterschiede der Brennweite beider Hauptschnitte sehr gering , daher
man sie bei der Darstellung der Refractionsverhältnisse füglich vernach-
lässigen und eine gemeinschaftliche Brennweite für homocentrisches Licht
voraussetzen kann.
In der That ist die Abweichung der in verschiedenen Meridianebenen
des Auges gebrochenen Strahlen gewöhnlich viel zu gering, als dass sie das
scharfe Sehen beeinträchtigen könnte, es bedarf genauer Experimente, um
selbe deutlich nachweisen zu können. Man findet dann in Uebereinstim-
mung mit dem Mitgetheilten, dass die meisten Menschen verticale Linien
und einen durch eine horizontale stenopäische Spalte betrachteten Lichtpunkt
in grösserer Distanz, horizontale Linien und einen durch eine verticale steno-
päische Spalte betrachteten Lichtpunkt in kürzerer Distanz scharf sehen;
dass sie weiters einen Lichtpunkt in horizontaler oder verticaler Richtung
verzogen sehen, je nachdem dessen wirkliche oder, bei Benützung von Brillen-
gläsern, scheinbare Entfernung um ein Gewisses zu- oder abnimmt, wobei
Unregelmässiger Astigmatismus; Monociil. Diplopie n. Polyopie; Lichtempfind. Stratum. 759
natürlich immer vorausgesetzt wird, dass die Einstellung des dioptrischen
Apparates unverändert dieselbe bleibe.
7. Die Krümmungsunregelmässigkeiten der einzelnen Linsensectoren
im Vereine mit der häufig ungenauen Ceutrirung der Haupttrennungsilächen
begründen monochromatische AbeiTationeii, welche im hohen Grade complicirt
sind und nicht nur Strahlen betrofTen, welche in verschiedenen Meridian-
ebenen des Auges gebrochen worden sind, sondern auch Strahlen, welche
in einem und demselben Meridiane auf die Cornea fielen. Es sind diese Ab-
weichungen, der unregelmüssige Astigmatismus, in Uebereinstimmung mit der
Geringfügigkeit der genannten Formmängel und entsprechend dem relativ
schwächeren Brechungsvermögen des Krystalles, unter normalen Verhält-
nissen noch weniger störend, als jene, welche durch den asymmetrischen
Bau der Hornhaut begründet werden, treten jedoch unter gewissen Um-
ständen sehr deutlich hervor. Die sternförmige Zerstreuungsfigur , in welcher
hell leuchtende punktförmige Objecte, die Sterne und selbst entfernte kleine
Flammen, wahrgenommen werden, so wie die monoculare Verdoppelung
und Vervielfältigung der Bilder (Diplopia und Polyopia monocularis H. Meyer)
beruhen darauf, wie daraus hervorgeht, dass diese Erscheinungen bei Apha-
kie fehlen (Donders), keineswegs aber verschwinden, wenn der Brechwerth
der Hornhaut durch Eintauchen des Auges in Wasser auf N'uU gesetzt
wird (Young).
Es macht sich der normale nnregelmässige Astigmatismus am auffälligsten
geltend, wenn ein von der Umgebung stark abstechender, hell leuchtender oder
dunkler Punkt aus Entfernungen betrachtet wird, für welche das Auge nicht ein-
gestellt werden kann, zumal wenn gleichzeitig die Pupille erweitert ist. Ein stark
leuchtender Punkt zeigt sich dann stets in Gestalt eines verzogenen strahligen Sternes,
dessen grösster Durchmesser sich dem verticalen oder horizontalen Meridiane nähert,
je nachdem das Object jenseits oder diesseits der deutliclien Sehweite des Auges ge-
legen ist. Bei minder hellen oder dunklen punktförmigen Objecten werden nur die
gesättigtsten Theile der Zerstreuungsfigur wahrgenommen, diese zerfällt daher in eine
Anzahl gesonderter Bilder. Die gleiche Ursache liegt auch der Verdoppelung und
Vervielfältigung von Linien, der Mondsichelhörner u. s. w. zu Grunde (Helmholtz,
Donders).
8. Das lichtempfindende Stratum der Netzhaut besteht aus einer
Unzahl von einfachen Elementen, Zapfen und Stäben, welche mosaikartig
aneinander gedrängt stehen und ihre Grundfläche der inneren Oberfläche
der Retina zukehren. Ihre Wände spiegeln, sie werfen alle schief auf-
fallenden Lichtstrahlen in das Innere der Elemente zurück iind hindern
so, dass die Lichtstrahlen aus einem Elemente in das andere übertreten
(Brücke).
Jeder einzelne Stab und Zapfen kann seiner elementaren Einfachheit
halber nur den gemischten Totaleindruck sämmtlicher Lichtstrahlen, welche
ihn jeweilig treffen, zur Wahrnehmung bringen ; eine Sonderung der einzelnen
gleichzeitigen Eindrücke ist in einem einfachen Elemente kaum denkbar ;
ja die Stäbe können, da immer mehrere derselben durch einen einfachen
Nervenfaden mit dem Gehirne zusammenhängen, höchst wahrscheinlich
nicht einmal ihre Einzelneindrücke scheiden, sondern führen gruppenweise
einen aus sämmtlichen Theileindrücken gemischten Totaleindruck dem Gehirne zu.
Insoferne jedes einzelne lichtempfindende Element der Netzhaut unter
normalen Verhältnissen eine ganz unabänderliche Lage zum optischen Mittel-
punkte des Auges behauptet, kann es, die richtige Einstellung des Brech-
760 Aiiom. d. Refr. «. Accoin.; Vorbegriffe ; Lichtempflnd. Stratum; Riclituugslinien.
apparates vorausgesetzt, immer nur von directen Strahlen getroffen werden,
welche aus einer gewissen Aichung des Gesichtsfeldes divergiren. Es gilt
nämlich für das Auge annähernd genau, was für einfache sphärische
Linsen Gesetz ist, nämlich dass die einzelnen Objecfpunlcte und die zuge-
hörigen Bildpwikte auf geraden Linien liegen, welche das Linseneentrum
schneiden. Was bei einfachen Linsen Axe und Hauptstrahl heisst, wird
mit Rücksicht auf das Auge Gesichtslinie und Richtungslinie oder Richtungs-
strahl geheissen.
Genau genommen wird die Lage des Netzhautbildpunktes durch zwei Linien
bestimmt, deren eine vom Objectpuukte zum vorderen Knotenpunkte zieht, die andere
jjarallel zur ersteren vom hinteren Knotenpunkte auf die Netzhaut geführt wird
(Listing). Da aber beide Knotenpunkte ziemlich nahe an einander liegen, kann
man beide ohne erheblichen Fehler als zusammenfallend betrachten. Dieser einfach
gedachte Knotenpunkt ist ni\n der optische Mittelpunkt des Auges und der Kreuzungs-
punkt der Richtungslinien,
Richtungslinien und Sehrichtungen sind ganz verschiedene Begriffe. Erstere
beziehen sich auf den Gang der ohjectiven Lichtstrahlen und können auch Lichtlinien
genannt werden. Sie bestimmen durch ihre Richtung, auf die Gesichtslinie bezogen,
die gegenseitige Lage des Objectpunktes und Bildpunktes im monocidaren Gesichts-
felde und auf der Netzhautfläche. Die Sehrichtungen hingegen deuten auf den Ort
im absoluten Räume, nach welchem hin die Netzhäute die Eindrücke ihrer em-
pfindenden Elemente versetzen. Richtungslinien und Sehrichtungen können niemals
zusammenfallen, dagegen aber um ein Bedeutendes von einander abweichen (Siehe
Muskeln).
Da die Zapfen und Stabgruppen der Aussenwelt nicht sowohl Punkte,
als vielmehr Flächen zukehren, so ist es klar, dass jedem einzelnen Ele-
mente oder Elementencomplexe nicht ein Punkt, sondern ein seiner Grund-
fläche proportionirter aliquoter Theil des Gesichtsfeldes zugehöre, dass dem-
nach das Gesichtsfeld in eben so viele Theile zerfalle, als es in der Netzhaut
Stäbegruppen und Zapfen gibt. Die relative Grösse dieser Theile oder Aichungen
des Gesichtsfeldes steht im Verhältnisse zur Grundfläche der zugehörigen Ele-
mente. Im Centrum des Sehfeldes sind sie kleiner, da die Grundfläche der
Zapfen sich daselbst um ein sehr Bedeutendes vermindert und die Stäbe
gänzlich fehlen. Die absolute Ausdehnung der Aichungen jedoch steht im
Verhältnisse zur Grösse des ganzen Gesichtsfeldes, also auch zur Länge der
auf seine Begrenzungsfläche gezogenen Richtungslinien.
Es ergibt sich hieraus unmittelbar, dass zwischen den optischen Quali-
täten der objectiven Netzhautbilder und den subjectiv wahrgenommenen
optischen Eigenschaften der entsprechenden Gegenstände ein grosser Unter-
schied besteht. Während nämlich das TSTetzhautbild die Oberfläche des
Objectes bis in das feinste Detail wiedergibt, indem einem jeden Punkte
der letzteren ein Punkt des ersteren entspricht : wird nicht jeder Punkt des
Netzhautbildes für sich und gesondert empfunden, sondern es werden nur
so viele und nicht mehr gesonderte Theilwahr nehmungen vermittelt, als Zapfen
und Stabgruppen von dem Netzhautbilde bedeckt werden. Folgerecht hängt
die Feinheit des wahrgenommenen Details eines bestimmten Objectes einer-
seits von der relativen Grösse des Netzhauthildes oder des Gesichtswinkels
ab, unter welchem das Object gesehen wird ; es muss das Object dem Auge
also um so näher gerückt werden, je feiner das Detail ist, welches zur
Wahrnehmung gebracht werden soll. Andererseits ist auch der Ort, auf
welchem das Netzhautbild entworfen wird, von grösstem Einflüsse. Im
Centrum der Retina, wo blos Zapfen die äusseren Eindrücke aufnehmen,
1
Indirectes Sehen; Sehscliarfe u. deren Messung, 7fil
ist die Fähigkoii, Theilwalirnehmunffen zu sondern, am grössten; daher Objcu;-
ten, welche mögUch.st genau gesehen wcfdeii wollen, immer die Mitte der
Retina, die Stelle des ,,directen Sehens^' zugewendet werden rauss. Gegen
die Peripherie hin nimmt diese Fähigkeit der Netzhaut, entsprechend der
Verminderung der Zapfen und der Vergrösserung der Grundflächen der
einzelnen Stabgruppen, sehr bedeutend ab und zwar rascher in verticaler als in
horizontaler Kichtung {Auhert, Förster) ; docli ist die Schärfe des „indirecten
Sehens" durch IJebung hebbar, Avährend sie durch Vernachlässigung sinkt
(Moser). Im Bereiche des Sehnerveneintrittes fehlen die licht empfindenden
Elemente ganz, daher denn auch eine au Grösse proportionirte Aicliung
des Gesichtsfeldes leer erscheint, aber wegen der untergeordneten Rolle,
welche die betreffende Stelle im Sehfelde spielt, unbeachtet bleibt (Woinow).
Gegen die Aniialime der Zapfen als Seheinheiten haben sich Bedenken er-
hoben, indem man ihre Grundflächen zu gross fand, als dass sie die erfahrungs-
massige Genauigkeit in der Sonderung von Einzelneindrücken erklären köimte
(Volkmann). Es genügt indessen der Durchmesser der Grundfläche, wie er neuer-
lich an den Zapfen der Fovea centralis gefunden worden ist (M. SchuUze, H. Mülle)',
Welke)-), vollkommen, um die gesonderte Wahrnehmung von Objecten, deren gegen-
seitiger Abstand nahe an 60 Secunden beträgt, zu ermöglichen [Hehnholtz, Berg-
mann), besonders wenn es sich bestätigt, dass das Gesichtsfeld der Macula lutea
lückenhaft ist (Hensen).
Die Sehschärfe oder das Mass der Fähigkeit, Einzelneindrücke ge-
sondert zur Wahrnehmung zu bringen, ist übrigens nicht in allen Fällen
eine gleich grosse. Der zur Trennung erforderliche Gesichtswinkel schwankt
vielmehr schon in normalen Augen merklich und bei krankhaften Zuständen
wird der Unterschied häufig ein sehr bedeutender.
Es knüpft sich an diese Aenderungen ein hohes praktisches Interesse, daher
man schon seit Längerem nach Behelfen geforscht hat, um den fraglichen Winkel
in jedem Falle leicht messen und so das Verhältniss der vorhandenen centralen Seh-
schärfe zu einem angenommenen normalen Werthe durch Zahlen ausdrücken zu
können. Für praktische Zwecke reichen Schriftprohen aus. Da es sich bei diesen
immer nur um kleine Winkel handelt, gibt die Höhe der Buchstaben, getheilt durch
den grössten Abstand, in welchem dieselben noch deutlich erkannt werden, ziemlich
genau die Tangente des gesuchten Winkels. Im Allgemeinen lassen sich nun
5 Minuten als der kleinste Gesichtswinkel betrachten, unter welchem eine Druck-
schrift noch geläufig gelesen werden kann. Man pflegt darum 5 Minuten als den
Normalicinkel anzusehen und die Sehschärfe auszudrücken durch das Verhältniss des
grössten Abstandes, in welchem Buchstaben von gewisser Höhe deutlich gesehen
werden, zu dem Abstände, in welchem dieselben Buchstaben sich unter dem Normal-
winkel von 5 Minuten zeigen (Snellen). Um den Rechnungsoperationen zu ent-
gehen, welche beim Gebrauche heliehiger Drucksorten nothwendig werden und auch,
um immer möglichst durchsichtige Werthe für die Sehschärfe zu gewinnen, hat man
eigene Schriftprolen angefertigt, deren kleinste bei einer Höhe h von O.jog'" Pariser
Mass auf eine Entfernung d von 1 Pariser Fuss = 144'" einen Winkel von
5 Minuten ergibt, jede folgende aber ein Vielfaches dieser Normalhöhe misst. Der
Vergrösserungscoefftcient ist als Nummer jeder einzelnen Probe vorgesetzt, gibt gleich-
zeitig also auch die Anzahl Pariser Fusse an, auf welche das Object vom Auge ent-
fernt werden muss, auf dass es unter dem Norraalwinkel von ö Minuten erscheine.
Ein normalsichtiges Auge soll daher die Proben 1, 2, .3, n, auf 1, 2, 3, n Paris. Fuss
Distanz deutlich erkennen, indem ~r tA ^-^ ^—3 = tang. 5' ist. Fände sich bei
dem Versuche, dass ein Auge auf 2d nicht 2h, sondern blos 4/i und auf ^d blos
8 h deutlich sieht, so wäre offenbar —-r --, := 2 tang. 5'; der erforderliche Gesichts-
winkel überstiege das Normale um das Doppelte, die Sehschärfe wäre demnach auf
die Hälfte gesunken (Snellen).
Es hat diese Methode offenbar etwas überaus Bequemes. Doch liefert sie
keineswegs Werthe, welche auf grosse Schärfe Anspruch erheben können. Es ist
762 Anomal, der Eefr. u. Accom.; Vorbegriffe; Messung der Sehschärfe.
nämlich der Normalwinkel von 5 Minuten für Individuen unter 25 Jahren etwas zu
gros.s gewählt ( F)'oe607iiJ. Durch Verkleinerung desselben und durch gleichmässigere
Vertheilung der Schattenstriche nnd leeren Zwischenräume (Giraud Teulon) wird
die Messung wohl genauer, bleibt aber immer noch unsicher. Es hat nämlich schon
die Beleuchtung des Gesichtsfeldes, ja sogar die QualWdt künstlicher Beleuchtungs'
Stoffe (Heymann , Sussdo7-fJ einen sehr bedeutenden Einfluss auf die Uuter-
suchungsergebnisse , so dass dasselbe Auge unter einigermassen verschiedenen
äusseren Verhältnissen recht grosse Unterschiede in der Sehschärfe nachweisen
kann. Auch kömmt die grössere oder geringere Uehung im Lesen in Betracht. Sie
ist insoferne ein sehr störendes Moment, als sie Vielen es möglich macht, Buch-
staben auch bei wenig deutlicher Wahrnehmung aus den Schattenumrissen zu erkennen.
Endlich sind die für die Sehschärfe gefundenen Zahlenwertlie keine solchen, welche
Rechnungsoperationen ertragen, ohne ihre Giltigkeit zu verlieren. Es ist nämlich
eine gefundene Sehschärfe ^ "^ -g- durchaus nicht gleich -,-, indem Augen, welche
auf die 20fache Normalentfernung eine Schriftprobe von lOfacher Normalhöhe er-
kennen, keineswegs nothwendig 2A auf d, 4/t auf 2d n. s. w. deutlich sehen und
umgekehrt. Die in den meisten Büchern angeführten Werthe der Sehschärfe geben
daher keineswegs einen Einblick in die wirklieh vorhandenen Verhältnisse, auch
wenn man davon absieht, dass die jeweilige Beleuchtungsintensität des Gesichtsfeldes
und anderer einflussreicher Nebenmomente dabei ganz vernachlässigt sind. Um ein
einigermassen zutreffendes Bild von der Sehschärfe des Netzhautcentrums zu ent-
werfen, muss jede Reduction des Bruches gemieden werden.
Den Besitzern der Jaeger'sclien Schi-iftscalen möge zur Richtschnur dienen,
dass Nr. I auf 14", II auf 19", III auf 28'"', IV auf 33", V auf 35", VI auf 38",
VII auf 4', VIII auf 4-5', IX u. X auf circa 5', XI auf 55', XII auf 6-75', XIII
auf 7-5', XIV auf 10', XV auf 13-5', XVI auf 17o', XVII auf 24', XVIII auf 30',
XIX auf 37' und XX auf 44' Distanz unter einem Winkel von 5 Minuten er-
scheint (Zehender).
Sehproben mit mannigfaltig gruppirten Punkten sowie mit parallelen Strichen
(Biirchardt) sind zur Ermittelung der Sehschärfe iceniger tauglich, da dieselben
vermöge der Einfachheit der Objecte leicht unter einem viel geringeren Gesichts-
winkel als 5 Minuten erkannt werden.
Die Bemessung der Sehschärfe soll immer mit freiem Auge vorgenommen
werden. Ist das zu untersuchende Auge mit einem Concav- oder Convexglase be-
icaffnet, so muss der Vergrösserungs-, beziehungsweise der Verkleinerungscoefficient
mit in Rechnung gebracht werden. Es ist der Letztere für Convexgläser —^ , für
Concavgläser —j—, wo v die Vereinigungsweite bezüglich des Glases und c den
Ahstand desselben vom optischen Mittelpunkte des Auges bedeutet. Es ist dieser
Coefficient bei starken Gläsern, wie die Formel angibt, von hoher Bedeutung für
die Netzhautbildgrösse und fällt darum auch bei der Ermittlung der Sehschärfe
sehr in's Gewicht (Woinow).
9. Es ist klar, dass nahezu scharfe Bilder auf der vorderen Fläche der
Stabschichte entworfen werden müssen, wenn die zugehörigen Objecte in
ihren Umrissen und in ihrem Detail deutlich wahrgenommen werden sollen.
Fallen nämlich Zerstreuungskreise von einigem Durchmesser auf jene Fläche,
so wird das aus jeder einzelnen Aichung des Gesichtsfeldes zum Auge ge-
langende Licht auf eine grössere oder geringere Anzahl von Zapfen und
Stabgruppen vertheilt, umgekehrt aber jeder Zapfen und jede Stabgruppe
von Licht aus verschiedenen Aichungen des Gesichtsfeldes getroffen und sonach
das Detail der Objecte auch in der Wahrnehmung vermischt. Es werden
daher die wahrgenommenen Bilder undeutlich und dieses zwar im Verhält-
nisse zur Grösse der Zerstreuungskreise, also im Verhältnisse zur Grösse der
Pupille und zur Grösse des Abstandes der Bilder von der vorderen Fläche
der Stabschichte oder zur Grösse der „Differenz der hinteren Vereinigungsweite".
Immerhin müssen die Zerstreuungskreise einen gewissen Durchmesser erreichen,
soll das Bild eip undeutliches werden. Sehr kleine Zerstreuungskreise beeinflussen
Accoramoclationslinien ; Verarbeitung der Zerstremingslfreise ; Fern- u. Nahepunkt. 763
die Deutlichkeit der Wahnielunungcn nur in f!elir geringem, fast unmerklichen Grade,
da sie zu wenig Licht aus den einzelnen Aiclmn<;-en des Gesichtsfeldes auf die den
nachbarlichen Aichuni;-en zuf^ehörif^'en Elemente der Netzhaut werfen, als dass da-
durch die Qualität der von den einzelnen Zajjfen und Htabgruppen gewonnenen
Theilwahrnehvmngen wesentlich alterirt werden könnte. Es folgt daraus, dass, wenn
der dioptrische Apparat für eine gewisse Entfernung eingestellt ist und bleiht, das
Obj(?ct innerhalb gewisser bestimmter Grenzen seine Entfernung ivechseln könne,
ohne dass die Wahrnehmungen merJdich an Deutlichkeit verlieren; dass das Auge
sonach niemals für eine einzige Distanz eingestellt sei, sondern für eine Distanz-
differenz, welche man Accomviodationslinie nennt und deren Grösse im umgekehrten
Verhältnisse zur jeweiligen Brennweite des dioptrischen Apparates und zum Durch-
messer der Pujnlle zu- und abnimmt (C^:ermak). Auch erklärt sich daraus, dass die
ellipsoidische Gestaltung der Haupttreinuingsflächcn in der Kegel das Scharfsehen nicht
beirrt, dass der Astigmatismus nur dann störend hervortritt, wenn der Unterschied in
den Refractionszuständen beider Hauptschnitte oder der P^i.pillendurchmesser eine
gewisse Grösse erreicht.
Andererseits kann die Undeutlichkeit unter sonst normalen Verhältnissen
niemals eine ganz absolute werden, indem die Grösse der Zerstreuungskreise nur
innerhalb verhältnissmässig enger Grenzen wandelbar ist. Wenn nämlich auch
das Object bis in die vordere Brennweite der Cornea, also in eine Distanz von
ivenigen Linien ans Auge heranrückte, so dass die ^inxMew parallel in das Kam-
merwasser ausführen, so würden die letzteren durch die Linse dennoch in einer
Entfernung von etwas mehr als einem Zolle hinter der Netzhaut zur Vereinigung
gebracht. Der Durchmesser der Zerstreuungskreise erreicht unter gewöhnlichen Ver-
hältnissen in Folge dessen kaum jemals die Grösse des Pupillendurchmessers. Daher
kömmt es, dass trotz ganz unrichtigen Einstellungen des lichtbrechenden Apparates
grössere Objecte immer noch nach ihren Hauptumrissen und in ihren gröberen
Theilen erkannt werden können , dass ihre Grenzen nur mehr oder weniger ver-
waschen erscheinen.
Selbstverständlich lassen sich diese Fehler einigerniassen verbessern durch Ver-
engerimg der Pupille oder der Lidspalte, so vvie durch Benützung eines Schirmes mit
enger Oeffnung. Ausserdem kömmt noch ein anderes physiologisches Moment in Rech-
nung, nämlich die Fähigkeit, Zerstreuungskreise zu verarheiten, d. i., aus verschwommenen
Bildern die ivahre Gestalt der Objecte durch Urthcil zu construiren. Es ist diese
Fähigkeit in verschiedenen Augen verschieden gross und kann durch Uebung bis zu
einem sehr hohen Grade gesteigert werden (Graefe). Immerhin jedoch bleiben dieses
NothbeheJfe, welche nicht zureichen, um in allen Fällen bestimmte und deutliche
Wahrnehmungen kleiner Objecte und des feineren Details grösserer Gegenstände zu
ermöglichen.
10. Die Fähigkeit des Auges, in wrsoÄzerZeMe Entfernungen scharf und
deutlich zu sehen, sezt das Vermögen voraus, die Brennweite des dioptrischen
Apparates innerhalb gewisser Grenzen willkürlich zu verkürzen und wieder
auf das frühere Mass zu verlängern, solchermassen also die aus dem
Wechsel der Objectsdi stanzen erwachsenden Differenzen der hinteren Ver-
einigungsweite auszugleichen. Man nennt dieses Vermögen des Aitges,
seinen dioptrischen Apparat je nach Bedarf für verschiedene Entfernungen
einzustellen, das Accommodations- oder Adaptionsvermögen.
Die Entfernung, für welche das Auge bei völliger Entspannung des
Accommodationsmuskels eingestellt ist, heisst der Fempunktahstand und dessen
reciproker Werth bezeichnet den natürlichen oder minimalen Brech- oder
Refractionszustand. Die Entfernung hingegen, für welche der lichtbre-
chende Apparat durch das Maximum der möglichen Accommodationsanstren-
gung eingestellt wird, ist der Nahepimktah stand. Der Fernpunkt und der
Nahepunkt selbst sind Punkte der verlängerten Gesichtslinie und bilden
die Grenze der deutlichen Sehweite. Die Differenz der reciproken Werthe
des Fern- und Nahepunktabstandes wird Accommodationshreite oder Accommo-
dationsaequivalent (Donders^ genannt.
764 Anomal, tl. Ki'tV. u. Acuom.; VorbegritVe ; Refractioiiszustiinde ; Suhematisches Auge.
Mail wird sich das Verständui.ss dieser Verhältnisse durch Schematisirung
des Auges erleichtern. Es sei (Fig. 97) eine Kugelfläche 11 H mit dem Radius r r
Fig. 97.
und der Axe A A die Treunungsfläche zweier brechender Medien, deren ersteres
die Luft ist, das zweite aber einen Brechungsexponenten besitzt, welcher die
Ablenkung der auf jene Kugelfläche auffallenden Lichtstrahlen jener im gesammten
dioptrischen Apparate gleich macht. Es gilt für jeden beliebigen auffallenden Strahl
xm, ym, zm das allgemeine Brechungsgesetz sin. ol = n. sin. ß, wo a den Einfalls-
ivinkel und ß den Brechungswinkel bedeutet. Da zum Scharfsehen äusserer Objecte
die Vereinigung jedes einzelnen homocentrischen Lichtbündels auf der Netzhaut
R R erforderlich und die Länge der Bulbusaxe h c, also auch die Grösse des
Winkels ß, für jedes Auge eine bestimmte ist: so liegt es auf der Hand, dass in
obiger Gleichung n im Verhältnisse zur Grösse des Sinus des Einfallswinkels
wachsen und fallen müsse, dass dieser Sinus demnach einen Massstab für den
Brechungs- oder Refractionszustand N :^ n. sin. ß, welcher zur Vereinigung homo-
centrischer Lichtbündel auf der Netzhaut erforderlich ist, liefert.
Geht man von dem Einfallswinkel y = p paralleler Strahlen y m als dem
Normale aus und setzt man y:=0, daher -sin. Y=0, so erscheint in obiger Gleichung
auch ?i=0. Fallen dann divergente Stralileii x m auf die Kugelfläche , wird also
der Einfallswinkel x vi r grösser als 0, so muss selbstverständlich auch der Sinus
dieses Winkels und das n jener Gleicliung grösser als 0 werden, der erforderliche
Refractionszustand N erscheint jiositiv und um so grösser, je näher die Lichtquelle
X an das Auge heranrückt. Treffen dagegen convergente Strahlen z m auf die
Kugelfläche, sinkt also der Einfallswinkel z vi r unter 0, so wird sein Sinus und
damit auch das n der Gleichung kleiner als 0, der erforderliche Refractionszustand
N wird negativ und erreicht einen um so bedeutenderen negativen Werth, je viehr
die Strahlen convergiren, je 7i'dher also ihr Zielpunkt g an den optischen Mittel-
punkt des Systemes heranrückt.
Man sieht deutlich aus dem Vorhergehenden, dass der erforderliche Re-
fractionszustand jV, so wie n, eigentlich von den beiden Winkeln [j. und v bestimmt
wird und dass N, wenn man y ^ 0 setzt, auch durch sin. \j. und sin. v ausgedrückt
werden könne. Es ist nun wegen dem Parallelismus von yy und AA der Winkel
[i. = 0 und V =r w. Der Refractionszustand N findet unter gleichen Voraus-
setzungen daher auch seinen Ausdruck in dem Sinus des Centriioinkels, welchen
der betreffende Strahl mit der optischen Axe A A einschliesst. Es ist nun, da es
sich wohl immer um sehr kleine Centriwinkel handelt, xvi = xs und gvi = gs
zu setzen, ohne dass damit ein wesentlicher Fehler in die Rechnung gebracht
würde. Nimmt man im schematischen Auge vis als Längenmasseinheit im Werthe
einer Linie, eines Zolles, eines Centimeters u. s. w. an, so erscheint der Sinus
jenes Difi'erenzwinkels und folglich auch iV gleich devi reciproken Werthe des posi-
tiven oder negativen Ab.^fandes der Lichtquelle.
Durch die Accommodationsthätigkeit wird der Refractionszustand des Auges
N vermehrt, indem vermöge der Convexitätszunahme der Linse der Brechwerth
AcfiiiiLmodatiiiiisbreitL' ; Ai-ctPiiinKHbition.smintini ; Eiiistellungsweithc. 765
des gesamniteu Systomes erhölit wird. Dies auf das scliematische Auge bezof^en
ergibt eine Vergrösserung von n und damit aucli des sin. a. Insofern das Accom-
modationsvermögen ein heschrünktes ist, wird selbstverständlich auch der sm. a. nur
innerhalb gewisser Grenzen schwanken können. Der Unterschied zwischen dem
Sinus des kleinsten und des grössten Einfallswinkels oder, was dasselbe ist, die
Differenz zwischen dem minimalen und dem maximaJen Refractioiuznstande oder
zwischen den recijjvolcen Werthen des Fern- und NalLepunklah Standes ist nun das, was
man Accommodationshreite nennt.
Die Accommodationsbreite botrüg-t in normal funktionirenden Augen
jugendlicher Individuen häufig über -^, fast -^ und selbst mehr, im frühen
Mannesalter etwa -,- und sinkt im Greisenalter tief unter diesen VVerth.
5
Ist in einem Falle der F er npunldah stand F bestimmt, so lässt sich
mit Hilfe der Accommodationsbreite der Nahepunldahstand P und umgekehrt
schätzen. Der minimale Refractionszustand mehr der Accommodationsbreite
gibt den maximalen Refractionszustand und dieser iveniger der Accommoda-
tionsbreite den minimalen.
Derselben Accommodationsbreite entspricht selbstverständlich eine ver-
schiedene Länge und Lage der deutlichen Sehweite. Es wird die letztere um
so länger, je mehr sich der minimale Refractionszustand in positiver oder
negativer Richtung der Null nähert und je grösser die Accommodations-
breite selbst ist.
Im Folgenden sind von der Linken zur Eechten wachsende viinimale Re-
fractionszustände zusammengestellt und unter jedem derselben der zugehörige maxi-
viale Refractionswerth, welcher sich unter der Voraussetzung einer Accommodations-
breite — ergibt, gesetzt. Der Nenner des in der oberen Zeile stehenden Bruches
gibt den Fernpunktabstand, der Nenner des darunter stehenden Bruches den zuge-
hörigen Nahepunktabstand.
1
1
1
1
1
1
1
1
1
1
1
1
1
1
1
2
T
4
5"
10
20
40
QO
40
20
10
5
~ T
y
^ 2
1
1-42
1
1-87
1
2-2
1
2-5
1
3-3
1
T
1
4-4
1
5
1
1
6i56
1
10
1
0^"
1
20
1
~ 7^
1
3-3
Für jeden innerhalb der deutlichen Sehweite gelegenen Punkt vermag
sich das Auge einzustellen und zwar gibt der reciproke Werth des posi-
tiven oder negativen Abstandes dieses Punktes den erforderlichen Refrac-
tionszustand oder absoluten Finstellungswerth. Der Accommodationswerth oder
der relative Einstellungswerth wird selbstverständlich in verschiedenen Augen
ein verschiedener sein, je nach der Grösse des minimalen Refractiouszu-
standes und kann durch die Differenz des letzteren und des absoluten Ein-
stellungswerthes ausgedrückt werden.
Die folgende Tabelle gibt in der ersten Zeile eine Reihe von minimalen
Refractionszuständen li, in der zweiten und dritten Zeile die zugehörigen relativen
Einstellungen für Distanzen D = 20 und Z) = 10 Masseinheiten.
R -
1
1
iö
1
20
1
^ 40
1
~ ¥o
1
+
1
60
1
+ 40-
1
-^ Yo"
1
+ 10
-T
~ für D = 20
e
1
4
1
1
1
W-33
1
T5
1
Yo"
1
30
1
40
H
■}•)
11
-^ für D = 10
e
1
3-33
1
5
1
6-66
1
8
1
8-58
I
10
1
12"
1
13-33^
1
20
0
V
Es ist übrigens klar, dass eine gleiche relative Einstellung unter sonst
gleichen Umständen sehr verschiedene Accommodationsanstrengungen ei'fordern
766 Anomal, d. Refr. u. Accom. ; Vorbegriffe ; Accommodationsqnoten.
werde je nach der Grösse der Accommodationshreite ; dass also nicht sowohl
die relative Einstellung als solche, als vielmehr die für eine gewisse Ob-
jectsdistanz nöthige Äccommodationsquote das Mass der individuellen Leistung
bestimme. Es ist aber die für eine bestimmte Objectsdistanz aufzuwen-
dende Äccommodationsquote um so grösser, je kleiner die Accommodations-
hreite und je Meiner der minimale Refractionszustand des betreffenden
Auges ist.
Die für eine hestimmte absolute Einstellung erforderliche Äccommodationsquote
q lässt sich nämlich ausdrücken durch einen Bruch, dessen Zähler die relative
Einstellung , der Nenner die verfügbare Accommodationsbreite ist; denn es ver-
hält sich oft'enbar
— : q = — : 1 iind es ist q = — .
e ^ a ^ e
Aus diesem Ausdrucke ergibt sich unmittelbar, dass die für eine bestimmte
absolute Einstellung nothvvendige Äccommodationsquote mit dem Nenner der Accom-
modationsbreite in geradem und mit dem Nenner des relativen Einstellungswerthes
in umgekehrtem Verhältnisse wachse und falle. Behufs einer Einstellung für eine
Entfernung von 10 Masseinheiten würden Augen, deren Accommodationsbreite
— oder — ist, bei einem minimalen Refractionszustande von — — , — , — eine
Äccommodationsquote von — , ^, -55 oder beziehungsweise von - ■> 7^> "5^ ^^^'
wenden müssen.
1 1 . Der Wechsel in dem Einstellungswerthe des dioptrischen Apparates
wird lediglich durch Krümmungsver'dndernngen der Linse bedingt (Cramer,
Helmholtz). Die bewegenden Factoren sind der Ciliarmuskel und die dem
Krystalle bei unverletzter Kapsel innewohnende hochgradige Elasticit'dt.
Berücksichtigt man die Beschränkungen des Accommodationsvermögens, welche
sich bei ausgebreiteten hinteren Synechien des Pupillarrandes und nach Iridec-
tomien geltend zu machen pflegen, so kann man der Regenbogenhaut eine beihelfende
Wiikung kaum absprechen. Vielleicht lässt sich diese aus der spannenden Wirkung
ableiten, welche das mit dem Corpus ciliare zusammenhängende Ligamentum pectinatum
auf den vorderen Theil der Zonula ausübt (Hensen, Voelckers, Heiberg). Anderer-
seits steht jedoch auch fest, dass die Iris nur in sehr untergeordnetem Masse be-
theiligt sein könne, da Fälle vorliegen, in welchen bei Gegebensein einer künst-
lichen Pupille (Graefe, Traiävetter), sowie nach traumatischem Verluste der ganzen
Iris (Graefe) und bei angeborenem Mangel der Regenbogenhaut (Secondi) das Ac-
commodationsvermögen erhalten war.
Die Art und Weise, in welcher der Ciliarmuskel eine seiner Kraftaustrengung
entsprechende Convexitätsvermehrung der Linse vermittelt , ist nicht ganz sicher-
gestellt. Die meisten und gewichtigsten Stimmen sprechen sich dahin aus , dass
der Linse vermöge ihrer grossen Elasticität das Streben innewohne, ihre Convexi-
täten unter Verkürzung des aequatorialen Durchmessers zu verstärken; dass sie
aber durch die Zonula abgeplattet erhalten werde, so lange der Ciliarmuskel in
Unthätigkeit verharrt. Sobald dann dieser Muskel sich Z2isammensieht , soll die Ora
serrata unter Zerrung der Chorioidea und Retina dem Linsengleicher genähert, das
Strahlenblättchen entsprechend dem Kraftaufvvande des Muskels entspannt und
sohin der Linse die Möglichkeit gegeben werden, ihrem Drange nach Convexitäts-
vermehrung zu folgen (Helmholtz). Die anatomische Vertheilung der weitaus überwie-
genden Zalil von Muskelbündeln (S. 308) ist dieser Anschauungsweise unzweifelhaft
günstig. Dazu kömmt, dass der Krystall bei theilweiser oder gänzlicher Trennung
V071 der Zonula und nach dem Tode, scheinbar unabhängig von der QueUung, die
Convexität seiner Oberflächen in einem weit höheren Grade verstärkt , als dieses
selbst beim Maximum der Accommodationsanstrengung im Leben geschieht. Auch
deuten gewisse subjective Erscheinungen , welche bei kräftigster Spannung des
Muskels und darauf folgendem plötzlichen Nachlassen seiner Thätigkeit im Dunkeln
beobachtet werden (Accommodation-iphosphene, Czermak) , daraufhin, dass bei der
Einstellung des Auges für die Nähe die vordere Zone der Netzhaut einer Zerrung
ausgesetzt werde. Endlich haben directe Versuche an lebenden Thieren (Völckers,
Accommodationstheorie ; Accommodationsnerve. 767
HensenJ Gründe für die Richtigkeit der ervväliutcii Hypothese geliefert. Doch liegt
eine grosse Schwierigkeit iu dem NacJnceise, dass ilie Linse während der liuhe des
Accommodationsinuskels wirklich diivdi die Zomila ahgeflacht werde. Durch blosse
Elasticit'ät kann das Stiahlenljlättchen kaum so Bedeutendes leisten; aucli wäre
die rasche Vernichtung dieser phi/nkalischen Eigenschaft nach dem Tode nicht
leicht zu erklären. Contractile Elemente aber von solcher Menge und Kraft, dass
sie nicht nur den Widerstand der Linse überbieten, sondern überdies noch eines
so massigen Muskels, wie der Ciliarmuskel ist, bedürfen, um in ihrer Wirksamkeit
neutralisirt werden zu können, sind bisher noch niclit gefunden worden.
Eine andere Meinung geht dahin, dass der Ciliarmuskel in Verbindung mit
dem Muskelapparate der Iris einen Druck auf den Rand der Linse auszuüben und
gleichzeitig das Strahlenblättchen zu erschlaft'en vermöge (H. Müller, Cocciufi). Es
stützt sich diese Hypothese vornehmlich auf das Zurückweichen der Irisperipherie
bei der Anpassung des Auges für die Nähe und auf den Bestand von Kreisfasern
im Ciliarmuskel. Eine unmittelbare Einwirkung der Strahlenfortsätze auf den Krystall
ist indessen unmöglich, da sich beide Theile nicht berühren (Arlt, O. Becker).
Uebrigens sind bei den Acconimodationsvorgängen allerdings Veränderungen in
dem Umfange und folgerecht auch in der relativen Stellung der Ciliarfortsätze
zum Linsenrande nachgewiesen worden. Allein directe Beobachtungen an den
Augen lebender Kakerlaken haben ergeben, dass diese Veränderungen lediglich
mit dem Wechsel der Pujjillenweite im Zusammenhange stehen und die an den
Volumsivechsel der Iris geknüpfte compensatorische Füllung und Entleerung der
Gefässe der Ciliarfortsätze zum Ausdrucke bringen. Dem entsprechend schicellen
denn auch die Ciliarfortsätze an und nähern sich mit ihren Köpfen dem Linsen-
rande, wenn das Sehloch beim Sehen in die Ferne oder wegen der Einwirkung
von Mydriaticis sich eriveitert; sie werden hingegen kleiner und ihre vorderen
kolbigen Enden treten weiter weg vom Liusenrande, wenn die Pupille bei der
Accommodation für die Nähe oder iu Folge der Einwirkung von Calaharpräparaten
sich vei'engert (0. Becker). Das Verhalten der Ciliarfortsätze bei Aenderungeu des
Refractionszustaudes ist demnach ein den Voraussetzungen jener Theorie geradezu
entgegengesetztes. Der Widerspruch wird schliesslich noch dadurch verstärkt, dass
die Verengerung der Pupille der Accommodation für die Nähe nicht gleichen
Schritt hält, sondern merklich nachschleppt; die Eriüeiterung des Sehloches hingegen
der Accommodation für die Ferne um ein Kleines vorausgeht (Donders, Arlt jun).
12. Der eigentliche und höchst wahrscheinlich ausschliessliche Accom-
modationsnerve ist der Oculomotorius (Donders, Trautvetter). Die oculopu-
pillaren Zweige des Sympathicus (S. 8) nehmen kaum einen directen Eintiuss
auf die Accommodationsbewegungen, wenigstens sind die letzteren bei perio-
discher spastischer Mj-driasis (Donders) und bei der an Ptosis sympathica
gebundenen paralytischen Myose völlig frei gefunden worden. Der Tri-
geminus verleiht der Iris das Empfindungsvermögen und wirkt auf die
Binnenmuskelu kaum anders als auf reflectorischem Wege, wobei die intra-
oculären Ganglien und der Ciliarknoten (Adamük) die Rolle der Centra
spielen. Auch der Ahducens ist entgegen früheren Behauptungen (Budge,
Graefe) bei der Accommodation für die Nähe nicht direct betheiligt.
Der Accommodationsnerve hat wahrscheinlich einen gesonderten Ge-
hirnursprung und verbindet sich erst in einiger Entfernung davon mit den
motorischen Nerven des Sphincter pupillae und der betreifenden äusseren
Augenmuskeln zu einem gemeinsamen »Stamme. Abgesehen von den Er-
gebnissen physiologischer Experimente (Adamük) sprechen dafür mehrere
Fälle, in welchen die Accommodation allein gelähmt erscliien, imd andere,
wo dieselbe bei completer Paralyse der die Augen bewegenden Muskeln
und des Pupillenschliessers völlig unbehindert war {Buete, Graefe).
Doch steht der Accommodationsnerv im innigsten functionellen Ver-
bände mit den 2;enannteu übrigen Zweigen des dritten Paares. Es lösen
nämlich Accommodatiousanstrengungen in der Regel eine Verengerung der
768 Anomal, d. Eefr. ti. Accomin. Vorbegrifl'e ; Coordinationsverhältnisse.
Pupille aus und sind immer mit dem Drange nach vermehrter Convergenz
verknüpft. Umgekehrt aber werden Convergenzsteigerungen der Gesichts-
linien behufs der Fixation von Gegenständen, welche in der deutlichen
Sehweite des betreffenden Individuums gelegen sind, in der Regel von
einer Yergrösserung des Refractionszustandes und einer Pupillenverengerung
begleitet. Diux-h forcirtes Convergiren der Gesichtslinien lässt sich sogar
der Nahepunktabstand um ein ^tCerkliches über das dem betreffenden In-
dividuum zukommende Mass verkürzen und damit die für eine bestimmte
Einstellung erforderliche Accommodationsquote etwas verntindem • während
willkürliche (Hering) oder durch Prismen erzwungene (Berlin) Divergenz-
Stellungen der Gesichtslinien die ganze deutliche Sehweite um ein Kleines
hinausrücken und die für eine bestimmte Einstellung erforderliche Accommo-
dationsquote vergrösserv. Nicht minder einliussreich ist die Lage der
Visirebene. Senkungen derselben sind mit dem Drange nach Convergenz der
Gesichtslinien verknüpft und vermögen die ganze deutliche Sehweite dem
Auge um ein Gewisses zu nähern (Schii-mer), folgerecht also auch die für
eine bestimmte Einstellung erforderliche Accommodationsquote herabzusetzen.
Hebungen der Blickebene hingegen entfernen das ganze Accommodations-
gebiet etwas von dem Auge und erschweren die Aufbringung und Erhal-
tung des für kurze Distanzen erforderlichen Einstellungs- und Convergenz-
werthes. Seitenblickrichtungen sind, wenn sie sich innerhalb der Grenzen
der Massigkeit halten , ohne erheblichen Einfluss auf Convergenz und
Accommodation ; falls sie aber von der Medianlinie stark abweichen, engen
sie das Gebiet der Accomodation und Convergenz In sehr fühlbarem
Grade ein.
Die Cüordination dieser Muskelthätigkeiten hat ohne Zweifel einen
anatomischen Grund und ist auf die Existenz bestimmter Coordinationscentra
zurückzufühi-en , welche einerseits mit den Ursprüngen der betreffenden
Nerven, andererseits mit den Ausgangspunkten der Willensimpulse , mit
mannigfaltigen Reflexcentris u. s. w. in directer Verbindung stehen. Es
werden diese Coordinationsbewegungen nämlich immer und von der Geburt
an als Ganzes innervirt, ohne dass es in dem Belieben stände, die einzel-
nen Factoren zu gleichem Zwecke isolirt wirken zu lassen. Auch kommen
Lähmungen einzelner Coordinationsbewegungen, d. i. Fälle vor, bei welchen
eine oder die andere Coordinationsbewegung mit allen ihren Componenten
völlig unaufbringbar ist, während andere Coordinationsbewegungen , bei
welchen dieselben Nerven und Muskeln mit verhältnissmässig starken Kraft-
aufwänden in Thätigkeit kommen, leicht und ungehindert von Statten
gehen (Siehe relative Lähmungen). Nach neueren Untersuchungen an
Thieren sind diese Coordinationscentra in den Vierhügeln zu suchen und
zwar scheint jeder einzelnen Coordinationsbewegung eine bestimmte Stelle
dieses Organes als Centrum zu entsprechen (Adamük).
Doch hat Uebung einen höchst bedeutenden Einfluss und vermag
die Verhältnissscala, in welcher sich die Innervationsquoten und KJraft-
aufwände der einzelnen coordinirten Muskeln zu einem bestimmten Zwecke
verbinden, mannigfaltig umzugestalten und den Bedürfnissen anzupassen. In
der That ist diese Verhältnissscala bei verscliiedeneu Individuen je nach
der Grösse der Accommodations- und Convergenzquote , welche die Ein-
stellung für jede einzelne bestimmte Distanz erfordert, eine sehr verschie-
Relative Accommodations- und Convergenzbreite.
769
dene; sie kann sich sogar bei demselben Individuum in Uebereinstimraung
mit der Zu- oder Abnahme des minimalen Refractionszustandes und der
Accommodationsbreite wesentlich ändern, vorausgesetzt, dass diese Zu- oder
Abnahme allmälig und langsam erfolgt, also den Muskeln Zeit gönnt, sich
den neuen Bedürfnissen zu adaptiren.
Während z. B. ein Myops die Gesiclitslinien von der Parallelstellung bis zu
seinem, oft sehr kleinen Fernpuuktabstande convergiren lässt, ohne den Accommo-
dationsmuskel zu bethätigen; muss ein Emnietropischer schon bei massiger An-
näherung der Objecte die entsprechenden Axenconvergenzen mit Adaptionsbestre-
bungen verbinden iind mancher JJehersichtige wird schon den Parallelstellungen der
Axen das Maximum seiner Accommodationskraft associiren.
Im Grunde genommen ist jedoch die angeborne und durch üebung
den Bedürfnissen angepasste Verhältnissscala, in welcher sich die Inner-
vationsgrössen und daher auch die effectiven Kraftaufwände der Accom-
modations- und Convergenzmuskeln coordiniren, keineswegs eine sehr
straffe Fessel. Versuche mit sphärischen Gläsern sowie mit ab- und
adducirenden Prismen lehren nämlich, dass bei gleichen Axenconvergenzen
der Einstellungsioerlh des dioptrischen Apparates und umgekehrt innerhalb
gewisser Grenzen wechseln könne. Man spricht darum von relativen
Accommodationsbreiten und drückt sie durch den Unterschied des, bei einer
gewissen Axenconvei'genz aufbringbaren maximalen und minimalen Einstel-
lungswerthes aus. Andererseits spricht man von relativen Convergenzbreiten
und pflegt damit den Spielraum zu bezeichnen, welcher bei einem bestimm-
ten AcQommodalionszustandc des dioptrischen Appai'ates den Axenconvergenzen
gestattet ist (Donders). Immerhin machen
sich auch liier die angeborenen und er-
worbenen Associationsverhältnisse in
sehr fühlbarer Weise geltend. Im Allge-
meinen kann man sagen, dass die Coor-
dination um so schwerer aufzubringen
und zu erhalten ist, je mehr das Ver-
hältniss der zu associirenden Accom-
modations- und Convergenzquoten von
dem durch Uebung eingewurzelten ab-
weicht.
Es seien (Fig. 98) l und r die Dreh-
punkte der beiden Augen, Ir demnach die
Grimdlinie und MM die darauf senkrechte
Medianlinie; a, b, c seien binoculäre Fixa-
tionspunkte, und ar, br, er die zugehörigen
Gesichtslinien mit den halben Convergenz-
winkeln a, ß, y. Durch dr und dl sei der
Parallelismus der Gesichtslinien mit dem
Convergenzwinkel 0 und durch er, el eine
Divergenzstelhmg mit dem negativen Con-
vergenzwinkel 0 augedeutet. Es lässt sich
nun der jeweilige Vonvergenzwerth der Ge-
sichtslinien durch den Sinus des halben
Convergenzwinkels ausdrücken und dieser
ist gleich der halben Grundlinie, also gr,
getheilt durch den Abstand des Drehpunktes
vom Fixationspunkte oder, da es sich immer
um sehr kleine Winkel handelt, gleich der halben Grundlinie getheilt durch die positive
oder negative Distanz des binoculären Fixationspunktes von der Mitte g der Grundlinie.
St eil wag, Augenheilkunde. 49
770 Anomal, tl. Eefr. u. Acc; Alisohitc u. relat. Convergenzbreite ; Convergenzquoten.
Lässt man die halbe Grundlinie, etwa 1.25 Zoll, als Masseinheit gelten, so kann der
Convergenzwerth auch durch den reciproken Werth des Ohjectahstandes ausgedrückt
werden. Unter Convergenzhreite würde man dann , übereinstimmend mit dem Be-
griffe der Accommodationsbreite, den Unterschied zwischen dem Sinus des minimalen
und maximalen Convergenzwinkels oder die Differenz der reciproken Werthe der
kleinsten und grössten Entfernung, für welche binoctdare Fixation möglich ist, zu
verstehen haben. Insoferne es sich in der Wirklichkeit immer nur um positive
Objectsdistanzen handelt und Divergenzen der Gesichtslinien nur durch grosse
Uebung erlernt, oder durch Prismen erzwungen werden können : so darf man die
unendliche Entfernung als die äusserste Grenze der binoculären Fixationsweite und
den ParaUelismus der Gesichtslinien oder vielmehr den Sinus des halben Conver-
genzwinkels 0 als den minimalen Convergenzwerth betrachten. Der relative Con-
vergenzicertJi für eine bestimmte Entfernung wäre dann folgerecht durch den reci-
proken Werth der letzteren zu bezeichnen, fiele also mit dem betreffenden abso-
luten Convergenzwerthe zusammen. Im Einklänge damit stellt sich die Convergenz-
quote, welche für eine bestimmte Distanz erforderlich ist, ähnlich dem für die Ac-
commodationsquoten gefundenen Ausdrucke (S. 766), als ein Bruch dar, dessen
Zähler der Nenner der Convergenzhreite und dessen Nenner die Entfernung des
ieweiligen Fixationspunktes ist. Wäre z. B. y der grösste aufbringbare halbe Con-
vergenzwinkel, so wäre sin. y = -^ = — zugleich der Ausdruck für die ganze
Convergenzbreite. Die Convergenzquoten, welche zur binoculären Fixation der Punkte
c, b, a, 00 und s erforderlich sind, würden durch die Ausdrücke -^, ^, -^^,
' ' ' 7 cg ' bg ' ag 7
cg cg
, _ darzustellen sein. Man sieht, dass die Convergenzquote für den minimalen
Abstand c der Einheit gleicht, für den Parallelismus der Gesichtslinie 0 und für
Divergenzstellungen negativ, also kleiner als 0 wird; ferner dass die Convergenz-
quote für eine bestimmte Entfernung um so kleiner wird , je grösser diese und je
kleiner cg oder der miniviale binoculäre Fixirpunktabstand ist.
Es sei b ein Punkt in der Medianlinie, welcher mit den entsprechenden
Quoten der Accommodations- und Convergenzbreite fixirt wird. Durch Vorsetzung
convexer oder concaver Gläser vor beide Augen werden die virtuellen Bilder des
fixirten Punktes b nach «i Oj oder beziehungsweise nach q c, versetzt und, da sie in die
Gesichtslinie hineinfallen, in dem Punkte a oder beziehungsweise c einfach gesehen
werden. Es erscheint unter solchen Verhältnissen die Convergenz für den Abstand
b mit der Einstellung des dioptrischen Apparates für die Entfernung a oder c ver-
knüpft. Wären nun a und c die äussersten Grenzen, innerhalb welchen die accom-
modative Einstellung bei dem halben Convergenzwinkel ß schwanken kann , so
wäre die Differenz der reciproken Werthe der Distanz a und c die relative Accom-
inodaiionshreite bezüglich des Punktes b. Denkt man sich statt der sphärischen
Gläser Prismen vor beide Augen gesetzt, welche die vom Punkte b kommenden
Strahlen so brechen, als kämen sie von a oder c, oder vielmehr von b^ b^ oder
6j b^ , und wären die entsprechenden Convergenzwerthe die äussersten, welche bei
Festhaltung der Accommodation für die Entfernung b noch aufgebracht werden
können, so wäre die Differenz der Sinusse von a und y oder, falls die halbe
Grundlinie als Masseinheit gilt, der Unterschied der reciproken Werthe der Ent-
fernungen c und a die relative Convergenzhreite, welche der accomodativen Ein-
stellung des Auges für den Punkt b entspricht.
Nosologie. Einem allseitigen Uebereinkommen gemäss werden Augen,
deren natürliche hintere Brennweite dem Abstände der vorderen Stabschicht-
fläche von dem Centrum des dioptrischen Apparates gleicht, emmetropische
genannt, ihr Kefractionszustand der Null gleichgesetzt und damit der Be-
griff der Normalität verbunden. In der Wirklichkeit gibt es allerdings nur
sehr wenige Augen, welche jene Bedingung strenge erfüllen, doch ist der
Unterschied in der grössten Mehrzahl der Fälle ein unerheblicher, es wer-
den homocentrische parallele Strahlenbündel bei völliger Ruhe des
Accommodationsmuskels so nahe vor oder hinter der Grundfläche der
lichtempfindenden Elemente zur Vereinigung gebracht, dass die Schärfe
der wahrgenommenen Bilder wegen der Kleinheit der Zerstreuungskreise
Nosologie ; Ametropie ; Myopie ; Hypermetropie. 771
nicht merkbar leidet. ^Man rechnet derlei Augen folgerecht mit. unter die
emmetropischen und stellt sie den ametropischen gegenüber, bei welchen
die hintere Brennweite und der Abstand des lichtempfindenden Netzhaut-
straturas so hedeutevd von einander abweichen, dass entfernte Objecte bei
völliger Accommodationsruhe nur in undeutlichen Zerstreuungsbildern gesehen
werden können.
1. In vielen Fällen ist die hintere Brennweite, des dioptrischcn
Apparates relativ zu kurz, indem die Augenaxe zu lang ist, oder einzelne
Trennungsflächen zu stark gekrümmt sind, oder indem beide diese Momente
zusammenwirken. Es sehen solche Augen demnach ferne Objecte in ver-
hältnissraässig grossen Zerstreuungskreisen; die Gegenstände müssen, um in
scharfen Bildern wahrgenommen zu werden, nahe an das Auge heranrücken.
Der Fernpunkt liegt also dem Auge nahe, die deutliche Sehioeite erscheint
verkürzt und hereingerückt, das Auge sieht nur in kurzen Distanzen scharf
und deutlich, es ist kurzsichtig, myopisch. Der Nahepunktabstand hängt dann
von der Lage des Fernpunktes und hauptsächlich von der Grösse des
Accommodationsvermögens ab. Ist diese die normale geblieben oder doch
nicht sehr beschränkt worden, so ist der Nahepunktabstand nothwendig ein
kürzerer als in der Norm.
2. In anderen, mindestens eben so häufigen Fällen ist die Brennweite
des dioptrischen Apparates bei völliger Entspannung des Accommodations-
muskels grösser, als der Abstand der Stabschichte der Netzhaut, sei es
wegen Convexitätsverminderung oder gänzlichem Ausfalle einzelner Trennungs-
flächen, sei es wegen normwidi'iger Kürze der optischen Axe, oder aus beiden
Ursachen zugleich. Es sehen solche Augen bei völliger Entspannung des
Accommodationsapparates ferne und nahe Objecte in Zerstreuungskreisen; es
müssen die Lichtstrahlen convergent auf die Cornea auffallen, um auf der
Stabschichte zu scharfen Bildern vereinigt zu werden; der dioptrische
Apparat ist blos für virtuelle Bilder eingestellt, welche über der Netzhaut
drüben, d. i. hinter der Netzhaut liegen, das Auge ist übersichtig, hyper-
presbyopisch, hypermetropisch, hyperopisch.
Ist die hintere Brennweite des dioptrischen Apparates nur wenig länger,
als der Abstand derNetzhaut, und ist das Accommodationsvermögen von normaler
Grösse, so wird jene Differenz nicht nur leicht ausgeglichen, sondern die
Brennweite auch um ein Gewisses unter das Mass des Netzhautabstandes
verkürzt werden können, das Auge besitzt die Fähigkeit, sich für parallele
und selbst für divergente Strahlen, also für Objecte von positiver und sogar
kurzer Distanz zu accommodiren, der FemiJunkt liegt hinter, der Nahepunkt
vor der Netzhaut auf der verlängerten optischen Axe, die deutliche Seh-
weite ist eine discontinuirliche. Der Nahepunktabstand ist im Vergleiche zur
Norm vergrössert, da ein gewisser Quotient der aufwendbaren accommoda-
tiven Kraft schon aufgeht, um das Auge für parallele Strahlen einzurichten
(facultative UebersichtigkeitJ.
Ist die hintere Brennweite des dioptrischen Apparates bedeutend grösser
als der Abstand der Netzhaut, so reicht oft schon das Maximum der auf-
wendbaren Accommodationskraft nicht mehr zu, um das Auge für parallele
Strahlen, also für positive grosse Entfernungen einzustellen , es liegt der
Fernpuukt imd der Nahepunkt hinter der Netzhaut, die deutliche Sehweite
ist ihrer ganzen Länge nach negativ, das Auge ist absolut übersichtig.
49*
772
Anomal, d. Rpfr. u. Acc; Nosologie; Etnmetropie ; Myopie; Hypermetropie.
Es lassen sich diese Verhältnisse vielleicht besser auf einem anderen Wege
klar und übersichtlich machen. Es sei (Fig. 99) ein schematisirtes emmetropisches
Fig. 99.
Auge mit der Axenlänge CE. Sein Refractionszustand sei 0, indem der Einfallswinkel y
des der Axe A A parallelen Strahles ym eines homocenti'ischen Lichtbündels gleich
Null , also sin. y = 0 angenommen wird. Betrachtet man nun das allgemeine
Brechungsgesetz: sin, a ^= w . sin. ß (S. 764), so findet man, dass der Refractionszu-
stand N=n.sin. ß von zivei Factoren, n und sin. ß bestimmt wird, von welchen
jeder unabhängig vom anderen innerhalb weiter Grenzen schwanken kann. Denkt
man sich nun das n der Grundgleicliung constanf, so wird natürlich jede, auch die
geringste Verlängerung von CE eine Vergrösseri;ng des sin. ß mit sich bringen und
demnach ein proportionirtes Waehsthum des sin. a erfordern, es wird der Refrac-
tionszustand des Auges im Ganzen steigen, es werden nicht mehr parallele Strahlen
ym mit dem sin. y=0, sondern divergente UtraMen xm mit dem sin{y-\-^) auf der
Netzhaut zur Vereinigung kommen: das Auge ist myopisch geworden und sein
Refractionszustand findet seinen Ausdruck in dem Sinus des positiven Differenz-
winkels [JL = 0.
Würde hingegen die Bulbusaxe auf CH verkürzt, so wäre damit der sin. ß
der Grundgleichung um ein Entsprechendes verkleinert; es kämen nicht mehr
parallele Strahlen ym mit dem Einfallswinkel y, sondern convergente Strahlen mit
einem ^-^eirfere'?? Einfallswinkel y — v auf der Netzhaut zur Vereinigung, der Refrac-
tionszustand des Auges N-=n.sin. ß erschiene vermindert, also kleiner als 0,
nämlich gleich dem Sinus des Einfallswinkels (y — v) und da *m. y=0, so wäre der
Sinus des Difl'erenzwinkels — v der Ausdruck für den vorhandenen Grad der
Hypermetropie.
Sowie sin. ß kann auch das n der Grundgleichung sich verändern, sei es
dass die Krümmung einer oder mehrerer Trennungsflächen von der Norm abweicht,
oder dass die gegenseitigen Abstände wechseln, oder dass das Brechungsverhältniss
einzelner Binnenmedien ein anderes wird. Steigt der Werth n, so resultirt offenbar
eine Vergrössermig, füllt er hingegen, eine Verminderung des Refractionszustandes
N =n . sin. ß, mit anderen Worten, es kommen nicht mehr parallele Strahlen mit
dem sin, y=0, sondern divergente ^trah\en xm mit dem Einfallswinkel (y-j-jj.) oder
convergente iitraMen zm mit dem Einfallswinkel (y — v) zur Vereinigung. Das emme-
tropische Auge ist kurzsichtig oder beziehungsweise hypermetropisch geworden und
der Grad, der Ametropie findet seine Bezeichnung in dem Sinus des Differenz-
winkels, ist also sin, [a oder beziehungsweise — sin. v.
Nähme in einem hyiiermetropischen Auge mit der Bulbusaxe CH das n der
Grundgleichung um ein Gewisses 2w, während sin. ß constant bleibt, oder träte der
vmgekehrte Fall ein, oder stiegen beide Factoren an Werth, so würde offenbar ent-
sprechend dem Wachsthume des Refractionszustandes N = 7i. sin, ß der Einfalls-
winkel (y — v) steigen müssen, auf dass der Grundgleichung Genüge geschehe. Es
kämen also Strahlen auf der Netzliaut zur Vereinigung, deren Einfallswinkel sich
dem angenommenen Normale y = 0 nähert , den Werth derselben erreicht oder
gar übersteigt. Der Refractionszustand käme der 0 näher oder gleich, oder würde
gar positiv, das hypermetropische Auge würde minder liypermetropisch, emmetrojiisch
oder gar kurzsichtig.
ReÜK'ii von Refractionszustäuden und Brillenbreelnverthen mit bestiniiiitiiii Intervalle. 773
'Stiegen in einem myopischen Auge mit der Biilbusaxe CM der sin. ß oder «,
oder beide Factoren zugleich, so müsste nothwendig auch der Differenzwinkcl u
ivachsen-^ während das Sinken eines oder beider Factoren eine Verkleinerung v(in a
mit sich brächte. Im ersteren Falk; ergäbe sicli eine Vergrösserimy des Refractions-
zustandes N, also auch des vorhandenen Kiu-zsichtigkeitsgrades ; im zweiten Falle
wäre eine Verminderung der Myopie und nach Umständen ein Uebergang derselben
in Emmetropie oder Hypermetropie das Resultat.
Es kann in einem Auge aber auch der eine Factor steigen, während der
mi^re fällt. Es hängt dann selbstverständlich von dem gegenseitigen Verhältnisse
ab, in welchem n und «i«. ß sich ändern, ob der Refractionszustand der frühere
bleibt, grösser oder kleiner Avird.
Die Emmetropie, Myopie und Hj^permetropie können nicht wohl als
essentiel verschiedene Zustände des Auges gelten, da sie in einem nnd dem-
selben Falle unmittelbar in einander übergehen. Es müssen vielmehr die
höchst mannigfaltigen, in der Praxis vorkommenden Refractionszustände
als Glieder einer einzigen unendlich langen Beihe betrachtet werden, welche
mit der positiven Einheit beginnt, durch iNTull hindurchgeht und allmähg
zur negativen Einheit herabsteigt.
Lässt man die einzelnen Glieder je um eine bestimmte Differenz fallen, so
erhält man eine logarithmische Reihe, dei-en Anwendung die Lösung gewisser in der
Praxis wiclitiger Probleme, insbesondere die dem jeweiligen Bedarfe angepasste
Correction, ausnehmend erleichtert. Wird nämlich bei einem dioptrischen Systeme
der gegenseitige Abstand der einzelnen Trennungsflächen vernachlässigt, so summiren
sich die Brechwerthe derselben. Ein mit einem positiven oder negativen Glase
bewafluetes Auge hat also gleichsam einen Refi-actionszustand N ^ F und ein mit
zwei Gläsern bewafluetes Auge einen Refractionszustand N -^ F ^ P, wo F \mA P
die Brechwerthe oder die recii:)roken Wertlie der Brennweite der gebrauchten
Brillen bezeichnen. Es wird demgemäss jeder von der Null abweichende positive
oder negative Refractionszustand des Auges durch Beifügung eines sphärischen
Glases, dessen Brechwerth F dem gegebenen Refractionszustände dem Wei'the nach
gleichkömmt, aber das entgegengesetzte Zeichen ^^ trägt, auf Emvietropie oder Null
corrigirt.
Es ist in letzterer Zeit wirklich von mehreren Seiten der Vorschlag gemacht
worden, eine solche logarithmische Reihe mit bestimvitem Intervalle zum allgemeinen
Gebrauche hei der Bezeichnung der verschiedenen Grade der Ametropie durch
Uebereinkommen festzustellen iiud eine ihr genau entsprechende Scala für die
Brechwerthe der corrigirenden Brillen zu construiren, eine Scala also, in welcher
die Brechwerthe sämmtlicher Nummern Vielfache einer bestivwiten Grundgrösse m
sind und der reciproke Werth von ?n das Intervall je zweier auf einander folgender
Nummern darstellt. Nähme man m = 100, so erschiene die Reilie
100, 99, 98, ... 50, ... 3, 2. 1, e. - 1. — 2, — 3, ... - 50, ... — 98. — 99. — 100
lüO
Es unterscheidet sich eine solche Scala in sehr günstiger Weise von jener,
welche ziu' Bezeichmmg der Brillenbrechwerthe und folglich auch der Refractions-
zustände bisher üblich war. Es sind bei dieser nämlich die Intei'valle überaus
ungleich, bei den schwächeren Gläsern sehr klein, bei den starken unverhältniss-
mässig gross. So ist das Intei-vall fiü- Brillenbrennweiten von 40" und 36" gleich
1 : 360, fiü- 22" und 20" gleich 1 : 220, für 13" und 12" gleich 1 : 156, für 6" und
5" gleich 1 : 30 u. s. w.
Leider ist es sehr schwer, sich über jene Grundgrösse m zu verständigen.
Man hat nacheinander 24 {Benders), 60 und 120 [Burow), 48 und beziehungs-
weise 96 (Zehender), endlich auch 216 (Giratid-Teulon) vorgeschlagen. Allein die
Annahme des letzten Werthes wiüde 432 Brillen-Nummern, nämhch 216 für Convex-
und eben so viele fiü Concavgläser erheischen. Wird aber m kleiner gewählt z. B. 96,
so fällt eine Reihe schwacher Gläser aus, welche sich in der Praxis diu'chaus
nicht entbehren lassen, namentlich wenn es sich um die Con-ection von geringen
Graden der Hypermetropie handelt. Die Brennweiten wären dann nämlich 96, 48,
32, 24, 19y5, 16, 13^7 u. s. w. Es kommen aber alle Tage Fälle von Hyperme-
tropie vor, wo Brennweiten von 36, 30, 28, 26, 22 Zoll, und Km-zsichtigkeiten, wo
22, 20, 18, 17, 15 Zoll u. s. w. dem Bedarfe entsprechen und durch Gläser der
774 Anomal, d. Keir. u. Acc. ; Nosologie; Corrigirende Brillen; deren Krümmungen.
vorerwähnten Reihe nicht genügend ersetzt werden können. Der Vortheil, welchen
eine grössere Auswahl in den starken Nummern bietet, ist anderseits ein sehr
geringer, da eben hohe Grade Ton Myopie und Hyi^ermetropie selten völlig corrigirt
werden können. Es gehen dieselben nämlich häufig mit einer beträchtlichen Ab-
nahme der Sehschürfe einher. Dann fällt bei scharfen Gläsern der unvermeidliche,
relativ bedeutende Abstand der Brille vom optischen Centrum des Auges sehr
schwer in's Gewicht (S. 7G2) und macht gemeiniglich eine blos theilweise Neutra-
lisation des Eefractionsfehlers erspriessUcher. Wo man aber von diesem letzteren
Factor absehen darf, namentlich bei starken Convexgläsern, welche eine Vergrösserunq
des Netzhaiitbildes durch ihren Abstand vom Auge ergeben: da lassen sich
kleine Unterschiede in den Brechwerthen der Brille sehr leicht dmxh ganz geringe
Veränderungen des Brillenabstandes ersetzen. Dazu kömmt, dass die in der Praxis
vei-wendbaren Untersuchungsmethoden nicht hinlänglich genau sind, um ganz kleine
Differenzen im Refractionszustande des Auges sicher zu ermitteln und dies wäre
nothwendig, damit eine solche logarithmische Reihe ihrer ganzen Ausdehnung nach
praktisch verwerthet werden könne. Abgesehen von den Schwierigkeiten der
Messung kleiner Bruchtheile eines Zolles stellen sich der Ge^\'innung so genauer
Resultate nämlich der Einfluss wechselnder Beleuchtungsgrade und wechselnder
Pupillemceite , die durch Uebung sehr steigerbare Fähigkeit, in Zerstremmgskreisen
zu lesen u. s. w. hinderlich in den Weg. Es ist aber auch die Schleifung von
Gläsern, deren Brechwerthe durch sehr complicirte Brüche ausgedrückt werden,
sehr schwierig und solcher Gläser finden sich in jeder logarithmischen Reihe
sehr viele.
Diu'ch Zurückführung der Werthe auf metrisches Mass (Javal, Nagel) wird
allerdings die internationale Verständigung sehr erleichtert und es sind die Zeiten
nicht fern, wo man als Masseinheil nicht mehr das in verschiedenen Ländern sehr
wechselnde Zollmass, sondern den Centiraeter benützen wird. Bei der Berechnung
einer logarithmischen Reihe machen sich aber selbstverständlich dieselben Unzu-
kömmlichkeiten geltend, wie bei Zugrundelegung des Zollmasses.
Im Grossen und Ganzen wird man am besten allen Anforderungen ent-
sprechen, wenn man bei der Construction einer Brillenscala, wie dies bisher üblich
war, blos die Intervalle der schwächeren Nummern sehr klein wählt, dieselben aber
allmälig steigen lässt, je schärfer die Gläser werden. In der That genügt in der
Praxis ganz vollkommen eine Reihe von Brillen, deren Brennweiten sowohl füi-
positive als negative Gläser von 48" bis 32" um je 4", von 32" bis 20" um je
2", von 20" bis 10" um je 1", von 10" bis 4" um je 1/2" und von da ab um je
1/4 Zoll fallen.
Man kömmt übrigens öfters in die Lage, Gläser von einem bestimmten
Brechwerthe, welcher in der Brillenscala der Optiker nicht enthalten ist, schleifen
zu lassen, oder diesen Brechwerth mit Prismen zu comhiniren, oder aber denselben
auf einer einzigen Fläche des Glases zu concentriren, um der anderen Fläche ein
gefärbtes Planglas anfügen, oder behufs der Correction astigmatischer Differenzen
eine cylindrische Krümmung geben zu können. Istp die gewünschte Brennweite, also
— der Brechiuerth, n = l'ö der Brechimgsexponent des verwendeten Glases, sind
weiter / und g die gesuchten Radien der Krümmungsflächen einer biconvexen oder
biconcaven Linse, so ergäbe sich die Formel:
± -;^ = (n — 1) (± -r it ^) ; und wenn f = g so ist ± - = ± -;" db - ^-r=
d. i. in der biconvexen oder biconcaven Linse gibt die gewünschte Brennweite den
Krümmungsradius der beiden Oberflächen. Wäre der gewünschte Brechwertli auf
einer einzigen Fläche des Glases zu erzielen, so würde die Formel lauten
± -^ = ± -^ = ± 4f und p = 2f.
d. i. die geforderte Brennweite gibt den DiircJiviesser der Krümmung.
Wäre z. B. eine biconcave Linse von 10" Brennweite auf ein Prisma zu
schleifen, so müsste beiden Flächen des letzteren eine Concavität von 10" Radius
gegeben werden. Sollte aber eine sphärische Concavität von 10" Brennweite der
einen Fläche und eine cylindrische Concavität von 10" Brennweite der anderen
Fläche gegeben werden, so müsste der Kriimmungsdurchmesser beider Flächen 10",
der Radius also 5" sein.
Wechsel der Kefractionszustände; Natihlifhci- u. äusserst. Feriipnnkt; Scheinbare Myopie. 77.5
Der Refractionsznstand vermag übrigens in demselben Individuum
innerhalb kurzer Zeit zu wechseln. Abgesehen von der möglichen Ver-
längerung der Augenaxe durch Entwickelung eines Staphyloma posiicum
kömmt nämlich in Betracht, dass die Linse keineswegs ein absolut elastisches
Gebilde ist, welches allsogleich in seine frühere Form zui'ückspringt, wenn
der Ciliarmuskel völlig entspannt wird. Durch länger dauernde stärkere
Accommodationsanstrengungen wird der liefractionszustand öfters für Stunden
und wohl auch für Tage bedeutend erhöht, indem die Linse sich nur
allmälig wieder abflacht. Umgekehrt findet man in Augen, welche für
gewöhnlich zu starken und dauernden Accomraodationsanstrengungen verhalten
werden, nach einer mehrere Tage oder gar Wochen dauernden Accommo-
dationsruhe sehr häufig eine merkliche Verminderung des früheren Refrac-
tionszustandes. Dasselbe leistet auch, und sogar im verstärkten Grade,
die Lähmung des CiUarmuskels, sie sei die Folge kx'ankhafter Processe oder
der localen Einwirkung kräftiger Mi/driatica. Man ist hierauf schon seit
Langem aufmerksam geworden und dringt daher mehrseitig auf die strenge
Unterscheidung des natürlichen und des loirklichen äussersten Fernpunkt-
abstandes.
Es ist klar, dass diese Differenz nicht leicht bei höhergradig myopi-
schen Individuen hervortreten könne, welche ihre Accommodationsbreite
wenig oder gar nicht benützen, sondern die Objecte ihrer gewöhnlichen
Beschäftigung in den Fernpunktabstand zu stellen pflegen. Dagegen ist
aber die Differenz oft eine sehr grosse bei Hypermetropen, welche nicht
nur zum Nahesehen, sondern aiieh zum Fernesehen eine grössere Accom-
modationsquote aufwenden, den f'iliarrauskel also während dem Wachsein
ununterbrochen in einer starken Spannung erhalten müssen. Es werden
solche Individuen nachgewiesener Massen (Dobrowolsky) nicht selten sogar
scheinbar kurzsichtig. Längere Accommodationsruhe so wie krankhafte oder
künstliche Lähmung des Ciliarmuskels machen dann den Refractionszustand
wieder um ein Gewisses sinken, das Auge kann neuerdings hypermetropisch
werden.
Es unterliegt keinem Zweifel, dass dieselben Momente unter geeigneten
Verhältnissen auch eine bleibende Erhöhung des Refractionszustandes be-
gründen können und insoferne bei der Erwerbung der Kurzsichtigkeit eine
nicht ganz unwichtige Rolle spielen. Es wachsen die Linse und der
Muskel nämlich bei fortgesetzten Accommodationsanstrengungen am Ende in
die ihnen aufgezwungene Form hinein.
In der That sind Convexitätsverviehrungen der Linse als Grund bleibender myopi-
scher Einstellungen schon vor Jahren mit Sicherheit erwiesen worden (Cramer).
In neuerer Zeit hat man gefunden, dass aueli der Ciliarmuskel, welcher unter nor-
malen Verhältnissen im senkrechten Durchschnitte ungefähr einem rechtwinkligen
Dreiecke gleicht (Fig. "2, o, Z, S. 54), im hypermetropischen und im höhergradig
myopischen Auge seine Gestalt und seinen Bau beträchtlich ändere. Es ist nämlich
im übersichtigen Auge jener Theil der Kreisfasern, welcher die innere vordere Fläche
des Muskelbauches bildet, ganz enorm verstärkt, die Längsfaserportion aber merk-
lich ver schmächtig t. Die Hauptmasse des Muskels erscheint demnach nach vorne
und innen gerückt und die kurze Kathete des Dreieckes in einem stark convexen
Bogen gegen den Linsenäquator hin vorgebaucht, während der hintere Theil des
Muskels sich viel dünner zeigt. Im höhergradig myopischen Auge dagegen fehlen
die circulären Fasern an der inneren vorderen Fläche des Muskelbauches bis auf
wenige Reste; die meridional streichenden Bündel jedoch haben an Zahl und
Mächtigkeit gewonnen. Die innere vordere Fläche des Muskels erscheint darum
776 Anomal, d. Eefr. u. Acc. ; Nosologie; Abnorm. Astigmatismus; Astigm. Differenz.
sehr schräg nach hinten geneigt, der innere hintere Winkel des Bauches ist sehr
weit zurückgerückt und stumpf, so dass die grösste Dicke des Muskels sehr weit
nach hinten fällt. Es ist klar, dass diese Veränderungen nicht ohne Einfluss auf
die accommodativen Wirkungen bleiben können. Schon bei oberflächlicher Betrachtung
ergibt sich nämlich, dass die Resultirende des Muskelzuges in hypermetropischen
Augen fast senkrecht auf der optischen Axe steht, sonach eine die Entspannung der
Zoniila sehr begünstigende Richtung hat; in hochgradig kurzsichtigen Kw^eix ]e(\.Oii\\
mehr von vorne nach hinten der inneren Scleralfläche entlang streicht (Iwanoff).
3. Mcht selten besteht wegen ungewöhnlich stark asymmetrischem Baue
der Haupttrennungsflächen ein relativ grosser Unterschied zwischen den Brech-
zuständen verschiedener Meridianebenen des dioptrischen Apparates. Wenn
dann die in einem Hauptsclinitte gebrochenen Strahlen auch scharfe Bilder
in der Stabschichte der Netzhaut entwerfen, so kommen die in den anderen
Meridianebenen streichenden Strahlen so weit vor oder hinter dem licht-
empfindenden Stratum zur Vereinigung, dass sie dieses unter der Gestalt
ausgedehnter und verzogener Zerstreuungsfiguren treffen und sonach den Total-
eindruck in hohem Grade verundeutlichen. Palls aber auch die mittlere
Brenn- oder Vereinigungsweite in die Stabschichte fiele, ist doch die Con-
centration der Strahlen daselbst eine viel zu geringe, der kreisförmige Durch-
schnitt der einzelnen homocentrischen Strahlenbündel ein viel zu umfangs-
reicher, als dass eine genügende Schärfe des Netzhautbildes erzielt werden
könnte. Solche Augen ermangeln also einer deutlichen Sehweite, sie nehmen
Objecte beliebiger Distanz blos in Zerstreuungsfiguren wahr, sie sehen in
gewisse Distanzen wohl besser, als in andere, in keiner aber scharf. Man
nennt solche Augen astigmatisch und zwar bezeichnet man den Zustand als
abnormen regelmässigen Astigmatismus oder als Astigmatismus schlechtweg. Er
ist von dem normalen Astigmatismus, welcher fast jedem Auge anhängt,
nur dem Grade nach verschieden.
Denkt man sich ein regulär astigmatisches Auge abgeblendet durch ein
Diaphragma mit zwei sehr feinen unter rechtem Winkel gekreuzten Spalten, welche
je genau zusammenfallen mit dem Meridiane der grössten und kleinsten Krümmung,
so erscheint das astigmatische Auge zerlegt in zwei sphärische, je bis auf eine Spalte
gedeckte schematisirte Aiigen (Fig. 97, S. 764). Die Bulbnslänge, also auch sin. ß
der Grundgleichung sin. a. = ?i. sin. ß, ist Beiden gemeinschaftlich, das n aber ein
verschiedenes, und daher auch der sin. a, welcher zur Vereinigung der Strahlen auf
der Netzhaut erforderlich ist, ein anderer. Der Sinus des Differenzwinkels, oder
der reciproke Werth der positiven oder negativen Distanz, aus welcher die Strahlen
divergiren müssen, um auf der Netzhaut zur Vereinigung zu kommen, gibt nun
den Refractionszustand des einen und des anderen schematisirten Auges, also auch
den Brechzustand der beiden Hauptmeridiane des astigmatisclien Auges. Der Unter-
schied beider ist das, was man astigmatische Differenz nennt. Der Refractionszustand
jedes anderen zwischengelegenen Meridianes ist gleich dem des Meridianes der
kleinsten Krümmung mehr dem Producte aus der astigmatischen Differenz und aus dem
Sinus des Winkels, welchen der betreffende Meridian mit dem Meridiane der klein-
sten Krümmung einschliesst. Es ist dieses Product eben im Meridian der klein-
sten Krümmung 0, in jenem der grössten Krümmung gleich der ganzen astigmatischen
Differenz.
Mcht selten stösst man in der Praxis auf hohe Grade des unregel-
mässigen Astigmatismus, bei welchem der Refractionszustand nicht nur der
einzelnen Meridiane, sondern verschiedener Theile eines und desselben Meri-
dianes ein anderer ist und in ganz gesetzloser Weise steigt und fällt. Es
hat dieser Refractionsfehler seine Quelle bald in der Hornhaut, bald in der
Linse, bald in beiden Organen zugleich (Knapp, Donders).
In Bezug auf die Cornea kommen hauptsächlich in Betracht: Trübungen und
oberflächliche Rauhigkeiten ; umschriebene Facettirungen als Folge vorausge-
Unregelniässiger abnormer Astigmatismus; Accommodationsstörungen. 777
gangener Geschwüre ; die Keratectasie mit dem Keratoconus ; Verkrümmungen
sonst unveränderter Hornhauttheile, wie sieh selbe neben durchgreifenden umfang-
reichen schruinpfenden Hornhautnarben, neben partiellen narbigen Corncalstapliy-
lomen und neben partiellen Narbenectasien, so wie nach der Lappenextraction in
Folge unrichtiger Anheilung des Lappens oder nachträglicher Dehnung der Narbe
finden. Der Krystall wird Veranlassung des abnormen nnregelmässigen Astigmatis-
mus wegen Volumsverminderung bei partiellen regressiven Staaren ; wegen Decen-
tralisation (Dvfour), Ectopie und spontaner Luxation und bisweilen vielleicht auch
wegen nicht ganz gleiclimässiger Dichtigkeit seines Gefüges, zumal bei beginnender
Cataracta (Knapp).
Das Ergebniss dieser Abweichungen ist öfters eine vollständige Verwirrung der
Netzhauteindrikke, so dass selbst grössere Objecte nur in sehr undeutlichen ver-
zogenen Schattenumrissen wahrgenommen werden und man leicht an eine Amhlynpie
denken könnte, weini nicht das Farbenunterscheidungsvermögen vollständig erhalten
wäre. Es findet sich dieser Zustand besonders bei ausgebreiteten Trübungen und
beträchtlicher Eauhigkeit der Hornhautmitte, bei starken Verkrümmungen durch-
sichtiger Cornealtheile wegen schrumpfenden oder ectatischen Narben und zumal
beim Keratoconus.
In anderen Fällen äussert sich der abnorme Astigmatismus durch sehr starke
Verzerrung der Netzhautbilder, und zwar wechselt die Gestalt derselben je nach der
Stellung der Objecte zum Auge, je nachdem also die bezüglichen Axenstrahlen durch
diesen oder jenen Theil des dioptrischen Apparates gehen. Gewöhnlich sind dabei
nicht alle Bildstellen gleich undeutlich, indem die Focalflächen der einzelnen
AicliTingen des dioptrischen Apparates mit der Netzhaut sehr verschiedene Winkel
einschliessen. Unter Umständen trennen sich in der Wahrnehmung wohl gar die
Zerstreuungsfiguren, welche die Netzhaut treffen, in gesonderte Bilder, es macht sich
inonoculüre Diplopie, Triplopie (Dufour) oder Polyopie geltend (S. 759), und zwar
stehen die einzelnen Bilder gekreuzt oder nicht, je nachdem der Refractionswerth
der bezüglichen Stellen erhöht oder vermindert ist (Knapp). Meistens machen sicli
die gleichen Verändjerungen auch im ophthalmoskopischen Bilde des Augengrundes
bemerklich, der Sehnerveneintritt, die Netzhautgefässe erscheinen verzogen, wechseln
je nach der Lage des Spiegels ihre Form und zeigen sich wohl auch verdoppelt
und vervielfältigt (Graefe, Knapp). Ist die Hornhaut die Ursache, so tritt der
unregelmässige Astigmatismus auch in den Reflexbildern hervor.
Bei umschriebenen Facettirungen und Trübungen der Cornea wird endlich
auch die Metamorphopsie mit ähnlichen Erscheinungen wie bei der exsudativen
Neurodictyitis (S. 209) und bei der Netzhautabhebung (S. 222) beobachtet. Gerade
Linien, so weit sie in bestimmten Aichungen des Gesichtsfeldes liegen, zeigen sich
verkrümmt, Bogeulinien buchtig u. s. w. (Knapp).
4. Ausser den erwähnten Refractionsanomalien machen sich im Auge
sehr häufig Beschränkungen der Accommodationshreite geltend. Sie kommen
eben sowohl bei normaler Einstellung des dioptrischen Apparates als in
Gesellschaft von Myopie, Hypermetropie und Astigmatismus vor und ver-
ändern die Länge und Lage der deutlichen Sehweite in gar mannigfaltiger
Weise je nach dem Wesen des Grundleidens.
Oefters ist dieses ein mechanisches Hinderniss der Muskelwirkung oder
eine krankhafte Aßection des Accommodationsmuskels und seiner Nerven, also
eine eigentliche Accommodationsparese. Die deutliche Sehweite erscheint
dann verkürzt durch Vergrösserung des Nahepunktabstandes ; der Fernpunkt
erleidet primär keine Verrückung.
Selten sind wahre AcQommodationskrämpfe das eigentliche Grundleiden.
Der dioptrische Apparat zeigt sich dann während der Dauer des Krampfes
für den Nahepunktab stand oder für eine noch kürzere Distanz eingestellt, es
ist der Fernpunkt fast bis an den Nahepunkt herangerückt, oder wohl
gar mit diesem über die frühere Grenze der deutlichen Sehweite herein
gewichen.
77b Auomal. d. Reft-. u. Acc. ; Nosologie; Presbyopie und Hyperpresbyopie.
Die aller gewöhnlichste Quelle von Accomraociationsbeschränknngen liegt
in den Veränderungen, welche der Krystall und der Adaptionsmuskel bei
fortschreitendem Lebensalter normalmässig eingehen. Indem nämlich einer-
seits die Linse immer dichter wird und den accommodativen Gestaltwechseln
wachsende Widerstände entgegensetzt, andererseits aber im höheren Alter
auch die Kraft abnimmt, mit welcher der Muskel auf den Krystall wirkt :
muss nothwendig das Maximum der aufbringbaren Accommodationswirkung
sinken. Insoferne aber mit zunehmender Dichtigkeit das Gefüge der Linse
homogener wird und überdies der Krystall sich verflacht, erleidet auch die
Brechkraft der Linse und folgerecht der der Accomodationsruhe ent-
sprechende Refractionszustand des ganzen dioptrischen Apparates eine Ver-
minderung, es rückt nicht blos der Nahepunkt, sondern auch der Fernpunkt,
also die ganze deutliche Sehiueite, vom Auge hinweg.
Es sind diese Alterationen rein physiologischer Natur und nothwendige
Consequenzen der Altersinvolution; sie machen sich daher in jedem Auge
ohne Ausnahme bald früher bald später in mehr oder weniger bedeuten-
dem Grade geltend.
Doch wird die senilo Beschränkung der Accommodation am auftalligsten bei
Angen, welche vordem sowohl in grosse Entfernungen, als auch in den kurzen
Abstand der gewöhnlichen Beschäftigungen ausreichend deutlich sahen und daher
zu den evimetropischen gezählt werden, obwohl sie häufig von Jugend auf in massigem
Grade hupermetrojjisch sind. Es bedürfen dieselben jetzt nämlich corrigirender
Brillen, während höheryradig hypermetropische Individuen gewöhnlich schon längst
an Gläser gewöhnt sind und eine Verkürzung der Brennweite der bisher verwendeten
Convexbrillen dem Zwecke genügt. Dieser Umstand war es denn auch, welcher mach-
te, dass man die senile Abnahme der Accommodationsbreite bei den für emmefropiisch
geltenden Augen als eine besondere Anomalie hervorgehoben und unter einem eigenen
Namen, als Pi-eshyopie oder Fernsichtiykeit, beschreiben zu müssen glaubte. Es kömmt
hier aber in Betracht, dass die senile Verdichtung des Krystalles ohne Vermindertmg
des Refractionszustandes im ganzen Auge nicht denkbar ist. Preshyopisch im engeren
Wortsinne, d. i. mit unendlichem Fernpunktahslande, können durch die senile Invo-
lution in der That nur Augen werden, welche vordem in geringerem Grade kurz-
sichtig waren und auch da ist der Zustand immer nur ein vorübergehender. Emme-
tropische Augen werden im Greisenalter nothwendig hypermetropisch und hyper-
metropische Augen steigern den Grad ihres Refractionsfehlers. Allerdings wird aus
optischen Gründen die Hypermetropie bei früher wirklich emmetropischen Augen
nicht immer gleich manifest, es muss anfangs der Accomraodationsmuskel durch Atropin
gelähmt werden, auf dass die Einstellung für negative Entfernungen einigermassen
ersichtlich werde. Mit zunehmender seniler Involution der Linse jedoch wächst der
Refractionsfehler und spricht sich immer entschiedener aus, die frühere scheinbar
7'eine Adaptiousbeschränkung hat sich mit manifester Hypermetropie gepaart, die
Presbyopie istzur y, Hyperpresbyopie^ mitverminderter Accommodationsbreite geworden.
In Anbetracht dessen scheint es denn auch gerathen, die Presbyopie in der Bedeu-
tung eines selbständigen Accommodationsfehlers fallen zu lassen und die Ver-
änderungen, welche die deutliche Sehweite nach Länge und Lage durch die senile
Involution erleidet, den über Myopie und Hypermetropie handelnden Abschnitten
einzufügen.
5. Nicht selten äussern sich Functionsstörungen im Accommodations-
muskel oder in den Convergenzmuskeln durch das Unvermögen, die richtige
Einstellung oder Axenconvergenz für kurze Distanzen längere Zeit zu erhalten;
die Muskeln ermatten leicht, wenn ein einigermassen bedeutender Kraftauf-
wand von ihnen gefordert wird ; bei fortgesetzter Arbeit stellen sich das
Gefühl der Uebermüdung, selbst heftige Schmerzen .und Congestionser-
<5cheinungen ein, welche die fernere Arbeit bis auf weiteres unmöglich
Asthenopie; Mikropsie; Megalopsie. 779
machen und cam Ende eine liöchsi peinliche IJi/perästhesie der Netzhaut und
der Ciliarnerven im Gefolge haben. Die Accummodations- und Converc/enz-
breite sind dabei nicht nothwendlg, woiil aber oft vermindert. Mau nennt
diesen Zustand von Schwäche der Muskeln Asthenopie, Kopiopie, Hebetudo
Visus etc.
(j. In nächster Beziehung- zu den Functionsstörungen der beim gemein-
schaftlichen Sehacte betheiligten Muskeln steht die Mikropsie und Megalopsie,
das Verkleinert- und Vergrössertsehen der (3b)ecte. Das Urtheil über die
Grösse eines in Sicht befindlichen Objectes wird nämlich nicht blos aus
der Grösse des Netzhautbildes oder des Sehwinkels, sondern vorwiegend aus
dem abgeschätzten Distanzwerthe, mittelbar also aus der Gi'össe der An^
strevgimg geschöpft, welche der Accommodationsmuskel und die inneren Geraden
zu machen gezwungen sind, um den Gegenstand in scharfen und deutlichen
Bildern zur Wahrnehmung zu bringen (Panum). Von zwei Objecten erscheint
bei gleichen Sehwinkeln dasjenige kleiner, dessen wirklicher oder virtueller
Abstand von den genannten Muskeln eine grössere Anstrengung verlangt.
Concavgläser lassen daher die Objecte kleiner, Convexgläser hingegen, welche
den Accommodationsmuskel zur Abspannung zwingen, grösser ei'scheinen
und dieses zwar in einem weit höheren Grade, als es die Brechungsverhält-
nisse dieser Gläser und ihr nothwendiger Abstand vom Auge erklären. Auch
trüben ad- und abducirende Prismen beim binocularen Sehen die Beurtheilung
der Grösse (Graefe). Indem nun pathologische Schwächezustände des Accommo-
dationsmuskels und der inneren Geraden das Grössenmass der erforderlichen
Anstrengungen steigern, also stärkere Nervenimpulse nothwendig machen, werden
sie in ähnlicher Weise zur Quelle von Mikropsie, besonders wenn sie sich
rasch ausbilden und so lange der Kranke nicht durch fortgesetzte Erfahrungen
gelernt hat, seine fehlerhaften Urtheile über die Objectgrösse zu corri-
giren. In der That findet man die Mikropsie nicht ganz selten bei
Schwächezuständen, wie sie in der Asthenopie zur Aeusserung kommen.
Vornehmlich aber kommen sie vor bei den eigentlichen Paresen des Accommo-
dationsmuskels, es mögen dieselben nun allein und für sich dastehen oder
mit Mydriasis (Graefe), oder gar mit Lähmungszuständen des ganzen Nerv,
oculomotorius verknüpft sein. Nicht minder sind künstliche Schwächungen
des Accommodationsmuskels, wie selbe durch schwache Atropinwirkungen be-
gründet werden, häufig mit Mikropsie gepaart und zwar haben unter
solchen Verhältnissen zur Bestätigung der oben aufgestellten Theorie ein-
gehende Versuche gelehrt, dass die Mikropsie eben so wie der Einfluss auf
die Accommodation später eintrete, als die Lähmung des Sphineters ; dass sie
sich nur bei der Betrachtung von Objecten einstelle, welche sich in der
Nähe des mit höchster accommodativer Anstrengung zu erreichenden Nahe-
punhtes befinden ; dass die Verkleinerung weiter mit zunehmendem Accommo-
dationsimpulse wachse, umgekehrt aber bei Verminderung des Impulses abnehme
und daher durch Convexgläser gehoben werde {Förster, Donders).
Auch bei der recidivir'enden Retinitis centralis und bei der circumscripten Form
der Neurodicfyitis exsudativa findet sich öfters Mikropsie. Dieselbe ist nicht völlig
aufgeklärt. Man glaubt si-e auf den Ausfall einer gewissen Summe lichtempfindender
Elemente zurückführen zu können (Graefe).
7. Endlich kommen wegen ihres natürlichen Zusammenhanges mit
Accommodationsfehlern noch die Mydriasis und Myosis in Betracht. Mit
ersterem Namen bezeichnet man eine Erweiterung, mit letzterem eine Ver-
780 Anomal, d. Refr. u. Acc. ; Vorbegriffe; Nosologie; Quellen.
engerung der Pupille, wenn diese Zustände entweder auf einem Krampf
oder auf einer Lähmung der die Iris bewegenden Muskeln beruhen.
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XIL 2. S. 215. - Bowman, kl. Monatbl. 1863. S. 369. — Naqel, kl. Monatbl. 1868,
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Haarlem. 1853. S. 146. — Adamiih, Centralbl. 1870. S. 178.
1. Die Kurzsiclitigkeit.
Krankheitsbild. Charakteristisch ist die Erhöhung des natürlichen
Hefractionszustandes über den Nullwerth, also die Verkürzung des Fernpunkt-
abstandes und das damit gesetzte Unvermögen des Auges, weiter abstehende
Objecte ohne Zuhilfenahme von Zerstreuungsgläsern in deutlichen und scharfen
Bildern zur Wahrnehnnmg zu bringen.
1. Der Fernpunktabstand kann in allen möglichen positiven und end-
lichen Werthen schwanken ; in der Praxis jedoch erscheinen nur Myopien
von Belang, bei welchen derselbe iceniger als .O Schuh beträgt. Je nach der
Grösse dieses Werthes unterscheidet man mehrere Grade der Kurzsichtigksit,
und zwar kann man Mj-opien mit einem Fernpunktabstande bis ungefähr
12 Zoll herab zu den nieder gradigen, mit Fernpunktabständen zwischen
12" und ß" zu den mittleren Graden und mit Fernpunktabständen unter
6" zu den hohen Graden rechnen. Unter 2 Zoll sinkt jeuer Wex'th nur
selten , ohne dass Complicationen sich überwiegend beim Sehacte geltend
machen.
Zar ungefähren Bestimmung des Fernpnnktabstandes, wie selbe zu prak-
tischen Zwecken in der Regel ausreicht, genügt es, die loeileste Distanz
mit dem Zollstabe abzumessen, in welcher das betreffende Auge nüLtlere
und kleine Druckschrift anstandslos zu lesen, oder ähnliche Zeichen zu
erkennen vermag. Die Anzahl der ermittelten Zolle ergiebt die Grösse des
Fernpnnktabstandes. Man hat dabei nur die Vorsicht zu gebrauchen, dass
man für jede Distanz jene Schrift wählt, welche aus derselben unter einem
Sehwinkel von circa 5 Minuten erscheint (S. 761).
Ist der Sehvvinkel nämlich kleiner, so kann trotz richtiger Einstelinng des
dioptrischen Apparates nicht mehr hinlänglich viel Detail der einzelnen Buchstaben
erkannt werden. Ist aber der Sehwiiikel grösser, so verhindern massige Zerstreuiings-
kreise keineswegs das Erkennen der Schrift, bes(jnders wenn das zn untersuchende
Individuum im Lesen sehr geübt ist.
Optometer (Buete, Hasner, Btirow, Verschoor) liefern im Ganzen nicht viel ver-
lässlichere Resultate. Es gilt dies besonders von den fultnsjörmigen, welche das Probe-
object in der Röhre eingeschlossen entlialten. Der zu Prüfende ist nämlich schwer
dazu zu bringen, den Accommodationsmuskel beim Versuche völlig zu entspannen.
782
Myopie; Kranlsheitsbild ; Bestiiiiimnig di's Fenipiinlctes dureli den Augenspiegel.
Man musR dämm das Ange vorerst. rt/?-q/>?n?'.«)-e/7, will man zu ganz sicheren Werthen
gelangen und dies hat wieder Unzukömmlichkeiten. Um dem zu entgehen, hat man
auch binocidare Optometer nach Art der Operngucker construirt, welche den
Geprüften zu Parallelstellungen der Gesichtslinien zwingen und somit eine völlige
Erschlaft'nng des Ciliarmuskels erzielen sollen (Graefe). Bei Kurzsichtigen und
Emmetropeii mag dies in derThat genügen, hei Hypermetrojjen jedoch ist die Parallel-
stellung der Gesichtslinien keineswegs mit der Entspannung des Accommodations-
muskels assoeiirt, daher die Resultate nicht genau ausfallen.
Ausserdem kann der Aiigenspiegel benützt werden, um die jeweilige Ein-
stellung des dioptrischen Apparates, also auch den Fernpunktah stand eines Auges
zu bestimmen (HehnhoUz). Es setzt dies letztere voraus, dass das untersuchte
Auge in die Ferne blickt und der Untersuchende genau die Entfernung kennt,
für welche er sein Auge beim Ophthalmoscopiren jeweilig einstellt, was allerdings
grosse Uebung verlangt und darum nicht Jedermanns Sache ist, übrigens auch
selbst bei der grössten Fertigkeit Schwankungen in den erhaltenen Werthen
(Woinow) nicht ausschliesst. Es sei (Fig. 100) a o die Einstellung des untersuchten
Fig. 100.
Auges .4, und h o jene des mit einem einfachen Beleuchtungsspiegel SS bewaffneten
untersuchenden Auges B, wobei der Abstand des Spiegels von b gleich Null gesetzt
wird, um die Verhältnisse nicht zu compliciren. Offenbar wird dann das in der
Entfernung a h = ao -\- lo aufgestellte Auge B ein deutliches Bild vom Augen-
grunde A erhalten. Es kann nun der Abstand a h der in der Praxis verwendbaren
Spiegel nicht viel über 12 Zoll vergrössert werden, soll nicht die Beleuchtung
des Augengrundes A unzulänglich und das Sehfeld des Auges B übermässig
beengt werden. Auf dass ein einfacher Beleuchtungsspiegel S S ein deutliches Bild
vom Allgengrunde A vermittle, mflssen also ao und bo sehr klein, A demnach
im höheren Grade kurzsichtig und B für kurze Distanzen einstellbar sein. Wäre A
für eine grössere Distanz a g eingestellt, so könnte offenbar nur ein hyjjermetro-
2nsc]ies Auge ZJ, dessen Einstellung hg, also negativ ist, ein deutliches Bild vom
Augengrunde A gewinnen und aus dem Spiegelabstande o b die Einstellung des
Auges A ermessen. Dieselbe wäre offenbar ag =: ah -\- hg. Wäre aber B beim Oph-
thalmoscopiren für negative Distanzen nicht einstellbar und ag die Einstellung von
Fig. 101.
A, so müsste (Fig. 101) der Spiegel S S mit einer corrigirenden Linse L L com-
biuirt, die Untersuchung also im aufrechten Bilde bewerkstelligt werden , was eine
Vergrösserungscoefiifieiii des Aii^enspiegelbildes; Nalii'iiiiiikf. 783
stärkere AnnUherimg beider Augen .'in eiii.'uuler gestattet und iiberliaupt manche
Vortheile bietet. Die Einstellung a g des Auges A lässt sich nun leicht aus der
BrennioeUe der Linse, welche das Scharfnelten des Augengrundes A ermöglicht, und
aus der bekannten Einstellung des Auges B mittelst der Grundformel: „ -| =
" " « I a p
berechnen. Es wäre hier nämlich a die Einstellung des Auges B, also die durch
die Linse erzielte Vereinigungnu-eite, a wäre die Einstellung des Auges .4 luehr
oder weniger dem Abstände des Spiegels und p die Brennweite der beigefügten
Linse. In der Regel wird die Einstellung des Auges B positiv, a also in Bezug
auf die Linse negativ sein; während a bei myojnscliem Auge A in Bezug auf die
Linse stets neqativ sein muss. Die Grundformel stellt sich also = 1 .
•^ a p a 7
d. i. es bedarf einer Concavlinse, deren Brennweite p grösser als a ist. Wäre aber
B absolut hypermetropisch , so erschiene die Grundformel: -- = zt + — i jp
wird also in der Regel 2^ositiv und, wenn negativ, so grösser als a sein müssen.
Der Augenspiegel liefert ausserdem noch in dem Vergrösserungscopfficienten
der zur Wahrnehmung gebrachten virtuellen Bilder ein Mittel zur Beurtheiluug des
Refractionszustandes des untersuchten Auges. Doch ist die genaue Ermittlung
dieses Coefficienten kaum möglich, da es an geeigneten Messapjjarate^i gebricht und
die Durchmesser des Sehnerveneintrittes bei verschiedenen Individuen sehr schwanken,
überdies aber der jeweilige Abstand der Correctionslinse, beziehungsweise Loupe,
vom untersuchten Auge einen höchst bedeutenden Eiufluss auf die scheinfxire Grösse
des Bildes des Augengrundes ausübt (Schweigger). Es sei hier darum nur im All-
gemeinen darauf hingedeutet, dass die ophthalmoskopische Untersuchung, gleich-
viel ob im verkehrten oder aufrechten Bilde, stets eine Vergrösserung des Augen-
grundes ergebe ; dass das umgekehrte Augenspiegelbild eines myopischen Bulbus,
verglichen mit dem eines emmetropischen, jedoch verkleinert erscheine und dies zwar
am meisten (5"3 : 4*6, Schweigger), wenn der Refractionszirstand N = n. sin. ß
durch Vergrösserung des sin. ß, weniger (5'3:5'2, Schweigger), wenn er durch
Wachsthum des n bedeutend gestiegen ist; dass diese Vergrösserung mit der Ent-
fernung der Loupe vom Auge jedoch wachse; dass das aufrechte Spiegel-
bild im Gegentheile die Vergrösserung sehr stark hervortreten lasse und dies zwar
besonders, wenn die Steigerung des Refractionszustandes vornehmlich durch eine
Vergrösserung des n, weniger wenn sie durch eine Vergrösserung des sm. ß, also
durch eine Verlängerung der Bulbixsaxe begründet wird (Mauthner, SchveiggerJ.
2. Der Nahepunkt rückt bei der Kurzsichtigkeit im Verhältnisse zur
Verkürzung des Fernpunktabstandes an das Äuge heran, wenn die Accommo-
daflonsbreife die normale geblieben ist, was die Regel bildet (S. 765). Man
kann daher aus einer autFälligen Verkürzung des Nahepunktabstandes
mit sehr grosser Wahrscheinlichkeit auf das Gegebensein einer Myopie
schliessen, und zwar auf einen um so höheren Grad der letzteren, je näher
der Nahepunkt dem Auge steht ; nicht aber umgekehrt, da Verkleinerungen
der Accommodationsbreite, zumal bei den hochgradigen, mit staphylomatöser
Ausdehnung der Lederhaut eingehenden Myopien und bei älteren Individuen
nicht selten vorkommen.
Um den Nahepunkt für praktische Zwecke zu bestimmen, genügt es,
die kleinste Distanz mit dem Zollstabe zu messen, in welcher das Auge
unter dem Gesichtswinliel von 5 Minuten anstandslos zu lesen und
beziehungsweise entsprechende Zeichen zu erkennen im Stande ist.
Handelt es sich um eine genauere Bestimmung des Werthes, so thut man
wohl, das myopische Auge mit einem Zerstreuungsglase zu bewaffnen, dessen Brenn-
weite mit dem Fernpunktabstande nahebei übereinstimmt und die kleinste Distanz
zu messen, in welcher das Auge mit der Brille jene Schriftarten zu lesen vermag.
Sehr kleine Distanzen, um welche es sich hier handelt, mit dem Zollstabe richtig zu
messen, ist nämlich sehr schwer. Durch das Zerstreuungsglas werden aber jene
Distanzen sehr vergrössert und die Fehlerquellen um so mehr vermindert, als selbst
ansehnlichen Distanzdifferenzen nur sehr kleine Unterschiede in der Vereinigungs-
784 Myopie; Krankheitsbild ; Ursachen.
weite, also in der Lage des virtuellen Bildes entsprechen. Den ivii-klichen Nahe-
punktabstand findet man dann mittelst bekannter Formeln.
3. Der Myops sieht in der Regel die innerhalb seiner deutlichen Seh-
weite gelegenen Gegenstände eben so scharf und deutlich, wie der Emme-
trope, bei gleich kurzer Distanz und gleicher Accommodationsbreite sogar
mit einer entsprechend kleineren Accommodationsquote, also mit geringerer
Anstrengung. Myopen harren darum bei Beschäftigungen, welche ein
anhaltendes Sehen in ku7-ze Distanzen erfordern, in der Regel längere Zeit
ohne Besclnoerde aus, als dieses bei Emmetropen der Fall ist. Sie ivühlen
auch solche Beschäftigungen mit Vorliebe, um so mehr, als der Blick in
die Ferne ohne die Vielen lästige Brille nur undeutliche und verschwom-
mene Bilder zur Wahrnehmung bringt.
Indem der Nahepnnkt hereingerückt ist und die Objecte demnach in kürzere
Abstände vom Auge gebracht werden können, pflegen Myopen mit Leichtigkeit feine
Arbeiten bei viel schivücherer Beleuchtung aiiszuführen, als Normalsichtige. Aus
demselben Grunde entziffern sie aiach viel /emere ZJetai'Z* in den Objecten, schreiben
meistens eine sehr kleine Handschrift u. s. w.
Doch gilt dies alles strenge nur von mittel- und niedergradig Kurz-
sichtigen. Myopie über ^/^ ist häufig und falls sie ^/^ übersteigt, meistens
mit materiellen Veränderungen am hinteren Augenpole verknüpft, welche
die centrale Sehschärfe sehr herabmindern, so dass die Unterscheidung feinster
Einzelnheiten, das Lesen kleinster Druckschriften u. s. w. sehr mühsam
oder unmöglich wird {Donders).
4. Ausserhalb der deutlichen Sehweite gelegene Gegenstände werden von
Myopen in Zerstreuungskreisen gesehen, ihre Wahrnehmung ist unter
übrigens gleichen Umständen eine um so undeutlichere, je grösser ihr
Abstand von den Endpunkten der deutlichen Sehweite und je weiter die Pupille
ist. Der letztere Factor kann auf Kosten der Lichtstärke des T^etzhaut-
bildes durch Verengerung der Lidspalie abgeschwächt werden, und wirklich
wird dieses Manöver behufs deutlicheren Sehens von Kurzsichtigen so
häufig ausgeführt, dass der fragliche Functionsfehler vom Blinzeln (|j;js'.v)
seinen Namen trägt.
Bei schivacher Erleuchtung des Gesichtsfeldes ist der Ausfall, welchen die
Lichtstärke des Netzhautbildes durch ein theilweises Abschneiden der Randstrahlen
erleidet, zu gewichtig, als dass der Myops Vorfheile aus einer beträchtlichen Ver-
engerung der Lidspalte zu ziehen vermöchte. Es macht sich daher unter solchen
Umständen die unrichtige Einstellung des dioptrischen Apparates besonders fühlbar;
selbst niedere Grade der Kurzsichtigkeit treten sehr merklich beim Blicke in die
Ferne heraus und bei hoheii Graden geht es bisweilen so weit, dass die Selbsfführung
sehr beschwerlich wird und die damit Behafteten wie Blinde hernmtappen, während
Normalsichfige bei gleicher Beleuchtung sich noch ganz gut zurechtfinden und sogar
noch verhältnissmässig kleine Objecte erkennen.
Ursachen. Die Kurzsichtigkeit findet ihren Grund gewöhnlich in
einer normwidrigen Vergrösserung des Längsdurchnessers des Bulbus, wodurch
die natürliche Brennweite relativ zu kurz wird {Beer, Arlt). In anderen
Fällen liegt die Ursache in abnorm grosser Convexität einzelner Trennungs-
flächev, also in einer factischen Verkürzung der natürlichen Brennweite.
Es spricht sich diese Alternative ganz scharf in der Grundgleichung i\r= m. «in. ß
(S. 764) aiis, wo N den Refractionszustand des Auges, sin. ß die Bulbuslänge und
n alle jene Verhältnisse repräsentirt, welche auf die Brechung der Lichtstrahlen
Einfluss nehmen.
Bathymorphie ; Staiihyloina posticum. 785
Die Verlängerung des Bulbus kömiut häufig einem fehlerhaften
Wachsthume auf Rechnung, der Augapfel entwickelt sich, so lange das
Körperwachsthum andauert, übei-mässig in der Richtung der optischen Axo,
wälirend die aequatorialcn Durchmesser zurückbleiben. Man nennt diesen
Zustand Langbau, Bathymorphie {Ed. Jaeger). Er kann in allen Graden
schwanken. Die Anlage dazu ist selbstverständlich angeboren und wird
in der Regel ererbt. Wo sie besteht, kann sich die Myopie zu hohen
und höchsten Graden entwickeln, ohne dass irgend welche äussere Ver-
hältnisse darauf Einlluss genommen haben. In der That findet man gar
nicht selten auf reiner Bathymorphie beruhende hohe und höchste Grade
der Myopie bei Individuen, welche die Schule kaum dem Namen nach
kennen und sich ihr Leben lang nie mit feinen Objecten beschäf-
tigt haben.
Viel öfter beruht die Verlängerung der Bulbusaxe auf der Entwicke-
lung eines Staphyloma posticum (S. 393, 772). Es kömmt dies vorzugsweise
bei Individuen in Rechnung, deren Beschäftigung anhaltendes Nahesehen
in Anspruch nimmt (S. 401). Im Allgemeinen kann man auch sagen,
dass das procentarische Verhältniss seines Auftretens und der durch-
schnittliche Grad seiner Ausbildung mit dem Lebensalter und namentlich
mit der Länge der Zeit wächst, welche im Schulunterrichte oder bei
einer, angestrengtes Nahesehen fordernden Beschäftigung zugebracht wor-
den sind {H. Cohn). Doch steht der Entwickelungsgrad der Ectasie im
Einzelnfalle durchaus nicht im geraden Verhältnisse zur absoluten Höhe
des Refractionszustandes. Wirklich stösst man ausnahmsweise auf grosse,
selbst ringförmige Staphylomata postica in ausgesprochen hypermetropischen
Augen, während umgekehrt die Ectasie bei hoch- und höchstgradigen
Myopien recht oft gänzlich fehlt. Es steigt mit der Grösse des Staphy-
loma posticum eben nur Ein Factor des Refractionszustandes , die
übrigen bleiben davon ganz unberührt. Das Ergebniss der Axenverlänge-
rung muss daher je nach dem Baue des Auges und nach dem Werthe
der übrigen die Lichtbrechung beeinflussenden Verhältnisse ein sehr ver-
schiedenes sein.
Um sich dies zu versinnlichen , braucht man in der Griindgleichung
N ^^ n . sin. ß dem N nur verschiedene Werthe zu geben (S. 764) und dann sin. ß
um eine geivisse Differenz steigen zu lassen. Hatte N einen höheren negativen
Werth, als jene Differenz beträgt, so wird das Auge hypermetropisch bleiben; im
gegentheiligen Falle aber emmetropisch oder myopisch werden. Hatte N einen posi-
tiven Werth, so wird die Myopie durch die gleiche Differenz entsprechend steigen.
Zur Erläuterung der im Obigen angeführten Daten mögen die Ergebnisse
einer statistischen Zusammenstellung dienen. Unter 4000 Augenkranken waren 350,
d. i. 8"75% Myopen mit iveniy differentem Refractionszustande beider Augen.
In 220 Fällen erscheint das Resultat der Augenspiegeluntersuchung ansdrücMich
angegeben. In 130 Fällen wurde die ophthalmoscopische Untersuchung theils aus
verschiedenen Gründen nnterlassen, theils lieferte sie kein hemerkenswerthes Er-
gebniss. Unter jenen 220 Fällen waren 117, d. i. 53'18% mit mondsichelföiinigem
schmalen Staphyloma posticum und es schwankte in 53 dieser Fälle der Refrac-
tionszustand zwischen ~—^ und „, in 50 zwischen -■-- und --r-> in 14 zwischen ----
irnd -— . In 67 , d. i. 30*45 % Fällen wurde ein grosses, die halbe Papillenbreite
im grössten Durchmesser übersteigendes spitzbogenförmiges, haubenförmiges (26mal)
oder circnlüres (31mal) Staphyloma posticum gefunden. Der Refractionszustand
schwankte hierbei in 45 Fällen zwischen —- und --, in 19 Fällen zwischen -r, —
z G ' " ;2
und -.- , in 3 Fällen zwischen --^- und ^^ . In 36, d. i. 16'36% von jenen 220
St eil wag, Augenlieilkunde. 50
786 Myopie; Ursachen; Staphyloma posticnm ; Convexitätsvermehrnng der Cornea.
Fällen ist das Fehlen eines Staphyloma posticum ausdrücklich angemerkt. In 21
dieser Fälle schwankte der Refractionsznstand zwischen—- und — , in 9 zwischen
2 6 ' 6.5
nnd -j^ , in 6 zwischen -- und — .
Am klarsten tritt der Einfluss, welchen die Entwickelung eines Staphyloma
posticum auf den Refractionsznstand nimmt, in jenen Fällen hervor, in welchen
die Myopie hlos einseitig oder in beiden Augen sehr verschiedengradig ist und diese
Differenz auf die einseitige Ausbildung eines hinteren Scleralstaphyloms bezogen
werden darf. Unter jenen 4000 Fällen waren 20, wo der Refractionszustand beider
Augen eine Differenz von — bis -— nachweisen Hess. In 4 Fällen, in welchen
die Differenz zwischen -^ und ~ schwankte, war an dem kurzsichtigen Auge
tili kleines mondsiclielf'örmiges Staphylom gegeben. In 2 anderen Fällen, wo
an dem einen Auge Hypermetropie, an dem anderen hochgradige Myopie bestand
und der Refractionszustand beider Augen eine Differenz von — ;— und -^^^—^ ergab,
wurde an dem kurzsichtigen Auge ein grosses circidäres Staphylom gefunden. In
weiteren 11 Fällen bestand ein grosses Staphyloma posticum einseitig bei einer
Differenz der Refractionszustände zwischen „ und . .
Es darf aber nicht jede grössere Differenz der Refractionszustände beider
Augen auf die Entwickelung eines Staphyloma posticum zurückgeführt werden.
In zwei Fällen nämlich ergab sich eine Differenz von -— und —r bei beiderseits
~ 5 4
gleich grossem mondsichelförmigen Staphyloma posticum. In Einem Falle fand sich
bei beiderseitigem Mangel eines Staphyloms rechts Myopie -„-, links Hypermetropie
-j~, also eine Differenz von nahe --, welche offenbar auf einseitige Bathymorphie
zu beziehen war.
Eine Zunahme des natürlichen Eefractionszustandes kann weiters
begründet werden durch eine stärkere Wölbung der Hornhaut und der Linse,
so wie durch ein Heranrücken der letzteren an die ei'stere.
Krümmungsvermehrungen der Hornhaut wurden bisher unter den patho-
genetischen Momenten der Myopie nicht aufgeführt, obgleich genaue Mes-
sungen Unterschiede von mehr als Einem Millimeter in dem Radius der
vorderen CornealÜäche ergeben haben {Ed. Jaeger , Donders). Eine so
gewaltige Differenz muss aber, wie eine einfache Rechnung nachweisen
lässt, den Refractionszustand des betreffenden Auges wesentlich alteriren,
sie kann bei sonst gleichen Vei'hältnissen bedeutende Gi'ade von Hyper-
metropie in Myopie und umgekehrt verwandeln.
Wenn bei hochgradig kurzsichtig gebauten Augen die Hornhautkrümmung
geringer gefunden worden ist, als bei anderen Refractionszuständen (Donders),
so muss darin ein sehr wirksames Correctiv gesehen werden. Es erscheint dann
nämlich n in der Grundgleichung N = n. sin. ß ve7-mindert , wodurch nothwendig
das Waclisthum des sin. ß in seinem Effecte theilweise neutralisirt wird. Was aber
bei Bathymorphie die Ahßachung der Hornhaut leistet, das muss die stärkere Krüm-
mung der Cornea bei p]mmetropie und Hypermetropie gleichfalls zu beschaffen
im Stande sein.
Von viel geringerer Wichtigkeit sind Annäherungen des Krystalles an die Cor-
nea, Vorfalle desselben in die Vorderkammer (Ed. Meyer, NoyesJ, weiters Ahrundungen
seiner Gestalt, wie sie bei Dehnungen und Sprengungen der Zonula, bei Ektopie
und spontaner Luxation, bisweilen auch bei partiellen Staaren vorkommen. Es sind
diese Zufälle ohne Zweifel mögliche Ursachen von Steigerungen des Refractions-
zustandes. Doch schlägt unter solchen Verhältnissen wohl immer der unregelmässige
Astigmatismus wegen mangelhafter Centriruiig des dioptrischen Apparates und häutig
auch wegen irregulärer Krümmung der Linse weitaus vor, das Resultat ist also
eigentlich keine wahre Kurzsichtigkeit.
Convexitätsvermehrungen des Krystallkörpers sind ganz unbestreitbar
ein wichtiges pathogenetisches Moment der Kurzsichtigkeit (S. 772).
ronvcxitätvermi'hiunjr der hinac : Plosiopi«. 787
Genaue Untersuchungen mittelst geeigneter Instrumente haben in der That
ergeben, dass sich bei manchen Myopen die Linsenspiegelbilder nach
Grösse und gegenseitiger Stellung genau so verhalten, wie bei Krametropen
während der Einstellung für kurze Abstände {Cramer). Auch haben directe
Beobachtungen herausgestellt , dass dauernde Anstrengung behufs des
Nahesehens selbst hypermeti-opische Augen zeitweise und dauernd kurzsichtig
machen könne. Die dagegen erhobenen Zweifel (Donders) beruhen auf
keinen ausreichenden positiven Thatsachen. Man hat diese Art der Myopie
Plesiopie, Nahesichtig keit genannt (Ed. JaegerJ. Sie bewegt sich immer nur
in den niederen Graden. Der von der Arbeit geforderte Einstellungswerth
ist nämlich die äusserste Grenze, welche sie niemals überschreiten kann
und auch wohl kaum jemals erreicht. Es gibt eben nur sehr wenige Be-
schäftigungen, welche eine Annäherung der Objecto unter 10 Zoll erhei-
schen. Auch bewahrt der EJrystall unter allen Umständen einen gewissen
Elasticitätsgrad und vermag darum bei eintretender Accommodationsruhe
immer wieder seine Convexität um ein Gewisses zu vermindern (S. 7 75).
Es liegt in der Natur der Sache und eingehende Untersuchungen
(Dohroioolsky) bestätigen es, dass diese Form der Myopie immer nur bei
Individuen sich entwickelt, welche sich viel und anhaltend mit sehr feinen
Objecten beschäftigen und dabei sehr grosse Accommodationsquoten aufwen-
den, den Ciliarmuskel also in einer verhältnissmässig starken Spannung
erhalten müssen, dass ihr daher vorzugsweise annähernd emmetropische Indi-
viduen und Hypermetropen ausgesetzt sind. Die Ueberbürdung des Accommo-
dationsapparates führt meistens bald zu einer stärkeren Röthung der Papille
und bei nervösen Individuen öfters auch wohl zu asthenopischen Beschwerden.
Mitunter kömmt es sogar zu convergirendem Schielen. AUmälig macht sich dann
der Refractionsfehler durch zunehmendes Undeutlichsehen fernerer Objecte
bemerklich. Es steigert sich dieses Undeutlichsehen nach anhaltender
intensiver Arbeit, bessert sich aber wieder bei längerer Accommodations-
ruhe und verschwindet selbst gänzlich, um bei neuerlicher Vei'anlassung
abermals hervorzutreten. Bei fortgesetzter intensiver Accommodationsarbeit
lüCichst der Grad der Mj'opie und die zum Rückgänge erforderliche Dauer
der Muskelabspannung. Weiterhin wird dieser Rückgang immer unvoll-
ständiger, es wird die energische Anwendung der Mydriatica nothwendig,
um den Refractionszustand auf das frühere Mass herabzusetzen und die
etwa latente Hypermetropie manifest zu machen. Schliesslich werden
auch diese Mittel unzulänglich, die Mj^opie ist ständig geworden, indem
die Linse und nicht minder auch der Ciliarmuskel in die ihnen aufge-
zwungene Form gleichsam hineinwachsen.
Ohne Zweifel ist damit eine beträchtliche Ahnahvie der Accomnwdation.shreite
verknüpft (Ed. Jaeger), indem ein Theil derselben durch den Elasticitätsverlust der
Linse so zu sagen lahm gelegt ist. Folgt nämlich der Krystall der Abspannung
des Ciliarmuskels nur bis zu einer gewissen Grenze, so muss dessen neuerliche
Zusammenziehung eben bis zu dieser Grenze unwirksam bleiben. Wenn die Ab-
nahme der Accommodationsbreite nicht in allen Fällen eine auffällige ist, so darf
man nicht vergessen, dass dieselbe durch fortgesetzte Uebung bei jugendlichen
Leuten weit über das normale Mass hinaus steigerbar ist und dass die bleibende
Convexitätsvermehrung des Krystalles wohl meistens nur einer geringen Quote der-
selben aequiparirt.
Im Ganzen spielt nach dem Gesagten die Ueberbürdung des Accommo-
dationsmuskels, in erster Linie also eine in- und extensive Schulbildung,
50*
788 Myopie; Ursachen; Einfluss der Schulhildung, zu scharfe Gläser; Verlauf; Ausgänge.
die wichtigste Rolle in der Aetiologie des Staphyloma posticum und der
Convexitätsvermehrung der Linse als der beiden Hauptfaktoren der
erworbenen Myopie. Doch ist es nicht allein das Quantum und Quäle
der Beschäftigung, was hier in Rechnung kommt; es müssen vielmehr
auch die Verhältnisse berücksichtigt werden, unter welchen diese Beschäf-
tigungen ausgeübt werden, indem diese Verhältnisse den Bedarf an Accom-
modationsarbeit sehr erhöhen können. 80 werden die Augen dem Objecto
oft übermässig genähert wegen ungenügender Beleuchtung oder wegen einer
unzweckniässigen Stellung des Körpers, z. B. wegen zu tiefem Sitzen
beim Schreiben. Wirklich ist das Percent der Myopen in verschiedenen
Schulen nicht ein ganz gleiches, sondern erhöht sich um ein Ansehnliches,
wo in den betreffenden Localen zureichendes Tageslicht fehlt oder
gar während längerer Zeit künstlich ersetzt werden muss, oder wo die
Einrichtung der Tische und Bänke mit der Grösse der Schüler in
keinem richtigen Verhältnisse steht und letztere zu einer stark vorn-
übergebeugten Körperstellung zwingt {H. Cohn). Sehr häufig kömmt
bei Kindei'n auch üble Gewohnheit ins Spiel. Ausserdem nimmt nicht selten
eine mangelhafte Sehschärfe wegen abnoi'mem Astigmatismus oder anderen
Ursachen Einfluss. Von grösstem Belange aber sind in dieser Beziehung
Trübungen der einzelnen dioptrischen Medien, besonders der Cornea, da die
durch sie bedingten Sehstörungen einigermassen vermindert werden durch
starke Annäherung des Objectes, indem dann nämlich viel von dem seit-
lichen diffusen Lichte abgeschnitten, anderseits aber die Grösse und Licht-
stärke der Netzhautbilder vermehrt, die Erleuchtungsintensität des Spectrums
also absolut und relativ vermindert wird. Endlich liegt ein sehr wichtiges
Moment in dem unzweckmässigen Gebrauche von Zerstreuungsgläsern, insoferne
durch diese virtuelle Bilder in zu kurzen Distanzen vom Auge entworfen
und daher ganz unvei'hältnissraässig grosse Accommodationsquoten nothwen-
dig gemacht werden.
Verlauf und Ausgänge. 1. Die Bathymorphie macht sich gemeiniglich
schon im frühen Kindesalter geltend. Mit Abschluss des Körperwachsthuras
scheint die darauf beruhende Verlängerung der Bulbusaxe nicht mehr
weiter zuzunehmen und wenn dann eine fernere Steigerung der Kurz-
sichtigkeit bemerkt wird, so ist dieselbe wohl immer auf Rechnung eines
hinzutretenden Staphyloma posticum zu bringen. Es ist übrigens möglich,
dass die Bathymorphie bisweilen vor der völligen Reife des Individuums
stationär wird, dass das Missverhältniss zwischen den einzelnen Durch-
messern nicht weiter steigt, sondern die A^olumsvergrösserung des Bulbus
fürder bis zum Abschlüsse des Körperwachsthumes mehr gleichmässig nach
allen Richtungen erfolgt.
2. Das Staphyloma posticum und die damit gesetzte Axenverlängei'ung
des Bulbus kann in jeder Lebensperiode hervortreten. Li der Regel jedoch
zeigt sich die darauf beruhende Myopie bereits in den Kinderjahren und
vornehmlich während der Puhertätsepoche, in letzterer so gewöhnlich, dass
man einen pathogenetischen Zusammenhang annehmen zu dürfen glaubte.
Es unterliegt jedoch keinem Zweifel, dass nicht sowohl die Pubertätsperiode
an sich, als vielmehr die in dieser Lernperiode an das Auge gestellten
Anforderungen den nächsten Grund abgeben. Wo nämlich der Accom-
modationsapparat während der Zeit der Geschlechtsreife luenig in
Fortschreitende Eiitwickeluiig d. StapL. post. u. deren Folgen. 789
Anspruch genommen wird, da ist auc.li die Kntwickelung eines Stapliyloma
posticum eine selir seltene und fast durchwegs nur bei entschiedenem
Langbaue zu beobachten.
Üebrigens nelimen fortgesetzte Beschäftigungen mit. kleinen Objecten
auch auf das fernere Verhalten eines bereits vorhandenen Staphyloma
posticum einen wesentlichen Einfluss und veranlassen häufig dessen weitere
Progi'cssion. Es ist dieses Fortschreiten bisweilen ein ganz successives
unmerkliches, häufiger aber ein stossweises. Der Fernpunldah stand sinkt in
solchen Fällen während dem Laufe weniger Monate um ein sehr Beträcht-
liches, worauf gewöhnlich wieder ein Stillstand eintritt oder das Fort-
schreiten wenigstens unmerklich wird. Am öftesten beobachtet man eine
solche zeitweilige Progression während den Jünglingsjahren in Fällen , in
welchen schon lange vor der Pubertätsperiode bedeutendere Grade von
Kurzsichtigkeit sich geltend gemacht hatten ; mitunter aber auch dort, wo
während den Kinderjahren die Myopie sehr wenig entwickelt war
und scheinbar stille stand , oder doch eine kaum merkliche Zunahme
erlitten hatte.
Nicht selten entwickelt sich das 8taphyloma posticum und damit die
Myopie in Folge angestrengter Accommodationsarbeit erst im späteren Man-
nesalter. l]s ist dann häufig blos an einem Auge zu finden, und gedeiht
hier bisweilen zu sehr bedeutenden Grössen, während das andere Auge
seine volle Integrität und damit seinen früheren Refractionszustand be-
wahrt. So kömmt es, dass man in manchen Fällen höhere Grade von
Myopie, mitunter auch Strabismus divergens an einem, Hypermetropie am
anderen Auge findet.
Das Staphyloma posticum und die dadurch begründete Kurzsichtig-
keit kann in jedem Stadium stationär werden, besonders wenn die Accom-
modationsarbeit wesentlich eingeschränkt wird. Ln Allgemeinen kann man
jedoch sagen, dass ein wirkliches Stationärwerden des Uebels, vorzugs-
weise unter minder günstigen Verhältnissen, um so weniger zu gewärtigen
ist, je stärker der Langbau ausgesprochen ist und je grössere Dimensionen
das Staphyloma posticum bereits erlangt hat.
Üebrigens gedeihet das hintere Scleralstaphylom nur sehr selten zu
extremen Graden, ohne dass ein oder das andere Mal förmliche Ent-
zündungen der hinteren Binnenorgane sich geltend gemacht und zu wirk-
lichen Gewebsalterationen der letzteren geführt hätten. Es drohen diese
Zufälle besonders bei stossweiser Zunahme des Staphyloma posticum. Sie
kündigen sich öfters schon lange vorher an durch das Erscheinen des
Mariotte'schen Fleckes im Gesichtsfelde, durch Entwickelung fixer und be-
weglicher Scotome, durch die Unverträglichkeit der Augen gegen grelleres
Licht und besonders gegen anhaltende Bethätigung derselben, durch stärkere
Injection der Ciliar- und Netzhautgefässe, durch lästige Gefühle von Druck
und Schwere im Bulbus, später selbst durch wirkliche Photopsien und
Umnebelungen des Gesichtsfeldes. Sie führen am Ende stets zu sehr auffäl-
ligen Verbildungen der Ader- und Netzhaut (S. 396). Oft gesellen
sich auch noch intraoculare Blutaustretungen (S. 402), Abhebungen der
Netzhaut (S. 222) oder wenigstens des Glaskörpers (S. 163), mitunter
auch Cataracta dazu.
790 Myopie; Verlauf; Ausgänge: Plesiopie; Myopische Presbyopie.
Auch bringt der Langbau, zumal wenn er mit einem mächtigen
Staphyloma posticum gepaart ist, noch andere Uebelstände mit sich. Das
hinoculare Sehen in sehr kurze Distanzen fordert nämlich an sich grosse
Convergenzen der GesichtsUnien, also bedeutenden Kraftaufwand von Seite
der inneren geraden Augenmuskeln. Die Aufgabe der letzteren erscheint
bei Bathymorphie aber noch dadurch um ein sehr Bedeutendes erhöht, dass
zu gleichen Convergenzwinkeln weit grössere Seitenbewegungen der Augen
nöthig sind, als bei Emmetropie. Es schliessen nämlich die Gesichtslinien
langgebauter Augen sehr kleine Winkel mit der Hornhautaxe ein oder
schneiden die Cornea wohl gar nach aussen von deren Krümmnngsscheitel
{Knapp, Donders, Schuerman), und dies zwar bisweilen so weit schläfenwärts,
dass die Bulbi bei Fixation ferner Objecte nach in7ien zu schielen scheinen.
Dazu kömmt, dass der Drehpunkt der Augen bei deren Verlängerung
relativ nach vorne rückt {Doyer, Donders). Bestimmte Seitenbewegungen
des vorderen Augenpoles setzen daher weit grössere Excursionen des hinteren
voraus. Damit wachsen aber die zu überwindenden Widerstände und
nimmt folgerecht die Excursionsfähigkeit der Augäpfel überhaupt ab
(Schuerman). Den solchermassen in doppelter Hinsicht gesteigerten Anfor-
derungen vermögen die inneren Geraden häufig nicht mehr zu genügen, es
stellen sich asthenopische Beschwerden ein und oft kömmt es zu divergentem
Schielen (Beer).
3. Die auf Convexitätsvermehrung der Linse beruhende Myopie ist in
jeder Beziehung von viel geringerer Bedeutung. Bei zweckmässiger Ver-
wendung der Augen kann sie völlig wieder zurückgehen und erreicht
überhaupt niemals bedeutendere Grade. Xach Abschluss des Körperwachs-
thumes findet eine Steigerung derselben kaum mehr statt, da dann die
Dichtigkeit des Linsenkernes weiteren Formveränderungen nicht mehr gün-
stig ist. Es setzt dies selbstverständlich voraus, dass sich nicht nebenbei
ein Staphyloma posticum entwickelt.
4. Von hervorragendem Einüusse auf den Verlauf der Myopie sind
ausser dem eigentlichen Grundleiden noch die mit fortschreitendem Lebens-
alter sich einstellenden Veränderungen der Linse und der beim Sehacte thätigen
Musktln. Die zunehmende Dichtigkeit der Linse führt vorerst zur Ver-
minderimg der Accommodationsbreite, sie bedingt ein Hinausrücken des Nahe-
punktes.
Es werden derartige Verkürzungen der deutlicheu Sehweite bei deu niederen
Graden der Myopie öfters sehr fühlbar, wenn das Individuum vermöge seiner
Stellung oder Neigung sich anhaltend mit sehr kleinen Objecten zu beschäftigen
gedrängt wird. Aiiffällig wird die Vergrösserung des Nahepunktabstandes aber erst
gewöhnlich um die 40er Jahre und dann kann es wohl geschehen, dass der Myops
die früheren Arbeiten wegen Steigerung der erforderlichen Accommodations(ßtoten
nur unter Zuhilfenahme von Convexgläsern zu verrichten vermag und überhaupt
auch weniger kleine Objecte vom Auge etwas entfernter halten muss, um sie deut-
lich zu sehen.
Bei mittleren und hohen Graden der Kurzsichtigkeit bedingt die gleiche
Differenz eine viel geringere, ja oft geradezu ganz unerhebliche Vergrösserung des
Nahepunktabstandes und diese fällt in der Regel schon darum wenig iu's Gewicht,
weil Objecte, welche vermöge ihrer Kleinheit nahe an den Nahepunktabstand eines
höhergradig kurzsichtigen Auges gebracht werden müssen, gewiss nur äusserst selten
Substrat anlialtender Beschäftigung sind. Dafür macht sich ziemlich häufig ein
anderes störendes Moment sehr fühlbar, nämlich die Kraftahnaltrae des Accommo-
dutionsviuskeU (S. 775). Bei sehr hochgradigem Langbaue kömmt sie in der Regel
Behiuidlmi},': IiuUcatioiH-ii ; rruiiliyhixis. 791
vor und zwar öfttn-s schon sehr früIizeUlij, währenrl der Jugendjahre. Sie gelit bis-
weilen bis zur oölUgen Accoinvwdationsparese. Die deutliche Seliweite ist dann
natürlich auf die dem Fenipunktabstande entsprechende, ohnehin kurze Accomnio-
dationsUnie beschränkt und zwingt den Kranken für verschiedene Distauzen ver-
schiedene Zerstreuungsgläser lu Gebrauch zu ziehen, i'alls er stets deutlich sehen will.
Späterhin, im Greisenalter, wird neben zunehmender Verminderung
der Accommodationshreite auch nocJi die Verflachung des sclerosirenden
Linsenkernes und der Umstand von Belang, dass mit wachsender Verdich-
tung die einzehien Schichten des Krystallcs eine mehr gleichrnässige Festig-
keit gewinnen, die Zahl der Trennungstlächen also gewissermassen einen
Abbruch erleidet. Die Folge dessen ist eine Verminderimg des natürlichen
Refractionszustandes und eine dieser entsprechende Vergrösserung des Fern-
punktabstandes. Es ist diese letztere bei einer gleichen Differenz
natürlich eine um so geringere, je grösser der Kefractionszustand früher
war , bei hohen Graden der Kurzsichtigkeit also in der Eegel eine ganz
irrelevante, bei niederen Graden der Myopie dagegen, besonders bei der
auf Convexitätsvermehrung der Linse berulienden, oft genügend gross, um
den Refractionsfehler in Hypermetropie zu verkehren. Indem gleichzeitig
der Nahepunkt nach aussen rückt und zwar um so mehr, als am Ende
auch der Accommodationsnmskel an der senilen Invohition Theil nimmt :
erscheint die ganze deutliche Sehweite in der liichtung vom Auge hin-
weg verschoben.
Es versteht sieh von selbst, dass die Abnahme des Refractionszustandes,
welche aus den senilen Veränderungen des Accommodationsapparates resultirt,
in ihrem Effecte weitaus überboten werde von jenem eines progressiven Staphyloma
posticmn, dass demnach bei Vorhandensein eines solchen die Myopie trotz der seni-
len Involution fort und fort sich steigern müsse und die letztere nur in der ent-
sprechenden Abnahme der Accommodationsbreite zur Geltung kommen könne.
Die Behandlung hat vorerst darauf hinzuwirken, dass die Ent-
wickelung und Gradsteigerung der Myopie womöglich verhütet werde. Die
zweite Aufgabe geht dahin, durch Bestimmung der entsprechenden Zer-
streuungsgläser die Verkürzung der deutlichen Sehweite zu compensiren. Endlich
ist durch Vorschreibung eines gehöi'igen Verhaltens den Gefahren zu begegnen,
welche aus fehlerhaftem Gebrauche der Brillen resultiren und überdies dem
Grundleiden an sich anhaften.
1. Die Prophylaxis muss natürlich scliou in den ersten Kinderjahren
beginnen und besonders strenge dort durchgeführt werden, wo die Annahme
einer Disposition gerechtfertigt erscheint. Grundsätzlich besteht sie in der
Vermeidung anhaltender Adaptionsthätiykeit für sehr kleine Distanzen.
Rücksichtlich dessen ist schon die Auswahl passender Spielzeuge belangreich.
Von hervorragender Wichtigkeit aber ist die Beschaffenheit der Lehr- und Lern-
hehelfe, so wie die Art ihres Gehrauches. Im Allgemeinen sollten Kindern nur
Bücher mit grösseren und fetten Lettern vorgelegt werden ; Kinder sollten verhalten
werden, eine grosse Handschrift mit kräftigen dicken Zügen zu schreiben ; das
Zeichnen und bei Mädchen das Erlernen des Feinnäheiis, des Stickens und über-
haupt aller der sogenannten feinen vjeiblichen Ar/jeiten etc. würde besser jenseits
der eigentlichen Kinderjahre begonnen und bei Anlage zur Kurzsichtigkeit am besten
unterlassen.
Von grösster Bedeutung ist auch, dass die Kinder bei derlei Beschäftigungen
gewöhnt werden, den Objecten die volle Gesichtsfläche zuzviwenden, so dass beide
Augen vom Fixirpunkte gleichiveit abstehen ; weiters dass sie den Kopf nicht über
Bedarf dem Gegenstande nähern und dass die Fläche des Gegenstandes in einem
Winkel von ungefähr 45 Graden zu der Gesichtsebene erhalten werde. Es ist in
792 Myopie; Behandlung; Prophylaxis.
dieser Beziehung besonders darauf zvi achten, dass die Kinder relativ zur Objeets-
unterlage nicht zu tief sitzen, daher eine zweckmässigere Construction des Mobiliares
in den Schulen ein dringendes Bedürfniss ist (FoJirner).
Ausserdem kann nicht genug darauf gedrungen werden, dass die Objecte bei
solchen, eine starke Accomniodationsthätigkeit erfordernden Beschäftigungen gehörig
beleuchtet seien. Nicht leicht etwas begünstiget die Entwickelung und Gradsteigerung
der Myopie so sehr, als wenn Kinder gezwungen werden, in düsteren Localen und
bei loeit entfernter Kerzeiiflamme anhaltend zu lesen, zu schreiben etc. Ueberhaupt
sollten Kinder bei kunstlicher Beleuchtung so tvenig als möglich mit derlei Arbeiten
behelligt werden.
Endlich ist auch die Dauer solcher Beschäftigungen von hohem Belange.
Es sollten dieselben bei Kindern niemals stundenlang fortgesetzt, sondern in ge-
messenen Zeiten 7interhrochen und durch Arbeiten oder Spiele ersetzt werden,
welche an den Accommodationsapparat keine, oder doch nur sehr massige Anforde-
rungen stellen.
Bei einem geeigneten und consequent durchgeführten Verfahren kann
man zweifelsohne hoffen, in einem gewissen Procente der Fälle die Erwer-
bung der Kui'zsichtigkeit zu hintertreiben, und geringe Convexitätszunahraen
des Krystalles wieder rückgängig zu machen. Ist Bathyrnorphie gegeben,
so wird man die Entwickelung und weitere Gradsteigerungen der Kurzsich-
tigkeit freilich kaum ganz yerliüten können. Nichtsdestoweniger erscheint
gerade hier die strengste Beobachtung der prophylaktisclien Regeln von
allergrösstem Belange, insoferne Congestivzustände des Auges einen höchst
bedeutenden Einfluss auf die Entwickelung und Fortbildung eines Staphyloma
posticum ausüben (S. 401).
Besonders ist die übergeheugte Körperstellung mit der dadurch gesetzten
Compression der Baucheingeu-eide ein sehr wichtiges Moment sowohl an und für
sich, als auch desswegen, weil es mit der fortschreitenden Entwickelung eines
Staphyloma posticum selbstverständlich an Wirksamkeit zunimvit und nicht auf-
hört, sich geltend zu machen, wenn die Myopie bereits so weit gediehen ist, dass
das Sehen in die nächste Nähe keinerlei Kraftaufwand von Seite des Accommo-
dationsmuskels mehr verlangt und auch die Convergenzstellung der Augenaxen
wegfällt, indem der Kranke gelernt hat, das eine Auge beim Nahesehen abzulenken.
Es ergibt sich hieraus unmittelbar , dass bei stark hervortretendem
Langbaue, noch mehr aber bei Gegebensein eines Staphyloma posticum, die
Prophylaxis jenseits der Pubertätsperiode fortgesetzt werden müsse und
insbesondere bei der Wahl des Lebensberufes geioichtig in die Wagschale zu
fallen habe. Es ist Pflicht des Arztes, mit allen ihm zu Gebote stehenden
Mitteln zu verhindern, dass Individuen mit sehr ausgesprochener Bathyrnorphie
oder mit einem bereits entwickelten Staphyloma posticum sich Geschäften
widmen, welche ein anhaltendes Sehen in sehr kurze Distanzen bei stark ge-
bücktem Oberkörper erfordern, z. B. der Uhrmacherei , Holzschneiderei,
Lithographie u. dgl., ja selbst der Schneiderei und Schusterei. Es kommen
die bedauerlichen Folgen einer solchen verfehlten Wahl des Lebensberufes
in der Praxis nur zu häufig vor, um so mehr, als vun Jugend auf stark
myopische Individuen für derlei Beschäftigungen eine besondere Vorliebe
zeigen und sich für ganz vorzüglich geeignet hierzu halten.
2. Die Kurzsichtigkeit oder vielmehr ihr Grundleiden durch directe
Mittel bekämpfen und heileii zu wollen, ist und bleibt wohl ein vergebli-
ches Beginnen ; man muss sich darauf beschränken, den Refractionsfehler
möglichst zu neutralisiren. Dies geschieht bekanntlich durch Zerstreuungs-
gläser, welche von allen in endlicher positiver Entfernung gelegenen Objecten
aufrechte und verkleinerte virtuelle Bilder innerhalb ihrer negativen Brenn-
Correctiou des Eefractiüuslehlers ; Brillenwahl. 793
weite, also vor der Brille entwerfen. Sollen dieselben im concrelen Falle
ihrem Zwecke theoretisch entsprechen, so müssen sie bei richtiger Stellung
zum Auge von den jenseits des Fornpunktabstandes befindlichen Gcj;on-
ständen aufrechte virtuelle liilder innerhalb der verkürzten deutlichen Sehweite
zu Stande bringen und zwar muss die Lage und Grösse dieser virtuellen
Bilder eine solche sein, dass sie das bewaffnete kurzsichtige Auge nahezu
mit denselben Accommodationsquoten und nahezu unter demselben Gesichts-
winkel zur deutlichen Wahrnehmung bringt, wie das unbewaffnete emme-
tropische Auge die Objecte selber.
Bei niederen und mittleren Graden der Kurzsichtigkeit lässt sich allen diesen
Anforderungen auch in praktisch vollkommen ausreichender Weise genügen
durch eine Brille, deren negative Brennweite, vermehrt tim den Abstand des
Glases vom Auge, gleich ist dem Fernpunktabstande des letzteren (S. 773). Um
diese Brille zu finden, braucht man also blos den Fernpunkt zu bestimmen
(S. 781). Sein Abstand, verminderet um den Abstand des Glases vom Auge,
gibt die Brenmveite des Glases.
Ist das Glas richfiy geivähll, su muss das damit bewaffnete Auge ferne Objecte
uuter einem Gesichtswinkel von wenigstens fünf Minuten scharf und deutlich sehen, be-
ziehungsweise entsprechend grosse Scliriftprobenmit der erlernten Geläufigkeit zu lesen
im Stande sein. Da dies indessen auch eine zu scharfe Brille ermöglicht, so thut
man behufs Ae\- Cont.role gut, auch etwas schwächere 'i^wwwwem bei grossem Objects-
abstande zu versuchen. Die schicüchsfe Linse, welche ein scharfes und deutliches
Erkennen entfernter Gegenstände gestattet, wäre dann die zweckniässigste. Eine
reiche Erfahrung lässt e.s übrigens klug erscheinen, die Winkelgrösse etwas zu
steigern, d. i. Objecte zu wählen , welche die angenommenen gesetzlichen Masse
um ein Kleines ülter schreiten, da man sonst recht häufig auf Brillen krunmt, welche
sich als zu scharf erweisen, den Kranken wenigstens anfänglich gerne belästigen
und durch Anforderung grösserer Accommodationsquoten am Ende wohl gar schäd-
lich werden können.
Liesse sich die genau corrigirende Brille in dem optischen Centrum des
lichtbrechenden Apparates aufstellen, so würde das damit liewaft'nete Auge in jede
beliebige Entfernung mit denselben Accommodationsquoten sehen, wie ein emme-
tropisches, und auch die Bildgrösse wäre bei beiden gleich. Der nothwendige Ab-
stand des Glases vom optischen Centrum des Auges ändert jedoch etwas diese
Verhältnisse und macht sich bisweilen recht unangenehm fühlbar. Dazu kömmt,
dass das durch Gewohnheit eingewurzelte Verhältniss der Accommodations- und
Convergenzquoten durch die corrigirende Brille eine wesentliche Störung erleidet.
In der Tliat muss das brillenhewaffnete Auge für alle jenseits des Fernpunktes in
kurzen Distanzen gelegene Objecte gewisse Accommodationsquoten aufwenden,
während es ohne das corrigirende Glas die entsprechenden Convergenzquoten bei
völliger Ruhe des Accommodationsmuskels ins Werk setzte. Es werden diese Coor-
dinationsstörungen in manchen Fällen recht schwer empfunden und können unter
Umständen, bei schwierigem Coordinationswechsel und sehr empfindlichen Augen,
zur zeitweiligen Covihinafion der Concavgläser mit schwachen Prismen auflordern,
deren Basis nach «Ms.se« gerichtet ist imd welche demnach für jede beliebige Objects-
distanz eine gesteigerte Conver-genzquote in Anspruch nehmen.
Hohe und höchste Grade der Mgopie lassen sich gleichfalls neutralisiren
durch Zerstreuuugsgläser , deren Brennweite, vermehrt um den Abstand
der Brille vom Auge, dem Fernpuuktabstande des letzteren gleichkömmt.
Doch ist unter solchen Umständen eine vollständige Correction des Re-
fractionsfehlers nur selten vortheilhaft. Bei starken Grläsern fällt nämlich
der Abstand der Brille vom Auge schwer ins Gewicht und bedingt eine
sehr empfindliche Verkleinerung der Netzhautbilder, auch wenn das Glas
sonst ganz richtig gewählt wäre. Dazu kömmt die steigende Ablenkung
schief auffallender Strahlen und eine davon abhängende Verzerrung der
794 Myopie: Behandlung; Brillenwalil : Theaterperspective; Perspectivbrillen.
Bilder seitwärts gelegener Objecte. Es sind diese Abweichungen so störend,
dass hochgradig Kurzsichtige es meistens vorziehen, relativ zic schwache
Gläser zu gebrauchen. Sie verzichten für gewöhnlich auf vollkommen scharfe
Wahrnehmungen weit entfernter Objecte, um die ihnen näher gelegenen
Gegenstände möglichst fehlerfrei zur Anschauung zu bringen. Wollen sie
vorübergehend auf grosse Distanzen deutlich sehen, so dienen am besten
Operngucker.
Nicht selten jeducli hört man von liocligradhj Kurzsichtigen klagen über die
Unzulänglichkeit der verkäuflichen Theaterperspective. Gemeiniglich können sich
solche Kranke dann damit helfen, dass sie neljen dem Operngucker ihre corrigirende
Brille benützen, ihr Auge also gleichsam emmelroinscli machen. Bei Damen, über-
haupt, wo das Tragen von Brillen nicht opportun erscheint, lässt sich dem Uebel-
stande dadurch begegnen, dass man dem Oculare des Perspectives ein Concavglas
von dem Brechwerthe der corrigirenden Brille Ijeifügt, oder besser noch den Brech-
werth des Oadares selbst um jenen der corrigirenden Brille erhöht. Wäre — —
der Brechwerth der corrigirenden Brille und — — jener des Perspectivociilares,
so wäre — — — = — — der ue.surhfe Brechwerth des neuen Oculares und
o zugleich der Halbmesser seiner beiderseitigen Krümmung.
Viel weniger entsprechen die sogenannten Steinheil' sditii Glaskegel, das sind
etwa einen Zoll lange solide Glasconi mit schwachconvexer Vorder- und starkcon-
caver Hinterfläche, welche gleich dem Galilei'schen Fernrohre wirken. Dieselben sind
\mter dem Namen Stöpselperspective mindestens schon Anfangs dieses Jahrhundertes
im Geljrauche gewesen, aber wieder verlassen worden. Ihr Vortheil besteht haupt-
sächlich in ihrer Cunipendiosität, welche erlaubt, dieselben in Stecherform an einer
Halsschnur, in einem Stockknopfe u. s. w. zu tragen.
Ueberaus werthvoll sind in manchen Fällen von Kurzsichtigkeit, wo es sich
darum handelt, die Netzhunthilder etwas zu vergrässern und zugleich den Refractious-
fehler voll zu corrigiren, die Pei-speetichvillen. Es sind dieselben gleichfalls eine alte
Erfindung, da eine kleine Sammlung derselben unter altem Gerumpel bei dem
Wiener Optiker, Herrn Fritsch, vorgefunden wurde und weder dieser noch sein
greiser Vorgänger von dem Erzeuger oder Erfinder etwas wussten. Es sind die-
selben gleich den Glaskegeln nach dem Principe des Galilei'schen Fernrohres ge-
baut, haben sävimtUch eine vordere convexe Fläche von 0'" Radius und eine hintere
concave Fläche mit sehr wechselndem Halbmesser. Die Verschiedenheit des letzteren
und der Dicke gibt ihnen die mannigfaltigsten positiven und negativen Brenn-
weiten. Es lassen sich dieselben für jeden beliebigen Brechwerth leicht nach den
Stam2}f er' sehen oder Gauss'nchen Formeln berechnen. Nach letzteren wäre die
Brennweite z. eines solchen Glases
wobei f =r. — '-- ; f, =:; — ''■,'■> 6 ^^ V
U — 1 ' ' U — 1 ' 11
ist und n das BrecliuuynverhüUnisa beim Uebergange aus Luft in Glas, /• den
Radi^ls A&Y vorderen cunvexen V\'Ac\\%, — rj den Radius für die hintere concave YlÄche
und d die Axenlänge oder Dicke der Linse bezeichnet. Wühlt man r^ und Jj, so
lässt sich aus obiger Formel die für eine bestimmte Brennweite 9 erforderliche Dicke
und, falls man diese und einen Radius wählt, der für eine bestimmte Brennweite 9
nothwendige andere Radius berechnen. Die Lage der beiden Hauptpmnkte E und E^,
sowie der beiden Brennpunkte F und F^ ergeben die folgenden Formeln
Die Entfernung des erb-teu Hauptpunktes E von der Vorderfläche und jene
des zweiten Hauptpunktes von der Hinterfläche sind Imde nach vorne zu messen,
da E einen negativen Werth besitzt. Dagegen ist die Entfernung des vorderen
Brennpunktes F von der Vorderfläche der Linse nach vorwärts, die Entfernung
des hinteren Brennpunktes jPj von der Hinterfläche der Linse nach rückwärts auf-
Correctiou ungloiclier Kefractioiiszustäiido oUer iler Aiiisoim;truijie ; Stecher. 795
zutragen, es wäre denn, dass sich ein negativer Werth für dieselben ergäbe, wo
die Entfernungen im entgegengesetzten Sinne zu nehmen sind. Als Controle dient, dass
F — E := F, - E, = 9; E — El = ne - -^-^^^ sein muss.
9 9 — Pi
Als Vergrösserungscoeff'icient m ergibt sich ni = — - — =
9 ~ P 9
wo p die Entfernung dcss (JJjjecteis vom vorderen Hauptpunkte E und 2^1 die Ent-
fernung des virtuellen Bildes vom Jdnteren Hauptpunkte E^ bedeutet.
Im Falle beide Augen tnyopisch sind, aber einen verschiedenen Kefrac-
tionszustand besitzen (Anisometropie), wii-d in der Regel fxvr jeden Auge dasjenige
Glas zu wählen sein, welches die Kurzsichtigkeit in Emnietropie verwandelt und
somit für dieselbe Objectsdistanz beiderseits gleiche Accommodationsquoien
erforderlich macht. Wo jedoch die Differenz der Ilefractionszustände eine
sehr grosse ist und, wohlgemerkt binoculärer Sehaet besteht, da wird öfters
beim Gebrauche verschiedener, jeseitig voll corrigirender Gläser die Differenz
der Bildgrösse recht störend und dies zwar in dem Grade, dass der Kranke
das frühere Verhältniss, die mindere Schärfe und Deutlichkeit in den Wahr-
nehmungen des einen Auges weitaus vorzieht. Mitunter stellen sich in
Folge dieser Störung wohl auch ähnliche Erscheinungen ein, wie beim
Gebrauche einer zu scharfen Erille, der Zustand wird dem Myops uner-
träglich, oder dieser lernt, das betreifende Auge etwas abzulenken und in
seiner Thätigkeit beim Fernsehen zu unterdrücken. Es lässt sich dann
dem Uebelstande einigermassen dadurcli begegnen, dass man den Refrac-
tionsfehler des mehr kurzsichtigen oder überhaupt des beim Fernsehen viel-
leicht weniger verwendeten Auges nur theilweise corrigirt, das heisst, dem-
selben ein schwächeres Glas vorsetzt und damit die Differenz auf ein
minder störendes Mass zurückfuhrt.
Manche glauben dass V30 der gröaste zidäsaige Unterschied in den Brech-
werthen der zum binoeulären Sehacte verwendeten beiden Biillengläser ist (DondersJ.
Im Allgemeinen mag dies richtig sein, doch kommen genug Fälle vor, wo bei
unziceifelhaftem binocvilären Sehen weit grössere Differenzen, '/jr,, Yjo und selbst
darüber nicht nin- vertragen werden, sondern sich sehr vortheilliaft und angenehm
erweisen. Es kann im Einzelfalle daher über die Ziilässigkeit einer gewissen
Differenz nicht von vorneheiein theoretisch abgesprochen werden, sondern es muss
jedesmal darüber der Versuch entscljeiden.
Ganz unpraktisch ist hier die Benützung der Mittelstrasse, d. i. die Wahl von
Gläsern, deren Brennweite etwa der halben Differenz der beiden Fernpunktabstände
gleicht. Es sind xiämlich solche Gläser für das eine Auge zu schwach, für das
andere zu stark.
Im Allgemeinen soll mau immer binoculare Brillen verwenden, selbst
wenn das zweite Auge functionsuntüchtig ist oder doch beim Sehen in
grössere Entfernungen nicht mitwirkt. Monoculare Brillen lassen sich näm-
lich ohne absonderliche und lästige Apparate nicht leicht in der richtigen
Lage fixiren und dies ist ein Haupterforderniss, soll die Brille ihrem Zwecke
vollkommen entsprechen. Selbstverständlich bedarf es hierzu sehr gut con-
struirter Fassungen.
Stecher oder Lorgnetten sind in Anbetracht dessen weniger zu empfehlen. Sie
passen nur für mindere Grade von Kurzsichtigkeit, wo die aus einer nicht ganz
richtigen Stelhrng der Gläser zum Auge quellenden Fehler wenig bemerkbar sind,
und dann, wenn der Myops, dem Brillentragen abhold, sich damit begnügt, blos
zeitiveilig scharf in grössere Fernen zu sehen. Werden Zerstreuungsgläser aber
längere Zeit oder gar anhaltend benützt, so sollten sie immer in Brillenform
gebraucht werden.
796 Myopie; Behaiidluug; Brillen.
Am besten taugen Brillen mit federnden Spangen, welche sich allent-
halben, ihrer ganzen Länge nach, an die Seitentheile des Kopfes anschmiegen
und darum auch festhaften, ohne einen oder den anderen Punkt vorwaltend
zu drücken. Es müssen diese Spangen natürhch um so stärker sein, je
massiger die Gläser sind, je höhergradiger also die zu neutralisirende Kurz-
sichtigkeit ist.
Es hat dieses jedoch seine Grenze, weil mit der Stärke der Spangen die
Schwere der Brille und der Druck wächst, welchen einzelne Theile, besonders der
Nasenrücken, aiiszulialteu haben. Dieser Umstand macht, dass Brillen überhaupt
nicht am Orte sind, wenn das Individuum sehr rasche und exciirsive Bewegungen
des Körpers auszuführen gezwungen ist. Eine Brille, welche unter solchen Ver-
hältnissen fest haften soll, wird bald durch den Druck, welchen sie ausübt, uner-
träglich. Bewegt sich aber die Brille, so wird das Sehen im hohen Grade verwirrt.
Stark Kurzsiclitige taugen daher nicht zum Reiten, Springen etc.
Die Brille muss möglichst nahe am Auge anstehen, um die Abweichung
(](.'!• Netzhautbildgrössen auf ein Kleinstes zu vei'ringern (S. 762). Ganz besonders
nothwendig ist dieses bei höheren Graden der Kurzsichtigkeit , wo starke
Gläser verwendet werden. Doch darf die Annäherung niemals so weit gehen,
dass die Cilien an der Hinterwand der Brille anstreifen, weil diese sonst
bald verunreinigt und zum Scharfsehen untauglich würde. Bei sehr glotzen-
den Augen wird dieser Uebelstand oftmals sehr peinlich und hindert ge-
radezu die Benützung ganz entsprechender Gläser.
Die Axen der Gläser und die Gesichtslinien beider Augen müssen der
Richtung nach mit einander zusammenfallen, oder doch nur einen kleinen
Winkel einschliessen, auf dass vornehmlich Centralstrahlen durch die Pupille
zur j^etzhaut gelangen und die Abweichungen aus dem Spiele bleiben,
welche die prismatische Gestalt der Brillenrandtheile mit sich bringt. Es
fordert dieses, dass die Gläser gut centrirt seien, dass ihre Mittelpunkte bei
Benützung der ]h'ille den beiden Pupillen gegenüber gestellt werden und
dass die Flächen der Gläser immer senkrecht auf den Sehlinien stehen.
Centrirt ist ein Glas , wenn die Scheitelpunkte beider Krümmungsflächen
einander gegenüber und genau in der Mitte der beiden Krürnmungsflächen gelegen
sind, also allenthalben gleichweit vom Rande der Linse abstehen. Es fordert die
Centrirung genaue und kostspielige Instrumente, ausserdem aber Gewandtheit und
grösste Sorgfalt von Seite der Verfertiger. Am leichtesten lässt sich den Anforderungen
bei runden Gläsern entsprechen; viel schwerer, wenn den Gläsern die beliebte ovale
Form gegeben werden soll. Ovale Gläser zeigen sich darum ziemlich oft fehlerhaft
construirt und sollten immer nur von ganz verlässtichen Optikern angekauft werden.
Sonst lässt sich ihnen kein erheblicher Vorwurf machen. Nur muss darauf gesehen
werden, dass sie gross genug seien, uin die Pupille auch bei beträchtlichen Seit-
wärtsbewegungen des Au*es zu decken.
Stehen die Mittelpunkte der beiden Linsen nicht den Pupillen gegenüber,
so können begreiflicher Weise nur Strahlen zur Netzhaut gelangen, welche durch
einen Seiteritheil des Glases gegangen sind , da alle anderen Strahlen von der Iris
abgeblendet werden. Ein durch die hinterliegende Pupille gleichsam abgegrenzter
Seitentheil des Glases wirkt dann auf das durchgehende Licht in der Eigenschaft
eines Prisma mit gekrümmten Flächen. Er lenkt demgemäss die Strahlen gegen seine
Basis, also gegen den entsprechenden Randtheil des Glases hin ab und zwar um
so mehr, je grösser der brechende Winkel des Prisma, d. i. je schärfer die Brille ist.
In Uebereinstimmung damit wird dieser Fehler bei schwachen Gläsern weniger
bemerklich , macht sich dafür aber bei scharfen Linsen um so fühlbarer. Die auf
die Netzhaut fallenden Bilder erscheinen nämlich verzerrt und da sie beiderseits
auf disparate Netzhautstellen fallen, beim binoculären Sehact öfters erhaben oder
vertieft. Der Fehler wird übrigens wesentlich gesteigert, wenn die Flächen der Gläser
nicht senkrecht auf deu Sehlinien stehen, da mit der Grösse des Einfallswinkels a.\ich
Nothwendige Eigenschafti'ii der Brillen. 797
die Ablenkung vväclist, welche die Strahlen durch die prismatische Gestalt der Seitcn-
theile der Gläser erfahren.
Es ergibt sich daraus die Notliwendigkuit, dem Nasenbügel der Brille
eine dem coucreten Falle entsprechende Länge zu geben. Es muss dai'um
vor der Wahl der lirille immer erst ermittelt werden, wie lueit die beiden
optischen Hornhautscheitel, durch welche die Gesichtslinicn hindurchgehen,
von einander abstehen, wenn der Kranke in Phitfernungen blickt, für
welche er die Brille benützen will.
Es handelt sich übrigens in der Praxis gar nicht um ganz haarscharfe
Bestimmungen. Die Brillen werden nämlicli niemals für eine einzige Distanz ver-
wendet. Mit dem Wechsel der Distanzen verändert sich aber der Convere-enzwinkcl
der Gesichtslinien und sohin auch der Abstand der beiden optischen Hornhaut-
scheitelpunkte. Um den Fehler ganz zu vermeiden, müssten also die Brillencentra
je nach der Entfernung der betrachteten Objecte sich nähern und entfernen, was
unthunlich ist. Es kommt eben nur darauf an, dass die Diffeienzen eine gewisse
Grenze nicht überschreiten. Es ist diese Grenze für schwache Gläser eine weitere,
für scharfe Gläser eine engere, in allen Fällen aber enge genug, um den Gebrauch
einer und derselben Brille für grosse und sehr kleine Entfernungen unvortheilhaft zu
machen.
Um die lirisrnatische Ablenkung auf ein Kleines zu reduciren, müssen
die Glasflächen einer Brille, welche zum Fernesehen verwendet wird, in
einer und derselben verticalen Ebene vor den Augen stehen. Soll die Brille
aber für kurze Distanzen dienen, so müssen die Gläser entsprechend dem
Convergenzwinkel der Gesichtslinien zusammenneigen, der Nasenbügel also
in der horizontalen Ebene einen nach hinten convexen Bogen beschreiben.
Die Brillengläser müssen aus dem reinsten, vollkommen farblosen
Spiegel- oder Krystallglase geschliffen werden.
Blaset!, Risse, SjJi-ünge sind von übelstem Einflüsse auf die Deutlichkeit der
wahrgenommenen Bilder, ebenso natürlich auch Schmutzflecke. Das auf sie wirkende
diffuse Licht erzeugt nämlich trübe Spectra, welche sich über die Bilder lagern.
Die Brillen sollen daher während der Zeit des Nichtgebrauches immer in passenden
Futteralen verwahrt werden. Zu ihrer Reinigung empfiehlt sich feines Linnenzeug.
Rehleder hat den Vorzug der Weichheit, doch wird es bei längerem Gebrauche
gerne fettig und leistet dann nicht das Geforderte.
Man pflegt die Brillengläser je nach ihrer grösseren oder geringeren Brenn-
weite mit Nummern zu bezeichnen. In der Regel drückt die Nummer den Werth
der Brennweite in Zollen ans, so dass ein Glas Nr. 40, 20, 10, 6, 5 1/2 e6e?i so viele
Zolle Bvennrceite besitzt. Selbstverständlich variiren desshalb Brillen gleicher Nummern
in den verschiedenen Ländern je nach den üblichen Längenmassen. Manche Optiker
nummeriren ihre Gläser jedoch nach ganz abweichenden und zum Theile sehr will-
kürlichen Principien.
Gewöhnlich werden Zerstreuungsgläser Inconcav geschlift'en, seltener plan-
concav. Sehr beliebt waren früher convexconcave oder periskoiyisrhe Gläser, da bei
ihnen die Abweichung wegen der Kugelgestalt im Allgemeinen weniger fühlbar
werden soll.
Als Materiale für die Brillenfassung dient am besten matt polirtes Metall.
Hörn und Schildplatt sind leichter, werfen sich aber gerne und verändern so die
Stellung der Gläser zum Auge.
3. Der Gebrauch von pussenden Brillen ist an und für sich durch-
aus nicht schädlich. Doch müssen bei deren Benützung gewisse Vorsichten
beobachtet werden. Zweckwidriger Gebrauch der Brillen, auch wenn diese
in jeder Beziehung den gegebenen Verhältnissen entsprächen, ist ganz ge-
eignet, das Grundleiden zu steigern und eine Reihe verdei-bl icher Zustände
hervorzurufen.
798 Myopie; Behandlung; Gebrauchsregeln für Brillen.
Bei mittleren und hohen Graden von Knrzsichtigkeit wird , wenn der
Kranke bisher keine oder viel zv, schwache Brillen getragen hat und die
relative Accommodationsbreite eine mangelhafte ist, die plötzliche Störung
der eingewurzelten Coordinationsverhältnisse nicht selten die Quelle von
asthenopischen Beschwerden. Man thut dann gut, die Kurzsichtigkeit
vorerst nur theilweise zu neutralisiren und allmälig, je nach Massgabe der
geänderten Associationsverhältnisse, zu den voll corrigirenden Brillen auf-
zusteigen.
Hauptregel ist, dass Brillen niemals für Distanzen benützt werden,
loelche innerhalb der Grenzen der deutlichen Sehweite fallen , da widrigen-
falls die für kurze Entfernungen erforderlichen Accommodationsquoten
sehr gesteigert und die Coordinationsverhältnisse zwischen Ciliar- und
Convergenzmuskeln in unerträglicher Weise gestört werden. Meistens
äussern sich diese Unzukömmlichkeiten alsbald in asthenopischen Be-
schwerden. Ueberdies liegt in der relativen Ueberbürdung der genannten
Muskeln eine Quelle von Congestivzuständen der Augen, welche eines der
wirksamsten pathogenetischen Momente abgeben für die Ausbildung und
die fortschreitende Grössezunahme eines Staphyloma posticum und mittel-
bar selbst für entzündliche Processe in den tieferen Binnenorganen des
Auges, die ihrerseits zur völligen Functionsuntüchtigkeit des Organes führen
können. Ist dann noch vielleicht gar die Brille zu scharf, oder ihre Stellung
zum Auge eine falsche, so treten jene Uebelstände um so rascher und
drohender hervor, die Brille wird zu einer Schädlichkeit der schlimm-
sten Art.
Bei niederen Graden von Myopie sollen darum Zerstreuungsgläser immer
nur zum Sehen in grössere Entfernungen verwendet werden.
Anders verhält sich die Sache, wenn der Fernpunktabstand unter 10 Zoll
herabsinkt. Dann können Zerstreuungsgläser auch beim Nahesehen, beim
Lesen, Schreiben und bei ähnlichen Beschäftigungen nicht immer ohne Nach-
theil entbehrt werden, indem die freien Augen behufs deutlichen Sehens den
Objecten übermässig genähert werden müssen, was nicht nur sehr grosse Con-
vergemen der optischen Axen voraussetzt, so lange gemeinschaftlicher Sehact
besteht, sondern auch eine starke Beugung des Oberkörpers nothwendig macht,
wenn die Objecte nicht beliebig ihren Ort verändern lassen. In Berück-
sichtigung dessen thut man bei Fernpunktabs fänden von loeniger als 10 und
mehr als 6 Zoll wohl, für Beschäftigungen mit Objecten, welche unbeschadet
der erforderlichen Nclzhaufbildgrösse über die deutliche Sehweite des Myops
hinaas, auf 1 2 und mehr Zoll Distanz, gerückt werden können, Brillen zu
empfehlen, deren Brenniveite den Fernpunktabstand um einige Zolle übertrifft.
Besonders räthlich erscheint eine solche Massregel, wenn die Accommodations-
breite eine verhältnissraässig geringe ist.
Theoretisch genommen ginge die Aufgabe dahin, Brillen zu wählen, welche
für die betreffenden Entfernungen dieselben Accommodationsquoten erforderlich
machen, wie im emnietropischen Auge. Dies wären aber gerade die voll corrigirenden
und diese erweisen sich Ijei an Gläser nicht sehr gewöhnten Augen in der Regel
zu, scharf, da sie die Coordinationsverhältnisse übermässig stören. Nimmt man aber
auf letztere allein Rücksicht iind wählt man Brillen, welche die virtuellen Bilder
der fraglichen Objecte genau im Fernininktabstande entwerfen, so finden die Kranken
dieselben in der Regel etwas zu schwach und fühlen sich bei deren Gebrauche un-
Behiindlunpf hoi Stapli. post. progiodions n. bei mynpisclipr Prftsbyopio. 799
befriedigt, während eine kleine Anfordoriuif;^ an den Aecommodationsmiiskcl ge-
meiniglicli sich als sehr zusagend erweiset.
Die Notlivvendigkcit einer solchen BrilUinvvahl tritt hcsonders liäidig Itei
Musikern hervor, welche die Noten in einer hestinimten Entfernung, etwa 18 — 30
Zoll vom Auge entfernt halten müssen.
Bei höclistgvadigen Myopien von xoeniger als 0 Zoll Fornpunktabstancl
muss sioli dor Kranke ohnehin in der Reii;el mit Gläsern behelfen, welche
relativ zum Fernpnnktabstande zu schwach sind (S. 798). Kr kann darum
ohne weiteres das ihm zusagende Glas für die Nähe benützen und benutzt
es auch meistens ohne allen Schaden, indem er für vorübergehende Beschauungen
ferner Gegenstände gewöhnlich noch ein zweites, in Stecherform gefasstes
Gläserpaar der Brille vorsetzt.
Der Brechwertii eines solchen Stechers lässt sich leicht aus der Formel
berechnen, wo f die Brennweite des Brillenglases, p jene
f g P
der beiden Gläser zusammengenommen oder der voll corrigirenden Brille und g
die gesuchte Brennweite des Stechers ist. Es ergibt sich nämlich
~ 's ~ jT ' f •
4. Besondere Aufmerksamkeit erfordern die Perioden des fortschreiten-
den Wachsthumes eines Staphyloma postlcum. So lange dieses nicht stationär ge-
worden ist, müssen die im Obigen auseinander gesetzten Regeln mit grösster
Strenge gehandhabt und insonderheit jede Ueberbürdung des Sehorganes und
jede Gelegenheit zu Congestivzuständcn des Bulbus auf das Sorgfältigste ver-
mieden werden. Zeigt sich das Grundleiden in rascher Progression begx'iffen,
so genügt dies nicht mehr; dann wird strenge Augendiät zur unerlässlichen
Bedingung, will man möglicher Weise einen Stillstand herbeiführen. Vor
allem wird es dann nothwendig, jede das Auge nur einigermassen anstrengende
Beschäftigung, das Lesen, Schreiben u. s. w. gänzlich aufzugeben und das
Sehorgan vor dem Einflüsse grellen Lichtes, namentlich stiirkerer Lichtcon-
traste, zu schützen (S. 403).
5. Eine sehr grosse Beachtung verdienen die senilen Alterationen des
Auges wegen ihrem Einflüsse auf die Länge und Lage der deutlichen Sehweite.
Sie steigex'n die Accommodationsquoten, welche zum scharfen Sehen in
kurze, diesseits des Fernpunktabstandes gelegene Distanzen nothwendig
sind im Verhältnisse zur Verminderung der Accommodationsbreite. Die
Folge davon ist, dass Beschäftigungen, welchen der Myops früher mit
Leichtigkeit dauernd oblag, nun eine Quelle von Ueberbürdungen des Accommo-
dationsmuskels werden und dem Auge geradezu Gefahr drohen können.
Bis zu einem gewissen Grade hilft sich dann der Mj'ops selbst durch Ver-
längerung der Objectsdistanz. Lst diese aber an der Grenze angelangt, welche
ihr die Art der Beschäftigung als solche oder die Grösse des erforderlichen
Sehwinkels setzt, so muss entweder die gewohnte Beschäftigung aufgegeben,
oder eine Brille angewendet werden, welche bei der passendsten Entfernung
des Gegenstandes virtuelle Bilder näher dem. Fernpnnktabstande dos myopischen
Auges entwirft.
Bei niederen Graden der Mj'opie wird, wenn das Object nahe an das
Auge herangerückt werden muss, manchmal die Benützung einer schwachen
Convexbrille nothwendig, welche von den innerhalb ihrer Brennweite gelegenen
Objecten aufrechte vergrösserte virtuelle Biläor jenseits der Objectsdistanz ent-
wii'ft. Bei höheren Graden von Kiirzsichtigkeit aber, bei welchen aus
erwähnten Gründen auch zum Nahesehen Concavgläser gebraucht werden,
800 Myopie; Behandlung; Quellen.
wird es nöthig, statt der früher benützten Brille eine schwächere zu wählen,
um solchermassen bei gleichbleibender Objectsdistanz den Abstand der virtuellen
Bilder zu vergrössern. Rückt dann später auch der Fernpunlctabstand hinaus,
so muss ebenso die für grössere Distanzen benützte Brille mit einer anderen
vertauscht werden, deren Brennweite dem dermaligen Abstände des Fern-
punktes entspricht. Bei höchstgradigen Myopien, bei welchen ohnehin in
der Regel zu schwache Gläser verwendet werden, wird ein Austausch der
Gläser nur selten nöthig.
6. In Fällen von Myopie, wo beim Nahesehen gemeinschaftlicher Seh-
act besteht und sich das Unvermögen äussert, für gewisse Beschäftigungen
die nöthige Convergenz der optischen Axen aufzubringen oder dauernd zu
erhalten , können prismatische oder sogenannte Dissectionsgläser ver-
sucht werden. (Siehe Therapie des Strabismus divergens).
Bei hochgradiger Kurzsichtigkeit, wo die Anforderungen an die Leistungsfähig-
keit der inneren Geraden immer ausnehmend gross sind (S. 790), will man gar
nicht mehr den Eintritt asthenopischer Beschwerden abwarten, sondern empfiehlt von
vorneherein zu prismatischen Gläsern und, falls diese nicht zureichen, zur Rück-
lagerung der äusseren geraden Augenmuskeln zu schreiten, um den üblen Folgen
wirksam vorzubeugen. Man ist übrigens geneigt, von der Tenotomie auch einen
günstigen Einfluss auf den weiteren Verlauf der Kurzsichtigkeit selbst zu erwarten
und hofft besonders, dadurch dem weiteren Fortschreiten vorhandener hinterer
Scleralstaphylome einen Damm setzen zu können (Graefe). Es kann nicht dringend
genug vor einem solchen Unternehmen gewarnt werden. Falls dadurch nämlich auch
wirklich dem Fortschreiten des Grundleidens Halt geboten werden könnte, so würde
dieser Gewinn nxir allzvi theuer erkauft durch Störungen des Projectionsvermögens
und durch die damit unvermeidlich gewordene Ausschliessung des einen Auges vom
gemeinscJiaft liehen Sehacte.
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Sitzungsberichte der Wiener k. Akad. der Wiss. XVI. Bd. 1855. S. 201—209, 213,
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97, 100 — 107, 114—144, 148, 154, 179, 181, 187, 279, 282—296, .30.3, 306, 308,
309, 311, 320, 325, 329, 338, 343, 350, 352, 354, 361, 468, 474. — Ed. Jaeger,
Einstellungen des dioptr. Apparates. Wien. 1861. S. 25, 72-^2, 195—211, 237,
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1869. — Noyes, Arch. f. Angcu- und Ohrenheilkde. 1. S. 154.
2. Die Uebersichtigkeit, Hypermetropie.
Krankheitsbild. Charakteristisch ist das Sinken des Refractionszustandes
unter den Nullwerth, also die Verlängerung des Fernpunktah Standes über die posi-
tive Unendlichkeit hinaus in negative Distanzen und das damit gesetzte Vermögen
des Auges, convergent auffallende Strahlen in deutliche und scharfe Netzhaut-
bilder zu vereinigen.
X. Der Fernpunktabstand kanu in allen möglichen negativen Wei'then
schwanken. Doch wird die Uebersichtigkeit in der Praxis nur dann von
Bedeutung, wenn der Refractionszustand einen erheblichen negativen Werth
erreicht, der Fernpunkt also in der nach hinten verlängerten optischen
Axe auf wenige Schuhe an den Bulbus herangerückt ist.
Um den Fernpunktabstand zu messen begnügt man sich in der Praxis
zumeist mit dem Aufsuchen der stärksten Sammellinse, welche knapp vor
das Auge gestellt, noch das scharfe und deutliche Sehen entfernter Gegen-
stände unter einem Gesichtswinkel von 5 Minuten (S. 761) ermöglicht.
Die Brennweite dieses Glases vermindert um dessen Abstand vom Auge gibt
den gesuchten Fernpunktabstand und dessen reciproker Wei'th den Grad der
vorhandenen Hypermetropie (S. 7 72).
Es ist klar, dass bei einem solchen Verfahren ein nicht ganz zu-
treffender Werth des Refractionszustandes gefunden werden müsse. Die
Coordinationsverhältnisse zwischen Ciliar- und Couvergenzmuskeln lassen näm-
lich eine völlige Abspannung des Accommodationsmuskels bei Parallel-
stellung der Gesichtsliuien nicht zu. Ueberdies springt die Linse, welche
bei Hypermetropen ununterbrochen in einer gewissen Convexitätssteigerung
erhalten wird, bei ungenügender Elasticität nicht immer rasch, wenn über-
haupt in ihre natürliche Form zurück, auch wenn der Ciliarmuskel völlig
erschlafft würde; es bleibt also der Refractionszustand etwas erhöht. Uni
den wahren Fernpunktabstand annähernd richtig zu bestimmen, ist es darum
unerlässlich , den Adaptionsmuskel durch wiederholte Einträufelungen
starker Atropinlösungen einige Zeit in völliger Abspannung zu erhalten.
Wurde bei diesem Versuche die Pupille stark erweitert, so muss das Glas bis
auf einen, der gewöhnlichen Pupillengrösse entsprechenden, centralen Theil abgeblendet
werden, widrigenfalls sich die Asymmetrie in der Krümmung der Hornhaut und Linse
geltend macht und das Urtheil trübt.
Optometer sind nur dann verwendbar, wenn sie mit Rücksicht auf beliebige
negative Distanzen gebaut sind. Die Ergebnisse sind noch weniger verlässlich, als
bei Emmetropie und Myopie. (S. 781).
Ganz gute Dienste leistet der Auyeiisjnegel , vorausgesetzt, dass die Accom-
modation des untersuchten Auges durch Mydriatica gelähmt ist und der Unter-
suchende seine jeweilige Einstellung beim Ophthalmoskopiren kennt. Ist (Fig. 102)
das unters2ichte Auge A hypermetropisch und für o oder g eingestellt, so wird das
untersuchende Auge B durch einen einfachen Beleuchtungssp>ieyel S S ein deutliches
Bild des Augengrundes von A gewinnen, wenn seine Einstellung bo oder l> g ist.
Es ergibt sich dann der Fernpunktabstand des Auges A als bo — ba oder als
bg — ba. Ein myopisches Auge B kann selbstverständlich durch einen einfachen
Beleuchtuugsspiegel ein deutliches Bild von A nur erhalten, wenn dieses in hohem
Stellwag, Augenheilkunde. 51
802
Hypermetropie ; Krankheitsbild : Gradtestimmuiig durch d. Augenspiegel.
Grade hypermetropisch ist. Wäre aber B in hohem Grade übersichtig , so müsste A
im yerinyen Grade hypermetropisch sein, auf dass der Augengrund des letzteren
Fig. 102.
deutlich gesehen werden könnte. Wird der Beleuchtungsspiegel jedoch mit einer
Correctionslinse comhinirt, also im aufrechten Bilde untersucht, so fallen jene Be-
schränkungen weg und die Brennweite des zum Scharfsehen erforderlichen Glases
in Verbindung mit der bekannten Einstellung des Auges B liefern die nöthigen
Factoren zur Berechnung des Refractionszustandes von A. Es gilt hier nämlich
wieder die Formel — — = i — — — , wo a die Einstellung des Auges B,
p die Brennweite der Linse und a die Einstellung des untersuchten Auges A mehr
dem Spiegelabstande bedeutet (S. 783). Wäre (Fig. 103) das Auge A iüxg eingestellt und
Fig. 103.
B für o, so wäre a^=gh und a = oft; es wäre also eine Concavlinse zum Scharf-
sehen erforderlich. Wenn aber A für o und B für g eingestellt ist, so müsste
offenbar eine C'onvexUnse angewendet werden. Falls B uhsolut hypermetropisch ist,
stellt sich die Formel — = — — — , es ist unter aUen Verhältnissen eine Con-
Ot p a '
vexlinse nothwendig.
Von einigem Werthe ist auch das Vergrösseriingsverhältniss, in welchem der
Augengrund eines hy2)ermetropischen Auges verglichen mit dem eines emmetropischen
zur Wahrnehmung kömmt (S. 783). Im verkehrten Bilde ist die relative Vergrösserung
eine hedeutende, besonders (5"3:6"1, iS'cAM'eJ^^e?-), wenn die Hypermetropie auf MacÄ-
ban beruht. Sie nimmt übrigens mit der Entfernung des Glases vom Auge zu. Im
aufrechten Bilde ist sie sehr gering, vornehmlich wenn in der Grundgleichung das
n vermindert erscheint (Mauthner, Schweigyer).
2. Der Nahepunkt liegt bald in positiver, bald in negativer p]utfernung
vom Auge, daher die deutliche Sehweite bald eine discontinuirliche , bald
ihrer ganzen Länge nach negative ist. Man spricht im ersten Falle von
einer facuhativen, im letzteren von einer absoluten Hypermetropie, ohne
dass jedoch damit nothwendig vei'schiedene Grade der Hypermetropie
bezeichnet wären, indem eben die Lage des Nahepunktes nicht blos von
Relative Hypermetropie ; Bestimmung des Naliepunktes u. d. Acoommodationsbreite. 803
dem minimalen Refractioiiszustande, sondern auch von der Grösse der
Acoommodationsbreite abhängt, folgerecht eine gleichiverthige Hypermetropie
als facultative und absolute sich darstellen kann.
Man wird sich dies am besten anschaulich machen, wenn man sich eine
Reihe negativer Refractionszustände neben einander stellt und zu jedem eine be-
stimmte Differenz, 1/7, Yu) etc. addirt, also den maximalen Refractionszustand bei
bestimmter Accommodationsbreite und daraus den Nahepnnktabstand ermittelt
(S. 765).
Man sieht dann ausserdem sogleich, dass Refractionszustände von geringem
negativen Werth bei normaler oder gar gesteigerter Accommodationsbreite Nahe-
punktabstände ergeben, die von normalen sich nicht sehr wesentlich unterscheiden, ja
dass ein Hypevmetrope mit sehr gesteigerter Accommodationsbreite einen kürzeren
Nahepunktabstand haben kann, als ein Emmetrope mit der normalen.
Gewöhnlich wird auch eine relative Uebersichtigkeit unterschieden. Unter
letzterer versteht man eine Hypermetropie, bei welcher der Nafiepunlct nur unter
der Bedingung in 2Jositive Entfernungen gerückt werden kann, dass die Gesichts-
linien sich vor dem fixirteri Punkte kreuzen (Donders), mit anderen Worten unter
der Bedingung, dass die Augen unter Aufgeben des binocularen Sehens nach
inne7i schielen.
Um den Abstand des Nahepunktes zu ermitteln, genügt bei facultativer
Hypermetropie das bei der Myopie zu gleichem Behufe vorgeschlagene Ver-
fahren (S. 783), nämlich ä\e ^eativaiaung äer kleinsten positiven Entfernung,
in welcher das Auge Objecte unter einem Winkel von 5 Minuten (S. 761)
deutlich und scharf zu sehen im Stande ist. Bei absoluter Uebersichtigkeit
rauss dem Auge eine dem Fempunktahslande entsprechend gewählte Sam-
mellinse vorgesetzt und dann die kürzeste Distanz gemessen werden, in wel-
cher mit dieser Brille noch deutliche und scharfe Wahrnehmungen vermittelt
werden. Es lässt sich aus diesem Wcrthe und aus der Brenntveite der be-
nützten Brille leicht die Entfernung des virtuellen Bildes berechnen und
durch Subtraction des Brillenab Standes vom Auge kömmt man zur Kenut-
uiss der Lage des Nahepunktes.
3. Objecte und virtuelle Bilder, welche innerhalb der deutlichen Sehweite
gelegen sind, sieht der Uebersichtige unter sonst normalen ^Verhältnissen
ebenso scharf und deutlich, wie der Emmetrope ; doch muss er viel grössere
Accommodationsquoten aufwenden und ermüdet daher leichter, es wäre denn,
dass seine Accommodationsbreite die Norm übersteigt, was bei jugend-
lichen Individuen, welche sich viel und anhaltend mit kleinen Objecten be-
schäftigen, ihre Accommodation also stark üben, häufig der Fall ist.
Die erforderliche Accommodationsquote für 20 und für 10 Masseinheiten ist
bei Emmetropie mit einer Accommodationsbreite von - (S. 765) —- und bezie-
• 5 1 . 1
hungsweise — . Bei Hypermetropie — _ und einer Accommodationsbreite wären
5 5
die Accommodationsquoten für 20 und 10 Masseinheiten — - und — -— : beiHyperme-
■* 10 D'DO *
1 13 3
tropie — — r und Accommodationsbreite — - wären sie — - und ^r^. Bei Huperme-
t^ 20 3 10 6-66 ■'■^
tropie — und Accommodationsbreite „ würden für Distanzen von 20 und 10
3 3
Masseinheiten Accommodationsquoten von ~-^ und — erforderlich sein.
*■ D'DO 5
Ausserhalb der deutlichen Sehweite gelegene Objecte und virtuelle
Bilder werden aber im Allgemeinen um so undeutlicher gesehen, je grösser
die die Netzhaut treffenden Zerstreuungskreise sind, je weiter also die
Pupille und je grösser der Abstand ist, in welchem die den dioptrischen
Apparat passirenden Lichtstrahlen hinter der Retina zur Vereiuiguiig
kommen.
51*
804- Hypermetiopii' ; Kranklieitsbild : Tlrsachen : Plathymorphie.
Insoferne der Einfluss dieser letzteren Differenz auf die Grösse der Zer-
streuungskreise aus erwähnten Gründen weitaus von dem des Durchmessers des
Sehloches überboten wird, besonders so lange der Krystall als lichtsammelndes
Medium besteht, findet der Uebersiclitige in der theilweisen Bedeckung und in mög-
lichster Ve7-engerung der Pupille ein sehr ivirksames Mittel, um von Objecten, welche
weit innerhalb seines Nahepunktes in positiver Entfernung gelegen sind, noch leid-
lich deutliche Wahrnehmungen zu gewinnen und so seine deutliche Sehweite schein-
bar um ein Bedeutendes zu verlängern. Er pflegt darum beim Betrachten von
Objecten, welche diesseits seines Nahepunktes liegen, gleich dem Myops stark zu
blinzeln, und sich wo möglich so zu stellen, dass das Object und das Äuge thuu-
lichst stark beleuchtet werden. Durch Aufwand des Maximum seiner Accommodations-
kraft wird dann nicht nur die Differenz der hinteren Vereinigungsweite verkürzt,
sondei'n auch die Pupille um ein Ferneres verengert und, was sich an der Grösse
der Zerstreuungskreise nicht mehr ändern lässt, sucht er dadurch in seiner Wir-
kung abzuschwächen, dass er, so weit es geht, die Objecte dem Auge nähert, in-
dem im umgekehrten Verhältnisse zur Objectsdistanz der Sehwinkel und somit auch
der lichtstärkere Ker-n des Zerstreuungsbildes wächst, letzterer also sich deutlicher
aus den verschwommenen Umrissen heraushebt. Durch fortgesetzte Uebung bildet
sich auch das Vermögen, Zerstremingskreise zu verarbeiten, nicht selten in ganz
wunderbarer Weise aus, so dass es gar nichts Ungewöhnliches ist, jugendliche
absolut Uebersichtige zu finden, welche mit freiem Auge mittlere und selbst ziemlich
kleine Druckschrift lesen, nähen u. s. w., immer vorausgesetzt, dass sie in der Lage
sind, durch starke Erletichtung der Augen und Objecte die Pupille sehr zu ver-
engern. Bei schwacher Erleuchtung, überhaupt bei lueiter Pujnlle, tritt aber der
Einstellungsfehler um so deutlicher hervor und es kann dieses so weit gehen, dass
absolut Hypermetropische bei schwachem Abendlichte und überhaupt in massig fin-
steren Räumen Schwierigkeiten finden, sich selbst zu führen.
4. Es ist hier übrigens von Wichtigkeit, zu bemerken, dass bei
hohen Graden der Hypermetropie nicht selten eine sehr beträchtliche Ver-
minderung der Sehschärfe gegeben sei, und dass diese Abnahme mit fort-
schreitendem Alter sich in viel rascherem V^erhältnisse steigere, als dies bei
Emmetropen der Fall ist. Man sucht den Grund dessen zum Theile
darin, dass die Netzhautbildcr vermöge der relativ tieferen Lage des hin-
teren Knotenpunktes kleiner ausfallen, zum Theile wird der Fehler aus
einer mangelhaften Entwickelung des lichtempfindenden Apparates abgeleitet.
Nebenbei ist aber auch der Umstand von grossem Belange, dass hohen
Graden von Hypermetropie häufig ein sehr asymmetrischer Bau der Horn-
haut und l^inse parallel geht (Donders).
Ursachen. Die Uebersichtigkeit kann ebensowohl resultiren aus
einer Verkürzung der Bulbusaxe, als aus einer Krümmungsabnahme einzelner
Trennungsflächen oder aus der Verminderung des Brechungsverhältnisses
der Linse.
Es ergibt sich dies unmittelbar aus der Grundgleichung N=7i.sin.^ (S 772),
wo die Länge der Bulbusaxe durch *iw. ß, die Brechungs- und Krümmungsver-
hältnisse der einzelnen dioptrischen Medien und ihrer Trennungsflächen durch den
Factor n repräsentirt werden.
1 . Iii einer gewissen Anzahl von Fällen ist wirklich die Hyper-
metropie nur der symptomatische Ausdruck eines fehlerhaften Baues des
Bulbus als Ganzen, insbesondere einer normwidrigen Kürze der optischen
Axe. Es ist dieser Fehler, der Flachbau, Plathymorphie, wenigstens in der
Anlage, angeboren und gewöhnlich ererbt {Ed. Jaeger). Wo er höhere
Grade erreicht, verräth er sich in sehr autfälliger Weise durch normwidrig
tiefe Lage und wirkliche oder scheinbare Kleinheit des Bulbus.
Bei genauerer Untersuchung findet man die Seitentheile des Augapfels stärker
gewölbt, der Bulbus ist im Gegensatze zur Bathymorphie mehr in die Breite als in
Accommodationsbreite flachgebaiiter Augen. 805
die Länge gewacliseii , er hat das Aussehen, als wäre er von hinten nach vorne
zusammengedrückt und dadurch in seiner hinteren und vorderen Convexität ver-
flacht. Dabei zeigt sich die vordere Kammer häutig in ganz deutlicher Weise ver-
engt. Es rührt dies von der durch stete Accommodationsanstrengung bedingten
Convexitütsvermehrung oder vielleicht auch von einer mehr vorgei'ückten Lage des
Krystalles her und macht, dass die Cornea im Allgemeinen etwas flacher gewölbt
scheint. Eine wirkliche Abplattung der Hornhaut ist indessen dem plathymorphischeri
Auge nicht eigen, vielmehr wurde bei hohen Graden angeborener Uebersichtigkeit,
wo die Hornhaut öfters im Ganzen verkleinert ist, eher eine stärkere Krümmung ihrer
Oberfläche bemerkt (DondersJ. Dabei zeigt sich der optische Scheitel der Cornea fast
constant sehr nach innen gerückt, die Gesichtslinien schliessen einen weit grösseren,
Winkel mit der langen Hornhautaxe ein, als dies bei Emmetropen der Fall ist, ja
schneiden die Cornea nicht selten so weit nach innen vom Krümmungsmittel-
punkte, däss die Augen bei ihrer Parallelstellung divergent zu schielen scheinen
''Donders) und die Beweglichkeit der Gesichtslinien nach aussen merklich beschränkt
ist (Schuerman). Ausgesprochene Plathymorphie soll übrigens mit flachem Baue der
Augenhöhlen einhergehen und dadurch das ganze Gesicht ein plattes Aussehen mit
wenig Relief gewinnen (Donders).
Die Accommodationsbreite erscheint bei dieser Form der Hypermetropie
iu jugendlichen Individuen sehr off auffallend gesteigert., übersteigt weitaus
'4 und erreicht sogar ^^3. Es darf dies nicht Wunder nehmen, da bei
der Uebersichtigkeit der Ciliarrauskel von Kindheit auf stark geübt wird
und die bei der Accomniodation vornehmlich thätigen Kreisfasern sich
ausserordentlich stark zu entwickeln pflegen (»S. 7 75). Immerhin kommen
unter solchen Verhältnissen oft genug auch Fälle vor, in welchen die
Accommodationsbreite trotz jugendlichem Alter und starker Bethätigung
des Ciliarmuskels kaum 'j^ erreicht und selbst ansehnlich geringer ist. Es
scheint, dass gerade diese Fälle es sind, welche besonders die Entwicke-
lung eines Strabismus convergens drohen. Doch ist die Verminderung
der Accommodationsbreite unter so bewandten Umständen keineswegs
immer eine reelle, sondern öfters gewiss eine scheinbare, indem man in der
Praxis gewöhnlich nicht den wirklichen äussersten , sondern nur den bei
Parallelismus der Gesichtslinien manifesten minimalen liefractionszustand in
Rechnung zieht.
Eine Folge dieses fehlerhaften \'organges ist auch, dass die Accom-
modationsbreite bei demselben Individuum je nach Zeit und Umständen
Schwankungen zeigt. Der manifeste Fernpunktabstand ist nämlich eben sowohl
von der relativen Accommodationsbreite , als auch von der Beschäfti-
gung des Individuums und von der grösseren oder geringeren Elasticität
der Linse abhängig, er ist ein anderer nach längerer Ruhe, ein anderer
nach fortgesetzten grossen Anstrengungen des Ciliai'muskels zum Behufe
des Nahesehens.
Eine weitere Folge der mangelhaften Bestimmung des Fernpuuktabstandes
ist die scheinbare Seltenheit der Hypermetropie im jugendlichen Alter. Laut statisti-
schen Untersuchungen (H. Cohn) zeigt sich die Uebersichtigkeit bei Kindern und
jugendlichen Individuen wirklich in einem viermal geringeren procentarischen
Verhältnisse als die Myopie. Es beschränkten sich diese Zählungen eben lediglich
auf Individuen, welche in der Lernperiode begriffen waren, also durch starke und
anhaltende Accommodationsarbeit den Krystall in eine etwas stärkere Krümmung
gebracht und zum Theile vielleicht ein Staphyloma posticum erworben haben
konnten. Es steht mit dieser Auffassung der Umstand im Einklänge, dass die Zahl
der Hypermetropen und der Grad des Refractionsfehlers während der Studienzeit
keine Zunahme erweisen Hessen, wohl aber nach Ablauf der Lernperiode überaus
rasch wuchsen.
806 Hypermetropie; Ursachen; Verflachung d. Cornea u. Linse ; Aphakie, senile Involution d. Linse.
2. Eine andere bisher wenig beachtete Quelle der Hypermetropie
liegt in angehorner abnormer Flachheit der Hornhaut (S. 772, 786) und viel-
leicht auch der Linse (Donders).
Es werden Convexit'dtsverrtiinderungen einzelner Trennungsflächen des diop-
trischen Apparates mitunter auch erworben. Indem dann aber die Krümmung wohl
immer eine sehr iinregehnässige ist, wird nicht sowohl Hypermetropie, als vielmehr
irregidarer Astigviadsmus mit Uebersichtigkeit als Grundlage das Resultat sein.
Hierher gehören die Verflachuugen der Hornhaut als Folge schrumpfender Narben
und die Volumsverkleinerungen des Krystalles , welche aus der regressiven Meta-
morphose partieUer Staare hervorzugehen pflegen. Bei Hypermetropie der letzteren
Art ist selbstverständlich die Accoimnodationsbreite immer auf Null reducirt.
3. Ein hochwichtiges pathogenetisches Moment der Hypermetropie
sind Staaroperationen und überhaupt jedes wie immer veranlasste Heraus-
treten der Linse aus der optischen Axe. Die solchennassen begründete Hyper-
metropie ist immer eine absolute und sehr hochgradige, der negative Fern-
punktabstand ist ein sehr kurzer, so dass Sammellinsen von wenigen Zollen
Brennweite zu ihrer Ausgleichung verlangt werden. Die Unterschiede,
welche sich hierbei in den Einzelnfällen ergeben, beruhen zumeist auf
den Schwankungen des natürlichen Baues der Augen. In hochgradig
myopischen Augen ist die durch Aphakie erworbene Hypermetropie mei-
stens unter, sonst über ^4- ^^^ Adaptionsvermögen ist unter solchen Ver-
hältnissen immer völlig aufgehoben. Wenn hier und da Fälle vorkommen,
wo linsenlose Augen die Fälligkeit erwerben , mit einer entsprechenden
Sammellinse, oder gar ohne diese, Gegenstände von sehr differenten Entfer-
nungen zu erkennen, in die Ferne und Nähe ziemlich deutlich zu sehen:
so rührt dies von einer ungewöhnlich stark entwickelten Asymmetrie in
dem Baue der Cornea, von sehr ausgesprochenem regulären Hornhaut-
astigmatismus her (Donders). Uebrigens können hierbei eine sehr enge
Pupille und das durch Hebung steigerbare Vermögen, Zerstreuungskreise zu
verarbeiten (S. 763, 804) mitwirken. Im Ganzen sind Fälle von relativ so
vortrefflichem Sehvermögen überaus selten; in der Regel macht sich ausser
dem gänzlichen \'erluste der Accommodationsfähigkeit auch eine sehr be-
trächtliche Abnahme der Sehschärfe geltend, was seinen Grund in dem
häufigen ^'orkommen von Trübungen an der Hinterkapsel und im Glas-
körper, nach Extractionen der Linse aber nebenbei in unregelmässigen
Verkrümmungen der Cornea (Reuss, Woinoiv) etc. findet.
4. Am häufigsten wird die Uebersichtigkeit begründet durch die senilen
Alterationen der Linse, d. i. durch die mit der Consistenzvermehrung ein-
hergehende Verflachung des Krystalles und durch die daran geknüpfte mehr
gleichmässige Vertheilung der Dichtigkeitsyrade in den einzelnen Schichten
desselben. Es äussern sich diese ganz eigentlich physiologischen Zustände
vorerst immer durch eine Abnahme der Aceommodationsbreite, also durch ein
Hinausrücken des Nahepunktes; die gleichzeitige Verminderung des natürlichen
Refrar.tionszastandes der Augen, also die Verschiebung des Fernpunktes, wird
durch Spannungen des Accommodationsmuskels gedeckt, es bedarf der
kräftigen Einwirkung von Mydriaticis, um sie offenbar zu machen. Bei
nahezu emmetropisch gewesenen Augen hat es sonach den Anschein, als
handle es sich blos um eine Accommodationsanomalie, um eine Vermin-
derung der deutlichen Sehweite durch blosse Zunahme des Xahepunkt-
abstandes, also um einen Zustand, welchen man früher als Femsichtigkeit
{Presbyopie im engeren Wortsitme) beschrieben hat. Bei wachsender Senescenz
Presbyopie; Verlauf; Ausgänge; Strabismus; Netzhautanaesthesie ; Asthenopii». 807
des Kiystalles tritt jedoch bald der Refractionsfehler klar hervor und steigert
sich mehr und mehr, wälu-end gleichzeitig, wegen zunehmendem Wider-
stände des Krystallkörpers gegen accommodative Formvei'änderungen und
am Ende wegen seniler Kraftabnahme des Muskels, die Accommodations-
breite in rascher Progression fällt; der scheinbar i-eine Accommodationsfehler,
die Fernsichtigkeit, stellt sich immer deutlicher als das heraus, was er
in der That ist, als eine mit beträchtlicher Accommodationsbeschränkung
gepaarte Uebersichtigkeit (Siehe Verlauf). Die überwiegende Häufigkeit so
entstandener Fälle lässt nach dem Grundsatze : a potiori fit denominatio,
die ui-sprüngliche Bezeichnung des Refractionsfehlers als Hyperpresbyopie
genügend rechtfertigen.
Der Verlauf und die Ausgänge sind sehr verschieden je nach dem
Grundleiden der Hypermetropie.
1. Die Plathi/morphie wird nur selten in auffälligem Grade an Neu-
geborenen beobachtet ; meistens tritt sie erst in den Kinderjahren hervor und
steigert sich allraälig, indem mit fortschreitendem Wachsthume das Miss-
verhältniss in den einzelnen Durchmessern des Augapfels zunimmt {Ed.
Jaeger). Mit der Vollendung der Körperentioickelung scheint jedoch die
Gestalt des Bulbus eine definitive zu werden und ein ferneres Sinken des
Brechzustandes lediglich auf Rechnung der Linsenverdichtung zu kommen,
also mit Beschränkung der Accommodationsbreite einherzugehen.
Doch kömmt es nicht selten vor, dass die durch Plathymorphie begründete
Uebersichtigkeit während der Jugendperiode wieder eine Gradverminderring erleidet,
der Refractionszustand sich demnach hebt oder gar Myopie resultirt. In einzelnen
Fällen mag bei weiterem Wachsthume des Bulbus das Missverhältniss zwischen
dessen einzelnen Durchmessern aufgehoben, oder die Kürze der optischen Axe durch
Krümmungsvermehruvg der Hornhaut ausgeglichen werden. In der Regel ist der
Grund der Steigerung des Brechzustandes zweifelsohne die durch fortgesetzte
Accommodationsanstrengungen bedingte Convexitätszunahme des Krystalles in Ver-
bindung mit der stärkeren Entwicklung der ciliaren Kreismuskelfasern, besonders
aber die Erwerbung eines Sfaphyloma posticum.
Der Flachbau führt im Beginne der Lernperiode sehr oft (bei
6 1 % (?) der manifest hypermetropischen Kinder, H. Cohn) zum convergirenden
Schielen, indem die zum Nahesehen erforderlichen Accommodationsquoten
unter forcirten Convergenzimpulsen leichter aufgebracht und erhalten werden.
In vielen Fällen kömmt es blos zum Aufgeben des gemeinschaftlichen
Sehactes, das eine Auge wird mit dem binoculären Theile seines Gesichts-
feldes gleichsam vernachlässigt, die betreffende Partie der Netzhaut stumpft
sich immer mehr ab und wird am Ende ganz unfähig, feinere Wahrneh-
mungen zu vermitteln.
Nach Vollendung des Körperwachsthumes sind derlei Schäden kaum
mehr zu befürchten. Dafür aber droht jetzt dem Hypermetropen eine
andere Gefahr , nämlich jene der accommodativen Asthenopie. Es kann
sich dieses Leiden bei angeborner Uebersichtigkeit möglicher Weise schon
frühzeitig einstellen, in der Regel geschieht dies jedoch erst im Beginne
des Mannesalters, um das 25. Lebensjahr herum, wenn die zunehmende
Dichtigkeit des Linsenkernes dem Accommodationsacte grössere Widerstände
entgegenzusetzen anfängt.
Mit fortschreitender Verdichtung der Linse nimmt in jedem Falle die
Accommodationsbreite gleich wie im normalen und kurzsichtigen Auge ab.
Späterhin kömmt es vermöge der Abflachung und gleichmässigeren Ver-
808 Hypermetropie ; Verlauf; Ausgänge; Hyperraetropische Presbyopie. ,
theilung der Dichtigkeitsgrade in den einzelnen Schichten des Kry stall es
auch zu einer weiteren Verminderung des natürlichen Refractionszustandes,
also zu einer ferneren Verkürzung des negativen Fernpunktabstandes , die
Uebersichtigkeit nimmt als solche zu.
2. In aphakisclien Augen kann der Brechzustand des dioptrischen
Apparates kaum erheblichen Wechseln unterworfen sein. Doch wird von
Manchen eine neuerliche Erhöhung des Refractionszustandes bis zu gerin-
gen Graden von Myopie bei excessiv Kui'zsichtigen, welche einer Staar-
operation unterworfen wurden, behauptet (Mooren).
3. Die senile Form der Uebersichtigkeit, die sogenannte Fernsichtig keit
oder Presbyopie, tritt selbstverständlich immer erst in den späteren Lebens-
perioden hervor. Doch ist der Zeitpunkt, in welchem sich die Consistenz-
zunahme der Linse fühlbar macht und der Grad, bis zu welchem sie in
einem gewissen Alter vorschreitet, in verschiedenen Individuen ein etwas
verschiedener und hauptsächlich von dem früheren oder späteren Beginne
und der mehr weniger i-aschen Zunahme der senilen Involution abhängiger.
Jene Accommodationsbeschränkungen, welche sich auch in der Jugendperiode
nach schweren erschöpfenden Krankheiten einstellen und ganz ähnliche
Erscheinungen, wie die Presbyopie begründen, können füglich nicht hierher
gezählt werden ; es sind vorübergehende Zustände, welche sich mit der Re-
convalescenz wieder in dem Masse beheben, als die Muskeln erstarken.
Im Allgemeinen kann man die zweite Hälfte der 40ger Jahre als die
Epoche bezeichnen, in welcher Emmetropen fernsichtig werden. Wo sich
unter sonst normalen Verhältnissen die Verminderung der Accommodations-
breite um ein Beträchtliches früher fühlbar macht, ist immer eine ange-
borne, durch Accommodationsanstrengung bisher gedeckt gewesene Hyper-
metropie gegeben. Umgekehrt muss dort, wo die Erscheinungen der Presbyopie
viel später zu Tage kommen, oder wo ins hohe Alter hinein gewöhnliche
Druckschrift bei guter Tagesbeleuchtung ohne sonderliche Anstrengung
gelesen wird, eine ursprünglich myopische Einstellung der Augen angenommen
werden (Donders).
Der Beginn des Leidens äussert sich blos durch die zunehmende
Schwierigkeit, für sehr kleine Objecte, welche dem Auge sehr nahe gebracht
werden müssen, die richtige Einstellung des dioptrischen Apparates auf-
zubringen oder zu erhalten. Er wird bei Individuen, welche nur selten
oder niemals in die Lage kommen, sich mit derlei winzigen Dingen zu
beschäftigen, meistens völlig übersehen.
Steigert sich das Grundleiden, so wird die Accommodation für wenige
Zolle Entfernung und damit auch die deutliche Wahrnehmung sehr kleiner
Gegenstände, z. B. die Entzifferung sehr feinen Druckes, zur baren Un-
möglichkeit. Der Presbyops findet dann sogar schon Schwierigkeiten beim
Lesen gewöhnlichen Druckes, schlechter Handschriften, beim Nähen und
überhaupt bei Beschäftigungen, bei welchen massige Annäherungen der
Objecte genügen und welchen der Normalsichtige anstandslos dauernd ob-
zuliegen im Stande ist. Namentlich tritt das Uebel in sehr misslicher
Weise bei schwächerer Beleuchtung hervor, wo die Objecte behufs deutlicher
Wahrnehmung verhältnissmässig näher an das Auge gerückt werden müssen.
Der Fernsichtige bedarf stärkerer künstlicher Beleuchtung, als der Emme-
trope, er muss die Objecte in möglichst günstige Lagen zur Lichtquelle
Presbyopie; Behandlung; Prophylaxis; Corrigirende Brillen. 809
bringen, um ihre Abstände einigermassen vergrösscrn zu können und
durch Verengerung der Pupille den P^influss der Zerstreuungskreise ab-
zuschwächen.
Aber auch unter den günstigsten Verhältnissen übersteigt der zu solchcMi
Beschäftigungen erforderliche Aufwand von Aocomraodationskraft bald die
gegebene Leistungsfähigkeit der betreffenden Organe. Der Adaptionsmuskel,
welcher vermöge der A'erlängerung des Nahepunktabstandes sich nahezu
auf das Maximum contrahiren muss, um die Linse in die nothwendige Con-
vexität zu bringen, ermüdet bald und lässl nach, während sich höchst un-
angenehme schmerzhafte Gefühle im Bereiche der sensiblen Ciliarnerven
entwickeln (Siehe Asthenopie).
Endlich rückt bei fortschreitender Sclerose des Krystalles und zu-
nehmender seniler Involution des Accommodationsmuskels der Nahepunkt
vom Auge immer weiter weg, die Accommodationsbreite sinkt tief unter
ihren normalen Wei'th auf ---, ^^^if -nr, ia auf -:- und darunter, macht
10 15 60
daher derlei Beschäftigungen mit freiem Auge gänzlich unausführbar. Es
werden eben nur mehr Objecte deutlich gesehen , welche bei Entfer-
nungen von mehreren Füssen und darüber noch einen ausreichenden
Sehwinkel geben.
Die Behandlung kann die Entwiekelung und Gradsteigerung des
Grundleidens kaum wirksam verhindern. Eine desto lohnendere Aufgabe
hat sie in der Verminderung und Beseitigung der Gefahren, welche der
Uebersichtigkeit ankleben. Die zweite, mit der ersten theilweise zusammen-
hängende Aufgabe richtet sich auf die Correction des Refractionsfehlers und
der etwa mangelhaften Accommodationsbreite , sowie auf Verhütung der
aus fehlerhaftem Gebrauche der erforderlichen Brillen erwachsenden Schäden.
1. In prophylaktischer Beziehung haben ähnliche Regeln, wie bei aus-
gesprochenem Z/aji^&awe der Augen in Anwendung zu kommen (S. 791, 1).
Vor allem Anderen ist es nothwendig, dass Kinder mit plathymorphischen
Augen nicht frühzeitig mit Lesen, Schreiben u. s. w. überbürdet werden,
widrigenfalls sich sehr bald die im Vorhergehenden erwähnten misslichen
Folgen, besonders gerne Strabismus, einstellen.
Von höchster Wichtigkeit ist ausserdem die Anwendung entsprechender
und zweckmässig construirter Brillen. Es wäre ein grosser Fehler, wollte
man das zarte Alter der Bedürftigen als einen Grund gegen die Verwend-
barkeit der Brillen geltend machen; im Gegentheile, wenn ausser Schonung
der Augen Etwas den genannten Gefahren wirksam vorzubeugen im Stande
ist, so ist es der rationelle Gebrauch passender Brillen. Doch darf nicht
übersehen werden, das Brillen unter keiner Bedingung den normalen Bau
des Auges zu ersetzen vermögen, indem ihnen nicht zu beseitigende Fehler
anhaften; dass sonach ein mit der entsprechenden Brille bewaffnetes
übersichtiges Auge unter allen Umständen an Leistungsfähigkeit dem nor-
malen nachsteht. Es muss dieses bei der Wahl des Lebensberufes sehr wohl
berücksichtigt werden, will man Schäden verhüten. Im Allgemeinen ist
als Grundsatz festzuhalten, dass höhergradig hypermetropische Individuen
nicht ohne Gefahr sich Beschäftigungen widmen, welche ein dauerndes
scharfes Sehen in kleine Distanzen erfordern.
2. Die Aufgabe der Brille geht vom theoretischen Standpunkte aus
betrachtet offenbar dahin, den Uebersichtigen in jede beliebige Entfernung
810 Hypermetropie ; Behandlung; Corrigirende Brillen.
mit derselben Äccommodation.oquote scharf und deutlich sehen zu machen,
wie ein emmetropisches Auge, also nicht blos den Refractionsfehler als
solchen, sondern auch die etwa mangelhafte Accommodaliunsbreite vollauf zu
corrigiren. Wo die Accomniodationsbreite die normale ist, wird dies eine
Sammellinse leisten, deren positiver Brechwerth dem negativen Eefrac-
tionszustande der Grösse nach gleich ist, wobei der nothwendige Abstand
des Glases vom optischen Centrum des Auges vernachlässigt wird. Im
Falle jedoch die Accommodationsbi'eite eine verminderte oder gar Null
wäre, müsste selbstverständlich der Brechwerth der Convexlinse im Ver-
hältnisse zur Verminderung der Accommodationsbreite gesteigert werden,
sobald es sich darum handelt, von 7iahe gelegenen Objecten ein schai'fes
und deutliches Bild zu gewinnen.
In der Praxis erweisen sich jedoch die nach diesem Principe gewähl-
ten Gläser immer um ein sehr beträchtliches zu scharf, der Uebersichtige
fühlt sich in ihrem Gebrauche höchst unbehaglich, ja bald stellen sich
asthenopische Beschwerden ein, welche zur Beseitigung der Brille zwin-
gen. Es kommt hier nämlich wieder der Umstand in Eechnung, dass der
Hypermetrope früher mit sehr beträchtlichen Accommodationsquoten zu
arbeiten bemüssigt war und nun. mit einer Brille bewaffnet, dieselben
Beschäftigungen mit einer viel geringeren Accommodationsquote verrichten
soll. Es ist nun aber nach grossen und dauernden Accommodationsanstren-
gungen die Abflachung der JJnse nicht immer eine der Entspannung
des Ciliarmuskels proportionale , sondern bleibt häufig hinter derselben
zurück, so dass die betreffende Einstellung eine verhältnissmässig grössere
Entspannung des Ciliarmuskels nothwendig macht. Es bringt aber diese starke
Entspannung des Accommodationsmuskels bei ungeanderter Objectsdistanz
eine ganz enorme Störung der eingewurzelten Coordinationsverhältnisse
mit sich, was durchaus nicht vertragen wird. Der Hypermetrope zieht
es daher immer vor, eine grössere Accommodationsquote mit der entspre-
chenden Convergenzquote zu combiniren und kann dies auch um so eher,
als die ciliaren Kreisfasern vermöge ihrer stärkeren Entwickelung die Accom-
modationsarbeit ausnehmend erleichtern.
Bei der Bestimmung der corrigirenden Brille ist darum auch nicht
der wirkliche äusserste Fernpunktabstand, sondern der manifeste das Mass-
gebende, mit anderen "Worten : die zu wählende Sammellinse muss im
Grossen und Ganzen einen etwas geringeren Brechwerth haben, als dem
Grade der Hypermetropie thatsächlich eut^spräche.
a. Bei facultativer Uehersichtigkeit wird im vollen Einklänge damit
der Gebrauch comgirender Brillen zum Fernesehen durchwegs lästig ge-
funden. Selbst wenn der Xahepunkt sehr weit vom Auge hinweggerückt
ist, also grosse Accommodationsquoten erfordert werden, ziehen die Kran-
ken zum Fernesehen das unbewaffnete Auge vor. Corrigirende Brillen sind
also nur Bedürfniss, wenn es sich um das deutliche und scharfe Sehen
in kurze Distanzen handelt. Dieselben haben unter solchen Umständen von
den ihrer Lage nach bestimmten Objecten aufrechte und entsprechend ver-
grösserte virtuelle Bilder in grösserer positiver Entfernung vom Auge zu
entwerfen, also in der Eigenschaft von Loupen zu wirken. Wo die
Accommodationsbreite die normale ist, sagt in der Regel dasjenige Glas am
meisten zu, dessen positiver Brechwerth den minimalen munifesten Refrac-
Wahl corrigirender Brillen bei fiuultiitivei- HyptMinetropie; Prismen. 811
tionszustand auf Null erhöht. Ist aber dio Accommodationsbreite unter
das normale Mass gesunken, so muss der Brechwerth des Glases um eine
entsprechende Differenz gesteigert werden. Die Grösse dieser Differenz lässt
sich nicht leicht theoretisch bestimmen, da hier die relative Accommodations-
breite eine wichtige Rolle spielt und bekanntlich eine sehr wandelbare
ist; da ferner gleichwerthige Coordinationsstörungen bei verschiedenen In-
dividuen und bei demselben Individuum unter verschiedenen Verhältnissen
eine sehr differente Verträglichkeit finden. Im Ganzen fordern grosse Be-
schränkungen der Accommodationsbreite wohl grosse und kleine Beschrän-
kungen kleine Differenzen ; der eigentliche Werth der letzteren kann aber
nur durch den praktischen Versuch ermittelt werden.
Auf dass die gewählte Sammellinse für zweckmässig erachtet werden
könne, muss dieselbe die Bilder nahe gelegener Objecto vollkommen rein
und scharf, Druckschriften also tief schwarz und ohne verschwommene
Ränder unter geringer Vergrösserung erscheinen lassen, ausserdem aber
auch unbeschadet der Schärfe und Deutlichkeit die Objectsdistanz innerhalb
gewisser Grenzen zu wechseln gestatten.
Eine geringe Vergrösserung ist, besonders bei etwas stärkeren Gläsern, ohne
Bedeutung. Sie hängt nämlich zum Theile von dem imvermeidlichen Abstände der
Brille vom Auge (S. 762), zum Theile von der ungewohnten Entspannung des
Ciliarmuskels und der dadurch beirrten Grössenheurtheilung ab, pflegt darum auch,
soweit das letztere Moment im Spiele ist, nach einiger Zeit sich wieder zu verlieren.
Eine Brille, welche den Träger zwingt, die Objecte seiner Beschäftigung
üher die normale Distanz hinauszuvücken oder dem Auge zu nähern, ist nicht die
richtige, sie ist im ersteren Falle zu schwach, im letzteren zu stark.
Oefters einweisen sich Brillen, welche jene Bedingungen im ersten
Augenblicke zu erfüllen scheinen, beim Gebrauehe als nicht verwendbar, in-
dem sie an die relative Accommodationsbreite zu grosse Anforderungen
stellen. Es darf daher diese Probe nicht eine zu flüchtige sein, sondern
der Kranke muss das Glas zehn Minuten, eine Viertelstunde und länger
zum Lesen u. dgl. benützt haben und es zusagend finden, ehe man sich
über die Tauglichkeit desselben entscheidet. Dabei thut man wohl, die
Beleuchtungsintensität des Zimmers in verschiedenen Graden wechseln zu
lassen und den Versuch allenfalls auch bei künstlichem Lichte voi'zunehmen.
Häufig erscheint es dann von Vortheil, für die Arbeit bei künsilicher Be-
leuchtung etwas schärfere Gläser zu wählen.
Wo man auf grosse Unverträglichkeit gegen jede, selbst geringe Störung
der eingeivurzelten Coordinationsverhältnisse stösst, müssen dieselben nach und
nach den Bedürfnissen gemäss umgestaltet werden. In der Regel genügt
es, die Brille anfangs immer nur ganz kurze Zeit, mit vielen Unterbrechungen,
gebrauchen und sogleich wieder weglegen zu lassen, sobald sich ein Ge-
fühl von Unbehaglichkeit einstellt. Meistens hat sich der Hypermetrope
innerhalb weniger Tage an die Brille gewöhnt und kann sie nun ohne
Beschwerde stetig benützen, vorausgesetzt, dass sie lichtig gewählt ist.
Bei vermöglichen Leuten, welchen der Ankauf mehrerer Brillen nicht wehe
thut, kann man auch wohl mit schwachen Gläsern, welche dem Kranken
die Arbeit etwas erleichteim, beginnen und allmälig zu den corrigirenden
übergehen.
Manchmal bleibt indessen nichts anderes übrig , als das corri-
girende Glas mit Prismen, Basis nach innen, zu combiniren, um die Herab-
setzung der Accommodationsquote an eine entsprechende Verminderung
812 Hypermetropie ; Behaudlmig : Wahl d. torrig. Brille bei absoluter Hypermetropie.
der erforderlichen Convei'genzquote zu knüpfen und so die Alternative
zu vermeiden, entweder die Correction der Hypermetropie nnd der mangel-
haften Accommodationsbreite ganz ungenügend zu lassen, oder bei der
Wahl des richtigen Brechwerthes durch Störung der Coordinationsverhält-
nisse asthenopische Beschwerden herauszufordern. Der brechende Winkel
des Prisma braucht nur selten di-ei Grade jeseitig zu erreichen, in der
Regel genügen zivei Grade vollkommen. Es ist eben gar nicht die Aufgabe,
die Convei'genzmuskeln ganz zu entlasten, sondern die erforderliche Con-
vei'genzquote bei der ungewohnten Verminderung der Accommodations-
quote um ein Gewisses zu verkleinern. Es leisten solche auf Prismen
geschliffene Convexlinsen in geeigneten Fällen ganz vortretfliche Dienste.
Gewöhnlich dauert es auch gar nicht lange, so sind die neuen Coordiuations-
verhältnisse völlig wieder eingewurzelt und erlauben einen weiteren Schritt
vorwärts. Der üebersichtige kann nun der Prismen entbehren und die
einfachen corrigirenden Sammellinsen zur Arbeit dauernd verwenden.
Der mit dem Gebrauche der Brillen verbundene Wechsel der Coordiuations-
verhältnisse bringt es mit sich , dass der Üebersichtige bald unfähig wird, die für
kürzere Objectsabstände erforderlichen Convergenzen mit den entsprechenden
accommodativen Einstellungen zu verknüpfen; er muss beim Sehen mit y/'ei'eOT Auge
kleine Gegenstände viel weiter entfernen, als dies früher der Fall war, findet dem-
nach beim Lesen, Schreiben u. s. w. ohne Brille viel grössere Schwierigkeiten, als
vordem, oder ist ganz ausser Stande, solche Arbeit zu leisten. Es liegt dann für
den Laien nahe , eine Zunahme des Uehels anzunehmen und die Gläser eines ver-
derblichen Einflusses auf das Sehvermögen zu beschuldigen. Daher die ziemlich
verbreitete Scheu, mit dem Gebrauche der Brillen zu beginnen. Es ist Sache des
Arztes, derlei Bedenken diirch Aufklärung des Irrthumes zu zerstreuen und dem
Brilleubedürftigen bei Verordnung der Gläser die zu gewärtigenden Folgen von
vorneher bekannt zu geben.
b. Bei der absoluten Hypermetropie sind Convexbrillen auch zum
deutlichen und scharfen Sehen in grössere Entfernungen nothwendig. Auch
hier entsprechen nicht neutralisirende, sondern iceit schwächere Gläser, welche
sehr beträchtliche Accommodationsquoten mit der Parallelstellung der Ge-
sichtslinien zu verknüpfen zwingen. Zum Nahesehen hingegen dienen bei
normaler Accommodationsbreite wieder die den manifesten mi7iimalen Refrac-
tionszustand auf Xull setzenden Gläser, bei verminderter Accommodations-
breite aber Sammellinsen, deren Brechwerth den manifesten Grad der Hyper-
metropie an Grösse etwas übersteigt. Für die Wahl dieser Gläser gelten
die oben aufgestellten Regeln.
Manche Üebersichtige dieser Art benützen gerne zum Herumgeheyi eine Brille.
Im Falle sie dann für kurze Zeit in die Nähe schart' sehen wollen, können sie
einen Stecher beifügen, welcher den Brechwerth der Brille auf die zum Nahesehen
erforderliche Höhe bringt. Wäre — der Brechwerth der zum Fernesehen verwen-
deten und — jener der zum Nahesehen erforderlichen Brille , so wäre der Brech-
werth — des Stechers = — — — .
o o n m
Wenn die Accommodationsbreite eine sehr geringe oder gar Null ist.
wie z. B. nach Staaroperationen, sollte eigentlich für jede Entfernung
eine andere Brille in Anwendung kommen. In der Praxis genügen jedoch
in der Regel zwei verschiedene Sammellinsen. Was diesen nämlich an
Leistungsfähigkeit abgeht, wird in zureichendem Masse durch die die Accommo-
dation supplirenden Verhältnisse (S. 804) ersetzt. Zudem kann sich der
Kranke noch durch Verschiebungen der Brille helfen. Insoferne nämlich
Fehler starker Coiivexgläser; Perspectivbrillen; Correction ungleicher Refractionszustände. 81»'
bei absoluter Hyperraetropie immer GUiRer von wenigen Zollen Brennweite
nothwendip; sind, hat der Abstand der Brille vom Auge sclion einen sehr
fühlbaren Kinliuss auf die Lage der virtuellen Bilder in der deutlichen
Sehweite. Eine Vermehrung dieses Abstandes um y^, ^/2 Zoll genügt fast
immer , um (Jläser mit zwischenwerthigni Brennweiten entbehrlich xa
machen.
Bei den starken Gläsern, welche hochgradig Hypermetropische, insbesondere
aphakische Augen benötiiigen , macht sich die unregelmässige Brechung der Rand-
stralüen überaus fühlbar und dies zwar im gesteigerten Masse, wenn die Fläche
des Glases schräg zum Objecte gestellt ist. Es werden dann die Netzhautbilder
excemtrisch im Gesichtsfelde gelagerter Objecte nicht nur verzerrt, sondern es resul-
tirt gleichzeitig auch ein concentrischer Ausfall im Gesichtsfelde. Es ist dieser
Ausfall bei sehr starken Brillen nicht selten so bedeutend, dass er die Selbst-
führung des Kranken einiger Massen erschwert, und zwar rückt die äussere Grenze
desselben bei sonst gleichem Durchmesser der Pupille, bei gleichem Brechwerthe
des Glases und gleichem Abstände des Letzteren von der Pupillarebene um so
näher an den Fixirpunkt heran, je kleiner die Oeffnung der Brille ist (Berlin). Es
ergibt sich daraus die Nothwendigkeit, starken Convexgläsern eine thunliehst
grosse Oeffnung zu geben und für deren senkrechte Stellung zur Gesichtslinie
zu sorgen.
Manche glauben, mittelst periscopisch geschliffener Gläser jene Fehler einiger
Massen zu umgehen und das Gesichtsfeld wesentlich zu vergrössern. Soviel steht
fest, dass Perspectivbrillen (S. 794) manchen hochgradig Uebersichtigen ganz vor-
zügliche Dienste leisten und die centrale Sehschärfe im Vergleiche zu der durch
biconvexe Linsen erzielbaren ganz ansehnlich steigern. Wo es sich um einige
Vergrösserung der Netzhautbilder handelt, dürften dieselben sich öfters sehr erspriess-
lich erweisen.
Ebenso wie bei hochgradiger Kurzsichtigkeit sind auch bei sehr hohen
Graden von Hypermeti-opie die käuflichen Theaterper-spective zum Fernesehen öftei-s
unzulänglich. Zur Correction muss der Kranke nebenbei seine Brille benützen
oder den Brechwerth des Ocnlares um jenen seiner zum Fernesehen benützten
Brille vermindern.
3. Wo beide Augen in verschiedenen Graden übersichtig sind oder bei
gleichem Grade von Hypei'metropie eine verschiedene Aecommodationsbreitehaben,
muss jedes Auge für sich durch eine entsprechende Brille corrigirt werden.
Ist das eine Auge kurzsichtig und seine Accommodationsbreite nicht sehr
verkleinert, das andere Auge aber übersichtig und einer corrigirenden
Brille bedürftig, so thut man öfters wohl, blos in die dem übersichtigen
Auge entsprechende Oeffnung der Brillenfassung das zusagende Glas ein-
schleifen, die andere Oetfnung aber leer zu lassen. Grosse Diff^erenzen in
dem Brechwerthe der beiden Gläser machen sich' auch hier durch ungleiche
Vergrösserung der Netzhautbilder öfters unmöglich. Es bleibt in einem
solchen Falle nichts Anderes übrig, als sich mit der vollen Correction des-
jenigen Auges zu begnügen, welches für die bestimmte Entfernung vornehm-
lich benützt wird, die Correction des zweiten Auges aber nur soweit vor-
zunehmen, als es die ^'erhältnisse gestatten. Wo kein gemeinschaftlicher
Sehact besteht, fällt die Nothwendigkeit differenter Gläser selbstverständ-
lich weg.
Die Unverträglichkeit erlieldlcher Differenzen in der Netzhautbildgrösse
beider Augen erlaubt auch nicht die Neutralisation des Refractiousfehlers bei
einseitigem Verluste der Linse, so lange das andere Auge zum Scharfsehen noch
tauglich ist.
4. Auch Convexgläser werden am besten in Brillenform gefasst. Bei
niederen Graden der Uebersichtigkeit, wo sehr grosse Brennweiten zum
Zwecke genügen, kann allerdings ohne Schaden ein Stecher oder binocu-
814 Hypermetropie; Behandlung; Zwicker; Lesegläser; Quellen.
larer Zwicker benützt werden, da hier der Abstand der Gläser vom Auge
und die prismatische Ablenkung nur wenig ins Gewicht fallen. Bei höhereu
Graden von Hypermetropie, wo stärkere Gläser in Anwendung kommen,
machen sich die beiden letztgenannten Momente jedoch schon sehr fühlbar^
daher es von grösstem Belange ist, die Gläser in einer gewissen Lage und
Stellung zum Auge zu fixiren. Dies vermögen aber nur Brillen im engeren
Wortsiniie.
Im Allgemeinen gilt hier wieder die Regel, dass die Gläser möglichst
nahe am Auge stehen und dass ihre Axen mit den Sehlinien zusammenfallen,
oder doch nur einen sehr kleinen Winkel einschliessen (S. 796).
Besonders lästig ist beim Gebrauche von sehr starken Convexgläsern bis-
weilen eine eigene Sinnestäuschung, vermöge welcher hohle Gegenstände convex
oder umgekehrt erscheinen. Es ist dieses Phaenomen eine Folge der prismatischen
Ablenkung und tritt darum besonders stark hervor, wenn der Nasenbügel der Brille
zu kurz oder zu lang ist, so dass hauptsächlich Strahlen in die Pupille beider
Augen gelangen, welche durch die innei^en und äusseren Hälften der beiden Gläser
hindurchgegangen sind (ZehenderJ. Die Vereinigung je zweier homocentrischer
Lichtbündel erfolgt dann eben auf disparaten Netzhautstellen und macht das
binoculäre Bild des betreffenden Objectpunktes aus der Kernfläche des Seh-
raumes hinwegrücken.
5. Es versteht sich von selbst, dass bei Gradsteigerungen der Ueber-
sichtigkeit, wie sie z. B. in höherem Alter Regel sind, von Zeit zu Zeit
Gläser mit entsprechend verkürzter Brennweite gewählt werden müssen.
Nimmt aber bei weit gediehener seniler Involution auch die Sehschärfe um
ein Bedeutendes ab, so werden Brillen öfters ganz unzureichend, es bedarf
stark vergrössemder Lesegläser (Gräfe). Sie sind meistens nur zum
monocularen Sehen verwendbar (Donders) und müssen bei hohen Graden
absoluter Hjpermetropie mit den entsprechenden Brillen in Gebrauch ge-
zogen werden.
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275, 276, 277, 278, 279; Ophth. II. S. 360—379. — Donders, A. f. O. IV. 1. S. 319,
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233, 235, 237, 243, 244, 258, 262, 263, 266, 268, 468, 474, 476. — Ed. Jaeger, Ein-
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Astigmatismus abnunu. icgul. ; Kruukheitsbild ; Sphstörui%'. <S 1 5
3. Der abnoriue reguläre Astigmatlsimis.
Krankheitsbild. CharaJderistisch ist ein beträcJitlicher Unterschied in
dem Brechungszustande verschiedener Meridianehenen des dioptrischen Ajjparates
und eine davon abhängige fühlbare Mangelhaftigkeit der Sehschärfe (8. 776).
1. Die Gesichtstörung gehört nothwendig zum Begriffe, denn durch sie
unterscheidet sich der abnorme Astigmatismus von dem normalen, welcher
fast jedem Auge anhängt (S. 757). Es sind sowohl beim Ferne- als Nahe-
sehen viel grössere Gesichtswinkel erforderlich, sollen die Wahrnehmungen
einen einigermassen befriedigenden Grad von Deutlichkeit gewinnen. Bis-
weilen geht die Abnahme der Sehschärfe so weit, dass man an Amblyopie
denken könnte.
Uebrigens macht sich die Abnahme der Sehschärfe bei gleichen Meridian-
asymmetrien nicht immer in gleichem Masse geltend. Erweiterung der Pupille steigert
sie, während Verengerung des Sehloches den Fehler oft grossen Theiles deckt.
Individuen, welche sich blos mit groben Gegenständen beschäftigen, übersehen häutig
beträchtliche Grade von Astigmatismus; während beim Lesen, Schreiben und vor-
nehmlich bei sehr feinen Arbeiten schon geringe Meridianasymmetrien überaus
störend wirken und zur Correction auffordern können.
Ist der natürliche Brechzustand der Augen nebenbei ein myopischer
oder hypermetropischer, so kann die Sehschärfe bis zu einem gewissen Grade
durch entsprechende Convex- oder Concavbrillen gehoben werden, bleibt aber
immer hinter jener normaler Augen um ein sehr Bedeutendes zurück. Dabei
fällt es auf, dass nicht ein einzelnes bestimmtes Glas das Maximum der
Correction bewirkt, sondern vielmehr die Brennweite innerhalb gewisser
Grenzen wechseln kann, ohne dass die Deutlichkeit der Wahrnehmungen
merklich stiege oder fiele, was sich aus der verhältnissmässig grossen
Länge der Brennstrecke (S. 758) erklärt (Knapp, DondersJ. Manche Kranke
sind auch wohl von selbst darauf gekommen, dass Schiefstellung der ge-
brauchten Gläser deren Leistungsfähigkeit bedeutend erhöht.
Es gelangen unter so bewandten Umständen nämlich vorwiegend nur jene
Strahlen der einzelnen liomocentrischen Lichtbündel in die Pupille, welche das
Glas längs seiner Drehungsaxe passirt haben; die übrigen Strahlen werden vermöge
der Grösse ihres Einfallswinkels theils reflectirt, theils so stark abgelenkt, dass sie
die Bilder der ersteren an Deutlichkeit nicht sonderlich schädigen. Die Correction
ist demnach in einein Meridiane sehr gross, während die übrigen Meridiane halbwegs
abgeblendet werden; das schief gestellte Glas ersetzt neben seiner Brechwirkung
theilweise eine stenopäische Spalte.
Dazu kömrat dann noch, dass horizontale und ve)tieale Linien, sowie
Objecte, in welchen diese oder jene Dimension vorwaltet, bei aufrechter
oder bei einer bestimmten schrägen Stellung des Kopfes in verschiedenen
Distanzen deutlicher erkannt werden (Knapp, Donders).
Nicht wenige Astigmatiker sind von selbst auf die letzterwähnte Differenz
aufmerksam geworden und lieben sie bei der Beschreibung ihres Znstandes stark
hervor. Andere haben ganz uubewusst auf empirischem Wege gelernt, die Differenz
durch bestimmte Stelltmgen der verticalen Kopfnxe oder der Objecte befriedigend
auszugleichen, sie wenden z. B. beim Lesen und Schreiben das Papier so,
dass die Zeilen statt in horizontaler in verticaler oder sehr schiefer Richtung
laufen. Einzelne wohl Geübte vermögen durch solche Manöver hohe Grade des
regulären Astigmatismus so weit unschädlich zu machen, dass sie die _/ei'7i*(^e?i Arbeiten
verrichten (Javal).
316 Astigmatismus; Krankheitsbild; Objectiver Nachweis.
Bei hohen Graden von Astigmatismus macht sich übrigens auch die
Farbenzerstreuung geltend. Das Zerstreuungsbild eines Lichtpunktes, so wie
auch anderer Objecte, erscheint unter günstigen Verhältnissen von verschieden-
färbigen Säumen umgeben und deren Anordnung wechselt je nach der Distanz
des Objectes und nach den Refractionszuständen des Auges, lässt sich auch
durch Aenderung der Entfernung, so wie durch ^'orsetzung verschiedener
positiver oder negativer Gläser vor das Auge innerhalb gewisser Grenzen
beliebig modificiren.
Es treten diese Phänomene am schärfsten heraus, wenn man statt weissen
Lichtes bei der Untersuchung solches anwendet, welches nur aus zwei prismatischen
Farben von möglichst ve)-schiedener Brechbarkeit besteht, wenn man also Sonnen-
licht durch dunkel violette, oder Lampenlicht durch dunkle Kohaltgläser gehen
lässt. Betrachtet der Astigmatiker durch solche Gläser einen Lichtpunkt, so wird
sich der letztere bei myopischer Einstellung des Auges röthlich mit blauem
Saume , bei hj'permetropischer Einstellung aber blau mit rothem Rande zeigen.
Sieht der Kranke den Lichtpunkt möglichst scharf und rund, wird also die Mitte
der Brennstrecke auf die Netzhaut geleitet, so erscheinen der obere und untere
Rand blau, die beiden seitlichen roth eingesäumt, das Auge ist im verticalen Meri-
diane relativ myopisch, im horizontalen hypervietropisch. Sieht der Astigmatiker aber
den Lichtpunkt zu einer Linie verzogen, fällt also eine Brennlinie auf die Netz-
haut, so sind die Aussenenden und die Mitte der Linie von verschiedener Farbe und
bei Richtungsänderung der Lichtlinie durch ein modificirendes Glas wechseln auch
die Farben (Donders).
2. Objectiv lässt sich der regelmässige Astigmatismus, doch nur soweit
er die Hornhaut betrifft, durch ophthalmometrische Messungen bestimmen.
Da in der Praxis immer der totale Astigmatismus massgebend ist und jene
Messungen überdies sehi" kostspielige und complicirte Instrumente (Helm-
holtz) nothwendig machen, sind die bezüglichen Methoden für den allgemeinen
Gebrauch weniger geeignet.
Dagegen bietet der Augenspiegel einen guten praktischen Behelf, um höhere
Grade des totalen Astigmatismus mit der Richtung der Hauptschnitte zu er-
kennen. Es zeigt nämlich die Sehnervenpapille bald in dem einen, bald
in dem anderen Hauptschnitte eine maximale Verziehung, je nachdem der
Augengrund im aufrechten oder verkehrten Bilde untersucht wird (Knapp,
Schweigger). Deutlicher noch tritt der ungleiche Eefractionszustand ver-
schiedener Meridianebenen an den Gefässen des Augengrundes hervor. Man
sieht nämlich blos einzelne Adern, welche in bestimmten Pachtungen ziehen,
völlig scharf begrenzt. Um die übrigen, besonders die in einer darauf
senkrechten Richtung streichenden Stämme in klaren Bildern zur Anschauung
zu bringen, bedarf es einer Aenderung in dem Accommodationszustande
des ophthalmoskopirenden Auges. Es kehren sich auch diese Erscheinungen
um, je nachdem im verkehrten oder aufrechten Bilde untersucht wird
(Donders).
Es sind diese Unterschiede in der Regel allerdings nicht sehr auflallig. Doch
kann man dieselben stärker hervortreten machen, wenn man den Spiegel mit
der Correctionslinse oder die Loupe möglichst weit vom untersuchten Auge ent-
fernt, indem solchermassen die relativen Vergrösserungscoefficienten sehr gesteigert,
beziehungsweise verkleinert werden (Mauthner). Man thut dabei sehr wohl, die
Pupille maximal zu erweitern, um ein möglichst grosses Stück des Augengrundes
auf einmal zu übersehen. Um sich vor Täuschungen zu hüten, ist es von grosser
Wichtigkeit, dass das Correctionsglas des Spiegels sowie die Loupe immer parallel
zur Pnpillarebene des untersuchten Auges stehe, widrigenfalls künstlich eine ganz
analoge Verzerrung des Bildes herbeigeführt wird (Schweigger). Bei grosser
Uebung im Ophthalmoscopiren lässt sich wohl auch nach bereits erwähnten
Gradbestimmunpr (Inroh Sphversuche ; Vorsurlip mit Spalton. 817
Gesetzen (S. 782, 801) der Refraetionszustand der beiden Hanptmeridiaiie mit
einiger Genauigkeit ermitteln. In einzelnen höclisfciradigen Fällen hat man eine
Verdoppelung des Augengrundes beobachtet (Oraefe, Knapp).
Uebrigens verrathen sich hohe Grade des Astigmatismus mitunter
schon durch die eigenthümliche Gestaltung der Cornea, es erscheint diese in
die Länge oder Quere gezogen, oval; oder man kann gar die abweichende
Krümmung verschiedener Meridiane mit freiem Auge direct wahrnehmen.
Häufiger lässt sich eine astigmatische Krümmung blos aus eigenthümlichen
Verzerrungeai der Spiegelbilder, vornehmlich eines Quadrates oder kreisförmi-
gen Objectes erschliessen.
3. Leichter und sicherer werden die Richtung und der Refractions-
zustand der beiden Hauptschnitte und damit auch der Grad des Astig-
matismus durch Sehversuche, also auf subjectivem Wege, bestimmt. Ist wirk-
lich ein abnormer Grad von Meridianasymmetrie gegeben und das Auge an
sich oder durch Vermittelung sphärischer Gläser für positive Entfernungen
eingestellt, so wird ein Lichtpunkt in einem Zerstreuungsbilde wahrgenommen
werden, dessen Grösse und Gestalt je nach dem Abstände des Objectes und
je nach dem Masse der Ablenkung, welche die auf die Netzhaut gelangen-
den Strahlen erlitten haben, wechseln. Es wird sich dann immer eine
gewisse Distanz finden lassen, in welcher der Lichtpunkt in einen Streifen
mit scharfen Seitenrändern und verschwommenen Enden verzogen erscheint.
Die Richtung dieses Streifens ergibt, die primäre Augenstellung voraus-
gesetzt, die Direction des einen Hauptschnittes und damit natürlich auch
jene des zweiten, da dieser beim regulären Astigmatismus immer senkrecht
auf dem ersten steht. Wird dann bei Vermeidung eines Accommodations-
wechsels die Entfernung des Lichtpunktes nach einer bestimmten Richtung
geändert, in der Regel vermindert, so verkürzt sich der Streifen bei zu-
nehmender Dicke, er geht in eine Ellipse mit fallender Excentricität, bei
fortgesetzter gleichartiger Distanzveränderung aber in eine runde ver-
schwommene Scheibe, wieder in eine Ellipse, und endlich gar in einen
Streifen über, dessen Richtung zu der früheren senkrecht ist.
Es ändert selbstverständlich nichts an dem Effecte, wenn statt des
wirklichen Distanzwechsels ein scheinbarer stattfindet. Versucht man bei
unverändertem Objectsabstande und horizontaler Blickrichtung nach und nach
verschiedene, je nach Bedarf positive oder negative Gläser mit auf- oder
absteigender Nummer, so gelangt man in der That bald zu einer Linse,
durch welche der Lichtpunkt sich als ein scharf begrenzter Streifen dar-
stellt, dessen Axe jedoch senkrecht auf der früheren Richtung lagert (Knajjp,
D anders).
Für grössere Distanzen benützt man, um liinlänglich starke Eindrücke zu ge-
winnen, am besten ein V2 — 1 '" im Durchmesser haltendes rundes Loch in dem
Fensterladen eines verfinsterten Zimmers, oder ein feines Loch in einem die Flamme
einer Lampe umgebenden metallenen Cylinder. Doch muss die Oeffnung durch
ein Milchglas gedeckt sein, damit nicht directe Lichtstrahlen durchtreten können.
Für sehr kurze Distanzen genügt ein auf Papier mit Dinte gemalter Punkt.
Von Wichtigkeit sind Sehversuche mit sehr schmalen Spalten, welche
in dünne geschwärzte Metallplatten geschnitten sind. Sieht der Astig-
matiker durch eine solche, möglichst nahe an das Auge gerückte Spalte, so
wird er beim Drehen der Platte alsbald eine Spaltrichtung finden, bei wel-
cher die Sehschärfe ein gewisses Maccimum erreicht, und eine darauf senk-
Stellwag, Augenlieill(\iiulf. 52
818 Astigmatismus; Krankheitsbild; Gradbestimmung durch Seh versuche; Becker'sche Tafeln.
rechte Spaltrichtung, bei welcher die Verschwommenheit oder Verzerrung
eine grösste wird. Es geben diese beiden Spaltrichtungen bei aufrechter
verticaler Kopfaxe direct die Lage der beiden Hauptschnitte, also jener
Meridianebenen des dioptrischen Apparates an, in welchen die Strahlen-
brechung eine grösste und eine kleinste ist. Hat man die Lage der Haupt-
schnitte ermittelt, so ist es bei Ausschluss eines complicirenden unregel-
mässigen Astigmatismus ein Leichtes, für jeden der beiden Hauptschnitte
ein negatives oder positives sphärisches Glas zu finden, welches, unmittelbar
vor oder hinter die richtig gestellte Spalte gebracht, die Sehschärfe auf das
normale Mass hebt, also vollkommen scharfe Wahrnehmungen ermöglicht
(Knapp, Donders).
Die Länge der Spalte ist eine beliebige, die Breite aber soll nicht '/g'" über-
schreiten. Am besten sind Spalten, welche man durch Schieber willkürlich verengern
oder erweitern kann. Als Object eignen sich wieder am meisten römische Buch-
staben, vornehmlich aber loth- und wagrechte Linien und Lichtpunkte,
Bei Vorhandensein des U7iregelmässigen Astigmatismus wird man es durch
Spalten und sphärische Gläser niemals zu einer völlig normalen Sehschärfe bringen.
Diese können das Maximum der Sehschärfe in solchen Fällen nur um ein Gewisses
erhöhen, soweit nämlich die Undeutlichkeit und Verzerrtheit der Netzhautbilder von
regulären Meridianasymmetrien abhängen.
Ueberaus bequem und für die Praxis sehr zu empfehlen sind die
O. Becker' sehen Tafeln. Es sind auf denselben Gruppen von je drei zu
einander parallelen, etwa 2 Zoll langen und 2 Linien breiten, durch eben
so breite Zwischenräume getrennten schwarzen Streifen gezeichnet. Auf
einer der beiden Tafeln lagern die Gruppen strahlenartig im Kreise um eine
horizontale Gruppe herum; auf der anderen sind sie in drei über einander
stehende Zeilen geordnet. Jeder der Gruppen ist der Winkel beigefügt, weichen
ihre drei Streifen bei senkrechter Stellung der Tafel mit dem Lothe ein-
schliessen. Sieht das astigmatische Auge bei unverrückt verticaler Kopf-
stellung aus einer Entfernung von 10 — 15 Füssen darauf, so treten in
der Regel sogleich eine oder mehrere Gruppen durch auffallend grössere
Schärfe und Schwärze der Striche heraus. Ist der dioptrische Apparat
jedoch im Ganzen höhergradig myopisch oder absolut hypermetropisch, so
bedarf es entsprechender, theilweise corrigirender sphärischer Linsen, auf
dass sich ein solcher Unterschied stark markiren könne. Werden nun in
einem wie in dem anderen Falle verschiedene sphärische Gläser vor das
Auge gebracht, so wird mit steigender oder fallender Brennweite die
Deutlichkeit und Schärfe zu- oder abnehmen und man wird bald zu einem
Glase gelangen, durch welches eine bestimmte Gruppe sich in voller Schwärze
und mit ganz scharfen Seitenrändern zeigt, welches aber nicht überschritten
werden darf, widrigenfalls sämmtliche Gruppen an Deutlichkeit verlieren.
Der von der Tafel abzulesende Neigungswinkel der betreffenden Streifen-
gruppe gibt nun die Lage des einen Hauptschnittes. Wird jetzt bei fort-
gesetztem Versuche die Brennweite der Linsen in der anderen Richtung
gewechselt, so zeigt sich sogleich eine Verminderung der Deutlichkeit in
der vorhin scharf gesehenen Strichgruppe, dagegen wächst dieselbe in anderen
Gruppen und endlich kömmt man zu einem Glase, durch welches ein
Maximum von Schärfe gerade an jener Gruppe erzielt wird, deren Striche
senkrecht zur Richtung der ersten verlaufen. Ein loeiteres Steigen oder
Fallen mit der Brennweite veranlasst wieder eine Abnahme der Schärfe
in sämmtlichen Gruppen.
Gradbestimiming des Astigmatismus; Cylindergläser. 819
Die Praysche Astigmatismtistafel ist nach einem ganz gleichen Prinzipe ge-
fertigt; doch setzen die Striche je einer Kiclitung Bucliatahen zusammen, deren
Höhe und Breite die Snellen'sclie Schriftprobe Nro. 40 um das dreifache über-
trifft und welclie so angeordnet sind, dass je zwei und zwei mit senitrecht auf
einander gericliteten Strichen neben einander zu stehen kommen.
Hochgradige Myopien mit selw verminderter Sehschärfe verlangen eine bedeu-
tende Annäherung des Probeobjectes , daher auch die Strichgruppen in verjüngtem
Massstabe zu zeichnen sind.
Bei allen diesen Versuchen wirken Veränderungen des Accommodalions-
zustandes nicht wenig störend, indem sie, abgesehen von etwaigen Wechseln
der astigmatischen Differenz und der Meridianlage, die Länge und Lage der
Brennsirecke und die Stellung ihrer Haupttheile zur lichtempfindenden
Schichte der Netzhaut alteriren. Wo es sich um befriedigende Untersuchungs-
resultate handelt, ist es darum nothwendig, den Accommodalionsmuskel
durch Atropin zu lähmen. Die damit gesetzte Erweiterung der Pupille
bietet nebenbei den Vortheil, dass sie die Durchmesser der Zerstreuungs-
ligur im Verliältnisse vergrössert, die Erscheinungen des Astigmatismus
also auffälliger macht.
Betrachtet der Astigmatiker bei »ni^efc/aüäc/iier. Accommodation mW freiem
Auge einen Lichtpunkt aus einer gewissen Distanz , so geschieht es in der That
nicht selten, dass der Lichtpunkt abwechselnd nach einer bestimmten Richtung ver-
zogen und dann wieder als rwide Scheilje erscheint. Steht das Object gerade in
einer solchen Entfernung, dass bei massiger Accommodationsanstrengung die Mitte
der Brennstrecke auf die Netzhaut fällt, so kann es abwechselnd woiil gar in
zwei auf einander senkrechten Richtungen verzogen erscheinen. Eben solche Schwan-
kungen ergeben sich natürlich auch bei der Betrachtung von Linien. Insbesondere
missiich aber werden diese Differenzen , wenn die Entfernungen oder die Gläser
ermittelt werden sollen, welche für jeden der beiden Hauptschnitte das Maximum
der Sehschärfe gewähren.
Man kann sich von diesem störenden Einflüsse der Accommodation bei Er-
forschung des Astigmatismus übrigens leicht seihst überzeugen , wenn man sein
eigenes Auge durch Vorsetzung eines Cylinderglases astigmatisch macht imd die
vorerwähnten Versuche anstellt. Ueberhaupt sind solche Experimente zum genauen
Studium des fraglichen Refractionszustandes sehr zu empfehlen, ja geradezu noth-
wendig.
Sind in solcher Weise die Grenzwerthe für die Brennweiten der beiden
sphärischen Gläser gefunden, welche geeignete Objecte aus einer grösseren
Entfernung in zwei auf einander senkrechten Hauptrichtungen scharf und
deutlich zur Wahrnehmung bringen, so sind auch die Fernpunktabstände
der beiden Hauptschnitte des astigmatischen Auges gegeben. Dieselben
sind nämlich je gleich der Brennweite des betreffenden Glases, vermehrt
um dessen Abstand vom Auge, wenn es eine Zerstreuungslinse ist, ver-
mindert, wenn es eine Sammellinse ist. Die reciproken Werthe der Fern-
punktabstände liefern den Ausdruck für den Brechzustand der zugehörigen
Meridianebene und die Differenz dieser reciproken Werthe bezeichnet den
Grad des vorhandenen Astigmatismus (Knapp, Donders).
Um die Richtigkeit der gefundenen Werthe zu controliren, dienen
Versuche mit Cylindergläsern. Ist der Brechzustand des einen, der Norm
näherstehenden Hauptschnittes durch ein entsprechendes sphärisches Glas
auf Null gesetzt, so muss eine Cyünderbrille, deren Brecliwerth gleich
ist dem Grade des Astigmatismus und deren Axe dem bereits corrigirten
Hauptschnitte pai*allel läuft, den Refractionsfehler auch im zweiten Haupt-
schnitte neutralisiren, so dass die Objecte nach allen Eichtungen scharf
begi'enzt erscheinen.
820 Astigmatismus; Krankheitstild : Gradbestimmnng; Stokes'sche Linse; Astigmometer.
Zu gleichem Beliufe empfiehlt sich auch die Stolces'sclie astigmatische Linse.
Es besteht diese aus zwei cylindrischen Gläsern, deren eines eme 2>ositive, das andere
eine negative Brennweite von 10 Zoll besitzt. Es sind diese Gläser in Blechringe
gefasst, welche in einander passen , so dass die Linsen unmittelbar an einander
geschoben und im Kreise heriimgedreht werden können. Stehen ihre Axen parallel,
■was eine an der Aussenwand der Fassung angebrachte Gradeintheilnng angibt, so ist der
BrechweHhdes Instrumentes 0. Es erreicht dieser aber ein Maxiimim ( ^- —- ) = -^,
10 \ ■ 10 / 5 7
wenn die Axen der beiden Linsen mit einander einen Winkel von 90 Grad ein-
schliessen. Für jeden a?ir:Ze7'en Axenwinkel a ist die astigmatische Abweichung -v- »i«. «■
Ist der Grad des Astigmatismus und die Sfelhmg der Hauptschnitte in einem Auge
richtig bestimmt, so darf die Brille nur entsprechend eingestellt und in gehöriger
Lage vor das Auge gehalten werden , um den Refractionsfehler auf Eminetropie
oder auf eine einfache Myojne oder Hyijermetrojne zu corrigiren, weiters aber durch
Zuhilfenahme eines passenden sphärischen Glases gänzlich zu neidralisiren. Insoferne
jedoch das Instrument die C'orrectur auf beide Hauptschnitte gleichmässig vei-theilt,
darf hierbei nicht etwa eine sphärische Linse benützt werden, welche den Brech-
zustand des der Norm näherstehenden Meridians auf Null setzt, sondern eine Linse,
deren Brechwerth ungefähr die Mitte hält zwischen den Eefractionszuständen der
beiden Hauptschnitte (Middelhurg, Donders). Man sieht daraus zugleich, dass die
Stokes'sche Linse mit ihren Modificationen (JavalJ kein bequemes Mittel zur ta'-
sprünglichen Bestimmung der wahren Einstellung beider Hauptschnitte abgibt; sie
liefert eben nur Werthe, aus welchen sich die Brechzustände durch ziemlich um-
ständliche Rechnung ermitteln lassen.
Nicht minder sind zweckmässig eingerichtete Optometer verwendbar, um die
Brechzustände der beiden Hauptschnitte astigmatischer Augen zu controliren oder
von vorneherein zu ermitteln. Als Probeohject ist denselben eine Figur aus gleich
langen zarten Linien eingefügt, welche sternförmig gegen einen gemeinsamen Mittel-
punkt convergiren. Wird dieses Object dem Auge durch Verlängerung oder Ver-
kürzung des Instrumentes allmälig genähert oder entfernt, so wird bei einer gewissen
Distanz zuerst eine bestimmte Linie deutlich erscheinen und bei einer zweiten
Distanz der darauf senkrechte Strahl scharf zur Wahrnehmung kommen. Die beiden
Linien geben dann die Lage der beiden Hauptschnitte, während die Einstellungen
der letzteren einfach vom Instrumente abgelesen werden können (Buroiv). Es lässt
sich jedoch bei diesen Versuchen das Spiel der Äccommodalion nicht gut beseitigen
und, wenn demselben auch durch Ätropin ein Ziel gesetzt worden ist, so kommen
doch die Mei-idiandrehungen sehr misslich in den Weg, welche an die nicht zu
verhindernde Convergenzstellung der Gesichtslinien geknüpft sind und um so störender
hervortreten müssen, wenn bei dem Versuche nicht immer dieselbe Lage der Visir-
ebene beibehalten wird. Daher die Bestimmung der Lage der Hauptsclinitte sehr
schwankend ausfällt. Um die Convergenzstellimgen der Gesichtslinien zu verhin-
dern und auch die Visirebene zu fixiren, hat man dojypdte Optometer nach
Art der Stereoskope construirt (Javal, Hirschberg). Das Ocular ist eine starke
Convexlinse von grossem Durchmesser, welche das virtuelle Bild des Objectes
durch kleine Verschiebungen des letzteren in jede beliebige positive oder negative
Distanz vom Auge bringen lässt. Als Object dient für jedes Rohr ein Kreis, in
welchem die oben beschriebene Strahlenfigur eingezeichnet ist. Um die künstliche
Beleuchtung zu umgehen, welclie leicht zu irrigen Versuchsergebnissen führt, ist es
gut, die Probefigur auf Milchglas schwarz einbrennen zu lassen, da man solcher-
massen das Experiment im durcligelassenen Tageslichte vorzunehmen im Stande ist.
Werden die beiden Kreise bei einer bestimmten Stellung zum Auge verschmolzen,
so wird durch vorgesteckte Cgiindergläser dahin gewirkt, dass endlich alle Strahlen
gleich deutlich erscheinen. Aus der Brennweite des passenden Cylinderglases wird
dann der Grad des Astigmatismus und aus der Richtung des ohne Cylinderglas
scharf und deutlich gesehenen Strahles der Figur die Richtung der Haxtptschnitte
bestimmt.
4. Die Ermittelung des Nahepunktah Standes für beide Hauptschrdtte folgt
ähnlichen Regeln, wie jene des natürlichen Eefractionszustandes. Doch hat
dieselbe grössere Schwierigkeiten und ergibt leicht unsichere Werthe. Es
liestimiiuuig d. Naheimiiktüf-; Arten d. A.sUj,'iii. ; doroii Dtv.cifliimiij,'. 82^1
wird nämlich bei maximaler Accommodationsspannung die Pupille, sehr enge
lind daher die Zerstreuiingsfia;iir viel kleiner. Auch ermüden wiederliolte
Experimente sehr. Untersucht man dabei auf verschiedene Distanzen, so
kömmt der Unterschied in der Convergenz der Gesichtslinien in's Spiel,
man findet nicht den wahren, sondern den binocularen Nahepunkt (Middd-
burg, Donders) und ausserdem macht sich die Meridiandrehung bemerklich.
Verwendet man aber bei unverändertem Objeclsabstande sphärische Gläser,
so tauchen andere Uebelstände auf. Nichtsdestoweniger sind derlei Er-
örterungen icerthvoll. Sie ergeben nämlich Wechsel in der Lage der Haupt-
schnitte und in dem Grade des Astigmatismus, welche bei der Correction
des ßefractionsfehlers zum Behufe des Nahesehens berücksichtigt werden
müssen. Die Ursache dessen liegt in dem Formwechsel der Linse, in der
ungleichmässigen Krümmungszunahme ihrer einzelnen Meridiane (Middelburg,
Donders, Dobrowolsky).
5. Die natürlichen Brechzustände der beiden Hauptschnitte wechseln bei
verschiedenen astigmatischen Augen in der mannigfaltigsten Weise. Sehr
häufig ist blos der eine Hauptschnitt mjopisch oder hypermetropisch ; der
Brechzustand des anderen ist ein normaler. Man spricht in solchen Fällen
von einfachem myopischen oder hypermetropischen Astigmatismus. Noch häufiger
sind beide Hauptschnitte, jedoch in verschiedenem Grade, kurz- oder über-
sichtig, es ist ein zusammengesetzter myopischer oder hypermdropischer Astig-
matismus gegeben. Selten ist der eine Hauptschnitt myopisch, der andere
hypermetropisch, ein Zustand, welchen man als gemischten Astigmatismus mit
vorwaltender Myopie oder lieber sichtigkeit bezeichnet (Donders).
Der Einfachheit halber kann man sich jede dieser verschiedenen Formen
des Astigmatismus zerlegen in Eimnetroj/ie, Kurz- oder Uehersiclifiykeit und in eine
gewisse astigmatische Ahiceichuiig , welche durch den Unterschied der Brechzu-
stände beider Hauptsclmitte ausgedrückt wird; mit anderen Worten, man kann sich
vorstellen, das Auge sei im Allgemeinen ennnetropisch, kurz- oder übersichtig,
in der einen Hauptmeridianebene jedoch bestehe eine gewisse maxiviale, myopische
oder hypermetropische Abweichung des Brechzustandes. Man gelangt unter Zugrunde-
legung dieser VorsteUung zu gewissen monoyrammatischen Ausdrücken, welclie die
specielle Art der Refractionsanomalie treffend bezeichnen und von grossem prakti-
schen Werthesind, indem sie einerseits weitläufige Beschreibungen entbehrlich
machen , anderseits aber direct den Brechwertli der zur Correction des ganzen Re-
fractionsfehlers erforderlichen Brille anzeigen.
Bei einfachem Astigmatismus ist der eine Hauptschnitt normal eingestellt, sein
Breclizustand also -^; der andere Hauptschnitt ist myopisch oder hypermetropisch,
sein Brechzustand also M — oder H ; die Refractionsanomalie erscheint also
zusammengesetzt aus Emmetropie = E = — = 0 und einer astigmatischen
Abweichung Am oder Ah =: ^i . =i ^; fl^'" Ausdruck wäre also Am (Ah) --.
Der zusammengesetzte Astigmatismus lässt sich zerlegen in einfache Myopie
oder Hypermefropie und die astigmatische Abweichung; der Ausdruck wäre also
M 1- Am oder H 4- Ah . Wäre z. B. der Brechzustand in einem Haupt-
schnitt M — , im anderen M -; so wäre der Ausdruck M .,- -f- M (— — --] =
M i + Am 4-.
Der gemischte Astigmatismus ersclicint zusammengesetzt aus einer einfachen
Myopie oder Hypermetropie und einer astigmatischen Abweichung der entgegengesetzten
Art; der Ausdruck ist also M - -|- A h — , oder H ^- -|- Am - . Die astigma-
tische Abweichung Ah oder Am wird hier durch Addirung der Brechzustände ge-
822 Astigmatismus ; Ursaclien ; Verlauf; Angeborener Astigmatismus.
Wonnen, weil der Fernpunktabstand bei Hypermetropie gegenüber jenem der Myo-
pie einen negativen Werth hat. Wäre z. B. in einem Hauptschnitte M — , im
anderen H — , so wäre der Ausdruck für die astigmatische Abweichung Ah = ~ —
( — ^^J = -Y ) die Refractionsanomalie würde also bezeichnet werden müssen
M Y^ + A h -— (Bonders).
Ursachen und Verlauf. Der Astigmatismus ist keine ganz seltene
Krankheit, sondern findet sich bei etwa 0*2% aller und bei l"3"/o ametropischer
Kinder {H. Cohn). Er wird in der Regel, wenigstens in seiner Anlage,
mit auf die Welt gebracht, kann sich jedoch auch in Folge mannigfaltiger
krankhafter Vorgänge in späteren Lebensperioden entwickeln.
1 . Der angeborene Astigmatismus ist meistens auf Meridianasymmetrien
der Cornea zu beziehen ; doch stösst man auch auf hochgradige Fälle,
welche vorwiegend von Kriimmungsanomalien des Krystalles, ja förmlichen
Knickungen der Linsenoberfläche abhängen {Knapp). Die Asymmetrie
erweiset sich öfters als ein erblicher Zustand, indem er bei mehreren Gliedern
einer und derselben Familie gefunden wird. Es scheint, dass er bei
männlichen Individuen öfters als bei weiblichen vorkomme. Er ist gewöhn-
lich beiderseitig und dann nicht immer auf beiden Augen in gleichem Grade
entwickelt; mitunter jedoch beschränkt er sich auch auf Ein Auge und
kann dabei sehr hohe Grade erreichen, so dass eine Amblyopie, vorgespiegelt
wird. Merkwürdig ist, dass bei solchen Verschiedenheiten im Baue beider
Augen nicht selten eine autfällige Asymmetrie in der Bildung der oberen
Gesichtshälfte, insonderheit jener Knochen beobachtet wird, welche die Orbita
umgrenzen (Donders).
Gleich der Bathymorphie und besonders der Plathymorphie, mit
welcher letzteren der angeborne Astigmatismus am häufigsten gepaart ist
{Pagenstecher, Tetzer), wird die SeJistörung oft erst in den späteren Kindes-
jahren bemerkt. So lange die Accommodation noch eine sehr leichte ist,
wird der Fehler weniger fühlbar und bei geringeren Meridianasymmetrien
wohl gar übersehen. Wenn dann aber im reifen Alter die Accommodations-
breite mehr und mehr abnimmt, werden selbst niedere Grade des abnormen
Astigmatismus in der missUchsten Weise empfunden und führen, wenn
sie binoculär sind, gerne zur Asthenopie, da sie den Kranken behufs des
Scharfsehens zwingen, die Objecte näher zu halten, als dem allgemeinen
Einstellungsverhältnisse der Augen entspricht. Ist nur auf eijiem Auge
ein höherer Grad von Astigmatismus gegeben, so sind die Folgen nicht
selten Vernachlässigung des Auges und weiterhin Amblyopia ex anopsia oder
Strabismus (Javal), also ähnlich denen, welche durch andere monoculare
Sehstörungen begründet werden. Im höheren Alter wird vermöge der
Enge der Pupille der Astigmatismus gerne gedeckt, sonst aber nicht wesent-
lich verändert (Donders).
2. Erworben wird der Astigmatismus durch krankhafte Vorgänge in
der Hornhaut und Linse, ist dann aber meistens ein in hohem Grade un-
regelmässiger und gehört nicht hierher (S. 776). Auch ist Ectopie und
spontane Luxation der Linse manchmal eine Quelle des irregulären Astig-
matismus.
Astigmatismus nach Staarextractioneu ; Behandlung; Correction. 823
Die geioöhnlichste Quelle des erworbenen Astigmatismus ist die
Staarextraction. Die nach einer solchen Operation vorfindige astigmatische Diffe-
renz wechselt in allen Grössen bis hinauf zu Y,; und darüber. Sie ist dem Grade
nach vornehmlich abhängig von der mehr minder exacten Wundheilung, pflegt
darum auch am bedeutendsten zu sein, wo es zu einem Prolapsus iridis ge-
kommen ist. Mit der späteren Zusammenziehung der Narbe nimmt in der
Regel die astigmatische Differenz wieder ab, ohne jedoch jemals ganz zu
verschwinden. Der Meridian der grössten Krümmung ist in der Mehrzahl
der Fälle horizontal, nicht selten schräg, nur höchst ausnahmsweise nahe
zu vertical gestellt. Die Verhältnisse haben sich demnach durch die Ope-
ration der Norm gegenüber verkehrt. Im Uebrigen ist die Methode der
Extraction von grösstem Einflüsse auf die Art und den Grad der Asymmetrie.
Nach der Lapjpenextraction scheint im Allgemeinen die astigmatische Diffe-
renz eine grössere zu sein und auch häufiger ein irregulärer Astigmatismus
vorzukommen, als nach der Extraction mit dem peripheren Linearschnitte.
Irisvorfülle sind bei einer und der anderen Methode auch insoferne sehr ver-
derblich, als sie sehr starke Unregelmässigkeiten in die Asymmetrie bringen
{Reuss, Woinow^,
Die Behandlung folgt im Ganzen denselben Grundsätzen und ist zum
Theile wohl auch auf ähnliche Mittel angewiesen, wie jene der beiden früher
erörterten Eefractionsanomalien.
1 . Es gilt dieses besonders bezüglich der prophylaktischen Massregeln
(S. 791, 807), um so mehr, wenn der Astigmatismus an Kurz- oder Langhau
des Auges geknüpft ist, was bei höheren Graden der Meridianasymmetrie
in der Regel der Fall ist. Die astigmatische Sehstörung steigert dann die
der Kurz- und Uebersichtigkeit anhängenden Gefahren und fordert darum
zu doppelter Vorsicht auf.
2. Die Hauptaufgabe zielt ofi'enbar dahin, die Refractionszustände
sämmtlicher Meridianebenen des astigmatischen Auges auf Null zu bringen und
es diesem zu ermöglichen, in jede beliebige Entfernung mit der normalen
Accommodationsquote scharf und deutlich zu sehen.
Um sich diese Aufgabe recht klar zu machen, thut man gut, den
Refractionsfehler in zwei Theile zu zerlegen, nämlich in die astigmatische
Grundlage und in die astigmatische Differenz. Unter der astigmatischen
Grundlage sei der Refractionszustand des Grundmeridianes, d. i. der der
Emmetropie am nächsten siehenden Meridianebene verstanden. Der Refrac-
tionszustand eines jeden beliebigen Meridianes lässt sich dann als die Summe
der astigmatischen Grundlage und des Productes aus der astigmatischen
Differenz und aus dem Sinus des Winkels bezeichnen, welchen der
betreffende Meridian mit dem Grundmeridiane einschliesst (S. 7 76).
Die Correction der astigmatischen Grundlage erfordert, indem diese
Grundlage ein Theil des Refractionszustandes eines jeden beliebigen Meri-
dianes ist, also in jedem Meridiane ausgeglichen werden muss, ein sphäri-
sches Glas, dessen Zeichen dem der astigmatischen Grundlage entgegenge-
setzt ist. Für die Wahl des Brechwerihes dieser sphärischen Linse gelten
ganz genau dieselben Gesetze , welche bei der Correction einer einfachen
Myopie und Hypermetropie mit und ohne Accommodationsbeschränkung in
Kraft stehen. Wo die Correction eine volle sein darf, wird der Brech-
werth des sphärischen Glases der astigmatischen Grundlage an Grösse
824 Astigmatismus : Behandlung ; Corrigirende Brillen ; C'ylindergläser.
gleich, aber von entgegeugesetztem Zeichen sein müssen; oder wenn man
den uothweudigen Abstand des Glases vom optischen Centrum des Auges
in Eechnung bringt, wird die Correction eine sphärische Linse erfordern,
deren positiver oder negativer Brechwertk gleich ist dem reciproken Werthe
des Fernpunktabstandes des Grundmeridiaues, vermehrt oder beziehungsweise
vermindert um den Abstand des Glases vom Auge. Gleichwie bei der
einfachen Kurz- und Uebersichtigkeit treten jedoch auch bei deren Combi-
nation mit Astigmatismus der vollen Correction öfters unübex'windliche
Hindernisse entgegen, mau muss sich damit begnügen, den Eefractions-
zustand einfach der Null zu nähern, dabei den Äccommodationsbeschränkun-
gen Rechnung tragen und oft wohl auch für verschiedene Distanzen ver-
schiedene Gläser in Gebrauch ziehen. Eine ausführliche Schilderung die-
ser Gesetze wäre nur eine Wiederholung dessen, was bei der Kurz- und
Uebersichtigkeit bereits gesagt wurde.
Die Correction der astigmatischen Differenz, welche jetzt noch übrig
ist, soll unter allen Umständen eine vollständige sein. Sie fordert selbst-
verständlich ein Glas, dessen Brechwerth in dem einen Meridiane Null,
in dem darauf senkrecht stehenden Meridiane jedoch der astigmatischen
Differenz gleich, aber von entgegengesetztem Zeichen ist. Diesen Anforde-
rungen entsprechen positive und negative Cgiindergläser, deren Axe in die
Ebene des durch das sphärische Glas bereits auf Emmetropie corrigirten
Grundmeridianes gestellt wird.
Wäre ein einfacher Astigmatismus gegeben, so wäre der erforderliche
Brechwerth der sphärischen Linse selbstverständlich Null, es genügte also
ein einfaches Cylinderglas, dessen Brechwerth der astigmatischen Differenz
gleich, aber von entgegengesetztem Zeichen ist.
Bei zusammengesetztem myopischen oder hypermetropischen Astigmatismus
bedarf es eines sphärischen Glases, welches die astigmatische Grundlage,
soweit es die Verhältnisse vortheilhaft erscheinen lassen, corrigirt, und
eines Cylinderglases, welches die astigmatische Differenz auf Null bringt.
Die Brechwerthe der beiden Gläser summiren sich, wenn man von dem
gegenseitigen Abstände ihrer Centra absieht. Da nun zioei Gläser an ihren vier
Flächen viel Licht reflectiren und damit die Sehschärfe beeinträchtigen, ausserdem
durch ihre Schwere u. s. w. lästig werden, ist es nothwendig, die cylindi-ische- und
sphärische Krümmung je auf eine Fläche eines einzigen Glases zu concentriren. Es
ist nun der Brechwerth je Einer Krümmungsfläche des Glases, dessen Brechungs-
exponent n =: 1"5 angenommen wird, — = °^- = -— ^, also r = \, wo r den
erforderlichen Radius der betreffenden Trennungsfläche bedeutet. Wäre also 10"
die gewünschte Brennweite der sphärischen und cylindrischen Fläche, so müsste
jeder derselben eine Krümmung von 5" Radius oder 10" Durchmesser gegeben
werden. (S. 774).
Bei dem gemischten Astigmatismus ist die Combination einer sphäri-
schen und einer cylindrischen Fläche im Correctionsglase nur dann von
Vortheil , wenn der Refractionszustand des einen Hauptmeridianes sich
nicht gar iveit von der Null entfernt und dabei die astigmatische Differenz
eine verhältnissmässig geringe ist. Wo beide Hauptmeridiane in ihrem
Brechzustande sich weit von der Emmetropie entfernen und daher auch
die astigmatische Differenz eine sehr beträchtliche ist, würde die cylindrische
Fläche im Verhältnisse zur sphärischen und absolut eine sehr grosse posi-
tive oder negative Krümmung erhalten müssen, was gleichwie bei sphäri-
schen Gläsern, ja in höherem Grade, vom Uebel ist. Es erscheint darum
Uiivollkommenheiten der Correctioii; Correcliüii bei irregul. Astigm. u. Anisometropie. 825
in solchen Fällen besser, die Correction der astigmatischen Differenz auf
beide Glasflächen zu vertheilen, also jeden einzelnen Hauptraevidian für sich
auf Emmetropie zu corrigiren , d. i. der einen und der anderen GlasÜäche
je eine cylindrische Krümmung zu geben, deren Brechwerth dem Itefrac-
tionszustande des entsprechenden Hauptmeridianes an Grösse gleich, aber
von entgegengesetztem Zeichen ist. Die Axen der beiden Cylinderflächen
haben dann selbstverständlich senkrecht aufeinander zu stehen und müssen
so vor das Auge gestellt werden, dass die Axe der negativen Cylinder-
krümmung in den hi/permetropischen Hauptmeridian und umgekehrt fällt.
Die Correction des Astigmatismus tindet bedeutende Schioierigkeiten
in dem Wechsel der astigmatischen Differenz bei verschiedenen Accommoda-
tionszuständen und in den Schivankungen, welche die Lage der Hauptme-
ridiane bei den verschiedenen Convergenzstellungen der Gesichtslinien und
besonders bei Lageveränderungen der Visirebene erleidet. Es liegt daher
auf der Hand, dass eine und dieselbe astigmatische Brille nicht immer mit
gleichem A^ortheile für grosse Entfernungen und zugleich auch für die
Abstände der gewöhnlichen Beschäftigung benützt werden könne, zumal,
wenn die Asymmetrie eine beträchtliche ist ; dass man vielmehr öfters ge-
zwungen sein wird , den für die Ferne und für die Nähe bestimmten
Gläsern verschiedene Krümmungen und der Axe der Cy linderfläche eine
verschiedene Lage zu geben.
Doch bei allen diesen Vorsichten gelingt es gar oft nicht, dem Auge
die volle normale Sehschärfe zu geben. Abgesehen von den Unvollkommenhei-
ten jeder Brille und abgesehen von etwaigen Functionsmängeln der Netzhaut^
welche mit hohen Graden der Asymmetrie öfters verknüpft sein mögen ,
kommt der Umstand in Betracht, dass starke astigmatische Differenzen nur
selten ohne beträchtliche Unregelmässigkeiten in der Krümmung der Horn-
haut und besonders der Linse vorkommen.
Der unregelmässige Astigmatismus lässt sich eben immer nur theil-
weise, d. i. in so weit corrigiren, als er auf eine reguläre Meridianasym-
metrie zurückgeführt werden kann.
Allerdings liegt in der Verlagerung der Pupille (S. 802) ein Mittel, um
namentlich bei pathologischen Verkrümmungen der Cornea durch Abbiendung der
am meisten verkrümmten Hornhauttheile den irregulären Theil des Astigmatismus
um ein sehr Beträchtliches zu vermindern und so die Cylindergläser zu einem
ausgiebigen Correctionsbehelfe zu gestalten. Doch hat eben diese Operation ihre
Gefahren und lässt ihre Ausführung sehr bedenklich erscheinen.
Die UnvoUkommenheiten, welche den Brillen überhaupt anhängen, und
namentlich die Differenzen in der Netzhautbildgrösse, welche der nothwen-
dige Abstand des Glases vom optischen Centrum mit sich bringt und
welche bei Cgiindergläsern in den verschiedenen Meridianen offenbar ver-
schieden sind, lassen die Anwendung astigmatischer Brillen nicht empfeh-
lenswerth erscheinen, wo das eine Auge emmetropisch oder doch in einem
nicht störenden Grade ametropisch ist und Mos das andere an abnor-
mem Astigmatismus leidet. Wo hingegen beide Augen, wenn auch in
einem differenten Grade , astigmatisch sind, oder wo bei binocularer, der
Correction bedürftiger Myopie oder Hypermetropie das eine Auge nebenbei
astigmatisch ist : erscheint der Gebrauch cylindrischer Gläser geradezu ge-
boten, um den aus der Sehstörung resultirenden Schäden mit einiger Wahr-
scheinlichkeit vorzubeugen. Doch ist die Frage, ob bei differentem Grade
826 Astigmatismus; Behandlung; Gebrauctsregeln für Cylindergläser.
des Astigmatismus, besonders wenn der Unterschied ein grosser ist, jeseitig
das entsprechende corrigirende Glas zu wählen sei, nicht von vornherein
zu entscheiden. Manche vertragen dies durchaus nicht, manche nur zu
bestimmten Zwecken, manche hingegen befinden sich dabei ausnehmend
wohl (Javal).
Im Ganzen sind beim Gebrauche cylindrischer Gläser ganz dieselben
Vorschriften zu befolgen, wie beim Gebrauche sphärischer Zerstreuungs- und
Sammellinsen (S. 797, 3 und S. 813), ja es müssen die bei einfacher Myopie
und Hypermetropie geltenden Kegeln bei Astigmatismus um so strenger ge-
handhabt werden, als Cj'ündergläser ein bei weitem unvollkommeneres Cor-
rectionsmittel abgeben, als sphärische Gläser.
Eine wichtige Regel bei dem Gebrauche astigmatischer Brillen ist,
dass dieselben fest in der richtigen Stellung sitzen, daher als Fassung sich
immer nur eigentliche Brillengestelle mit federnden Spangen empfehlen. Es
ist diese Unverschieblichkeit der Brille übrigens auch von grosser Wichtig-
keit in Bezug auf den Abstand des Glases vom Auge. Da dieser Abstand,
namentlich bei concaven Gläsern und wohl auch bei starken convexen,
einen sehr fühlbaren Einfluss auf die Bildgrösse nimmt und dieser über-
dies in jedem Meridiane der Cylinderfläohen in einem anderen V'erhältnisse
wächst und fallt, also nothwendig Verzerrungen der Bilder mit sich bringt:
so ist es dringend nothwendig, ihn so klein als möglich zu machen, die
Gläser also thunUchst nahe an das Auge gerückt zu erhalten.
Damit im Zusammenhange steht auch die jSTothwendigkeit, bei Gläsern,
deren beide Flächen convex oder concav sind, immer die stärker gekrümmte
dem Auge näher, also nach hinten, zu kehren ; dort aber, wo eine Fläche
convex, die andere concav ist, die letztere dem Auge zuzuwenden. Nicht
minder gilt die Kegel, dass die Brille mit ihren Flächen möglichst parallel
zur Pupillenebene stehe.
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223, 225, 228, 232, 234, 235, 236—241 ; Congres intern, d'ophth. Paris. 1863. S. 42.
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Berlin. 1862. S. 30, 45, 62, 71, 89, 129; Anomalien der Refract. und Acc. Wien.
1866. S. 379, 381, 396, 403, 412, 413, 416, 424, 430, 432, 434, 447, 449, 451, 453.
— Middelhuvg, Vierde Jaarl. Verslag. Utrecht. 1863. S. 149, 175, 187; A. f. 0. X.
2. S. 96, 105; kl. Monatbl. 1863. S. 496; 1864. S. 245. — Schweigger, A. f. O. IX.
1. S. 178, 181, 182, 185; Ueber den Gebrauch des Augenspiegels. Berlin. 1864.
S. 60. — JavaJ, kl. Monatbl. 1865. S. 336, 339, 343, 344; 1868. S. 372; Ann. d'oc.
58. Bd. S. 50. — Hirschmann, ibid. S. 341. — Graefe, ibid. S. 342; A. f. O. I. 1.
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Ber. 1867. S. 155 u. f. — Baase, Pagenstecher's kk Beobachtgn. III. Wiesbaden.
1866. S. 113. — Svellen, A. f. O. XV. 2. S. 199, 206. — DohrowoUky, ibid. XIV.
3. S. 51 u f.; kl. MonatbL 1868. Beil. S. 146, 153, 157. — Reuss-Woinow, Ophth.
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I. S. 147 ; Astigmatismustafeln. Herausgeg. von Heymann. Leipzig. 1870. —
Mauthner, Lehrb. d. Ophthscop. 1868. S. 199. — H. Cohn, Untersuchg. v. 10.060
Schulkindern. Leipzig. 1867. S. 151.
Accommodativo Asthenopie; Krankheitsbild; Actuolle u. potentielle Energie. 827
4. Die accommodative Asthenopie.
Krankheitsbild. Zum Begriffe, der accommodativen Asthenopie gehören
das Unvermögen, den dioptrischen Apparat für kurze Distanzen längere Zeit
eingestellt zu erhalten und eine damit im Zusammenhange stehende Hyperästhesie
der Netzhaut und der Ciliarnerven.
1. Das Grundleiden liegt in absolut oder relativ (d. i. im Ver-
hältnisse zur geforderten Leistung) mangelhafter Energie des Accommoda-
tionsmuskels .
Wenn von Energiemangel gesprochen wird, ist wohl zu unterscheiden zwi-
schen der actuellen Energie, welche der Muskel entfalten muss, um unter Ueber-
windung von Widerständen sich bis zu einem gewissen Grade zu verkürzen, und
zwischen der potentiellen Energie, welche zur Erhaltung dieses Zustandes aufzuwenden
ist. Insoferne nämlich der belastete Muskel vermöge seiner elastischen Dehnbarkeit
nachgibt, muss sich seine Contraction allmälig steigern, um die mechanische Ver-
längerung wieder auszugleichen. Bei einer und der anderen Art der Leistung kann
der Muskel bis zur Erschöpfung ermüden (Donders).
Charakteristisch ist das rasche Ermüden des Accommodationsmuskels,
wenn es sich um scharfe jSTetzhautbilder von Objecten handelt, welche ver-
möge ihrer Kleinheit nahe an das Auge gerückt werden müssen. Indem der
ermüdete Muskel nachUisst, sicli nach und nach abspannt, vermindert sich
natürlich in entsprechendem Masse di\Q Convexität der Lzjjse, die Objecto werden
bei unverändertem Absianiie, in ivachsenden Zerstreuungskreisen und unter zuneh-
mender Anstrengung erkannt, öfters auch wohl verkleinert gesehen (S. 779).
Der Kranke ist in Folge dessen gezwungen, die Gegenstände mehr und
mehr vom Auge zu entfernen, wodurch wieder die 'Netzhautbildgrösse unter
den Bedarf herabgesetzt und die Deutlichkeit der Wahrnehmungen beeinträch-
tigt, also auch die Arbeit der Netzhaut vermehrt wird. Alsbald macht sich
daher der Drang nach grösseren Netzhautbildern geltend, der Kranke fühlt,
sich gezwungen, die Objectsdistanz zu verkürzen. Es dauert indessen nicht
lange, so lässt der Acommodationsmuskel wieder nach, die Gegenstände
müssen abermals vom Auge loeggerückt werden, und so geht es mit immer
rascherem Wechsel der Abstände fort, bis endlich die Netzhaut im steten
Kampfe mit undeutlichen und zu kleinen Bildern ermattet und gleich dem
Muskel ihren Dienst versagt, die Objecto demnach vor den Augen förmlich
verschwimmen. Die Augen bedürfen dann längerer Ruhe, ehe sie ihre Thä-
tigkeit für kurze Distanzen wieder aufzunehmen im Stande sind. Doch
hat die Functionsdauer schon sehr abgenommen ; in sehr kurzer Zeit wieder-
holen sich die oben erwähnten Erscheinungen, während sich gleichzeitig
Symptome von Gefäss- und Nervenreizungen einstellen. Es beurkunden die-
selben sich anfänglich durch das Gefühl von Druck und Völle in den
Augen sowie durch ein eigenthümliches Sjpannungsgefühl in der Stirngegend.
Wird die Arbeit fortgesetzt, so steigern sich die Gefühle zu wahren Schmer-
zen in und oberhalb des Auges und vergesellschaften sich alsbald mit einem
höchst peinlichen Gefühle von Blendung. Am Ende stellen sich auch'Äbp/-
schmerz, Schwindel, allgemeines Unbehagen, selbt Brechneigung ein.
Dabei fehlen selten eine sehr starke Contraction der Pupille, auffäl-
lige Injection der Conjunetiva und Episclera, so wie reichlicher Thränenfluss.
828 Accom. Astheuoifie ; Kraiikheitsliild : Ursaclien.
Es sticht diese Hyperämie im Ki-ankheitsbilde nicht selten sehr stark her-
vor nnd combinirt sich weiterliin sehr gewöhnlich mit mehr weniger
reichlicher Secretion schleimig eitriger Producte, einen einfachen Katarrh
vorspiegelnd. Es widersteht dieser Zustand häufig allen Mitteln, wenn
eben nicht die Ueberbürdung des Accommodationsapparates durch Aufgeben
der betreffenden Arbeit oder durch richtig corrigirende Gläser beseitigt
wird. In Anbetracht dessen sollte bei längere Zeit bestehenden und
ohne äussere Veranlassung aufgetretenen Katarrhen immer auf etwaige
liefractions- und Accommodationsfehler untersucht werden. Man wird
dadurch manchen Irrthümern in der Diagnose und häufig auch einem
missliebigen Fehlschlagen der Therapie vorbeugen.
Ursachen. Die nächste Veranlassung geben in der Regel Ueherhürdungen
des Accommodationsmuskcls. Doch stellt sich das üebel durchaus nicht bei
allen Menschen und gleich früh ein, wenn auch die Anforderungen dieselben
sind. Es ist eben das Arbeitsvermögen des betreffenden Muskels bei ver-
schiedenen Individuen ein sehr wechselndes und sinkt bei manchen
erweisbarer Massen tief unter den normalen Werth {Graefc). Sehr häufig
sind solche Insvfficienzen schon angeboren oder gar vererbt, daher denn auch
die Asthenopie bei sonst gleichen Bedingungen in manchen Familien
eine ganz unverhältnissmässig grosse Anzahl von Gliedern befällt, während
sie in anderen Famihen gänzlich fehlt (Graefe). Xicht minder werden
Insufficienzen erworben und finden dann ihren Grund meistens in erschöpfen-
den Krankheiten, Anaemie u. s. w. In der That kömmt es unter solchen
Umständen fast regelmässig zur Asthenopie, wenn der Kranke sich vor-
zeitig beifallen lässt, seinen Augen erheblichere Anstrengungen zuzumu-
then ; doch behebt sich das üebel leicht wieder, wenn mit fortschreitender
Reconvalescenz der Muskel erstarkt. Endlich kommt als ein sehr wich-
tiges Moment in Betracht, dass auch die Grösse der Arbeit, welche gleiche
Beschäftigungen von dem Muskel verlangen, in den einzelnen Fällen
eine sehr verschiedene ist, insoferne hier die Eefraciionszustände der Augen
und die Widerstände, welche der Muskel bei seiner Verkürzung findet, sehr
einÜussreich sind. ♦
Der Accommodationsmuskel muss off'enbar bei übersichtigen Augen die
grössten Anstrengungen machen , um den dioptrischen Apparat für kurze
Abstände einzustellen. Daher liefern denn auch Hypermetropen bei weitem
das üllergrösste Contingent der vorkommenden Fälle von accommodativer
Asthenopie, ja Manche behaupten, dass diese Ki-ankheit, wo sie rein auftritt,
fast immer an Uebersichtigkeit gebunden sei (Donders). Es entwickelt sich
hier das Uebel am häufigsten nach Ablauf des 25. Lebensjahres, indem
mit zunehmender Dichtigkeit der Linse die Resistenz derselben gegen
accommodative Formveränderungen , also auch die für eine bestimmte
Beschäftigung erforderliche Accommodationsquote wächst. Bei höheren Graden
des Refractionsfehlers tritt die Asthenopie indessen auch wohl viel zeitlicher,
selbst vor der Pubertätsperiode auf.
Im Allgemeinen kann man sagen, dass es meistens um so früher zur Asthe-
nopie komme, je höher der Grad der Hypermetropie ist. Wenn aber als Regel
hingestellt wird, dass das Lebensjahr, in welchem Asthenopie sich geltend macht,
ziemlich dem Nenner des Bruches entspricht, durch welchen die bedingende Hyper-
metropie bezeichnet wird (Donders) .- so muss dies mit grossem Rückhalte aufge-
nommen werden, indem die Ausnahmen zu zahlreich und schlagend sind. In der
That stösst man gar nicht selten auf Fälle, wo Hypermetropen von 1/24» V20) Vis»
Begünstigende Verhältnisse; Verlauf; Ausgänge. 829
ja von '/'g, erst mit 50 Jahren und spjiter wegen beginnender Angenniüdigkeit zu
Brillen greifen, naelidem sie sich schon früher viel mit Lesen, Schreiben u. s. w.
beschäftigt haben. Es wirken bei der Begründung der Asthenopie eben gar mannig-
faltige andere Umstände mit.
Bei Emmetroprn und Kurzsichtigen kömmt dio accommodafwe Asthenopie
im Ganzen sehr selten vor, da oben nur jvenige Boseliäftigungen so grosso
Accommodatiousquoten fordern, dass die J^eistungsfähigkeit des Adaptions-
muskels "leicht überboten würde. Sichergestellt sind jedoch derlei Augen
auch nicht, es bedarf bei ^^orhandousein von I\[uskt']insufficienz nur ungün-
stiger Verhältnisse, um die Krankheit hervorzurufen. A'ornehmlicli belang-
reich erscheint in dieser Beziehung bei Kurzsichtigen das Tragen zu scharfer
Zerstreuungsgläser und die Benützung von Brillen für Phitfei'nungen, welche
xceit in die deutliche Sehweite hineinragen (S. 798).
Zu den Verhältnissen, welche bei gegebenem Energiemangel des Ciliarmnskels
gerne zur Asthenopie führen, gehören unter anderen: die Bearbeitung sehr kleiner
Gegenstände, zarte Stickereien, Nähtereien, Malereien, das Lesen sehr kleiner oder
schlechter Druck- und Handschriften, besonders wenn die Entzifterung des wahren
Sinnes die genaue Wahrnehmung gewisser feiner Zeichen, durch welche sich die
einzelnen Buchstaben von einander unterscheiden, nothwendig und das durch Uebung
erreichbare Vermögen , in Zerstretiungskreisen zu lesen , luizulänglich machen. Un-
bestimmte Contouren, matte Färbung, geringe Contrastirung von der Unterlage,
mangelhafte Beleuchtung, überhaupt alles, was die Deutlichkeit der Netzhaulhilder
beeinträchtigt und eine loeitere Verkth-zung der Objectsdistanz erforderlich macht,
also ganz besonders abnormer Astigmatismus f Pagenstecher , Dobroioolski/J , steigert
natürlich die Anstrengung der genannten Muskeln und beschleunigt deren Ermüdung^
begünstigt also das Auftreten der Asthenopie. Ausserdem ist ein fortgesetzter rascher
Wechsel in den Entfernungen, für welche das Auge sich einzustellen hat, z. B. beim
Excerpiren von Folianten, beim Vergleichen von langen Zift'erreihen mit ihrer Ab-
schrift u. s. w. ein belangreiches ätiologisches Moment und zwar kömmt hier vor-
zugsweise die actuelle Energie des Ciliarmnskels ins Spiel.
Mcht immer jedoch ist es ein absolutes Uebermass von Arbeit, was
die asthenopischen Beschwerden hervorruft, sondern häufig geben plötzliche
und gewaltsame Störungen der eingewurzelten Coordinationsverhaltnisse die
hauptsächlichste oder einzige Veranlassung dazu ab. T-']ine solche Stöi'ung
findet , statt, wenn bei den gewöhnlichen Beschäftigungen plötzlich die
bisher gewohnten Brillen abgelegt, oder aber das bisher unbewaffnet ge-
bliebene Auge mit Gläsern versehen wird, welche den Refractionsfehler
und die etwaige Accommodationsbeschränkung voll oder gar im Uebermasse
corrigiren. In anderen Fällen wird die Veranlassung zu den Beschwerden
gegeben : durch den Umtausch der gewohnten Brillen gegen bedeutend
stärkere oder schtvächere, gleichviel ob die ersteren oder die letzteren die
für den speciellen Fall entsprechenden sind ; durch unrichtige Stellung der
Gläser zum Auge ; durch fehlerhafte Benützung der Brillen u. s. w. Wenig-
stens bedarf es unter solchen Umständen nur des Hinzutretens äusserer
imgünstiger Verhältnisse, um Beschäftigungen, welche ein anhaltendes Sehen
in kurze Distanzen erfordern, zu einer Quelle der Asthenopie zu machen.
Verlauf und Ausgänge. Im Beginne der Krankheit tritt der
ganze Symptomencomplex nur hervor, wenn der Accommodatiousmuskel
zu ungewohnten oder überhaupt beträchtlichen Anstrengungen gezwungen
wird, oder die Coordinationsverhaltnisse desselben eine erhebliche Stöx'ung
erleiden und die Intensität der einzelnen Ei'scheinungen steht im Verhält-
nisse zur Grösse und Dauer der den Theilen auferlegten ungewohnten Ar-
beit. Bei fortgesetzter forcirter Arbeit jedoch werden sehr bald die Nerven-
830 Acc. Asthenopie; Verlauf; Ausgänge; Behandlung; Prophylaxis; Prismen.
Symptome dauernd, es verfolgt den Kranken unaufhörlich das Gefühl der
Blendung und schon eine geringe Bethätigung des Sehorganes, selbst beim
Fixiren ferner Gegenstände, genügt, um heftige Schmerzen im Auge und
seinen Umgebungen hervorzurufen, die Asthenopie gewinnt mehr und mehr
den Charakter einer retinocüiaren Hyperästhesie.
Die accommodative Asthenopie ist der Heilung fähig. Es lässt sich
diese mit der verhältnissmässig grössten Sicherheit anhoffen in jenen Fällen,
in welchen nicht sowohl ein wirklicher Energiemangel die Ursache des
Leidens abgibt, als vielmehr ein absolutes oder relatives Uebermass geforderter
Leistungen. Eben so ungünstig ist die Vorhersage dort, wo Krankheiten
und darin begründete allgemeine oder locale Schwächezustände das Arbeits-
vermögen der betreffenden Muskeln herabgesetzt und im Vereine mit Ueber-
bürdungen den Grund zur Asthenopie gelegt haben. Unter ausreichender
Schonung pflegen sich die Theile in nicht langer Zeit so weit zu erholen,
dass das Sehorgan gemässigten Anforderungen ganz gut zu entsprechen
vermag. Immerhin geschieht es jedoch in derartigen Fällen nicht gerade
selten, dass ein gewisser Grad von Insufficienz zurückbleibt, und dann weiter-
hin jedwede Ausschreitung mit der Rückkehr asthenopischer Beschwerden
bestraft. Wo der Entwickelung der Asthenopie von vorneherein ein gewisser
Energiemangel zu Grunde lag, kehrt das Auge nimmer zur normalen Func-
tionsdauer zurück, es bedarf zeitlebens gewisser Behelfe, welche das Mass
der Arbeit bei den gewohnten Beschäftigungen je nach Erforderlichkeit
herabsetzen, dem gegebenen Kräftezustande anpassen.
Behandlung. Die erste und wichtigste Aufgabe zielt darauf hin,
die Ausbildung des Leidens zu verhüten. }iei richtiger Erkenntniss der nächsten
Ursachen der Muskelüberbürdung ist dies in der Mehrzahl der Fälle nicht
sehr schwierig, vorausgesetzt, dass der Kranke sich dem Arzte stellt, so-
bald sich die Erscheinungen der verminderten Functionsdauer geltend zu
machen beginnen und dass er auch in der Lage ist, den von den Umständen
gestellten Forderungen nachzukommen.
Oefters genügt es, die äusseren Verhältnisse, unter welchen eine Arbeit
durchgeführt wird, zu verbessern, um die Functionsdauer der Muskeln auf
das Normale zu heben.
Insoferne wird es nicht selten nothwendig, die Stellung des Kranken zur Licht-
quelle zu bericlitigen, 7ai geringe Beleuchtungsinlensitäten durch Verstcärkung der künst-
lichen Lichtquelle oder durch Wahl günstigerer Arbeitslocalitäten auf das noth-
wendige Mass zu erhöhen u. s. w. In anderen Fällen ist die Stellung des Objectes
zum Auge eine falsche, eine zu hohe, oder zu tiefe, oder eine seifliche, z. B. beim
Lesen im Bette, und muss darum geändert werden etc. etc.
Liegt der Grund der Ueberbürdung aber, und dies ist die Regel, in
einem ungenügenden Arbeitsvermögen des Accommodationsmuskels, in dessen
Unfähigkeit die jeweiligen Accommodationsquoten aufzubringen und zu er-
halten, sei es, dass eine wirkliche Muskelschwäche oder die Widerstände,
welche der ^luskel findet, oder endlich die Refractionszustände des Auges
die Schuld tragen : so ist Anordnung x^assender Gläser dringendes Gebot.
Die Regeln für die Wahl derselben sind bereits in den früheren Abschnitten
genau erörtert worden.
Wo Störungen der natürlichen Coordinationsverhälfnisse die nächste Ver-
anlassung zur Asthenopie sind, wird es häufiger nothwendig sein, die nach
Bedarf corrigirenden Gläser mit Prismen zu combiniren, um so mehr, als
Verfahren bei retinaler Hyperästhesie; Accommodationsparesen. 831
bei bereits entwickelter Hyperästhesie der Tlieile jede, auch die geringste
Beirrung der Coordinationsverhältnisse absolut unverträglich zu sein pflegt
(S. 811).
Wo die Asthenopie mit einer sehr starken ciliaren und retinalen Hyper-
ästhesie einhergeht, hat man gerathen, den corrigirenden sphäi'ischen und
beziehungsweise prismatischen Gläsern eine bläuliche Färbung zu geben
(Böhm, Graefe). Doch ist der Nutzen dieses Verfahrens in der Kegel ein
sehr zweifelhafter. Meistens verbietet sich vorerst jeder Versuch, die Augen
auch nur einigermassen zum anhaltenden Nahesehen verwendbar zu machen
und straft sich jedesmal mit unerträglicher Steigerung des ohnehin höchst
peinlichen Leidens ; der Kranke ist absolut, auch unter den sonst günstig-
sten Verhältnissen, ausser Stande etwas zu leisten, was das Sehen in kurze
Distanzen erfordert. Es zielt dann die Hauptaufgabe auf vorläufige Be-
schwichtigung des nervösen Erregungszustandes. Das Mittel dazu liegt
in der Beobachtung einer strengen Augendiät, in der Vermeidung jeder stärkeren
Bethätigung des Sehorganes. Auch wird der methodischen Anwendung des
Atropins und der damit gesetzten völligen Entspannung des Accommodations-
muskels eine überaus heilsame Wirkung zugeschrieben (Donders, Dobro-
lüolsky). Ist dann die Empfindlichkeit der Netzhaut und Ciliarnerven ge-
sunken, so ist es Zeit, die Sehversuche mit richtig corrigirenden Gläsern
aufzunehmen. Anfänglich müssen diese Versuche nur ganz kurze Zeit
dauern und in grossen Zwischenpausen vorgenommen werden. In dem
Masse aber, als die Verträglichkeit der Augen gegen solche Bethätigungen
wächst, wird durch zunehmende Häufigkeit und Dauer der Versuche die
Aufgabe gesteigert, bis mau zum Ziele gelangt ist.
Quellen: Stelhuag, Sitzungsber. d. Wien. k. Akad. d. Wiss. XVI. S. 245, 264,
265. — Graefe, A. f. O. II. 1. S. 169. — Donders, ibid IV. 1. S. 329, 332, 334;
VI. 1. S. 78, 81, 83, 95, 97-, Anommal. der Ref. u. Ace. Wien. 1866. S. 217. —
Pagenstecher, kl. Beob. II. S. 36; III. S. 90, 120. — Dobrowolskij, A. f. O. XIV.
3. S. 53, 61, 75, 80; kl. iMonatbl. Beit. 1868. S. 114—118. — Mannhardt, ibid.
XV. 1. S. 288. — Tetzer, Wien, Augenklinik, ßer. S. 157. — Böhm, Die Therapie
d. Auges mittelst farbigen Lichtes. Berlin. 1862. S. 203—236. — Schirmer, kl.
Monatbk 1867. S. 114.
5. Accommodationsparesen.
Krankheitsbild. Charakteristisch ist das Hinausrücken des Nahe-
punktes, dessen Annäherung an den Fernpunkt, also die Verminderung oder
gänzliche Aufhebung der Accommodationsbreite.
Schon bei niederen Graden der Parese macht sich die Schwierigkeit,
ausgiebige accommodative Wirkungen aufzubringen, oder gar eine Zeit lang
zu erhalten, in sehr autfälligem Masse geltend ; das Auge fühlt sich bei
derlei Versuchen alsbald beirrt, seine Einstellung beginnt zu schwanken
und in Kurzem lässt der Muskel nach. Nicht selten wird nebenher auch
Mikropsie (S. 7 79) beobachtet. Bei höheren und höchsten Graden der Parese
ist das Einstellungsvermögeu fast oder ganz vernichtet , die deutliche Seh-
weite ist auf die längste Accommodationslinie beschränkt, deren Länge und
Lage selbstverständlich je nach dem natürlichen Refractionszustande des Auges
wechselt. Dieser selbst erweiset sich häufig um ein sehr Beträchtliches
332 Acconunodationsparesen ; Krantheitsbild : Ursachen.
vermindert, viele Augen werden geradezu hypermefropisck, welche es früher
nicht waren, und ihr natüi-licher Brechzustand hebt sich wieder, nachdem
die Lähmung zur Heilung gekommen ist (Jacobson, Höring, Pagenstecher,
DondersJ.
Bisweilen steht die Accommodationsparese völlig rein da, die Pupille
liat ihre normale Weite behalten und reagirt lebhaft auf reflectonsche Reize,
ihre Bewegungen sind nur bei den accomrnodativen Innervationen sehr träge
oder XuU. Myopen, welche bei ihren gewöhnlichen Beschäftigungen nur
einen kleinen Theil oder nichts von ihrem Einstellungsvermögen aufzuwenden
haben und auch keine corrigirenden Gläser benützen, pHegen dann nur
eine sehr geringe oder keine Sehstörung zu erleiden. Emmetropen hin-
gegen und noch mehr Uebersichtige trifft die Beschränkung oder der Weg-
fall der Adaption beim Xahesehen sehr hart, ihre Sehschärfe ist für
kurze oder beziehungsweise selbst weite Abstände um ein Bedeutendes
herabgesetzt und das Bestreben, diesen Ausfall durch forcirte Accommo-
dationsarbeit zu decken, führt immer rasch zu asthenopischen Beschwerden.
In der Regel sind nebenbei auch die reflectorischen Ii-isbewegungen
gehindert, die Pupille reagirt auf Lichtreize u. s. w. wenig oder gar nicht
und beharrt in einem Zustande mittlerer Erweiterung, die Accommodations-
parese geht mit Mydriasis (siehe diese) einher. Die Sehstörung ist dann
unter allen Umständen eine sehr autfällige. Dazu kommen sehr häufig
noch Lähmungen der äusseren, vom Oculomotorius beherrschten Augen-
muskeln, ja nicht selten erstreckt sich die Paralyse über den Ausstrahlungs-
bezirk mehrerer Gehirn- und Rückenmarksnerven, das Krankheitsbild wird
ein sehr complicirtes.
Ursachen, ilan unterscheidet eigentliche Paresen, welche ihren Grund
in Functionsstörungen der betreffenden motorischen Nerven finden und andere,
welche auf pathologischen Veränderungen des Mxiskels selbst und seiner
Hüllen fussen.
1 . Wo eine wahre Accommodationslähmung ganz allein dasteht, kann
die Ursache offenbar nur eine centrale sein und muss auf die entsprechenden
Nerven an einem Punkte wirken, an welchem sich dieselben mit den mo-
torischen Zweigen des Sphincter pupillae noch nicht zu einem gemein-
samen Stämmchen vereinigt haben. Im Falle die Accommodationslähmung
mit Mydriasis gepaart auftritt, kann die Leitungshemmung eben so wohl
eine centrale sein, als auf das Ganglion ciliare und die kurze Wurzel des-
selben, oder auf die intraoculären Ganglien einwirken. Wo hingegen die
Accommodationsparese und Mydriasis blos Theilerscheinungen einer über
grössere Muskelbezirke sich erstreckenden Functionsstörung sind, müssen
krankhafte Vorgänge in den Stämmen, beziehungsweise in den Scheiden
einzelner oder mehrerer Nerven, häufiger aber noch pathologische Zustände
in den Centralorganen, untergestellt werden. Es kommen hierbei indessen
nicht blos auffällige materielle ^'eränderungen gewisser Gehirn- und Rücken-
markstheile in Betracht, sondern auch weniger manifeste Alterationen, wie
selbe unter anderen bei der Säufer- Dyscrasie, in den späteren Stadien der
ZuckeiTuhr (Graefe, Nagel), bei der Uraemie, bei hochgradiger Bleiintoxica-
tion, bei Wurstvergiftung (Höring) und Wechselfieber (Mannhardt) vermuthet
werden.
Accoinmodatioiisparoscn bei KiH'liiMicriiuii, Ziiliiih'iilcii ; l'iii'i-liU' I;ähmungen. 83b
Von hervorragender Wichtigkeit ist in dieser licziehung der epidemisch
auftretende Rachencroup (Angina diphtherica) , indem sich derselbe in man-
chen Epidemien ganz imverhältnissmässig häufig mit Accommodationslähmimg
vergesellschaftet (Donders^ Fagenatecker, Benedikt, Nagel ^ Siammeshaufi).
Es zeigen sich die Lähmungserscheinungen meistens oder immer erst, nach-
dem der Croup sicli der Heilung genähert hat, oder vollständig gewichen ist,
gewöhnlich zwischen der 3.-6. Woche. Sie fehlen in i'cisch verlaufendcsn Fällen,
so wie dort, wo bei mehr langsamem Vorschreiten der Angina der Tod in Folge
von Nierenstörungen eintritt (Pagenstecher). Am meisten ausgesetzt sind der Accom-
inodationsmu)skel und die Bewegungsorgane des Gaumens und Schlundes. Die Acconi-
modalionsparese ist in manclien Epidemien mit sehr beträchtlicher Verminderung
des natürlichen Refractionszustandes gepaart (Jacobson, Pagenstecher) , lässt die
Blendungsnerven aber gemeiniglich unberührt, so dass die reßectorischen Bewegungen
der Iris regelmässig von Statten gehen. Die Lähmung des Gaumensegels bedingt
die Unfähigkeit, den Kachen von der Nasenhöhle abzuschliessen und behindert
das Sprechen , Schlingen etc. um so mehr, als häufig Anästhesie der Gaumen- und
Schlundgegend nebenbei gegeben ist (Pagenstecher). Reciit oft gesellen sich zur
Accommodationsparese auch Lähmungen einzelner vom Oculomoiorius beherrschter
Augenmuskeln. Seltener sind die Extremitäten und zwar vorzugsweise die Strecker
gelähmt, bisweilen mit gleichzeitiger Anästhesie. Ausnahmsweise finden sich auch
Paresen der die forcirten Exspirationsheioegungen leitenden Nerven (Pagenstecher).
Die diphtheritischen Lähmungen haben bisher immer mit Heilung geendet , wenn
das Allgemeinleiden nicht den Kranken tödtet. Doch lässt die Accommodations-
parese oft lange Zeit asthenopische Beschwerden zurück. Auch hat man bisweilen
Strabismus convergens in Folge der Accommodationslälimung auftreten gesehen (Don-
ders, Pagenstecher).
Man glaubt eine Allgemeinkranklieit als eigentlichen Grund der localen
Aftectionen annehmen und die Paralyse aus dem Einflüsse der veränderten Blut-
mischung auf die Centralorgane ableiten zu dürfen (Donders). Manche halten
dafür, dass es sich um eine Blutvergiftting von Seite der diphtlieritischen Herde
handle und machen dafür den Umstand geltend , dass kräftige Aetzungen der
letzteren das Mortalitätsverhältniss günstig gestaltet und die Paralysen seltener
gemacht haben (Bretoneau). Man hat jedoch die Accommodationsparesis auch ohne
alle diphtheritische Erkrankung bei acuter Anschuiellung der Snbmaxillar- und Cer-
vicaldrüsen, ja bei tiefen Halsnarben nach Verschwärungen scrophulöser Drüsen-
geschwülste beobachtet (Graefe, Remak). Es liegt darum sehr nahe, die Parese
der verschiedenen Nervengebiete ähnlich wie bei Morbus Basedowi auch bei
Diphtheritis faucium auf Erkrankungen des Halssympathicus und davon abhängige
iimschriebene paralytische Gefässeriveiterungen der C'entralfheile des Gehirnes, insbe-
sondere der Medulla oblongata (Steffan), zurückzuführen. Es spräche dafür der
Umstand, dass beim Rachencroup sich gewöhnlich Anschwellungen an den beiden
Unterkieferwinkeln zeigen, welche Infiltrationen des Bindegewebes zu sein scheinen
und ohne Zweifel auf den obersten Halsknoten rückwirken können (Remak). Auch
lässt sich dafür die öfter nachweisbare Empfindlichkeit des cervicalen Grenz -
Stranges und die Heilwirkung der auf letzteren geleiteten elektrischen Ströme ver-
werthen (Remak, Benedikt).
In mehreren Fällen wurde auch eine sehr auftallige Accommodationsbe-
schräukung bei Zahnleiden beobachtet und durch die Reflexwirkung des Trigeminus
auf die vasomotorischen Nerven des Gehirnes erklärt. Es soll dabei der Grad des
Schmerzes für das leichtere oder schwerere Zustandekommen der Paresis von
geringerer Bedeutung sein und das Uebel vorzüglich bei Individuen zwischen dem
10. bis 15. Lebensjahre, höchst ausnahmsweise jedoch oder gar nicht nach dem
30. Lebensjahre gefunden werden (H. Schmidt). Es ist hierbei fraglich , ob diese
Accommodationsbeschränkungen nicht öfters dadurch zu erklären seien , dass
energische und dauernde Muskelanstrengungen bei Schmerzen au einem beliebigen
Körpertheile überhaupt sehr erschwert zu sein pflegen.
2. Der Accommodationsmuskel seihst wird unfähig , auf entsprechende
Nervenimpulse mit proportionaler Kraft, oder überhaupt, zu reagiren : durch
entzündliche Processe und deren Ausgänge in Verbildung und Atrophie, durch
S t e 1 1 w a g , Augenlieilknmle. 53
834 Accommodationspareseu ; Behandlnng; Mydriasis; Krankheitstild.
weit gediehene st7iile Involution (ß. 313) und in Folge dauernder Unthütiy-
keit bei Veruachlässiguug des Auges, wie dieses z. B. bei Strabismus und
überhaupt bei bedeutenderen Functionsstörungen des einen Auges beobachtet
wird. Ausserdem kommen vom praktischen Standpunkte aus als häufige
Ursache hochgradiger, an Paresen streifender Schivächezustände des Accom-
modationsmuskels schwere und tief in die Yegetationsverhältnisse des ge-
sammten Organismus eingreifende Krankheiten in Betracht.
Behandlung. Im Interesse der Causalindication muss dort, wo das
Grundleiden der Therapie zugänglich ist, natürlich vor allem auf dessen
Heilung oder Besserung hingewirkt und mittlerweile eine entsprechende
Atigendiät gehandhabt werden. Ist der krankhafte Frocess getilgt und bleibt
der Muskel einigei'massen geschwächt, so verspricht die Electricität ohne
Zweifel den meisten Erfolg [Benedikt, Coccius). Es soll der Kupferpol
auf das geschlossene Lid gesetzt und der Zinkpol am Orbitalrande herumgeführt
werden. Bei der diphtheritischen Lähmung ist die Galvanisation des Hals-
sympathicus vorzuziehen (Benedikt, Remak). Ausserdem können vorsichtig
geleitete und niemals bis zur Ermüdung getriebene Uebungen des Accom-
modationsapparates Günstiges leisten. Das Mittel dazu geben Convexgläser,
welche nicht völlig corrigiren, das Auge also der adaptiven Muskelanstreu-
gung nicht ganz entheben. Stellen sich dabei aber asthenopische Beschwer-
den ein, so soll man lieber gleich zu völlig neutralisirenden Brillen über-
gehen (Donders). Nebenbei erweisen sich bisweilen Kaltwasserkuren, See-
bäder, kalte Douchen, Aufenthalt in frischer freier Luft, überhaupt ein
auf Kräftigung der Muskeln gerichtetes Regimen erspriesslich. Bei diph-
theritischer Lähmung empfiehlt man ausser reborirender Diät den inner-
lichen Gebrauch des Chinins, der Schwefelsäure, der Eisenpräparate (Don-
ders). Das Mutterkorn (Willebrand) gewährt kaum einen erheblichen, das
Calabarextract (Coccius) einen sehr geringen Nutzen.
Quellen: Stellwag , Sitzungsber. der Wien. k. Akad. d. Wiss. XVI. S. 244,
266; Ophth. II. S. 325, 674. — Donders, Anomalien der Eefr. u. Ace. Wien 1866.
S. 500, 503, 505, 506, 512—514; Ceutralbl. 1867. S. 526. — Graefe, A. f. O. II.
1. S. 173, 191, 192; II. 2. S. 299, 301. 303, 307; III. 2. S. 363; "iV. 2. S. 230,
234; Deutsche Klinik. 1865. S. 115. — Xagel, A. f. O. VI. 1. S. 231. ~ Höring, kl.
Mouatbl. 1864. S. 235. — Hugldings Jackson, ibid. S. 143, 145 — 147. — Mannkardt,
ibid. 1865. S. 18. — Pagenstecher aus Eberfeld, ibid. S. 358. — Jacobson, A. f. O.
X. 2. S. 47. — Bretoneau, nach Donders 1. c. S. 513. — H. Gerold, Zur ther.
Würdigung farbiger Diopter. Bonn 1S67. S. 36, 42. — Willehrand, A. f. O. IV. 1.
S. 341, 344. — Remak, Deutsche Klinik. 1865. S. 115. — Coccius, Der Mechanis-
mus der Accommodation. S. 61, 99. — Benedikt, Elektrotherapie. Wien 1868. S.
457, 461. — Schmidt, A. f. O. XIV. 1. S. 107. — Stefan, kl. Erfahrungen und
Studien. Erlangen. 1869. S. 47, 54. — Stanimeshaus, Diss. Bonn. 1870.
6. Die Mydriasis.
Krankheitsbild. Charakteristisch ist eine, von mateiiellen Verände-
rungen im Inneren des Auges unabhängige , höhergradige Erweiterung der
gleichzeitig völlig starren, oder doch nur innerhalb sehr enger Grenzen beweg-
lichen Pupille.
Die Erweiterung des Sehloches ist immer eine sehr beträchtliche ; doch
selten eine maximale. Bisweilen ist sie eine ungleichmässige, indem einzelne
AcCuiiimiHl:itii)iislM'si-liränkiiiig; llisachcii ; spastiscli« Form. 83o
Bogenabschnitte des Pupillarraudes mehr ausgedehnt werden und so der
Seile die Gestalt eines senkrecht oder ([uer gelagerten Ovales, eines Poly-
gons mit abgerundeten Winkeln u. s. w. geben. Die erweiterte Pupille
ist dabei starr, sie bewegt sich beim Kintlusse starker Lichtcontraste, bei
Convergenzstellungen der Augenaxen und bei Anstrengungen des Accom-
modationsapparates nur sehr loenig oder gar nicht. Indem mit der Erweite-
rung der Pupille die Erleuchtungsintensität des Augengrundes und damit
auch die Quantität des reÜeetirteu Lichtes steigt, verliert das Sehloch
seine normale Schwärze, es erscheint mehr grau mit einem Stiche ins
Blaue oder Grünliche imd zeigt sich bei günstigem Lichteinfalle wohl
auch leuchtend.
Das Accoiniiiodationsvermögen ist in der Mehrzahl der Fälle sehr be-
schränkt, häutig sogar völlig aw/</eÄo6en. Es besteht jedoch kein constantes Ver-
hältniss zwischen dem Grade der Pupillenerweiterang und der Abnahme
der Accommodationsbreite ; diese kann auf Null gesetzt sein bei relativ
geringer Dilatation des Sehloches, und umgekehrt erhalten bleiben bei höchst-
gradiger Mydriase.
Es macheu sich diese Beschränkungeu der Accommodationsbreite bei Vor-
liaudeiiseiu einer Mydriase in höchst missliebiger Weise dadurcli g-elteud, dass die
Durchmesser und der scheinbare Glanz der die Netzhaut treffenden Zerstreuungs-
kreise mit der Grösse der Pupille wachsen. Uebrigens sieht das mydriatische Auge
in der Kegel in keiner Distanz vollkommen deutlich und scharf, da die asymme-
trische Krünnnung der Hornhaut und Linse wegen mangelhafter Abbiendung schwer
ins Gewicht fällt. Damit im Zusammenhange steht das höchst unbehagliche Gefühl
von Blendling , welches die Mydriasis häufig begleitet und in grellem Lichte öfters
jede stärkere Bethätigung der Augen geradezu unerträglich macht.
Die Mydriase ist seltener hinocular ; meistens beschränkt sie sich auf
FAn Auge. Sie stört auch in letzterem Falle den gemeinschaftlichen Sehact
sehr bedeutend, bis der Kranke gelernt hat, von den undeutlichen Wahr-
nehmungen des ergriffenen Auges abzusehen, sie zu unterdrücken.
Ursactieii. Man darf sich die Mydriase nicJit als Symptom einer völli-
gen Erlahmung der Irismuskelfasern denken. Diese charakterisirt sich nicht
durch Erweitei'uug der Pupille, sondern durch Erschlaffung der Iris und
durch excursives Schlottern derselben bei raschen Bewegungen des Auges.
Bei der Mgdriase bleibt die Regenbogenhaut im GegeutheiLe immer gespannt,
auch wenn die Reaction auf Lichtreize und die Accommodationsthätigkeit
völlig aufgehoben wären. Uebrigens lässt sich durch starke, auf die Quintus-
faseru des Auges wirkende Reize fast immer eine vorübergehende Confraction
der Pupille, durch Atropineinträufelungen hingegen eine maximale Erweiterung
des Sehloches erzielen {Ruete).
Man unterscheidet ziemlich allgemein eine spastische und eine paraly-
tische Form. Die erstere beruht auf Reizzuständen der oculopupillarcn Zweige
dis Sympathicus , wird also durch krampfhafte Zusammenziehung des
Dilatator pupillae und der Gefässmuskulatur der Iris begründet und ist in
reinen Fällen an keine Beschränkung der Accommodationsbreite geknüpft.
Es gehört hierher die Mj'driasis , welche bisweilen während den Anfällen
von Hemicranie (Du Bois-Reymond) das der ergriffenen Kopfhälfte entsprechende
Auge befällt, in den meisten Fällen jedoch rasch vorüberzugehen scheint, indem
der Krampf alsbald in Paralyse der Gefässmusculatur umsetzt. Weiters gehört hier-
her die ephemere Mydriasis (Graefe), welche sich blos zeitweise, zu gewissen
Tagesstunden , ohne besondere oder unter den verschiedensten äusseren Veran-
lassungen entwickelt. In einem Falle wechselten die Mydriasis und, Myasis periodisch
53*
836 Mydriasis; Ursachen; Paralytisclie Form; Verlauf; Ausgänge.
miteinander, ohne dass irgend welche Beschränkung der Accommodation nachge-
wiesen werden konnte (Donders). Wahrscheinlich ist auch die Erweiterung der
Pupille hierher zu rechnen, welche man bisweilen neben Hehninthiasis und gewissen
Unterleibsleiden beobachtet, obgleich der Bauchsympathicus keinen directen Einfluss
auf die oculopupillaren Nervenzweige nehmen kann fBudgeJ. Eine wichtige Ursache
sind direct avf den Cervicalstrang einwirkende reizende Schädlichkeiten. In der
That hat man hochgradige Mydriasis in Folge eines Aneiirtjsma aortae, eines Cer-
vicaldrüsenkrehses (Ogle), während des Ueberganges einer Phlegmone colli in Eite-
rung (Kidd), ja in Verbindung mit stärkerer Hebung des oberen Lides sogar
wiederholt bei gewö/mlichem Kröpfe (Demme) beobachtet. Leider sind dabei die
Accommodationsverhältnisse nicht gehörig gewürdigt worden, daher manche dieser
Fälle möglicher Weise mit jenen zusammenzustellen sein dürften, welche bei
RacJiencroup und Zahnleiden (S. 833) gesehen wurden. Endlich sind in die Cathegorie
der spastischen Mydriasis die Pupillenerweiterungen zu rechnen, welche bei sehr
verminderter oder gänzlich sistirter Respiration, bei Gehirnerschütterung, bei Ver-
stopfung der Luftröhre, überhaujjt beim Erstickung stpde constant zum Vorscheine
kommen und laut physiologischen Experimenten (Thiry, Ludwig, Bezold) aus der
reizenden Einwirkung des kohlensäurereichen und sauerstoffarmen Blutes auf die
Centralorgane des Sympathicus zu erklären sind.
Gewöhnlich ist die Mydriasis eine Lähmungserscheinung und aus der
Leitungshemmung der oculopupillaren Zweige des dritten Gehirnnervenpaares
zu erklären. Nur selten beschränkt sich die Paralysis auf die motorischen Nerven
des Sphincter pupillae und ist dann immer auf eine centrale Ursache zurück-
zuführen. In der grössten Mehrzahl der Fälle ist sie mit Accommodations-
l'dhmung gepaart (S. 832) und kann dann eben sowohl ihre Quelle in
pathologischen Veränderungen gewisser, abseits des Urspruugskernes des
Oculomotoriusstammes gelegener Hirntheile, als in Leitungshemraungen des
Ciliarknotens und seiner kurzen Wurzel oder gar blos der intraoculären
Ganglien finden. Häufig sind die Mydriasis und Accommodationsparesis nur
die Theilerscheinung einer Lähmung, welche sich über grössere Theile oder
das gesammte Verzweigungsgebiet des dritten und selbst mehrerer Gehirnnerven
ausbreitet. Die Ursache der Leitungshemmung ist dann sehr oft eine
Erkrankung der Nervenstammscheide und wird in der Regel auf rheumatische
Basis zurückgeführt. Eben so oft jedoch liegt der Krankheitsherd tiefer,
in den Umhüllungen des Gehirnes oder in diesem selber.
Hierher zählt die Mydriasis, welche neben mannigfaltigen anderen Lähmungs-
erscheinungen bei Meningitis basilaris, bei chronischem Hydrocephalus, bei apoplec-
tischen Ergüssen am Schädelgrunde, ferner sehr häufig bei Krankheiten des Klein-
hirns (Duchek) , überdiess bei der Kriebelkrankbeit (J. MeyrJ, bei Vergiftung durch
Steinkohlengas, durch Blei, gewisse Narcotica u. s. w. beobachtet wird.
Die durch Mydriatica bedingte , an Accommodationslähmung gebundene
Pupillenerweiterung bringt eben sowohl eine spastische Contraction der vom Sym-
pathicus versorgten Irismuskeln , als eine Paralysis des Sphincter pupillae und
des Ciliarmuskels zum Ausdrucke und ist aus einer Einwirkung jener Gifte auf die
intraoculären Ganglien zu erklären (S. 36).
Verlauf und Ausgänge. Wo sich das Grundleidcn vollständig beheben
lässt oder spontan der Heilung zuschreitet, weicht häufig auch die Mydriasis
mit allen ihren Attributen. Doch bleibt nicht gar selten einige Erweiterung
und Trägheit der Pupille mit oder ohne Beschränkung der Accommodations-
breite, mitunter wohl auch diese allein zurück. Einmal veraltet trotzt die
Mydriasis gewöhnlich allen Heilungsversuchen und wird ständig, wahr-
scheinlich weil die Muskeln oder die betreffenden Nerven mit der Zeit
atrophiren.
Die Behandlung muss, wo sich das Grundleiden nachweisen lässt,
immer zuerst gegen dieses gerichtet werden. Sie wird je nach Umständen
Beliiunlhiiij,'; CaUüiar ; KliTtiJcit:it; lu'izi'iicU^ Mittt^l; Ueljimgi;ii. 837
also bald eine i'eiii antipMogistische, bald antirheumatische, antihehnintldsche
u. s. w. sein. Ist das Grundloideu getilgt, oder hat die erwähnte Therapie
wenigstens das Mögliche geleistet inid besteht dann die Mydriasis gleichsam
als ein selbstständiges Leiden fort, oder ist sie gleich von vorneherein als
ein solches ohne ergründbares pathogenetisches Moment aufgetreten: so ist
OS wohl das Klügste, die gelähmten Theile in möglichst directer Weise zu
beeinflussen, um den Spinnet er pupillae zu kräftigen Contractioneii zu
bestimmen.
Uie Hoffnungen, welche man in dieser Beziehung auf die Calabar-
präparate (S. 41) gesetzt hat, sind im Grossen und Ganzen iiieht erfüllt
worden ; das Mittel hat in der Regel nur kurz vorübergehende Wirkungen.
Bei ephemeren Krankheitsursachen kann das Calabar indessen die Heilung
beschleunigen und selbst anbahnen. In frischen Fällen thut man daher
gut, es wiederholt zu versuchen. Man glaubt um so eher etwas davon
erwarten zu dürfen, je umfangreicher und dauernder die Pupillenverengerung
ist, und je mehr der Refractionszustand und die Accoramodationsbreite
nach den einzelnen Applicationen zunehmen (Graefe).
In manchen Fällen hat man nach fruchtloser Anwendung der übrigen
gebräuchlichen Mittel mit der Electricität gute Erfolge erzielt {Benedikt,
Fieber). Es soll hierbei der Kupferpol auf die geschlossenen Lider, der
Zinkpol auf die Jochgegend gestellt werden. Bei der spastischen Form
werden jedoch die galvanischen Ströme besser auf den Halssympathicus
geleitet.
Mcht ganz selten erweisen sich stärkere Reize nützlich, welche man
auf die Augenäste des Quintus wirken lässt, da dieselben bekannter Massen
auf den Sphincter reflectirt werden. Zu diesem Behufe werden täglich einmal,
höchstens zweimal, Opiumtinctur mittelst eines Pinsels in den Bindehautsack
gestrichen. Stellt sich in Folge dessen eine beträchtliche Gefässreizung ein,
welche ein therapeutisches Einschreiten nothwendig macht, so kann man
nach Bedarf kalte Umschläge appliciren, ohne Furcht, den Effect des ersten
Mittels zu schwächen, da die Kälte ebenfalls bethätigend auf den Pupillen-
schliesser wirkt.
Nebenbei werden oftmals des Tages wiederholte kräftige Zusammenziehungen
des Orhicularmnskeh für wichtig gehalten, indem sie auf consens^iellem Wege Con-
tractionen des Sphincter pupillae hervorrufen. Der Kranke soll also angewiesen
werden, die Lider recht oft gewaltsam zusammenzulvneifen (Graefe). Ausserdem
empfehlen sich methodische Uebungen des Accommodationsmuskels (S. 834).
Otj diese Mittel überhaupt Erfolg versprechen, kann mau alsbald mit ziem-
licher Wahrscheinlichkeit aus der Grösse und insbesondere auch aus der Dauer der
Pupillenreaction ermessen. Wo sich das Sehloch bei einem und dem anderen Ver-
fahren nur loenig in seinem Durchmesser verändert , oder rasch wieder in seinen
früheren Zustand zurückkehrt, da sind die Aussichten ziemlich gering. Gelangt
man nach ivochenlangen Bemühungen nicht zum Ziele, so ist wohl meistens alles
vergebens.
Statt der Einstreichungen von Opiumtinctur kann man selbstverständlich auch
andere Reizmittel versuchen. So hat man die Bindehaut oder die Hornhautgrenze
mit Höllenstein angeätzt, Schmqjfpulver verordnet, den Kranken zu Salmiak riechen
lassen u. s. w. Heftige Reize von der Netzhaut aus auf den Sphincter wirken zu
lassen, ist gefährlich und überdies von geringem Vortlieile. Dasselbe gilt auch von
wiederholten Paracentesen der Cornea. Die Anwendung des Strgchnin und Veratrin
in Salben, welche an die Stirngegend eingerieben werden, sowie der innerliche
Gebrauch des Mutterkorns (ArU) leisten wenig oder niclits,
838 Accommodationskrämpfe ; Krankheitsbild ; Ursachen ; M3'opie in Distanz.
Quellen: SteUwag , Ophth. II. S. 329, 331; Wien. med. Wochenschrift. 1864.
Nro. 10—12; Wien. med. Jahrb. 1869. 2. S. 50; Der intraociiläre Druck. Wien.
1868. S. 74 u. f. — Thiry, Ludioig, Bezold, ibid. S. 76 u. f. — Ruete, Lehrb. der
Ophth. I. Braunschweig. 1853. S. 101, 328; II. S. 568. — Bonders, Anom. der
Eefr. u. Acc. Wien. 1866. S. 493, 504, 505, 506, 524; Het tienjarig bestaan v. h.
nederl. gasthuis etc. Utrecht. 1869. S. 137. — Graefe, A. f. O. I. 1. S. 315; II. 1.
S. 191, 194; II. 2. S. 299; III. 2. S. 359; VII. 2. S. 31; IX. 3. S. 124—128. —
Zehender, ibid. II. 2. S. 95, 101. — Duchek, Wien. med. Jalirb. 1864. 4. Fach-
bericht. S. 54. — J. Meyr, A. f. O. VIII. 2. S. 121. — Soelherg Wells, Workmann,
kl. Monatbl. 1863. S. 370, 374, 375. — A. Weher, Schelske, Burow, ibid. S. 378,
380, 528. — Benedikt, A. f. O. X. 1. S. 103. b. 109; Electrotherapie. S. 291, 303. —
Fieber, Wien. med. Wochenschrift. 1864. Nro. 22. — Arlt, Krankheiten d. Auges.
II. Prag. 1853. S. 112, 117. — Btidge, Die Bewegung der Iris. Braunschweig.
1855. S. 176. — Oqle, Kidd, Nach Eulenburg und Guttmanu Arch. f. Psych. I.
S. 422. — Bemme, Würzburg. med. Zeitschrift. III. S. 269, 273, 297. — Bu Bois-
Reymond, Arch. f. Aoat. u. Phys. 1860. S. 461 u. f.
7. Accommodationskrämpfe.
Krankheitsbild und Ursachen. Charakteristisch sirid plötzliche Steige-
rungen des Eefractionszustandes hei sehr verminderter oder gänzlich aufgehobe-
ner Fähigkeit ivillkürlichen Adaptionswechsels.
Es ist dies eines der dunkelsten Capitel in der ganzen Ophthalmologie,
da es noch sehr an genaxi beobachteten Fällen gebricht. Man glaubt, dass
Accommodationskrämpfe sowohl auf reflectorischem , als auf consensuellen
Wege, dass heisst von Seite der Convergenzmuskeln aus angeregt wer-
den können.
1. Der reflectorische Spasmus des Ciliarmuskels findet sich neben hefti-
gen Reizzuständen der sensiblen Ciliarnerven, wie selbe besondei's Entzün-
dungen begleiten. Er geht danu mit starker Netzhauthyperästhesie und mei-
stens auch mit Krampf des Schliessmuskels der Pupille und des Orbicularis
palpebrarum einher.
In anderen Fällen vermuthet man die Quelle des Reflexkrampfes in einer
besonderen Art von Hyperästhesie des lichtempfindenden Apimrates, welche sich
speciel durch Unverträglichkeit gegen kleine Zerstreuungskreise geltend macht. Es
werden nämlich Fälle beschrieben, wo im Augenblicke, als solche Zerstreuungs-
kreise die Retina treffen, der Accommodationsmuskel sich kräftig zusammenzieht,
den Brechzustand des Auges und sonach auch die Undeutlichkeit der Wahr-
nehmungen steigert, also statt den relativ günstigsten Adaptionszustaud zu erhalten,
gerade einen entgegengesetzten einleitet. Es wurde diese eigenthümliche Functions-
störung bisher immer neben Myopie niederen oder mittleren Grades beobachtet.
Sie macht sich dem Kranken besonders dadurch auffällig, dass bei der Verschiebung
eines fixirten Objectes über den Fernjjunkt hinaus die Undeutlichkeit der Wahr-
nehmungen nicht gleichmässig fortwächst , sondern plötzlich unter dem Gefühle einer
veränderten Accommodationsspannung um ein Bedeutendes steigt, wenn die Objects-
distanz um ein Gewisses vermehrt worden ist. Während ein solches Individuum
z. B. in 1, 11/2 und 2 Schuh Entfernung noch scharf sieht, zeigen sich ihm Objecte
von 3 — 5 Schritt Distanz schon viel undeutlicher, als anderen in gleichem oder
gar höherem Grade Kurzsichtigen. Man meint behaupten zu dürfen , dass dieser
plötzlichen Steigerung der Undeutlichkeit in der That eine excessive Accommodations-
spannung zu Grunde liege und dass letztere, den erworbeneu Associationsverhältnissen
entsprechend, auch mit einer vermehrten Axenconvergenz gepaart sei. Starke, vor
das Auge gehaltene Concavgläser corrigiren nicht nur den diojitrischen Fehler,
sondern lösen auch die falsche Axenconvergenz. Man nennt diesen im Ganzen
höchst seltenen Zustand y^Myopie in Bistanz"". Er fordert die Neutralisation der -ge-
Verschiedene Formen vermeiiitüchor Acuümuiodationsliriuiiijle. 839
gebenen Refractionsanomalie, also den Cicl)iaucli entsprechender Concavgläser heim
Fernesehen (Graefe).
Ganz im Gegensatze zu diesen FälUui sollen andere vorkommen, wo der
Accommodationskrampf sieh einstellt, wenn das Ohjeet innerlialh der deutlichen Seh-
weite auf eine geivis,s-c kurze Distanz an den BuUms herauj-ücJct , somit ein geimsses
höheres Mass von Accommodationsavfwand verlangt. Statt diesem wird dann ein
beträehtlieli grösseres Mass geliefert, der Aceomniodationsmuskid zieht sieh weit
kräftiger zusanniien, als es die Objeetsdistanz erfordert, während gleiehzeitig auch
die Axenconvergenz über Gebühr gesteigert und sonach eine stra/jotische Ablenktmg
des einen Auges bemerkbar wird. In manchen Fällen steigt und fällt die Spannung
des Accommodationsmuskels und der inneren Graden im, Verhältnisse zur Annähe-
rung und Entfernung der Objecte, jedoch so, dass sie innerludh geunsser Grenzen
den Bedarf innner Uni ein Ansehnliches üljerfrift. In anderen Fällen jedoch stellt
sich im Augenblicke, als der Gegenstand über ein gewisses Mass hereinrückt,
plötzlich ein Maximum der Accommodationsspannung und der Axenconvergenz ein
und bleibt dann eine Zeit lang unverändert, auch wenn die Objeetsdistanz wieder
ahnimmt, ja mitunter löst sich der Krampf, einmal angeregt, erst nach einiger Zeit,
auch wenn seine Ursache völlig beseitigt wird, der Kranke gedankenlos in die
Ferne blickt (Graefe). Es werden solche Fälle gerne für hohe Grade von Myopie
gehalten; doch führt der Umstand, dass die Kranken unter geioöhnlichen Ver-
hältnissen wenigstens zeitweise, in beträchtlich grössere Entfernungen ausreichend
oder vollkommen scharf sehen , so wie die Unerträglichkeit starker Concavgläser
bald zur Erkenntniss, dass es sich blos um eine temporäre Steigerung des Refrac-
tionszustandes handle. In der That ergeben eingehende Untersuchungen, dass die
natürliche Einstellung des Auges bald eine verhältnissmässig geringgradig mgojnsche,
bald normale oder gar schwach hypermetropische sei. Die therapexitisclie Aufgahe
geht offenbar dahin, das zum Krämpfe führende Mass von Accommodationsanstren-
gung dauernd überflüssig zu machen. Am besten würde natürlich die Vermeidung
aller, das Nahesehen erfordernden Beschäftigungen entsprechen. Wo dies jedoch nicht
angeht, scheint die Verwendung schwacher Convexgläser beim Nahesehen empfehlens-
w-erth, da hierdurch das Object scheinbar um ein Gewisses hinausgerückt und der
Accommodationsöec?«»/ sonach herabgesetzt wird. Bei einem Kurzsichtigen, dessen
Fernpunktabstand 14 Zolle beträgt, wurde der Krampf durch Convexgläser von
'J6 Zoll Brennweite in der That seit Jahren hintangehalten. Während früher der
Kranke beim Lesen und Schreiben die Objecte auf 3 — 4 Zoll annäherte und dabei
das linke Auge stark nach innen ablenkte, lag er nun denselben Beschäftigungen
stundenlange bei normaler Fixation und Objeetsdistanz ob. Die Beseitigung des
Convexglases hatte aber alsbald die Eiickkehr des Krampfes zur Folge. In anderen
Fällen (Graefe) sollen wiederholte Einträufelungen von Atropinlostmg den Krampf
beseitigt haben.
2. Der consensuelle, von den Convergenzmuskeln des Auges ausgehende Accom-
modationskrampf soll sich dadurch auszeichnen, dass in dem Augenblicke, als die
Annäherung eines Objectes auf eine gewisse Grenze vorschreitet, sogleich eine
starke Contraction des Accommodationsmuskels und der inneren Geraden erfolgt,
so dass trotz einem grossen Fernpunktabstande der Kranke nur auf 3 — 4 Zoll zu
lesen, zu schreiben u. s. w. vermag. Die Benützung einer prismatischen abduci-
renden Brille von 2 oder 3 Grad brechendem Winkel soll die Functionsstörung
völlig beseitigt haben (Liebreich). Im Ganzen sind die unter 1 und 2 geschilderten
Krankheitsformen sehr unklar und z\veifelhaft.
3. Die Erhöhimgen und Schwankungen des Refractionszustandes, welche nach
anhaltenden starken Accommodationsanstrentiuns'en häutig: vorkommen und durch
forcirte Application mydriatischer Mittel manifest gemacht werden können, sind
abgesehen von den bereits erörterten Gründen vermöge der Langsamkeit ihres
Zustandekommens und Zurückgehens kaum auf spastische Cowirsictionen (Dobrowolsky) ,
sondern auf hypertrophische Entwickelung der MüUer'schen Kreisfasern und auf
Elasticitätsverlust der Linse zurückzuführen (S. 775).
Quellen: Graefe, A. f. O. II. 1. S. 158, 163, 165, 168, 177; IL 2. S. 307, 313,
316. -- Liebreich, ibid. VIII. 1. S. 259, 265, 266. — Dondexs, Anomalien der Refr.
u. Acc. Wien. 1866. S. 526. — Dobrowolsky, kl. Monatbl. 1868. Beil. S. 3, 141, 175,
179, 180, 244. — Berlin, ibid. 1869. S. 1.
840 Myosis ; Krankheitsbild ; Ursachen.
8. Die Myosis.
Krankheitsbild. Man bezeichnet mit diesem Namen eine von materiellen
Veränderungen im Inneren des Auges unabhängige hochgradige dauernde Ver-
engerung der gleichzeitig völlig starren, oder doch nur innerhalb sehr enger
Grenzen beweglichen Pupille.
Das Sehloeh ist bis auf den Umtaug eines Stecknadelkopfes oder gar
eines Nadelstiches verengt, vollkommen kreisrund und tief schwarz. Es
reagirt nur sehr wenig oder gar nicht auf Liclitcontraste, ja selbst auf die
Einwirkung von Atropin, Sein geringer Durchmesser beschränkt in sehr
fühlbarer Weise die Grösse des Gesichtsfeldes, bisweilen so, dass der Kranke
von grösseren Objecten nur einzelne Theile überblicken kann, obwohl die-
selben in genügender Entfernung gelegen sind. Ausserdem wird auch der
scheinbare Glanz der Netzhautbilder wesentlich vermindert und dadurch das
deutliche Sehen bei massigen oder geringen Erleuchtungsintensitäten sehr er-
schwert oder gar unmöglich gemacht. Die Accommodation ist in der Mehr-
zahl der Fälle gar nicht oder doch nicht erheblich beeinträchtigt.
Bei greisen Individuen findet man fast constant eine sehr auffällige Enge
der Pupille neben unvollständiger und langsamer Reaction derselben gegen Atropin.
Es scheint sich dadurch nicht sowohl eine Leitungshemmung in den betreffenden
Nerven, als vielmehr der Widerstand zur Geltung zu bringen, welchen die rigiden
oder vielleicht gar schon atheromatös entarteten Wandungen der Irisgefässe den
vom Sympathicus beherrschten organischen Muskeln entgegenstellen.
Ursachen. Man unterscheidet eine spastische und eine paralytische
Form der Myose. Die erstere ist auf directe oder vom Opticus und
Trigemimis auf die oculopupillaren Zweige des dritten Gehirnnerven über-
tragene ßeizzustände zu beziehen. Sie ist bei Entzündungen, welche mit
starker Reizung des Ciliarnervensystems einhergehen, überaus auffällig und
macht dann gemeiniglich selbst die energische Anwendung starker Atropin-
lösungen völlig wirkungslos.
Möglicher Weise kann auch die fortgesetzte Bethätigung des Sphincter pu-
pillae behufs deutlichen Sehens in sehr kurze Distanzen diesem ein gewisses
Uebergewicht verschaffen. Wenigstens findet sich die Myosis bei Uhrmachern,
Goldarbeitern, Kupferstechern u. dergl. in einem gesteigerten procentarischen Ver-
hältnisse (Arlt).
Die paralytische Form kömmt nicht ganz selten neben leichter Ptosis
des oberen Lides vor (Homer) und beruht auf Leitungshemmungen in den
zum Auge und zu den organischen Muskeln des oberen Lides gehenden
sympathischen Nervenzweigen. Man hat diese Form bisher immer nur bei
erwachsenen Individuen beobachtet. Mehrmals sprach sich dabei das Sym-
patMcusleiden auch durch periodische halbseitige Röthung und Hitzeent-
wickelung im Gesichte und Kopfe aus (Homer). Auch wurde einmal Empfind-
lichkeit der entsprechenden Halsgegend beobachtet. Die Myosis ist dabei,
soweit die bisherigen Erfahrungen reichen, nicht leicht eine maximale und
lässt noch kleine Schwankungen des Pupillendurchmessers bei reflectorischen
und accommodativen Impulsen zu. Es offenbart sich der paralytische Zu-
stand der Irisgefässe und des Dilatator pupillae übrigens sehr deutlich
durch die überaus rasche und ausgiebige Verkleinerung des Sehloches bei
Myosis mit Ptosis syiiiijalliica; IJeliamlluiiy ; <.iUL'lli.-ri. 841
CalabareiniüirlcuDy, aiideroi'seits durch dic3 sehr zögernde und ganz unvoll-
ständige Pupillenerwciterung bei Atroplnisirany des Auges. Die willlcüvUchen
Bewegungen des oberen Lides sind bis auf den kleinen Ausfall in der
Hubhöhe durchaus nicht beirrt und erweisen sich einem äusseren mechani-
schen Widerstände gegenüber sehr kräfticj, so dass wohl kein Zweifel ob-
walten kann, es sei nicht sowohl der Levatoi- palpebrae, als vielmehr der
organische Muskel des oberen Lides das Substrat der Functionsstöruug.
Ueber die Ursachen liegen nur wenige bestimmte Beobachtungen vor. In
der Mehrzahl der Fälle schien sich das Leiden ohne erhebliche äussere
A'eranlassung entwickelt zu haben. Manchmal Hess es sich durch den
Druck einer Geschwulst auf den cervicalen Grenzstrang erklären (Willebrand,
Gairdner, Ogle, Heineke, Mitchel, More.house, Keen). Einmal schien eine
Parotisgeschwulst den Grund abzugeben (Verneuil).
Ausserdem findet sich die Myosis öfters bei Tabes dorsnalis mid aiidereti
Formen der Rückeiimarkslähmuno; (Robertson) , bei hartnäckiger Stulilverstoi)fung,
in Folge von Torpor des Unterleibes u. s. w. Die Pathogenese dieser Myosen
ist so wenig klar wie jener, welche sich als Symptom mancher Ge/aj-wZeifZen, nament-
lich 1)6] Krankheiten der Varoh-brücke (Duchek) , als Symptom der Apoiilexie
im Reactionsstadimn , im Beginne der Meningitis, neben den Erscheinungen des
Tetanus, der Wasserscheu u. s. w. finden; oder welche als Begleiter hijsterischer
Krampfanfälle auftreten; oder welche bei Intoxicationen mit gewissen narkotischen
Substanzen z. B. Opium, Morphium etc. beobachtet werden.
Die Behandlung der Myose setzt vor allem die Beseitigung des
Grundleidens voraus. Gelingt es, dieses zu beheben, so weicht auch die
Myosis gewöhnlich von selbst. Im cjegentheiligen Falle, so wie dort, wo die
Myose scheinbar selbstständig zur Entwickelung kömmt, ist die directe Be-
handlung in der Regel ohne allen Erfolg. Die Mydriatica sind ganz ver-
geblich versucht worden. In einzelnen Fällen (Benedikt), besonders wo die
Paralyse des Halssympathicus eine Holle spielt, mag die Electricität Günsti-
ges leisten. Wo auch diese fruchtlos angewendet wird und die Myosis das
Sehverm'ögen sehr beeinträchtigt, bleibt wohl nichts anderes übrig, als die
künstliche Pupillenbildung.
Quellen: Ruefe, Lehrb. der Ophth. I, Braunschweig. 1853. S. 328; II. S. 568.
— Steihvay, Ophth. II. S. 327; Der intraoculäre Druck. S. 76. — Willebrand, A.
f. 0. I. 1. S. 319. — Simrock, kl. Monatbl. 1863. S. 122. — Duchek, Wien. med.
Jahrb. 1864. 4. Jahresbericht. S. 54. — Arlt , Krankheiten des Auges. II. Prag.
1853. S. 181. — Donders, Anomalien der Refr. und Acc. Wien. 1866. S. 530. —
Gairdner, ibid. — Ogle, Heineke, Verneuil, Mitchel, Morehouse, Keen nach Eulen-
burg und Guttniann, Arch. f. Psych. I. S. 420. — Homer, kUn. Monatbl. 1869.
S. 193. — Robertson, Edinburgh, med. Journal. 1869. Febr. — Benedikt, Electro-
therapie. S. 291, 304.
842 Scotome; Krankheitsbild; Ursachen; Mönches volantes.
ZWEITER ABSCHNITT.
Entoptische Erscheinungen, Scotome.
Krankheitsbild und Ursachen. Charakteristisch ist die subjective
Wahrnehijinng umschriebener Schatten, icelche von trilben Theilchen der dio-
2>trischen Medien auf die Netzhaut geworfen werden.
Es lassen sich diese Schatten in scharfen Bildern zur Anschauung brin-
gen, wenn man durch ein feines Schirmloch auf das Himmelsgewölbe blickt,
oder wenn man im verdunkelten Zimmer durch eine starke Conveslinse
auf eine Lampenflamme sieht und allenfalls noch ein Diaphragma mit enger
Oeffnung zwischen Glas und Auge schiebt (Zehender).
Die äussere Form und das ganze Verhalten der Schattenfiguren oder
Scotome ist, entsprechend der grossen Mannigfaltigkeit schattenwerfender
,,entoptischer Köiyer", in verschiedenen Fällen und selbst in einem und dem-
selben Falle je nach Zeit und Umständen ausserordentlich wandelbar. Man
unterscheidet mehrere Arten :
1 . In praktischer Beziehung am wichtigsten sind die unter dem Xamen
der fliegenden Mücken, Miiscac volitantes, Mouches volantes, Myodes bekannten
Scotome. Sie zeigen sich im Gesichtsfelde gewöhnlich als dunkle Flecke
mit rundlicher oder ganz unregelmässiger Begrenzung, oft auch mit einem
oder mehreren schwavzförmigen Anhängen. Ihr Umfang ist bald kleiner, bald
grösser, er gleicht dem eines Hirse- oder Hanfliornes, übersteigt aber nur
selten den einer Erbse. Die Farbe wechselt je nach der Dichtigkeit der
entoptischen Körper, je nach der Qualität und Quantität des einfallenden
Lichtes sehr bedeutend vom Grauen ins schmutzig Bräunliche, ins Roth-
braune und selbst ins Schwarze. Sie ist übrigens oft an verschiedenen
Stellen des Schattenbildes eine verschiedene.
Die fliegenden Mücken treten am lästigsten hervor, wenn das Auge
auf eine stark beleuchtete Fläche, auf das Himmelsgewölbe, ein Schneefeld,
eine weisse Wand gerichtet ist, besonders wenn der dioptrische Apparat
hierbei durch willkürliche Accommodation für kurze Distanzen eingestellt
wii'd. Man ei'kennt dann, gleichwie beim Sehen durch ein feines Schirm-
loch, dass dieselben aus kleinen Schattenfiguren zusammengesetzt sind, deren
jede einzelne einen äusseren, bald dunkleren, bald helleren, von einer lich-
ten Zone umgebenen Umriss besitzt, während die Mitte gemeinigüch ganz
hell erscheint, öfters aber auch einen etwas unregelmässigen granulirten
Kern unterscheiden lässt.
Im Centruvi der Flecke pflegen sich diese Tlieilfiguren in eiueu verworrenen
Klumpen über einander zu häufen , dessen Farbe immer eine dunkle ist. An der
Peripherie der Flecke aber decken sich die Schattengestalteu nur theilweise, daher
man jede einzelne derselben deutlich zu erkennen vermag. In den schwanzförmigen
Anhängen der Flecke erscheinen sie reihemceise an einander gelagert und bilden
so gleichsam Kelten.
Mouches volaiites ; Kraiikheitsbild : Ursaclien. 843
Daneben gewahrt man in der Regel zahlreiche, ganz ähnliche kleine
Kreise, theils einzeln und zerstreut, theils in Form von Ferlschnüren an ein-
ander gereiht, welche sich in der mannigfaltigsten Weise unter einander
verschlingen. Auch tauchen häufig band- oder flächenartig ausgebreitete
Trübungen auf, welche sich besonders in senkrechter Richtung verschieben
und durch wechselnde Schatten den Eindruck von Faltungen machen. Sie
werden besonders dann bemerklich, wenn die (lesichtslinie zur Seite bewegt,
oder in verticaler Richtung abgelenkt und die Excursionen rasch unter-
brochen werden (Donders).
Bei minder hell erleuchtetem Gesichtsfelde xierschwinden die Scotome häu-
fig ganz, oder vermindern sich doch sehr bedeutend an Zahl. Die zurück-
bleibenden fliegenden Mücken erscheinen gewöhnlich als ganz undeutlich
begrenzte, schmutzig bräunliche Schatten von geringerem Umfange. Diese
verfolgen den Kranken fast unaufhörlich, sie werden selbst noch wahrge-
nommen, wenn auf die geschlossenen Lider einigermassen helleres Licht
auffällt und verlieren sich nur bei entschieden geringer Erleuchtung des
Gesichtsfeldes. Doch kommen auch Fälle vor, wo die Scotome sich nur
bemerklich machen, wenn das Auge bei künstlicher Beleuchtung auf eine
nahe gelegene helle Fläche, auf ein Buch u. s. w. gerichtet wird, ja bis-
weilen nur, wenn unter solchen äusseren Verhältnissen der Blick nach
einer gewissen Seite hin gewendet wird.
Der scheinbare Ahstand der fliegenden Mücken beträgt iu der Regel nur
wenige Zolle, 1 bis 2 Schnh, selten mehr. Sie sind sehr beweglich unA folgen den
Excursionen der GesichtsHnien, gleichviel, ob dieselben durch Zusammenziehungen
der Augenmuskeln oder durch Bewegungen des Kopfes bedingt werden. Werden
diese Bewegungen schnell ausgeführt und das Auge plötzlich angehalten, so schiessen
die fliegenden Mücken in gleicher Richtung im Gesichtsfelde eine Strecke weit fort,
worauf sie ebenfalls stille stehen. Bleibt dann das Auge ruhig, so beginnen sie zu
xinken, einzelne verschwinden an der Hinteren Grenze des Gesichtsfeldes, andere
unterbrechen schon früher ihren Lauf und bleiben an einer gewissen Stelle des
Sehfeldes stehen , bis eine neue Locomotion des Auges sie wieder in Bewegung
bringt. Die Grosse der Excursionen ist bei verschiedenen Scotomen eine sehr ver-
schiedene. Manche rücken bei gleich intensiven und extensiven Wendungen der
Augen nur ivenig vom Platze; andere machen sehr grosse Excursionen und wirbeln,
wenn sie in reichlicher Zahl vorhanden sind, gleichsam imter einander. Immer
aber tauchen sie ivieder nahezu an derselben Stelle des Gesichtsfeldes auf und streben
ihr, wenn das Auge zur Ruhe kömmt, neuerdings zu. Die Kranken pflegen darum
die einzelnen Scotome ihrer Augen sehr gut zu kennen und nach Sitz und Gestalt
genau zu beschreiben.
Die diesen Scotomen zu Grunde liegenden entoptischen Körperchen haben
ihren Sitz durchwegs im Glaskörper und sind auch hier mit dem Mikro-
skope nachgewiesen worden (Donders, Doncan).
Man fand daselbst blasse Zellen und Zellenreste im Zustande von Schleim-
metamorphose, welche den zerstreuten kleinen Kreisen entsprechen; mit Körnern
besetzte Fasern, welche mit den Perlschnüren und Ketten übereinstimmen; Körner-
gi-uppen mit daran hängenden gekörnten Fasern , welche die gröberen Mouches
volantes erklären; %nA\\c\\ Memtjranen, vorzugsweise seitlich dicht hinter der Linse
gelegen, zahllos im Glasliörper alter Leute, welche die band- und fl'dchenartigen
faltenwerfenden Scotome begründen.
Die Mgiodesopsie ist ein normaler Zustand. Wirklich fehlen die Mouches
volantes kaum in einem Auge. Es gehören in den einzelnen Fällen nur mehr
weniger günstige äussere Verhältnisse dazu, um selbe zur Anschauung zu
bringen.
0-J;4: Sfotome ; Kranklifitatiild ; Ursiiclii'ii; Belianliclie Skotome.
Immerhin nehmen krankhafte Zustände einen sehr wesentlichen Ein-
fluss auf die ganze Erscheinung. Es ist eine Thatsache, dass Reizzustände
in den gefässhältigen Organen des Augapfels die Zahl, Grösse und Dichtig-
keit der fliegenden Mücken heträchtlich steigern und so die Myiodesopsie
zu einem höchst peinliehen Leiden gestalten können, wahrscheinlich indem
sie mittelbar zu Wucherungen und znv Massenvermehrung der Glaskörper-
zellen führen. 80 tritt das Mückensehen oft in einem beunruhigenden
Grade nach übermässigen Anstrengungen der Augen, namentlich aber unter
den Vorläufern der Asthenopie hervor. Nicht minder findet es sich fast
regelmässig als ein höchst lästiges Nebensymptom bei rasch vorsehreiten-
der Vergrösserung eines Staphyloma posticum (S. 400). Die entoptischen
Körper sitzen dann am häufigsten in der Nähe der Papille und hängen
mit derselben oft zusammen. Selten werden sie so massig, dass man sie
mit dem Augenspiegel als trübliche schwankende Flöckchen wahrnehmen
kann. Ausserdem lassen sich auch Entzündungen mannigfaltiger Art als
pathogenetische Momente erweisen. Oefters datirt das Auftreten einer
peinlichen Myiodesopsie seit dem Ablaufe einer heftigen Bindehautentzündung,
einer Keratitis, oder einer Iritis. Besonders wird die syphilitische Regen-
bogenhautentzündung von manchen Seiten verdächtiget und die dem
Mückensehen zu Grunde liegende Zellenwucherung im Glaskörper auf
eine von der Dyscrasie beeintiusste entzündliche Mitleidenschaft des Organes
basirt.
Selbstverständlich sollten Entzündungen der Netzhaut und der Aderhaut unter
den pathogenetischen Verhältnissen obenan stehen. Sie haben aber zu beträcht-
liche F%inctionsstörungen des lichtempfindenden Apparates im Gefolge , als (^ss die
von Glaskörpervvucherungen ausgehenden zarten Schatten deutlich ivahr genommen
werden könnten.
2. Ganz anders verhalten sich die sogenannten beharrlichen Scotome,
welche, einmal entwickelt, in der Regel Jahre lang ganz unverändert fort-
bestehen und, unabhängig von den Bewegungen des Auges, eine fixe Stelle im
Gesichtsfelde behaupten, so lange das Licht in einer bestimmten Richtung
durch die dioptrischen Medien geleitet wird. Unter gewöhnlichen Verhält-
nissen kommen sie nur selten zur Wahrnehmung, beiirren dann aber das
Gesicht sehr stark, indem sie sich scheinbar vor die Objecte lagern und
Theile derselben decken. In der lieget bedarf es vollkommen homocentrischen
Lichtes, also sehr feiner Schirmlöcher, auf dass sie bei Betrachtung einer
hellerleuchteten Fläche bemerkbar werden.
Es erscheint dann das Gesichtsfeld als eine helle Scheibe, deren Umriss
etwaige Unregelmässigkeiten der Pupille ganz deutlich wiedergibt und deren Grund
in einer zarten, wenig dunkleren Nuance flor- oder netzähulich gezeichnet, mit-
unter fein molekulirt oder gröber getüpfelt, selten gestrichelt oder radiär gestreift,
oder nach Art moirirter Stoffe wellig gemustert ist. Auf diesem Grunde heben sich
die eigentlichen Scotome mit grösserer oder geringerer Schärfe ab. Sie sind ihrer
Gestalt nach ausnehmend verschieden. Oft sind es dentritische Figuren, deren ein-
zelne Zacken in der Regel krumm verlaufen nnd sich in verschiedener Anzahl um
einen gemeinsamen Mittelpunkt anordnen. Sie haben meistens eine sehr helle Fär-
bung nnd bald verschwommene, bald aber sehr scharfe und schwarzgesäumte
Ränder. Mitunter scheint es, als wären diese Figuren aus den Schattenbildern von
Kernzellen zvisammengesetzt. Minder häutig kommen schmale dunkle gerade Linien
vor, welche entweder von einem gemeinsamen Centrum gegen die Peripherie hin
ausstrahlen und so eine Art Stern bilden, oder aber radienähnlich von der Peripherie
des Gesichtsfeldes gegen dessen Mitte streben, gewöhnlich ohne dasselbe zu er-
reichen. Am häufigsten sind indessen fieckenartige Scotome dieser Art. Sie stehen
üi'haiTliclif luiil i'iilunin-Tc Sci)toinc. 84o
bald rinzrbi im Gesiclitsfeldc; , l)ald ist oiiio grössere Anzalil dcrscllK'-ii über dus
letztere zerstreut oder in GriipiJcn au eiuauder gehäuft. Ihr Uvifunq wechselt von
dem eines Mohnkornes bis zu jenem eines Hanf- und Pfefl'erkornes , selten über-
steigt er Erbseniyrösse, wo dann das Scotoni natürlich einen zicnnlich beträcht-
lichen Theil des Gesichtsfeldes deckt. Ihrer GcslaU nach sind sie bald (junz dunkle
rundliche oder unreo^elinässio; gestaltete Flecke mit scharfer und oft auch hell ein-
gesäumter Grenze; bald sind sie mehr rlvg/iirmig , indem ein ganz heller oder
dunkel granulirter rundlicher oder eckiger Kern von einem dunkleren Gürtel und
darülier hinaus öfters auch noch von einer licllen Zone umgeben erscheint. Merl<-
würdiger Weise zeigen sich gewöhnlich in den Gesichtsfeldern hciilcr Augen yanz
analoge Scotome, sowohl was Form als Zahl und Anordnung betrifft (lÄntivg).
Die hierher gehöi'igen entoptischen Körper haben ihren Sitz zum aller-
grössten Tlieile in der Linse und erweisen sich bei eingehender Untersuchung
begründet durch die nicht volllioramene optische Gleichartigkeit der Kryslaü-
substanz und durch Einlagerung gewisser Producte.
Die dentritisclien Figuren und die zarte Zeichnung des gesammten Spectrums
kommen den eigenthümlichen Structurverhältnissen des Organes, der Zusammen-
setzung aus Fasern und deren Anordnung um die sogenannte Stcmßgnr auf Rech-
nung. Die scharf begrenzten rundlichen ringförmigen Scotome rühren wahrsclieinlich
von choloiden Kugeln her. Sie lagern meistens nahe der Oberfläche und excen-
trisch, können sich binnen wenigen Tagen entwickeln und dann lange fortbestehen,
aber auch wieder verschwinden, während andere auftauchen. Ihre Zahl nimmt mit
den Jahren zu. Die unregehnässigen dunklen Flecke wurden als Schatten von ober-
flächlichen weissen körnigen »indurchsiclitigen Körperchen erkannt, welche fast
immer an den Grenzen der Linsensectoren sitzen und nicld durch Fettmetamor-
phose begründet zu sein scheinen (Dunders, Doncan).
Ausserdem sind manche der unregelmässig begrenzten dunklen Flecke
durch Ungleichmässigkeiten und trübe Einlagerungen im Gefüge der Horn-
haut und im Bereiche der tellerförmigen Grube, weiters durch getrübte und
theilweise vielleicht abgelöste Epithelzdlen an den beiden Oberflächen der
Cornea u. s. w. zu erklären (Listing).
Dass die fraglichen entoptischen Körperchen wirklich bald an diesem, bald
an jenem der genannten Orte sitzen, ergibt sich klar aus deren eigenthümlichem
Verhalten bei Verse hiehungen eines engen Schirmloches vor der Pupille. Indem mit
der Ortsbewegung des Scliirmloclies die Richtung des auf die entoptischen Körper-
chen fallenden homocentrischcn Lichtes verändert wird, treffen die Schatten auch
auf andere und andere Stellen der Netzhaut, es werden somit die Scotome scheinbar
selbst bewegt. Da nun aber die Netzhautelemenle ihre Eindrücke immer in einer
bestimmten Richtung nach Aussen versetzen, so ist es klar, dass die Bewegungen
der Scotome mit denen des Schirmloches -nicht nothwendig übereinstimmen; dass
dieses vielmehr in Bezug auf die Richtung nur datin der Fall sein könne, wenn
die entoptischen Körperchen idnter der Pupille lagern; dass das Oegentheil statt-
finden müsse, wenn die schattenwerfenden Körper vor der Pupille sitzen; ferner
dass die Grösse der Abiveichung bei gleichen Excursionen des Schirmloches lun so
beträchtlicher ausfallen müsse, je tceiter das entoptische Körperchen von der Ebene
der Pupille absteht (Listing). Noch klarer indessen lässt sich die Lagerung der
entoptischen Körper in verschiedenen Entfernungen von der Pupillarebene erweisen
und sogar mit grosser Genauigkeit messen durch die Methode a double vue (Lan-
ders). Man sieht hierbei durch einen Schirm mit zwei sehr feinen, etwa 1'" weit
von einander abstehenden Löchelchen, so dass sich zwei Spectra auf der Netzhaut
entwerfen, welche einander zur Hälfte decken. In diesen erscheinen nun die
Scotome doppielt unter einer gegenseitigen Entfernung, welche gleich ist dem
Abstände der Kreismittelpunkte, wenn das entoptische Körperchen in der Pupillar-
ehene lagert, näher aneinander, wenn es hinler, iveiter von einander, wenn es vor
der Pupillarebene sitzt, und zwar ist die Distanz der gesehenen Schatten propor-
tional dem Abstände von der Pupillarebene (Londers).
.3. Lie Scotome der dritten Art sind einzeln genommen ganz epihemerer Natur,
Auch sie zeigen sich nur unter ganz besonderen Umständen, wenn der Kranke
z. B. durch ein feines Schii-mloch eine erleuchtete helle Fläche tixirt. Sonst werden
346 Scotome; Kranklieitsbild; Behandlung.
sie nicld walirgenoninien und beirren ilarum auch das Sehen in keiner Weise. Sie
erscheinen zumeist unter der Gestalt rundlicher, raohn- bis hirsekorngrosser, heller
kernloser Flecke mit mehr weniger scharfen, massig dunklen Rändern und haben
einige Aehnlichkeit mit zarten Bläschen. Sie stellen theils einzeln in dem grau-
gemusteiten Gesichtsfelde, theils aggregiren sie sich zu Gruppen, am häufigsten
aber zu Ketten, welche das Aussehen von Perlschniiren haben. Ausserdem finden
sich öfters dunklere, theils bräunliche, theils schwärzliche, unregelmüssig gentaltete,
bald scharf begrenzte, bald verwaschene Flecke verschiedenen Calibers, zarte
wellige oder gerade Streifen u. s. w. Bei Beivegungen des Auges werden alle diese
Scotome gleich den fliegenden Mücken in entsprechender Richtung aus ihrer
relativen Stellung gebracht und, waren diese Bewegungen rasch, so setzen die
Scotome ihren Lauf eine Strecke fort, wenn der Bulhus bereits fixirt ist. Bleibt
der Augapfel ruhig, so beginnen sie in steigender Schnelligkeit zu fallen, wobei
sie oft Bögen beschreiben, indem sie nach einer oder der anderen Seite ausweichen.
Am Ende verschwinden sie an der unteren Grenze des Gesichtsfeldes, während
andere von der oberen Gienze her im Sehfelde erscheinen. Die Ketten verschlingen
sich dabei mannigfaltig, theilen sich u. s. w. , Indern nicht alle Theile derselben
gleich schnell nach abwärts sinken. Durch den Lidschlag , noch mehr aber durch
sanftes Reiben der geschlossenen Lider, wird die jeweilige Anordnung der Scotome
im Gesichtsfelde geändert, es tauchen immer sogleich ganz andere Gruppen und
Ketten auf, welche rasch wieder nach abwärts sinken. Die ejjhe^neren Scotome
haben ihren Giund sicherlich in optischen Ungleichartigkeiten des die vordere Horn-
havtßäche continuirlich überziehenden Flüssigkeitsstratums. Abgesehen von der Eigen-
thümliclikeit ihier Bewegungen ergibt sich dieses aus dem Einflüsse , welchen der
Lidschlag und sanfte Reihungen der geschlossenen Lider auf die gegenseitige Anord-
nung derselben im Gesichtsfelde nehmen. Die dunkleren fleckenartigen Scotome
dürften auf abgestossene Epithelzellen, Grumen von Meibomischem Fette u. s. w.
zu beziehen sein, die hellen ringförmigen aber axxi Luftbläschen, welche den Thränen
beigemischt sind.
Die Vereinigung dieser ringförmigen Scotome zu Schnüren erklärt sich aus
der meniscoiden Gestaltung des Thränenhaches. Die specifisch leichteren Luft-
bläschen steigen nämlich in dem ThräTienmeniscus empor und sammeln sich an
dessen oberer Kante in einer Reihe, welche beim Lidschlage durch den oberen
Lidrand über die Cornea weggezogen wird und dann mit den Thränen wieder
herabsinkt.
Behandlung. Die Hcotome sind nach dem Mitgetheilten zum aller-
grössten Theile nnr der symptomatische Ausdruck für innerhalb der Norm
gelegene Unvollkommenheiten in dem Baue der einzahlen dioptrischen Medien
und darum olme aller tiefer Bedeutung. Üelhst jene fliegenden Mücken, -welche
mit grosser Wahrscheinhchkeit auf ZeUenwuche.runycn im Glaskörper zu-
rückgeführt werden müssen, sind an und für sich ganz unhedenkliche Er-
scheinungen, indem sie erfahrungsmässig in einer Unzahl von Augen zeit-
lehens bestehen, ohne dass die letzteren in irgend einer Weise gefährdet
würden. Wo dieses doch geschieht, ist es nicht sowohl die Zellenwuche-
rung des Glaskörpers, als vielmehr das Grundleiden, welches das Corpus
vitreum in Mitleidenschoft gezogen hat. Dem entsprechend wird denn
auch eine Behandlung nur dort einzuleiten sein, wo mit Grund auf das
Vorhandensein eines derartigen primären Leidens geschlossen werden darf,
und die Therapie wird je nach der Art dieses krankhaften Zustandes ge-
regelt werden müssen.
Tritt die Myiodesopsie primär in sehr lästigem Grade hervor, so em-
pfiehlt sich am meisten Schonung und Ruhe des Auges, also eine entspre-
chende Augendiü't, da unter deren Einfluss das Mückensehen thatsächlich
sich zu vermindern pflegt.
Quellen. Listing, Beitrag zur phys. Optik. Göttingen. 1845. S. 7, 26, 33, 40,
42, 43, 46, 51, 55, 59. — Belmholtz, Karsten's Encyclopädie. IX. S. 148 — 164. —
Donders, Anomal, der Refr. u. Acc. Wien. 1866. S. 167 — 172, 331. — Doncan, ibid.
Miosyiici-asii'u ; Mikropsie; Mi'j,MlMiisif ; Mi'taiiini-pli.ipsii' ; (."arbciililiiullif i(. 847
Ö. 168 — Zehender, Seit/, Haii(1biu:li der <;^es. Aiigenliellkuinle. Erlangen. 1S55.
S. 538] 542 — 547. — Stelhcag, Oplitli. II. S. :-587— 8H8. araefe, A. f. O. I. 1.
S. 351^ 358; II. '2. S. 293. — Corcin.f, Ueber Glaiu-oin , Kiit/.iiiitlung etc Leipzig
1859. Ö. 6, 7.
DTUTTER ABSCHNITT.
Functionsstörungen des lichtempfindenden Apparates.
Nosologie. Es sind diese Functionsstörungen überaus mannigfaltig
und zum Theile noch sehr ungenügend studirt. Man pflegt qualitative
Verstimmungen (Idiosyncrasien und quantitative Abweichungen (fft/^seraes^Äesien,
Anaesfhesien i;ud schwarzen Staar) zu unterscheiden.
1. Zu den Tdiosyncra)iie7i werden, nur theilweise mit Recht, gezählt:
die Mikropsle und Megalopsie, die Metamorphopde, die Farhenblindheil und
das Farbigsehen.
Die ersteren beiden Zustände finden ihre Quelle gewöhnlich in veränderten
Accommodations- und Convergenzverhältnissen (S. 779). Hier und da erscheinen
sie indessen nach Gehirnverleizungen (H. Gerold), neben entzündlichen Processen
in der Netzhaut oder dem .Sehnerven und können dann, wenn nicht Verschiebun-
gen der Zapfen durch Exsudat die nächste Ursache abgeben (M. Tetzer), möglicher
Weise auf eine Vemtimmung der betreffenden Nerven bezogen werden. Die Meta-
morpltopsie beruhet theils auf Schiefstellung einzelner Zapfen und Stabgruppen,
wie sie bei exsudativer Netzhautentzündung (S. 209) , bei der Amotio retinae
(S. 222), bei progressivem Staphyloma posticum (S. 400) vorkömmt, theils ist sie
eine Folge sehr stark asymmetrischen Baues der dioptrischen Medien (S. 777).
Die Farbenblindheit ist in einzelnen seltenen Fällen eine vollständige ;
die der Netzhautperipherie normal zukommende Unempfindlichkeit für Farben-
eindrücke [Aubert) erscheint auch über den gelben Fleck ausgebreitet
[Achromatopsie, Achrupsie); der Kranke unterscheidet sehr gut Licht und
Dunkel, ja die feinsten Abstufungen der scheinbaren Helligkeit in den
Netzhautbildern, erkennt aber keine der Farben als solche, entbelirt über-
haupt des Begriffes einer Farbe (Wartiaatin). In der Regel aber ist blos
die Wahrnehmung bestimmter Farben sehr beschränkt oder aufgehoben und
damit eine Q,uelle für mannigfaltige Venvechslungen einzelner Farben und
Farbentöne gegeben (^Chromatodysopsie).
Man nimmt, allerdings nicht ohne gewichtigen Widerspruch (Rose), an, dass
das Auge für Aetherschwingungen dreier verschiedener Wellenlängen empfindlich
sei und dass die Empfindung jeder derselben einen eigenthümlichen Vorgang oder,
wenn mau will, das Resultat der Reizung einer besonderen Nervenart darstelle,
deren eine durch rothe, die andere durch grüne, die dritte durch hlaue (Maxwell,
Preyer) Strahlen stark, durch die beiden anderen Strahlensorten aber je nur sehr
schwach angeregt wird (YounqJ. Weiss wird dann durch starke Erregung aller
drei Arten von Nervenfasern zu Stande gebracht, es möge nun mehrfarbiges, oder
ein einfarbiges aber sehr intensives Licht, ein kräftiger elektrischer Strom (Remak) u. s. w.
auf die Netzhaut wirken. Die Empfindung von Schwarz ist der Aiisdruck für die
mangelnde Erregung aller drei Nervenarten. Die Empfindung von Roth entsteht,
wenn die rothempfindendeu Nerven stark, die grün- und blauempfindendeu schwach
848 Fnnctionsstörungen d. lichtempf. Apparates; Chromatodysopsie ; Rothblindheit.
getroft'en werden. Gelh wird wahrgenommen, wenn die rotli- und grünemptindenden
Nerven massig stark, die blauempfindenden schwach getroffen werden. Grün zeigt
sich bei starker Reizung der grünempfindenden , schwacher Irritation der roth-
und blauenipfiiidenden Nerven. Blau resultirt aus starker Reizung der blauempfin-
denden , schwacher der roth- und grünempfindenden Nerven. Violett ergibt sich
aus starker Reizung der roth- und blauenipfindenden Nerven. Aus Roth, Gelb,
Grün, Blau, Violett sowie Weiss und Schwarz lassen sich aber alle möglichen anderen
Farben mischen und das Mischungsverhältniss in Form einer Gleichung ausdrücken
(Helmlioltz).
Neuere Untersuchiingen haben ergeben, dass die Empfindlichkeit für Farhen-
tonweclisel am grössten im Gelb, dann im Cyanblau und Blaugrün, am geringsten im
Roth sei und dass Farbentöne überhaupt am schwierigsten unterschieden werden,
je näher dieselben einer Grundfarbe liegen (Mandelstamm).
Man glaubte das Farbenunterscheidungsvermögen mit einer JJreitheilung der
Zapfenfasern in Zusammenhang bringen , und jeder dieser drei aus der Theilung
hervorgehenden Fasern die Empfindlichkeit für eine der drei Gründfarben zu-
schreiben zu dürfen (Henle, Hasse). Doch fällt diese Hypothese mit der Nach-
weisung einer mehj-fachen Theilung, eines pinselförmigen Auseinanderfahrens der
Zapfenfasern (S. 179) (M. SchuÜzeJ. Andere meinen in der hlätlchenförmigen Structur
der misseren Zapfenglieder die physicalischen Bedingungen für die gesonderte
Wahrnehmung verschiedener Farbentöne suchen und ein Analogon jener Vorrich-
tungen sehen zu dürfen, welche in der Schnecke des Gehörorganes die Unter-
scheidung der Tonhöhe ermöglichen.
Bei der Chromatodysopsie fehlt die Empfindlichkeit für Wellen einer
der drei Längen, es fällt also eine der drei Grundfarben aus und dem
entsprechend können alle von dem Kranken wahrgenommenen Farben auf
dem Maxwell'schen Kreisel durch zwei, statt durch drei Grundfarben mit
Weiss und Schwarz zusammengesetzt werden. Zweifelsohne erscheinen
dem Kranken die Farben anders, als dem Normalsichtigen, die Qualität
des Eindruckes ist geändert ; verschiedene Farben aber zeigen sich gleich
und werden darum mit einander verwechselt. Man unterscheidet drei
Formen (Seebeck). Bei der einen lassen sich alle Täuschungen durch man-
gelhafte oder fehlende Wahrnehmung des Grün erklären {Grünhlindheit).
Bei der anderen beruhen die Täuschungen auf dem Ausfalle des Roth
(liothblindheit, Anerythropsie, Daltonismus), und bei der dritten auf dem
Ausfalle des Blau (Blaublindheit).
Die Rothblindheit kömmt ziemlich häufig vor, sie ist in der Kegel
angeboren und oft auch ererbt, findet sich häufiger bei Männern, als bei
Weibern, und wird hauptsächlich bei Individuen des germanischen Stammes
beobachtet. In England ist das procentarische Verhältniss der Rothblinden
ein sehr hohes {Wilson). Erworben wird die Anerythropsie bisweilen durch
übermässige Anstrengungen der Augen und in Folge schwerer Kopf-
verletzungen {Wilson, Tyndal). Am öftesten entwickelt sie sich neben
progressivem Sehnervenschwunde (S. 236).
Bei der Bothblindheit wird das objective rothe Licht, welches die grün em-
pfindenden Nerven nur schwach und die blau empfindenden noch schwächer anregt,
nicht roth , sondern grünlich und bei geringer Intensität graulicli wahrgenommen.
Das objectiv gelbe Licht reizt stark die grün empfindenden, schwächer die blau
empfindenden Nerven, daher es die Empfindung gesättigten lichtstarken Grüns
hervorruft. Das objective Grün, besonders wenn es sich dem Blau des Spectrum
nähert, reizt die grün und blau empfindenden Nerven stark, muss also weisslich
gesehen werden. Die bkme Farbe wird annähernd richtig empfunden, da hier auch
in der Norm der Einfluss der roth empfindenden Nerven fast Null ist. Im Sonnen-
S2iectrum sehen die Anerythropen nur zwei Farben, welche sie Gelb und Blau
nennen. Zum Gelb rechnen sie das ganze Roth, Orange, Gelb und Grün. Die
grünblauen Töne nennen sie grau , den Rest blau. Das äusserste Roth sehen sie
Grün-, Blau-, Violottblindheit; Farbigselien. 849
gar nicht, es wäre denn sehr intensiv, Sie zeigen daher die Grenze des Spectrums
und Kegenbogens verkürzt. Unter den Kih per färben verwechseln sie Roth mit
Braun und Grün, und sehen deren Nuancen dunkler, als Normalsichtige. Goldgelb
unterscheiden sie nicht von Gelb , Kosa nicht von Blau. Eine gc^wisse Mischung
von Gelb und Schwarz erscheint ihnen am MaxweH'schen Kreisel gleich mit Rotli,
eine gewisse Mischung von Gelb und I51au gleich mit Grün, eine andere mit
Grau. Aus Roth, Gelb, Grün und Blau lassen sich aber mit Zuhilfenahme von
Weiss »uid Schwarz alle anderen Farben herstellen. Violett unterscheidet der Roth-
blinde, nennt es aber blau (Hehnholtz, Schelske).
Die Grilnhlinden unterscheiden im Sonnenspectruin auch nur zwei Farben,
welche sie, wahrscheinlich ziemlich richtig, Roth und Blau, oder wenn weisses
Licht zugeniischt ist, Gelb und Blau nennen. Es sind diese beiden Farben getrennt
durch einen Streifen von unbestimmter graulicher Färbung und zwar nimmt dieser
Streifen gerade jene Stelle im Spectrum ein, welche im normalen Auge die reinste
Empfindung von Grün gibt, also die grünemijßndenden Nervenfasern am meisten
anregt. Dabeiist die Empfindlichkeit für Blau sehr verstärkt; so dass das Spectrum
am violetten Ende erheblich verlängert erscheint. Auch für RoÜl ist die Empfind-
lichkeit etwas erhöht (Preyer). Die Grünblinden erkennen leicht und sicher Ueber-
gänge zwischen Violett und Roth, welche dem Anerythropen gleichmässig als Blau
erscheinen. Dagegen machen sie auch Verwechselungen zwischen Grün, Gelb, Blau
und Roth, wählen aber, falls sie denselben Farbenton mit Grün verwechseln, ein
gelberes Grün, als die Rothblinden (Seeheck, Helmholtz).
Bei Blauhlinden wird Blau und Grün oder Blau und Gelb für gleich gehal-
ten, Roth vmd Grün jedoch nicht verwechselt. Das violette Ende des Spectrums
soll nicht verkürzt sein (Preyer) , wahrscheinlich indem Violett wie Roth empfun-
den wird.
Es kömmt auch Violetthlindheü vor. Man erklärt dieselbe durch abnorm
starke Anhäufung des gelben, in's Grünliche spielenden Pigmentes, welches die
Gegend der Macula kitea auszeichnet, inid glaubt, dass dieses Pigment das
durchgehende blaue und violette Licht beträchtlich, das rothe jedoch nur in
geringem Grade abschwäche (M. Schnitze). In' Uebereinstimmung damit leitet man
die sehr wechselnde Empfindlichkeit verschiedener Augen für blaues und violettes
Licht, das Vorkommen Ultraviolett-, also Lavendelblausehender (Masoart) und das
Vorkommen Violetthlinder (Rose) aus einer verschiedenen Intensität der Färbung
des gelben Fleckes ab. Man ist sogar noch weiter gegangen und hat die Roth-
Lliudheit auf Rechnung einer stärkeren Entwickelung der grünlichen Nuance des
Pigmentes am gelben Flecke bringen zu dürfen vermeint (M. Schnitze) , ist dabei
aber auf mehrfachen Widerspruch gestossen (Dar).
Das Farhigsehen ist ein im Ganzen sehr wenig erforschter runctions-
fehler, welcher sich dadurch charakterisirt, dass eine gewisse Farbe, Gelb,
Koth, Blau, Grün n. s. w. über das Gesiclitsfeld ergossen ersclieint und
die objcctiven Farben der Objecte entsprechend ihrer eigenen Qualität
verändert.
Es ist das Farbigsehen in der allergrössten Mehrzahl der P"'älle begründet
durch Färbungen und Trülmngen der dioptrischen Medien und der vorderen Netz-
hautschicJiten. Das Gelbstelien beim Ikterus (Rose) ist ohne Zweifel zumeist auf den
Uebertritt von Gallenfarbstoft' in den Lichtbrechungsapparat und in die Netzhaut
zu beziehen. Das Nebenhergehen von Violetthlindheit erklärt sich ganz einfach
aus der Undurchlässigkeit der gelb gefärbten Medien für blaues Licht. Das Gelh-
sehen im Sanfoninrausche ist wahrscheinlich der symptomatische Ausdruck für eine
stärkere Erregting der hlau- und rotliempfindenden Nervenfasern, welche sich jedoch
im hellen Lichte alsbald erschöpft, so dass Gelbsehen erübrigt, also Violettblind-
heit eintritt , im Schatten hingegen sich alsbald wieder retablirt und Violeltsehen
begründet. Jedenfalls kann das Gelbsehen im Sanfoninrausche nicht von einer
stärkeren Anhäufung des gelben Pigmentes in der Macula lutea (M. Schnitze) abhän-
gen oder in einer gelben Färbung des Blutserums (Nagel) seine Quelle finden , da
die Haidinger'schen Lichtbüschel im Sanfoninrausche sehr deutlich wahrgenommen
werden , das blaue Licht also bei seinem Vordringen bis zur Stabschichte kein
Hinderniss findet. Das Violettsehen darf übrigens auch nicht auf coniplementär
St eil wag, Augenheilkunde. öi
850 Functionsstöinn^'. d. lichti^mpt App.: Hvperaesthesia optica; Lichtscheu.
gefärbte Nachbilder (M. SchuUzeJ zurückgeführt werden, indem es schon vo7- dem
Gelbsehen zur Wahrnehmung kömmt (HüfnerJ.
Ob das Farbigsehen nach örtlicher Anwendung des Digitalin u. s. w.
(A. Weher) analoge Ursachen habe, steht dahin. Mit Sicherheit ist das Farbigsehen
nach intraoculüren Blutungen (S. 159), in manchen Fällen von Nefzhaiite7itzUndnng
(S. 197) und von Glaucom durch Trübungen der dioptrischen Medien und der
Netzhaut zu erklären. Das Blausehen nach Staarextractionen (GuepinJ beruht auf
dem Zurückbleiben von Rindeutrümmern , da es durch einen künstlichen Glaskör-
pervorfall (S. 719) beseitigt wird (Hasner). Die farbigen Säume, welche sich bei
Asügmatismvs (S. 816) etc. um die Objectbilder herum zeigen, sind auf die Licht-
zerstreuung im dioptrischen Apparate und auf ungenügende Accommodation zurück-
zuführen. Sieht man von diesen Fällen und von dem complementären Farhigsehen
ab, welches sich ausnahmsweise nach dem Gebrauche stark gefärbter Augengläser
geltend macht (Böhm), so bleiben nur wenige Fälle übrig, in welchen das Leiden
materieller Grundlagen gänzlich zu entbehren scheint und sich als eine wahre Ver-
stimmung des lichte mptindenden Apparates auffassen lässt. Man hat solche Zustände
unter verschiedenen äusseren Verhältnissen beobachtet. Mitunter wechselte die sub-
jective Färbung des Gesichtsfeldes, remittirte oder intermittirte gar fSzokalski). Sie
lässt sich nicht durch Vorsetzung complementär gefärbter Gläser neutralisiren,
sondern bedarf behufs dessen öfters ganz absonderlicher und physikalisch nicht
erklärbarer Farbenconibinationen fH. Gerold).
2. Die optische Eypcraesthesie charakterisirt sich einerseits durch
abnorm gesteigerte Erregbarkeit, d.i. durch unverhältnissmässige Intensität uud
Dauer der Kmpfindungeu, welche von Beizen beliebiger Art im Bereiche
des lichtempfindenden Apparates angeregt werden; andererseits aber durch
einen Zustand abnorm hoher Erregung, welcher sich durch, von äusseren
Einflüssen unabhängige Functionsthätigkeiten bekundet.
a. Symptomatisch kömmt sie am häufigsten zum Ausdrucke durch ein
höchst peinliches Gefühl von Blendung, welches sich schon bei der Einwir-
kung ganz unverhältnissiuässig kleiner Lichtmengen, oder gar bei völligem
Abschlüsse objectiven Lichtes geltend macht. Es combinirt sich dieses Blen-
dungsgefuhl in der Regel mit den Erscheinungen der Ciliarhyperaesthesie,
d. i. mit mehr weniger heftigen, über einen oder den anderen Quintusast
ausstrahlenden Schmerzen im Bulbus, mit profuser Thränensecretion, reflecto-
rischen Krämpfen des Lidschliessmuskels u. s. w., und steUt dann in dieser
Combination jenen Zustand dar, welchen man allgemein unter dem Xamen
der Lichtscheu, Photophobie, beschreibt. Die Lichtscheu ist also ein sehr
zusammengesetztes Phänomen, das Spiegelbild hyperä.sthetischer Aftectioueu in
verschiedenen ]Servenbezirken, welche jedoch in innigem functionellen Ver-
bände mit einander stehen und darum die EiTegungen sich wechselweise
leicht mittheilen können.
In höchst seltenen Fällen findet sich neben intensiver Lichtscheu Xycfalopie,
d. i. die Fähigkeit, bei sehr geringen Erleuchtungsintensitäten annähernd deutlich
zu sehen, zu lesen u. s, w. In einem Falle war Nyctalopie mit bedeutender con-
centrischer Gesichtsfeldeinschränkung und intensiver Lichtscheu nach einer Kopf-
verletzung aufgetreten. Später hatte sich Nystagmus und Epilepsie hinzugesellt
Der Ausgang war Heilung (Mooren).
b. Eine andere Aeusserungsweise der optischen Hyperästhesie sind die
sogenannten Phosphene. Sie kommen sowohl lyiit als ohne dem Blendungs-
gefühle und wahrer Lichtscheu vor und sind gleich diesen nicht nothwendig
an die Einwirkung objectiven Lichtes gebunden, sondern zeigen sich charak-
teristischer Weise eben so gut bei völliger Finsterniss, ja bei completer
Amaurose. Sie bringen meistens nui* den krankhaften Erregungszustand der
einzelnen Xervenelemente als solchen zum symptomatischen Ausdrucke ;
i
Phosphene; Chromopsio ; Kaibcnsoheii ; l'hfitoi>sie; riiininurscotom. 851
werden indessen in Zahl, Grösse und Intensität mächtig gesteigert oder
auch dircct hervorgerufen durcli absolut und relativ äussere Reize , wie da
sind : kleine vorlibergchende Wallungen oder Stauungen des Blutes, ja die
normale Circulation und Pulsation der (lelasse, ein leiser Druck auf das
Auge, kleine Erschütterungen, selbst rasche Seitenbewegungen desselben,
gleichzeitige plötzliche Contractionen der vier geraden Augenmuskeln,
elektrische Ströme, welche auf den Bulbus einwirken (HelmhoUz, Schelske)
u. s. w. (S. 236).
Es präsentiren sich diese subjectiven Gesichtserscheinungen öfters in
der Gestalt hellleuchtender weisser oder farbiger Wolken, Ringe u. s. w.,
welche einen grossen Theil des Gesichtsfeldes ausfüllen und sich unter
mannigfaltigem Formwechsel in diesem herumzubewegen pflegen. Mitunter
scheint das Sehfeld wälu'eud den Anfallen seiner ganzen Ausdehnung nach
von einem gleichmässigen oder gewölkten, öfters wogenden oder vibrirenden
Nebel erfüllt, dessen Farbe gemeiniglich bläulich weiss, nicht selten aber
auch gelb, grün, roth u. s. w. ist. Die (^bjecte leuchten dann nur
undeutlich und bisweilen von Regenbogenfarben umsäumt durch den Nebel
durch. Man beschreibt dieses riiänomen unter dem Namen der Chromopsie
oder Chrupsie, des Farhensehens.
Am geiüöhnlichsten zeigen sich die fraglichen Phosphene unter der
Form heller weisser oder farbiger Blitze, Fimken , Flammen, Räder,
Kugeln u. s. w., welche au verschiedenen Punkten des Gesichtsfeldes auf-
tauchen und dasselbe rasch in mannigfaltigen Richtungen durchkreuzen,
seltener an einem Punkte zu haften scheinen und allmälig erblassen, ohne
ihren Ort verändert zu haben. Bisweilen häufen sie sich derart, dass sie
das Gesichtsfeld nahezu ausfüllen und es solchermassen dem Kranken
däucht, als sähe er in einen dichten Regen von flimmernden goldenen,
silbernen oder feurigen Tropfen, oder als wogte vor seinen Augen ein
Meer von Flammen oder geschmolzenen Metallen. Der gebräuchliche
Name für diese Art subjectiver Gesichtserscheiuungen ist Photopsie oder
Spintherismus.
cj In neuester Zeit hat ein schon seit Langem beschriebenes (Heinicke, Ruete)
höchst eigentln'imliches Symptom von Hyperästhesie des lichtenipfindenden Appa-
rates, das sogenannte Flimmeyscotoin , die Aufmerksamkeit wieder auf sich gelenkt
(Foe.r-ster). Es scheint dasselbe nicht ganz selten vorzukommen, tritt anfallsweise
mit oder ohne äussere Veranlassung in längeren oder kürzeren, ganz unregel-
mässigen Intervallen auf, wird von migränartigen Zufällen bald vorbereitet, bald
gefolgt und ist mit seltenen Ausnahmen (Schirvier) einseitig. Es charakterisirt sich
durch das plötzliche Auftreten eines leeren Fleckes im Gesichtsfelde, welcher sich
rasch vergrössert und von einer höchst auffälligen hellen Zone eingesäumt ist,
welche letztere entweder einfach flimmert, oder in grell gefärbten Zickzacklinien
schillert. Soweit das Scotom reicht, ist die Wahrnehnuing von Objecten des Ge-
sichtsfeldes völlig annullirt. Der Ausfall im Gesichtsfelde präsentlrt sich bald als
eine Vergrösserung des blinden Fleckes (Ruete) ; bald stellt er eine nahezu central
gelegene Unterbrechung dar, welche sich rasch über grössere Partien des Gesichts-
feldes ausdehnt (Förster); bald erstreckt er sich auf eiuen ganzen Quadranten des
Sehfeldes (Mannhardt) ; bald endlich ist die eiue Hälfte des Sehfeldes erblindet,
das Leiden stellt sich in der Form einer Hemiopie dar (WoUaston, Airy, Breioster,
Listing, Testelin). Die Anfälle dauern in der Kegel nur mehrere Minuten , können
sich jedoch bis zu einer Stunde und darüber ausdehnen, worauf sich das frühere
Sehvermögen wieder herstellt. Man liat demnach auch den Namen Amaurosis par-
tialis fugax vorgeschlagen (FoersterJ. Das pathogenetisclie Moment sind wahrschein-
lich vasomotorische Störungen in gewissen Centraltheilen des lichtempfindenden
Apparates.
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852 Functiüiisstörung. d. licLtempf. App.; Hyi)eraestliesia optica ; Asthenopia retinalis.
d. Die krankhafte Steigerung der Erregbarkeit macht endlich auch
die Dauer der Reaction gegen objective Reize öfters zu einer unverhält-
nissmässig langen. Es treten Nachbilder leichter auf, erreichen sehr
namhafte Erleuchtungsintensitäten und klingen viel schwerer ab als in
der Norm.
Bei raschem Wechsel geschieht es daher leicht, dass, während schon ein anderer
Gegenstand zur Betrachtung gelangt, noch ein Nachbild des früher beschauten
Objectes vorhanden ist, dass also die Nachbilder sich mit den Eindrücken der in
Sicht befindlichen Objecte mischen, die ^Yahrnehmungen sich gegenseitig confundiren
und dass, indem die Nachbilder mit den Bewegungen des Auges ihren Platz ändern,
den ruhenden Objecten der Betrachtung eine scheinbare Bewegung mitgetheilt wird.
Die Objecte scheinen so hin und her zu schwanken, zu tanzen und der Kranke
wird schwindlig, wenn die beschauten Gegenstände nur einigermassen rascher
ihren Ort wechseln {Ruete).
Besonders starke und dauernde Eindrücke pflanzen sich gleichsam fest in den
lichtempfindenden Apparat ein, so dass ihre Nachbilder Tage und Wochen lang im
Gesichtsfelde haften oder wenigstens sogleich hervortreten, wenn der Kranke nur
daran denkt. Waren diese Eindrücke der Form nach sehr mannigfaltig und icech-
selnd, so kömrat es wohl auch zu einem förmlichen Jagen von siihjectiven Gesichts-
erscheiniingen , deren eine die andere im Gesichtsfelde zu verdrängen sucht und
■welche bald das Gesehene einfach reproduciren , bald mehrere Eindrücke in Form
von Nachbildern unter einander combiniren , bald aber ganz ungestaltete, mannig-
faltig gefärbte P^iguren dem Sensorium vorspiegeln und so die Veranlassung zu
den abenteuerlichsten Visionen geben (Ruete).
Die optische Hyperaesthesie zeigt sich gelegentlich als Symptom con-
gestiver und entzündlicher Gehimleiden, des Säuferwahnsiunes, der Vergiftung
mit gewissen narkotischen Substanzen (Mackenzie, Ruete), neben Trige-
minusneuralgien (Alexander) u. s. w. Sie begleitet manchmal die mehr
acuten Formen der Neurodictyitis (S. 197), und spielt auch unter den
Vorläufern (S. 222) und Ausgängen (S. 225) der Netzhautabhebung eine
E.olle. Am gewöhnlichsten wird sie auf consensuellem Wege vom Ciliar-
systeme aus angeregt und unterhalten. Sie lässt sich dann meistens auf
entzündliche Processe zurückführen und gewinnt bisweilen die Bedeutung
eines sympathischen Leidens (S. 333). Sie ist im letzteren Falle meistens
mit concentrischer Einschränkung des Gesichtsfeldes, mit iutensirer Licht-
scheu und Accommodationsbeschränkung gepaart. Oft genug jedoch fehlt
jedes Zwischenglied, die Hyperaesthesie ist eine unmittelbare Folge hefti-
ger, auf das Ciliarsystem wirkender Reize. Ueberbürduugen des Accom-
modations- und der Convergenzmuskeln (S. 830) stehen hierbei in erster
Linie.
In anderen Fällen entwickelt sich das Leiden primär im lichtempfin-
denden Apparate und pflanzt sich von da alsbald auf das Ciliarsj'stem
fort. Die häufigste Veranlassung geben angestrengte Bethätigungen des
Sehorganes bei intensiver Erleuchtung des Gesichtsfeldes, bei directem
Sonnen- oder starkem flackernden Gaslichte, die Bearbeitung sehr glänzender
oder grell gefärbter oder im Gegentheile ungenügend beleuchteter kleiner
Objecte, besonders wenn letztere in steter rascher Bewegung begriffen
sind, weiters ein häufiger Wechsel grosser Lichtcontraste u. s. w. Die
Beschwerden, welche solchermassen hervorgerufen werden, haben sympto-
matisch viel Aehnlichkeit mit den asthenopischen, daher der Zustand als
Asthenopia retinalis beschrieben worden ist (Gräfe).
Es charakterisirt sich derselbe in negativer Richtung durch das Abhandensein
irgend welcher erheblicher Abweichungen im Bereiche der Accoramodation und der
Augenmuskeln; in x^ositiver Richtung aber durch die Unverträglichkeit der Augen
Anaesthesia oijtioii; Heiiit'i:i,l<>iiif ; iMoiid- ii. Sclciici'liliiuUuüt; l';ul. Aii;u',bthesie. 853
gegen jrdp rrhchlichc Beth;itii;'mig, iiulcin dicselho alsl);ilfl zu einein liTichst pein-
lichen Gefühle von Bleudmuj und einem d;iniit verbundenen Undeullichwcrden der
Objeete führt, gleichviel welches die Distanz des fixirten Gegenstandes, also der erforder-
liehe Spannungsgrad des Aeeunnnodationsnniskcls und der Geraden sei. Es ist die
retinale Asthenopie, einmal zu höheren (iradeii entwickelt, meistens seiir hart-
näckig; trotz all(!r Schonunji; und dem so gerühmten Gebrauehe blauer Gläser
(Böhm) besteht sie oft Monate lang und macht den Kranken zu jeder ernsten Be-
schäftigung untauglich.
3. Die Anaesthesia optica ist eine von wahrnehmbai'en materiellen
Veränderungen unabhängige Verminderung der Erregbarkeit des lichtempfin-
denden Apparates. Ihr Hauptmerkmal ist die unverhältnissmässige Schwächung
des sinnlichen Eindruckes, welchen Erlcuchtungsintensitäten von sinkender
Stärke auf das Sehorgan ausüben. Es zeigt sich die optische Anaesthesie
unter mancherlei Formen je nach dem zu Gi'unde liegenden ätiologischen
Momente.
a. In der grössten Mehrzahl der Fälle sind es Ueberreizungen
des lichterapfindenden Apparates, welche zur Anaesthesie führen. Es
scheint, als ob solchermassen eine Art Erschöpfung oder Abstumpfung be-
gründet würde, welche die betreffenden Nervenelemente unfähig macht,
auf minder starke und überhaupt massige Lichteindrücke im normalen Grade
zu reagiren.
Unter den Irritamenteu, welche hier in Betracht kommen, steht selbst-
verständlich das Licht obenan. In der That ist der so überaus häufig und
selbst endemisch vorkommende Nachtnebel, die Hemeralopie, dem Wesen nach
nichts Anderes, als optische Anaesthesie, welche ihren Grund in länger
dauernden Einwirkungen starker Lichtgrade auf das Sehorgan, weiterhin
aber in mangelhafter Ernährung und darin wurzelnder Functionsschwäche
des gesammten Nervensystems findet. Ihr innig verwandt ist die Schnee-
blindheit und Mondblindheit.
Die Schneeblindheit ist ein sehr gewöhnliches Vorkommniss sowohl bei
Menschen als bei Hausthieren, welche weite Schnee- und Gletscherfelder hoher
Gebirge bei hellem Sonnenscheine durchwandern, ohne die Augen vor dem grellen
Reflexe des Bodens zu schützen. Sie charakterisirt sich durch eine bald rasche,
bald sehr allmälige Verdüsterung des Gesichtsfeldes und durch endliche völlige
Verfinsterung desselben, welche so lange dauert, als der Betroffene in jenen unwirth-
baren Gefilden mit unbedeckten Augen weilt; alsbald aber schwindet, wenn er in
die xchneelosen Alpentriften niedersteigt, oder die Augen längere Zeit hindurch
mittelst eines vorgebundenen dunklen , wenig Licht durchlassenden Gewebes, z. B.
schwarzen Krepps, oder mittelst dunkler Gläser vor übermässigen Lichtreizen be-
bewahrt fTschudi, Förster).
Die MondhUndheit tritt öfters bei Matrosen auf, wenn dieselben, ziunal unter
den Tropen, in hellem Mondscheine auf dem Decke schlafen. Sie soll bisweilen
so stark werden , dass die Leute beim Erwachen kaum das Tageslicht erkennen
und geführt werden müssen (Rohinson).
Intensives directes oder reflectirtes Sonnenlicht, welches plötzlich das
Auge trifft oder längere Zeit auf die Netzhaut wirkt, veranlasst übrigens
mitunter auch partielle Anaesthesien, besonders der am meisten ausgesetzten
Netzhautmitte. Es äussert sich dieser Zustand durch eine dunkle Wolke,
welche beständig in der Mitte des Sehfeldes schwebt und völlig undurch-
dringlich ist, oder bei geringerer Dichtigkeit die Objeete in mehr weniger
bestimmten Umrissen und Farben durchscheinen lässt.
Die Wolke ist im Allgemeinen um so dunkler, je weniger hell erleuchtet das
Gesichtsfeld ist. Bei grosser Helligkeit des letzteren erscheint sie öfters gefärbt.
Bei geschlossenen Augen verschwindet sie nicht ganz, zeigt sich vielmehr in ein-
8o4 Fiinctionsstömng. d. lichtempfind. App. : Anaesthesia optica : Amaurosis traumat.
zelneu Fällen lieller, als die normale Umojebniig. Oefters ephemer, blos einige
Stunden andauernd und nach dem nächtlichen Schlafe verwischt, ist sie unter
anderen Umständen eine höchst qualvolle Erscheinung, welche den Kranken Wochen
und Monate lang nnablässig verfolgt, bis sie nnter gehöriger Angendiät allmälig
dünner wird, die Gegenstände klarer und klarer hervortreten lässt, oder stückweise
sich auflöst nnd aus dem Sehfelde verschwindet. Bisweilen bleibt lange eine ge-
wisse Schwäche der Netzhautmitte zurück, welche sich besonders beim Uebergange
aus einem liellen in einen dunkleren Raum im directen Sehen fühlbar macht (Ed.
Jaeger, Schirmer, Mackenzie).
h. In zweiter Reihe sind Blitzschläge und mechanische Erschütterungen
des Auges oder seiner Centralorgane als mögliche Veranlassungen der Anae-
sthesia optica aufzuführen. Auch können Reizzustände im Bereiche des
einen oder des anderen Quintusastes auf reflectorischem Wege ähnliche
Wirkungen nach sich ziehen (S. 12).
Leider sind die bezüglichen Fälle nur zum kleinen Theile genügend unter-
sucht und es liegt die Vermuthnng nahe, dass hier ganz verschiedene Krankheiten
zusammengefasst wurden, welche in dem avffiilUgsten Symptome, in der plötzlichen
oder doch sehr raschen Verminderung oder völligen Vernichtung des Lichtempfin-
dnngsverviögens, übereinkommen. Für deren theihveise Einstellung in die Gruppe
der Anaesthesien spi-icht der Umstand, dass die Sehstörung oft lange besteht, ohne
dass sich irgend welche viaterielle Veränderungen in den dem Augenspiegel zugäng-
lichen Theilen nachweisen lassen, ja dass nach geraumer Zeit die Functions-
tüchtigkeit des lichtempfindenden Apparates sich wieder zur Norm hebt oder
doch nur eine concentrisclie Einengung des Gesichtsfeldes ohne objectiven Befund
zurücklässt.
Das nächste pathogenetische Moment dieser Anaesthesien liegt noch im
Unklaren. In der Mehrzahl der Fälle ist es indessen unzweifelhaft auf
vasomotorische Einflüsse zu beziehen. Dieselben sind häufig auch kräftig
genug, um über kurz oder lang materielle Veränderungen im lichtempfin-
denden Apparate einzuleiten, welche dann unter der Form manifester Ent-
zündungen oder des progressiven Sehnervenschwnndes (S. 241) in die Er-
scheinung treten und den betreffenden Fall in die Categorie der eigentlichen
schwarzen Staare einzureihen nöthigen.
Im Uebrigen steht es fest, dass schon die Art der directen Schädlichkeifs-
icirkung eine sehr verschiedene sein könne. Was den Blitz betrift't, sind Fälle
bekannt, wo die Sehstörung nur aus dem directen Einflüsse des elektrischen Stromes
auf das Nervensystem abgeleitet werden kann (Petrequin, Sckirmer), und andere,
wo der Blitz in einiger Enfferniing niederfulir (Laicrencej, die optische Anaesthesie
also nur eine andere Ursache, vielleicht Ueherblendung oder, beim Zusammenwirken
von disponirenden Momenten , auch die heftige Gemüthserregung (Graefe) anzu-
erkennen gestattet.
Die zweite Art, die sogenannte traumatische Amaurose ohne objectiven Befund,
wurde bald durch einen ziemlich unbedeutenden Schlag oder Stoss auf das Auge
(Te^telin), bald durch einen auf den Bulbus ausgeübten Druck {Beer), bald durch
einen an das Auge anspringenden und in der Cornea steckenbleibenden fremden
Körper (Schröter, Talko) , bald durch einen Fall auf die Stirne oder einen Sprung
von einiger Höhe (Secondi) begründet. In gar vielen Fällen mögen dann materielle
Veränderungen in den tieferen Theilen des lichtempfindenden Apparates, Bint-
extravasate in der Schädelhöhle, in der Chorioidea u. s. w. das pathogenetische
Moment der Sehstörung abgegeben und den Fall zu einer Amaurosi9 im engeren
Wortsinne qualificirt haben.
Bei der dritten Art, welche ziemlich allgemein als Avianrosis trifacialis be-
schrieben wird, ist das pathogenetische Moment mitunter eine Trigeminusneuralgie
in der gewöhnlichen Bedeutung des Wortes (Hippel, Alexander) , seltener eine tief-
greifende schrumpfende Narhe oder eine Geschtvulst in der Stii-ngegend etc., durch
welche ein einzelner Ast des Quintus, insbesondere des Frontalnerven, gedehnt
wird. Gewöhnlich sind im letzteren Falle auch sehr heftige Reflexkrämpfe im
Anaesthesia optica gemiina hysterica. 855
Bereiclie des Kreismuskels der Lider Regeben (Beer, MackemleJ. Ziemlicli liäufip;
scheint das Irrit.'iment von cariösen Zü/dipu, welche melir weniger schmerzen, aus-
zugehen (Beer, llvtchinson, Tloy-i, Wecker, DeUjado, Alexander, Delestre, Will,
Geissler). Auch hei der Amaurosis trit'acialis werden ohne Zweifel manche Fälle
als nicht streng hierher gehörig auszuscheiden und eine Quote derselben vorzugs-
weise auf Mydriasis (S. 835) zu beziehen sein (Mackenzie, H. Schmidt). In der
Regel jedoch handelt es sich sicherlich um eine wahre Anaesthesia optica, deren
Zustandekommen auf reßectoi-ischrm Wege auch dadurch sehr wahrscheinlich wird,
dass nach Beseitigung der Trigemiinisneuralgie sowie durch operative üurchtrenining
des iStirnnervenstammes oder beziehungsweise durch Entfernung des schadhaften
Zahnes Heilung der Sehstörung erzielt wurde.
c. Ausnahmsweise bildet, die optische Aaesthesie ein Glied in der
lang-en Kette höchst mannigfaltiger und sehr wandelbarer Symptome,
welche allgemeine Verstimmungen des Neruensystemes kennzeichnen. Sie ist
dann meistens partiel, auf die Peripherie der Netzhaut beschränkt und
offenbart sich durch eine mehr weniger erhebliche unregelmässige oder
concentrische Einengung des Gesichtsfeldes, während die centrale Selischärfe
in der Regel nur wenig herabgesetzt erscheint, seltener eine beträchtliche
EinbuRse erleidet oder gar bis zum Verlöschen der Lichtempfindung sinkt.
Dabei zeigt sich, wenn man von den letzteren Fällen absieht, häufig eine
grosse Emj)findlichkeit gegen objeciives Licht, wodurch dem Leiden ein
sehr auffallender erethischer Charakter aufgedrückt wird. Die starke
Erregbarkeit macht, dass die centrale Sehschärfe im DunJden und besonders
durch Voi'setzung tiefgefärbter Gläser eher zu- als abnimmt, dass solche
Augen öfters bei Erleuchtungsintensitäten noch ziemlich scharf sehen,
welche normalen Augen kaum mehr genügen. Weitere Merkmale liegen
in der constanten Beiderseitigkeit, in dem plötzlichen Auftreten oder in
der sehr raschen, innerhalb weniger Stunden oder Tage vollendeten Höhen-
entwickelung der Sehstörung; in der durch die Druckphosphene (S. 23(i)
erweisbaren Erhaltung der Leitungsfähigkeit der anaesthetisch gewor-
denen Netzhantpartien , in der Integrität des Farbenunterscheidungsver-
mögens (Leber) und in dem häufigen Nebenhergehen von anderweitigen
Nervensymptomen. So stösst maii öfters auf cutane Anodynien und Zuckun-
gen in verschiedenen Muskelgebieten, ja auf förmlichen Veitstanz, hyste-
rische Anfälle, heftige Kopfschmerzen etc. In einzelnen Fällen scheint
auch Accommodationski'ampf ein Begleiter zu sein (Mandelstamm). End-
lich kömmt der Diagnose der Umstand zu Hilfe, dass sich das fi-agliche
Leiden fast durchwegs nur bei Weibern ujid Kindern, höchst selten aber
bei Männern und zwar nur bei solchen findet, welche durch Temperament
und Körporconstitution sich dem weibischen oder kindlichen Tj-pus nähern;
weiters, dass die ergriffenen Kinder gewöhnlich sehr reizbai'e nervöse
Individuen, die Fi'auen häufig entschieden hysterisch sind, iind dass die
Gelegenheitsursache fast immer eine heftige Gemüthsaufregung, ein Schreck
u. s. w. ist. Am häufigsten sollen Kinder zwischen G — 14 .lahi-en leiden
und dabei die Netzhauthyperästhesie öfters eine geringe sein, während
sie bei hysterischen Weibern meistens ganz eminent hervortritt. Die
Prognose ist günstig, indem die Anaesthesie fast immer völlig zurückgeht
und nur selten Einschränkungen der Gesichtsfeldperipherie übrig bleiben,
auch wenn die Krankheit sich durch völlige ICrblindung geäussert hatte
(Graefe, Haase).
Als therapeutisclie Behelfe gelten der mehrtägige Aufenthalt im dunklen
Zimmer und weiterhin das Tragen blauer Gläser bei völliger Vermeidung der
856 Functionsstör. d. lichteinpfind. App.; Anaesthesia optica; A. anoptica; A. senilis.
Accommodatiousthätigkeit.' Iiinerlich soll das niilchsaure Zink gute Dien.ste lei.sten
uud bei eingetretener Besserung wird ein stärkendes Verfahren bei reichlichem
Genüsse frischer Luft empfohlen ; dagegen aber vor Blutentleerungen gewarnt
(Graefe).
d. Eine besondere Erwähnung verdienen auch die Amblyopien, welche
ausnahmsweise mit oder ohne Accommodationsbescln-änkung bei Diphtherilis
(S. 833) vorkommen (Benedikt). Auch möge hier an die nicht ganz
seltenen intermittirenden Amaurosen (Zehender) erinnert werden, welche gleich
der Ophthalmia intermitteus (S. 8) mit Malariainfection zusammenzu-
hängen scheinen.
e. Unstreitig am häutigsten werden optische Anaesthesien durch länger
dauernde Ausschliessung eines Auges vom gemeinschaftlichen Sehacte verursacht.
Sie scheinen öfters mit Accommodationsparesen gepaart zu sein, was sich
dann durch Mikropsie (S. 7 79) offenbart. Man pflegt sie unter dem iS'ameu
Amhlyopia ex anopsia zu beschreiben. Sie unterscheiden sich von den
anderen pathogenetischen Formen der Anaesthesie wesentlich durch die
meistens nachweisbare functiouelle Integrität der peripheren Netzhautzonen,
also durch die Beschränkung des Defectes auf eine mehr weniger ausge-
dehnte umschriebene Portion des dem gemeinschaftlichen Sehfelde zugehöri-
gen Theiles der retinalen Mitte (siehe Strabismus convergens). Im üebrigen
äussert sich die Functionsstörung gemeiniglich mehr durch den Bedarf an
grossen Sehwinkeln zum deutlichen Sehen, weniger durch das Erforderniss
starker Erleuchtungsintensitäten. Sie trägt daher mehr den Charakter einer
einfachen Stumpfheit.
Die anoptischen Amblyopien sind selbstverständlich immer einseitig
und stellen sich besonders gerne dort ein, wo die undeutlichen Wahr-
nehmungen des einen Auges die deutlicheren des anderen in dem gemein-
schaftlichen Sehacte trüben, so dass eine förmliche Unterdrückung der
Wahrnehmungen des ersten Auges behufs deutlichen Sehens zur Nothwen-
digkeit wird. Sie finden sich darum sehr häufig beim einseitigen Strabis-
mus, so wie überhaupt in Augen, welche bei Normalität oder doch beträcht-
lich grösserer Functionstiichtigkeit des anderen mit partiellen Trübungen der
Cornea oder Linse, mit Mydriasis,, mit Accommodationsfehlern u. s. w. be-
haftet sind. Wo keine nur einigermassen deutlichen Bilder auf der Netz-
haut mehr zu Stande gebracht werden können, also eine Beirrung der
Functionen des anderen Auges wegfällt, bei ausgebildeten Staaren, totalem
Verschlusse der Pupille, dichten ausgebreiteten Cornealtrübungen etc. pflegt
die Anaesthesia ex anopsia nicht so leicht höhere Grade zu erreichen und
leichter zu weichen. Uebrigens ist das Kindesalter, da in diesem es viel
leichter und rascher zur förmlichen Unterdrückung der Wahrnehmungen
kömmt, als im Mannesalter, die eigentliche Periode für das Entstehen
solcher Anaesthesien. In den späteren Lebensjahren führen dieselben
pathogenetischen Momente weniger leicht zur Functionsschwäche der
Netzhaut.
Schliesslich ist der Verminderung der Sehschärfe im höheren Alter zu gedenken.
Es ist die Sehschärfe schon nach dem 25. Lebensjahre eine merklich geringere,
als in der ersten Jugend und geht nach neuereu Untersuchungen (Vroesom de Haan)
bei hochbetagten Greisen auf die Hälfte ihres ursprünglichen Werthes herab.
Wie viel hierbei auf eine essentielle Functionsschwäche der Nervenelemente, auf
eigentlichen Torpor zu rechnen ist , steht sehr dahin. Jedenfalls spielen die
materiellen Veränderungen, welche die einzelnen dioptrischen Medien sowie die Netz-
Methodische Uebimg; Convexgläserkur. 857
haut und Aderhaut durch die senile Involution erleiden, eine wesentliche Rolle,
indem sie auf die scheinbare Helli(>keit und Schärfe der Bilder einen höclist un-
günstigen Einfluss nelunen müssen.
4. Der schwarze Staar, die Amblyopie und Amaurose^ welche vielfach
mit der Anaesthesie zusaramengeworfeu werden, beruhen nicht sowohl auf
einer verminderten Erregbarkeit des lichtempfindenden Apparates, denn
diese kann sogar erhöht sein, als sie vielmehr den symptomatischen Aus-
druck für eine Functionsbehinderuny materieller Art abgeben, welche sich
entweder gleich von vorneherein objectiv nachweisen lässt, oder erst im
weiteren Verlaufe durch allmäliges Hervortreten der Sehnervenatrophie
off"enbar wird (8. 234).
Die Behandlung der im Vorhergehenden gescliilderten Functions-
störungen ist selbstverständlich vor Allem auf das Grundleiden zu richten.
Ist dieses getilgt oder wenigstens zum dauernden Stillstande gebracht, so
hebt sich die etwa zurückgebliebene Anästhesie, so weit sie eben von
materiellen Veränderungen unabhängig ist, oftmals von selbst. Ob hierzu
das Tragen farbiger Diopter (Böhm, H. Gerold) förderlich beitragen könne,
müssen weitere Erfahrungen herausstellen. Methodische Uebungen, wie sie
neuerlich empfohlen worden sind [Fronmüller), haben wohl nur bei den
aus Nichtgebrauch eines Auges resultirenden Stumpfheiten des lichtempfin-
denden Apparates einen Zweck.
Als G esichfsobjecte eignen sich bei diesen Exercitien am meisten Druckschriften,
da hier Buchstabe um Buchstabe wechselt, die Aufmerksamkeit also unausgesetzt
auf das Gesehene gerichtet werden muss und Fehler, welche sich in der Beur-
theilung des Wahrgenommenen eingeschlichen haben , durch den Context sogleich
hervortreten, also zur Correction autfordern. Es müssen diese Druckschriften
natürlich giä erleuchtet sein und überdies auch sich unter grossem Sekwinkel auf
der Netzhaut projiciren, widrigenfalls sie bei nur einigem Torpor des lichtempfin-
denden Apparates in keinen enträthselbaren Bildern zur Wahrnehmung kämen.
Sie müssen also gross gewählt und dem Auge nahe gebracht werden. Um aber
in kurze Distanzen möglichst scharf zu sehen, bedarf es gewöhnlich convexer Gläser,
da die Amblyopia ex anopsia in der Regel mit Schwäche des Accoinmodationsapparates
gepaai-t ist. Es sind übrigens Convexgläser unter allen Umständen sehr erspviessUch,
da sie durch scheinbare Vergrösserung der Objecte und durch Vermehrung der
scheinbaren Helligkeit der Netzhautbilder die Deutlichkeif der Wahrnehmungen erhöhen
und die Auswahl der Schriftproben erleichtern. Man pflegt sie darum in allen Fällen,
wenigstens anfänglich, zu benützen und jene Uebungen insgemein mit dem Namen
der Convexgläserkur zu bezeichnen. Es muss hierbei vorerst das schwächste Convex-
glas ermittelt werden, welches das kranke Auge bei Verschluss des anderen befähigt,
grössere Druckschriften (Jaeger Nr. 12 — 20) in Abständen von 8 — 12 Zoll noth-
dürftig zu entziffern. Mit diesem Glase hat nun der Kranke täglich 2 bis 3 Mal,
anfänglich 5 Minuten, nach und nach aber immer länger, Leseübungen vorzunehmen,
dabei aber niemals die Anstrengung so weit zu treibeu, dass auffällige Symptome
der Ermüdung, Schmerz, Congestionen oder gar Entzündungen angeregt werden.
Im Ganzen fordert diese Kur, besonders bei höheren Graden der Amblyopie, in
vielen Fällen sehr viel Geduld und Ausdauer, da sehr auffällige Effecte oft lange auf
sich warten lassen. Am Ende jedoch steigert sich das Sehvermögen in günstigen Fäl-
len öfters in ziemlich rascher Progression. Es ist dann Zeit zu scJnvächeren Gläsern
überzugehen und unter Verlängerung der einzelnen Uebungen zu kleineren und
kleineren Schriftproben aufzusteigen. Mitunter wird der Fortschritt auf einmal ge-
hemmt, das Sehvermögen bessert sich trotz allen Uebungen nicht weiter. Man darf
dann den Muth nicht verlieren; auf einmal geht es ivieder vorwärts und man
gelangt endlich dahin, dass um viele Nummern schwächere Gläser in Anwendung
gezogen werden können, oder wohl gar Brillen sich als überflüssig erweisen. Ist
das Auge in der Heilung so weit vorgeschritten , dass ohne oder 7nit scinvachen
Convexgläsern gewöhnliche Druckschxüft fertig gelesen werden kann, so müssen die
858 Functionsstörungen rt. lichtempfiiifl. App.: Quellen.
Uebiuig^en noch eine Zeit fortgesetzt werden, um die Heilung zu hefe>itigen, Recidiven
zu verhindern (FronmüUer).
Quellen: IlehnJwUz, Karsten's Encyklopädie. IX. S. 200, 202—208, 272, 282,
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S. 30, 61, 63, 67, 71—82; .30. Bd. S. 442; A. f. O. VII. 2. S. 72, 78, 88, 91, 9.S,
103, 107; Poggendorf's Annalen. 126. Bd. S. 68—86. — Anhert, A. f. O. III. 2.
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Mackenzie, 1. c. II. S. 846. — ' Haase, klin. Monatbl. 1866. S. 251, 254. —
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Die Convexgläsercur. Nürnberg. 1857. — Berlin, A. f. O. XIII. 2. S. 305, 306. —
Knapp, Arch. f. Augen- u. Olirenheilkd. I. S. 7.
1. Der Naclitnebel, Hemeralopie.
Krankheitsbild. Charakteristisch ist der Bedarf normwidrig hoher
Lichtgrade zum deutlichen Sehen und eine unverhältnissmässige Ahnahme des
lUMiieralopie : Kiaiikheitsbild. 850
Sehvermögens, wenn die Erleuchtungsintensität des Gesichtsfeldes unter ein
gewisses Mass herabsinkt (Förster).
In der That zeigt sich bei minder hochgradig entwickelter Hemeralopie
das volle Licht eines hellen und selbst eines trüben Tages voUkonamen aus-
reichend, um bei entsprechender Einstellung des dioptrischen Apparates
Objecte unter kleinen Sehwinkeln deutlich zu erkennen, z. B. feinere
Druckschrift anstandslos und selbst anhaltend zu lesen u. s. w. Bei
höhergradigem Nachtnebel bedarf es schon des vollen Lichtes eines sehr
hellen Tages, auf dass das Auge mit einem normalen in der Deutlichkeit
seiner Wahi'nehmungen concurriren könne. Das Licht eines trüben Tages,
ungünstige Stellung des Objectes zur Lichtquelle, leichte Beschattung des-
selben u. s. w. steigern dann beträchtlich die Grösse des erforderlichen
Gesichtswinkels, schwächen in sehr fühlbarer Weise die Feinheit des
Farbenunterscheidungsvermögens und vermindern die Functionsdauer. Oefters
machen sich unter solchen Verhältnissen wohl aucli schon seitliche Be-
schränkungen oder Unterbrechungen des Gesichtsfeldes bemerklich. Bei den
höchsten Entwickelungsgraden der Hemeralopie endlich genügen auch die
günstigsten Beleuchtungsverhältnisse nicht mehr, um (objecte unter kleinen
Gesichtswinkeln deutlich zu erkennen, es werden behufs deutlicherer Wahr-
nehmungen grosse Beleuchtungsintensitäten und grosse Sehwinkel erfordert,
das Farbenunterscheidungsv&rmögen ist meistens auffällig vermindert und
ausserdem lassen sich sehr häufig auch Unterbrechungen oder seitliche Ein-
schränkungen des Gesichtsfeldes nachweisen (Förster).
Wird der zum Deutlichsehen nothwendige Erleuchtungsgrad plötzlich
um ein Gewisses herabgesetzt, so ist die Abnahme des Sehvermögens eine
viel beträchtlichere, als bei gesunden Augen, auch bedarf der Hemeralops
längere Zeit, um sich einigermassen an die geringere Helligkeit zu gewöhnen
und stets bleibt die Deutlichkeit der Wahrnehmungen hinter jener normaler
Augen zurück. Sinkt die Erleuchtungsintensität von jenem Grade ga^iz
allmälig herab, so vermindert sich anfänglich auch die Deutlichkeit der
Wahrnehmungen successive, aber in einer um so rascheren Progression, je
höher der Entwickelungsgrad der Hemeralopie ist. Ist die Helligkeit bis
zu einem gewissen Grade abgeschwächt, so erfolgt die loeitere Abnahme
des Sehvermögens nicht mehr proportional, das Missverhältniss wächst viel-
mehr sprungweise, so zwar, dass oftmals schon eine kaum merkliche fernere
^"erminderung der Erleuchtungsintensität genügt, um auf einmal das Er-
kennen von Objecten unmöglich zu machen, oder wohl gar die Lichtempfin-
dung aufzuheben (Förster).
Das Mass der Helligkeit, bei welchem das Erkennen von Objecten
aufhört, wechselt bei verschiedenen Individuen ausserordentlich, ist im
Allgemeinen aber um so grösser, je höher der Grad der Hemeralopie und
je länger ihre Dauer ist. Bei frischen und minder entwickelten Fällen bedarf
es oft schon ziemlich dimkler Räume oder weit vorgeschrittener Abend-
dämmerung, auf dass das Auge gleichsam erlösche. Bei veralteten und
überhaupt höhergradigen Fällen vertinstei't sich im Gegentheile das Gesichts-
feld oft schon bei Erleuchtungsintensitäten, welche gesunden Augen noch
erlauben, feine Druckschrift zu lesen, ja es kömmt vor, dass derlei Nacht-
blinde schon während der späten Nachmittagsstunden, wenn die Sonne
dem Horizonte sich zu nähern beginnt, die Fähigkeit der Selbstführung
verlieren.
360 Hemeralopie : Kiiinkheitsbild.
Dieser letztere Umstand war Veranlassung, dass man die Hemeralopie lange
Zeit für ein a7i gewisse Tagesstunden gebundenes intermittirendes Leiden, für eine
Art lavvirten Wechselfiehers gehalten hat. Es ist dieses sicherlich eine unrichtige
Ansicht, denn directe Beobachtungen ergeben mit voller Bestimmtheit, dass bei
Nachtblinden gleich geringe Erleuchtungsintensitäten zu jeder Tageszeit einen ziem-
lich gleichen Grad von Sehstörung mit sich bringen. Nur während der Morgen-
stunden, nach einem mehrstündigen tiefen Schlafe, ist das zum Deutlichseheu erfor-
derliche Lichtquantum in der Regel geringer ; die Emptindlichkeit der Netzhaut
wird durch die nächtliche Ruhe et;was gehohen und sinkt im Laufe des Tages um
ein Gewisses herab.
Die charakteristische Sehstöruug äussert sich dem Krauken unter
der Form eines gleichmässigen, selten fleckigen, dunkelgrauen bis schwarzen,
ausnahmsweise farbigen, purpurnen, rothen, grünlichen u. s. w. Nebels
oder Rauches, welcher das ganze Gesichtsfeld überdeckt und die (^bjecte
verhüllt. Sehr hellfarbige, glänzende und von der Umgebung stark con-
trastirende Gegenstände und Objecttheile, der Mond, eine Kerzenflamme,
eine weisse Wand u. s. w., schimmern nur undeutlich durch diesen
Nebel durch und erscheinen oft in einer abnormen Farbe, der Mond z. B.
purpurroth.
Merkwürdig ist dabei, dass wie bei der wahren Amblyopie untersetztes weisses,
so wie gelbes und grünes Licht bei derselben Intensität viel leichter die Netzhaut
anregt, als blaues, violettes und rothes (Förster). Bei hohen Graden der Hemeralopie
kann die Stumpfheit des lichtempfindenden Apparates so bedeutend werden , dass
selbst der Mond und noch mehr das Licht einer Flamme der Wahrnehmung entgeht.
Die Pupille zeigt sich unter dem Einflüsse einer zum deutlichen Sehen
genügenden Erleuchtungsintensität in der Regel völlig normal, sowohl in
Bezug auf Durchmesser als Beweglichkeit. Sinkt die Helligkeit aber unter
jenes Mass, so erweitert sich das Sehloch sehr beträchtlich und reagirt nur
wenig oder gar nicht auf Beleuchtungsdifferenzen. Bei sehr hohen und ver-
alteten Fällen von Nachtnebel findet man indessen die Pupille wohl auch
stetig erweitert und träge, es bedarf sehr starker Lichtreize, des Einfalles
directen Sonnen- oder concentrirten Lampenlichtes, um die Pupille zu sehr
ausgiebigen Contractionen anzuregen (Förster, Alf. Graefe).
Meistens erweiset sich dann auch das Accommodationsvermögen wesentlich
beschränkt und nach neueren Untersuchungen soll sogar eine leichte Insufficienz
der inneren geraden Augenmuskeln, also eine Unfähigkeit, starke Axenconvergenzen
aufzubringen und zu erhalten, sich geltend machen (Alf. Graefe). In welchem
Grade dieses auf den Bedarf grösserer Sehioinkel zum Deutlichsehen bei heller Er-
leuchtung Einfluss nehme, ist bisher nicht genugsam dargethan worden.
Die Avgenspiegeluntersuckimg ergibt in der Regel nur negative Resultate.
Oefters findet man allerdings eine stärkere Injection der Netzhautvenen bei nor-
malem oder vermindertem (Poncet, Coitidet) Kaliber der arteriellen Stämme. Allein
diese dürfte wohl , ebenso wie die in einem Falle nachgewiesene Hyperä^nie des
Ganglion oplUhalmicum (Guemar) und die ziemlich häufig neben Hemeralopie ein-
hergehende Bindehautcongestion , mit Recht als eine Nehentvirkung der den Nacht-
nebel begründenden Lichtreize angesehen werden dürfen. Einzelne wollen dabei
eine auÖallende Trockenheit der Conjunctiva mit Verfettigung der Epithelialzellen
beobachtet haben (Huebhenet). Ist dies für einzelne Fälle oder Epidemien richtig,
so Hesse sich auch das Erscheinen silberglänzender Flecken an der Scleralbinde-
haut, welchen man eine besondere diagnostische Wichtigkeit beimessen wollte,
(Bitot), erklären. Docli sind dieselben (S. 480) gewiss nur ein höchst seltener Be-
fund (Netter).
Zu erwähnen ist noch, dass der Nachtnebel wohl häufig, durchaus
aber nicht immer in beiden Augen gleich hohe Grade erreicht, dass bei ge-
wissen Erleuchtungsintensitäten das eine Auge öfters noch halbwegs deut-
Ursachen; En- und Epidemien. 861
liehe Wahrnehmungen vermittelt, während das andere schon ganz ver-
finstert ersclieint ; oder dass an einem Auge noch einzelne Partien des Seh-
feldes sich erhellt zeigen und ein incUrectes Sehen erlauben, während am
anderen Auge schon das ganze Gesichtsfeld von einem undurchdringlichen
dunklen Nebel verhüllt wird (Förster).
Ursachen. Die nächste Veranlassung der Hemeralopie ist stets
Ueberblendung, in der Eegel also Einwirkung intensiven directen oder reflec-
tirten Sonnenlichtes. Besonders wenn diese Einwirkung eine ungewohnte ist,
sich oft wiederholt und jedes Mal längere Zeit anhält, ist die Hemeralopie
eine häufige Folge. Wird eine sehr grosse Anzahl von Individuen gleich-
zeitig denselben Schädlichkeiten ausgesetzt, so gewinnt der iSTachtnebel bis-
weilen auch vermöge seiner Ausbreitung einen epidemischen oder endemischen
Anstrich.
So werden in manchen Gegenden alljährlich viele Landleute nachtblind,
wenn sie der Frühling aus ihren düsteren Stuben auf das Eeld ruft und
sie dort den ganzen Tag hindurch dem ungewohnten Sonnenlichte ausgesetzt
bleiben. Ebenso erkranken auch gerne Soldaten, wenn sie zur Frühjahrs-
oder Sommerszeit viel im Sonnenlichte exerciren, oder Tage lang bei hellem
Wetter im Freien bivouakiren ; weiters Matrosen, welche innerhalb der
Wendekreise schiffen und auf dem Verdecke viele Stunden des Tages den
directen oder vom Schiffe und Meere zurückgeworfenen Sonnenstrahlen
exponirt sind (Eitner, Lacerda). Ausserdem zeigt sich die Hemeralopie
sehr häufig in Strafanstalten, Versorgungshäusern u. s. w., wenn die In-
wohner ungeschützt vor directem Sonnenscheine im Freien arbeiten, oder
auch nur in sehr hellen sonnigen Gelassen untergebracht sind.
An und für sich genügt indessen der Einiiuss sehr hellen Lichtes kaum,
um die Entwickelung der Nachtblindheit zu erklären. In der Regel wird
nämlich nur ein gewisser Theil der denselben Schädlichkeiten ausgesetzten
Individuen befallen ; andererseits sind die Erleuchtungsintensitäten, welche
als ätiologische Momente des Nachtnebels wirken, keineswegs nothwendig
übermässige, sondern oftmals viel geringere, als dass sie ein normales Auge
auch nur im mindesten zu belästigen vermöchten. Auf dass es zur Ueber-
blendung, zum Nachtnebel komme, bedarf es noch einer Art Disposition und
diese dürfte in einer gewissen Herabstimmung des Nervensystemes, in weiterer
Instanz aber in mangelhaften Ernährungszuständen des ganzen Körpers zu
suchen sein.
In der That begünstigen Krankheiten, welche mit auffälliger Depression
des Nervensystemes einhergehen, besonders aber der Scorbut {Guemar),
Wechselfiebercachexie und Leberleiden, in einem ganz auffälligen Grade das
Auftreten der Hemeralopie. Abgesehen hiervon sind es vornehmlich sehr
arme, schlecht genährte, schwächliche, leiblich sehr herabgekommene Individuen,
welche unter dem Einflüsse der oben erwähnten Schädlichkeiten nacht-
blind werden. Officiere, Beamte, Geistliche etc., wohlhabende Landleute,
welche unter denselben äusseren Verhältnissen leben, werden selten oder nie
ei'griffen. In wohlhabenden Gegenden, wo sich die Leute gut nähren, ist
der Nachtnebel auch unter dem Landvolke eine sehr seltene Erscheinung;
umgekehrt aber in sehr armen ungesunden fieberschwangeren Land-
strichen, besonders unter den Anhängern der orthodoxen griecloischen Kirche
nach Ablauf der strengen 40tägigen Fasten, ein sehr häufiges Vorkommniss ;
862 Hemeralopie; Verlauf; Behandlung.
ja hier zeigt es sich sogar oft als eine alljährlich unter epidemischer Form
auftretende Frühlingsplage (Huebbenet, MackenzieJ.
Verlauf. Die Hemeralopie entsteht meistens plötzlich im Frühjahre
oder Sommer nach einem oder mehreren, im hellen Sonnenlichte zugebrachten
Tagen. Anfangs ist nicht selten blos das Centrum der Netzhaut, welches
den stärksten Lichteiudrücken ausgesetzt ist, überblendet; es erscheint dem
Kranken bei Eintritt der Abenddämmerung eine mehr weniger scharf um-
grenzte dunkle oder gefärbte Wolke in der Mitte des Gesichtsfeldes, welche
ihn zwingt, an den Objecten vorbei zu sehen, um sie einigermassen deutlich
zu erkennen. Häufiger indessen verfinstert sich das Sehfeld gleich von
vorneherein seiner ganzen Ausdehnung nach, oder bis auf einen umschi'ie-
benen peripheren Theil, welcher ein indirectes Sehen gestattet.
Bleibt das Auge den betreffenden Schädlichkeiten ausgesetzt, so stellt
sich fortan die charakteristische Verfinsterung des Sehfeldes allabendlich
ein, ja der Zustand steigert sich, insoferne nämlich bisher frei gebliebene
Theile des Gesichtsfeldes sich überziehen, die Dichtigkeit und Dunkelheit
des Nebels zunehmen, ausserdem aber auch die zum Deutlichsehen erforder-
lichen Erleuchtung sintensitäten ivachsen, so zwar, dass sich die Erblindung
früher am Tage geltend macht. Besonders auffallend pflegen solche Ver-
schlimmerungen zu werden, wenn längere Zeit hindurch das Wetter sehr
hell und der Kranke anhaltend dem Uebermasse von Licht ausgesetzt war ;
während unter den entgegengesetzten Verhältnissen eine merkliche Besserung
des Zustandes die Eegel bildet. Anhaltend trübes Wetter macht wohl auch
die Krankheit gänzlich erlöschen und tilgt weit verbreitete Epidemien. Immer
bleibt jedoch eine sehr starke Neigung zu Becidiven zurück. Sind die Ver-
hältnisse dauernd ungünstig, so zieht sich die Krankheit Wochen und Monate
laug hin und kömmt gemeiniglich erst im Spätherbste oder Winter zur
Heilung, oder gar nur zu einiger Besserung. Sie pflegt dann mit wieder-
kehrendem Erühlinge in verstärkter Intensität und Hartnäckigkeit hervor-
zutreten.
Die Behandlung ist vorwaltend eine causale. Schutz der Augen vor
der Einwirkung grellen Lichtes durch Schirme und dunkle Gläser, noch
mehr aber gänzliche Vermeidung hell erleuchteter Orte, also Aufenthalt des
Kranken in düsteren Zimmern und schattigen Höfen, Gärten, Wäldern u. s. w.,
ausserdem entsprechende Behandlung gegebener Allgemeinleiden und kräftige
Nahrung reichen vollkommen atis, um die Krankheit in verhältnissmässig
kurzer Zeit der Heilung zuzuführen, besonders wenn der Zustand nicht
sehr veraltet und weniger hochgradig ist.
Ungleich rascher und sicherer gelangt man jedoch zum Ziele, wenn
man die Augen eine Zeit lang völlig im Finsteren hält, also einen Schutz-
verband anlegt und dafür Sorge trägt, dass derselbe nicht am Tage gelüftet
werde ; oder wenn man, falls keine Garantien für ein entsprechendes Ver-
halten des Ki'auken vorliegen, diesen lieber gleich in ein ganz dunkles Zimmer
sperrt und dabei^mit kräftigen und leicht verdaulichen Speisen, Wein u. s. w.
bestens nährt. Bei consequenter Durchführung des Verfahrens genügen oft
24 — 48 Stunden, höchstens 5 oder G Tage, um den Nachtnebel schwinden
zu machen {Förster, Eitner).
Es versteht sich von selbst, dass durch das erwähnte Verfahren wohl
der Nachtnebel, nicht aber die Neigung zu Recidivcn behoben werde. Um
Augenimiskclii ; Aniitiiiiiic iiuil Vnil)i'f,'iifl'o. 863
eine daumulc Heilung- zu erzielen, ist es unbeding-t notliwendig, tlen Kranken
nach Vollendung der erwähnten Kur noch eine längere Zeit \ov dem Kin-
tlusse grellen Lichtes zu bewahren, ilim also die Meidung hellerleuohteter,
besonders sonniger Orte strenge aufzutragen und durch Schirme uud dunkle
(jrläser etwa unausweichliche Schädlichkeitcm in ihrer Wirkung abzuschwächen.
Zudem müssen durch kräftige Nahrung und entsprech(>ndes Regimen dit^ Nu-
tritionsverhältnisse des Kranken überhaupt gehoben werden. Innerliclte
Mittel finden eine gerechtfertigte Anwendung nur in dem Falle, als ivirk-
liche Krankheiten bestehen, welche solche fordern, z. H. Wechselfieber,
Scorbut u. s. w.
Schon seit langtir Zeit wird als tipecificum gegen Hemeralopie der Dünnt ge-
kochter Leher gerühmt, (iJ'Entrecol/e). Es soll dieser Dunst mittelst einer über die
Schüssel gehaltenen Papierdüte täglich 1 — 2 Mal durch '/j — ^/.^ Stunde an die
Augen geleitet und die Ijcber dann von dem Kranken verspeist werden. Neiu?rcr
Zeit wird aucli der Leierthran (Desponts, Spengler, Lacerda), die Electricität (Poncet),
so wie die C auter isatiou des Limbns conjunctivalis mit dem spitzem p]iide eines
Höllensteiustiftes (Coindet) empfohlen.
Quellen: Mackenzle, Traitc d. mal yeux. Trad. p. Warlomont et Testelin.
II. Paris 18Ö7. S. 733. — Stelhcacj, Ophtli. II. S. 644. — Förster, lieber Hemera-
lopie. Breslau 1857. S. 16, 20, 2.3, 26, 30, 34-4-2. - Alf. Graefe, A. f. O. V. 1.
S. 112 — 127. — Guemur, Canstatt's Jahresbericht. 18ö7. III. S. 101. — Huel>henet,
Prag. Vierteljahrsschrit't. 76. Ud. Mise. S. 20. — Bitot, Netter, Gaz. med. de Paris.
1863. Nr. 31. — Eitner, Deutsche Klinik. 1803. Nr. 2.5. — D'Entrecoüe, nach
Wecker's Etudes ophth. II. Paris 1867. S. 429. — Desmorets, Schmidt's Jahrbücher.
121. Bd. S. 218. — Desponts, Spengler, kl. Monatbl. 1863. S. 136. — Lacerda,
ibid. 1867. S. 232, 238. — Ponett, Coindet, Schmidt's Jahrbücher. 145. Bd. S. 190.
VIERTER ABSCIHNITT.
Punctionsstörungen der Augenmuskeln.
Anatomie und Vorbegriffe. Der Augapfel wird von sechs Muskeln
bewegt, den vier geraden uud den beiden schiefen. Der siebente, in der Tiefe
der Orbita streichende Muskel hat auf die Locomotionen des Bulbus keinen
Eiuliuss, sondern wirkt als Aufheber des oberen Lides dem Musculus orbi-
cularis palpebrarum (S. 482) entgegen. Die vier geraden Augenmuskeln ent-
springen mit dem Levator palpebrae superioris flechsig im umfange des
Sehloches. Ihre gestreckten uud platten Bäuche treten in ihrem Zuge nach
vorne aus einander, so dass vier durch ihre Breite gelegenen Ebenen,
indem sie sich schneiden, eine etwas schiefe und nicht ganz gleichseitige
Pyramide darstellen würden. Während nämlich der innere gerade Augen-
muskel nahezu parallel mit der Halbirungsebene des Schädels nach vorne
läuft, weicht der äussere Gerade in einem starken, der obere und untere
Gerade in einem kleinen Winkel nach aussen ab. Es treften diese Mus-
keln auf ihrem Wege nach vorne den Bulbus, tangiren denselben bei gerade
nach vorne gerichteter (jesichtslinie nahe Junter dem Gleicher, umgreifen
864 Augenmuskeln: Anatomie der Geraden und Schiefen; Trochlea.
hierauf den Aequator und setzen sich, in Sehnen auslaufend, an der vor-
deren Hälfte der Sclerotica fest. Die Sehnen sind flach, bandartig, 3'" — 4'"
breit und inseriren sich in einer, gegen die Cornea hin gewölbten Üach-
bogigen Linie. Der Mittelpunkt dieser convexen Anheftungslinien steht beim
oberen und unteren Geraden ^"', beim inneren Geraden höchstens ^^j^i",
beim äusseren Geraden aber gewöhnlich mehr als 3'" von der Hornhaut-
grenze ab.
Die geraden Augenmuskeln werden ihrem ganzen Verlaufe nach von
einer sehnigen Scheide eingehüllt, welche eigentlich nur eine Verdichtung
des fettreichen Orhitalhindegewebes ist und durch mehrere dichtere Balken
mit der Periorbita in ^^erbindung steht. An der Stelle, wo die Muskeln
an den Bulbus herantreten, verschmilzt das Perimysium mit der Scheidenhaut
des Augapfels, die Bäuche laufen dann gleichsam in der Scheidenhaut nach
vorne und durchbohren diese kurz hinter der Insertionsstelle in schiefer Rich-
tung, um sich endlich mit der Sclera zu vereinigen.
Die Ränder der breiten Sehnen hängen 7iicht mit einander zusammen;
wohl aber besteht eine mittelbare Verbindung durch die l'enon'sche Kapsel,
mit welcher die Scheiden der Muskeln und ihrer Sehnen ein einheitliches
Ganzes bilden. Dieser Zusammenhang der Muskeln und ihrer Sehnen mit
dem vorderen Theile der Scheidenhaut ist es, welcher nach Durchschneidung
einer Sehne den betreifenden Muskel noch an den Bulbus kettet und seine
völlige Zurückziehung hindert, ihm sohin noch einen gewissen Einfluss auf
die Bewegungen des Augapfels gestattet.
Ueberdies geht ein derber massiger Strang von der Durchbohrungsstelle
der Sehne des Rectus internus zu dem die Carunkel umgebenden Bindegewebe und
verbindet das letztere solehermassen mit der Tenon'schen Kapsel so wie mit
der genannten Muskelselme, aus welcher zudem einige Sehnenfasern in jenen Strang
ausstrahlen. Es erklärt dieses anatomische Verhältniss das starke Einsinken
der Carunkel bei excursiven Rücklagerungen der inneren Geraden (Luschka,
Liehreich).
Der obere schiefe Augenmuskel entspringt gleichfalls flechsig am Um-
fange des Sehloches; sein dünner Bauch zieht zwischen dem Rectus superior
und internus am oberen Theile der inneren Augenwand Irin, um zur Trochlea
zu gelangen. Schon bevor er diese trifft, geht er in eine lange und dünne
Sehne über, welche über die Rolle hinüber läuft, sich sogleich nach hinten
und aussen wendet, allmälig breiter wird, unter dem oberen Geraden hin-
wegläuft und, facherartig ausstrahlend, sich zwischen dem oberen und äus-
seren Rectus in einer bei 3'" langen, nach hinten und aussen convexen
Bogenlinie, deren inneres Ende S'" — 4'" vom Sehnerven absteht, an die
Sclera heftet, nachdem sie die Scheidenhaut durchbohrt hat.
Die Rolle ist ein sehnigknorpeliger Ring, welcher durch zwei kurze
Bändchen an die Spina oder Fovea trochlearis des Stirnbeines geheftet ist
und knapp hinter dem oberen inneren Winkel des Orbitalrandes liegt.
Der Bauch des Muskels ist von einer zarten Scheide umgeben. An
der Stelle, wo der Muskel sehnig wird, verdichtet sich das Perimysium,
hüllt röhrenartig die Sehne ein, hängt einerseits mit der Trochlea, an-
dererseits mit der Tunica vaginalis bulbi und der Muskelscheide des
oberen Geraden zusammen und stellt so eine Art Aufhängeband für den
Bulbus dar.
Gefässe; Nerven der Augoninuskeln; Nervenursprünge; Drehpnnkt. 865
Der untere schiefe Augenmuskel entppi'iugt vom inneren unleren Theile
des hnöchernen Orhitalrandes . l<]r läuft erstlich nach aus- und rüclcw'drts und
gelangt zwischen den Bulbus und Rectus inferior, wo seine Scheide mit
der des unteren Geraden durch zellig fibröses Gefüge zusammenhängt. Gleich
hinter dieser Stelle ändert er seine Richtung, indem er sich stark nach auf-
und rückwärts krümmt, um dann an der Schläfenseite des Bulbus, unmittel-
bar an dessen Scheidenhaut anhängend, zwischen diesem und dem äusseren
Geraden zum hinteren und oberen Umfange des Bulbus zu gelangen. Hier
setzt er sich, nachdem er merklich breiter geworden ist und die Scheidenhaut
durchbrochen hat, in einer nach oben und vorne convexen, wenigstens
5"' laugen Linie an, deren vorderes Ende etwa 1"\ das hintere 2'" — 3'"
vom Opticus absteht.
Die Arterien dieser Muskeln sind sämmtlich feine Zweigchen der Ar-
teria ophthalmica. Die Venen vereinigen sich theils mit Aesten der beiden
Venae ophthahnicae, theils mit Aesten der Vena facialis.
Die Nerven, welche die sechs Augenmuskeln mit den Centralorganen
in Verbindung setzen, sind das 3., 4. tind 6. Gchirnnervenpaar nebst Zweig-
chen des Nerv, trigeminus und des Sympathicus. Der Nervus oculomotorius
ist bekanntlich für den oberen, inneren und unteren Geraden, den Aufhebe-
muskel des oberen Lides und den 3Iusc. obliquus inferior bestimmt ; während
das vierte Paar den oberen Schiefen und das sechste Paar den äusseren Ge-
raden beherrscht. Das Centrum der motorischen Kraft des Auges ist in der
Brücke und dem verlängerten Marke zu suchen.
Der Nervus oculomotorius entspiiiigt aus auffallend grossen Nervenzellen
(Oculomotoriuskern) an dem Boden des Aquaeductus Si/lvii und zwar liegen die bei-
derseitigen Kerne in der Mittellinie sein- nahe aneinander. Die 9 bis 12 aus jedem
Kerne liervorgehenden Faserbiindel ziehen nach abwärts und kreuzen sich mit
den Längsfasern der Grosshirnschenkel, nachdem sie sich mit den motorischen
Nerven des Accommodationsmuskels und des Sphincter puijillae, welche je einen
anderen, wenn auch vielleicht sehr nahe gelegenen Ursprungskern besitzen müssen,
vereinigt haben (S. 767). Der Nervus trochlearis entspringt hinter den Vierhügeln
aus der Valvula cerehelli, der Nervus ahducens am Boden der Rautengnibe (Stilling,
Rüdinger) . Der Nervus facialis, welcher den Orbicuiarmuskel der Lider beherrscht,
entspringt an der äusseren Peripherie der Medulla oblongata aus den Ganglien
der Formatio reticularis. Von hier ziehen die Urspruugstasern im Inneren des ver-
längerten Markes gegen die Mitte des Bodens der Kautengrube, wo sie eine Er-
liöhung bilden , welche man früher als Ursprungskern betrachtete (Deuters,
Rüdinger).
Sämmtliche im Normalzustande durch die Muskeln ausgeführte Beioe-
gungen des Augapfels sind Drehungen um einen Punkt, welcher auf der Augen-
axe, d. i. auf der den Scheitel des Horuhautellipsoides mit dem hinteren
Scleralpole verbindenden Geraden liegt, dieselbe jedoch nicht, wie man
früher annahm, halbirt, sondern durchwegs ein Beträchtliches nach hinten
abweicht (Doyer, Donders, Volkmann).
Die relative Stellung des Drehpunktes ist von der Länge der Bulbusaxe
abhängig. Bei emmeiroplsch gebauten Augen wurde das Bewegungscentrum im
Mittel 1'77 Millim. hinter der Mitte der Augenaxe gefunden. In den verlängerten
Bulbis der Myopen liegt es etwas tiefer hinter dem Scheitel des Hornhautellipsoi-
des, zugleich aber auch weiter von dem Lederhautpole, so dass das Vcrhältniss
des vorderen und hinteien Stückes der Augenaxe annähernd das gleiche bleibt.
Bei den kürzeren hypeinietropischen Bulbis liegt der Drehpunkt absolut weniger
tief, aber trotzdem der hinteren Wand des Bulbus bedeutend näher (Doyer,
Donders).
Der Drehpunkt scheint übrigens je nach Umständen seine Lage innerhalb
gewisser Grenzen zu wechseln. Die Fixation des Bulbus wird nämlich einerseits
St eil w ag, AugeuheilknnJc. .55
366 Augenmuskeln: Physiologie: Piehpunkt : Bewegungsmass d. Augen.
durch das Fettpolster der Orbita, andererseits aber tlieilweise auch durcli die Span-
nung der zwei schiefen Muskeln vermittelt, welche letztere dem Zuge der vier
Geraden in gewisser Beziehung entgegengesetzt wirken, diesen aber das Gleich-
gewicht zu halten nicht vermögen, insoferne abgesehen von ihrer geringeren Masse
die Zugrichtuvg beider Gruppen einen Winkel einschliesst; daher denn auch die
Resultirende sämmtlicher sechs Augenmuskeln nach innen und hinten geht. In Ueber-
einstimmung damit sieht man während Operationen bei unruhigen Kranken nicht
selten, dass der Bulbus in Folge krampfhafter Muskelcontractionen etwas nach hin-
ten weicht und die Bindehaut von Seite des ausweichenden Fettpolsters wulstför-
mig nach vorne getrieben wird, vornehmlich in der Gegend des inneren Winkels.
Auch sollen neuere Untersuchungen mittelst zweckdienliclier Instrumente heraus-
gestellt haben, dass die Augäpfel bei forcirter Innervation des LidheheinuskeJs bis zu einem
Millm. aus der Orbita hervortreten, am meisten, wenn die Gesichtslinien horizontal
und parallel zu einander stehen; dass diese Lageveränderung des Auges jedoch
ausbleibt, wenn die Lidhebung durch eine «wwere Gewalt bewerkstelligt wird. Fer-
ner glaubt man, dass der Drehpunkt nur bei horizontalen Bewegungen der Gesichts-
linien ein ziemlich fixer bleibt , dass derselbe bei Helmngen der Visirebene aber
etwas zurücktrete und bei Senkungen des Blickes sich dem Scheitel der Hornhaut
nähere (J. J. MüVer). Manche wollen Verrückungen des Drehpunktes sogar beim
Nahe- und Fernsehen, sowie bei Erregungs- und Lähmungszuständen des dritten
Nerven gefunden haben (Coccius).
Es ist klar, dass Veränderungen der Drehpunktslage im Vereine mit dem
Wechsel des Winkels, welchen die Augenaxe mit der Gesichtslinie bei verschiede-
nen Accommodationszuständen einschliesst (S. 756), die jeweilige Stellung der ein-
zelnen Netzhauttheile zu den beschauten Objecten beeinflussen müssen. Doch ist
dieser Einfluss auf die Orientirung der Netzhaut unter gewönlichen Umständen
ein so geringer und so leicht zvr corrigirender, dass er nur unter gewissen Verhält-
nissen ins Gewicht fällt und berücksichtigt werden muss.
Der Augapfel kann vermittelst seiner seclis Muskeln um jede belie-
bige, das Bewegungscentrum schneidende Axe gedreht werden. Das Mass der
Drehungsfähigkeit ist nicht nach allen Richtungen ein gleiches. Es beträgt
in wagrechter Richtung im Mittel ungefähr 87", schwankt in lothrechter
zwischen 86" und 100"; ist grösser nach innen, als nach aussen, und
grösser nach unten als nach oben. Es wechselt übrigens der den Bewe-
gungen der Gesichtslinien gegebene Spielraum je nach der Gestalt des
Bulbus und der damit zusammenhängenden Lage des Drehpunktes, ist am
grössten bei emmetropischen Augen, wenig kleiner bei hypermetropischen
und am kleinsten bei hochgradig kurzsichtigen (S. 790, SchuermanJ. Auch
ist das Alter des Individuums und besonders die Uebung von wesentlichem
Einflüsse.
Bei einem Kinde, dessen Pupille durch dichte ausgebreitete Hornhautflecke
vollständig gedeckt war, wurden die Augen behufs der Fixation von äusseren
Objecten immer so weit gesenkt, dass kaum ein 1'" breites Segment der oberen,
durchsichtig gebliebenen Hornhautperipherie über den unteren Lidrand hervorragte.
Auch bei convergirendem Strabismus kommen Einwärtsdrehungen der Augen vor, bei
welchen die Cornea grossentheils oder ganz hinter der Carunkel verschwindet.
Im Ganzen wird die Excursionsfähigkeit des Augapfels nur zum kleinen
Theile ausgenützt, indem grössere Augendrehungen zumeist durch entspre-
chende Kopfbewegungen bis auf ein Geringes umgangen werden.
Jede Augenbewegung erfolgt auf ganz gesetzmässige Weise durch Zu-
sammenwirkung bestimmter Miiskeln und im Einzelnfalle auch vermittelst
ganz bestimmter relativer Kraftaufwände, welche theilweise von der Lage
des Drehpunktes, von den jeweiligen "Widerständen u. s. w. abhängen, inner-
halb gewisser Grenzen also auch wechseln können. Doch ist eine und
dieselbe Drehtmg der GesichtsUnie durchaus nicht immer als eine gleiche
Augenbewegung aufzufassen, sondern wird durch das Zusammenwirken ver-
Primiir- u. Seciindärstellungen ; Median- u. Fixirebene ; Grundlinie; Listing's Gesetz. 867
schiedener Muskelu in's Werk gesetzt und bedingt eine ganz differente
Orientirung der Netzhaut, je nachdem sie eine Veränderung der Blick-
richtung bei parallelen Gesichtslinien oder eine Conver genzstellung der letzte-
ren zum Zwecke hat. In Anbetracht dessen sind bei der Analyse der
einzelnen Augenbewegungen die Blickrichtung hei parallelen Gesichtslinien
und die Convergenzbeiocgungen strenge auseinander zu halten.
Es muss weitei's wohl im Auge behalten werden, dass gar niemals
ein oder der andere der sechs Muskeln völlig wirkungslos ist, sondern durch
seine lebendige und elastische Spannung steuern hilft, wenn er sich nicht
direct an einer bestimmten Bewegung betheiligt. Wirklich macht die
Lähmung eines einzelnen Muskels alle Excursionen des Bulbus minder
sicher und lässt gar viele derselben nur unter unregelmässigen Schwankungen,
also nicht geraden Weges, durchführen. Auch ist bei den Bewegungen
der Augen nicht blos die Kraft, mit welcher ein Muskel zieht, sondern
auch der Winkel, in welchem die Ansatzlinie desselben jeweilig zur Axe
seines Bauches steht, von Belang. Ist dieser Winkel kein rechter, so wird
der betreffende Muskel im Falle seiner Innervation den Bulbus, so weit
es die Widerstände erlauben, in eine Lage zu rollen suchen, in welcher
seine sämmtlichen Easei'bündel eine gleichmässige Spannung erhalten.
Wird bei totaler Liihimiug des Oculomotorius eine Senkung der Gesiclitsliiiie
inuervirt, so dreht sich das Centrum der Cornea unter der alleinigjen Wirkung des
oberen Schiefen nach unten aussen; mit dem Nachlasse dieser Innervation rollt
jedoch das Auge in die frühere Stellung zurück , indem einerseits die elastische
Spaunung der gelähmten Muskehr und der verschiedenen Scheiden zur Geltung
kömmt, andererseits der äussere Gerade die ungleiche Dehnung seiner Faserbündel
auszugleichen strebt.
Es ist nach allem dem klar, dass die Stellung, aus ivelcher das Auge
in eine andere übergehen soll, in Bezug auf die erforderlichen relativen
Kraftaufwände sowohl der activ betheiligten als der blos steuernden Muskeln
massgebend sei ; daher es nothwendig ist, sich vorerst über eine gewisse
Primärstellung zu verständigen. Als solche wird jetzt fast allgemein die
zur Medianebene parallele Horizoutalrichtung der Gesichtslinien bei senk-
recht gelagei'ter verticaler Kopfaxe angenommen.
Die Medianebene ist eine Ebene, welche durch die verticale Kopfaxe und
die Mitte der Grundlinie gelegt gedacht wird. Die Grundlinie aber ist die die Dreh-
punkte beider Augen verbindende Gerade. Eine durch die Grundlinie und den
binocularen Fixirpunkt, also auch durch beide Gesichtslinien gelegte Ebene heisst
Visirehene, und die Schnittlinie derselben mit der Medianebene wird Medianlinie
genannt.
Wird der Blick hei stets parallel gedaghten Gesichtslinien aus der Primär-
stellung geraden Weges in eine beliebige andere „secundäre'' gewendet, so
geschieht dies vermittelst einer Drehung um eine einzige Axe, welche senk-
recht auf der ersten und zweiten SteUung der Gesichtslinie, also auch
senkrecht auf der von ihren Endpunkten zurückgelegten, geradehnig ge-
dachten Bahn steht ; mit anderen Worten, es verändert die Netzhaut ihre
Lage nach einer einzigen Hichtung, erleidet also nebenbei nicht etwa eine
sogenannte Raddrehung, d. i. eine EoUung um die GesichtsUnie. Dasselbe
geschieht, wenn das Auge aus der Secundärstellung geradenwegs in die
primäre oder in eine andere secundäre übergeht, welche letztere jedoch in
der Richtung der primären gelegen ist, wenn z. B. das Auge von aussen
oben nach innen unten gewendet wird. Anders verhält sich aber die Sache,
wenn das Auge eine secundäre Stellung in gerader Linie mit einer anderen
55*
868 Aiigeinnuskeln; Physiologie ; Listing's Gesetz; Projeofionsverhältnisse.
vertauscht, welche nicht in der Richtung der primären liegt, wenn der
Blick z. B. von aussen oben nach aussen unten wechselt. Eine solche
Bewegung erfolgt nicht um eine einzige Axe, sondern um eine Unzahl augenblick-
licher Axen, die Netzhaut neigt sich nicht in einer einzigen Richtung dem neuen
Fixirpunkte zu, sondern erleidet auf dem Wege nebenbei eine Raddrehung,
d. i. eine Rollung um die Gesichtslinie, um schliesslich jedoch wieder die-
selbe Stellung zu nehmen, welche sie genommen hätte, wenn sie aus der
Primärstellung in die dermalige secundäre gelangt wäre (Listing).
Um Irrungen vorzubeugen, ist es dringend nothwendig, die Stellungen der
Netzhaut und die Projeclionsvei-hältnisse objectiver Bilder oder künstlich erzeugter
Nachbilder strenge auseinander zu halten. Denkt mau sich das Auge iu der Primär-
stellung auf eine lothrecht zur Gesichtslinie stehende ebene Wand gerichtet und
auf letzterer einen kleinen Strahlenstern verzeichnet, durch dessen Centrum die
Gesichtslinie hindurchgeht, so wird jeder Strahl auf einem bestimmten Netzhaut-
raeridiane abgebildet werden. Erzeugt man sich nun von diesem Sterne ein Nach-
bild und bewegt man dann das Auge aus seiner Primärstellung in eine beliebige
secundäre Lage, so wird nur der in der Bahn des Blickes und der senkrecht darauf
stehende Strahl des Nachbildes seine ursprünglichen Relationen bewahren, alle an-
deren Strahlen erscheinen verschoben, unter geänderten gegenseitigen Winkelab-
ständen. Damit der Stern sich genau so präsentire, wie in der Primärstellung des
Auges, müsste die Projectioiisehene wieder normal auf die Gesichtslinie gestellt sein.
In Uebereinstimmung damit kann das in der Primärstellung des Auges erzeugte
Nachbild einer zum Horizonte lofhrechten Linie beim Uebergange in Secundärstellun-
gen nur dann lothrecht auf einer senkrechten ebenen Wand erscheinen, wenn der
Blick gerade nach oben oder unten, oder wagrecht nach den Seiten gewendet wird ;
in allen schrägen Bahnen muss es schief erscheinen, ohne dass damit eine Rollung
der Netzhaut ura die Gesichtslinie angedeutet würde, sondern einfach wegen der
veränderten Projectionsverhältnisse. Was aber von Nachbildern gilt, hat auch für
objective Bilder Geltung.
Es genügt für Drehungen der unverändert parallel bleibenden beiden
Gesichtslinien aus der Primärstellung gerade nach innen oder aussen und
zurück die Zusammenziehung Eines seitlichen Geraden, da die Bahn dieser
Muskeln während dieser Bewegung in der wagrechten Ebene bleibt.
Soll das Auge aus der Primärstellung gerade nach oben oder unten
und zurück bewegt werden, so bedarf es schon der Zusammenziehung Eines
Geraden und des gegenüberliegenden Schiefen, es muss der Rectus superior
und der Obliquus inferior, oder beziehungsweise der Rectus inferior wid
Obliquus superior bethätigt werden. Es weicht nämlich die Bahn des
oberen und unteren Geraden von der verticalen Meridianebene des in der
Primärstellung befindlichen Auges in einem nach hinten offenen Winkel
nasenwärts ab; daher ihre Zugwirkung von der lothrechten Ebene hinweg
nach innen gerichtet ist und ausserdem eine Raddrehung, d. i. eine Rollung
um die Gesichtsliuie, in sich schliesst. Die Innen- und Raddrehuug nun
kann nur durch den combinirten Zug je eines schiefen Muskels ausgeglichen
werden, und wird es in der Wirklichkeit mit einem kleinen XJebermasse,
iusoferne die verticalen Meridiane der Augen bei Blicl-hebungen nach oben
hin divergiren, bei Bliclcsenkungen nach oben hin convergiren.
Wird das Auge aus der Primärstellung in eine schräge Secundärstel-
lung und zurück gedreht, so müssen zwei nebeneinander liegende Gerade und
ein Schiefer wirken, welcher letztere die Raddrehuug und theilweise auch
die Innenwirkung des in Thätigkeit gesetzten oberen oder unteren Rectus
neutralisirt. Dabei macht sich das Uebergewicht des betreffenden Schiefen
in verstärktem Masse geltend, die Neigung der verticalen Meridiane wächst
Boweguiigsgi'sctzu ; Werhstd viiii Secuiidar.sti'lluii^^fU. 860
mit der Abweichung (]vy Hlickrichtung von der Mediaiicbcne und mit dem
Hcbung-swinkcl der Blickcbeue.
Um das Augu aus einer Secundävstellung in eine andere überzuführen,
welche nicht in d(>r Kichtung der primären liegt, reichen yanz ähnliche
Innervationen hin, wie w(ain es sich dai'um liandeltc;, die Primär Stellung
mit einer secundären zu vertauschen. Es genügt, einen Impuls auf Einen
seitlichen Geraden zu werfen und dessen Antagonisten abzuspannen, wenn
die beabsichtigte Drehung in der wagrechten Kichtung liegt. Es muss ein
oberer oder unterer Gerader mit dem entsjjr eckenden Obliquus contrahirt und
das Gegnerpaar derselben erschlafft werden, wenn die Bahn eine verticale
ist. Endlich bedai'f es der Bethätigung zweier nebeneinander liegender Ge-
rader tmd des associirten Schiefen bei Abspannung der drei bezüglichen
Antagonisten, wenn die Bahn eine schräge ist. Die mit diesen Excui'sio-
nen der Gesichtslinie verbundenen liaddrehungen sind nothwendige Folgen
der veränderten Bedingungen, unter welchen die betreffenden Muskeln wir-
ken, wenn sie die Gesichtslinie, statt aus der Primärstellung, aus einer
secundären in eine andere und zurückzuführen haben, und bringen die
sämmtlichen Muskeln des Auges genau wieder in dasselbe relative Spannungs-
verhältniss, in welchem sie sich befänden, wenn das Auge aus der Pri-
märstellung in die bezügliche Secundärstellung auf geradem Wege gebracht
worden wäre, geben folgerecht also auch den einzelnen Meridianen der
Netzhaut genau dieselbe relative Lage zur Medianebene, welche sie einnäh-
men, wenn die Drehung direct aus der primären in jene Secundärstellung
geschehen wäre {Hering).
Würde z. B. die Gesichtsliuie ans der Pnmärstellung in der Diagonale nach
oben und innen oder nach unten und aussen bewegt, so geschähe dies um eine
senkrecht auf diese Bahn, also von aussen oben nach innen unten streichende Axe.
Der verticale Meridian der Netzhaut würde dann nach oben mit der Medianebene
divergiren und der horizontale Netzhautmeridian mit seiner äusseren Hälfte tiefer
als mit seiner inneren Hälfte stehen. Sollte nun dieselbe Bewegung dadurch zu
Stande gebracht werden, dass die Gesichtslinie vorerst um eine horizontale Axe
geradeaus in dieselbe Höhe gehoben und dann um eine verticale Axe in dieselbe
Breite abgelenkt wird, so würde otl'enbar der verticale Netzhautmeridian parallel
der Medianebene bleiben, das Auge also eine ganz andere Stellung einnehmen, als
wenn es aus der primären Stellung in dieselbe secundäre Stellung geraden Weges
gelangt wäre. Es ist also nebenbei eine Raddrehung um die Gesichtslinie noth-
wendig, um dem verticalen Meridiane die Neigung nach oben aussen zu geben und
die gleiche Orientirung der Netzhaut zu bewerkstelligen.
Diese Raddrehung nun bedarf nicht einer eigenen Innervation, sie ist schon
in den veränderten Zugbahnen der einzelnen bethätigten Muskeln enthalten. Wurde
die Gesichtslinie zuerst durch Zusammenwirken des oberen Geraden und des steuernden
Obliquus inferior gehoben und wird nun der Internus innervirt, so zieht derselbe nicht
mehr blos in horizontaler Richtung ; sein Ansatzpunkt ist auch gehoben und sein
Bauch bildet mit der Gesichtslinie einen anderen Winkel, seine Spannung muss
darum eine loeitere Hebung der inneren, also Senkung der äusseren Hälfte des hori-
zontalen Netzhautmeridianes und damit eine Rollung um die Gesichtslinie veranlas-
sen, kann also die Netzhaut genau so orientiren, wie dies bei der Drehung aus
der Primärstellung in die bezügliche secundäre der Fall ist. Was nun aber vom
Internus bei gehobener Gesichtslinie gilt, gilt auch vom Externus bei gesenkter Ge-
sichtslinie und von den hebenden und senkenden Muskelpaaren bei seitwärts gewen-
deter Gesichtslinie. In Bezug auf die letzteren muss man sich aber vor Augen
halten, dass, wenn die Gesichtslinie aus der durch ihre Primärstellung gelegten
lothrechten Ebene nach innen abweicht, der Winkel ivächst, welchen sie mit der
Zugbahn des oberen und unteren Geraden einschliesst, während sie sich der Bahn
der beiden Schiefen nähert. Es muss daher die Rollwirkung der ersteren verhält-
nissmässig zu, jene der Obliqui abnehmen ; dagegen die Hebewirkung der ersteren
370 Augenmuskeln; Physiologie; Convergenzstellungen ; Inuervationsvorhältnisse.
kleiner, jene der Obliqni grösser werden. Rückt aber die Gesichtslinie nach aussen
von jener Verticalebene, so muss, da sie sich der Bahn des oberen und unteren
Geraden nähert und von der Bahn der Obliqui entfernt, gerade umgekehrt die EoU-
wirkung der beiden genannten Recti sieh verkleinern und jene der Obliqui sich
vergrössern, die Hebeioirkunff der ersteren im Gegentheile steigen und jene der
Obliqui fallen. Bleibt dann das Kraftverhültniss, mit welchem je ein oberer oder
unterer Gerader und der ihm associirte Schiefe bei der primären und bei den loth-
und wagrecht davon abweichenden Secundärstellungen sich gegenseitig steuern, das
gleiche, auch wenn die Gesichtslinie aus einer Secundär Stellung in eine andere über-
geht, welche nicht in der Richtung der primären liegt: so müssen Raddrehungen
eintreten. Umgekehrt ist die Nachweisbarkeit derselben aber auch wieder ein Beweis-
grund für die Unveränderlichkeit der Steuerungsverhältnisse, also für die Gleichheit
der bezüglichen Innervationen und damit für die grosse Einfachheit der die Augen-
bewegungen als Ganzes beherrschenden Impulscombinationen (Hering).
Es ist wichtig zu bemerken, dass die meisten Bewegungen der Augen bei
parallelen Gesichtslinien als ein Wechsel zwischen Sectindä7-stellungen aufzufassen
sind, also Itaddrehungen und folgerecht den Bestand der schiefen Muskeln noth-
wendig machen. In der That genügten die vier Geraden vollkommen, um die Ge-
sichtslinien beider Augen auf jeden beliebigen Punkt des Blickraumes hinzulenken,
keineswegs aber um beiden Netzhäuten in jeder beliebigen Stellung der Augen eine
bestimmte gesetzmässige Orientirung zu geben.
Bei Convergenzstellungen ist die Orientirung der Netzhäute eine an-
dere, als bei gleicher Blickrichtung mit parallelen Gesichtslinien ; dieselben
fordern darum auch das Zusammenwirken theilweise verschiedener Muskeln.
Im Allgemeinen erleiden die verticalen Meridiane der Bulbi bei symme-
trischen Convergenzstellungen der Gesichtslinien eine Raddrehung in der
Bahn des unteren Schiefen, so zwar, dass ihre oberen Enden bei gehobener
Visirebene mehr divergiren und bei gesenkter Blickebene weniger convergi-
ren, als dies bei parallelen Gesichtslinien und gleicher Lage der Blickebene
der Fall ist. Der sich ergebende Differenzwinkel wächst mit der Abwei-
chung der Blickebene von der horizontalen Lage und mit der Abweichung
der Blickrichtung von der Medianebene (Hering).
Dass diese Desorientirung der Netzhäute nicht zu Störungen des binoculären
Einfachsehens führt, findet seinen Grund darin, dass Hebungen und Senkungen der
Blickebene und Veränderungen der Blickrichtung nur innerhalb sehr enger Gren-
zen durch die augenbewegeuden Muskeln ausgeführt, zumeist aber durch Bewe-
gungen des Kopfes überflüssig gemacht werden , und dass kleine Abweichungen
in der Netzhautorientirung durch ivillkürliche corrective Rollbewegungen leicht aus-
geglichen werden können.
Die Innervationen, welche die einzelnen Augenbewegungen anregen,
sind stets und unwandelbar doppelseitig, jeder Impuls, welcher auf den Be-
wegungsapparat des einen Auges geworfen wird, löst in der Norm ent-
sprechende Muskelthätigkeiten am anderen Avige aus, und dies zwar in der
Weise , dass beide Netzhäute in einem gewissen Sinne beim binoculären
Sehacte zusammenwirken können. Insoferne lassen sich auch beide Bulbi
als ein einheitliches Organ in der Bedeutung eines Doppelauges betrachten.
In Uebereinstimmung damit können die zwölf Augenmuskeln in
Rechts- und Linkswender, in Heber und Senker, in Ab- und Adductoren un-
terschieden werden, wobei selbstverständlich jeder einzelne Muskel in
verschiedenen Gruppen eine Rolle zu spielen bex'ufen ist. Als Rechts- und
Linkswender wirken je ein innerer und äusserer Gerader zusammen. Bei
der Senkung der Blickebene concurriren beide Recti inferiores und mit
einem kleinen Uebergewichte die beiden oberen Schiefen. Dabei macht
sich stets eine Neigung zur Convergenz der Gesichtsünien und bei Nicht-
kurzsichtigen wahrscheinlich auch eine accommodative Erhöhung des Re-
Willkürliche Coorilinaliimsbewe^tiiigen ; Bliikrichtuiigeti ; liiimciil. lilickraiiiii. 871
fractionszustandes geltend. Cxleichzeitig senkt sicli uuter der Wirkung der
oberen Hälfte des Orbicularis palpebrarum der obere Liddcckel in entspre-
chendem Masse herab. Als Heber der IJlickebene functioniren beiderseits
der ßectus superior mit dem Obliquns inferior, welchen sich der Levator
palpebrae superioris eoordinirt, während gleichzeitig etwaige Convergenz-
bestrebungen und Accommodationsthätigkeiten vermindert werden. Behufs
der Convergenzbewegungen wirken beide Interni zusammen, wobei gleichzeitig
die unteren Schiefen in Thätigkeit gerathen und ausserdem der Accommo-
dationsmuskel mit dem Sphincter pupillae in Thätigkeit gesetzt wird. Bei
den Divergeuzhev;egungen, d. i. bei den die Zurückführung der Gesichts-
linien aus der Convergenz in den Parallelismus bezweckenden Augen-
bewegungen coordiniren sich beide Externi und vielleicht auch die oberen
Schiefen, während der Accommodationsmuskel und Pupillenschliesser sich
entspannen.
Jede dieser Coordinationsbewegungen wird durch einen besonderen
einheitlichen Nervenimpids ausgelöst und erfolgt unter allen Umständen in
derselben gesetzmässigen Weise, ohne dass jedoch willkürliche Veränderun-
gen in dem relativen Kraftaufwande der einzelnen betheiligten Muskeln
ganz ausgeschlossen sind. Durch fortgesetzte Uebung lassen sich die Gren-
zen für solche Correctionen ansehnlich erweitern (relative Accommoda-
tions- und Convergenzbreite S. 768); ja es wird sogar möglich, kleine
Divergenzen der Gesichtslinien und selbst Raddrehungen (Hering^ Nagel,
Williams) beziehungsweise ohne Zuhilfenahme zwingender Prismen aufzu-
bringen, während sonst die ganze Thätigkeit des augenbewegenden Apparates
auf Convergenz- und Parallelstellungen der Gesichtslinien gerichtet und
die isolirte Innervation der beiden Schiefen ausgeschlossen ist.
In Uebereinstimmung mit den oben erörterten Drehungsgesetzen ist
die Zahl der möglichen Bewegungsimpulse eine ausnehmend beschränkte,
dieselben sind auf Eechts- und Linkswendung, auf Hebung und Senkung
der Blickebene, so wie auf Ad- und Abduction der Gesichtslinien gerich-
tet. Durch Combination von zwei oder höchstens von drei solchen Impulsen,
welche möglicher Weise zum Theile einen und denselben Muskel treffen
können, ist jede beliebige Blickrichtung, Blickhöhe und Convergenzstelluug
zu erzielen. So z. B. würde die Betrachtung eines nach unten und seit-
wärts in kurzer Distanz gelegenen Objectes die Innervation der Blicksen-
ker, der Rechts- oder Linkswender und der Convergenzmuskeln erfordern.
Im Ganzen sind comftwir'^e Coordinationsbewegungen schwieriger aus-
zuführen und innerhalb engere Grenzen gebannt. So ist der Blickraum,
für das binoculäre Einfachsehen viel kleiner, als der Spielraum für die Be-
wegungen der einzelnen Gesichtslinien, mit anderen Worten, die Gesichts-
linicn jedes einzelnen Auges können auf Punkte gelenkt werden , auf
welche die andere Gesichtslinie nicht zu folgen vermag, daher wegen fal-
scher (3rientirung beider Netzhäute Dojypelsehen resultirt. Noch enger
werden die Grenzen des binociilären Blickraumes, wenn es sich gleichzeitig
auch um das Einfachsehen nahe gelegener Objecte, also um Convergenzstel-
lungen handelt. In der That kömmt es rasch zur Desorientirung der
Netzhaut, wenn bei Fixation naher Objecte die Visirebene nur einiger-
massen höher gehoben oder der Blick stärker zur Seite gerückt, oder wenn
gar eine Hebung und Seitwärtswendung der Blicklinie mit Convergenz-
372 Augenmuskeln; Physiologie; Willküi-liche Coordinationsbewegungen.
Stellungen verknüpft werden soll. Es sind dies Verhältnisse, welche sich
in der Symptomatologie der Motilitätsstörungen überaus fühlbar machen
und bei der Beurtheilung der letzteren in Rechnung gebracht werden
müssen.
Die Convergenzbewegungen fehlen dem neugebornen Kinde, die Thätig-
keit der Augenmuskeln beschränkt sich bei diesem auf einen lebhaften
Wechsel der Blickrichtungen. Die Fixation von Objecten ist nämlich ein
sehr zusammengesetzter Act, bei welchem neben der Convergenz die
Accoramodation und Blickrichtung concurriren. Sie erfolgt immer nur
behufs eines bewussten Zweckes, nämlich um von Gegenständen der Auf-
merksamkeit möglichst scharfe und deutliche Wahrnehmungen und damit
die Prämissen für weitere Schlüsse auf die Beziehungen der Objecte zum
Subjecte zu gewinnen. Sie setzt also einerseits ein gewisses Interesse an
dem Gegenstande, andererseits aber auch ein Urtheil über das Quäle der
bisher vom Objecte erhaltenen Eindrücke voraus; denn nur unter der
Bedingung , dass das Ungenügende des Eindruckes bei falscher Fixation
erkannt und richtig beurtheilt wird, lässt sich das Mangelnde durch ent-
sprechende willkürliche Muskelthätigkeiten ergänzen. Der Corrections-
massstab für die Blickrichtung und die Convergenz liegt in der von der
Peripherie gegen das Centrum der Netzhaut hin wachsenden Sehschärfe
und in der relativen Lage der Doppelbilder, welche bei falscher Fixation
nothwendig hervortreten müssen. Für die damit coordinirte Accommodation
aber liegt der Correctionsmassstab in der mangelhaften Schärfe der wahr-
genommenen Bilder. Es fordert dieser ein viel feineres Urtheil als jener,
da mangelhafte Schärfe die Deutlichkeit der Bilder weit weniger stört,
als deren Verdoppelung.
Die auf Veränderung der Blickrichtung zielenden Coordinationsbewe-
gungen gehen schon am neugeborenen, ja am blindgeborenen Kinde sym-
metrisch und gesetzmässig von Statten. Diese Gesetzmässigkeit dauert
auch zeitlebens an, selbst wenn die Blindheit fortbesteht. Sie wird bis
zu einem gewissen Grade sogar im Nystagmus festgehalten, indem die den
letzteren charakterisirenden Bewegungen stets in der Bahn der Rechts-
und Linkswender, oder abwechselnd in der Bahn der beiden oberen und
unteren Schiefen ausgeführt werden.
In Anbetracht dessen können die Blickricktungen und, wenn Analogie-
schlüsse erlaubt sind, auch die übrigen Coordinationsbewegungen der Augen
nicht wohl etwas Angelerntes sein, sondern müssen in den Organisations-
verhältnissen des Gehirnes wurzeln. Man ist also zur Annahme gewisser
Coordinationscentra gedrängt, welche irgendwie angeregt, ihren Reizzustand
auf eine bestimmte Summe von Nervenursprüngen übertragen und im Aus-
strahlungsgebiete der davon abgehenden motorischen Nerven Muskelcontrac-
tionen auslösen, deren Summe eine bestimmte einheitliche Bewegung liefert.
Diese Bewegung ist dann selbstverständlich die Resultirende der relativen
Kraftaufwände der einzelnen Muskeln und die absolute Kraft, mit welcher
sie erfolgt, von der Intensität des Erregungszustandes abhängig, in welchen
das Coordinationscentrum durch den betreffenden Nervenreiz versetzt wor-
den ist.
Die Nothwendigkeit der Existenz solcher Coordinationscentra ergibt sich mit
besonderer Klarheit aus der wunderbaren Fertigkeit, mit welcher kaum geborene
Junge bestimmter Thierklassen gewisse, im Kampfe um das Dasein unerlässliche,
Coordiiialionscentra; deren Lage. 873
oft sehr complicirte Bewegungen ohne vorausgängige Uebungen und in jeder Tliier-
art nach einem bestimmten Typus vollführen. Man erinnere sieh nur der über-
raschenden Gelenkigkeit, welche die sich selbst überlassenen Jungen der Wirbel-
losen und der kaltblütigen Wirbclthiere in dem Augenblicke zeigen , als sie das
Ei verlassen. Man erinnere sich weiter an die Fähigkeit der Nestflüchter unter
den Vögeln, der Wiederkäuer, Einhufer etc. unter den Säugethiereu, alsbald nach
der Geburt sich zu erheben, zu gehen, zu laufen, zu schwimmen u. s. w.
Für die Existenz bestimmter Coordinationscentva spricht ferner das
Vorkommen relativer Lähmungen, bei welchen einzelne willkürliche oder
reflectorische Coordinationsbewegungen ihrer Totalität nach völlig nnaus-
führbar geworden sind, während andere Coordinationsbewegungen, bei welchen
zum Theile dieselben Muskeln und daher auch dieselben motorischen Nerven
activ betheiligt sind, mit ganz normaler absoluter Energie, also auch mii
normalen relativen Kraftaufwänden der einzelnen Muskeln von Statten gehen.
Es liegen diese Coordinationscentra für die Augenbeweyungen laut den
Ergebnissen physiologischer Experimente vorzugsv/eise in der Vier hügelreg ion
des Gehirnes und für den Blendungs- und Accommodationsapparat des Auges
im Ciliarlcnoten und in den intraocularen Ganglien (ß. 9, 7(i7). Die Erregungen
der ersteren lösen immer symmetrische Bewegungen beider Augen aus und
zwar regirt im Allgemeinen die rechte Hälfte der Viei'hügel die Bewe-
gungen beider Augen nach links und die Unke Hälfte die Bewegungen
beider Augen nach rechts. Durch die Reizung verschiedener Punkte jeder
Hälfte kann man mannigfache Bewegungen hervorrufen, aber immer mit
beiden Augen zu gleicher Zeit und in derselben Richtung. Wird länger ge-
reizt, so dreht sich auch der Kopf nach derselben 8eite wie die Augen.
Wird durch eine tiefe Incision eine Trennung beider Hälften der Corpora
quadrigemina in der Mittellinie herbeigeführt, so beschränkt sich die Be-
wegung nur auf die Seite der Reizung (Adamük).
Stehen die Augen vor der Reizung divergirend etwas nach unten, Avie dies
bei Thieren im Ruhezustande zu sein pflegt, und wird die Mitte des Vordertheiles
der genannten Hügel, d. i. bei der Commissura posterior gereizt, so stellen sich
die Augenaxeu sogleich parallel. Wird die Reizung in der Mitte zwischen den
vorderen Hügeln mehr nach hinten gemacht, so erfolgt Bewegung heider Augen
nach oben mit Erweiterung der Pupille. Diese Bewegung nach oben geht um so
mehr in eine convergente über, je mehr nach hinten die Reizung stattfindet. Wird
der hintere untere Theil der vorderen Hügel gereizt, oder erstreckt sich gar die
Reizung auf den Boden des Aqaeductua Sylvii, so bekömmt man starke Convergenz
mit Neigung nach unten und mit Verengerung der Pupille. Die Reizung der freien
Oberfläche eines jeden Vorderhügels gibt die Bewegung beider Augen nach der
entgegengesetzten Seite und nebenbei , es möge links oder rechts gereizt werden,
um so mehr nach oben., je näher der Mittellinie, nach unten dagegen, je mehr nach
aussen von der Mittellinie das Irritament wirkt. Bei allen diesen Bewegungen
bleibt die Pupille unverändert. Die Blicksenkung mit parallelen Axen hat wahr-
scheinlich ihr Centrum auf der Basis der Hügel. Die gleichzeitige Reizung der beiden
vorderen Hügel ruft Bewegungen hervor, wie sie beim Nystagmus beobachtet
werden. Eine Divergenz der Augenaxen, oder eine isolirte Bewegung eines einzelnen
Auges durch Reizung der unverletzten Hügel hervorzurufen, gelingt nur nach
Trennung der Hügel durch eine tiefe Incision in der Richtung der Mittellinie, oder
nach Durchschneidung eines motorischen Augennerven. Nach Trennung des Ocidomo-
torius zeigt sich immer starke Mydriasis, welche weder durch Reizung der Vier-
hügel, noch des Trigeminusstammes aufgehoben werden kann. Die Reizung der
hinteren Hügel, besonders in der Mitte, gibt sehr starke Bewegungen des narko-
tisirten Thieres mit grosser Erweiterung der Pupille und schreckhaftem Ausdrucke
der Physiognomie (Adamük). Praktischen Erfahrungen am Krankenbette folgend
(S. 257) dürften auch im Streifenhügel Coordinationscentra für seitliche Blickrichtungen
gelegen sein.
874 Augen imiskelu; Physiologie; Ortssinn des Doppelauges; Beurtheilung d. ObjectricMung.
Es sind die Ooordinationscentra zum Theile reflectorischer Art und
werden von dem optischen Nerven oder von den sensiblen Fasern des Tri-
geminus, mit welchem sie durch centrale Fäden in Verbindung stehen,
angeregt. Diese Innervationen und die durch sie vermittelten Bewegungen
erfolgen unwillkürlich, ohne Bewusstsein, geben darum auch keine Praemissen
für die Beurtheilung der jeweiligen Stellung der Augen ab. Man hat
solche Reflexcentra in der inneren Hälfte des vorderen Vierhüyelpaares
nachgewiesen (Flourens, Budge). Ausserdem gehören hierher der Ciliar-
knoten mit den intraocularen Ganglien (S. 9).
Die Centra der willkürlichen Coordinationsbewegungen stehen zweifeis-
ohne mit der Gehirnrinde als dem Sitze der geistigen Thätigkeiten und dem
Ausgangspunkte der Willensimpulse durch centrale Nervenfasern in Verbindung.
Ihre Erregung ist eine willkürliche, hewusste und dieses Bewusstsein involvirt
jenes der eingeleiteten Bewegung, also auch der durch letztere herbeigeführten
relativen Stellung der Augen zum Körper und mittelbar zur Aussenwelt. Es
bedarf liierzu keineswegs einer Kette von Verstandesoperationeu, sondern
das Bewusstsein der durch einen Willküract herbeigeführten Bewegung
haftet an dem Begriffe der Willkür selber, welche letztere ein allgemeines
Attribut des Thierleibes ist und dem entsprechend als eine Geistesthätig-
keit der primitivsten Art aufgefasst werden muss. Es hat eben das Be-
wusstsein mit den einzelnen Muskeln und deren Sonderwirkungen gar
nichts zu schaffen, sondern betrifft lediglich nur die Art und die Grösse
der willkürlich aufgewendeten Innervation. Das Urtheil über die durch
eine bestimmte willkürliche Innervation herbeigeführte Bewegung und neue
Stellung kann im Einklänge damit nur dann ein richtiges sein, wenn
die Leistung der betreffenden Muskeln der Art und Grösse der willkür-
lichen Innervation entspricht; es wird dagegen ein falsches, die hewusste
Stellung weicht in dem Masse von der wirklichen ab, in welchem die
Leistung der Muskeln qualitativ und quantitativ von der durch willkür-
liche Innervation beabsichtigten Wirkung differirt.
Dieses Bewusstsein der jeweilig aufgewendeten willkürlichen Inner-
vationen ist nun die eine der Grundbedingungen des Ortsinnes des Doppel-
auges, in so ferne es das Bewusstsein der Gesammtlage der Netzhäute und
des Äccommodationszustandes in sich schliesst. Die andere Grundbedingung
Liegt in den Organisationsverhältnissen der Eetina und in dem relativen
Localisationsvermögen der lichtempfindenden Elemente. Die letzteren ver-
setzen ihre Eindrücke nämlich vermöge einer ihnen von Natur aus inne-
wohnenden functionellen Energie stets in eine Kichtung, welche durch die
Verlängerung ihrer eigenen Axe gegeben ist, unter normalen Verhältnissen,
d. i. bei der natürlichen Lage der Stäbe und Zapfen, durch den Kreu-
zungspunkt der Richtungslinien geht und ausserdem durch die Lage und den
Winkelweith des Bogens bestimmt wird, welcher das betreffende Element
mit dem Centrum der Netzhaut vei'bindet. Das relative Localisationsver-
mögen der Netzhautelemente bezieht sich darum lediglich auf Punkte im
Auge selbst und wird im Allgemeinen durch die Richtungslinien präsentirt.
Die richtige Projection dieser Eindrücke in den absoluten Raum nach Aussen
setzt das Bewusstsein der jeweiligen Lage dieser Punkte und der relativen
Stellung der einzelnen i^7eme«<e der Netzhaut zwm Centrum derselben, also das
Bewusstsein der Blickrichtung und der Meridianlage der Netzhaut, ferner das
Bewusstsein der Convergenzstellung und des Äccommodationszustandes voraus.
Sehrichtungen; Ijocalisatiousvermögeii lel. il. Netzhaut ; Ideut. Punkte ü. Deckstellen. 875
Die bewusste Richtung des gemeinsamen Blickes, oder die Blickrichtung,
ist die Richtung, in welcher der fixirte Ohjectpunkt gesehen wird. Man
nennt sie darum auch die directe oder die Hauptsehrichtang. Sic wird
durch eine Linie repriisentirt, welche vom Scheitel des Convergenzwinkels
oder vom fixirten Objectpunkte zur Mitte der Grundlinie gezogen gedacht
wird. Diese Linie ist es, welche bei willkürlichen Blickrichtungen unmittel-
bar zum Bewusstsein kömmt, nicht die Richtung der Gesichtslinie jedes ein-
zelnen Auges für sich, da die Innervation des Bewegungsapparates beider
Augen von ei7iem und demselben Coordinationscentrum ausgeht.
Wäre (Fig. 104) l v die Orundlinie , m n die Medianlinie und wäreu o, e, h
Objectpunkte im Räume , so würden o n, e n, h n die Blicklinieii sein. Für ein in
der Verlängerung von 2^2^ i" unend-
licher Entfernung gelegenes Object •*"'&• ^O"*^-
wäre offenbar m n die Blicklinie. Mau
sieht, dass die Blickliuie den Conver-
genzwinkel nur in dem Falle halbivt,
als das tixirte Object in der Median-
ebene liegt.
Das Bewusstsein der Meridian-
lage der Netzhaut im A^ereine mit
dem relativen Localisationsvermögen
der lichtempfindenden Elemente be-
stimmt die Richtung, in welcher
die excentrischen Eindrücke nach
aussen projicirt werden, mit anderen
Worten die Richtung, in welcher
die Bilder excentrisch gelagerter Ob-
jecte um den Fixirpunkt herum ange-
ordnet erscheinen. Insonderheit er-
scheint alles, was auf den verticaleri
Trennungslinien oder den Längsmittelschnitten der beiden Netzhäute abgebildet
wird, in einer durch die Blicklinie gelegten, zur Visirebene senkrechten Ebene ;
alles was auf den horizontalen Trennungslinien oder Quermittelschnitten der beiden
Netzhäute abgebildet wird, in der Visirebene selbst. Die Bilder jedes
anderen beliebigen Meridianpaares liegen auf einer durch die Blicklinie ge-
legten Schnittebene des Sehraumes, deren Neigung zur Visirebene abhängt
von dem Winkel, welchen die bezüglichen Netzhautmeridiane je mit der
zugehörigen horizontalen Trennungslinie einschliessen. Man kann dem-
nach sagen, dass jeder durch die Blicklinie gelegten Schnittebene des sub-
jectiven Sehraumes ein bestimmtes „identisches Meridianpaar" und umge-
kehrt entspricht. Was nun von den einzelnen Meridianpaaren gilt, gilt
auch von je zwei correspondirenden oder identischen Punkten derselben, den
sogenannten Deckstellen der beiden Netzhäute. Es kömmt diesen ebenfalls
eine gemeinsame indirecte oder Nebensehrichtung zu und zwar wird deren Lage
zur Hauptsehrichtung ganz analog durch den Bogen bestimmt, unter welchem
die beiden Deckstellen je von der bezüglichen NetzhautmiYie abweichen.
Man kann das „Gesetz der identischen SehricJitungen" also dahin formuliren,
dass alles, was auf correspondirenden Stellen beider Netzhäute abgebildet
wird, auch in gleicher Richtung gesehen wird (Hering).
Die vei-ticalen und horizontalen Trennungslinien der beiden Netzhäute fallen
im Allgemeinen nahe mit Schnitten zusammen, welche bei der P»'imä?-stellung des
376 Augenmuskeln; Physiologie; Wettstreit; Localisationsverhältn. bei unbewussten Beweggn.
Auges in loth- und wa(jrechtev Richtung durch die Mittelpunkte der Netzhäute geführt
zu denken sind. Doch ist dies eben nicht ganz genau, indem fast durchwegs kleine
Abweichungen nachzuweisen sind (EeckUnghausen, Hering, Volkmann). Man thut daher
gut, die Definition gleichsam umzukehren und als Längs- oder Quermittelschnitte ]en&
Meridiane zu bezeichnen, welche ihre gevieinsame Sehrichtung in der Visirebene und
beziehungsweise in einer darauf senkrechten Ebene haben.
Ueberhaupt muss man wohl im Auge behalten, dass diese Projectionen,
soweit sie mit dem Innervationsbeicusstsein zusammenhängen und nicht aus dem
relativen Localisationsvermögen der Netzhautelemente fliessen , eigentlich blos
facultative seien und das Bewusstsein der unter gewöhnlichen Verhältnissen nur
innerhalb enger Grenzen variablen Meridianlage der Retina zum Ausdrucke bringen;
dass unter gewissen Umständen auch excentrische Punkte der Netzhaut und von den
Längsmittelschnitten beträchtlich abweichende Meridiane ihre Eindrücke in die
Haviitsehrichtung imd beziehungsweise in die Medianebene projiciren können,
vorausgesetzt, dass die Lage dieser Punkte und Meridiane eine bewusste ist. Die
Belege dafür liefert das Localisationsvermögen des abgelenkten Auges bei reinem
convergirenden Schielen (S. dieses). Doch geht unt^r solchen Verhältnissen der
binoculare Sehact vmd die directe Tiefenwahrnehmung verloren.
Täuscht mau sich übei" die Lage der Netzhaut uus irgend welchem
Grunde, so werden dennoch die Eindrücke je zweier correspondirender Punkte
beider Netzhäute in derselben Richtung nach aussen versetzt, obgleich sie
von ganz verschiedenen Objecten herrühren. Wenn dann in einer und der-
selben Richtung nicht gleichzeitig beide Bilder des betreffenden Deckstel-
lenpaares gesehen werden, so hat dieses seinen Grund in dem Wettstreite
der Netzhäute im Ganzen und der einzelnen coi'respondirenden Punkte im
Besonderen, wodurch es geschieht, dass immer nur dasjenige Bild zum
Bewusstsein kömmt, welches durch Farbe, scharfe Umrisse, grelle Contra-
stirung gegen die Umgebung etc. oder vermöge der darauf gelenkten Auf-
merksamkeit mehr hervorsticht. Wo diese Momente für beide in ihrer
Lage correspondirenden Netzhautbildchen gleich iviegen, kann in der That
bald das eine, bald das andere in der gemeinsamen Sehrichtung auftau-
chen, oder ein Mischbild derselben gesehen werden (Hering),
Ein specielles Beispiel wird
^'^' ^*'^" das Verständniss erleichtern. Es
fixire das eine Auge bei aufrechter
Kopfstellung und horizontal ge-
lagerter Gesichtslinie einen in der
Medianebene m n (Fig. 105) gele-
genen Objectpunkt o. Die Gesichts-
linie des rechten Auges sei unbe-
wusst aus irgend einem Grunde
um den Winkel a oder o in hori-
zontaler Richtung nach links ab-
gelenkt, also auf die Objectpunkte
c oder b gerichtet. Es werden
dann die unter sich verschiedenen
Bilder der beiden Netzhautmitten in
die bewusste gemeinsame Sehrich-
tung o n versetzt, obgleich daselbst
nur der mit Bewusstsein fixirte
Objectpunkt o gesehen zu werden
pflegt. Damit ist selbstverständlich
das ganze monocul'dre Gesichtsfeld
des abgelenkten Auges um die
Winkel a oder o nach rechts- ge-
dreht. Kömmt nun das Bild von
o, welches jetzt auf einer excenlrischen Stelle der rechten Netzhaut entworfen wird,
unter der Form eines Trugbildes zur Wahrnehmung, indem es den Gesichtsein-
Lage der Trugbilder; Messung der Alilciikniig eines Auges.
877
druck der eiitsprechendeu Deckstelle der anderen Netzhaut üljcrtönt, so niuss es,
wenn a ^ ß und o = w ist, im Punkte d, beziehungsweise im Punkte e erscheinen.
Wäre die rechte Gesichtslinie bei heimisster Fixation von o um den Winkel ß oder
ti) nach rechts abgelenkt, also auf d, beziehungsweise e gerichtet, so müsste das inono-
culare Gesichtsfeld des rechten Auges um die gleichen Winkel a oder o nach links
gedreht, das Trugbild von o also in c, respective in b erscheinen.
Was nun von loagrechten Ablenkungen der einen Gesichtslinie gilt, gilt auch
von Ablenkungen in jeder beliebigen anderen Richtung und eben so auch von Ab-
weichungen der einzelnen Meridiane, z. B. in Folge von pathologischen Kaddrchun-
geu. Es wäre z. B. das rechte Auge A in der Primärstellung auf ein iceit ent-
ferntes Object gerichtet. Die verticale Trennungslinie a b (Fig. 100) der Netzhaut
stände also senkreclU auf der Grund-
linie. Im linken Auge B sei die *'S- '^*'-
verticale Trennungslinie in der
Bahn des unteren Schiefen um
den Winkel a nach links und
aussen gedreht worden , stände
also in der Richtung c d. Es wird
jetzt offenbar der Längsmittel-
schnitt der linken Netzhaut von
einer zu cd parallelen, oder besser
von dem Bilde einer Linie im
Sehraume getroifen werden, welche man erhält, wenn man durch c d eine Ebene
legt. Diese schräge Linie wird nun im Doppelauge C gemeinsam mit der von dem
linken Auge fixirten lothrechteu Objectlinie in die Medianebene inn versetzt und
das Trugbild der in der Wirklichkeit verticalen Objectlinie erscheint um den
Winkel ß = a nach rechts von der Medianlinie nach gh gedreht.
Die gegenseitige Lage der Doppelbilder, welciie von einem blos monocidär
richtig fixirten punktförmigen Objecte stammen, gibt ein treffliches Mittel an die
Hand, um die Ablenkung der anderen Gesicbtslinie nach Graden zu bestimmen, so
lange nicht erliebliche Meridiaudrehungen ins Spiel kommen. Die //o)-J7.'o?i<a/stellung
der Gesichtslinie des gesunden Auges und ein verticales Gesichtsfeld vorausgesetzt,
erhält man nämlich die Höhenabweiclmng, wenn man den Höhenabstand der Doppel-
bilder durch die Entfernung des Objectes von der allenfalls verlängerten Grundlinie
theilt. Der Quotient gibt die Tangente des gesuchten Winkels. Um die Breiten-
abtveichung der Gesichtslinie zu finden, muss vorerst der Winkel festgestellt werden,
welchen die Gesichtslinie bei richtiger Einstellung mit der Grundlinie einschliessen
würde und dann der Winkel, welchen sie mit letzterer factisch bildet. Die Differenz
beider ist der gesuchte Winkel. Behufs der Ermittelung der Tangente des Grund-
winkels bei lichtiger Fixation ist die Objectsdistanz durch die Summe oder be-
ziehungsweise Differenz der halben Grundlinie und des horizontalen Abstandes des
Objectmittelpimktes von der Medianebene zu dividiren. So wären z. B. die Tangenten
der Grundwinkel [j, |J. -f v, [j. -|- v -f o (Fig. 104. S. 875).
tang. [Ji
In "1- ob
; taug ([i. + v) = ^; tang. ([;.4-v + o) = -^.
Um die Tangente des Grundvviukels der abgelenkten Gesichtslinie zu finden, gelten
selbstverständlich ganz dieselben Formeln, doch ist statt dem horizontalen Ab-
stände des Objectes von der Medianebene jener des Trugbildes zu nehmen, also
in (Fig. 105. S. 876) von 6, c, f?, e je die Senkrechte nach g, h, k, i auf die ver-
längerte Grundlinie zu fällen.
Mau erleichtert sich die Arbeit bei den Messungen der Horizontalabstände
von Doppelbildern sehr, wenn man als Object einen schwarzen kreuzergrossen
runden Fleck benützt, welcher im Centrum eines grossen Blattes steifen weissen
Pappendeckels lagert, während darunter eine it-agrechte, nach beiden Seiten hin in
Zolle und Linien getheilte, zarte iS'caZo gezeichnet ist. Die Kranken sehen darauf meistens
auch das Doppelbild sehr deutlich und wissen es gut zu localisiren oder wenigstens
anzugeben, wenn ein darauf verschieblicher senkrechter Faden das Doppelbild
schneidet. Man braucht dann den Al:)stand des letzteren blos abzulesen. Handelt es
sich um Höhemverthe, so braucht die Tafel blos um einen rechten Winkel gestürzt
zu werden. Aus den o-ewonnenen Höhen- und Breitenwerthen lässt sich aber auch
jede schräge Ablenkung der Gesichtslinie berechnen.
878
Augenmuskeln; Physiologie: Messung äer Ablenkung eines Auges.
Erhehliche Meridiandrehungen müssen, wo sie g:eg'eben sind, eingerechnet
werden. Sie sind unter Voraussetziino^ der Horizontalstellung der Gesichtslinie des
gesunden Anges nnd eines verticalen Gesichtsfeldes (S. 868) nicht gar schwer zu
bestimmen. Es bedarf dann nnr einer verticalen Linie als Object, welche in die Median-
ehene gestellt wird. Das schräg erseheinende i'o2:'peZZ)?"Mprojicirt sich auf der Tafel und
gibt, daselbst markirt nnd bis zur Schneidung mit der Objectlinie verlängert, durch
eine höchst einfache Operation den Drelumgsii-inkel . Wird nämlich von einem Punkte
des Doppelbildes auf die Objectlinie eine Senkrechte gezogen, so ist deren Länge,
getheilt durch die Höhe des solchermassen geschlossenen rechtwinkeligen Dreieckes,
die Tangente.
}Jin Höhen- und Breitenahsfände der Doppelbilder, sowie eiw A\geyeigungen der-
selben direct ablesen zu können, dient ganz vortrefflich der Hering^sche Apparat. Es
ist dies eine ungefähr eine Quadratklafter messende schwarze Tafel, welche mittelst
Ringen vertical auf einer Wand aufgehängt wird. Am oberen und unteren Rande
derselben sind zwei in Centimeter oder halbe Zolle getheilte Stäbe in genau hori-
zontaler Riclitung befestigt. An diesen zwei Stäben laufen zwei andere ebenfalls
in Centimeter oder halbe Zolle getheilte senkrechte Stäbe, welche sich leicht von
einer Seite zur anderen bewegen lassen. Jeder dieser beiden senkrechten
Stäbe trägt eine in verticaler Richtung verschiebliche Hülse , an deren
Vorderseite als Gesichtsobject ein etwa 6" langer und 0*5" breiter Strei-
fen befestigt ist, dessen Mitte sich zu einer Scheibe von 1" Durchmesser aus-
weitet. Das eine dieser Objecte ist von weisser, das andere von rother Farbe und
beide sind um den Mittelpunkt ihrer Scheibe drehbar. Eine zweite mit der Hülse
fix verbiindene, in Grade abgetheilte, geschwärzte unbetregliche Scheibe, welche
einen etwas grösseren Durchmesser hat und von der gefärbten nur theilweise
gedeckt wird, lässt den Drehung swinkel der letzteren unmittelbar ablesen. Beim
Gebrauche ist nur darauf zu sehen, dass die Visirebene und die Medianlinie des
etwa 1 bis 2 Klafter entfernten Kranken genau senkrecht auf die Ebene der Tafel
zu stehen komme, während derselbe den Scheibenmittelpunkt des einen Objectes
fixirt. Das dem anderen Auge zugehörige Trugbild dieses Objectes wird nun an
irgend einem anderen Punkte der Tafel heraustreten. Gegen diesen Punkt nun ist
das eireite Object hin zu schieben, und so zu stellen, dass es von dem Trugbilde
nach allen Richtungen genau gedeckt wird. Die Höhen-, Breiten- iind Neigungs-
diflerenz, welche sich in der Stellung dieses zweiten Objectes gegenüber der des
fixirten zeigt, gibt nun genaia die Abweichung des abgelenkten Auges nach Höhe,
Breite und Meridianneigung, jedoch im entgegengesetzten Sinne.
Bei allen diesen Versuchen werden mit freiem Auge sehr schwer zu con-
trolirende Drehtingen des Kopfes um die horizontale und verticale Axe überaus
störend, so zwar, dass ein und dasselbe Experiment bei seinen Wiederholungen
immer wieder andere und zwar sehr ins Gewicht fallende Ergebnisse liefert. Um
diesen Unzukömmlichkeiten zu steuern,
^^' '■ würde allerdings der von Helmholtz an-
gegebene Apparat am besten taugen.
Doch in der Praxis ist dieses Instrument
nicht gut anwendbar, da man abgesehen
von allem Anderen dem Kranken niiht
gut zumuthen kann, in das Mundstück
zu beissen. Man muss sich daher mit
einem, allerdings etwas weniger ent-
sprechenden , doch für gröbere Unter-
suchungen vollkommen ausreichenden
Instrumente begnügen. Es ist dies
(Fig. 107) eine Art Diadem aus zartem
Messingbleche, welches sich nach hin-
ten mittelst einer Schnalle am Kopfe
befestigen lässt und wohl gefüttert ist.
In der Mitte läuft es nach unten^ in
einen kleinen Spitz aus, welcher genau
auf die Mitte der Nasenwurzel gestellt
wird. Gerade darüber ist eine verticale Stange befestigt, die eine in sagittaler
Richtung horizontal streichende Hülse trägt, in welcher ein steif a- gerader Stab
verschieblich ist. Am vorderen Ende der Hülse ist als Loth ein Faden befestigt,
Bf^uitlicilmiff (1. Distanz; Directe TictViiwalirnpliiiuiiii^ ; K'cinfliiche d. Schraumps. <S7v
welcher ein bis zur Höhe der Nasenspitze lierabhängeiides kleines Gewichtchen
trjip^t. Dieses Loth lässt durch seine La<^e zum Gesichte sogleich jede Neigimg des
Kopfes erkennen nnd corrigiren. Der Stab aber dient dazu , um sich über die
Lage der Medianebene zur Tafel zu vergewissern nnd diese nach Hedarf zu
reguliren. Zu diesem liehufe hat sich einer der Untersuchenden liinter den Kranken
zu stellen und mit einem Auge längs des Stabes gegen das fixirte Object hin zu
visiren.
Die dritte Grundbedingung zur Localisation der Netzhautbilder ist
das Bewusstsein der zur Fixation aufgewendeten ConvergenzsteUung. Mit
der DlicJcrichtung ist eben noch nicht der eigentliche Erscheinungsort, des
Fixationspunktes bestimmt, sondern es gehört dazu noch die richtige Ab-
schätzung der Entferming und für diese gibt eben das Bewusstseiu der
zur Fixation erfordei'lichen willkürlichen Convergenzinnervation und der
damit Terknüpften Accommodationsfhätigkeü die Prämissen. Doch ist dieses
Bewusstsein der Convergenz- und Accommodationsiiinervation ein minder
genauer Werthmesser, lässt leichter geinnge Täuschungen zu, wahrschein-
lich weil gleichen Differenzen in den Grundwinkeln der Gesichtslinien und
in den durch die Accommodation herbeigeführten Refractionszuständen um
so grössere Unterschiede in den Objectsdistanzen entsprechen, je grösser die
absolute Entfernung des Objectes vom Auge ist. Zur genauen Eeurthei-
lung der Objectsdistanz sind darum auch gewisse äussere Behelfe schwer
entbehrlich. Hieher gehören das Verhältniss der bekannten wirklichen
Objectsgrösse zur wahrgenommenen scheinbaren , die Luft- und Lieht-
perspective u. s. w.
Ist der Erscheinungsort des fixirten Objectspunktes festgestellt, so sind
es auch die Erscheinungsorte aller anderen, im gemeinschaftlichen Sehraume
beider Netzhäute gelegenen und auf diesen abgebildeten Dinge. Jener
bildet dann gleichsam den Mittel-punkt, uro. welchen sich die übrigen Er-
scheinungsorte im Räume nach unwandelbaren Gesetzen gi'uppireu. Es
haben nämlich correspondirende Stellen beider Netzhäute nicht nur eine
gemeinsame Sehrichtung, d. h. einen gemeinsamen Höhen- und B reiten w er th,
sondern auch einen ganz bestimmten Tiefenwerth. Nennt man den Erschei-
nungsort des Fixationspunktes den Kernpwild des Sehraumes und eine
durch denselben normal auf die Hauptsehrichtung gefällte Ebene die Kernfläche
des Sehraumes, so kann man sagen, dass allen nasenwärts von dem Längs-
mittelschnitte gelegenen Stellen beider Netzhäute eine positive, allen
schläfenivärts gelegenen eine negative Tiefenwahrnehraung zukomme, insoferne
erstere ihre Eindrücke jenseits, diese diesseits der Kernfläche in eine Ent-
fernung verlegen, welche proportional ist ihrem Breitenahstande, von der
verticalen Trennungslinie gerechnet, und der geschätzten Distanz des Kern-
punktes. Der Höhenahstand eines Netzhautbildchens ist ohne Einfluss auf
die T'/e/ejiwahrnehmung (Hering).
Es offenbart sich dieses Gesetz ganz rein in der scheinbaren Lage
von Trughildern, d. i. von Doppelbildern, welche beim gleichzeitigen
Sehen beider Augen nur von Einer Netzhaut ausgehen. Es erscheinen
nämlich gekreuzte Trugbilder stets vor, gleichseitige hinter der Kernfläche
des Sehraumes,
Bei hinocular einfach gesehenen Netzhautbildern ist die scheinbare
Entfernung von der Kernfläche proportional der Differenz ihrer Breitenabstände.
Demgemäss erscheint alles in der Kernfläche des Sehraumes, was auf cor-
respondirenden Stellen der beiden Netzhäute oder auch auf ungleich hohen,
880 Augenmuskeln; Physiologie; Gesetze d. Tiefenwalirnehmung ; Fallversuch.
aber nach dersdben Seite hin gleich weit von den Längsmittelschnitten ab-
gebildet und einfach gesehen wird. Dagegen erscheint alles ausserhalb der
Kemflächc des Sehraumes, was sich auf beiden Netzhäuten in ungleichem
Abstände oder auf entgegengesetzten Seiten von den Längsmittelschnitten
abbildet und in einem einfachen Bilde zur Wahrnehmung kömmt. Der
scheinbare Abstand des binocular einfach gesehenen Bildes von der Kernfläche
ist um so grösser, je grösser deren geschätzte Entfernung selbst und je grösser
der Breitenunterschied der Längsschnitte ist, auf welchen die beiden Netzhaut-
bilder liegen, und zwar erscheint das Bild vor der Kernfläche, wenn der
Breitenwerth des schläfenwärts gelegenen Längsschnittes der einen Netzhaut
überwiegt, hinter der Kernfläche, wenn das Gegentheil statt findet. Was auf
Längsschnittpaareu gleicher, d. i. nasaler oder temporaler Netzhauthälften
in gleicher Breite abgebildet und einfach gesehen wird, erscheint in derselben
Entfernung von der Kernfläche des Sehraumes, vor der letzteren, wenn
gleichwerthige Längsschnitte der beiden äusseren, hinter derselben, wenn
gleichwerthige Längsschnitte der beiden inneren Netzhauthälften getroffen wor-
den sind (Hering.)
Es bedarf nur eines augenblicklichen. Eindruckes auf die beiden Netz-
häute, um den Tiifenwerth des betreffenden Objectes zur Wahrnehmung
zu bringen. Es gibt darum die richtige 2'iefenschätzung momentaner Ein-
drücke, bei welchen durch die Schnelligkeit ihres Vorübergehens alle an-
deren Behelfe der Tiefenschätzung ausgeschlossen sind, eine vortreffliche
Prämisse für das Urtheil über das Vorhandensein oder das Fehlen des
binocularen Sehactes. Das Mittel dazu ist der Fallversuch (Hering).
Der Krauke sielit behufs dessen durch eine 1— 1 '/2 Fuss lange Röhre, welche
mit dem einen Ende an das Gesicht gelegt wird und weit gfuug ist, um beide
Augen in ihre Lichtung aufzunehmen, gegen eine kahle Wand imd lixirt einen in
geringem Abstände von dem zweiten Eöhrenende vertical gestellten feinen dunklen
Faden. Während dies geschieht, werden etwas zur Seite des Fadens, bald vor
bald hinter demselben, Kügelchen von verschiedener Grösse nach einander aus der
Höhe fallen gelassen , so dass sie das von der Röhre eingeengte Gesichtsfeld des
Kranken passiren. Wo gemeinschaftlicher Sehact bestellt, kömmt eine Täuschung über
die Lage der Fallbahn zum Faden gai- niemals vor. Im gegentheiligen Falle irren
die Krauken bei wiederliolten Versuchen häufig , sie setzen die Fallbahn bald vor
bald hinter den Faden , wenn sie thatsächlich vor dem Faden gelogen war. Sie
irren nicht jedes Mal, weil eben die Wahrscheinlichkeit des Errathens 1:2 ist.
Manche derselben tauschen sich sogar schon über die Stellung des Fadens selbst,
sie halten ihn für schief, wenn er senkrecht steht, für vertical, wenn er von vorne
nach hinten zum Horizonte geneigt ist. Doch kann dies wohl als Bestätigung des
Abganges gemeinschaftlichen Sehactes gelten, keineswegs aber umgekehrt aus einer
richtigen Ueurtheilung der Fadenlage auf den Bestand gemeinschaftlichen Sehactes
geschlossen werden. P^s genügt nämlich Vielen das Bewusstsein der veränderten
Accovimodation, wenn der Blick an dem Faden auf- und abläuft, um sich über die
walire Stellung des Fadens zu vergewissern. Ueberhaupt ist es bei dem Fallver-
suche von der allergrössten Wichtigkeit, dem Kranken alle äusseren Behelfe zur
Beurtheilung der Tiefe gänzlich abzuschneiden, er darf ausser dem Faden und
dem fallenden Kügelchen kein anderes Object sehen, da dieses Anhaltspunkte für
die Beurtheilunfir der relativen Lage der Fallbahn liefert. Es darf darum auch die
Wand, welche nach hinten hin das Sehfeld abschliesst, nicht gemustert, gefleckt,
gestreift sein, überhaupt gar keine hervortretenden Objectpunkte bieten. Aus
gleichem Grunde müssen die fallenden Kügelchen auch von verschiedener Grösse
sein, weil bei gleicher Grösse derselben die mit der Entfernung der Fallbahn vom Auge
im Verhältnisse stehende Veränderung der Netzhautbilddurchmesser schon zur Tiefen-
schätzung verwerthet werden kann. Unter aolchen Vorsichten durchgeführt versagt der
Fallversuch nur sehr selten und die gegen ihn, sowie überhaupt gegen die directe
Tiefenwahrnehmung erhobenen Einwürfe (Donders), sind nicht stichhältig (Hering).
Uebereinstimmung der wahrgpiiommenou Tiefe mit d. geometr. Projectionsverhältnissoii. §3 1
Es stehen die physiologischen Gesetze, nach welchen die einzelnen
Netzhanl stellen empfang-ene Eindrücke um den KcrnpuTikt des Selirtiumes
herum localisiren, annähernd in Uebereinstimmung mit den rein physikaiischen
Gesetzen, nach welchen die von Aussendingen ausstrahlenden homocentrischen
Lichtbündel auf beiden Netzhäuten in Bildfoi'm projicirt werden. Inson-
derheit ist die Uebereinstimmung in Bezug auf ferne Gegenstände eine fast
vollständige; doch entsprechen sich auch der subjer.tive Erscheinungsort und
der wirkliche Ort nahe gelegener Dinge ziemlich genau, und zwar gilt dies
hauptsächlich von den im Mitteltheile des gemeinschaftlichen Sehfeldes befind-
lichen Objecten, welchen fast ausschliesslich die Aufmerksamkeit zugewen-
det wird. Je weiter sich aber ein Gegenstand gegen die Peripherie hin
entfernt, um so grdsser wird das fragliche Missverhältniss, um so geringer
aber auch die Deutlichkeit seiner Wahrnehmung und folgerecht die durch
die Disharmonie des scheinbaren und wirklichen Ortes verursachte Störung.
Strenge genommen kann eigentlich nur der Fixationspunkt an seinem wahren
Orte gesehen werden (Hering).
Es soll z. B. bei aufrechter Kopfstelliing- und wagrechter Visirebene der in
der Medianlinie gelegene Punkt o (Fig. 107) eines zum Hoi'izonte lothrechten, sehr
nahe gelegenen Blattes Pa-
pier xy fixirt werden. Es liegt Fig- lö7.
das Blatt unter Voraussetzung
richtiger Beurtheilung seiner
Distanz offenbar in der Kevn-
fläche des subjectiven Sehrau-
mes. Ein in horizontaler Rich-
tung nach links vom Fixir-
punkte befindlicher ziueiter
Blattpunkt g wird sein Bild
nun in beiden Netzhäuten je
auf einer vom Mittelpunkte c
nach rechts abweichenden
Stelle, nämlich in / und d
entwerfen, und zwar werden
diese Stellen nicht correspon-
dirende sein, iusoferne der
Breitenwerth der i-echtsseitigen
kleiner, als jener der linkssei-
tigen ist, weiH 0 := ro und daher
sin. V : sin. [j. =:= sin. o : sin. (y -}- o).
Im Einklänge damit kann der
indirect gesehene Wandpunkt
nicht in der Kernfläche des Sehraumes, also nicht an seinem tcahren Orte er-
scheinen, sondern muss sich davon um so weiter von der Antlitzfläche, etwa nach h
entfernen, je weiter er in Wirklichkeit nach links vom Fixii'punkte absteht, indem
damit die Disparation , d i. der Breitenunterschied seiner beiden Netzhautbilder
wächst. Was aber von einem Punkte gilt, gilt von allen Punkten einer an jener
Wand verzeichneten horizontalen Punktreihe. Eine solche muss sich also als eine
durch den Fixirpunkt geheqde Curve ss präsentiren, welche ihre Convexität gegen
die Augen hinkehrt. Gerade umgekehrt würden aber die einzelnen Punkte einer
solchen Curve auf lauter Deckstellen beider Netzhäute abgebildet werden und
sonach sämmtlich in der Kernfläche des subjectiven Sehraumes, also als ivagrechte
gerade Linie, auf jener Wand ex'scheinen. Dem entsprechen nun in der That die
Ergebnisse sorglich angestellter physiologischer Experimente (Hering).
Die physikalischen Gesetze, nach welchen sich die Bilder excentrisch
gelagerter Dinge auf beiden Netzhäuten entwerfen, schliessen schon die
Nothweudigkeit in sich, dass das hinoculare Einfachsehen nicht an identische
Stell wag, Augenheilkunde.
56
882 Allgenmuskeln; Physiologie: Einfachsehen mit dispar. Netzhantstellen; Horopter.
Eindrücke correspondirender Punkte heider Netzhäute gebunden sein kann. Wäre
es demso, so könnten von den im Gesichtsfelde befindlichen Objecten immer
nur Punkte einfach gesehen werden, welche in gewissen, durch den Fixa-
tionspunkt gelegten Linien oder Flächen gelegen sind. Dies widerstreitet
aber der gemeinen Erfahrung und den Resultaten genauer physiologischer
Untersuchungen ; insbesondere wird es durch die optischen Wirkungen des
Stercoskopes mit voller Sicherheit widerlegt. Man kann also nur sagen,
dass das binoculare Einfachsehen den correspondirenden Stelleu beider Netz-
häute thatsächlich zukomme, ja insoferne obligatorisch sei, als keinerlei
Uebung und keinerlei Kunstgriff es möglich machen, zwei gleichzeitige
verschiedene Reize solcher Stellen gleichzeitig gesondert neben oder hinter
einander zu sehen ; dass die Fähigkeit des Einfachempfindens sich aber
auch auf disparate Stellen beider Netzhäute erstrecke und hier insoferne
facultativ genannt werden könne, als Uebung und allerlei Kunstgriffe
dahin führen, das ursprünglich einfach Gesehene in zwei gesondert erschei-
nende Trugbilder aufzulösen. Mehr noch, das Einfachsehen mit dispara-
ten Netzhautstellen ist geradezu eine Bedingung des Körperliehsehens der
Objecte (Hering).
Eine durch den Fixationspunkt gelegte Linie oder Fläche, deren sämmtliche
Punkte auf corresijondirenden Stellen beider Netzhäute abgebildet werden , heisst
Horopter. Eine durch den Fixationspunkt gehende Fläche , deren sämmtliche
Punkte auf correspondirenden Längsschnitten beider Netzhäute abgebildet werden,
nennt man den Längshoropter. Er ist für kvrze Objectabstände stets eine Fläche
des zweiten Grades. Liegen z. B. die verticalen Trennungslinien vertical ziir Visir-
ebene, so ist der Längshoropter eine durch den MüUer'scheu Horopterkreis gehende
senkrecht zur Visirebene stehende Cylinderfläche. Convergiren die verticalen Tren-
nungslinien nach oben, so ist bei symmetrischen Convergenzstellungen der Gesichts-
linien der Längshoropter eine mit der Sjjitze nach oben gekehrte Kegelflüche u. s. w.
In ähnlicher Weise wird die Gesammtheit der Aussenpiinkte, welche auf corre-
spondirenden Querschnitten beider Netzhäute, aber im Allgemeinen auf disparaten
Längsschnitten ihre Bilder entwerfen, als Querhoropter bezeichnet. Er bildet für
kurze Objectabstände stets eine Fläche zweiten Grades, welche im einfachsten Falle
in zwei sich schneidende Ebenen übergeht. Ausserdem gibt es im Aussenraume
zahllos« geradelinige Flächen zweiten Grades, welche so gelegen sind, dass jede
in ihnen enthaltene gerade Linie sich auf correspondirenden Punkten beider Netz-
häute abbildet. Dies sind die sogenannten Partiallioroiitern. Unter Totulhoropter
versteht man den Durchschnitt zwischen Längs- und Querhoropter. Er ist für kurze
Abstände, also unter Voraussetzung einer stärkeren Convergenz der Gesichtslinien,
immer eine Linie, deren Gestalt und Lage je nach den gegebenen Verhältnissen
ausnehmend wechselt. Beim Sehen in grössere Entfernung verschwinden mehr und
mehr die Breiten- und Höhenunterschiede der von homocentrischen Lichtbündeln
getroffenen Stellen beider Netzhäute, es wird das Gesichtsfeld als Ganzes zum
Horopter, d. h. es erscheint Alles in der Kernfläche des Sehraumes und die Ver-
setzung der einzelnen Objecte in verschiedene Tiefen ist Folge eines Urtheiles,
welches durch die Perspective u. s. w. geleitet wird und auch bei der monocularen
Tiefenwahrnehmung das Massgebende ist (Hering).
Es erübrigt noch zu bemerken, dass nur ivillkürliche Bewegungen
der Augen zum Bewusstsein kommen. Bei passiven und unwillkürlichen
Bewegungen ist dies nicht der Fall, daher die unter ihrem Einflüsse ge-
sehenen Objecte in Bewegung erscheinen, sie mögen nun ruhen oder sich
wirklieh bewegen. Hierin liegt der wesentliche Grund des Schwindels,
welcher sich bei raschen Drehungen und bei ungewohnten passiven Be-
wegungen des Körpers, z. B. auf einem Schiffe, in einer Schaukel etc.
einzustellen pflegt.
Schwindel : Nosologie ; Ooordinationsstörungen ; Strabismus. 883
Indem nämlich die ximvillkürUchen und passiven Bewegungen des Auges nicht
zur directen Wahrnehmung kommen, wird das Urtheil über die jeweilige Lage des
Gesichtsfeldes , über die Ruhe und Beioegunq der Objeete verwirrt, es erscheinen
alle Objeete im Gesichtsfelde und dieses selbst in Bewegung, und das ist eben der
Schwindel. In ähnlicher Weise erklärt sich der Schwindel, welcher bei Lähmungen,
bei kram2}f haften C'ontractionen oder nach Dnrchschneiduvg einzelner Augenmuskeln
aufzutreten pflegt. Indem nämlich unter solchen Umständen die Wirimngen be-
stimmter Muskelanstrengungen ganz andere werden, als sie es früher waren, wird
die Beurtheilung der relativen Lage des Gesichtsfeldes, die Ruhe und Bewegung
der Objeete wesentlich gestört.
Doch ist wohl zu bemerken, dass unter solchen Verhältnissen der Schwindel
in der Regel sich nur dann zeigt, wenn eine grössere Anzahl von Muskeln oder
Nerven ausser Stand gesetzt ist, willkürlichen Innervationen mit der entsprechenden
Kraftäusserung zu antworten oder beziehungsweise diese Innervationen unge-
schwächt zu den Muskeln zu leiten. Darum findet sich der Schwindel denn auch
zumeist bei Lähmungen des Oculomotorizis , dessen Ausstrahlungsgebiet verhält-
nissmässig ein sehr beträchtliches ist. Doch darf nicht verschwiegen werden, dass
complele Lähmungen des Oculomotorius der einen Seite durchaus nicht immer zum
Schwindel führen, auch wenn das betreffende Auge das alleinig gebrauchsfähige
ist. Es kommen in der That Fälle vor, wo bei vollständiger Blindheit des einen
Auges Lähmungen der motorischen Nerven des anderen Auges, Paralysen des
ganzen dritten Gehirnnerven, ja sämmtlicher motorischer Augennerven zu keiner
Zeit ihres Bestandes zum Schwindel geführt haben, auch wenn sie plötzlich ent-
standen sind. Es fehlt solchen Kranken allerdings die Tiefendimension und die
allermeisten derselben projiciren auch die Blicklinie falsch ; doch bildet sich
bei ihnen rasch das Vermögen aus, die Differenzen zwischen den willkürlich
innervirten und thatsächlich erfolgenden Augenbewegungen annähernd richtig zu
schätzen, also auch sich zu führen und ihren Beschäftigungen obzuliegen. Es
scheint, dass der Zwang bei alleiniger Functionstüchtigkeit des gelähmten Auges
diese Urtheilsfähigkeit beschleunige und schärfe, da bei Functionstüchtigkeit beider
Augen die Störung des gemeinschaftlichen Sehactes durch Doppelbilder und
Schwindel sehr lange anzuhalten und nur ganz allmälig mit Unterdrückung der
Trugbilder und mit Ausbildung eines neuen Orientirungsvermögens in den dem
monocularen Gesichtsfelde angehörigen peripheren Theilen der abgelenkten Netz-
haut zu verschwinden pflegt.
Nosologie. Die Fuüctionsfeliler der Augenmuskeln sind bald der
Ausdruck gestörter Coordinationsverhältnisse, bald sind sie als Krämpfe im
engeren Wortsinne oder als wahre Lähmungen aufzufassen.
1. Unter den Coordinationsstörungen steht in Bezug auf praktische
Wichtigkeit obenan das Schielen. Es werden unter diesem Namen zwei
essentiel von einander verschiedene Zustände zusammengefasst. Bei dem
einen ist die Convergenzbreite in der Regel vergrössert und derselbe charakte-
risirt sich durch ein Uthermass von Convergenz, welches willkürlich und
bewusst bei der Innervation einer bestimmten oder jeder Accommodations-
quote zu dem Zwecke coordinirt wird, um diese leichter aufzubi'ingen
und zu ei'halten (Strabismus convergens). Bei der anderen Form erscheint
die Convergenzbreite sehr vermindert oder auf Null reducirt, es ist die Auf-
bringung und Erhaltung bestimmter Convergenzquoten sehr erschwert, führt
leicht zu asthenoi^ischen Beschwerden (Asthenopia muscularis) und schliess-
lich zur activen Ablenkung der einen Gesichtslinie in horizontaler oder
diagonaler Richtung nach aussen. Die Convergenzbewegiingen sind zudem
bei beiden Arten des Schielens innerhalb gewisser Grenzen minder regel-
mässig; die Blickrichtung hingegen erscheint in keiner Weise beirrt, so lange
sich keine secundäre Veränderungen in den augenbewegenden Muskeln ein-
gestellt und so lange die Muskeln nicht mit vermehrten Widerständen zu
kämpfen haben.
56*
884 Augenmuskeln; Nosologie; Luscitas; Nystagmus; Belative Lähmutigeii.
2. Die völlige Freiheit der Blickrichtungen unterscheidet den Strabis-
mus von der Luscitas oder dem Schiefstehen der Augen. Bei diesem letzte-
ren Fehler ist eben die Excursionsfähigkeit des Bulbus nach einer oder
nach mehreren Richtungen hin mehr weniger eingeschränkt, wobei es gleich-
giltig ist, ob die Innervationen auf Veränderungen der Blickrichtung oder
der Convergenz zielen. Bei den höchsten Graden steht der Bulbus wohl
auch völlig starr. Das kranke Auge folgt demnach den Excursionen des
anderen nicht in entsprechender Weise, sondern bleibt bei gewissen oder
bei allen Axenrichtungen des letzteren zurück. Es ist die Luscitas je
nach Umständen der symptomatische Ausdruck höchst mannigfaltiger
Zustände. Dahin gehören : normwidrige Verkleinerungen und staphylo-
matöse Ausdehnungen des Bulbus, Auflagerungen auf die äussere Wand des
Augapfels, Geschivulstbildungen in der Orbita, Verengerungen derselben, ver-
schiedene Muskelkrankheiten, insbesondere der Krampf und die Lähmung.
3. Es darf hierbei nicht übersehen werden, dass der Bau der Augen
unter gewissen Verhältnissen auch ein scheinbares Schiefstehen der Axeu
oder einen scheinbaren Strabismus mit sich bringen könne. Ist nämlich
der Winkel, welchen die Gesichtslinien mit den Hornhautaxen einschliessen
(S. 75(3) einigermassen bedeutender, so werden bei Fixation /er7ier Objecto,
also bei Parallelstellung der Gesichtslinien, die Hornhautcentra offenbar beider-
seits nach aussen oder innen abweichen, je nachdem der Winkel a selbst
ein positiver oder negativer ist.
4. In einer anderen Reihe von Fällen ist sowohl die Blickrichtung
als die Convergenz vollkommen frei, aber die ruhige Fixation der Objecte
bei den meisten oder allen relativen Stellungen derselben unmöglich; der
Kranke vermag die Gesichtslinien nicht auf einen Punkt des Gesichtsfeldes
zu fesseln ; es schwanken vielmehr beide Augen bei der Fixation und
beim gedankenlosen Blicke in ganz concinner Weise abwechselnd in der
Bahn der Rechts- und Linkswender oder in der Bahn der beiden oberen
und unteren Schiefen, oder in einer aus beiden gemischten Bahn vermöge
unwillkürlicher, überaus rascher und fast rhj^thmischer, altei-nirender Inner-
vationen der betreffenden Muskelgruppen hin und her (Nystagmus).
5. Endlich kommen Fälle vor, wo bestimmte Coordinationsbewegungen
theilweise oder ganz unausführbar geworden sind, während die anderen
Coordinationsbewegungen, selbst jene, bei welchen sich dieselben Nerven
und Muskeln activ betheiligen, mit vollkommen normaler Kraft und Aus-
dauer durchgeführt werden (relative Lähmungen). Ihr pathogenetisches
Moment kann unmöglich in Functionshemmungen der betreffenden Nerven
und ihrer centralen Ursprungskerne gesucht werden, sondern muss in krank-
haften Verhältnissen gewisser, der Willkür unterworfener oder beziehungs-
weise reflectorischer Coordinationscentra, wie selbe neuere physiologische
Untersuchungen (S. 873) nachgewiesen haben, liegen. Wäre nämlich der
Stamm oder der Ursprungskern der betreffenden Nerven in seiner Leitung
gehindert, so müsste offenbar die Leistung der zugehörigen Muskelgruppe unter
allen Umständen, bei jedweder Art von Innervation, hinter dem innervirten
Masse zurückbleiben, was eben nur bei absoluten Lähmungen der Fall ist.
Es finden sicli derlei relative Lähmungen der mannigfaltigsten Art bei
Morbus Basedowi (S. 586) und werden hier auf circumscripte paralytische Gefäss-
erweiterungen in den Centralorganen zurückgeführt. Auch scheinen manche der
bei Diphtheritis faucium vorkommenden Motilitätsstörungen der Augen in diese
Krämpfe ; Ophthalmospasmus ; Blepharospasmus. 885
Categorie zu gehören. Ausnahmsweise werden übrigens Hehungs- und Convergenz-
parahjsen auch scheinbar primär beobachtet. Streng genommen ist auch die durch
locale Ajiplication der Mi/driatica bedingte Motilitätsstörung der Iris hierher zu
zählen, indem die von den oculoj)upiIlaren Zweigen des dritten Gehirnnerven
beherrschten Binnenmuskeln allen vom Gehirne kommenden Innervationen gegen-
über gelähmt erscheinen, auf Reflexe jedoch, welche unter Vermittelung des Ciliar-
knotens und der intraoculären Ganglien auf sie geworfen werden, sehr kräftig
und anhaltend reagiren.
6. Eigentliche Krämpfe kommen im Bereiche der sechs Augapfelmus-
keln überhaupt nur selten vor.
Cionische Krämpfe werden bisweilen unter der Form excursiver Bewegungen
beobachtet: als Symptom der Bleidyscrasie, bei Gehirn- und Meningealleiden, beson-
ders bei Kindern als Begleiter der Meningitis basilaris, bei der Chorea etc.
Der Spasmus tonicris der Augenmuskeln kömmt vor als Theilerscheinung des
allgemeinen Starrkrampfes, der Epilepsie, der Edampsie, höchst ausnahmsweise als
rein locales Leiden in Folge traumatischer Verletzungen der Augengegend oder des
Auges selbst. Gewöhnlich erscheinen dann sämmtliche Augenmuskeln krampfhaft
contrahirt, oder doch wenigstens die meisten (Ophthalmospasmus, Tetanus ocidij. Der
Bulbus steht in letzterem Falle starr, gerade nach vorne oder etwas schief, er ist
meistens in die Augenhöhle 7:ur'ückgeiretQn und dieses zwar bisweilen so stark, dass
die Bindehatd sich über der Cornea in Falten legt (Enophthabmis sjjasticusj. Die
Lider stehen dabei gewöhnlich weit offen, seltener sind sie krampfhaft geschlossen,
jedenfalls aber unheiveglich. Es kömmt in dieser letzteren Erscheinung die spasti-
sche Mitaffection der Lidmuskeln zum Ausdrucke, und zwar einmal der Krampf des
M. levator palpehrae siqjerioris, das andere Mal der Krampf des Kreismuskels.
An dem Kreismuskel der Lider sind Krämpfe nichts weniger als
selten. Sie treten sowohl in clonischer, als tonischer Eorm auf.
Cionische Spasmen beschränken sich oft auf einzelne Fleischhündel des Kreis-
muskels uud verursachen ein eigenthümliches, mit dem Gefühle des Ziehens ver-
bundenes Erzittern einzelner Theile der Lider. In anderen Fällen wird der ganze
Kreismuskel von clonischen Krämpfen befallen ; das Resultat ist die sogenannte
Nictitatio , das krampfhafte Flinken, ein rasches Wechseln zwischen Oeffnen und
Schliessen der Lidspalte, wobei aber immer das letztere vorwiegt, indem es mit
übermässiger Kraft bewerkstelligt wird und sehr rasch erfolgt, während das Oeffnen
nur langsam und unvollständig geschieht. Es ist häufig blos die Folge einer Ange-
wöhnung.
Der tonische Krampf des Kreismuskels, Blepharospasmus, ist bald ein
continuirlicher , während dem Wachsein des Kranken Tage oder Wochen,
ja Monate anhaltender ; bald tritt er unter der Gestalt von Anfällen auf,
welche sich gemeiniglich spontan einstellen, häufig aber auch durch be-
stimmte äussere EinHüsse hervorgerufen und durch andere manchmal unter-
brochen werden können. Er ist in der Regel so kräftig, dass es einer
bedeutenden Gewalt bedarf, um die zusammengepressten Lider zu öffnen,
wobei gerne intensive Schmerzen angeregt werden. Nur selten kömmt er
auf Rechnung intracranieller Leiden , meistens ist er peripheren Ur-
sprunges und auf normwidrige Reflexe von Seite des einen oder anderen Quin-
tusastes zurückzuführen. Der Ausgangspunkt ist dann oft ein manifester
Krankheitsherd im Verzweigungsgebiete des Trigeminus und der Krampf an
dessen Bestand gebunden, insoferne er schwindet, wenn das Gi'undleiden
zum Ausgleiche kömmt oder wenn wenigstens der mit ihm einhergehende
Erregungszustand der Gefühlsnerven beschwichtigt wird. Bisweilen jedoch
besteht der Krampf nach Tilgung des primären Krankheitsprocesses fort, ja
steigert sich vielleicht oder pflanzt sich wohl gar auch auf andere ausge-
breitete Kervenbahiien fort und gipfelt schliesslich in epilepsieähnlichen
Anfällen (Graefe). Kicht selten endlich bildet sich der Blepharospasmus
ggg Augenmuskeln; Nosologie; Blepharospasmus.
aus, ohne dass jemals ein manifester Krankheitsherd als Ausgangspunkt zu
ermitteln gewesen wäre, er trägt von vorneherein den Charakter eines
selbständio-en Leidens (B. Idiopathicus, Arlt). Manche glauben, dass in
den Fällen der letzteren beiden Arten das nächste pathogenetische Moment
des Krampfes in einer Art Muskelhyperästhesie zu suchen sei, d. h. in
einem krankhaften Erregungszustande jener zarten sensitiven Nervenreiser-
chen, welche von den Uuintusästen rückläufig zum Orbicularis palpebrarum
hinstrahlen und sich in ihm verzweigen (Graefe). Man findet nämhch
sehr häufig einzelne Stellen im Verzweigungsgebiete des Trigeminus, an
der Stirne, Wange u. s. w., welche blos gedrückt zu werden brauchen,
um den Krampf augenblicklich und so lange zu lösen, als der Druck
dauert. Wo aber solche Druckpunkte nicht zu finden sind, ist die Ver-
muthung nicht ganz ungerechtfertigt, dass dieselben an weniger zugäng-
lichen Orten ihren Sitz haben und sich daher dem Nachweise entziehen.
Sonderbar ist es, dass manchmal die Bethätigung gewisser Muskelgruppen
den Blepharospasmus unterbricht, z. B. das Pfeifen (Arlt), die Inspiration
(Benedikt).
Am gewöhnlichsten reflectiren die sensitiven Nerven der Hörn- und Binde-
haut ihre pathologischen Erregungszustände auf den Kreismuskel, daher denn auch
der Blepharospasmus eine fast regelrechte Erscheinung ist, wenn eine Keratitis mit
starker Ciliarreizung einhergeht, wenn die Hornhaut verletzt wurde oder ein frem-
der Körper in dem ßindehautsacke stecken geblieben ist. Er findet sich dann
meistens in Gesellschaft von Lichtscheu (S. 850) und gibt nicht selten den Anstoss
zur Entwicklung eines Entropiums (S. 528); loeicht übrigens in der Regel mit der
Beseitigung des Irritamentes und lässt nur selten die Muskelhyperästhesie als ein
überaus hartnäckiges Leiden zurück. In anderen Fällen geht der Krampfreiz selbst
oder die den Blepharospasmus zunächst begründende Muskelhyperästhesie vom
Stirnnerven aus, derselbe zeigt sich gegen Druck äusserst empfindlich (Secondi),
oder es besteht eine wahre Neuralgia sujvaoi-hitalis, deren einzelne Anfälle mit Lid-
krämpfen enden und im späteren Verlaufe der Krankheit mehr und mehr an Schmerz-
haftigkeit verlieren können, während die spasmodischen Beschwerden an Intensität
und Dauer zunehmen. Einmal wurzelte das Uebel im Nervus lingualis , es war
ein ausgebreitetes Zungengeschwür gegeben, welches gedrückt sogleich den Krampf
löste. Ein anderes Mal war der Zungen- und Unterkiefernerv zugleich der Ausgangs-
punkt des Blepharospasmus (Graefe).
Die Behandlung ist selbstverständlich zunächst und hauptsächlich auf Tilgung
des (Tivm(iZei(^e?i« und auf Beschwichtigung des nervösen Erregungszustandes zu richten.
In letzterer Bezieluing empfehlen sich ganz besonders hypodermatische Einspritzun-
gen von Morphiumlösungen in die Gegend Aea Frontalnerven oA-Qt etwaiger Dritcjfc-
punkte (Graefe). Ihr Nutzen ist nicht blos ein palliativer, insoferne die Vermin-
derung der nervösen Irritation den Ausgleich des vorhandenen Krankheitsprocesses
günstig zu beeinflussen vermag. Am meisten dürften sie leisten, wenn der Krampf
auf einfacher Muskelhyperästhesie beruht, welche sich spontan ausgebildet hat oder
nach Ablauf eines manifesten Grundleidens zurückgeblieben ist. Der Erfolg ist
unter solchen Umständen thatsäclilich nicht selten eine wahre Heilung. Auch be-
währt sich das Mittel öfters bei Bestand einer Neuralgia supraorbitalis und eines
davon abhängigen Blepharospasmus. Wo es versagt, darf man in einzelnen Fällen
von dem constanten Strome Günstiges erwarten; es sind damit wiederholt die hart-
näckigsten Krampfzustände beseitigt worden, besonders solche, welche mit Neu-
ralgien im Zusammenhange standen (Remak). Im Grossen und Ganzen scheint
jedoch die Elektricität bei Blepharospasmus nur wernry zu versprechen (Benedikt). Als
letztes Mittel mag in verzweifelten Fällen die Durchschneidung des betreffenden
Quintumstes versucht werden. Sie bringt öfters gründliche Heilung, ohne dass die
Empfindlichkeit der bezüglichen Theile dauernd vernichtet würde. Leider ist sie
auch nicht zuverlässig, indem sich mit der Wiederkehr des Gefühls manchmal die
Krämpfe abermals einstellen. Die Ausschneidung eines Nervenstückes sichert das
Heilergebniss nicht mehr, als die blosse Durchschpeidung (Graefe).
Lagophthalmus spasticus; Wahre Liilinuiiij^eii ; Iiisuffiuienz ; Ptosis; Epicanthus. 887
Auf den Levator palpcbrae superioris beschränkte Krämpfe werden
nur sehr ausnalimsweise beobachtet. 8io äussern sich unter der Form des
Lagophthalmua spasticus, des kramjjfhaften Hasenauyes, d. i. durch Kmpor-
ziehung des oberen Lides und darin begründete weite Oeffnung der Lid-
spalte, wobei der starke Widerstand, welchen das J^id einer dem Muskel
entgegenwirkenden äusseren Gewalt bietet, charakteristisch ist.
(3. Im (iregensatze zu den Krämpfen sind loahre und absolute Läh-
mungen der Augapfelmuskeln ziemlich häufig Gegenstand der Beobachtung.
Es erscheint bei ihnen nicht nur die Kraft, mit welcher sich der Muskel
zusammenzieht, sonderii auch das Mass der Retraction beschränkt und
demnach die Excursionsfähigkeit des Bulbus in der Bahn des betreffenden
Muskels oder der bezüglichen Muskelgruppe vermindert. Es äussert sich
diese Störung bei allen Innervationen ohne Ausnahme, gleichviel woher
sie kommen und dem entsprechend muss das pathogenetische Moment der
Leitungsheramung in dem Stamme oder den Zweigen oder endlich in den
Ursprungskernen der Nerven gesucht werden.
Mau unterscheidet davon die sogenannten Insufficienzen und versteht darunter
eine Art Schwäche, ein Mindermass von Leistungsfähigkeit, vermöge welchem
einzelne Muskeln oder Muskelgruppen ausser Staude sind, grösseren Anforderungen
zu genügen , insonderheit hestiramte Stellungen der Gesichtslinie zu erkalten. Es
handelt sich dabei jedoch lediglich um Innervationsstärungen , nicht um Muskel-
erkrankungen. Man spricht sehr viel von Insufficienzen der inneren Geraden (Siehe
Strabismus divergens) , will jedoch auch Insufficienzen der äusseren geraden Augen-
muskeln in Verbindung mit asthenopischen Bescliwerden (Knapp), ja gleichzeitig
die Insufficienz der inneren und äusseren Geraden (Kugel) beobachtet haben.
Der Grad der Lähmung ist selbstverständlich ein sehr wandelbarer,
so wie auch die Ausdehnung des Lähmung shezirkes ausserordentlich variirt.
Zweifelsohne können Theile eines einzelnen Muskels der Paralyse verfallen;
andererseits findet man aber auch häufig ganze Grtippen, bisweilen sogar
sämmtliche Augenmuskeln mehr weniger vollständig gelähmt ; ja gar nicht
selten erstreckt sich der Lähmungsbezirk iveit über die Orbita hinaus.
Am öftesten findet man die Paralyse der Augapfelmuskeln combinirt
mit Lähmung des Aufhebers des oberen Augendeckels. Das Resultat ist die
sogenannte Ptosis, das Herabsinken des oberen Augenlides, die Unfähigkeit,
dasselbe in genügendem Masse zu heben und so die Lidspalte weit zu
öffnen; ein Zustand, welcher übrigens mitunter auch als ein mehr selbst-
ständiges Leiden vorkömmt und dann nicht immer auf Leitungshindernisse
des zugehörigen Nervenastes als letzten Grund zu schieben ist, sondern
hier und da auf angeborenem Mangel oder auf mannigfaltig begründeten
Ernährungsstörungen des Muskels selber beruht.
Es ist die paralytische Ptosis übrigens wohl zu unterscheiden von Lidsenkun-
gen als Folge vermehrter Widerstände. Es sind solche Lidsenkungen eine constante
Erscheinung bei entzündlicher oder hypertrophischer SchioeUung der Bindehaut, der
äusseren Lidhaut und des zugehörigen subcutanen oder submucösen lockeren Binde-
gewebes. Nicht minder finden sie sich stets beim Epicanthus und EpiUepharon,
d. i. einer angeborenen übermässigen Entwickelung der Haut im inneren Lidwinkel,
welche bisweilen so weit geht, dass der Canthus, ja selbst ein Theil der inneren
Lidspaltenhälfte förmlich überdeckt wird (Amnion, GraefeJ.
Auch ist hier an die mit Myasis einhergehende Ptosis zu erinnern, welche
ihren Grund in Leitungshemmungen der zum organischen Muskel des oberen Lides
und zu der Irismuskulatur gehörigen sympathischen Zweige ihren Grund hat (S. 840)
und darum als Ptosis sympathica beschrieben werden mag.
888 Augenmuskeln; Nosologie; Blepliaroplegie ; Quellen.
Seltener sind Complicationen mit Lähmung des vom 7. Gehirnnerven-
paare versorgten Kreismuskels der Lider. Dafür kömmt eine Lähmung
dieses Muskels öfters als selbständiges Muskelleiden so wie als Folge von
Leitungshindernissen in dem Nervus facialis vor. Niedere Grade der Parese
verrathen sich oft blos durch die Unfähigkeit, die Lidspalte kräftig zu
schliessen und die äussere Lidhaut in zahlreiche Falten zu werfen, so wie
durch sehr auffällige Störungen der Thränenleitang, welche man öfters durch
Schlitzuug der Thränenröhrchen noch beseitigen kann. Bei hohen Graden
ist der Lidschluss ganz unmöglich; bei Unthätigkeit des Aufhebers, z. B.
während dem Schlafe, bleibt die Lidspalte halb geöffnet; der obere Augen-
deckel liegt schlaff am Bulbus an, während das untere Lid gewöhnlich vom
Augapfel absteht oder gar nach aussen umgestülpt ist; daher in der Regel
ein grösserer Theil der Bulbusoberiläche entblösst erscheint (Lagophthalmus
paralyticus oder atonicus).
Es wh-d diese Entblössung des Bulbus Läufig sehr lange vertragen, ohne
dass sich erhebliche Reizzustände im Bulbus oder seinen Umgebungen einstellen.
Mitunter jedoch kömmt es auch bald zu heftigen Entzündungen der Bindehaut
und der Hornliaut (0. Weber), ja zu Verschif'drungen der letzteren, wobei es öfters
schwer zu entscheiden ist, ob der Lagophthalmus an sich oder combinirte Leitungs-
hemmiiugen der die Nutritionsverhältnisse des Auges regulirenden Nerven als die
eigentliche Quelle angesehen werden müssen.
Das pathogenetische Moment der Facialislähmungen ist unzweifelhaft am
häufigsten eine rheumatische AÖ'ection der Nervenscheiden. In anderen Fällen ist
eine Otitis oder Parotitis, ein Krankheitsherd im Bereiche des Fallopi'schen Kanales,
ein Tumor an der Schädelbasis, ein Krankheitsherd in der Varolshriicke oder in
den Centralganglien, ja selbst in der Gehirnrinde, selten aber Hysterie als die nächste
Ursache nachgewiesen worden (Benedikt). Von grosser Wichtigkeit ist, dass bei
centralen Leiden die Lähmung des Orbicularmuskels und jene der Respirations-
muskeln des Gesichtes häufig isolirt vorkommen, was sich aus dem anatomisch
nachgewiesenen Bestände zweier getrennter Ursprungskei-ne und aus der erst
späteren Vereinigung der daraus entspringenden Fasern zu einem gemeinsamen
Stamme erklärt. Nicht minder erwähnenswerth ist die Beobachtung relativer Paralysen
in diesem Bereiche. Es erscheinen nämlich die loillkürlichen und die mimischen
Contractionen der vom Facialnerven abhängigen Muskeln öfters in sehr verschiedenem
Grade oder auch wohl isolirt gelähmt (Benedikt).
Eine Lähmung beider Lidmuskeln, die Blepharoplegia, ist wohl immer
die Theilerscheinung eines weit ausgebreiteten pathologischen Processes im
Inneren der Schädelhöhle und im Ganzen selten.
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1. Das convergirende Schielen.
Krankheitsbild. Charakteristisch ist die ühermässige Convergenz der
Gesichtslinien hei sonstiger Freiheit der Blickrichtung.
1. Die fehlerhafte Stellung der einen Gesichtslinie, auf das fixirte
Object bezogen, zeigt sich in vielen Fällen constant auf dem einen Auge,
der Strabismus ist ein einseitiger, monocularer. In anderen Fällen weicht
bald dieses, bald jenes Auge ab, während das andere fixirt, der Strabismus
ist ein beiderseitiger, binocularer, alternirender.
Die strabotische Ablenkung ist in reinen und namentlich nicht veral-
teten Fällen nach dem Tode, während dem tiefen Schlafe oder während der
tiefen Narkose nicht zu bemerken. Im wachen Zustande des Kranken macht
sie sich entweder unter allen Umständen oder nur bei scharfer Fixation
eines Objectes, überhaupt dann bemerkbar, wenn eine ein bestimmtes Mass
überschreitende Accommodationsquote aufgewendet werden soll ; der Stra-
bismus ist demnach bald ein ständiger, continuirlicher, bald ein intercurren-
ter, periodischer.
Beim alternirenden Strahismtis geschieht es oft, dass während der Fixation
naher Objecto immer das eine, während der Fixation ferner Objecte das andere
Auge schielt; oder dass bei der Betrachtung von, nach einer geicissen Richtung
seitwärts im Gesichtsfelde gelegenen Gegenständen immer ein geivisses Auge ab-
gelenkt wird.
890 Strabismus convergens ; Ki'ankheitsbild ; Schielwinkel.
2. Der Schielwinkel ist seiner Grösse nach in verschiedenen Fällen
ein sehr verschiedener und wechselt auch in einem und demselben Falle
je nach deu obwaltenden Verhältnissen innerhalb ziemlich weiter Gren-
zen, wie genauere Untersuchungen entgegen den bisher geltenden Ansich-
ten herausgestellt haben.
Unter dem Schielwhikel versteht man nicht, wie Manche glauben, den Winkel,
welchen die beiden Gesichtslinien mit einander einschliessen , also nicht den über-
aus wandelbaren Conve)'genzwinkel ; sondern die Differenz der beiden Grundwinke!,
d. i. jener Winkel, welcheu die Gesichtslinie des tixirenden und des abgelenkten
Auges bei Fixation eines in der Medianebene gelegenen Objectes je mit der Grund-
linie einschliesst.
Die Grösse des Schielwinkels ist sowohl von der zur Fixation eines
Objectes erforderlichen Convergenzquote , als von der Blickrichtung ab-
hängig.
Wird ein geeignetes Object innerhalb der Medianebeue den Augen des
Kranken allmälig genähert, so bemerkt man in der That sehr häufig, dass
nur das gesunde Auge innerhalb der normalen Convergenzweite ■proportio-
nirte Adductionsbewegungen macht, nicht aber das Schielauge; dessen Be-
wegungen werden bald ganz unregelmässig und hören endlich ganz auf\ so
dass die beiden Gesichtslinien in eine ganz veränderte gegenseitige Lage
kommen.
Bei mindergradigem Strabismus folgt das Schielauge dem tixirenden aller-
dings bis zu einer bestimmten Grenze, so dass der Schielwinkel nicht wesentlich
verändert erscheint. Wird jedoch das Object noch mehr angenähert, so geräth
das Schielauge in unregelmässige zuckende Bewegungen, dreht sich ruckweise nach
einwärts, springt aber wieder um ein gewisses zurück, bis es sich endlich in einer
bestimmten Lage tixirt, wiederholt also ganz das Verhalten normaler Augen bei
Annäherung der Fixationsobjecte über die Grenze der natürlichen Convergenz-
weite. Die Untersuchung ergibt dann immer eine bedeutende Verminderung der
Ablenkung. Häufig ist dieselbe sogar Nidl und bei sehr kurzen Objectsdistanzen wohl
gar negativ geworden, die Gesichtslinie des Schielauges schiesst hinter dem Fixir-
punkte vorbei. In anderen Fällen folgt das Schielauge dem in der Medianebene
heranrückenden Objecte gleich von vorne herein in ganz unregelmässiger ruckweiser
Adduction und stellt sich dann in einer bestimmten Lage fest. Nicht selten, ja
bei hochgradigen Strabismen in der Regel, ist die Convergenzfähigkeit des Schiel-
auges fast ganz aufgehoben, dasselbe verharrt unverrückt in seiner Lage, während
das andere Auge dem in der Medianebene heranrückenden Objecte mit entspre-
chender Schnelligkeit und Kegelmässigkeit folgt. Ist dann die Ablenkung eine
nicht zu bedeutende , so scheint der Kranke blos zu schielen , wenn er entfernte
Gegenstände betrachtet. In dem Masse jedoch, als das Object seine Distanz ver-
küriit, nimmt der Schielwinkel an Grösse ab, wird schliesslich Null oder gar
negativ, ja in einzelnen Fällen weicht das Auge bei einem gewissen Objectabstande
mit einem Rucke plötzlich um ein Bedeutendes nach aussen.
In ähnlicher Weise nimmt die jeweilige Blickrichtung Einfluss auf
die Grösse des Schielwinkels. Im Allgemeinen kann mag sagen, dass Sen-
kungen der Visirebene so wie Blickrichtungen nach Seiten des strabotischen
Auges den Schielwinkel vergrössern, Hebungen der Visirebene dagegen und
Seitenblickrichtungen in der Bahn des Schielmuskels den Schielwinkel verklei-
nern. Bei Anwendung genauerer Hilfsmittel ergibt sich in der Regel auch
hier eine erhebliche Unregelmässigkeit in den Bewegungen des Schielauges,
ein disproportionirtes Schwanken der abgelenkten Gesichtslinie, namentlich
bei excursiveren Drehungen derselben.
Die Blickrichtung nach Seiten des fixirenden Auges genügt bei
kleineren Schielwinkeln bisweilen, um den cosmetischen Fehler gänzlich
zu maskiren. Dabei erleichtert, wie später sich ergeben wird, die rieh-
Kopfhaltung tl. Kraiikeii; C'oncomitireiidos Schielen; Unteisuchungsniethodc. 891
tigere Stellung; des Schielauges zum Fixationsobjectc die Orientirung. Die
Kranken werden sich dieser Vortheile in der Regel auch bald hewusst
und gewöhnen sich durcli fortgesetzte Uebung endlich eine ganz eigen-
thümliche, der Richtung und Grösse der strabotischen Ablenkung ent-
sprechende Haltung des Kopfes an, welche öfters den Ilindruck einer Ver-
minderung des Strabismus macht. Sie drehen nämlich das Gesicht nach
Seiten des Schielauges, so dass das fixirende Auge nach vorne , das schie-
lende dagegen etwas nach hinten weicht. Die Halsmuskeln treten dann
mit den Augapfelmuskeln in neue Associationsverhältnisse , welche oft so
fest einwurzeln, dass auch nach operativer Beseitigung der strabotischen
Ablenkung die normale Haltung des Kopfes nicht wiederkehrt (Graefe).
Im Grossen und Ganzen sticht die Veränderlichkeit des Schielwinkels
nur dann auffällig hervor, wenn das zu fixirende Object vermöge seiner
Lage starke Convergenzen und excursive Drehungen der Blicklinie erheischt.
Unzweifelhaft spiegeln sich darin grossen Theiles normale Verhältnisse ab,
insoferne auch bei functioneller Integrität der Augenmuskulatur der Con-
vergenzwinkel der Gesichtslinieu eine gewisse Grösse zu überschreiten
nicht vermag und in um so engere Grenzen gebannt erscheint, je weiter
sich die Blickrichtung von der Mitte des binocularen Blickraumes entfernt.
Gleichwie nun in der Norm die die leichte Fixation eines Objectes
erschwerenden und beschi'änkenden excursiveren Blickrichtungen durch
entsprechende Bewegungen des Kopfes überflüssig gemacht werden, so nützt
auch der Schieler nur einen kleinen Theil der Bewegungsfähigkeit seiner
Augen ans, er hält unter einer zusagenden Kopfstellung eine gewisse
Blickrichtung inne, welche der möglichst besten Orientirung seines Schiel-
auges zuträglich und vermöge allmälig gewonnener Uebung auch leicht zu
erhalten ist. Es bildet sich so gewissermassen ein neuer Blickraum, in-
nerhalb welchem der Schielwinkel nur wenig wechselt. Wird daher bei
Aufstellung eines Uixationsobjectes in diesem neuen Blickraume das
gesunde Auge gedeckt und das schielende gezwungen, seine Gesichtslinie
auf den Gegenstand zu richten, so wird sogleich das erstere abgelenkt
und zwar ist diese secundäre Ablenkung in der Regel jener gleich, welche
das strabotische Auge bei der Fixation des Objectes mit dem gesunden
Auge zeigt.
Man glaubt, das diess besonders beim einseitigen Strabismus der Fall sei
und hat diesen darum speciel mit dem Namen des „concomitirenden"^ belegt ; doch
tindeu sich auch ähnliche Verhältnisse bei dem alternirenden oder binocidären
Strabismus.
Die eigenthümliche gegenseitige Verkettung der beiden Gesichtslinien
gibt wichtige Behelfe an die Hand, um den Bestand einer strabotischen
Ablenkung, die Einseitigkeit und Beiderseitigkeit, die Beständigkeit und Pe-
riodicität des Schielens, so wie den Einfluss zu ermitteln, welchen die
Distanz der fixirten Objecte und deren relative Lage auf das Eintreten des
Strabismus ausüben. Man stellt sich zu diesem Behufe dem Schieler ge-
rade gegenüber Imd lässt von demselben ein kleines Object fixiren, welches
man in seiner Mediauebene abwechselnd nähert und entfernt, oder senk-
recht darauf im Kreise herumfülu-t. Es treten dann die Ablenkungen
des einen Auges ziemlicli deutlich heraus. Weit sicherer fährt man
jedoch, wenn man bei einer und der anderen Lage des fixirten Objectes
bald dieses bald jenes Auge des Schielers mit der Hand oder einem
892 Strabismns convergens ; Erankheitsbild ; Strabometer; Beweglichkeit d. Augen.
Schirme deckt. Wird das fstrahotiscli abgelenkte Auge gedeckt, so behält so-
wohl dieses als das gesunde fixirende Auge seine Stellung unverändert bei.
Wird dann das fixirende. Auge gedockt, so verkehren sicli meistens augen-
blicklicli die Verhältnisse und hleihen verkelirt, so lange das unier den
gegebenen Umständen nicht schielende Auge am Fixiren gehindert wird;
in dem Augenblicke jedoch, wo die Hand oder der Schirm beseitigt wird,
springt das strahnfische Auge sogleich in seine falsche Stellung zurück,
während das andere die Fixation wieder übernimmt.
Doch finden sich auch Ausnahmen. Schon beim einseitigen Strabismus
kömmt es bisweilen vor, dass das schielende Auge, wenn es wegen Deckung des
gesunden die Fixation übernommen hat, diese nach Oeft'nung des letzteren auch
heihehält , eitie Zeit lang wenigstens. Beim altemirenden Strabismus geschieht dies
sogar regelmässig. Endlich wird das Schielauge durch Degeneration des Schiel-
muskels oder durch Schwäclie des Gegners in manchen Fällen uiecJianisch gehin-
dert, die Fi.xation des Objectes zu übernehmen, oder vermag dies nicht wegen
hochgradiger Amhlijopie.
Das geschilderte Verhalten der beiden Augen ist ein werthvoUes
Mittel, um einen wirklichen Strabismus von einem scheinbaren (S. 884. 3) zu
unterscheiden. Bei letzterem ist die Ablenkung beider Augen meistens eine
gleiche, sj'mmetrische ; die Stellung der Augen zum Fixationsobject ändert
sich niclit, es möge dieses oder jenes yerdeckt wetden, indem eben beide
fixiren, und endlich besteht in Folge dessen nachweisbar binoculares Sehen
mit richtiger Tiefenschätznng (S. 880).
Selbstverständlich lässt sich aus der Grösse der Excursion, welche
ein und das andere Auge bei dem erwähnten Versuche unter dem Wech-
sel der Verhältnisse macht, auch der ungefähre Werth des Schielwinkels
ermessen, was von praktisch hoher Wichtigkeit ist, indem die Grösse der
Ablenkung sowohl in prognostischer als therapeutischer Hinsicht schwer in
die Wagschale fällt.
Dagegen gibt die gegenseitige Stellung der Scheitelpunkte beider Hornhäute
kein verlässliches Mittel zu einer solchen Schätzung, es wäre denn, dass die Lage
der (yptischen Mittelpunkte, also der Winkel, welchen die Gesichtslinie mit der
langen Corneala.xe einschliesst, vorläufig genau festgestellt worden ist.
Dieser Umstand erlaubt auch den zur Messung des Schielgrades empfohlenen
Tlodometern oder Strahometern (Ed. Meyer) nur einen geringen praktischen Werth
beizumessen , selbst wenn die Ermittelung der Scheitelpunkte beider Hornhäute
ohne genaue und complicirte Instrumente eine verlässlichere wäre, als sie es ist.
3. Die Beweglichkeil der Augen ist beim reinen und nicht veralteten
Strabismus nur wenig geschmälert, sowohl in der Bahn des Schielmuskels
und seines Antagonisten, als in jeder beliebigen anderen Richtung. Ganz
unbedingt gilt dieser Satz von dem altemirenden Strabismus. Beim mono-
crdaren Schielen, besonders bei hochgradigem, erleidet das Gesetz einige Be-
schränkung, insoferne die Summe der Bewegliclikeit in der Bahn des Schiel-
muskels und seines Antagonisten allerdings der Norm nahe oder gleichkömmt,
allein das ganze Gebiet der Bewegungen um ein (xcringes nach Seiten des
Schiel muskels verschoben ist, so dass nach dieser Seite hin die Excursions-
fähigkeit relativ zur Xorm um ein Kleines gesteigert, nach der entgegenge-
setzten Seite hin aber um ein Gleiches vermindert erscheint (Graefe). Der
Gi-und dessen liegt eben in der verstärkten Innervation der Convergenz-
muskeln.
4. Eine nothwendige Folge der strabotischen Ablenkung ist die Ab-
bildung des Fixationsobject es auf nicht eorrespondirenden und in ihrem Brei-
Binociililie Diplopie; Breitenatstaml der Doppelbilder. 893
tenwerthe meistens scOir verschiedenen Stellen der beiden Netzhäute. Nichts
destowenigei' tritt beim reinen Strabismus converyens das binoculäre Dop-
peltselion nur sehr ausnahmsweise und zwar während den EntwickeluiKjs-
stadien spontan hei'vor, indem die Krauken im Momente der Ablenkung
eine gewisse Verschiebung und gleich darauf eine Spaltung der Object-
bilder bemerken. Ks ist diese Erscheinung übrigens immer eine sehr
vorübergehende und lässt sich wegen dem zarten Alter, in welchem das conver-
girende Schielen zu beginnen pÜegt, nur sehr selten nachweisen. Wo
sich der Strabismus, wenn auch nur in periodischer Form, bereits fest-
gesetzt hat, ist spontane Diplopie niemals zu beobachten, es bedarf künst-
licher Manöver, um dieselbe hervorzurufen. Mitunter genügt es, die Auf-
merksamkeit auf ein in der Richtung der abgelenkten Gesichtslinie gele-
genes Object zu concentriren, um das dem Schielauge zugehörige Trugbild des
fixirten Gegenstandes zur Wahrnehmung zu bringen. Meistens muss das
fixirende Auge durch farbige Gläser , am besten durch dunkelrothe, abge-
blendet werden, auf dass die binoculäre Diplopie sich manifestire. Es ver-
fangen aber auch diese Manöver nur bei einer bestimmten Categorie von
Fällen, nämlich wo ein ständiger monocularer Strabismus bereits seit län-
gerer Zeit besteht, vornehmlich wenn die functionelle Energie der mittleren
Theile der abgelenkten Netzhaut bereits erheblich gelitten hat, ohne jedoch
zur Perception qualitativer Eindrücke unfähig geworden zu sein. Wo die
Energie der mittleren Netzhautzone sich nahezu auf der normalen Höhe
erhalten hat, sind durch diese Behelfe auch bei ständigem einseitigen
Schielen Doppelbilder in der Regel nicht zu gewinnen und noch weniger
gelingt dies beim periodischen und beim alternirenden (Alf. Graefe)
Strabismus.
Die relative Lage der Doppelbilder ist unter solchen Umständen,
der übermässigen Convergenz der beiden Gesichtslinien entsprechend, eine
gleichseitige ; bei Verdeckung des linken Auges verschwindet das linke, bei
Verdeckung des rechten Auges das rechte Trugbild.
Bei ungenügender Vor.sicht können in dieser Beziehung, selbst von Seite
intelligenter Kranken, leicht Täuschuncjen ixnterlaufen. Wird nämlich während der
Fixation eines geeigneten Objectes das tixirende Auge rasch gedeckt, so stellt sich
augenblicklich das Schielauge auf den Gegenstand ein und der Kranke glaubt das
Trugbild des letzteren sei verschwunden. Um diesen Irrungen zu begegnen, muss
darum das Schielauge sehr langsam, durch einen allmälig von unten her auf-
steigenden Schirm und nur halb gedeckt werden, so dass das Bild des Fixations-
objectes, am besten eines verticalen Striches, zur Hälfte in Sicht des Auges bleibt.
Dann verlässt auch das abgelenkte Auge und dessen Trugbild seine Stelle nicht,
Irrungen sind unmöglich.
Der Breitenabstand der Doppelbilder entspricht niemals dem Grade
der Ablenkung und der Objectsdistanz, sondern ist sowohl in Bezug auf
diese Verhältnisse, als absolut unter allen Umständen ein kleiner (Alf.
Graefe, Schweigger). Seine Erörterung bietet in der Regel viele Schwie-
rigkeiten, besonders bei ungeübten Kranken, wegen der ganz enormen
Schwankungen, welche abgesehen von etwaigen Beobachtungsfehlern einer-
seits durch den Wechsel der Objectlage, andererseits durch willkürliche
Innervationaver ander ungen bedingt werden können.
Sehr ausgiebige Beohachtungs fehler fliessen aus einer unrichtigen und über-
dies vielleicht gar wechselnden Stellung des Kopfes zum Fixationsobjecte (S. 868)
Sie müssen durch genaue Controle der letzteren hintangehalten werden (S. 878),
894 Strabismus convergens; Krankheitsbild; Schwankungen d. Trngbildabstandes.
widrigenfalls bei demselben Individuum und derselben Objectlage jeder Versuch
andere Resultate liefert.
In den von der Objectlage abhängigen Schwankungen der Breitenabstände
der Doppelbilder spiegelt sich getreu die Ver'ünderlklikeU des Schiehvinkels. Wird
das Object in der Medianlinie allmälig genähert, so treten die Trugbilder mehr
und mehr an einander, beginnen häufig unregelmässig liin und her zu schwanken
und springen dann oft plötzlich mit einem Rucke zusammen , lange bevor sie sich
bis zur Berülnung ihrer Ränder genähert haben. Bei weiterer Verkürzung der
Objectsdistanz geschieht es da nicht selten, dass sie sich wieder von einander ent-
fernen und als gekretizte erweisen.
Aehnliche Schwankungen zeigen sich bei excursiven Veränderungen der Blick-
richtung. Der Breitenabstand der Doppelbilder und oft auch die gegenseitige Nei-
gung derselben werden andere, wenn die Blicklinie in verticaler, horizontaler oder
in schräger Richtung von der Medianlinie abweicht. Die Doppelbilder nähern sich,
wenn der Blick gehohen, oder nach Seiten des fixirenden Auges horizontal von der
Medianebene hinweggelenkt wird. Im letzteren Falle bemerkt man dann oft auch
ein plötzliches Zusammenspringen derselben und, wenn die Blickrichtung nocli weiter
in demselben Sinne geändert wird, bisweilen ein neuerliches Auseinandertreten,
wobei es jedoch meistens überaus schwer wird, sich zu überzeugen, ob die Doppel-
bilder nun gekreuzte seien oder nicht. Die Doppelbilder entfernen sich im Gegen-
theile von einander, wenn die Visirebene nach unten oder die Blicklinie nach
Seiten des Schielauges gelenkt wird. Es ist sehr wahrscheinlich , dass diese Ver-
änderungen der Breitenabstände des Trugbildes von normalen Verhältnissen ab-
hängen, nämlich von der, mit der Ablenkung der Blicklinie von der Medianlinie
zunehmenden Schwierigkeit, starke Convergenzen aufzubringen (S. 871).
Am auffälligsten macht sich die dritte Categorie von Schwankungen. Die-
selben spotten scheinbar jedem Gesetze und durchkreuzen jede Versuchsreihe in
der störendsten Weise. Sie treten besonders bei Indiviuen hervor, welche zum
ersten Male auf Doppelbilder untersucht werden, oder überhaupt noch wenig
Uebung im Doppeltsehen gewonnen haben. Es manifestiren sich diese Schwankungen
in einzelnen Fällen durch ein überaus zähes Festhalten an einem bestimmten Breiten-
abstande, wenn das Object seine Distanz und relative Lage zur Medianebene
ändeit. Wird aber eine gewisse Grenze nach dieser oder jener Richtung hin über-
schritten, so geschieht es nicht selten, dass das Trugbild plötzlich und mit einem
Rucke eine unverhältnissmässig grosse Ortsveränderuug macht. Aehnliches zeigt
sich bei der Anwendung von Frismen. Es scheint mitunter, als hätten dieselben
allen Einfluss auf den Breitenabstand der Doppelbilder eingebüsst, indem der
letztere sich nicht ändert , wenn man allmälig stärkere und stärkere Prismen
mit der Basis nach innen oder aussen vor das eine Auge setzt. Ueberschreitet
aber der Brechungswinkel ein gewisses Mass, so verschwindet entweder das Trug-
bild, oder erscheint jjZöte/ic/; um ein bedeutendes dislocirt, ist möglicherweise wohl
gar aus einem gleichseitigen ein gekreuztes und umgekehrt geworden. In den
meisten Fällen jedoch findet man bei derlei Versuchen ein ganz unregelmässiges
Hin- und Herspringen des Trugbildes. Dessen Breitenabstand wechselt oft während
demselben Versuche, wächst mitunter bei allmäliger Aenderung der Objectlage
eine Zeitlang proportional, fällt dann plötzlich, um wieder zu steigen u. s. w.
Es ist kein Zweifel, dass Veränderungen der Kopflage (S. 878) bei unvorsichtigem
Experimentiren hierauf sehr bedeutenden Einfluss nehmen. Die Haiqjlquelle sind
jedoch bestimmt die bis zu einer gewissen Grenze ausführbaren willkiirlichen cor-
rectiven Innervationen. In der That werden bei fortgesetzter Uehung im Doppelt-
sehen jene Schwankungen allmälig geringer und weniger unregelmässig, ja die
Kranken gewinnen schliesslich eine gewisse Gewalt über den Breitenabstand, so
dass sie die ohnehin wenig distanten Doppelbilder nach Belieben einander zu
nähern oder gar über einander fallen zu lassen im Stande sind. Hat man doch
auf diese Beobachtung eine eigene Methode der unblutigen Schiel heilmig gegründet
(Javal), welche darin besteht, dass man jedem der beiden Augen ein Object bietet,
deren Doppelbilder durch Uebung allmälig zum Verschmelzen zu bringen sind.
Es hat sicli jedoch ergeben, dass dieses Verschmelzen, wo es wirklich dazu kömmt,
nur ein scheinbares sei, dass die Doppelbilder nicht zusammen, sondern einfach
über einander fallen und dass dies gewöhnlich trotz einer noch sehr beträchtlichen
Ablenkung des Schielauges stattfindet (Alf. Oraefe, Schweigger).
Erklärung <li'r liiplopio; Doppeltselipn iiacli Stratotomien. 895
5. Entspricht der Breitenabstand der Doppelbilder nicht dem (Jrrade
der strabotischen Ablenkung, so kann diese nicht als solche die nächste
Ursache der Diplopie sein. Es deutet in der Thal, alles darauf hin, dass
die Uesorientirungen des Schielauges, welche sich bei einfacher Abbien-
dung des fixirenden Auges zeigen, ihre Uuelle lediglich m den anatomisch
nachgewiesenen Veränderungen tinden, welche der Schiehnuskel und sein
Antagonist in veralteten Fällen von Strabismus convergens zu erleiden ptlegen,
also durch das Missverhältniss begründet werden, welches zwischen der
beumssten Innervationsgrösse und der effectiven Leistung des hypertrophirten
oder degenerirten Schielmuskels, sowie seines allmälig atropidrenden An-
tagonisten sich entwickelt. Damit fällt denn auch jeder essentielle Unter-
schied zwischen den Projectiousabweichungen, welche durch Strabismus,
Paralysen, Krämpfe, mechanische Bewegungshindernisse u. s. w. hervor-
gerufen werden, es müssen diese Diplopien sammt und sonders ihrem
Wesen nach in eine und dieselbe Categorie eingereihet werden.
Es spricht sich dieses fehlerhafte Bewusstsein der Lage des Schielauges
in Fällen, wo Diplopie bei einfacher Abbiendung des fixirenden Auges leicht her-
vorzurufen ist, constant auch beim monocidaren Sehen sehr deutlich aus, indem
die Kranken bei Verdeckung des gewöhnlich fixirenden Auges ein vorgehaltenes
Objekt in der Regel verfehlen, nacli Seiten des Antagonisten vorbeischiessen, wenn
sie dasselbe im raschen Stosse mit dem Finger treffen sollen.
6. Der Hauptbeweis für die Abhängigkeit der Desorientirung der abge-
lenkten ISTetzhaut von dem Missverhältnisse zwischen der bewussten Inner-
vation und der etfectiven J^eistung der betreffenden Muskeln liegt in dem
Umstände, dass beim Strabismus ganz ähnliche Projectiousabweichun-
gen sowohl durch Krankhafte A'eränderungen , als künstlich durch
operative Rücklagerung der Muskeln herbeigeführt werden. T'Firklich
erweist sich der Breitenabstand der Doppelbilder, welche nach Straboto-
mien sich so häutig bald vorübergehend , bald durch längere Zeit mit
äusserster Hartnäckigkeit geltend zu machen pllegen, ganz ausser Verhält-
niss zu der dui'ch die Operation erzielten factischen Lage des Schielauges.
Er entspricht vielmehr unter allen Umständen blos der Grösse der Rück-
lagerung selber und ist in Fällen, in welchen schon vor der Operation
eine durch das mechanische Uebergewicht des Schielmuskels begründete
Diplopie bestand, der Dißerenz proportionii-t, welche sich aus dem frülieren
Plus und dem jetzigen Minus der mechanischen Leistungsfähigkeit des
tenotomirten Muskels ergibt.
Untersucht man die Kranken nach einer Strahotomie , so findet man, dass
die Doppelbilder, auch wenn spontane Diplopie bereits fehlt, durch Abbiendung
des fixirenden Auges viel leichfer als vor der Operation manifest werden und oft
sogar beliebig ohne alle äussere Behelfe zur Wahrnehmung gebracht werden können.
Sie zeigen anfänglich dieselben Schivanlcungen, wie voi' der Operation, doch engen
sich die Schwankungen hei fortgesetzter Uebung mehr und mehr ein, während zu-
gleich der Wille einen sehr auffälligen Einfluss auf die Lage des Trugbildes g-e-
winnt. Stets ist der Breitenabstand der Doppelbilder durch die Strabotomie völlig ge-
ändert worden, es ist das Trugbild des Schielauges in der Bahn des rückgelagerten
Muskels aus seiner früheren Lage hinweggerückt, es hat sich dem Bilde des
fixirenden Auges genähert oder, was gewöhnlich der Fall ist, es hat das letztere
beträchtlich ■überschi-ilten, so dass die Doppelbilder nun aus gleichseitigen gekreuzte
geworden sind. Eine blosse Verminderung der früheren Projectionsabweichung, wobei
die Doppelbilder gleichseitig bleiben, findet man nur dort, wo der Breitenabstand
der letzteren schon vor der Operation ein verhältnissmässig grosser war und wo
die Rücklagerung des Muskels viel zti gering ausfiel, insbesondere also bei ver-
alteten hochgradigen Strabismen, wenn die operative Correction sehr weit, hinter
896 Strabismus diveigeiis ; Krankheitsbild ; Orientirung d. Schielauges.
dem Bedarfe zurttckblieb. In allen anderen Fällen verkehren die Doppelbilder ihre
relative Stellung zu einander und ihr Breitenabstand erscheint nach der Operation
um so grösser, je kleiner er vor der Tenotomie und je grösser der Bogen war, um
welchen der Muskelansatz zurüclcgelagert wurde. Die neue factische Lage des
Schielauges ist dabei ohne auffälligen Einfluss. In der That findet man nach der
Strabotomie gar oft gekreuzte Doppelbilder, trotzdem noch eine sehr bedeutende
strabotische Ablenkung nach innen fortbesteht. Um so gewisser aber macht sich
die binoculäre Diplopie mit relativ verkehrter Lage und beträchtlichem Breiten-
abstande der Doppelbilder geltend, wenn die Rücklagerung den Bedarf deckte oder
gar eine U eher cor reclion stattgefunden hat, während vordem entweder gar keine
oder docli nur eine Diplopie mit sehr geringem Abstände der Doppelbilder ge-
geben v/ar.
7. Wenn nun die Projectionsabweichuiig des Schielauges in veralte-
ten Fällen lediglich nur auf Rechnung eines jVIissverhältnisses zwischen
der aufgewendeten heiuussten Innervationsgrösse und der factische» Leistung
der betreffenden Afuskeln gebracht werden kann: so muss das abgelenkte
Auge, so lange der Strabismus rein dasteht, über seine Lage vollkommen
orientlrt sein. Und so ist es. Es lässt sich hierfür wiederum der Umstand
geltend machen, dass in frischeren Fällen von ständigem, besonders aber
bei periodischem und alternirendem Strabismus durch einfache Abbiendung
des fixirenden Auges mittelst dunkler Gläser Doppelbilder niemals zu erzie-
len sind, wohl aber bisweilen durch excursive Blickdrehungen und durch
Prismen, voi'zugsweise mit vertical gestellter Basis; dass dann aber die im
Abstände und in der Stellung des Trugbildes sich ergebenden Veränderun-
gen mit jenen übereinkommen, welche sich bei functioneller Integrität der
augenbewegenden Muskeln zeigen, wenn das Object dieselbe Lage innehält
oder beziehungsweise Prismen von gleichem Brechwerthe und gleicher
Stellung angewendet werden (Alf. Graefe).
Dagegen liefert das stete Gelingen des Stossversuehes bei Deckung des
fixirenden Auges nur einen schwachen Beleg. Auch fällt es nur sehr
leicht ins Gewicht, dass die strabotisch abgelenkte I^etzhaut beim Sehacte
nicht unthätig bleibt, sondern das Sehfeld des Kranken nach Seiten des
Schielauges bedeutend vergrössert, indem sie wenigstens von den im zuge-
hörigen monocularen Theile des Gesichtsfeldes gelegenen Gegenständen Wahr-
nehmungen vermittelt und diese, wo nicht materielle Veränderungen der
Muskulatur angenommen werden können, auch in die entsprechende Richtung
nach Aussen projicirt. Am wenigsten aber darf man auf den Umstand
bauen, dass durch Aufrichtung einer verticalen Scheidewand zwischen
beiden geöffneten Augen, also durch völlige Trennung der beiderseitigen
Gesichtsfelder, die abgelenkte Netzhaut ihrer Totalität nach zur Betheili-
gung am Sehacte gezwungen werden kann und dann ihrer ganzen Aus-
dehnung nach eine richtige Orientirung bekundet , indem sie von allen in
ihrem Bereiche gelegenen Objecten Wahrnehmungen vermittelt und diese,
so weit es sich um die Richtung handelt, richtig nach Aussen projicirt. Man
stösst auf gleiche Fähigkeiten nämlich in Fällen, in welchen das Orientirungs-
vermögen der abgelenkten Netzhaut ganz unzweifelhaft in hohem Grade
gelitten hat, bei Strabismus divergens, nach Strabotomien, selbst bei längere
Zeit bestehenden Paralysen. Es stellt sich eben immer klarer heraus, dass
Uebung den Kranken bald in den Stand setzt, falsche Projectionen durch
Urlheil zu corrigiren. Besonders auffällig tritt dies nach beiderseitigen Stra-
botomien und in Fällen hervor, in welchen eine Muskelparalyse in einem
allein sehtüchtigen Auge besteht.
Unterdiiickiiii}^ il. W'aln uiliiiiiiiiH. i\. .SclüeUuig. ; ijiosse u. l'unii d. Unterdruckungsgebietes. 897
S. Kill hinoculares Sehen findet beim Sh-abismus nicht statt, die J^in-
drücke des abgelenkten Ang-es werden, so weit sie von Objecten kommen,
welche innerhalb des Gesichtsfeldes beider Augen liegen, vermöge dem
Wettstreite beider Netzhäute nicht zur Walirnehmung gebraclit, sondern unter-
drückt und dies zwar um so sicherer und um so vollständiger, je weniger
die Energie der abgelenkten Netzhaut gelitten hat. Der Beweis für das
blos monoctdäre Sehen der Htraboten liegt in dem ausnahmslosen Fehlen rich-
tiger Tiefenschätzung bei dem mit Vorsicht geleiteten Fallversuche (S. 880).
Der Schieler beurtheilt die Tiefe, in weicher der centrale Eindruck des
fixirenden Auges erscheint, lediglich nach der aufgewendeten Accommo-
datinnsquote und nach relativ äusseren Momenten, nach der Perspective,
nach dem Verhältnisse der wahrgenommenen Bildgrösse zur bekannten
Grösse des Objectes u. s. w. Wo diese Hilfen in ausreichendem Masse ge-
boten sind, ist auch das Urtheil über den Abstand des fixirten Objectes
ein annähernd richtiges, so dass Straboteu sich ganz gut zu den feinsten
Arbeiten eignen. Wo aber solche Hilfen nicht zu Gebote stehen, wie beim
Fallversuche, da ist das Urtheil über die Raumtiefe ein sehr schwankendes,
der Kranke ist nur über die absolute und relative Richtung der Object-
punkte im Sehfelde orientirt.
Es wurde neuerer Zeit im Widerspruche damit mehrfach behauptet, dass
die Eindrücke des Schielauges jene des fixirenden an Intensität steigern, ja dass
bei Schielern stereoscopisches Selien bestehen könne. Man war daher zur Annahme
gezwungen, es bilde sich bei Straboten ein neues Identitätsverhältniss beider Netz-
häute aus, vermöge welchem der Kranke befähigt wird, binoculär einfach zu sehen
und die Objecte des gemeinschaftlichen Gesichtsfeldes nach Richtung, Entfernung
und gegenseitiger Lage den geometrischen Verhältnissen entsprechend richtig zu
projiciren (Alf. Graefe, Scluoeigger). Es liegt jedoch auf der Hand , dass bei der
Wandelbarkeit des Schielwinkels unmöglich Ein neues Identitätsverhältniss diesen
Anforderungen genügen könne, dass vielmehr für jede Stellung der Augen ein
anderes Identitätsverhältniss nothwendig wäre, was absurd ist. Es lässt sich eben
auf der Basis des hinocidaren Einfachsehens gar kein Identitätsverhältniss construiren,
zumal das binoculare Einfachsehen mit disparaten Netzhautbildern längst erwiesen
ist und jeder einzelnen Stelle der einen Netzhaut eine grosse AnzaJil Stellen der
anderen Retina so wie umgekehrt zu identificiren wäre.
Dazu kömmt, dass jene Beobachtungen von einer Verstärkung der centralen
Eindrücke des fixirenden Auges durch das Schielauge, ebenso wie die Beobach-
tungen vom stereoscopischen Sehen bestimmt auf Täuschung beruhen. In der That
finden intelligente Kranke, soviel man deren untersuchen mag, keinen Unterschied
in der Deutlichkeit der von einem fixirten Objecte gewonnenen Wahrnehmungen,
wenn man ihnen unbewusst einen Schirm vor das abgelenkte Aiige schiebt. Ganz
Gleiches gilt auch von den Versuchen mit Stereoscopen. Es kann nicht geläugnet
werden, dass Schieler bei grosser Aufmerksamkeit die Objecte des Gesichtsfeldes
körperlich sehen. Versetzen doch ^ogar Einäugige nicht alle ihre gleichzeitigen
Gesichtseindrücke in eine und dieselbe Fläche, sondern wissen die Tiefenabstände
aus der Vertheilung des Lichtes und Schattens, aus der Perspective u. s. w. inner-
halb gewisser Grenzen ganz wohl zu beurtheilen und nicht minder eine gut ge-
zeichnete stereoscopische FläcJienßgur unter Beihilfe geistiger Functionen körper-
lich zu gestalten. Es zeigt sich aber auch hier, dass Deckung des dem abgelenkten
Auge entsprechenden Stereoscopoculares die körperliche Wahrnehmung durchaus
nicht aüerirt, zum sicheren Beweise, dass dabei nur vionoculares Sehen das
Substrat liefert.
9. Die Unter drückung sthätigkeit beschränkt sich auf die centralen Theile
der abgelenkten Netzhaut, also auf jenes Gebiet, welches die kräftigsten
Eindrücke liefert und die Aufmerksamkeit vorwiegend fesselt. Bei alt.er-
nirendem Strabismus fällt es bald auf die eine bald auf die andere Seite,
je nachdem dieses oder jenes Auge zur Fixation verwendet wird.
st eil wag, Augenheilkunde. 57
898 Strabismus convergens; Krankheitsbild ; Anaestliesia centralis; Schielablenkung als Willküract.
Es lässt sich dieses Unterdriickungsgebiet durch Bewaffnung des strabotischen
Auges mit Prismen deutlich nachweisen. Es zeigen sich nämlich nur dann
Doppelbilder, wenn das Netzhautbild des fixirten Objectes durch das Prisma über
eine gewisse Grenze hinaus dislocirt wird. Es bedarf gewöhnlich nur schwacher
Prismen, wenn deren Basis nach Oben oder Unten gekehrt wird, hingegen sehr
starker, wenn die Basis nach Ein- oder Auswärts sieht.
Das Unterdrückungsgebiet nach Lage und Grösse zu umschreiben
und Gesetze für seine Ausdehnung in den einzelnen Fällen zu formuliren,
war bisher nicht möglich. Jedenfalls erstreckt sich dasselbe nicht über
das gemeinschaftliche Sehfeld beider Augen, welches vermöge der straboti-
schen Ablenkung selbstverständlich ein von der Norm verschiedenes gewor-
den ist, hinaus.
10. ^'iell eicht fällt das Unterdrückungsgebiet zusammen mit dem Be-
reiche der centralen Anaesthesie, welche in veralteten Fällen von Strabis-
mus sehr gewöhnüch nachzuweisen und unzweifelhaft auf Anopsie, d. h.
auf eine durch dauernde Functionsunthätigkeit herbeigeführte Stumpfheit
der Netzhautelemente zurückzuführen ist, indem materielle Veränderungen
in der Regel fehlen und systematische Sehübungen des strabotischen Auges
die functionelle Energie der anoptischen Elemente wieder bedeutend hebe7i
oder gar zur Norm zurückführen können. Es loechselt dieses anaesthetische
Gebiet bei verschiedenen Kranken ausnehmend nach Umfang und Gestalt.
Seine Grenzen sind oft sehr verschwommen, doch stösst man bisweilen auch
auf Fälle, wo dasselbe scharfe Contouren zeigt und z. B. eine Sternfigur
als ein Kranz von radiären Strichen gesehen wird, indem ihre Mitteltheile
unsichtbar bleiben. Die Sehschärfe nimmt innerhalb des anoptischen
Gebietes ziemlich gleichmässig vom Centrum gegen die Peripherie hin zu.
Ausnahmsweise finden sich wirkliche Amhlyopien und auch wohl centrale
Unterbrechungen, welche die Kranken beim monocularen Sehen zwingen, excentrisch
zu fixiren.
Die Behauptung, es gehe die centrale Anaesthesie strabotischer Augen der
Entwicklung des Schielens in der Kegel voraus, widerlegt sich auf das Schlagendste
durch den Umstand, dass anoptische Gebiete nur in Fällen veralteten Schielens
ein regelmässiges A^orkommniss sind und in den Anfangssfadien des Leidens,
insbesondere beim periodischen und alternirenden Schielen fast constant fehlen.
1 1 . Die richtige Orientirung des Schielauges setzt das volle Bewusst-
sein der Lage der abgelenkten Netzhaut im Baume nothwendig voraus.
Folgerecht kann die strabotische Ablenkung nur das Resultat einer will-
kürlichen Innervation sein.
Diese Behauptung wird im ersten Augenblicke befremden ; doch darf
man nicht aus dem Auge verlieren, dass die strabotische Ablenkung, so-
weit dabei nicht materielle Veränderungen der Muskulatur concurriren, im
Tode, im tiefen Schlafe und in voller Narcose verschivindet. Im Uebrigen
lässt sich der Einfluss tvillkürlicher Innervationen ebenso wie auf die Blick-
richtung, so auch auf die Convergenz der Straboten mit voller Sicherheit
nachweisen. Im Beginne des Leidens genügt es meistens, den Kranken
auf sein Schielen aufmerksam zu machen, auf dass derselbe die Ablenkung
sogleich corrigirt. Unterwirft man Fälle von periodischem Strabismus der
Untersuchung, so findet man der Regel nach in jedem einzelneu Falle
eine bestimmte Distanz, bis auf welche ein in der Medianebene gelegenes
Object den Augen genähert werden kann, ohne dass es zur strabotischen
Ablenkung kömmt. Bis auf diesen Abstand hin ist die Convergenz eine
V'tM'liallinss il. 8cliiol;ililtMil(ung zur i^cf'cirdprtcu Ari-(iminiiiliitiims(|uuf,c. 899
völlig proportionirte und fitidet binoculares Einfachseheu mit directer Tiefen-
wahrnehmung statt, daher auch keine Irrungen beim Fallversuche vorkommen.
Wird diese Distanz aber um ein Weiteres verkürzt, so stellt sich sogleich
das Schielen ein, indem das eine Auge plötzlich, mit einem ]lucke, um ein
Bestimmtes nach Innen weicht. Das binocuUive Sehen hat nun ein Ende
und die Tiefen Schätzung basirt nur mehr auf dem Bcwusstsein der aufge-
wendeten Accommodationsquote und auf äusseren Behelfen. Im Uebrigen
verhält sich dann die Convergcnz bei weiterem Heranrücken des fixirten
Gegenstandes ähnlich, wie beim ständigen convergenten Strabismus. Bis
auf eine gewisse Grenze hin fällt der Grundwinkel, d. i. der Winkel,
welchen die Gesichtslinie des abgelenkten und des flxirenden Auges mit
der Grundlinie einschliesst, proportianal der Distanzverkürzung. Ueber-
schreitet das Object aber die Grenze, so beginnt die Ablenkung eine um-egel-
mässige zu werden und der Schielwinkel sich allmälig zu verkleinern (S. 890),
indem die Leistimg des Schielmuskels eine unzureichende wird.
Es steht die strabotische Ablenkung, welche sich in Fällen periodi-
schen Schieleus bei Annäherung des Objectes an die Grundlinie einstellt,
ohne Zweifel im Zusammenhange mit der zur Fixation des Objectes erfor-
derlichen Accommodationsquote. Wäre nämlich der steigende Convergenz-
hedarf das Ursächliche, so müssten Prismen einen merklichen Einfiuss auf
die Schielbeweguug nehmen, was nicht der Fall ist, insoferno nämlich bei
ihrer Application der Abstand des Fixationsobjectes, welcher die strabotische
Ablenkung auslöst, ganz derselbe bleibt, d. i. durch Prismen mit der Basis
nach Innen nicht hinaus- und durch Prismen mit der Basis nach Aussen
nicht herein gerückt wird. Wohl aber zeigt sich im Gegentheile eine
höchst bedeutende BeeinÜussung dieser Grenze des binoculären Sehens
von Seite sphärischer Gläser, welche den Accommodationsbedarf steigern
oder herabsetzen. Concavgläser, welche bei unveränderter Objectsdistanz
die zum Scharfsehen erforderliche Accommodationsquote erhöhen, schieben
die Grenze des binoculären Sehens im Verhältnisse zu ihrem Brechwerthe
hinaus und lassen unter Umständen die strabotische Ablenkung wohl auch
schon bei der Betrachtung sehr ferner Gegenstände hervortreten. Convcx-
gläser dagegen, welche den Accommodationsbedarf vermindern und wohl
auch annuUiren, rücken die Grenze des binoculären Sehens herein oder
lassen sie beziehungsweise mit der normalen Grenze zusammenfallen, so dass
allenthalben, so weit im Normalzustände dies möglich ist, binoculares Ein-
fachsehen stattfindet.
Diese Leistung der den Accommodationsbedarf vermindernden Con-
vexgläser beschränkt sich übrigens nicht blos auf Fälle periodischen
Schielens, sondern erstreckt sich im Allgemeinen auch auf ständig gewor-
dene convergente Strabismen, zum Beweise, dass auch bei diesen die stra-
botische Ablenkung lediglich durch den ununterbrochenen Bedarf gewisser
Accommodationsquoten unterhalten wird. So weit selbstverständlich nicht
materielle Veränderungen der Muskulatur dabei concurriren, die strabotische
Ablenkung also blos auf der Schielinnervation beruht, lassen sich derlei
ständige Strabismen in der That fast durchwegs durch (^onvexgläser von
bestimmtem Brechwerthe corrigiren und gewissermassen in die periodische
Form umsetzen. Nimmt man nämlich von mehreren Convexgläsern, welche
den Strabismus corrigiren, das schwächste, so findet man in der Regel, dass
richtige binoculäre Fixation mit directer Tiefenwahrnehmung nur bis zu
57*
900 Strabismus convergens ; Krankheitsbild ; Verliält. d. Seliielablenkimg z. Accoimiiodatioiisquote.
einer gewissen Grenze ermöglicht wird , dass diese Grenze jedoch mit
der Steigerung des Brechwei'thes sich dem A.uge nähert und schliesslich mit
der normalen zusammenfällt.
Im Grossen und Ganzen kann man sagen, dass die Aeeommodations-
quote, welche die strabotische Ablenkung des Schielauges auslöst, bei ver-
schiedenen Kranken eine ausserordentlich verschiedene, bald sehr hohe, bald
sehr geringe, ja fast verschwindende ist, so dass die Kranken während ihrem
Wachsein das Schielen stetig unterhalten müssen. Im speciellen Falle je-
doch ist sie jeweilig eine ziemlich bestimmte, insoferne die strabotische Ab-
lenkung immer nur eintritt und so lange dauert, als jene eine gewisse
Grenze überschreitet.
Insoferne nun die Aufbringung einer gewissen Accommodationsquote
eine willkürliche Thätigkeit ist, erscheint auch die sti'abotische Ablenkung
als das Resultat eines Willküractes. Um sich nicht zu verwirren, muss
man eben sehr wohl zwischen willkürlichen und ganz freiwilligen Bewe-
gungen unterscheiden. Freiwillig ist nur die die strabotische Ablenkung
in sich schliessende gesammte Coordinationsbewegimg, d. i. die zum Scharf-
sehen des fixirten Objectes erforderliche Innervation des Accommodations-
muskels und der Convergenzmuskeln in ihrer Verquickung, nicht aber jede
dieser Innervationen für sich; wird ein Willensimpuls von bestimmter Stärke
auf den Accommodationsmuskel geworfen, so trifft auch die Convergenzmus-
ktdatur unausbleiblich eine Innervation von bestimmter Grösse, ohne dass
jedoch willkürliche Correctionen innerhalb gewisser Grenzen ausgeschlossen
sind, wie im Normalzustände die relative Accommodations- und Convergenz-
breite, bei Straboten aber die Schivankungen bezeugen, welche bei den
ersten V'ersuchen die Breitenabstände der Doppelbilder ergeben.
Dass bei Schielern Accommodatiousquoten von bestimmter Grösse
sich nicht mit entsprechenden, sondern übermässigen Convergenzquoten coor-
dinireu, findet seine Erklärung in dem Umstände, dass /o?'c?rfe Convergenzen mit
Aufgeben des binoculären Sehactes eine bedeutende Erhöhung des maxi-
malen Refractionszustandes, also eine Verminderung der für eine bestimmte
Distanz erforderlichen Accommodationsquote mit sich bringen.
Als Nahepunkt wird eben immer die kürzeste Distanz betrachtet, in
welcher ein scharfes und deutliches binoculare.s Sehen möglich ist, bis zu
welcher der Refractionszustand und der Convei'genzwinkel proportional
wachsen. Doch hat daselbst die Convergenz und der Accomraodations-
zustaud keineswegs das Maximum erreicht, vielmehr gestatten forcirte
Innervationen noch ein stärkeres Zusammenueigeu der Gesichtslinien und
eine weitei'e Steigerung des Refractionszustandes. Es ist aber die Ver-
grösserung des Convergenzwinkels und die ihr coordinirte Erhöhung des
Accommodationszustandes diesseits des Nahepunktes nicht mehr eine verhält-
nissmässige, sondern letztere schleppt hinter der ersteren merklich nach, es
bedarf unverhältnissmässig grosser Convergenzsteigerungen, um den Refrac-
tionszustand um ein Gewisses zu heben. Das Scharfsehen eines diesseits
des binoculären Nahepunktes gelegenen Objectes setzt demnach das -4m/-
geben des binoculären Sehactes voraus. Wird unter solchen Umständen der
Nahepunkt genähert, die Accnmmodationsbreite demnach vergrössert, so resul-
tirt offenbar eine Verminderung der Accommodalioiisquote, welche für jede
beliebige, innerhalb der deutlichen Sehweite gelegene Objectsdistanz erfor-
Ursachen uiitl Vorlauf. 901
derlieh ist; die übermässige Convorgenz, H. i. die strabolische Ablenkung,
erscheint als ein Mittel, die Accommodationsarbeit unter Aufopferung des
hinoculären Sehactes zu erleichtern.
Ein Beispiel wird dies erläutern. Es soll eine bestimmte Beschäftigung
einen Objectsabstand von 10 Zoll erheischen. Ein Emmctrope mit der Accommo-
dationsbreite = wird dazu eine Accommodationso'Mote q = — = -.t- be-
nöthigen, da die relative Einstellung — = ^ — -^ für jenen Objectsabstand ist.
Bei Hypermetropie — - und einer Accommodationsbreite - wäre q = — , indem
hier = -„ — I — ^^ ) = r ist. Würde dieser Hypermetrope durch üher-
e 10 \ 10 / 5 ■' ' l
»lÖÄÄij'e Convergenz seinen Nahepunkt von 10" auf 6'66" zu bringen vermögen, so er-
schiene seine Acconimodationsl)reite — = und folgerecht würde eine Accom-
moAa.i\onsqtiote q =: -— hinreichen, um sich auf 10" einzustellen.
Ursachen und Verlauf. Die nächste Veranlassung zum conver-
girenden Schielen geben immer Beschäftigungen, welche die Aufwendung
und Erlialtung einer grösseren Accommodaüonsquote ei'heischen. Daher
entwickelt sich das convergente Schielen häufig schon sehr frühzeitig bei
Kindern, deren Aufmerksamkeit oft und dauernd auf kleine, nahe gelegene
Gegenstände gelenkt wird, welchen Bilderbücher und ähnliche Spielzeuge,
die ein scharfes und deutliches Sehen in kurze Distanzen erfordern, zur
Unterhaltung geboten werden. In der Regel stellt sich das convergirende
Schielen jedoch erst beim Beginne der Lernzeit ein, wenn die Kinder stun-
denlange zum Lesen , Schreiben und ähnlichen Beschäftigungen ange-
halten werden.
In Uebereinstimmung damit ist der Strabismus convergens bei Stadtkindern
in einem viel höheren pi-ocentarischen Verhältnisse vertreten, als bei den Spröss-
lingen der Dorfbeicohner, zumal jener Länder, welche auf die Schulbildung wenig
oder kein Gewicht legen.
Alles, was den Accommodationsbedarf erhöht, steigert auch die Neigung
zum Schielen. Insoferne können unzureichende Beleuchtung , finstere
Locale, schlechte Haltung des Kindes bei der Beschäftigung etc. einen
empfindlichen Einiluss auf das leichtere Zustandekommen der strabotischen
Ablenkung nehmen. Nicht ganz selten wird aus gleichem Grunde auch
das Tragen zu scharfer Concavgläser, oder die Benützung der für die Ferne
passenden Zerstreuungsbrillen zum Nahesehen die Quelle von Strabismus
convergens bei Myopen.
Aehnliches gilt von Trübungen der dioptrischen Medien, besonders der
Hornhaut beider Augen, insoferne sie die Sehschärfe beträchtlich herab-
setzen und die Kranken zwingen, die Objecte näher an die Augen heran-
zurücken, um einigermassen deutliche Wahrnehmungen zu gewinnen.
j^icht minder haben directe Beobachtungen herausgestellt , dass
Paresen im Verzweigungsgebiete der oculopupillai'en Portion des dritten
Gehirnnervenpaares, wie selbe theils selbständig, theils an Lähmung der
augenbewegenden Muskeln gebunden vorkommen und bisweilen im Gefolge
von Diphtheritis faucium (Donders) auftreten, nicht ganz selten zum conver-
girenden Schielen führen. Es entwickelt sich unter so bewandten Um-
ständen nämlich der Strabismus immer während dem Bestände der Läh-
mung. Ist die Schielinnervation aber einmal erlernt und durch Uebung
eingewurzelt, so wird dieselbe nicht mehr aufgegeben, auch wenn die
902 Strabismus convergeiis; Ursachen und Verlanf; Hypermetropie.
ursprüngliche Paresis zur Heilung gelangt und die Aufbringung grosser
Accommodationsquoten nicht mehr Bedürfniss ist.
Ausserdem ist es eine alte Erfahrung, dass das convergente Schielen
bei Kindern gerne nach schweren Allgcmeinkrankheiten sich entwickelt,
welche die Accoramodationsbreite sehr beträchtlich, wenn auch nur vor-
übergehend, vermindern (Arll).
Obenan steht unter den, den Accommodationsbedarf erhöhenden und
darum zum convergirenden Schielen disponirenden Verhältnissen selbst-
verständlich die Hypermetropie. In der That ist die grösste Anzahl der
mit convergentem Schielen Behafteten hjpermetropisch. Es ist dabei sehr
wahrscheinlich, dass nicht sowohl die Hj^permetropie allein, als vielmehr
in Verbindung mit relativ geringerer Accommodationsbreite das eigentlich
Massgebende sei. Während nämlich bei jugendlichen, nicht schielenden
Hypermetropen sehr häufig die Accommodationsbreite ganz ausseror-
dentlich erhöht erscheint, so dass selbst die feinsten Ai'beiten ohne sonder-
liche Anstrengung geleistet werden können ; stösst man bei slrahotischen
Hypermetropen, auch wenn sich der Refractionsfehler als ein sehr massi-
ger erweiset, ungemein häufig auf das Unvermögen, die feinsten Num-
mern Jaeger zu entzifi'ern, die Accommodationsbreite ist wenig oder gar
nicht gesteigert, ja mitunter gar unter dem mittleren Masse.
Unter 4000 Kranken fand sich der Strabismus internus in etwas mehr als
'2% und bei sämmtlichen Uehersichtigen in etwas mehr als 16%. Unter den 84
convergent Schielenden waren Hypermetropen 80-24%, Myopen 4-94%, Emmetvopen
2*47%, mit Trülmngen der dioptrischen Medien Behaftete, 4*94 %. Der Refractions-
zustand wurde nicht untersucht in 7"40"/o. Unter den 64 Hypermetropen waren 49,
also über ^4 Individuen, deren Eefractionszustand zwischen — -— und — -^
schwankte, bei 9 war der Eefractionszustand — „ und darüber, bei 6 war er
28
— — und darunter. Der höchste Grad war — — . Unter den mit Myopie behaf-
teten Straboten war Einer, dessen Eefractionszustand ^^ , ein anderer mit circu-
lärem Staphyloma posticinn und Hornhautflecken behafteter, wo der Eefractionszu-
stand — betrug. — Nach einer anderen Zählung (H. Cohn) waren unter 239 hyper-
metropischen Kindern 158, also mehr als 56% schielend und zwar waren darunter
9-5% bei Hypermetropie -- — l--^ 80% bei Hypermetropie ~ ^-; 10-5%
bei Hypermetropie — — — . Eine Zunahme des Procentes nach dem Alter und
nach den bisher in der Schulzeit zugebrachten Jahren wurde dabei nur in den
Elementar- und Dorfschulen, nicht mehr aber in den Mittel-, Töchter-, Eealschulen
lind Gymnasien beobachtet.
Im allgemeinen sind es die mittleren Grade der Hypermetropie, welche das
grösste Contingent der Straboten liefern. Es könnte demnach scheinen, als ob bei
hohen Graden der Hypermetropie, bei welchen der Accommodationsl)edarf doch
ein im Verhältnisse gesteigerter ist, die Neigung zum Schielen im directeu Wider-
spruche mit der aufgestellten Behauptung eine gerirtge^-e sei. Man darf hiebei jedoch
nicht übersehen, dass hohe Grade von Hypermetropie im Kindesalter, wo die
senile Involution noch nicht mit dem Flachbaue concurrirt, nicht häufig vor-
kommen und darum nur einen geringen Percentsatz liefern können. Würde
man das procentarische Verhältniss der schielenden und nicht schielenden hochgra-
digen Hypermetropen für sich herausheben, so würde sich das Resultat wahr-
scheinlich ganz anders gestalten. Im Uebrigen muss im Auge behalten werden, dass
bei den Gradbestimmungen der Hypermetropie meistens nicht der wirkliche äusserste,
sondern der manifeste Fernpunktabstand gemessen wird und dass während der
Schulzeit, wo die Kinder viel und dauernd accommodiren müssen, sehr bedeutende
Diiferenzen des Eefractionszustandes durch die Convexitätsvermehrung der Linse
gedeckt werden. Man darf daher unbesorgt annehmen, dass manche der mit
Begünstigentlo Moiiinito; SUiiuiij^oii il. f^cmoiiiscliiiftl. Sehactes ; Uebungeii im Convergireii. 903
Str<al)ismns combinirten mittleren Grade der Hypcrmetropie eigentlich zu den
hohen zu rechnen seien und «/.v solche das frühzeitige Auftreten des convergirendeii
Schiolens begründet haben. Indem nämlich die strabotische Ablenkung häufig
schon lange vor und der Regel nach im Beginne der Lernzeit zu Stande
kömmt, kann eine nachträgliche Erhöhung des Refractionsrcv Standes \\w\ selbst
eine bedeutende Sfeigentng der Acconnnodationsbreite wegen erlangter Uebung
und damit herbeigeführter Hypertrophie der ciliaren Kreismuskelfasern nicht mehr
sich geltend machen.
Immerhin lässt sich nicht Uiugnen, dass eine grosse Anzahl hoch-
gradig Hypermetropischer trotz angestrengter Accommodationsarbeif- den
hinocuVdren Sehact erhält und dass umgekehrt das convergirende Schielen
sich oft genug bei Individuen entwickelt , welche unter den günstigsten
Bedingungen sich mit kleinen imd nahe an das Auge hei'anzurückenden
Objecten beschäftigen. Es müssen daher noch andere Umstände in der
Pathogenese des convergenten Schielens mitwirken und machen, dass bei
verschiedenen Individuen sehr verschiedene Accommodationsquoten die Schiel-
innervation auslösen.
Es sind in dieser Beziehung vorerst gewisse abnorme Verhältnisse
zu berücksichtigen, welche den gemeinschaftlichen Sehact minder tverthvoll
machen oder gar stören, indem sie nur verschwommene, verzerrte oder
durch Spectra getrübte Bilder auf der einen Netzhaut zu Stande kommen
lassen. Hierher gehören grössere Unterschiede in dem Refractionszustande
beider Augen, einseitiger abnoi'mer Astigmatismus und besondei's Trübungen
der einen Hornhaut. Der Einfluss, welchen derlei Zustände auf die Ent-
wickelung des Schielens nehmen, zeigt sich in der That nicht blos in der
relativen Häufigkeit derselben, sondern auch in dem Umstände, dass in
der Regel das zum scharfen Sehen minder taugliche Auge dasjenige ist,
welches strabotisch abgelenkt wird.
Von hervorragender Wichtigkeit ist- die grössere oder geringere
Leichtigkeit, mit welcher verschiedene Individuen auch unter normalen Ver-
hältnissen die Innervation für überm,ässige Convergenzen aufbringen und
incongruente Bilder der einen Netzhaut unterdrücken. Es liegt nämlich auf
der Hand, dass eine starke Entwickelung dieser Fähigkeit das Auftreten
des Strabismus sehr begünstigen, deren Mangel aber die Ausbildung des
Schielens erschweren oder gar unmöglich machen müsse. Dazu kömmt dann,
dass diese Fertigkeiten durch fortgesetzte Uebungen sich allmälig steigern
lassen und damit die Bedingungen für die strabotische Ablenkung günsti-
ger und günstiger gestalten. Im Einklänge damit ist denn auch der Sti'a-
bismus anfänglich immer ein intercurrenter, periodischer, er tritt nur hervor,
wenn grössere Accommodationsquoten gefordert werden. Allmälig aber
schielt der Kranke häufiger, die Ablenkung erfolgt leichter und leichter,
bis sie schliesslich eine ständige wird, indem selbst ganz kleine Accommo-
dationsquoten nur mehr imter der Beihilfe der Schielinnervation aufge-
bracht und erhalten werden.
Es ist nicht unwahrscheinlich , dass häufiges forcirtes Conver-
giren, wie es von Kindern nicht selten muthwilliger Weise geübt wird,
durch allmälige Steigerung der Convergenzfähigkeit. den Strabismus vor-
bereitet, und wo andere Verhältnisse der Entwickehing desselben günstig
sind, ihn auch wirklich ins Leben ruft. Man will in der That das con-
vergente Schielen in Schulen, in welchen solche Spiele getrieben werden,
förmlich grassiren gesehen haben (H. CohnJ,
904 Strabismus convergens; Ursachen uiifl Verlauf: Strah. converg. bei Myopie.
Es ist auch ganz gut denkbar, dass kleine Kinder, welche oft und
lange in einer Stellung erhalten werden, die sie zwingt, bei starker Sei-
tenhlickricTitnng nahe Gegenstände zu fixiren, leichter den Strabismus er-
lernen (Arlt), indem starke Seitenblickrichtungen die Accommodation und
Convergenz erschweren, die zum Scharf- und Deutlichsehen naher Gegen-
stände erforderlichen Quoten demnach ei'höhen, also die Augenmuskeln
stärker zu innerviren nöthigen.
Endlich drängen bestimmte Erfahrungen zur Annahme , dass die
starken Convergenzen, welche Kurzsichtige bei der Beschäftigung mit klei-
nen Objecten aufzubringen haben, in Folge der fortgesetzten Uebung der
betreffenden Muskeln das Zustandekommen des convergenten Schielens
fördern. Man findet nämlich mitunter bei Myopen ein convergentes
Schielen, welches sich nicht, wie gewöhnlich, mit dem Bedarfe grösserer
Accommodationsquoten in pathogenetischen Zusammenhang bringen lässt.
Es weicht dasselbe überhaupt in einzelnen Beziehungen wesentlich von
der allgemeinen Regel ab, und dürfte möglicher Weise eine pathogene-
tisch ganz differente Form der Ablenkung repräsentiren. Es kömmt diese
Form hauptsächlich bei mittleren Graden der Myopie vor. Ihre Entwicke-
lung fällt meistens in die späteren Schuljahre , öfters sogar in das reife
Mannesalter. Durch frühzeitigen Gebrauch von Concavgläsern, welche die
Objecte der gewöhnlichen Beschäftigung in einen grösseren Abstand zu
bringen gestatten, wird ihr in der Regel wirksam vorgebeugt, daher sie denn
auch vornehmlich bei Frauen beobachtet wird , welche das Brillen-
tragen gerne vermeiden. Anfänglich zeigt sich das Schielen nur beim
Fernesehen und lässt sich dann öfters noch durch entsprechende Concav-
gläser corrigiren ; späterhin aber rückt die Grenze für die Ablenkung immer
weiter herein und lässt sich dtirch passende Brillen nur um ein Kleines
hinausschieben. Die Ablenkung pflegt eine sehr excui'sive zu sein, doch
fixiren die Kranken nahe Objecte, welche in ihrer deutlichen Sehweite
liegen, ganz gut binoculär, indem sie das vorhandene Uebergev^icht der
inneren Geraden durch eine entsprechende Abductionsinnervation neutrali-
siren (Graefe). Steigern sich im weiteren Verlaufe durch rasche Zunahme
eines Staphyloma posticum plötzlich die Widerstände, gegen welche die
inneren Geraden zu kämpfen haben, oder sinkt aus irgend einer Veran-
lassung ihre Energie, so kann es geschehen, dass die eine Gesichtslinie
beim Nahesehen nach aussen, beim Feimesehen nach innen abweicht, sich
also der convergirende mit dem divergirenden Strabismus combinirt
(Donders).
Ausgänge. Der Strabismus kann vollständig, d. h. mit Wiederher-
stellung des gemeinschaftlichen Sehaetes zurückgehen. Häutiger jedoch ver-
schwindet blos die strabotische Ablenkung oder vermindert sich so weit,
dass sie durch leichte Seitwärtsbewegungen des Gesichtes maskirt werden
kann, während der gemeinschaftliche Sehact aufgehoben bleibt. Indem diese
Veränderung meistens ganz allmälig und unmerklich unter dem fort-
schi-eitenden Wachsthume des Körpers zu Stande kömmt, pflegt man dann
zu sagen, das Schielen habe sich ausgewachsen.
In einzelnen Fällen geht der Strabismus zurück, ohne dass von
Seite des Kranken durch Regelung oder völliges Aufgeben der bisherigen
Beschäftigung etwas dazu beigetragen worden wäre, ja trotzdem der Schieler
Ausgänge; Spontane Heilung; lliiiwuiv.i'luiiij; Anaesthesio; Mnskeldegeneration. 90.5
sich ununterbrocheTi mit Studien odi-r iiberluiupf mil Bingen beschaftigei
hat, welche ein anhaltendes und starkes Accommodiren für die Nähe
erheischen.
Hier und da dürfte laut vereinzelten Beobaclitunf^en der Erklärungsgrund
dessen in einer Verkleinerung der erforderlichen Accominodationsquolen wegen Ver-
minderung oder Umsetzung der Hypermetropie in Myopie zu suchen sein; öfter
jedoch besteht die Hypermetropie fort und es müssen andere, bisher nicht er-
mittelte Umstände den günstigen Umschwung veranlasst haben.
Viel leichter wächst sich der Strabismus aus, wenn durch Verände-
rung der Beschäftigungsiveise oder durch entsprechende Corredion eines ver-
anlassenden Refractionsfehlers die häufige und anhaltende Verwciulung
grosser Accommodationsquoten überflüssig gemacht worden ist, indem dann
der Kranke die Schielinnervation wieder verlernt und sich gewöhnt, mil
grösseren und grössei'en Accommodationsquoten die entsprechenden Conver-
genzquoten zu verbinden.
In der Regel jedoch wurzelt der Strabismus^ wo nicht bei Zeiten eine
völlige Beseitigung der pathogenetischen Momente angebahnt und mit
äusserster Consequenz erhalten wird, mehr imd mehr ein, ohne dass jedoch
ein fernerer Wechsel des Schielwinkds in auf- oder absteigender Richtung
ausgeschlossen wäre. Es nimmt dann die functionelle Energie der dem
neuen binoculären Gesichtsfelde zugehörigen Netzhauttheile mehr und mehr
ab und schliesslich kann sich diese centrale Anaesthesie (S. 898) bis zur
vollständigen uiid unheilbaren partiellen Amaurose gestalten, indem wahr-
scheinlich die retinalen Elemente dem Schwunde verfallen.
Früher oder später pflegen dann auch die beim Strabismus betheilig-
ten Muskeln materielle Veränderungen einzugehen. Es wird dadurch noth-
wendig die Orientirung der abgelenkten Netzhaut geschädigel, was sich
durch die Möglichkeit der Hervorrufung von Doppelbildern bekiindei.
Weiterhin kömmt es auch zur Beschränkung der Excursionsfühigkeit des
Bulbus, bisweilen in dem Grade, dass der Strabismus sich allmälig zur
Luscitas qualificirt. Vorerst wird immer nur der eigentliche Schielmuskel
alterirt. Mitunter führt nämlich die excessive Thätigkeit desselben zu Hyper-
ämien und capillaren Blutungen in seinem Gefüge oder gar zu wahren
Entzündungen, welche am Ende mannigfaltige Verbildwigen, am gewöhn-
lichsten sehnige Degeneration mit Schrumpfung, begi'ünden. Viel häufiger
aber, ja in der Regel, wird der Schielmuskel übernährf, er hgpertrophirt im
engeren Wortsinne, nimmt an Dicke und Breite zu und gewinnt so factisch
ein Uebergewicht über seinen Gegner, der allmälig ausgedehnt, verlängert
wird, dabei aber an Dicke und Breite verliert und am Ende förmlich atro-
phirt. Gleiches Schicksal trifft weiterhin den hypertrophirten SiMelmuskel,
auch dieser wird nach und nach verbildet und schrumpft zu einem dünnen
schmalen, äusserst derben und blutarmen sehnigen Strange, der der mtiscii-
laren Contraction natürlich ganz unfähig ist und vermöge seiner allmäligen
Verkürzung mitunter Ablenkungen vermittelt, wie selbe früher selbst unter
maximalen Kraftanstrengungen nimmer möglich waren. Zuletzt nimmt wohl
auch der Partner des Schielmuskels am anderen Auge Theil an der Degene-
ration, wird gleichfalls hgpertrophirt, um später gleich seinem ausgedehnten
Antagonisten der degenerativen Atrophie zu verfallen; daher denn auch die
Beweglichkeit des fixirenden Auges beschränkt zu werden pflegt und der
906 Strabismus convergens : Behandlung; Prophylaxis.
Ki'anke durch Drehunc/en seines Kopfes die Augen in die richtige Stellung
zu deu Übjecten zu bringen gezwungen wird (Graefe).
Die Behandlung hat der Entioichelung und Consolidirung des Schielens
vorzuheugev , einen bereits vorhandenen Strabismus mit Herstellung des gemein-
schaftliehen Sehactes zu beseitigen und, wo dieses nicht geht, den Schielwinkel
so weit, zu verkleinern, dass die Entstellung des Kranken auf ein Minimum
reducirt werde.
1. Die prophylaktischen Massregeln fliessen unmittelbar aus der Aetio-
logie des Schielens. Sie müssen selbstverständlich schon sehr frühzeitig, in
der Regel während der ersten Kinderjahre, ergriffen werden, sollen sie Er-
folg haben.
Wo die Verhältnisse den Bedarf grösserer Accommodationsquoten ver-
muthen oder erweisen lassen, zielt die Prophylaxis hauptsäclilich auf Ver-
meidung grösserer Anstrengungen behufs deutlichen und scharfen Sehens, be-
sonders in kurze Distanzen, um solchermassen die Veranlassungen der stra-
botischen Ablenkung möglichst ferne zu halten. Es ist daher in solchen
Fällen schon die Wahl der Spielzeuge in zweckdienlicher Weise zu beein-
flussen und das Kind viel später, als es sonst zu geschehen pflegt, zum
Erlernen des Lesens, Schreibens, weiblicher Arbeiten u. s. w. anzuhalten
(S. 791, 1. S. 809).
Nach Ablauf der ersten Kinderjahre lassen sich die pathogenetischen
Momente nach Art und Grad viel leichter ermitteln und oft auch wohl die
Wege finden, um die vorhandenen Störungen des gemeinschaftlichen Seh-
actes um ein Beträchtliches zu vermindern oder ganz aufzuheben. Am leich-
testen gelingt dieses, wo Hypermetropie mit Strabismus droht. Hier ist
denn auch die theilweise oder gänzliche Neutralisation des Refractionsfehlers
durch entsprechende Convexbrillen dringendes Gebot. In jedem Falle müssen
durch thunlichste Schonung der Aitgen, durch entsprechende Wahl der Lern-
behejfe, durch Beschiiinkung der Dauer der unausweichlichen Anstren-
gungen, durch öfteres Wechseln der Objecte und ihrer Entfernungen etc.
alle Anlässe zur Sehielinnervation möglichst abgeschwächt werden.
2. Macht sich bereits der Strabismus in periodischer oder ständiger
Form geltend, so kömmt es darauf an, den Kranken der Sehielinnervation
wieder zu entwöhnen. Es muss daher mit doppelter Strenge auf consequente
Durchführung der Vorbauungsmassregeln hingewirkt werden. Bei kleinen
Kindern, welchen ohne Gefahr von Verletzungen u. s. w. der Gebrauch
von Brillen nicht zugemuthet werden kann, lässt sich auf directem Wege
allerdings nur wenig leisten, indem man sich darauf beschränken muss,
alle Spielzeuge zu entfernen, welche ein starkes Accommodiren erfordern.
Ist das Kind aber so weit herangewachsen, dass ihm die Benützung von
Brillen gestattet werden kann und lässt sich der Beginn des Unterrichtes
nicht mehr länger hinausschieben, so ist zur Correction des Refractions-
fehlers, soweit er in die Pathogenese des Schielens eingeht, zu schreiten.
Der Brechwerth des zu verwendenden Glases wird hierbei nicht sowohl
von dem Grade des Refractionsfehlers selbst, als vielmehr von der Accom-
modationsquote bestimmt, welche sich mit der strabotischen Ablenkung zu
coordiniren pflegt. Oftmals genügen Gläser, deren Brechwerth hinter dem
gegebenen Grade von Hypermetropie zurücksteht, indem die Schielinner-
Correction durch Gläser; Schielhrillcii. 907
vation, namentlich im Bep,'inno des Leidens, häufig nur an grosse Accom-
modalionsquotcn geknüpft ist. In anderen Fällen muss der etwaige lle-
fract ionsfehler übercorric/irt und bisweilen ein Convexglas angewendet wer-
den, wo Emmetropie oder gar ein gei'inger Grad von Myopie besteht, in-
dem die die strabotische Ablenkung auslösende Accommodationsquote eine
sehr Jcleinc ist. Die Wahl des Glases wird im speciellen Falle durch den
Versuch bestimmt. Im Allgemeinen wird man mit jenem Glase am besten
fahren, welches die vorhandene Hypermetropie auf Emmetropie corrigirt.
Wo dieses Glas jedoch die Schielinnervation nicht beseitigt, muss zu einem
stärkeren gegi'iffen werden und man wählt dann am besten das schväcliste
unter jenen, welche die strabotische Ablenkung unter den gegebeneu Um-
ständen hintanzuhalten vermögen.
Beim periodischen Schielen braucht man das corrigirende Glas selbst-
verständlich nur zum Nahesehen verwenden zu lassen. Ist der Strabismus
aber bereits ständig geworden, die Schielinnervation also ganz kleinen Accom-
raodations([uoten coordinirt, so müssen corrigirende Gläser ununterbrochen
während dem Wachsein des Kranken im Gebrauche erhalten werden. Man
wird dann zum Herumgehen, überhaupt so lange der Kranke sich nicht
mit nahen Objecten beschäftigt, in der Regel schwächere Gläser benützen
lassen, zum Lesen, Schreiben u. dgl. aber schärfere veroi'dnen müssen,
soll die Schielinnervation mit Sicherheit vermieden werden. Man kömmt
hierbei nicht selten in eine missliche Lage, indem die einfache Correction
des Refractiov sfehlers auf Emmetropie oder die Zurückführung der zu einer
bestimmten Beschäftigung erforderlichen Accommodationsquote auf das
normale Mass sich ungenügend erweiset und üb er corrigirende Brillen wegen
Veranlassung asthenopischer Beschwerden nicht vertragen werdeia. Man kann
sich dann bisweilen damit helfen, dass man vorerst schivächere Gläser in
Gebrauch zieht und allmälig zu stärkeren aufsteigt, welche jener Aufgabe
entsprechen.
Nebenbei ist thunlichste Schonung der Augen , überhaupt Be-
schränkung der Accommodationsarbeit auf das zulässige Minimum dringend
geboten. Auch darf die gesonderte Uebung des SchieUniges niemals ver-
nachlässigt werden, um im Falle, als die Heilung des Schielens nicht bald
gelänge, der Entwickelung einer centralen Anaesthesie wirksam vorzubeugen.
Zu diesem Ende ist es nothwendig, das gewöhnlich fixirende Auge mehr-
mals des Tages durch eine oder die andere Viertelstunde mittelst eines
zweckentsprechenden Verbandes vom Sehacte auszuschliessen.
Der Versuch, das Schielen auf orthopädischem Wege zu heilen, indem mau
dem abgelenkten Auge ein zweites Object bietet und dieses mehr imd mehr dem
Fixirpunkte des gesunden Auges nähert, um die Doppelbilder allmälig zu ver-
schmelzen, beruht auf falschen Voraussetzungen (S. 894). Noch weniger kann die
Verwendung sogenannter SchieAhrillen, d. i. die Deckung beider Augen durch cen-
tral durchbohrte Diaphragmen, Nussschalen u. s. w. einen erheblichen Nutzen
stiften, im Gegentlieile ist die damit gesetzte bedeutende Erschwerung des bino-
culären Sehactes eher ein Mittel, das Schielen einwurzeln zu lassen.
Im Grossen und Ganzen darf man von der Verminderung der in
Gebrauch kommenden Accommodationsquoten um so eher eine Heilung
des Strabismus erwarten, je früher die entsprechende Correction vorge-
nommen und je consequenter sie durchgeführt wird. Oefters wird schon
im Laufe weniger Wochen insoferne eine Besserung erzielt, als die Kran-
908 Strabismus coiivergen? ; Behandlung: Correction diivch (üäser; deren Leistung.
ken sfvindenlange mit freiem Auge herumgehen können, ohne dass sich
die strabotische Ablenkung einstellt. Allmälig verlängern sich diese Inter-
missionen und nehmen auch wohl die Accommodationsgwo/en zu, welche
die Schielinnervation auslösen, so dass zuletzt der Strabismus nur bei
starken und dauernden Accommodationsanstrengungen wieder zum Vor-
scheine kömmt. In der Regel jedoch bedarf es mehrerer Jahre, um einen
solchen Erfolg zu erzielen und, will man das Erreichte in seinem Be-
stände sichern, so ist es dringend nothwendig, das Verfahren noch lange,
nachdem das Schielen beseitigt scheint, jedenfalls über die Pubertätsperiode
hinaus mit un geschwächter Sorgfalt fortzusetzen.
Wo beiderseits Hornhautflecke das deutliche Sehen verhindern, ist von
der Methode nicht viel zu erwarten, während bei einseitigen Cornealtrübungen
die strabotische Ablenkung öfters beseitigt wird. Auch ist die Vorhersage
keine günstige, wo durch geeignete Gläser eine Correction der Abweichung
ntir schwer zu erreichen ist, oder wo dazu Brillen benöthiget werden,
welche den Kranken, sei es beim Herumgehen oder bei der Arbeit, belästi-
gen, oder die Schielinnervation nur innerhalb enger Grenzen beheben, so
dass je für kleine Distanzditferenzen verschiedene Gläser erfordert werden.
Endlich müssen die Hoffnungen sehr herabgestimmt werden, wo der Stra-
bismus seit Langem eingewurzelt ist und in den betreffenden Muskeln
vielleicht gar materielle Veränderungen anzunehmen sind. Immerhin bleibt
das Verfahren auch hier nicht ohne allen Is^utzen, indem es öfters gelingt,
wenigstens jener Theil der strabotischen Ablenkung zu beseitigen, welcher
lediglich auf der Schielinnervation beruht. Eine dauernde Verkleinerung
des Schielwinkels erleichtert aber sehr die operative Tilgung des cosmeti-
schen Fehlers und vermindert wesentlich die nicht unbedeutenden Nach-
theile derselben.
In der grössten Mehrzahl der Fälle scheitert die Methode an der In-
consequenz und Nachlässigkeit der Kranken. Der Zweck des Verfahrens ist
nämlich die Abgewöhnnng der Schielinnervation ; zu dieser kann es aber
niemals kommen, wenn fort und fort wieder Gelegenheiten zur üebung
der strabotischen Ablenkung geboten werden. In der That verdirbt oft
eine einzige Stunde, was im Laufe von Wochen gewonnen worden ist.
Wo man daher nur einigen Grund hat, an der consequenten und jahrelangen
Durchführung zu zweifeln, ist es dringend gerathen, das unbestreitbar
höchst lästige Verfahren gänzlich zu meiden, um sich später Vorwürfe zu
ersparen. Diese Vorwürfe werden bei Misserfolgen um so weniger ausbleiben,
als sich Laien und Aerzte ganz falsche Vorstellungen von der Leistungsfähig-
keit der Schieloperation machen und weder deren Nachtheile gehörig wür-
digen, noch sich klar geworden sind über den hohen Werth der Erhaltung
und beziehungsweise Wiederherstellung des gemeinschaftlichen Sehactes.
3. Die Nachtheile der Strabotomie anbelangend, ist zu bemerken,
dass durch die Rücklagerung der Muskelansatzlinie nothwendig der Bogen
verkürzt wird, mit welchem der Muskel den Bulbus umspannt. Damit wird
eine Verminderung der Excursionsfähigkeit des operirten Auges gesetzt, und
zwar ist die Beschränkung unter Voraussetzung normaler Functionstüchtigkeit
der betreffenden Muskeln ^?-o2JOJ-^jo)wV^ der Verkleinerung des Bogens, mit wel-
chem der Muskel den Bulbus umspannt, also der Grösse der Rücklagerung;
die Beweglichkeit wird ein Minimum, der Muskel kann die Gesichtslinie
Strabfitonru" ; deren Nachtlirile : I'ieweglichkeitsbeschriuikiing ; SlüniiiH: il. (iiiontiiim^^-. 909
mir mehr um ein sehr Kleines aus der Parallelstellung mit der Median -
ebene dos Gesichtes nach seiner Seite hin drehen, wenn die neue Insertionslinie
mit der normalen Tangirungslinie zusammen fällt.
Grössere strabotische Ablenkungen fordern selbstverständlich grössere
Muskelrücklagerungen. Wollte man dies durch die Tenotomie des Schiel-
muskols allein bewerkstelligen, so müsste man offenbar die Beiveglichkeit
nach Seiten des letzteren auf ein Kleines beschränken und unter Umstän-
den gar völlig aufheben. Um den damit verknüpften Uebelständen aus-
zuweichen, ist es daher bei Strabismen von nur eivigermassen beträchtli-
cherem Grade dringend nothwcndig, nicht nur den Schielmuskel, sondern
auch seinen Partner der anderen Seite rückzulagern, und zwar erstcren etwas
mehr, als letzteren, beide zusammen aber um so viel, dass die Summe beider
Rücklagerungsbögen der Anzahl der Grade nach dem Schielwinkel gleich werde.
Es vertheilt sich dann nämlich das Bewegungsgebiet beider Augäpfel gleich-
massig auf beide Seiten der Medianebene, während der Mesoropter, d. i.
die gemeinsame Blickrichtung bei gedankenlosem Blicke, aus der Median-
ebene hinweg nach Seiten des fixirenden Auges rückt, was jedoch rasch
wieder durch eine wenig auffällige Seitwärtsdrehung der Antlitzfläche mas-
kirt zu werden pÜegt.
4. Der Hauptnachtheil der Strabotomie liegt indessen in der gründ-
lichen Störung des Orientirungvermögens und in der damit nothwendig ver-
bundenen unheilbaren Vernichtung des gemeinschaftlichen Sehactes, folgerecht
also auch in dem Verluste der directen J'iefenwahrnehmung. Es ist näm-
lich nach dem Mitgetheilteu vor der Operation sowohl das schielende als
auch das fixirende Auge in Bezug auf seine eigene Lage richtig orientirt.
Nach der Tenotomie dauert mit der Schielinnervation das Bewusstsein
dieser Lage foi't und geht in die Projectionsverhältnisse ein, während die
Leistungsfähigkeit der durchschnittenen Muskeln proportional dem Rück-
lagerungsbögen der Ansatzlinie abgenommen hat, daher nun das aus den ivill-
kürlichen Innervationen fiiessende Bewusstsein der Netzhautlage unmöglich
den thatsächlichen Verhältnissen entsprechen kann.
Es macht sich diese Störung der Oi'ientirung häufig, besoiiders in
der ersten Zeit nach der Operation, in sehr misslicher Weise durch spion-
tanes Doppeltsehen geltend und ist dann um so autfälliger, wenn durch die
Strabotomie der Schielwinkel fast annullirt, die abgelenkte Gesichtslinie
also wieder für gewöhnliche Objectslagen richtig einstellbar geworden
ist. Die gegenseitige Lage der Doppelbilder entspricht eben vor wie nach
der Operation nicht der faciischen Stellung der beiden Augen zum Objecto,
sondern wird nach durchgeführter Tenotomie von der Grösse der andauern-
den Schielinnervation, von den etwa voi'handenen materiellen Veränderungen
der Muskulatur und von dem Rücklagerungsbögen der Ansatzlinie der Mus-
keln bestimmt (S. 895).
Es wäre (Fig. 108) mn die Medianlinie, Ir die Grundlinie und a ein fixirter
Objectpunkt, welcher von der Gesichtslinie la des linken Auges gesclinitten wird,
während die rechte Gesichtslinie hr um den Winkel v+p- strabotisch abgelenkt,
also auf h gerichtet ist. Beruht die strabotische Ablenkung blos auf der Schiet-
innervation , so wird b und a von beiden Augen in der gehörigen Richtung, also in
den Linien hn und an nach aussen projicirt werden. Wäre aber der Schielmuskel
in mechanischem Uebergewichte, so würde der Punkt h von dem Schielauge unge-
fähr in der Richtung fn und der Punkt a in der Richtung hn nach aussen ver-
setzt werden , also ein gleichseitiges Trugbild zur Wahrnehmung kommen. Es sei
910 Strabism. coiiverg. ; Beliandlg. ; Nachtheile J. Strabotomie ; InLongiuenz d. Netzhäute.
Fig. 108.
nun die Gesiclitslinie hr durch eine Tenotomie um dem Winkel v nacli er gelenkt
worden. Offenbar wird jetzt c in der Richtung hn, eventuel in /n, a aber in der
Richtung cn, beziehungsweise in
der Richtung gn erscheinen, wo-
bei [j:=rv angenommen wird. Es
sind nun schon gekrenzte Doppel-
bilder gegeben. Wird jetzt der
Schielvvinkel dadurcli auf Null
gebracht, dass durch Rücklage-
rung des linken Internus die Ge-
sichtslinie la nach Ic verlegt
wird, so muss c vom Unken Auge
in der Richtung von an und a
in der Richtung von en wahr-
genommen werden, wobei y=8
vorausgesetzt wird. Die Richtun-
gen, in welchen nun c in Doppel-
bildern erscheint, wären demnach
bei reinem Strabismus in a w und
hn, bei materiellen Veränderungen
des Schielmuskels aber in an und
fn gegeben, während a bei dar-
auf gerichtetem Blicke in en und
cn, beziehungsweise in gn, ge-
sehen werden müsste. Die Doppelbilder wären also wieder gekreuzt, ihr Breitenab-
stand aber rergrössert.
5. Es vermindert sich mit dex" Zeit diese Desorientirung um ein
Merkliches, ohne dass sie jedoch jemals ganz aufgehoben würde. Vorerst
nimmt die falsche Projection des gesunden Auges nach einer beiderseits
vorgenommenen Tenotomie ab, indem das Urtheil allmälig durch Erfahrung
corrigirt wird ; das fixirende Auge versetzt seine centralen Eindrücke nicht
mehr wie früher in die innervirte Blickrichtung, sondern in eine Linie, welche
zwischen diese und die neite thatsächliche Blickrichtung fällt und sieh allmälig
der letzteren mehr und mehr nähert. Wirklich werden die Abweichungen
des Fingers vom Objecte beim Stossversuche immer geringer und schliesslich
gelingt der Versuch wohl auch eben so sicher als im Normalzustande und be-
ziehungsweise for der Schieloperation. Dazu kömmt, dass auch der Breiten-
abstand des dem Schielauge zugehörigen Trugbildes abnimmt, indem der
unmittelbare Erfolg der Operation durch die nachträgliche Zusammen-
ziehung des Narbengewebes im Operationsfelde verkleinert wird.
Es wird nun mit dem fixirenden Auge der Objectpunkt c (Fig. 108) nicht
mehr in der Richtung an, sondern nahezu in der Richtung cn gesehen, in-
dem das Bewusstsein der zur Fixation aufgewendeten Innervationen der Augen-,
der Halsmuskeln u. s. w. und die gewonnenen Erfahrungen in die Beurtheilung
eingehen und damit den Fehler elimiiiiren. Da gleichzeitig die Gesichtslinie des
Schielauges nicht mehr in er, sondern etwa in fr gelegen ist, so wird auch der
Objectpunkt c nicht mehr in bn, sondern vielleicht in fn erscheinen, und wurde
früher b wegen einem mechanischen Uebergewichte des Muskels in fn gesehen,
so kann jetzt /' in cn oder wohl gar nahe an gn erscheinen, so dass bei unvoll-
ständiger Correctur wieder gleichseitige Doppelbilder auftreten.
Das gänzliche Verkennen der strabotischen Grundluge und vielleicht auch
das öftere Unterlaufen von Fällen, in welchen ein scheinbares Schielen für ein
wahres gehalten und operirt worden ist, hat im Vereine mit den scheinbar ganz
unerklärlichen Stellungen des Trugbildes nach Schieloperationeu die Veranlassung
gegeben zur Annahme von angeborenen, in den Organisationsverhältnissen der
Netzhaut begründeten Incongrvenzen oder zur Annahme eines eigenthümlichen
Wider IV illens gegen binoculaves Einfachsehen. Man hat an dieser Idee auch lange
festgehalten, bis sie durch die rasch zunehmende Zahl einschlägiger Beobachtungen
Loistungsfähigkeit d. StialiotoTiiio ; Zeit zur Uperatioii. 1)1 1
als widersinnig erkannt wurde. Nimmt man sich die Mühe , recht viele Fälle vor
und nach der Tenotomie auf die Doppelbilder zu untersuchen, so zeigt sich in
der That gar bald, dass jenes anscheinend so sonderbare Verhalten die Regel
bildet.
6. Die Strabotoraie ist nach allem dem eine rein cnsmetische Operation,
deren Ausführung erst dann drängt, wenn die mit dem Schielen verbundene
Entstellung auf das bessere Fortkommen des Kranken einen misslichen Ein-
fluss zu nehmen droht und wenn eine Herstellung des gemeinschaftlichen
Sehactes auf anderem Wege, so wie überhaupt ein Auswachsen des Stra-
bismus nicht mehr zu gewärtigen ist. Im Allgemeinen ei'scheint daher die
Pubertätsperiode als die zur Vornahme der Operation geeignetste. Die Teno-
tomie schon in den Kinderjahren durchzuführen, ist übrigens um so weniger
zu rathen, als dadurch die Schielinnervation nicht beseitiget wird und als
bei fortgesetzter Aufwendung höherer Accommodationsquotcn häufig noch
der Schielwinl'el wächst , so dass die Correctur unzureichend und eine
weitere Rücklagerung nothwendig wird , was am Ende eine den cosmeti-
schen Interessen sehr abträgliche Beweglichkeitsbesehränkung, wenn nicht
gar auch ein starkes Einsinken der Carunkel, ein hässliches Hervortreten
des Bulbus u. s. w. mit sich bringen kann. Um diesen Becidiven wirksam
vorzubeugen, bleibt dann selbstverständlich kein anderes Mittel, als die
zur Arbeit erforderlichen Accommodationsquoten durch zusagende Gläser
in entsprechendem Masse zu verkleinern. Es ist nun aber offenbar klüger,
diese Correctur vor der Operation einzuleiten und durch consequeute
Durchführung derselben die Möglichkeit der Wiederherstellung des gemein-
schaftliehen Sehactes zu erkaufen, als dem Kranken dieselbe Pein aufzu-
laden, nachdem man ihm durch die Tenotomie jede Aussicht auf binoculares
Sehen für immer abgeschnitten hat.
Die von Vielen urgirte Durchführung der Strabotomie während den
Kinderjahren lässt sich nur durch die hartnäckig festgehaltene Irrmeinung
entschuldigen, als könne durch die Muskelrücklagerung eine tvirkliche Ver-
schmelzung binoculärer Eindrücke zu einfachen und ihrer Intensität nach
verstärkten Wahrnehmungen erzielt werden, wozu das bisweilige Utberein-
anderfallen der Doppelbilder und in manchen Fällen vielleicht auch schein-
bares stereoskopisches Sehen (S. 89 7) beigetragen haben mag. Wer sich
jedoch die Mühe nicht verdriessen lässt, eine längere Reihe operirter Fälle
mit den gehörigen V^orsichten auf binoculares Sehen und directe Tiefen-
wahrnehmung zu pi'üfen, wird sich bald überzeugen, dass fast immer
gesonderte Doppelbilder nachzuweisen sind und die directe Tiefenwahr-
nehmung, also auch binoculares Einfachsehen , constant vollständig fehlt.
Es ist gewiss die Zeit nicht ferne, wo, einzelne Ausnahmsfälle abgerech-
net, die Verschiebung der Operation in die Pubertätsperiode allgemein
als den Interessen des Kranken förderlich erkannt werden wird.
Es ist aber auch nicht klug, mit der Operation nach Ablauf der
Pubertätsperiode lange zu zögern. Wenn die bisherigen Erfahrungen
nicht trügen, ist ein Verlernen der Schielinnervation nach dieser Epoche
nämlich nur schwer zu gewärtigen. Dazu kömmt, dass eine weitere Ab-
nahme der die Schielinnervation auslösenden Accommodationsquoten und
eine fernere Vergrösserung des Schielwinkels weniger zu drohen scheinen,
die durch eine Operation erzielte Correctur demnach leichter in zureichen-
dem Masse erhalten bleibt. Wenigstens gewinnt man so viel, dass der
912 Stiabisuius conveigeiis : Behandhnig ; Dosinmg- d. Rüeklagerung.
Kranke ohne Gefahr einer Recidive die corrigirenden Brillen beim Herum-
gehen u. s. w. entbehren kann. Müssen dann auch die Brillen zum Nahe-
sehen im Gebrauche bleiben, so verliert der Kranke nicht viel, indem der
meistens vorhandene Refractionsfehler ganz abgesehen vom Schielen bei
der Arbeit neutralisirt werden muss, weil die im Jugendalter häufig ver-
grösserte Accommodatiousbreite auf oder sogar unter das normale Mass
sinJd und folgerecht die zu den gewöhnlichen Beschäftigungen erfordei'lichen
Accommodationsquoten ziemlich rasch wachsen.
7. Wird die Operation in oder nach der Pubertätsperiode vorge-
nommen, so ist es klug, die sfrabofische Ablenkung ganz durch Rücklage-
rung der Ausatzlinie des Muskels zu beseitigen. Würde nämlich blos die
auf einem mechanischen Uebergewichte des Schielmuskels beruhende Quote
des Schielwinkels corrigirt und der durch die Schielinnervation begründete
Theil der Ablenkung zurückgelassen werden, so würde in der grössten
Mehrzahl der Fälle die ^othwendigkeit fortbestehen, den gegebenen Re-
fractionsfehler ununterbrochen, also auch beim Herumgehen u. s. w. zu
corrigiren, der Kranke fände in der Operation nur eine geringe Erleich-
terung, trotzdem sein gemeinschaftlicher Sehact bereits aufgeopfert worden
ist. Im Ganzen thut man sogar gut, eine kleine Uebercorrection anzu-
bahnen, indem die spätere Contractur der Narbe eine Verminderung des
unmittelbaren operativen Effectes erwarten lässt.
8. Eine richtige Dosirung ist nur möglich, wenn bei der Operation
die Scliidinnervation fortbesteht. Insoferne erscheint die tiefe Narkose bei
der Strabotomie im hohen Grade störend. Es wird durch die Rücklagerung
der Muskelansatzlinien allein nämlich nur selten die Stellung der Augen
gleich von vorneherein eine völlig entsprechende, meistens müssen durch
entsprechende Trennung der Scheiden Correcturen vorgenommen werden
und für diese fehlt der Massstab, wenn die Schielinnei'vation ruht. Man
ist also gezwungen, den Kranken wiederholt aus der Narkose zu wecken
und wieder einzuschläfern, um das Fehlende zu ergänzen.
Bei sehr ängstlichen und messerscheuen Kranken ist übrigens die Narkose
trotz ilirer Uebelstände schwer zu entbehren. Diese spannen ncämlich häufig die
Muskehl in so bedeutendem Grade, dass die Conjunctiva wulstförmig nach vorne
gestaut wird; die Hervorhebung der Sehne ist aber bei krampfhaft gespanntem
Muskel sehr schmerzhaft und steigert die Abwehr; während bei ruhigen Individuen,
welche geringe Widerstände setzen , die einzelnen Hantirungen mit grösster
Leichtigkeit und Schnelligkeit bei verhältnissmässig geringen Schmerzen ausge-
führt werden können.
9. Die Operation als solche verlangt keine Vorbereitung und wird
in der Regel an ambulanten Schielern vorgenommen. Man benöthigt hierzu
eine mittelgrosse Hakenpincette, eine nach der Fläche gebogene, kleine Schere,
einen zarten Muskelhaken mit stumpfer Spitze und kleine Schwämmchen zum
Auftupfen des sich etwa ergiessendeu Blutes. Der Kranke ist dabei in
die horizontale Bückenlage zu bringen und, falls die Narkose nicht beliebt
wird, das andere Auge durch eine Binde zu schliessen, auf dass der Schieler
das zu operirende Auge mehr in die Gewalt bekomme und je nach Bedarf
wenden könne. Ein Assistent hat die beiden Lider möglichst weit abzu-
ziehen und sicher zu fixiren, während er gleichzeitig den Kopf des Kranken
an Bewegungen hindert. Ein anderer Assistent übernimmt die Reinhaltung
des Operationsfeldes von austretendem Blute. Der Operateur fasst, während
das zu operirende Auge stark nach der Seite des Antagonisten des Schiel-
filrabotoiiiic ; Opeiatioiisveilahicii.
913
muskels abgelenkt oder mit einer Fixirpincette abgezogen wird, mittelst der
P'mr.e.tte die Bindehaut sammt der Scheide gerade über der InsertionsUnie der
zu treunendeu Sehne, also 2 '/.,"' oder höchstens 3'" von der Corneal-
grenze entfernt, hebt sie in eine Falte auf und durchsehneidet diese Falte
)nit der Schere in senkrechter Richtung. Hierauf wird die Wunde von
ihren Winkeln aus nach oben und unten auf circa 4'" erweitert. Ist
dieses geschehen, so wird die Piucette senkrecht auf die ÜberÜäche des Bulbus
in die Wunde eingesetzt, geöffnet und mit ihren beiden Spitzen knapp an
der Sclerotica ein wenig nach hinten geschoben, um so den Muskel zwischen
die Branchen zu bekommen und ihn nach Schliessung der Piucette in einem
scharfen A¥inkel aus der Wunde hervorziehen zu können. Mele ziehen es
vor; die Sehne mit dem stumpfen Schielhaken hervorzuholen. Es wird so-
dann mit der anderen Hand die Schere an die Wunde gebracht, das eine
Blatt derselben unter den empor-
gehobenen Muskel gesteckt (Fig.
109) und die Sehne knapp von
der Sclerotica abgetrennt.
Nach der Operation wird
die gegenseitige Stellung der bei-
den Bulbi bei Fixation ferner und
naher Objecte möglichst genau
ermittelt.
Ist die Ablenkung des Schiel-
auges nur wenig oder gar nicht ver-
mindert, so hat man Grund zu
vermuthen , es sei die Sehne
nicht ihrer ganzen Breite nach
durchschnitten worden. Mit Sicher-
heit kann man dieses annehmen,
wenn bei der Wendung des Auges
nach der Seite des Antagonisten
die Wunde gar nicht klafft und
in deren Mitte die Lederhaut mit der ihr eigenthümlichen sehnigweissen
Farbe nicht hervorschimmert. Man muss dann den Muskelhaken in die Wunde
einführen und unter die noch ungetrennten Sehnenfäden zu bringen
suchen, indem man seine stumpfe Spitze fest an die Sclerotica andrückt
und an derselben auf- und abwärts streift. Hat man die Fäden gefasst,
so wird er in der vorerwähnten Weise durchschnitten, worauf der Bulbus
sogleich nach der anderen Seite weicht.
Zeigt sich jetzt die Ablenkung auf ein Kleines reducirt, so muss
die Scheidenwunde nach oben und unten verlängert werden. Erübi'igt aber
noch eine beträchtlichere strabotische Ablenkung, so ist die Sehne des Part-
ners am anderen Auge nach denselben Eegeln zu durchschneiden. Genügt
auch das nicht völlig, so ist die Tenon'sche Kapsel am Schielauge oder an
beiden Augen von der Wunde aus noch eine Strecke weit nach oben und unten
zu spalten, um die Widerstände zu vermindern, welche das mit dem gelösten
Scheidentheile zusammenhängende vordere Muskelende bei seiner Zurück-
ziehung findet, und so das Mass der letzteren zu steigern. Doch soll mau
mit dieser Spaltung vorsichtig sein und sich namentlich hüten, bei etwa
st all wag, Augeulieilkiiiide. öS
914 Strabismus converg.; Behandlung; Strabotnmie ; Modiflcatioiien derselben.
noch immer beträchtlicher Grösse der Ablenkung deren Beseitigung durch
fortgesetzte Spaltung der Scheide erzwingen zu wollen. Dadurch gewinnt
der Kranke gar nichts, im Gegentheile droht ihm eine um so hässlichere
Entstellung. Zu der Beivegllchlceitsheschränkung kömmt dann nämlich noch
ein starkes Hervortreten der Bulbi, dieselben erhalten ein glotzendes Aus-
sehen, welches um so avff alliger und widerlicher wird, als mit dem excessiv
retrahirten Muskelende und dem dasselbe umhüllenden Scheidentheile auch die
nachbarliche Portion der Bindehaut sammt Adnexis nach hinten gezogen wird,
im Bereiche des Operationsfeldes also eine iveit nach hinten ragende Lücke
im ConjunctivalsacJce entsteht, welche durch die Tiefe ihres Schattens deut-
lich von der Umgebung absticht. Ist man mit der Trennung gar zu weit
gegangen und hat man namentlich den Muskel in grösserer Länge aus seiner
Scheide herauspräparirt , so weicht der Bulbus auch wohl nach der anderen
Seite ab, man hat einen secandären Strabismus erzeugt; oder das vordere Ende
des durchschnittenen Muskels zieht sich gar aus der Scheidenhaut heraus,
hängt dann nur mehr durch sein Perimysium mit der letzteren zusammen,
kann somit keine neue Verbindung mit der Bulbusoberfläche selber ein-
gehen, es verliert der Muskel seinen Einfluss auf den Augapfel, dieser wird
Yon dem Antagonisten nach der entgegengesetzten Seite hin gezogen und
bleibt in dieser schiefen Stellung starr.
Man hat sich diesen Gefahren bisher dadurch zu entziehen gesucht,
dass man sich in schwierigen Fällen vorerst mit einer theilweisen Correc-
tur begnügte und das Fehlende durch spätere, zwei und mehrmal ivieder-
holte Operationen zu ersetzen strebte. Doch muss das, was durch eine
wiederholte Operation schliesslich ohne Gefahren zu erreichen ist, wohl auch
durch eine ricldig dosirte eiste beiderseitige Muskelrücklagerung schadenlos
zu erzielen sein, um so mehr, als sich nach jeder Operation ziemlich aus-
gebreitete narbige Verwachsungen bilden, deren spätere Lösung viel weit-
läufigere Präparationen erfordert und am Ende trotzdem einen geringeren
Effect gibt, als minder ausgedehnte Trennungen bei einer ersten Tenoto-
mie. Man hat in Anbetracht dessen neuester Zeit auch auf Mittel ge-
dacht, welche den Rücklagerun gsbogen bei Vermeidung der oben genannten
Gefahren möglichst zu vergrössern gestatten, und glaubt selbe in gewissen
Modificationen des operativen Verfahrens gefunden zu haben.
So wird empfohlen, den Bulbus im Falle des Bedarfes nach einer ausgiebi-
gen Strabotomie mitteht Fäden in der Bahn des Antagonisten durch 1 — 2 Tage ab-
gelenkt zu erhalten, damit der durchschnittene MuskiJ sicli thuulichst iceit nach hin-
ten anzusetzen ffezwunii-en werde. Es soll zu diesem Behüte beim Strabismus inter-
nus ein Faden in verticaler Richtung durch die Bindehaut nahe der äusseren Horn-
hautgrenze , sodann durch die äussere Lidcommissur gezogen und , nachdem der
Augapfel durch Anziehen in die erforderliche Ahductionsstellung gebracht ist,
geknüpft werden. Beim Strabisnuis extermis, wo eine grössere Kraft zur Adduction
nothwendig ist, soll der Faden, um das Durchreisseu zu verhindern, mit zwei
Nadeln armirt werden, deren eine IV2'" üb&r, die andere l'/o'" unter dem hori-
zontalen Meridiane knapp au der Hornliautgienze ein- und im Meridiane ausge-
stochen wird, tun dann dicht über der Carunkel durch die innere Commissur ge-
führt und unter entsprechendem Anziehen geknüpft zu werden. Die Erfolge wer-
den sehr gelobt (Knapp).
Von anderer Seite wird gerathen, bei der Operation eines convergirenden
Strabismus die Conjunctiva vorerst von der Tenon'schen Kapsel bis zur halbmond-
förmigen Falte sorgfältig zu trennen und letztere sammt der Carunkel von den
hintenliegendeu Theilen loszulösen. Zu diesem Ende soll die Bindehaut am unteren
Ende des Muskelansatzes in eine Falte aufgehoben, eingeschnitten und die Schere
Oorrectui-pn der Muskclrik'kla^'t'rutif?; Conjimctivalsutur. 915
durch die Wunde zvvisclieu Conjunctiva uud Tenon'sche Kapsel präparirend ein-
geführt werden. Ist sodann die Trennung in dem angedeuteten Umfange erzielt
und der ganze, für die Eücklagerung wichtige Kapseltheil von der Bindehaut völlig
unabhängig geworden, so soll die Sehne in der gebräuchlichen Weise durchschnitten
luid die mit der Tenotomie gleichzeitig gemachte senkrechte Kapselölfnung nach
oben und unten um so ausgiebiger verlängert werden, je grösser die Rücklagerung
ausfallen soll, worauf die Coiijunctivalvvundo durch eine Naht zu schliessen ist.
Für den äusseren Geraden gilt dasselbe Verfahren ; es muss die Trennung der Binde-
haut hier bis zu demjenigen Theile des äusseren Winkels ausgedehnt werden, wel-
cher sich bei der Aussenwendung des Blickes scharf nach hinten zieht. Man rühmt
als Vortheüe dieser Melhode: eine grössere Freiheit und einen viel grösseren Spiel-
raum in der Dosirung und Vertlieilung der Rücklagerung; die Vermeidung des
Einsinkens der Carunkel und jeder Spur von Narbenbildung, wie die bisher ge-
bräuchliche Tenotomie sie bisweilen hinterlässt; die Vermeidung von mehr als zwei
Operationen an demselben Individuum und von mehr als einer au demselben
Auge (Liehreich). Controlversuche sind nicht durchwegs zu Gunsten dieser Neuerung-
ausgefallen, indem maxi ein sehr starkes Einsinken der Carunkel fjavalj, Vereite-
rungen wegen weitläufiger Entblössung des Muskels (Knax)p) und ganz enorme
Blutungen in die geöfi'nete Tenon'sche Kapsel mit Vortreibung des Bulbus (Hahertsma)
beobachtet hat.
Manche halten es für besser, die Conjunctiva statt in querer in meridionaler
Richtung , lätigs des Muskelbauches nämlich , zu eröffnen, um die Wundklaffung
auf ein Minimum zu reduciren ; hierauf die Bindehaut von den Wundrändern aus
eine Strecke weit nach oben und unten von der Kapsel loszupräparireu und auch
die Carunkel von ihrer Unterlage zu trennen, um sodann den Muskel zu durch-
schneiden und die Scheide nach Erforderniss zu spalten (Snellen).
Bei übergrossen Schielwinkeln ist die operative Beseitigung der Ablen-
kung trotz allen diesen Modificationen nicht leicht möglich, ohne eine sehr
fühlbare Motilitätsbeschränkung des Bulbus, ein starkes Einsinken der
Carunkel und eine beträchtliche Vortreibung des Augapfels zu setzen. Man
empfiehlt darum, sich in den betreffenden Fällen mit massiger beidersei-
tiger Muskelrücklagerung zu begnügen, und, was dann noch an der ge-
wünschten Stellung der Augen abgeht, dadurch zu ersetzen, dass man die
Muskelsehne des Gegners des Schielmuskels vornäht (Graefe). Oefters
dürfte es sogar gelingen, durch eine einseitige Vornühung eine volle Cor-
rection zu erzielen, was selbstverständlich in mehrfacher Beziehung als ein
wesentlicher Vortheil und für den Kranken, welcher bei Amblyopie des
Schielauges auf das fixirende Auge allein angewiesen ist, im hohen Grade beru-
higend erscheint (Schweigger). Zeigt sich in Folge einer zu weiten Oeff-
nung der Kapsel oder einer zu ausgedehnten Trennung des Muskels von
seinen Nachbartheilen gleich nach der Operation eine beträchtliche secundäre
Ablenkung, so ist es klug, den Fehler sogleich durch die Conjunclivalsutur
zu verbessern. Ganz kleine secundäre Abweichungen bedürfen dessen wohl
niemals, sondei'n sind vielmehr vortheilhaft uud darum anzustreben, da sie
unter der allmäligen Contractur der Narbe sich gewöhnlich bald wieder
vollständig ausgleichen und so ein InsufFicientwerden des Erfolges verhü-
ten. Bei grösseren secundären Ablenkungen geschieht dies zwar auch nicht
ganz selten und, wenn bei Kindern operirt wird , sogar ziemlich oft , ja
mitunter reeidivirt gar der Strabismus convergens , indem unter der Fort-
dauer der Schiehnnervation der übercorrigirte Ablenkungswinkel plötzlich
wieder um ein Bedeutendes wächst. Rechnen darf man liierauf jedoch
nicht, besonders wenn die Tenotomie erst nach der Pubertätsperiode oder
an Erwachsenen vorgenommen wird. Um für edle Fälle vor dem Zurück-
bleiben eines secundären Sclaielens gesichert zu sein und die complicirte,
58*
91 G Strabismus converg. ; BelianJluni^: Sti-abotomie; deren nnniittelbarp Folgen.
in ihrem Erfolge viel schwieriger zu dosirende Vornähuug des Muskels zu
umgehen, bleibt also nichts anderes übrig, als das Uehennass der erzielten
Correctnr dadurch zu vermindern, dass man die Wundränder der Scheiden-
und Bindehaut mittelst einer zarten Knopfnaht nach Bedarf einander
wieder nähert. Um den Effect einigermassen zu steigern, kann man auch
wohl ein halbmondförmiges Stück aus der dem Uebergangstheile näheren
Portion der Bindehaut und Scheide ausschneiden und dann die Wundränder
durch die Naht vereinigen.
Wo jedoch die secundäre Ablenkung eine sehr bedeutende ist, reicht
man mit dieser Methode nicht aus, man muss das rückgelagerte Musicelende
vornähen, oder die Vorlagerung desselben durch die sogenannte Fadenopei-a-
tion anstreben.
Man darf nicht glauben, sicli die Durchführung der Strahotomie dadurch er-
leiclitern zu können, dass man die Bindehaut und die Scheidenhaut in grösserer
Entfernung von der Cornealgrenze öffnet. Man stösst dann nämlich auf Je?ie Portion
des Muskels, welche in oder gar noch ausserhalb der Scheidenhaut streicht und mit
dieser durch zahbeiche bindegewebige Fäden ziisammenhängt. Es lässt sich dann
der Muskel natürlich nicht rein aus seinem Bette hervorziehen , er folgt vielmehr
sammt der Scheiden- und Bindehaut der Pincette. Es wird in Folge dessen schwer,
sich zu Orientiren; öfters bleiben einzelne Sehnenfäden stehen, oder man trennt zu
viel von der Scheide und der Operations6^ec< wird ein misslicher.
Eine ähnliche Gefahr läuft man, wenn man den Muskel in grösserer Entfer-
nung von der Ansatzlinie durchschneidet. Jedenfalls wird dann die Rücklageriing
eine viel bedeutendere, als liei regelrechtem Vorgange, da der Muskel um die Länge
des stehen getriebenen Stumpfes verkürzt wird und ein Theil der Widerstände weg-
fällt, welche die Verbindungen des Muskels mit seinen Hüllen der Retraction ent-
gegenstellen. Dazu kömmt, dass der Sehnenstimivpf nicht immer einfach schruvmft,
sondern vielmehr häufig sich in üppiger Granulationsbildung ergeht und dadurch
der Therapie viele Schwierigkeiten bereitet, jedenfalls die Heilung über Gebühr
verlangsamt.
12. Unmittelbar nach der Durchschneidung zieht sich der Muskel so weit
zurück, als es die noch bestehenden Verbindungen desselben erlauben. Es
ist diese Contraction öfters eine krampfhafte, daher der Operationseffect im
ersten Augenblicke geringer erscheint, als er sich nach Ablauf einer oder
mehrerer Stunden erweiset. Binnen kurzem kömmt es zur Entzündung,
es entwickelt sich neoplastisches Bindegewehe, welches sich bald verdichtet
und am Ende straffe sehnige Faserzüge darstellt, welche theils von der
inneren Fläche, theils vom Schnittrande und von den Seitenrändern des
Muskelendes zur Scleraloberfläche ziehen. Dadurch werden die zurückge-
bliebenen ursprünglichen Verbindungen wesentlich verstärkt, ausserdem aber
auch ein neuer directer Zusammenhang, eine neue Insertion, hergestellt.
Insoferne die neoplastischen Hefte bei ihrer Höhergestaltuiig sich etwas
verkürzen und im Ganzen weniger dehnbar sind, als die früheren Vermittler des
Zusammenhangs, nämlich die Umhüllungen des Muskels, erfährt der Ojjerationseffect
eine kleine Verminderung , welche sich gemeiniglich erhält, mitunter jedoch nach
einiger Zeit sich wieder ausgleicht, wahrscheinlich wegen steigender Wirkungsfähig-
keit des Antagonisten (Graefe).
Waren die Widerstände, welche der durchschnittene Muskel bei seiner Zu-
rückziehung fand, in der Breite des Schnittrandes nicht ganz gleich, indem z. B. die
Scheidenhaut nach oben oder unten in grösserem Umfange getrennt worden ist: so
ist auch die Retraction der einzelnen Fleischbündel keine ganz gleichniässige, die
neue Insertionslinie stellt sich schief zu der früheren. Uadurch wird offenbar die
Bahn, in welcher der betreffende Muskel den Augapfel fürder dreht, nach dem
vordersten Insertionspuukte hin verrückt, d. i. die Gesichtslinie etwas nach ohen
oder unten abgelenkt, wenn der innere oder äussere Gerade durchschnitten wurde.
N;ic-lil"'li,ni.lluiig. 917
Mail hat difsp, Erfalirmij; belmt's kleiner Corvecliiren in Fällen beuiitzl, in welchen
die .stiahotisehe Abweiehiing nicltl ganz in der Bahn eines einzelnen Muskels lag.
Der Zuischenraum zwischen den Leiden Schniltmudevn der Muskelsehne bleibt
liHutiii' yanz leer, oder es wird eine Art Inlercalarsiück durch lockeres Bindegewebe
angedeutet. Mitunter jedoch kömmt es auch zur Entwickeluiig eines ziemlich mäch-
tigen neuplastisehen Sfrdiir/e.i, welcher die aus einander gewichenen Muskelschnitt-
räudcr gegenseitig verhiiidel. Es kann ein solches Zwischenstück aber nur sehr
ausnahmsweise auf die Grösse der Beweylichkeil des Bulbus in der Bahn des betref-
fenden Muskels Einfluss nehmen, da dasselbe seiner ganzen Lämje nach der Leder-
haiit anzuhaften pflegt und immer nur der Idnlerste Insertionsjinnkt als der eigent-
liche Änijriff'spimkf des Muskels zu gelten hat (Graefe).
Zieht sich der Muskel ganz aus der ScheidenhaiU zurück, so entwickeln sich
gleichfalls sehnige Verhindungsfüden vom Muskelende aus ; diese verlaufen sich aber
in dem Orhitnlbindegen^ehe, der Muskel bleibt von der Lederhaut getrennt.
13. Es sind diese Vorgänge nur selten mit irgendwie erheblichen Rei-
zum/serscheinungen verknüpft. Plöchst ausnahmsweise hat man Scleraloer-
eiternngen (Graefe, Mooren) u. s. w. beobachtet. In der Regel erfolgt die
Verlölhung der Wundränder per primam intentionem. Die durch die Opera-
tion bedingte Verletzung als solche macht darum auch nur selten Anspruch
auf eine directe Behandlung. Doch ist es dringend zu rathen, das Auge
und die Lider während dem ersten Tage nach der Operation durch einen
Schutzverband zu immobilisiren. Hat man wegen einer üebercorrectur
Bindehautnähte anbringen müssen, so darf man nicht verabsäumen, nach
Ablauf mehrerer Stunden wiederholt nachzusehen und den Stand des
Auges zu prüfen, da die Spannungszustände der Muskeln gewöhnlich
andere wie unmittelbar nach der Operation geworden sind i;nd öfters ein
Nachlassen oder Anziehen der Nähte nothwendig machen, soll die Correc-
tur eine vollständige bleiben.
War die Operation etwas schwieriger ausgefallen und war man zu loeitläufi-
geren Trennungen der Scheidenliaut, zu öfterem Eingehen mit dem Haken genöthigt
gewesen etc., so kann man eine Zeit lang kalte Umschläge appliciren, um stärkere
Reactionen zu verhüten. Wo leträchfliche Bhdaustretungen stattgefunden haben, ist
es rathsani, vom zweiten Tage nach der 0]ieration beginnend, Ueberschläge mit in
verdünnten Franzbranntwein getauchten Leinwandbäuschen zu appliciren, um die
Reso)'ption etwas zu beschleunigen. Granulationen werden durch Betupfung mit
Opiumtinctur niedergehalten und, falls sie von grösserem Umfange sind, mit der
Schere abgetragen. Doch thut man gut, die Exstirpafion zu verschieben, bis sich
die Wundränder der Conjunctiva um die Granulationen bis auf ein Kleines zusammen-
gezogen haben, diese also an ihrer Basis gleichsam abgeschnürt erscheinen.
14. Von grösster Wichtigkeit ist nach der Operation die Handha-
bung der auf Correction des Grundleidens zielenden Massregeln (S. 906),
also vornehmlich die Vermeidung starker Accommodationsarbeit, da unter der
Aufwendung grosser Accommodationsquoten die Schielinnervation steigen
und damit neuerdings eine strabotische Ablenkung erfolgen könnte. Bei
Kindern ist besonders eine sehr ausgiebige Correction des Refractionsfehlers
geboten; während bei Erwachsenen es meistens genügt, die Brillen blos
beim angestrengten Nahesehen verwenden zu lassen ; ja öfters werden
hier sogar grössere Accommodationsquoten disponibel bleiben dürfen.
15. In manchen Fällen stellt sich nach der Operation ein höchst
lästiges Doppeltsehen mit oder ohne Schwindel ein, indem die Orientirung
der beiden Netzhäute gestört worden ist fS. 909). Oft verschwindet die
Diplopie innerhalb weniger Tage , indem das Unterdrückungsgebiet im
strabotischen Auge sich allmälig verschiebt- nicht selten jedoch hält sie
auch wochenlang an, ja bisweilen peinigt sie den Kranken viele Monate,
918 StrabisniTis converg. ; Behandlung ; Seeundärschielen ; Vornälrang des Muskels.
Man kann sich dann öfters durch Prismen helfen, welche die Eindrücke
des fixirten Objectes im ehemaligen Schielauge auf das alte Unterdrückungs-
gebiet lenken. Wo sich dieses Mittel jedoch als ungenügend erweist, muss
die Therapie auf Ausschliessung des Schielauges vom Sehacte gerichtet
werden. Zu diesem Ende ist dem Schielauge ein dunkles Glas vorzusetzen
oder es muss ein Verband angelegt werden, bis der Zweck erreicht ist.
16. Beim Seeundärschielen, wenn der Schielwinkel ein sehr beträcht-
licher, aber nicht excessiver ist und die Beweglichkeitsbeschränkung in der
Bahn des rückgelagerten Muskels nicht 2 — '^^/i'" übersteigt, ist die Vor-
nähung der Muskelsehne angezeigt, eine Operation, welche ausserdem noch
bei manchen paralytischen Beweglichkeitsbeschränkungeu geringeren Grades,
PO wie auch bei hochgradigen primären Strabismen, besonders divergirenden
empfohlen wird, wenn die Beweglichkeit in der Bahn des Antagonisten des
Schielmuskels etwas gelitten hat. Beim Seeundärschielen wird selbstver-
ständlich die Sehne des verkürzten Muskels, bei Paresen und excessiven
primären Strabismen aber der verlängerte Muskel vorgenäht. Es muss damit
immer die Durchschneidung des Gegners verbunden werden, um den Effect
zu steigern und die starke Zerrung der Nähte zu vermindern.
Die Vornähung wird am besten während der Narkose, jedenfalls bei
wohl fixirtem Bulbus, durchgeführt. Vorerst wird die Conjunctiva mittelst
einer feinen, an den Spitzen abgerundeten Schere gerade auf der Insertion
des vorzulagernden Muskels und in der ganzen Ausdehnung derselben
eingeschnitten, dann nach der Peripherie, hauptsächlich aber nach der
Coimea hin und zwar bis zum Hornhautrande in einem Umfange gelockert,
welcher der Breite der Sehncniusertion (10 — 12 Millm.) entspricht, wo-
bei die Bindehaut jedoch nicht gefenstert werden soll. Jetzt muss an dem
einen Ende des Muskclansatzes die Tenon'sche Kapsel durch einen kleinen
Einschnitt geöifnet werden, um einen flach gekrümmten stumpfen Haken
zwischen Muskel und Sclera durchschieben zu können, worauf die Tenon'sche
Kapsel am anderen Ende der Insertion auf dem Haken so weit einge-
schnitten wird, dass derselbe hier frei zu Tage tritt. Nun werden so-
gleich zwei feine gewachste Seidenfäden in den Muskel eingelegt. Jeder
derselben ist mit zwei Nadeln versehen, welche längs des Hakens von
der Scleralfläche des Muskels aus durch denselben hindurchgestochen wer-
den, so dass jede der beiden Fadenschlingen ein 2-— 3 Millm. breites
Stück des Muskels vimfasst. Nun erst wird die Insertion vor dem Haken
hart an der Sclera abgelöst. Ist dies geschehen, so werden die Nadeln
von der Scleralgrenze des Conjunctivallappens aus durch diesen nahe am
Hornhautrande durchgestochen und festgeknüpft. Ton jeder Naht wird
das eine Fadenende kurz abgeschnitten, das andere aber hinreichend lang
gelassen, um das Herausnehmen der Suturen am 2.-3. Tage zu erleich-
tern. Jetzt ist die Bindehautwunde durch eine feine Knopfnaht zu schlies-
sen und endlich der die Schielablenkung verursachende Muskel nach den
oben geschilderten Kegeln zu durchschneiden (Schiüeigger).
Erfahruugsmässig thut man gut, eine kleine Uebercorrcction anzu-
bahnen, da der unmittelbare Effect der Operation hinterher sich immer
um Einiges vermindert. Die Naht muss 2 — 3 Tage liegen bleiben, wäh-
rend welcher Zeit die Verlöthung immer eine genügende Festigkeit erlangt
hat. Um das Reiben des Fadenknotens zu verhindern und auch die Aus-
Mndificatioiien der Vmiiäliunn:; Fadeiioporation. 919
breitung von IMutoxtravasaton zu beschränkcu, empfiehlt sicli i^ehr der
Druckverband, nur bei stärkerer entzündlicher Reizung die vipplication von
Ivalteu üeberschlägen.
Die Nullte erst nach der Durch^chneidmir/ des Muskels in diesen cinzufüliren,
wie es bislier üblicli \v;ir (C'ritchett, Graefe) ist minder vortheiihaft, indem der
Muskel sich stark zuriickzielit und man dann mit der Pincette in eine dunkle
Tiefe tauchen muss, um ihn wieder hervorzulieben, wobei gewöhnlich nicht viel
nieiir als die; gerade mit der Pincette get'assten Faserbündel zu Tage gefördert
werden, daher man dieses schwierige und verletzende Manöver für jede Sutur
wiederholen nniss.
Manche glauben den Etfect der Operation zu sichern und zu steigern, indem
sie die Bindehaut länys der Axe des Muskels, also in querer Richtung von der
Hornhaut bis zur halbmondförmigen Falte iiiu spalten, sodann die Muskelsehne
durch einen an der Spitze durchbohrten Strabismusliaken umfassen und mittelst
des am Haken eingefülu'ten Seidenfadens dicht an der Sclera zusammenschnüren,
um dann die Operation in der gewöhnlichen Weise zu vollenden (Agnew).
Aiulere ziehen es vor, die Pindeliaut in der Gegend der neuen Muskel-
insertion diu-ch einen verticulen Einschnitt zu spalten und sowohl gegen die Cornea
als gegen die Uebergangsfalte hin von der darunterliegenden Tenon'schen Kapsel
loszupräpariren, um hierauf sogleich den Muskel von der Sclerotica zu trennen
imd die Kapsei nach oben und unten so weit einzusclnieiden , dass der Muskel
nrul der ihm aufliegende Kapseltheil vollkommen verschiebbar werden, sich also
auch leicht unter der Conjunctiva bis an den Hornhautrand heranziehen lassen.
Hier befestigen sie das vordere Muskelende auf folgende Weise. Zwei feine, an
den beiden Enden desselben Fadens befindliche Nadeln werden zuerst durch die
Kapsel und das Muskelende und dann von Hinten nach Vorne durch die Con-
junctiva gezogen, über welcher die Schlinge zusammengeschnürt wird. Eine solche
Sutur oder Schlinge wird in der Gegend des oberen, eine zweite in der Gegend
des unteren Mnskelrandes angebracht. Nachdem auf diese Weise der Muskel und
mit ihm die Kapsel dicht am Hornhautrande unter der Conjunctiva fixirt sind,
wird die Conjunctivalwunde sorgfältig durch mehrere Kiiopfnähte geschlossen. Im
Nothfalle kann selbstverständlich , um den Effect zu vergrössern, ein Stück von
dem vorderen Muskelende und auch von der Tenon'schen Kapsel abgetragen
werden (Liehreich).
17. In Fällen von Secundär schielen, wo die Beweglichlieit in der
Bahn des retrahirten Muskels völlig oder fast völlig aufgehoben ist, also
vornehmlich dort, wo der Muskel sich ganz zurückgezogen hat und mit dem
Bulbus in gar keiner Verbindung mehr steht, so wie überhauj)t bei sehr
grossem Schielwinkel, wenn auch die Beweglichkeitsbeschränkung in der
Bahn des rückgelagerten Muskels nur eine massige wäre: genügt die Vor-
nähung nicht mehr, da sind stärkere Vorlagerungen des Muskelendes noth-
wendig und diese können nur durch die sogenannte Fadenoperation erzielt
werden. Ausserdem wird dieses Verfahren noch für alle parcdytischen
Beweglichkeitsbeschränkungen höheren Grades sowie für primären Strabismus
mit excessivem Schielwinkel und bedeutender Beweglichkeitsbeschränkung in
der Bahn des Schielmuskels empfohlen (Grüefe^.
Um den Muskel vorzulagern, wird bei genügender Fixation des
Augapfels vorerst die Bindehaut vor der betreffenden Muskelsehne vertical
eingeschnitten und dann gegen die Cornea, so wie gegen den Uebergangs-
theil hin in genügendem Umfange von der Lederhaut losgetrennt. Ist dann
auch das Muskelende von der Sclera abpyäparirt worden, so wird der An-
tagonist durchschnitten, aber nicht knapp an seiner Insertionslinie, sondern
etwa 1 '" weiter nach hinten, damit ein Stumpf sitzen bleibe. Durch diesen
Stumpf wird eine Fadenschlinge mittelst einer krummen Nadel geführt, der
Augapfel nach der Seite des vorzulayernden Muskels gezogen, und in dieser
920 Stiabismup conveig. : Behaudlnng; Quellen.
Lage durch zweckmässige Befestigung des Fadens '2 — 3 Tage erhallen.
Von wesentlichem Vortheile ist dabei die Application eines gut anliegenden
ScJiutzverhandes, da er den Bulbus in seiner Lage einigermassen fixirt und
so Zerrungen der mit dem Faden in A'erbindung stehenden Theile verhin-
dert, also auch eine Ursache heftiger Sehmerzen und intensiver Reizungen
entfernt (Guerin, Graefe).
Leider kann man bei diesem Verfahren den Effect nicht leicht dosi-
ren, da das Auge immer möglichst stark nach der Seite des vorzulage.imden
Muskels gewendet werden muss, auf dass der Faden nicht über die Wöl-
bung der Hornhaut hinüber laufe und sich an dieser reibe, was in der Regel
zu unerträglichen Schmerzen und oft auch zu bedenklichen Entzündungen,
ja zur Cornealvereiterung (Steffan) führen kann. Es bleibt darum auch
in den meisten Fällen eine starke Ablenkung des Bulbus in der Bahn des
wieder vorgelagerten Muskels zurück, welche dann durch Bücklawerung
des Partners der anderen Seite gedeckt werden muss, falls dieser nicht
etwa früher schon durchschnitten und zur Retraction bestimmt worden
ist (Graefe).
18. Um die hässliche Entstellung zu beseitigen, welche ein starkes Ein-
sinken der Bindehaut und Thränencarunkel nach excessiven Trennungen der
Scheidenhaut an der Innenseite des Bulbus mit sich bringt, eröffnet man
in derselben Weise wie bei der Strabotomie die Conjunctiva hulbi einige
Linien vor der Camukel in verticaler Richtung, geht dann in das submu-
cöse Gewebe ein und präparirt es mit Vorsicht nach hinten, bis an die
Aussenfläche des rückgelagerten Muskels, nach vorne bis in die Xähe der
Cornea! grenze. Man vereinigt sodann die breit gefassten Wundränder der
Bindehaut durch eine Knopfnaht, wobei man darauf Bedacht nimmt, die
Carunkel stark nach vorne und auch etwas nach oben zu ziehen. Es
vereinigt sich dann der präparirte hintere Bindehautlappen der Fläche nach
mit der Sclera (Graefe).
19. Um starke Vortreibungen des Bulbus zu maskiren oder ein über-
mässiges Klaffen der Lidspalte zu beseitigen, wird mit Vortheil die Tarso-
raphie (S. 540) ausgeführt (Graefe).
QueUen: Graefe. A. f. O. L 1. S. 82, 435; I. 2. S. 294: III. 1. S. 177—386;
III. 2. S. 409; V. 2. S. 211; IX. 2. S. 48—56; X. 1. S. 156—175; kliu. Moiiatbl.
1863. S. 484; 1864. S. 1—22; 1869. S. 225, 265, 274, 280; Cougres ophtb. 1868.
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Javal, kl. Monatbl. 1864. S. 404, 437: Cougres ophth. 1868. S. 107. — Liebreich,
Stnibisiims divergciis; Kniiiklu'it^liilil ; v(MM'lii('(l(>ric Finnen; Scliiclwinki^l. 021
A. f. O. XII. '2. S. '298— Ö07; CuiigTe.s ..plitli. 18ß8. S. 104; Arch. f. Au<,'fii- ii.
Obreuheillul. 1. S. 68; Kliu. Monatbl. ISii.S. S. :^-2H. — Zagorski , Kliii. Mouatbl.
1867. kS. .')17. — Stefan, ibid. S. 78. - Aijnc.ir, Und. 1869. 8.' 139. — Dohrowohk,/,
ibid. 1868. Beil. ö. 185. — Haherisma, Sne/le», ibid. 1870. S. 24. — Ar/./, Lebr-
bucli. III. S. 816. — JI. (John, Untersucbuiij>;eri von 10.060 Schulkindern. Berlin.
1867. S. 145, 164. — St.eUwag, Wien. nu'd. Wocbonsclnift. 1867. Nro. 82—84. —
Crüchett, n;u'b Nieuu^tscbek, Prag, ^'i('rtl>ljabr,scllrit't. 78. Bd. S. 96. — Gueiin,
Congr^s intern, d'opbtb. Paris. 1868. S. 195; nach Graefe, A. f. O. 111. 1. S. 372.
2. Das divergirende Schielen.
Krankheitsbild. Clinndterislisch ist die verminderti' Comiergenz der
Gesichtslinien bei sonstiger Freiheit der Blickrichtung.
1. Die strabotische Ablenkung erfolgt der Hegel naoli lediglich in
der Bahn des äusseren Geraden, so dass die Gesichtslinie des Schielaviges
hinter dem Fixationsobjecte vorbeischiessl und gewöhnlich mit der anderen
Gesichtslinie divergirt. Ausnahmsweise weicht die Gesichtslinie des
Schielauges jedoch auch nach oben aussen oder nach unten aussen ab.
2. Der Strabismus divergens ist gleich dem convergens, besonders anfäng-
lich, \\A\\&^em periodischer, intercurr enter, d. i. er tritt nur unter besonderen
"N^erhältnissen hervor, während sonslen beide Augen richtig fixiren und, wo nicht
andere krankhafte Zustände es hindern, auch binoculares Einfachsehen mit
directer Tiefenwahrnehmung stattfindet. Im Laufe der Zeit pflegt jedoch
auch das divergente Schielen ständig zu werden.
In einer Anzahl von Fällen wird bald dieses, bald jenes Auge sti-a-
botisch abgelenkt, während das andere fixirt und es hängt dies bald von
der Willkür des Kranken ab, bald wird die Wahl des fixirenden Auges
von der Lage des Objectes im Räume bestimmt, so dass bei gewissen
Distanzen und bei gewissen Seitenblickrichtungen dieses, bei anderen jenes
Auge auf den Fixirpunkt eingestellt wird , der Strabismus divergens
erscheint in alternirender Form. Meistens indessen wird constant das
Eine Auge abgelenkt, der Strabismus ist ein monoculärer und insoferne ein
concomitir ender, als bei Deckung des fixirenden Auges dieses nach aussen
abweicht, während das Schielauge die Fixation übernimmt.
3. Der Schielwinkel ist bei verschiedenen Individuen sehr verschie-
den gross. Er wechselt aber auch bei demselben Individuum nach Zeit
und Umständen innerhalb sehr weiter Grenzen.
Im Allgemeinen kann man sagen, dass die strabotische Ablenkung
in veralteten Fällen gewöhnlich eine grössere zu sein pflegt, als sie es bei
demselben Individuum im Beginne der Krankheit gewesen ist. Unzwei-
felhaft kommen hier zum Theile Degenerationen der betheiligten Muskeln,
Hypertrophie des Schielmuskels nämlich und Atrophie seines Antagonisten,
in Rechnung.
Im Uebrigen haben auf den Schielwinkel bei demselben Individuum
und in derselben Zeit die jeweilig erforderlichen Convergenzqtioten und die
Blickricldung einen massgebenden Einfluss. Es machen sich in dieser Be-
ziehung jedoch sehr erhebliche Unterschiede geltend und rechtfertigen die
Vermuthung, dass man es nicht immer mit pathogenetisch ganz gleichwer-
922 Strahismns diverg. ; Krankheitsbikl ; Scliiclwiukel ; Convergeuzstörnng des Schielauges.
thigen Zuständen zu thun haben möge, sondern mancherlei in einen Rah-
men zusammenfasse, was in Zukunft gesondert zu betrachten sein wird.
a. Die grössten Unterschiede zeigen sich in dem Verhalten des
Schielauges, wenn ein Pixationsobject bei iTiiverändert horizontaler Visir-
ebene allmälig in der Medianehene herangerückt ^ also die zur Eixation
erforderliche Convergenzquote gesteigert wird.
In vielen Fällen, namentlich bei veraltetem ständigen sehr hochgra-
digen Strabismus divergens, bleibt das Schielauge völlig starr in seiner
pathologischen Stellung, oder es macht höchstens ganz unregelmässige und
insufficiente, mehr zuckende und wenig excursive Adductionen , wäh-
rend das andere Auge proportional der Distanzverkürzung sich nach ein-
wärts bewegt.
In anderen, zumeist minder hochgradigen Fällen von ständigem Stra-
bismus divergens weicht das Schielauge in demselben Masse oder
etwas mehr und rascher nach aussen, als das fixirende sich nach
innen dreht.
Bei niedergradigem Strabismus divergens ist die Convergenzfähigkeit
des Scliielauges gewöhnlich und bei periodischem Schielen sogar in der
Regel nicht gänzlich aufgehoben, sondern nur die potentielle oder auch die
actuelle Convergenzenergie (S. 827) mehr weniger weit unter das normale
Mass gesunken.
So stösst man auf derlei Fälle, wo der Kranke, wenn er aufmerk-
sam gemacht wird, unter Anwendung kräftiger Willensimpulse jede inner-
halb der normalen Grenzen gelegene Convergenzquote aufzubringen und
auch wohl einige Zeit zu erhalten vermag, jedoch früher ermüdet und
dann unter dem Gefühle von Spannung und Ermüdung das Schielauge wieder
nach aussen weichen lässt.
Gewöhnlich jedoch sind viel geringere Convergenzen als in der Norm
aetuel aufbringbar. Wird ein Object in der Median ebene genähert, so
convergiren beide Augen nur bis zu einem bestimmten Abstände regel-
mässig ; überschreitet der Gegenstand diese Grenze, so bleibt das Schielauge
stehen oder geräth in kleine unregelmässige Schwankungen ; bei weiterer
Distanzverkürzung endlich loeicht es plötzlich mit einem Rucke um ein
Bedeutendes nach aussen, die Gesichtslinien divergiren oder convergi-
ren in einem viel geringeren Grade, als es derjenige ist, welchen der Kranke
bei entsprechender Objectslage noch leicht aufzubringen und mit binocu-
lärem Sehacte zu erhalten im Stande ist. Der Kranke fühlt ganz deutlich
diese plötzliche Ablenkung und weiss genau den Moment ihres Zustande-
kommens zu bezeichnen. Die Grenze der Distanzverkürzung, bei welcher
das Schielauge stehen bleibt und jene, bei welcher die excursivere strabo-
tische Ablenkung sich einstellt, sind bei verschiedenen Individuen sehr
differente. Sie pflegen bei fortgesetzten Versuchen und damit eintretender
Ermüdung der betreffenden Muskeln etwas hinaiiszurücken. Dagegen haben
massige Steigerungen oder Herabsetzungen der Accommodationsquote durch
Concav- oder Convexgläser keinen erheblichen Einfluss. Eben so wenig
lassen sich diese Grenzen merklich verschieben durch massige Verminde-
rungen der Convergenzquote bei unvei'ändertem Objectsabstande, d, i. durch
die Vorsetzung 2 — 4gradiger Prismen, Basis nach innen, vor beide Augen.
Wohl aber werden die Grenzen etwas hinausgerückt durch adducirende
Schielwiiil«'] ; Bcwefrlichkeit dei Aujfcn; Doppeltselieii. 923
Prismen, Basis nach aussen, und dui-ch alles, was den gemeinschaftUchen
Sehact in höherem Grade zu beirren im Stande ist, vornehmlich durch
vertical gestellte Prismen, durch sehr starke, weitaus iihercorriylrende Con-
cav- oder Convexbrillen, ja durch Ausschliessung des einen Auges vom
Sehakte mittelst eines vorgehaltenen Schirmes.
Schliesslich sind häufig vorkommende Fälle von massigem Strabismus
divergens zu erwähnen, wo sich die Ablenkung hauplsächlich beim Ferne-
seJien und beim gedankenlosen Blicke geltend macht, während beim scharfen
Fixiren näher gelegener Objecto innerhalb gewisser Grenzen die richtige
Convergenz beider Augen mit binocularem Sehacte aufgebracht und erhal-
ten werden kann. Es ist dabei entweder blos die potentielle Energie ge-
sunken, der Kranke convergirt bis auf 4 Zoll, ermüdet aber bald ; oder es
ist auch die actuelle Energie vermindert, die Grenze des binocularen Se-
hens und jene der activen strabotischen Ablenkung sind mehr weniger
weit herausgerückt.
b. Nicht minder auffällig ist der Wechsel in der Grösse des Schiel-
winkels bei Veränderungen der Blickrichtimg, es wäre denn, dass die strabo-
tische Ablenkung eine ständige und sehr excessive ist, in welchem Falle
der Einfluss der Blickrichtung sehr wenig hervortritt. In der Eegel
toächst die strabotische Ablenkung beträchtlich oder stellt sich bei periodi-
schem Schielen ein, wenn der Blick gehoben oder nach Seiten des ge-
wöhnlich fixirenden Auges aus der Medianebene herausgelenkt wird ; da-
gegen nimmt der Schielwinkel ab oder wird ^NTull, wenn der Blick gesenkt
oder nach Seiten des Schielauges gerichtet wird. Die Kranken bedienen sich
der letzteren Blickrichtung gerne, um der abgelenkten Netzhaut eine bes-
sere Orientirung zu geben und den cosmetischen Fehler zu maskiren.
Sie gewöhnen sich auch bald, die Antlitzfiäche in einer gewissen Schief-
stellung zu erhalten, bei welcher das Schielauge etwas nach vorne tritt,
das fixirende aber entsprechend nach hinten weicht.
4. Die Beweglichkeit der Augen ist nicht merklich vermindert, so lange
der Strabismus rein dasteht. Bei längerem Bestände des Leidens und be-
sonders bei grossem Schielwinkel nimmt dagegen, unzweifelhaft in Folge
materieller Veränderungen der Muskulatur, die Beweglichkeit merklich ab,
so dass das Schielauge und auch wohl das fixirende nach Seiten des
letzteren weniger gedreht werden kann und das Excursionsgebiet nach der
Schielseite etwas verschoben erscheint.
5. Die strabotische Ablenkung macht sich im Beginne des Leidens,
vornehmlich also bei der periodischen Form , durch spontane binoculäre
Diplopie geltend. Im weiteren Verlaufe des Leidens tritt indessen das
Trugbild des Schielauges unter dem Wettstreite der beiden Netzhäute
zurück, es bedarf der concentrirten Aufmerksamkeit des Ivi'anken, oder der
Abbiendung des fixirenden Auges durch dunkle Gläser, um es zur Wahr-
nehmung zu bringen. Bei veraltetem und namentlich bei sehr hochgradigem
Strabismus divergens lässt sich hingegen ein Doppeltsehen gemeiniglich
nicht mehr erzielen , auch wenn die abgelenkte Netzhaut noch nicht in
hohem Grade functionsuntüchtig geworden ist.
Die Doppelbilder sind , der Stellung der Gesichtslinien entsprechend,
stets gekreuzt. Das Verhältniss ihres Breitenabstandes zum Schielwinkel
wechselt in mancher Beziehung und ist noch nicht nach jeder Richtung
924 Stratiismus diverg. ; Krankbeit.sbikl : l'iiilopie; Localisation der Bilder.
hin genugsam aufgeklärt , um es in einem allgemein giltigen Gesetze zu
formuliren.
Bei periodischem Strabismus divergens enispricht der Breitenabstand
der Doppelbilder zumeist dem Grade der Ablenkung. Wird das Fixations-
object in der Medianebene allmälig über die Grenze der Convergenzweite
herangerückt, so wird sein Bild in dem Momente undeutlich, als die eine
Gesichtslinie stehen bleibt, weiterhin spaltet es sich und die Doppelbilder
weichen in dem Verhältnisse aus einander, als die Objectsdistanz sich
verkürzt. Stellt sich dann eine excursive strabotische Ablenkung ein, so
werden auch die Doppelbilder iMtzlich sehr distante und dies zwar wieder
proportional der nunmehrigen Grösse des Schielwinkels.
Bei ständigem , nicht zu excursiven Strabismus divergens sind die
Doppelbilder gleichfalls sehr distant und ihr Breitenabstand harmonirt bald
mit der Grösse der strabotischen Ablenkung, bald ist eine solche Ueber-
einstimmung nicht zu finden. Letzteres scheint in veralteten Fällen die
Begel zu bilden. Auch zeigt sich bei veraltetem Strabismus divergens öfters
ein auffallendes Missverhiillniss in der Localisation der Objecte bei
^Vufrichtung einer senkrechten Scheidewand zwischen beiden Augen und
dadurch bewerkstelligter Trennung der beiden Gesichtsfelder.
Unzweifelhaft wirken dabei mannigfache Umstände störend mit. Einerseits
kommen die materiellen Veränderungen der Muskulatur in Rechnung, welche in
verschiedenen Fällen verschieden weit gediehen sind und die Orientirung des
abgelejikten Auges wesentlich beirren müssen. Dann wird nicht selten der Um-
stand hinderlich, dass es dem Kranken öfters schwer fällt, die gegenseitige Lage
beider Augen festzuhaUen, wenn er die Aufmerksamkeit auf die Doppelbilder oder
auf die durch die Scheidewand getrennten beiden Objecte richtet, um ihren Breiteu-
abstand zu schätzen. Die Augen gerathen dabei nämlich gerne in ganz unregel-
mässige zuckende Bewegung, womit selbstverständlich auch die Netzhautbilder sich
verschieben. Endlich erwächst eine weitere Störung aus der undeutlichen Wahr-
nehmung des dem Schielauge zugehörigen Trugbildes oder des an dieser Seite der
Scheidewand gelegenen Olijectes. In Folge dieser undeutlichen Wahrnehmung wird
nämlich der Wettstreit der beiden Netzhäute in der Regel zu Gunsten des fixiren-
den Auges entschieden, so dass die Eindrücke des Schielauges nur für Momente
zur Wahrnehmung kommen.
Es finden vermöge dieser störenden Einflüsse selbst sehr intelligente und
im Experimentiren bereits geübte Kranke öfters sich ganz ausser Stande, den
jeweiligen Breiteuabstand der Doppelbilder eines Fixationsobjectes auch nur an-
nähernd richtig zu schätzen. Ist eine Scheidewand zwischen beiden Augen aufge-
richtet, so sieht der Kranke I^eide Objecte je auf der entsprechenden Seite, bemerkt
wohl auch ihre allmälige Annäherung, bleibt indessen in der Beurtheilung ihrer
wechselseitigen Distanz öfters dermassen unsicher, dass er nicht einmal zu unter-
scheiden weiss, ob der Abstand ein grosser oder kleiner ist. Es ti-ägt hierzu viel
bei, dass die Kranken die Scheidewand an der Seite des Schielauges gewöhnlich
nicht wahrzunehmen vermögen und dass das hier gelegene Object bald verschwindet,
wenn es bei unverrücktem Stande des Schielauges der Scheidewand genähert wird.
Ebenso unklar ist dem Kranken in veralteten Fällen gewöhnlich die Tiefe
des dem Schielauge gehörigen Trugbildes und bei Aufrichtung einer senkrechten
Scheidewand die Entfernung des betreffenden Objectes. Doch wurde wiederholt ein
Näherstehen und eine Verkleinerung dieser Bilder angegeben, was mit deren Lage
auf mehr excentrischen Stellen der äusseren Netzhauthälfte zusammenhängt und
sich aus der in den Organisationsverhältnisseu der Netzhaut wurzelnden directen
Trefenwahrnehmung (S. 879) erklärt.
6. Fasst man alles bisher Erörterte zusammen, so kann man keinen
Augenblick daran zweifeln , dass die divergent strabotische Ablenkung, un-
gleich der convergenten, beim binocularen Sehen an und für sich eine Des-
orientirung des Schielauges mit sich bringe und dass diese Desorientirung
Mciniiciil. und MiiniMil. Si>lii>ii ; Pcsuricnfirtinfj des ScliiclaHsos. 1)25
im späteren Vorlaufe durch dio viate.riellen Vcränderungou doi' Muskuhituv
so wie (luvch raannis>;faclic andere. Umstünde erheblich beeintiusst werdi;.
Es spricht sicli dieser Werh,se.l der falschen Ürientiruiip,- bei veraltetem
divergenten Öciiieleu in der Regel anch bei monocularem Selieu mit dem strabo-
tisclien Aiig-e aus. Der Kranke stösst bei Decknng des gesunden Auges nämlich in
der Kegel an einem in der Medianebene gelegenen Objecte vorbei. Meistens fehlt
er nacli Seiten des gesunden Auges. Doch kömmt es auch vor, dass der Finger
beim raschen Stosso nach Seiten des Schielauges «an dem Objecte vorbeisehiesst.
In einem Falle der letzteren Art war die Tenotomie des Schielmiiskels mit imzu-
reichendem Erfolge durchgeführt worden.
Beim monocularen Sehen ist das Schielauge in frischen Fällen ständigen
divergenten Schielens und beim periodischen Strabismus divergens ebenso yut
orientirt wie unter normalen Verhältnissen , der Kranke fehlt beim Stoss-
versuche nur selten und kann, die normale Funktionsenergie der Netzhaut
Torausgesetzt , seine Arbeiten anstandslos verrichten , zum Beweise, dass
die Desorientirung des Schielauges an die strabotische Ablenkung desselben
gebunden sei, d. i. verschwinde, wenn sich das Schielauge auf ein Object
richtig einstellt.
7. Die strabotische Ablenkung und die damit gesetzte Desorientirung
des Schielauges schliesst den gemeinscliaftlichen Sehact beider Augen aus;
die dem Schielauge zugehörigen Bilder der im gemeinschaftlichen Sehfelde
gelegenen Objecte werden unter dem Wettstreite beider Netzhäute völlig
unterdrückt, die abgelenkte Netzhaut functionirt also nur mit einer mehr
weniger breiten Zone ihrer inneren Peripherie. Doch ist auch diese gleich
von vorneherein unter allen Verhältnissen stark desnrientirt. Wo spontan
oder unter Beihilfe gewisser Manöver Doppelbilder eines monoculär fixirten
Objectes auftreten, versteht sich dies von selbst. Wo aber die binoculäre
Diplopie sich nicht geltend macht, da ergibt dies ein einfacher Versuch.
In der That wissen derlei Kranke über die Lage von Objecten, welche
man im monocularen Gesichtsfelde des Schielauges herumführt , während
das andere Auge einen Gegenstand fixirt, keine ganz bestimmte Auskunft
zu geben, auch wenn sie das Object des Schielauges noch einigermassen
deutlich wahrzunehmen vermögen.
8. Das Unterdiückungsgebiet der abgelenkten Netzhaut ist beim diver-
genten Schielen meistens sehr ausgedehnt. In seinem Bereiche kommt es
gewöhnlich viel früher als beim convergenten Schielen zu einer sehr
beträchtlichen Abstumpfung der retinalen Elemente, also zur centralen An-
aesthesie. Die Grenzen der letzteren lassen sich dann bisweilen ganz genau
bestimmen und zeigen sich bald scharf, bald verschwommen. Nicht selten
jedoch findet man auch Fälle , in welchen sich die Functionsstörung über
die ganze Netzhaut erstreckt und die Bedeutung einer wahren Amhlgopie
angenommen hat.
9. Ist das divergent schielende Auge desorientirt , so kann die stra-
botische Ablenkung nicht, wie beim convergenten Schielen, durch eine
willkürliche , also bewiisste Innervation bedingt sein , auch wenn in der
Norm das Vermögen bestünde , erhebliche Divergenzen der Gesichtslinien
willkürlich und nicht blos zwavysineise durch abducirende Prismen (S. 871)
aufzubringen und zu erhalten. Das divergente Schielen muss folgerecht einem
unwillkürlichtn, also uvbewussten Vorgange auf Rechnung gesetzt werden,
was jedoch so wenig wie bei Krämpfen das GefiJd der Ablenkung
ausschliesst.
926 Strabismus diverg.: KiaiiVlipitsliild ; Hrnskt-linsufficienz ; Wesen d. Strabism. diverg.
Man hat bisher fast allgemein das pathogenetische Moment in einer
Insufficienz der inneren Geraden, d. i. in einer ^'erminderung der actuellen
oder potentiellen Functionsenergie der Convergenzmuskeln suchen zu
müssen geglaubt. Gegen die Zugrundelegung einer MusJcelschwäche lassen
sich aber geradezu überwältigende Einwürfe erheben.
Am ersten könnte ein solcher Zustand als Erklärung für jene allmäligen
Ablenkungen benützt werden , welche das Schielauge öfters bei Hereinrückung
eines in der Medianebene gelegenen Objectes über die Grenze der binoculären
Fixation erleidet. Allein spräche sich in dieser »uccessiven Ablenkung eine In-
sufficienz der Muskeln selber aus, so müsste auch für jede jenseits dieser Grenze
gelegene Objectsdistanz eine relativ verstärkte Convergenzinnervation eingeleitet
werden, folgerecht eine Beirrung der Tiefenschätzung resnltiren, es müsste der be-
treffende Gegenstand in allen jenen Entfernungen näher und Heiner gesehen
werden, was nicht der Fall ist. In gleicher Weise müsste sich die Insufficienz bei
Veränderungen der Blickrichtimg in der Bahn des einen oder des anderen inneren
Geraden, gleichviel ob monocularer oder hinocularer Seliakt stattfindet, durch Excur-
sionsheschränkung des Auges und durch falsche Beurtheilnng der Richtung des
Fixatiouspunktes geltend machen. Eine solche Desorientirung findet man aber
erfahrungsmässig nur in veralteten Fällen, überhaupt wo materielle Veränderungen
der Muskulatur anzunehmen oder nachzuweisen sind.
Noch weniger lassen sich die excursiven strabotischen Ablenkungen mit
einer Muskelinsufficienz in Einklang bringen. Es weicht nämlich die eine Gesichts-
linie in der Regel weit über das Convergenzmass hinaus, welches von dem be-
trefienden Kranken bei entsprechender Objectsdistanz noch leicht aufgebracht und
erhalten wird, ja häufig wird die gegenseitige Stellung der Gesichtslinien geradezu
eine divergente, während die Convergeuzbreite noch eine sehr ansehnliche ist. Wie
wären endlich die excursiven strabotischen Ablenkungen zu erklären, welche beim
gedankenlosen Blicke und beim Fernesehen auftreten, während der Kranke näher
gelegene Objecte leicht und dauernd binoculär fixii't?
Liegt dem divergirenden Schielen eine Insufficienz zu Grunde, so
kann diese , wenigstens so lange der Strabismus rein dasteht , nicht die
Muskulatur, sondern lediglich nur die Inne.rvationsverhältnisse derselben
betreffen. Für die excursiveren sti'abotischen Ablenkungen muss übrigens
eine abdueirende Innervation als pathogenetisches Moment angenommen
werden, es können dieselben nicht blos durch ein Ifachlassen eines inneren
Geraden erklärt , sondern müssen als active Leistungen der abducirenden
Muskeln betrachtet werden.
Bis weitere gründliche Untersuchungen ein bestimmtes Urtheil über
das Wesen des Strabismus divergens gestatten, muss man nach allem dem
annehmen , dass sich in der divergenten Ablenkung des Schielauges eine
Störung jener Coordinationsverhältnisse zum Ausdrucke bringe, welche in
der Xorm bestimmte Quoten der Accommodation und Convergenz an ein-
ander knüpfen.
Es spricht sich diese Coordinationsstörung in der That ganz deutlich
durch das beträchtliche Ueberwiegen der Abductionsfähigkeit der Augen ge-
genüber dem bei einem bestimmten Objectsabstande disponiblen Masse der
Adduction aus.
hl der Norm werden bei Betrachtung ferner Objecte, also bei Parallelstellung
der Augenaxen, nur sehr schwache Prismen mit nach aussen gekehrter Kante über-
wunden; die willkürliche Auswärtskehrung des Auges erscheint unter solchen Ver-
hältnissen sehr beschränkt; sie wächst aber, es werden um so stärkere Prismen
durch willkürliche Spannung des betreÖ'endeu ausseien Geraden ohne Diplopie
ertragen, je näher das Object in der Medianlinie den Augen rückt. Immerhin bleibt
unter allen Verhältnissen die icillküi-liche Adduction übericiegend, es werden bei
gleicher Objectsdistanz immer weitaus stärkere Prismen mit der Kante nach innen
Ursachen; Myopie; starlfi' Convergenzanfordoruiigeii. 927
durch willkürliche Einioärtskehrimg des Auges überwunden , als Prismen mit der
Kante nach aussen durch willkürliche AJ)dnction; nur in der Nähe dos accommo-
dativeu Nahejiuuktes pflegt die durch Prisnieu erzvvinghare Addiiction und Abduc-
tion yleichwertlny /u werden. In den Fällen, in welchen sich der Strabismus
divergens vorbereitet oder schon in periodisclier Form hervortritt, kehrt sich dieses
Verliältniss zu Gunsten der Ahductionsfähiykeit um; in der Entfernung der gewöhn-
lichen Beschäftigungen werden Prismen mit der Kante nach aussen ül)erwunden,
welche einen loeit grösseren, oft doppelt und dreimal so grossen brechenden Winkel
haben, als jene Prismen, welche mit der Kante nach innen, ohne Doppeltsehen zu
veranlassen, ertragen werden; selbst bei grossen Objectsdistanzeu überwiegt oft noch
die Ahduction, so dass noch ziemlich starke Prismen mit der Kante nach atissen
überwunden werden, während schon ganz schwache Prismen mit der Kante nach
innen unbesiegbare Diplopie hervorrufen. Es treten diese Erscheinungen ganz be-
sonders deutlich hervor , wenn die Visirebene eine wagrechte oder gar aufsteigende
ist (Oraefe).
Ursachen. Der Strabismus divergeus ist in mehr als der Hälfte
der Fälle an Myopie gebunden. Man hat diesen Refractionsfehler daher
schon seit Langem mit dem divergenten Schielen in aetiologischen Zusam-
menhang gebracht und die Ablenkung zum Theile direct aus dem Bedarfe
starker Convergenzen (Beer) , zum Theile aber aus den Widerständen zu
erklären versucht , welche den inneren Geraden bei Bathymorphie und
hauptsächlich bei Gegebensein eines mächtigen Staphyloma posticum aus
der Verrückung des Drehpunktes um so mehr erwachsen, als der Winkel,
welchen die Gesichtslinie mit der Hornhautaxe einschliesst, unter solchen
Verhältnissen oft sehr klein, ja bisweilen sogar negativ ist (S. 790),
folgerecht also das Arbeitserforderniss der Convergenzmuskeln ansehnlich
steigert (Donders, Schuerman, Graefe).
Es ist der Zurückführuug des Strabismus divergens auf vermehrte
Convergenzwiderstände die Erfahrung günstig , dass diese Schielform bei
Sehulkindern, wo grosse hintere Scleralstaphylome nur ausnahmsweise vor-
kommen, in einem sehr geringen procentarischen Verhältnisse gefunden
wird (H. Cohnjj sich vielmehr gewöhnlich erst in der Jünglingsperiode oder
gar im reifen Mannesalter, besonders bei Individuen entwickelt, deren
Beschäftigung ein angestrengtes Nahesehen erfordert, ja dass in manchen
Fällen die Entwickelung des divergenten Strabismus mit dem Auftreten
oder mit der raschen Vergrösserung eines Staphyloma posticura nahe
zusammenfällt. Dagegen fällt aber auch schwer ins Gewicht, dass dieselben
Widerstände, welche starke Convergenzen erschweren, auch den excursiveren
divergenten Schielablenkungen entgegentreten ; dass die mit Strabismus
externus einhergehenden Myopien nur in etwa der Hälfte der Fälle zu
den hochgradigen gezählt werden können und bloss zum kleinen Theile
mit hinteren Scleralstaphylomen von mehr als halber Papillenbreite com-
binirt erscheinen. Dazu kömmt, dass unter den divergent schielenden
Myopen nicht wenige sind , deren Augen mit krankhaften Zuständen be-
haftet sind, welche auch an und für sich, ausser Combination mit Kurz-
sichtigkeit, divergentes Schielen begründen oder wenigstens begünstigen
können. Ueberdiess darf nicht übersehen werden , dass unter den diver-
gent Schielenden auch Hypermetropen und Emmetropen mit völlig gesunden
Augen vertreten sind.
Unter 4000 Augenkrankeu aller Altersklassen waren 350 Myopen, 399
Hypermetroj^en und 42 divergent Schielende. Von den 350 Myopen schielten 27,
also etwa 7"7 % nach aussen. Umgekehrt stellt sich das Verliältniss der Kurz-
sichtigen zur Gesanuntsumme der divergent Schieleiulen auf etwas mehr als 04%.
928 Strabismus diverg. ; Ursadieii: Wesen d. Strabism. diverg.
Darunter waren nur 14, in welchen der Refractionszustand — überstieg und 4,
bei welchen ein die halbe Papillenbreite an Durchmesser übertreffendes Stapliyloma
posticum nacligewiesen werden konnte. In 2 Fällen war nur das strahofische Auge
wegen Entwicklung eines Stajihj'Ioma posticum kurzsichtig, der andere Bnlbtis
nahebei emmetropisch. In 2 Fällen bestanden beiderseits Hornhaufflecke, in einem
einseitige Macula corneae und in 3 Fällen Cataracta des schielenden Auges. Die
Zahl der reinen Fälle von beiderseitiger Myopie reducirt sich demnach auf 19, d. i.
auf etwas mehr als 45 %.
Von den 399 Hypermefropen schielten 7, d. i. 1"75% nach Aussen. Umge-
kehrt stellt sich das procentarische Yerhältniss der Hvpermetropen unter den
divergent Schielenden auf 16-6%. Der Grad der Hypermetropie schwankte dabei
zwischen — und — , überstieg jedoch nur in 3 Fällen — in negativer Richtung.
Krankhafte Zustände der Augen fehlten hier durchwegs.
In 8 Fällen, d. i. in etwa 19% der divergent Schielenden bestand Emme-
fropie, doch waren die Augen nur in 2 Fällen gesund, 3mal fanden sich beider-
seits Hornhautflecke und je in Einem Falle Phthisis corneae, Macula corneae mit
Cataracta centralis und regressiver Totalstaar des Schielauges.
Fasst mau Alles zusammen, so wird man wieder zu dem Schlüsse
gedrängt, dass der letzte Grund des Strabismus externus nicht sowohl in
anomalen Zuständen der Augen und ihrer Muskulatur, also nicht in etwa
vorhandenen Eefractionsfehlern, Trübungen der dioptrischen Medien u. s. w.
gesucht werden könne, sondern viel tiefer, nämlich in krankhaften Liner-
vationsverhältnissen der Convergenzmuskeln liegen müsse. Es stimmt damit
die Erfahrung, dass das divergente Schielen nicht ganz selten iMtzlich
nach schweren Krankheiten, besonders nach Gehirnleiden, Meningitis etc.
zum Vorscheine kömmt. Auch steht damit das Resultat einer Reihe von
Untersuchungen (Graefe) im Einklänge, nach welchen man Grund hat zu
glauben, dass nicht blos bei Kurzsichtigkeit, sondern auch sonst die Ah-
ductionsfähigkeit der Augen gegenüber dem Adductionsvermögen in gar vielen
Fällen beträchtlich im Uebergeivichte sei, ja dass dieses Missverhältniss nicht
selten vererbt werde ; weiters dass gerade solche Fälle es sind, welche das
grösste Coutingent an divergent Schielenden liefern, indem die Disposition
zum Strabismus externus in dem Masse wächst, als in einem speciellen
Falle die Adduction von der Abduction , überboten wird.
Ist dies richtig, so lassen sich die Myopie , beiderseitige Trü-
bungen der dioptrischen Medien und in gewissem Sinne auch höhergradi-
ger Astigmatismus (Pagenstecher, Dobrowolsky), so wie Hypermetropie inso-
ferne im pathogenetischen Zusammenhange mit dem Strabismus divergens
denken, als diese Zustände den Convergenzbedarf entweder direct oder behufs
der Vergrösserung der Netzhautbilder steigern und solchermassen die unab-
hängig davon bereits vorgebildete Innervationsstörung leichter und darum
auch häufiger manifest werden lassen.
Es erklärt sich dann auch ganz ungezwungen das verhältnissmässig
häufige Auftreten des Strabismus externus bei krankhaften Zuständen, welche
den gemeinschaftlichen Sehact unmöglich oder minder loerthvoll, wenn nicht
gar störend machen, insonderheit bei sehr differenten Refractionszuständen
beider Augen, bei einseitigen Trübungen dioptrischer Medien, bei vorüber-
gehenden Lähmungen einzelner Augenmuskeln (Graefe), nach einseitigen
schweren operativen Eingriffen, bei monoculärer Erblindung u. s. w.
Es verliert unter solchen Voraussetzungen endlich die Thatsache das Son-
derbare, dass anscheinend ganz gleichartige Zustände der Augen bald divergentes,
bald convergentes Schielen, bald keines von beiden begründen. Es kömmt dann
Verlauf; Asthenopia rauscularis. 929
eben viel darauf au, ^Yic in einem gegebeneu Falle die Adductionsfähigkeit
und das Ahductionsvermögcn des Kranken beschaffen ist.
Verlauf, a. Der Strabismus divergens entwickelt sich gewöhnlich,
besonders wo Myojjie eine Holle spielt, ganz allm'dlig. Es äussert sich die
Unzulänglichkeit des Conrergenzvermögens vorerst blos in rascherer Er-
müduug der Augen, besonders wenn die Beschäftigung des Krauken ein
anhaltendes Fixiren nahe gelegener Objecte erheischt. Es stellen sich dann
bald hyperämische Zustände neben dem Gefühle von Spannung, Atolle und
auch wirkliche Schmerzen ein, welche den Kranken zwingen, den Augeu
einige Zeit Euhe zu gönnen. Wird die Arbeit fortgesetzt, so gewinnt
das Leiden ein ganz ähnliches Gepräge, wie jenes der accommodativen
Asthenopie (S. 827); doch haben die Netzhäute hei Aqv musculären Astheno-
2)le nicht mit Zerstreuungskreisen und zu kleinen Bildgrössen, sondern mit
letzteren und Doppelbildern zu kämpfen. Die Kx'auken pflegen darum nicht
sowohl über ein Breiter- und Undeutlicherwerden der Umrisse zu klagen,
als vielmehr über ein Zusammen- und Durcheiiiander laufen der benachbar-
ten Buchstaben, entsprechend dem Zurückbleiben des Schielauges bei
grösseren Convergenzanforderungen.
In einzelnen Fällen kann sich der Kranke für einige Zeit dadurch
helfen, dass er das Ohject vom Auge weiter entfernt. In der Eegel jedoch
schlägt dieses Mittel bei der muscularen Asthenopie viel iveniger an, als
bei der accommodativen Form. Viele Kranke ziehen es darum vor, gleich
von Anfang an, oder sobald sich Vorboten des Verschwimmens einstellen,
das schwächere Auge zu schllessen oder mit der Hand zu decken. Manche
rücken wohl auch das Object nach der kranken Seite und fixiren sonach
bei entsprechender Verlängerung des betreffenden inneren Geraden, setzen
dessen Arbeitserforderniss herab (Graefe). Immerhin pflegt durch diese Hilfen
nur eine sehr vorübergehende Erleichterung erzielt zu werden; erfahrungsmässig
reicht bei muskulärer Asthenopie sogar eine längere Unterbrechung der Ar-
beit und selbst die nächtliche Buhe nicht zu, um eine erhebliche Functions-
dauer herzustellen ; die Energie der Convergenzbewegungen, einmal gesun-
ken, hebt sich viel schwerer und langsamer wieder, als jene des Accom-
modationsmuskels.
AUmälig stellt sich das eine Auge mehr nach aussen, es tritt eine
excursive strabotische Ablenkung ein, welche anfänglich mit Diplopie verknüpft
zu sein pflegt und meistens sogleich wieder schwindet, wenn der Ki'anke
von dem Gegenstande seiner Beschäftigung hinwegblickt, daher sie auch
häufig der Umgebung des Kranken lange unbemerkt bleibt. Bei fortge-
setzter Arbeit wird diese excursive Ablenkung immer häufiger, während
das Trugbild des Schielauges leichter und leichter unterdrückt wird, also
seines störenden Einflusses sich begibt. Waren asthenopische Beschwerden
da, so verschwinden diese, dem Krauken ist aus der strabotischen Ablen-
kung eine wesentliche Erleichterung des Sehactes erwachsen. Schliesslich
wird das Schielauge auch ausserhalb der Arbeitszeit bei jedem kleinen An-
lasse in die pathologische Stellung gebracht und der Strabismus zuletzt
ständig.
b. In einer anderen Reihe von Fällen, namentlich wo Beirrungen des
gemeinschaftlichen Sehactes stattfinden, entwickelt sich der Strabismus diver-
steil wag, Angenlieilkumle. 59
930 Stratismus divergens; Ausgänge; BeiandhiDg ; Prophylaxis.
o
gens mehr minder rasch, oder gar plötzlich, ohne dass asthenopische Be-
schwerden vorausgegangen wären. Er tritt auch hier anfänglich in der
Regel periodisch, aber mit excursiver Ablenkung ein, meistens ohne dass
der Kranke von Diplopie wesentlich belästigt würde, indem die Unter-
drückung des Trugbildes unter solchen Verhältnissen leicht zu gelingen
pflegt. Im Beginne hat der Schieler noch öfters eine ziemliche Kraft
über die Muskeln und kann die falsche Stellung des Auges noch un-
schwer und auch ziemlich dauernd corrigiren. Ueber kurz oder lang
aber tritt dieser Einfluss immer mehr zurück, der Strabismus wird
ständig.
Ausgänge. Es ist nicht sichergestellt, ob der Strabismus divergens,
wenn er bereits in Form excursiver Ablenkungen sich geltend macht, spon-
tan zurückgehen, gleichsam auswachsen könne. Jedenfalls bildet das Ein-
wurzeln und die allmäli2;e Vergrösserung der strabotischen Ablenkung die
Regel. Erfahrungsmässig kömmt es beim Strabismus divergens viel leichter
und rascher als beim convergenten Schielen zur Degeneration der betreifen-
den Muskeln, zur centralen Anaesthesie der Netzhaut und schliesslich zu
wirklichen amhlyopischen Zuständen.
Die Behandlung zielt in erster Linie auf Verhütung des Leidens
und ist in Fällen, wo die gegebenen Verhältnisse die Entwickelung eines
Strabismus divergens in Aussicht nehmen lassen, oder wo sich gar schon
die Erscheinungen der musculären Asthenopie geltend machen, vornehm-
lich auf Verminderung des Convergenzbedarfes und auf Beseitigung alles dessen
zu richten, was den gemeinschaftlichen Sehact in irgend einer Weise zu be-
irren im Stande sein könnte.
Behufs dessen sind die Beschäftigungen des Kranken, welche starke
Convergenzen in Anspruch nehmen, thunlichst zu beschränken oder wenig-
stens die Arbeitsverhältnisse günstiger zu gestalten. Insoferne wird es bis-
weilen nothwendig, die Beleuchtung zu reguliren, eine etwaige schlechte
Haltung des Kranken zu verbessern u. s. w. In der Mehrzahl der Fälle
jedoch wird man gezwungen sein, vorhandene Refractionsfehler zu neutrali-
siren oder wenigstens so weit zu corrigiren, dass der Kranke die Objecto
seiner Arbeit etwas weiter vom Auge liinwegzurücken vermag. Je nach
der Art des speciellen Falles werden natürKch cylindrische, convexe und
bei höhergradiger Kurzsichtigkeit Concavgläser in Gebrauch zu ziehen sein.
In der That gelingt es solchermassen bisweilen, die asthenopischen Be-
schwerden des Kranken zu bannen und der Entwickelung des Strabismus
zu steuern. Meistens jedoch erweisen sich die Gläser unzureichend, indem
die Beschäftigung ein Hinausrücken des Objectes bis zu dem erforderlichen
Grade nicht gestattet, sei es, dass die Kürze der Arme oder die Ver-
kleinerung der Netzhautbilder hinderlich in den Weg tritt.
In solchen Fällen kann man es versuchen, die erforderlichen Con-
vergenzquoten durch abducirende Prismen, Basis nach innen, herabzusetzen.
Diese Prismen werden, falls sie die Coordinationsverhältnisse der Conver-
genz- und Accommodationsmuskulatur in misslicher Weise stören, selbst-
verständlich mit sphärischen Gläsern zu combiniren sein, welche die Accom-
modationsquoten auf das entsprechende Mass herabdrücken. Die Regeln
für diese Correcturen sind bereits in der Lehre von den Refractionsfehlern
genügend erörtert worden. Es bleibt nur übrig darauf liinzuweisen, dass
Prisman; Sehütungon; Tenotomie. 931
ZU anhaltenden Arbeiten im Allgemeinen nur Prismen verwendbar sind, deren
brechender Winkel 3 oder höchstens 4 (Jradc nicht überschreitet, indem bei
stärkeren Prismen schon die Farbenzerstreuung, die Verziehung seitlich gelege-
ner Objecto und der LichtreÜex, ganz abgesehen von ihrer lästigen Schwere,
sehr fühlbar werden. Darum ist es auch unter allen Umständen zu rathen,
beide Augen zu bewaft'nen und so den erfordi'rlichen r)recliwerth auf zwei
Prismen zu vertheilen. In der Kegel ward man mit Prismen von 2 — 3 Gra-
den, je vor ein Auge gesetzt, auskommen. Die Wahl wird durch den dlrecten
Versuch bestimmt.
Es braucht wohl nicht erwRluit zu werden, dass die Coinbination eines
Prisma mit einer Convex- oder Concavlinse nur für den Versuch im strengen
Wortsinne genommen werden dürfe. Für den Gehraiich wird man die erforder-
lichen Linsenkrümmungen auf die Prismafläclien aufschleifen lassen (S. 774). Es
sind derlei Gläser zuerst unter dem Namen von Dissectionsgl'dsern in die Wissen-
schaft eingeführt worden (Brücke) und haben den ersten Anstoss gegeben zur
genaueren Erforschung der muskulären Asthenopie und der zu iin-er Heilung ver-
wendbaren Mittel.
Im Grossen und Ganzen darf man auch von prismatischen Brillen
nur geringen Erfolg erwarten, da sie auf das eigentliche Grundleiden Iceinen
Einlluss nehmen und, wie schon erwähnt wurde (S, 922), die Convergenz-
breiie des betreffenden Individuums nur wenig oder gar nicht alteriren.
Die Aussicht auf eine Herstellung der Norm schwindet umsomehr, wenn
sich bei der Arbeit vielleicht gar schon excursive strabotische Ablenkungen
bemerklich machen. Da gelingt es wohl nur selten mehr, den gemein-
schaftlichen Sehact dauernd herzustellen. Es wird darum in solchen Fällen
dringend nothwendig, der Entwickelung der centralen Anaesthesie durch
systematische Sehübungen des schielenden Auges entgegenzutreten und deren
Uebergang in wirkliche Amblyopie zu verhindern, um einerseits das Ge-
sichtsfeld des Kranken möglichst loeit , anderex'seits aber dem Kranken
eine Reserve für den Fall zu erhalten, als das gesunde Auge von Schäden
betroffen würde.
In einem Falle wurde bei eiuem 9jährigen Kinde, dessen rechtes Auge in
dem zweiten Lebensjalire in Folge von Hydrocephalus strahotisch nach aussen
abgelenkt worden war, durch solche Uebungen nicht blos das Selivei'mögen so
weit gehoben, dass die Kranke feinere Druckschrift leiclit und anhaltend zu lesen
vermochte, sondern es verschwand auch das Schielen. Nach mehreren Monaten
scheinbarer Heilung kam es zu einem mächtigen Blutextravasate in dem Glas-
körper, welches das Pupillargebiet vollkommen verlegte und damit stellte sich auch
gleich wieder das divergente Schielen ein.
Bei der Unzulänglichkeit der vorerwähnten Mittel lag es nahe, die
Correctur des divergenten Strabismus auf operativem Wege zu erzwingen
und die Anzeige für die Tenotomie auf die musculäre Asthenopie auszu-
dehnen. In neuerer Zeit geht man durch scheinbare Erfolge ermuntert,
schon so weit, die Rücklagerung der äusseren Geraden als ein Mittel zu
empfehlen, welches das Fortschreiten der Myopie zu verhindern, ja den vor-
handenen Grad der Kurzsichtigkeit zu verkleinern im Stande sein soll. Doch
möge man vor einem solchen Eingriffe wohl berücksichtigen, dass durch
die Tenotomie die Orientirung des betreffenden Auges gründlich geändert
und jede Aussicht auf Wiederherstellung des gemeinschaftlichen Sehactes für
immer vernichtet wird. Gar nicht selten führt die Operation zu höchst
lästigem und lange Zeit anhaltenden, allen Mitteln spottenden binoculären
Doppeltsehen. Dass dies 7iicht stets geschieht, hat seinen Grund eben nur
ö'J*
932 Strabismus divergens ; Behandlung ; Quellen.
darin, dass beim Strabismus divergens schon frühzeitig die Fähigkeit, Ein-
drücke des Schielauges zu unterdrücken, sehr entwickelt zu sein pflegt,
dass das Unterdrückwigs gebiet auch meistens ein sehr ausgedehntes ist und
solchermassen nicht nur der Arzt, sondern auch der Kranke über die
Leistung der Operation leicht getäuscht ivird.
Die Tenotomie ist und bleibt eine rein cosmetische Operation, welche das
Schielen nur zu maskiren , nimmer aber zu heilen vermag. Sie erscheint darum
nur gerechtfertigt, wo es sich um entstellende ständige Strabismen handelt
und jede Aussicht auf Herstellung des gemeinschaftlichen Sehactes geschwun-
den ist.
Für ihre Durchführung gelten dieselben Regeln wie beim convergen-
ten Schielen (S. 912). Doch ist der Endeffect gleich dosirter Rücklage-
rungen der äusseren Geraden, besonders in veralteten Fällen, wo bereits
materielle Veränderungen der Muskulatur concurriren, viel weniger in die
Augen springend, als bei Tenotomien der Interni; daher der Eath viel
für sich hat, bei jeder einigermassen excursiveren divergenten Schielablenkung
mit der Durchschneidung des Schielmuskels die Vornähung des Antagonisten
(S. 918) zu verknüpfen (Schweigger).
Stellen sich nach einem solchen operativen Verfahren Doppelbilder
ein, welche den Krauken sehr belästigen, so bleibt nichts übrig, als das
von der Natur angestrebte Heilverfahren, die Exclusion des Schielauges
vom Sehacte, durch die bereits erwähnten Mittel (S. 918) zu fördern, das
Schielauge aber separat zu üben, um amblyopischen Zuständen desselben
vorzubeugen.
Quellen: Beer, Lehre v. d. Augenkrankheiten. 1817. II. S. 653. — Arlt,
Lehrb. III. S. 316. — Graefe, A. f. O. II. 1. S. 169, 289; III. 1. S. 308—326;
VIII. 2. S. 314—367; Congves int. d'ophth. Paris. 1853. S. 93; Klin. Monatbl.
1869. S. 225—281. — Donders, Anom. d. Refr. u. Accom. Wien. 1866. S. 338-349,
478. — Schuermann, Vijfde Jaarl. Verslag. Utrecht. 1864. S. 1; Kl. Monatbl.
1864. S. 92, 95. — Hering, Das binoc. Sehen. Leipzig. 1866. S. 144. — Alf. Graefe,
Kl. Monatbl. 1867. S. 1 u. f. — Schioeigger, ibid. 1867. S. 1 w. f.; Göttinger
Nachrichten. 1870. S. 262, 266. — Knaijp, Congres d'ophth. Paris. 1863. S. 96.—
Pagenstecher, Kl. Beob. I. S. 67; II. S. 36; III. S. 89, 102, 120. — Hirschmann,
ibid. III. S. 96. — Schiess-Gemuseus, Kl. Monatbl. 1867. S. 79. — Zehender, ibid.
1868. S. 136, — //. Cohn, Untersuchung von 10,060 Schulkindern. Berlin. 1867.
S. 167. — Dohroicolsl'tj , A. f. O. XIV. 3. 8. 53. — Mannhardt, ibid. XV. 1.
S. 288. — Liebreich, Canstatt's Jahresher. 1864. S. 164. — Brücke, A. f. O. V. 2.
S. 180. — Landsherg, ibid. XI. 1. S. 69 u. f. — Boehm, Der Nystagmus etc.
Berlin. S. 63, 111.
3. Das Augenzittern, Nystagmus.
Krankheitsbild. Charakteristisch sind unwillkürliche, überaus rasche,
fast rhythmische, dem Zittern ähnliche Schwankungen der sonst frei beweglichen
Augen.
1. Die Schwankungen erfolgen mit höchst seltenen Ausnahmen (Mooren)
immer in beiden Augen gleichzeitig und in gleicher Richtung. Ihre Bahn
hegt meistens in der Drehungsebene der Rechts- und Linkswender; seltener
ist sie eine schräge, oder ivechselt nach verschiedenen Richtungen hin. Oefters
sind die Schwankungen excursiv rotatorisch und erfolgen abwechselnd in
Nystagmus; KninkheitsbiUl ; Formen; Sehstörungen. 933
der Bahn der beiden oberen und der beiden unteren Schiefen. Auch kommen
Fälle vor , wo die Zitterbewegungen in der Balin (jewisser (jerader und
der schiefen Muskeln stattfinden (Nagel). Man unterscheidet daher einen
Nystagmus oscillatorius, rotatorius und mixtus (Böhm).
Das eigenthümliche riiänomen zeigt sich bisweilen nur periodisch
unter ganz besonderen Verhältnissen. Häufiger jedoch ist der Nystagmus
ein continuirJiclier, insoferne er nämlich während dem Wachsein des Kranken
fast ohne Unterbrechung, wenn auch mit wandelbarer Intensität, fortdauert
und nur bei ganz speciellen Axenstellungen in einen ruhigen Blick iimge-
wandelt wird.
So wird z. B. in manchen Fällen von continuirlichem Nystagmus der Blick
ruhig, wenn die Augen stark seitwärts in horizontaler Kielitung oder schräge nach
abwärts auf einen mehr loeniger entfernten Punkt gericlitet werden; in anderen
Fällen, wenn in der Meclianebene und in einer hestimmten Distanz gelegene Objecte
betrachtet werden u. s. w. Manche Kranke haben mehrere solche Orte des ruhigen
Blickes, andere nur einen oder gar keinen , indem nämlich die Schwankungen bei
jeder Axenstellung fortdauern und höchstens an Intensität und Amplitude verlieren
(Böhm).
Umgekehrt wird der periodische Nystagmus gewöhnlich hervorgerufen, der
continuirliche abermächtig gesteigert, wenn der Kranke phgsisch aufgeregt ist; wenn
behufs deutlicher Wahrnehmung kleiner Objecte von Seite des Accommodationsmuskels
und der Convergenzmiiskeln sehr grosse Anstrengungen gemacht werden müssen ;
oder wenn das Erkennen der Objecte durch mangelhafte Beleuchtung oder einen
anderen Umstand sehr erschwert ist. Auch die relative Lage und Entfernung der
Objecte nimmt Einfluss darauf und man will beobachtet haben , dass das Zittern
in dem Verhältnisse sich steigere, als die Aixgen von dem Orte des ruhigen Blickes
hinweg nach der Seite oder in sehr abweichende Distanzen gelenkt werden. Ins-
besondere ist häufiger Wechsel der Lage und Entfernung der Ohjecte ein Moment,
welches den Nystagmus in sehr beträchtlichein Masse und auf längere Zeit zu ver-
mehren pflegt. Mitunter reichen schon die Seitenbewegungen der Augen, welche
das Verfolgen der Zeilen beim Lesen nothvvendig macht, hin, um den Nystagmus
zu steigern; daher die Krauken, um das Zittern zu vermeiden, statt der Augen
lieber den Kopf drehen, oder das Buch verschieben, um die flxirten Worte stets an
den Ort des ruhigen Blickes zu fessein, oder aber das Buch so halten, dass sie die
einzelnen Zeilen mit Hilfe der oberen und unteren geraden Muskeln in senkrechter
Richtung durchlaufen. Ganz vorzüglich störend ist in dieser Beziehung aber der
Anblick durcheinander ivogender Gegenstände oder Menschen; daher denn auch die
Kranken auf sehr belebten Strassen u. s. w., wo ihr Blick fortwährend nach der
einen und der andern Seite, in die Nähe und Ferne, herumschweifen muss, alsbald
von sehr lebhaftem Augenzittern befallen werden, welches dann auch nach der
Rückkehr in ihre einsame Stube anhält und sie eine längere oder kürzere Zeit an
der Vornahme von Arbeiten hindert, welche eine ruhige Fixation der Objecte for-
dern (Böhm).
2. Der Nystagmus an sich hindert das Zusammenwirken beider Augen
nicht. Doch ist er überaus häufig mit Zuständen complicirt oder viel-
mehr ätiologisch verbunden, welche den gemeinschaftlichen Sehact un-
möglich machen, mit Functionsstörungen eines oder beider Augen, mit
Strabismus u. s. w.
3. Der Kranke nimmt in der Regel das Zittern seiner Augen nicht
wahr, er sieht vielmehr alle Gegenstände, der Objectivität entsprechend, im
Zustande der Ruhe und Bewegung. Immerhin beeinflusst der Nystagmus
den Sehact, das Hin- und Herschwanken der Netzhautbilder macht den
Blick im Verhältnisse zur Intensität und Amplitude der Zitterbewegungen
verivorren. Es wird diese Sehstöruug jedoch in der ßegel nur sehr auf-
faUig, wenn es sich um das Erkennen sehr feiner, ruhender oder beweg-
ter Gegenstände oder Objecttheile, so wie um rasche Orientirungen über die
934 Nystiiguius ; KriiiikheitsT)ild ; C'orrigireiide Koptbeweguugeu ; Uisaclien.
gegenseitige Lage und Entfernung von Objecteu handelt. Das Lesen sehr
feiner Handschriften oder Druckschriften , das Sticken , Feinnä-
heu u. s. w. ist meistens sehr beschwerlich, wenn der Nystagmus
stärker augeregt wird, namentlich aber ist das Gehen auf einer sehr be-
lebten Strasse, in menschengefüllten Räumen u. s. w. sehr unsicher, der
Kranke stösst überall an.
Höchst merkwürdig ist dabei ein Correctionsmittel, dessen sich manche
Kranke anfänglich icilllcürlich, später aber vermöge erlangter Uebung und
Gewohnheit unhewusst und unfreiwillig bedienen, um diesen störenden Ein-
fluss der Zitterbewegungen der Augen zu beseitigen. Sie bewegen näm-
lich durch ein ganz concinnes Spiel der Halsmuskeln den Kopf in einer den
Augenbewegungen jeweilig entgegengesetzten Richtung, wodurch es ihnen ge-
lingt, die Gesichtslinicn unverrüclct an den fixirten Punkt zu heften. Diese
Kopfschwankungen sind in manchen Fällen sehr auffällig ; sie nehmen mit
dem Nystagmus ab und zu, können öfters aber auch nach Beliehen unter-
drückt und wieder hervorgerufen werden, ja sie treten häufig nur auf, wenn
der Kranke ein Object scharf zu fixiren Willens ist und die Augen nicht
zur Ruhe bringen kann.
Ursachen. Der Nystagmus bildet sich mit wenigen Ausnahmen
(Mooreii) schon im zarten Kindesalter aus. Ob er, wie Manche behaupten,
bisweilen völlig entwickelt zur Welt gebracht werde und dann ein ererbtes
üebel darstellen könne, wird bezweifelt. Jedenfalls wird das Augenzittern
in der bei weitem grössten Mehrzahl der Eälle erst bemerkbar, wenn an
die Thätigkeit der Augenmuskeln grössere Anforderungen gestellt werden,
also vornehmlich im Beginne der Lernperiode. Es scheint auch , dass
gerade diese Anstrengtmgen den Anstoss zur Ausbildung des Uebels gäben,
dass sich der Nystagmus vom ätiologischen Standpunkte aus also ähnlich
verhalte, wie der so häufig nebenhergehende Strabismus. Sicherlich lässt sich
für eine solche Anschauuiag der Umstand geltend machen, dass sich das
Augenzittern besonders gerne in Fällen entwickelt, in welchen während
der Kinderperiode die Erzielung scharfer oder nur einigermassen deutlicher
Walrrnehmungen auf Schwierigkeiten stösst und eine beträchtliche Annähe-
rung der Objecte an die Augen nothwendig macht, also Gelegenheit für
Ueherbür düngen der Augenmuskeln reichlich gegeben sind. In der That findet
man den Nystagmus am allerhäufigsten neben Hornhaut flecken, namentlich
beiderseitigen, welche aus den ersten Lebensjahren stammen ; neben angc-
borner Kurzsichtigkcit • neben Centralkaj}selstaar und anderen jyartiellen
Staaren, welche aus der Kindheit datiren ; neben Entwicklungsfehlern
der Augen ; neben Functionsstörungen des Uchtemp findenden Apparates etc.
Der letzte Grund des Leidens liegt wie beim Strabismus unzweifel-
haft in Innervationsstörungen und es ist insoferne die neuzeitige Ent-
deckung von Gewicht, dass in der Vierhügelgegeud des Gehirnes gewisse
Centra bestehen, deren Reizung dem Nystagmus ganz ähnliche oscillatorische
Bewegungen auslöst (Adamük).
Ausnahmsiveise kömmt der Nystagmus bei älteren Kindern und Erwachsenen
allerdings auch neben völliger Integrität der Sehfunction vor, wobei natürlich von
den durch das Zittern an sich bedingten Störungen abgeselieu wird. Es liegt dann
aber die Vermuthung nicht ferne, dass in solchen Fällen während den ersten Lebens-
jahren Sehstörungen gegeben waren, welche die Aufgabe der Muskeln steigerten,
jedoch mit der Zeit zur Heilung Icamen. Anderseits stösst man gar nicht selten
auf den Nystagmus in Fällen, in welchen der Zustand der Augen, ausgebreitete
Verlauf; Belianilluiig; Muskellähinungeii. 935
Degenerationen der Cornea, Cataracta, EntwicJcelung.ifelder der Bulbi n. s. w. einitjer-
massen deutlichere Wahnieliimiiigen absolut unmöglich machen. Audi in sulcheu
Fällen sind MuskeJiiherbilrdumjen nicht fjjerade ausgeschlossen; sieht man doch häufig,
dass solche Kinder alles, was sie in die Hand bekommen, in die nächste Nähe der
Augen nnd oft in ganz absonderliche Stellungen bringen, um sich an den wechseln-
den Schatten bei fäclielnder Bewegung der Objecte zu ergötzen.
Verlauf. Der Nystagmus, einmal entwickelt, besteht in der Hegel
zeitlebens unverändert fort ; doch ist nach neueren Untersuchungen eine
spontane Besserung nnd selbst Heilung nicht ausgeschlossen, namentlich
wenn die vorhandenen Sehstörungen neutralisirt oder beseitigt und
damit die Anforderungen an die Augenmuskeln gemindert werden können.
Behandlung. Die Prophylaxis ist ganz nach denselben Hegeln zu
leiten, wie bei dem nahe verwandten Strabismus. Ilir Hauptzid ist, nebst
Beseitigung oder Neutralisation der gegebenen Sehstörungen und ihrer Ur-
sachen, die Vermeidung übermässiger Anstrengung der Augenmuskeln. Ist
einmal der Nystagmus ausgebildet, so ist nicht viel zu machen ; doch kann
man nach vorausgängiger Tilgung der gegebenen Sehstörungen eine Besse-
rung oder Heilung durch entsprechende Muskelübungen anstreben, indem
man, von dem Orte des ruhiges Blickes ausgehend, allmälig die Richtung
und Distanz der Objecte ändert und die Dauer der Uebungen vergrössert.
Als ein direclcs Mittel wurde die Rücklagerung der betheiligten Muskeln
gepriesen {Böhm, Fano). Es sind gegen die Wirksamkeit dieses Verfah-
rens aber auch schon von vielen Seiten starke Bedenken ex'hoben worden
(Ruete, Nakonz). Vielleicht handelt es sich, ähnlich wie beim Schielen,
insoferne um eine Täuschung, als durch Kücklagerung der betreffenden
Muskeln offenbar die Oscillationsamplitude der Scliwankungen abneh-
men muss.
Wichtig ist die Wahl des Lebensberufes. Um das Augenzittern mög-
licJist wenig peinlich und selbst unschädlich zu machen, sollen grundsätzlich
nur Beschäftigungen gewählt werden, welche ein Hin- und Herblicken nur im
massigen Grade erheischen und den Nystagmus in seinem Effecte durch
leichte Kopfbewegungen zu comp>e7isiren gestatten. Bei Kurzsichtigen ist der
Betrieb feiner Arbeiten nicht ausgeschlossen, vorausgesetzt, das die Objecte
in völliger Ruhe erhalten werden können. Wo Hornhautflecken etc. ein
scharfes Sehen unmöglich machen, passen hauptsächlich Gewerbe, wo es auf
ein genaues Augenmass nicht ankömmt und der Tastsinn aushelfen kann,
z. B. Bäckerei, Korbflechterei, Gärtnerei etc.
Quellen: Böhm, Der Nystagmus und dessen Heilung. Berlin. 1857. — Ruete,
Lehrb. d. Ophth. II. Braunschweig. 1854. S. 492, 495. — Graefe, A. f. O. I. 1.
S. 10. — Nakonz, ibid. V. 1. S. 37. — Mooren, Ophth. Beob. S. 339. — H. Cohn,
Untersuchung von 10.060 Schulkindern. 1867. S. 167. — Aclamük, Centralbl.
1870. S. 65. — Nagel, A. f. O. XIV. 2. S. 240. — Kugel, ibid. XIII. 2. S. 413. —
Faiio, Virchow's Jahresber. 1868. II. S. 488.
4. Lähmung der Augenmuskeln.
Krankheitsbild. Charakteristisch ist die Verminderung der Beweglichkeit
des Bulbus in der Bahn einzelner Muskeln oder Muskelgrupjpen und eine davon
abhängige, dem Grade nach sehr wechselnde Ablenkung der einen Gesichts-
linie beim binocularen Sehen.
936 Muskellähniung ; Krankheitsbild; Beweglichkeitsbeschränlinng.
1. Um das Hauptmerkmal, die Erschwerung oder Behinderung gewisser
Äugenrichtunyen, mit Genauigkeit zu ermitteln, verfährt man, wie bei Un-
tersucluing des Schielwinkels (f>. 891); man lässt den Kranken einen, in
der Entfernung des deutlichen Sehens parallel zur senkrechten Kopfaxe auf-
gestellten Finger unverrückt fixiren, während man denselben aus der
Mittelstellung nach verschiedenen Richtungen an die Grenze des Gesichtsfeldes
führt und dabei die Ablenkungen notirt , welche das kranke Auge einmal
beim hinocularen Sehen, das andere Mal im Momente der Verdeckung des
gesunden Auges erfährt.
Bei Paresen des niederste?! Grades ist die Motilitätsstörung ohjectiv
sehr wenig auflfällig; sie äussert sich vorerst gewöhnlich nur in einem Ge-
fühle von Anstrengung, wenn es gilt, Gegenstände in hestimmten Kichtungen
zu fixiren und diese Fixation zu erhalten; es ermüden dann die betreffenden
Muskeln auch bald, sie können fürder nur mehr ruckweise ihrer Aufgabe
genügen, das Auge geräth in Zitterbewegungen und weicht endlich merkbar
nach der Seite der Antagonisten ab.
Bei Halhlähmungen im engeren Wortsinne offenbart sich die falsche
Einstellung des muskelkranken Auges in der Regel sehr auffällig, wenn
das Object in der Bahn der paretischen Muskeln aus der Mittelstellung
herausgerückt wird; das betreffende Auge bleibt früher oder später hinter
dem Objecto zurück, so dass seine Gesichtslinie an dem letzteren in der
Bahn der Antagonisten vorbeischiesst. In derselben Richtung, z. B. nach
links oder rechts, wird das gesunde Auge abgelenkt, wenn das muskel-
kranke Auge allein zur Fixation verwendet, das erstere also gedeckt wird.
Doch ist dann der Ablenkungswinkel ein grösserer. Dieser steht übrigens
im Verhältnisse zur Grösse der Anforderungen, welche an die paretischen
Muskeln gestellt werden, er wird ein um so bedeutenderer, je mehr das
Object in der Bahn der letzteren von der Mittelstellung sich entfernt, je
länger der A'^ersuch dauert und je höhergradig die Lähmung ist. Es liegt
darin ein hochwichtiger diagnostischer Behelf, welcher niemals vernachläs-
sigt werden sollte.
Bei vollständigen Lähmungen macht sich die Ablenkung des muskcl-
kranken Auges schon bei der Mittelstellung des Gegenstandes bemerklich,
indem das bedeutende relative Üebergewicht der nicht afficirten Antagoni-
sten sich zur Geltung bringt ; der Bereich für binoculare Fixationen ist ganz
auf die Seite des Antagonisten verschoben und auf ein Kleines beschränkt.
Die kranken Muskeln sind höchstens nur schwacher Contractionen mit klei-
nen Excursionen fähig und Bewegungen des Augapfels in ihrer Bahn kön-
nen nur mehr ruckweise durch Zusammenwirken anderer Aluskeln bewerk-
stelhgt werden.
2. Die Ablenkung der einen Gesichtslinie führt nothwendig zum
binocularen Doppeltseheii. Es spielt dieses in dem Krankheitsbilde der Mus-
kellähmungen eine sehr hervorragende Rolle und wird in der Mehrzahl der
Fälle von dem Kranken in den Vordergrund gestellt. Es ist nämlich
meistens das außälligste und peinlichste Symptom, besonders dort, wo die
Ablenkung ihrer Kleinheit wegen nicht sehr deuthch in die Augen springt
und darum die Distanz der Doppelbilder auch eine geringe ist. Nur sehr
ausnahmsiueise fehlt es, das Doppelbild de^s muskelkranken Auges kömmt
unter gewöhnlichen Verhältnissen bei keiner Objectlage zur Wahrnehmung,
Binoculäro Diplopie. 937
es bedarf der Abhlcnduny des gesunden Auges mittelst eines tief p;efärbten
Glases oder der Anwenduns,' von Prismen, um die Diplopie hervortreten zu
machen. Es sind dieses fast durehgehends veraltete Fälle mit sehr grossen
Ablenkungen, wo die beträchtliche Excentricität des Netzhautbikhis im
Vereine mit Äccommodatlonsstörungen etc. die Deutlichkeit der Wahrneh-
mungen des muskclkranken Auges sehr herabsetzt und deren Unterdrückung
begünstiget.
Die Grösse der Abweichung des Doppelbildes steht selbstvci'ständlich im
Verhältnisse zur Grösse des jeweiligen Ablenkungswinkels. Sie wird Null,
die Doppelbilder vereinigen sich, wenn das Object eine Lage einnimmt, für
welche eine richtige Einstellung der Gesichtslinien noch möglich ist. Das
Feld des binocidaren Einfachsehens steht dann durchaus nicht immer im
Verhältnisse zur Grösse der Beweglichkeitsbeschränkung ; vielmehr kommen
häufig Fälle vor, wo die letztere eine geringe, und das Doppeltsehen dennoch
über einen grossen Theil oder die ganze Bahn des paretischen Muskels aus-
gedehnt ist, und andere, wo trotz beträchtlicher Beweglichkeitsbeschränkung
nur innerhalb enger Grenzen Diplopie aiiftritt. Es kann die Excursions-
fahigkeit in der Bahn gelähmter Muskeln erfahrungsmässig auch zu-
uud abnehmen, ohne dass das Feld des binocularen Einfachsehens eine Er-
weiterung oder Verengerung erführe (Benedikt). Es kömmt hier eben wie-
der die Fähigkeit zu willkürlichen Ab- und Adductionsschwankungen in Be-
tracht, welche bei verschiedenen Individuen schon an und für sich eine
sehr verschieden grosse ist und ausserdem noch durch eine Menge von
Umständen wesentlich beeinflusst wird. So ist es klar, dass die aufCorrec-
tion der Augenstellung gerichtete Innervation leicht loegfallen oder sich
ungenügend erweisen werde, wenn der Drang nach Einfachsehen ein ge-
ringer ist, wenn das Individuum die Wahrnehmungen der abgelenkten
Netzhaut leicht unterdrückt, zumal wenn diese Unterdrückung durch ge-
ringere Sehschärfe, ungenügende Accomraodation des betreffenden Auges,
durch sehr excentrische Bildlage u. s. w. begünstigt wird. Weiters machen
sich hierbei die natürlichen Coordinationsverhältnisse zwischen dem Accommo-
dationsmuskel und den beiden seitlichen Geraden in sehr fühlbarer Weise
geltend. Eine corrective Adductionsschwunknng muss viel leichter gelingen,
wenn der Abstand des Objectes und der Refractionszustand der Augen eine
sehr beträchtliche Accommodationsaniiii-engung nothwendig machen; wogegen
eine corrective Abductionsschwaiakung neben maximaler Abspannung des
Accommodationsmuskels die günstigsten Bedingungen findet, mit anderen
Worten : das Bereich des binocularen Sehens wird bei Hypermetropen in
der Bahn eines paretischen inneren Geraden viel grösser ausfallen, wenn
nahe Gegenstände betrachtet werden ; umgekehrt aber wird ein Kurzsichtiger
bei Halblähmung eines äusseren Geraden ferne Objecte in einem viel grösse-
ren entsprechenden *S'et7enabstande einfach sehen müssen, als nahe. F]s ist
hierbei übrigens nicht blos die Leichtigkeit oder Schwierigkeit in Rechnung
zu ziehen, mit welcher eine auf Correction hinzielende Innervation auf-
gebracht wird, sondern auch der vermehrte Widerstand, welchen die bei An-
oder Abspannung des Ciliarmuskels consensuel mitbethätigten seitlichen
Geraden entgegengesetzten Augenbewegungen bieten. Ein Hypermetrope
z. B. wird bei Betrachtung naher Objecte eine corrective AbductionsachYfwa.-
kung schon wegen der unvermeidlichen Spannung des inneren Geraden
938 Muskcllähmung; Krauklifitsbilil ; Bestimmung des Ablenkungswinkels.
nur äusserst schwer aufbringen. Zeigt sich doch auch unter normalen
Verhältnissen, dass die Excursionsfähigkeit der Bulbi in der Bahn der
Kecti externi bei Parallelstellung der beiden Gesichtslinien, also beim Ferne-
sehen, wo die inneren Geraden weniger gespannt sind, eine grössere, als
bei Convergenzstellungen ist (Hering).
Wenn die willkürliche Correction der paralytischen Ablenkung aus
irgend welchem Grunde nicht ausführbar ist, so hört auch bald die darauf
zielende Innervation auf und der kranke Bulbus springt in eine Stellung,
welche dem gestörten Muskelgleichgcwichte entspricht, von der normalen also
um so mehr abweicht, je weiter die Paralj^se gediehen ist, je grössere An-
forderungen an den gelähmten Muskel gemacht werden, und mit je grösse-
ren Widerständen derselbe zu kämpfen hat. Man kann dieses Abweichen
deutlich sehen, wenn eine willkürlich aufgebrachte Correction durch Ver-
setzung eines nach Stärke oder Lage unüberwindlichen Prismas plötzüch
aufgehoben wird.
Entsprechend den Gesetzen der identischen Sehrichtungen lässt sich
aus der gegenseitigen Lage und Stellung der Doppelbilder, welche von einem
monocular richtig fixirten Objecto auf beiden Netzhäuten entworfen werden,
die jeweilige gegenseitige Lage der Gesichtslinien und die Stellung bestimmter
Meridiane zu einander ermessen (S. 876). Sollen dabei jedoch die um-
ständlichen Rechnungen vermieden werden, welche veränderte Projections-
verhältnisse mit sich bringen (S. 868), so ist es nothwendig, dafür zu
sorgen, dass die Objectfläche stets normal bleibe zur idealen Visirebene, d. i.
zu einer Ebene, welche durch die richtig eingestellt gedachten beiden Ge-
sichtslinien und die Grundlinie gehen würde. Man muss also das Object
mit dem gesunden Auge vorerst bei horizontaler und gerade nach vorne ge-
lichteter Gesichtslinie fixiren lassen und die Erscheinungen uotiren. Hierauf
muss behufs der Bethätigung der einzelnen Muskeln und Muskelgruppen
statt einer Hebung und Senkung der Visirebene der Kopf nach vorne oder
hinten geneigt werden, während die Visirebene unverändert horizontal bleibt.
Um weiters den Einfluss zu beseitigen, welchen Convergenzen der Gesichts-
linien auf Meridianneigungen nehmen, ist es gerathen, das Object in der
Entfernung mehrerer Schritte aufzustellen. Es ist dies übrigens auch dess-
wegen nothwendig, weil der binoculare Blickraum bei Convergenzstellungen
schon unter normalen Verhältnissen ein beschränkter ist und das Auftreten
von Doppelbildern bedingt, wenn der Blick stark seitwärts und zugleich
nach oben oder unten auf nahe gelegene Objecte gerichtet wird.
Ist solchermassen aus der gegenseitigen Lage und Stellung der Dop-
pelbilder die Abweichung der Gesichtslinie und der verticalen Trennungs-
linie des kranken Auges für die einzelnen Blickrichtungen fehlerfrei be-
stimmt, so sind damit auch die Prämissen gegeben, um auf den Sitz und
die Ausdehnung der Lähmung Schlüsse zu wagen. Doch kann man hierbei
nicht vorsichtig genug sein, zumal wenn es sich um falsche Meridiannei-
gvngen handelt, indem noch mannigfaltige und oft sehr schwer zu ermit-
telnde Verhältnisse concurriren und die Auflösung des Problems in hohem
Grade erschweren. So müssen die normalen Meridianneigungen, welche
bestimmte Blickrichtungen an sich oder in A^erbindung mit Convergenzen
begleiten, in Abrechnung gebracht werden. Auch darf man nicht über-
sehen, dass abnorme Widerstände und Drehpunktlagen eben so wie Ver-
Lähmung eines seitliclien Muskels. 939
rückungen der resultirendcn Zugrichtnng bei unj2;leichmässiger Lähmung der
einzelnen Bündel eines Muskels oder einer Muskelgruppe von Belang werden
können ; dass es oft sehr schwer ist, genau wag- oder lothrcchte Bewegungen
des fixirenden Auges ohne gleichzeitige Kopfdrehungen zu bewerkstelligen,
dass die Angaben der Kranken über die Neigung der Doppelbilder häufig
höchst unzuverlässlich sind u. s. w.
a. Ist ein seitlicher Gerader allein gelähmt, so weiclit die Gesichts-
linie des zugehörigen Auges bei der Priniärsfellung des anderen in der Bahn
des Gegners horizontal vom Fixationsobjecte ab. Wird der Blick in der
Bahn des paretischen Muskels wagrecht zur Seite gewendet, so folgt der
kranke Bulbus dem gesunden eine Strecke weit, bleibt aber stets hinter
dem letzteren zurück und geht bei einer Ganzlähmung des bezüglichen
Muskels überhaupt nicht über die Mittelstellung hinaus. Die Drehung
ist dann beiderseits je um eine einzige Axe erfolgt und auf der kranken
Seite nur weniger excursiv ausgefallen. Die beiden Netzhautbilder einer
verticalen Linie werden daher in gleicher Höhe, aber auf disparaten Längs-
schnitten entworfen, erscheinen demnach ungefähr parallel zu einander
und gleich hoch, aber gekreiizt oder gleichseitig, je nachdem ein innerer oder
äusserer llectus gelähmt ist. Wird nun, während die ideale Visirebene
immer die horizontale Lage beibehält, der Kopf stark nach vorne oder
hinten geneigt, so dass erstcre relativ zu dem letzteren gehohen oder ge-
senkt erscheint, so wird die Gesichtslinie abermals zurückbleiben und die
Drehungsaxe des kranken Auges jener des gesunden nicht parallel sein,
sondern sich mehr der horizontalen Richtung nähern, wenn der Blick in
der Bahn des paretischen Muskels seitwärts geht. Dem zu Folge werden
auch die verticalen Meridiane beider Netzhäute nicht mehr parallel sein,
da dies nur bei parallelen Gesichtslinien möglich wäre ; vielmehr wird nach
dem Listing'schen Gesetze die eine Netzhaut im Vergleiche zur anderen
verdreht sein und in Uebereinstimmung damit werden die Doppelbilder
einer zur horizontalen idealen Visirebene verticalen Linie zu einander
geneigt erscheinen, immer vorausgesetzt, dass alle Fasern des kranken Mus-
kels gleichmässig gelähmt sind und dass seine resultirende Zugrichtung keine
wesentliche Aenderung erlitten hat.
Ist ein äusserer Gerader gelälimt und soll ein in der Medianebene gelegenes
fernes Object bei innervirter Primärstellung der Augen fixirt werden, so weicht die
Gesichtslinie des kranken Auges wegen dein Uebergewichte des Internus nach
Seiten des gesunden Auges vom Fixationspunkte ab, daher gleichseitige und parallele
Doppelbilder von gleicher Höhe wahrgenommen werden. Das Uebergewicht des
inneren Geraden und darum auch der Breitenabstand der beiden Doppelbilder
nimmt ab oder verschwindet, wenn der Blick vertical gehoben oder nach Seiten des
gesunden Auges hin gelenkt wird. Dagegen wächst das Uebergewicht des Internus
und damit auch der Abstand der Doppelbilder, wenn der Blick vertical gesenkt
oder in beliebiger Richtung nach Seiten des kranken Auges aus der Medianebene
herausgelenkt wird. Bei diagonalen Blickrichtungen 7iach Seifen des paretischen
Muskels stellt sich dann auch eine falsche Meridianneigung im kranken Auge ein.
Wird der Blick aus der innervirten Primärstellung der Augen diagonal nach Oben
inid der kranken Seite gewendet, so nähert sich die Drehungsaxe des gelähmten
Bulbus mehr der horizontcden Richtung, als jene des gesunden Auges, die Längs-
mittelschnitte beider Netzhäute convergiren nach Oben, daher die Doppelbilder
wegen ihrer Gleichseitigkeit nach Oben divergiren. Wird hingegen der Blick nach
Unten und nach Seiten des paretischen Muskels gelenkt, so liegt die Drehungsaxe
des kranken Auges wieder mehr horizontal als jene des gesunden; während der
verticale Längsmittelschnitt des letzteren stark nach Aussen neigt, ist der Längs-
940 Muskellähmung : Krankheitsbild; Lähmung eines oberen oder unteren Geraden.
mittelschiiitt des paralj'tischen Auges nur wenig nach Innen geneigt, die Doppel-
bilder müssen dem entsprechend und ihrer Gleichseitigkeit halber nach Oben coyi-
vergiren.
Ist ein innerer Gerader gelähmt, so weicht die Gesichtsliuie des betreffenden
Auges bei innervirler rrimärstellung wegen dem Uebergevvichte des Externus nach
Seiten des letzteren vom Fixatiouspunkte ab, divergirt daher mit der anderen Ge-
sichtslinie, es kommen folgerecht gekreuzte, gleich hohe und parallele Doppelbilder
zum Vorscheine. Das Uebergewiclit des Externus und darum auch der Breiten-
abstand der Doppelbilder nimmt ah, wenn der Blick vertical gesenkt oder 7iach Seiten
des kranken Auges gerichtet wird; es wächst dagegen das Uebergewicht des Externus
und der Breitenabstand der Doppelbilder, wenn der Blick vertical gehohen oder in
beliebiger Richtung nach Seiten des gesunden Auges aus der Medianebene hinweg-
gelenkt wird. Bei diagonalen Blickrichtungen nach Seiten des gesunden Auges
machen sich dann wieAer falsche Meridianneigungen geltend, indem sich die Drehungs-
axe des kranken Auges weniger von der horizontalen entfernt als jene des gesun-
den. Wird der Blick diagonal nach Oben und der gesunden Seite hin gewendet, so
divergiren die verticalen Trennungslinien beider Netzhäute nach Oben; die beiden
Doppelbilder sollten nach Oben convergiren, erscheinen aber, weil sie gekreuzt
sind, wieder divergent. Bei diagonaler Blickrichtung nach Unten und der gesunden
Seite convergiren im Gegeutheile die verticalen Trennungslinien der beiden Netz-
häute nach Oben und ehenso verhalten sich die gekreuzten Doppelbilder.
b. Ist ein oberer oder unterer Gerader allein gelähmt, so weicht die
Gesichtslinie des kranken Auges bei der Primärstellung des gesunden nach
oben oder unten ab, je nachdem der Rectus inferior oder superior leidet;
nebenbei pflegt dieselbe wegen dem Uebergewichte des coordinirten Schiefen
eine kleine Abweichung nach Aussen zu erfahren, während gleichzeitig
eine falsche Meridianneigung hervortritt, indem die Drehungsaxe des kranken
Auges eine andere als jene des gesunden ist. Es zeigen sich darum bei
Innervation der Primärstellung Doppelbilder von ungleicher Höhe, welche
bei geringem Breitenabstande gekreuzt und ein wenig schief zu einander
gestellt sind. Es ivachsen diese Abweichungen, wenn der Blick in einer
Richtung, welche die active Betheiligung des paretischen Muskels in An-
spruch nimmt, aus der Primärstellung hinausgelenkt wird; sie vermin-
dern sich, wenn die Blickrichtung in entgegengesetztem Sinne sich ändert.
Ist ein oberer Gerader gelähmt, so erscheint bei innnervirter Primärstellung
der Augen ein höherstehendes gekreuztes Trugbild, von geringem Breitenabstande,
welches zu dem Bilde des fixirenden Auges etwas geneigt ist, mit dem oberen
Ende leicht divergirt. Wird der Blick horizontal nach der gesunden Seite oder in
beliebiger Richtung 7iach Unten gewendet, so nimmt der Unterschied der Höhe
und Breite gleich der Neigung der Doppelbilder rasch ab und verschwindet bald
gänzlich. Dagegen ivachsen diese Ditferenzen, wenn der Blick horizontal nach Seiten
des kranken Auges oder in beliebiger Richtung nach Oben gekehrt wird. Der
Höhenabstand der Do{)pelbilder erreicht bei innervirter Hebung der Msirebene das
Ma.rimum, wenn der Blick nach Seiten des kranken Auges gerichtet wird; dagegen
tritt die Schiefheit am meisten hervor, wenn der Blick nach der gesunden Seite hin
gelenkt wird.
Ist ein unterer Gerader gelähmt, so steht bei innervirter Primärstellung der
Augen das gekreuzte Trugbild des kranken Auges bei geringem Breitenabstande
etwas tiefer, und convergirt mit dem Bilde des gesunden Auges leicht nach Oben.
Es vermindern sich diese Abweichungen und schwinden bald, wenn der Blick nach
der gesunden Seite oder in beliebiger Richtung nach Oben gewendet wird ; sie
steigen dagegen , wenn der Blick nach der kranken Seite oder in beliebiger Rich-
tung nach Unten gelenkt wird. Der Höhenunterschied erreicht ein Maximum, wenn
der Blick bei gesenkter Visirebene nach Seiten des kranken Auges zielt ; dagegen
tritt die Schiefheit am meisten hervor, wenn der Blick bei gesenkter Visirebene
nach der gesrmdeti Seite hin gerichtet wird.
c. Ist ein schiefer Muskel allein gelähmt, so verkehren sich gewisser
Massen die Verhältnisse in Bezug auf Paresen des associirten Geraden. Es
Lähmung eines schiefen Muskels; Complicirte Lähmungen. 941
wäre z. ]}. ein oberer Schiefer parctisch. Es wird dann die Gesichtslinie
des kranken Auges bei der Primärstellung des gesunden ein sehr Geringes
nach ohen innen abweichen (Graefe) und die Netzhaut eine kleine Rollung
nach aussen erleiden. Die Doppelbilder wei'den demnach gleichseitig sein,
das dem kranken Auge zugehörige etwas tiefer stehen und mit dem anderen
nach obeii convergiren. Ausserdem scheint das Bild des gesunden Auges
etwas näher zu stehen und gegen den Körper des Kranken so geneigt zu
sein, dass diesem das obere Ende ferner zu liegen dünkt. Es nehmen diese
Differenzen ab, wenn das Object nach Seiten des kranken Auges oder in be-
liebiger Richtung nach Oben gerichtet wird ; sie vergrössern sich dagegen,
wenn der Blick nach der gesunden Seite hin gelenkt oder in beliebiger
Richtung gesenkt wird. Der Höhenabstand erreicht bei V'erminderung des
Breitenabstandes und der Schiefheit des Trugbildes sein Maximum, wenn
der Blick stark nach Unten iiud nach der gesunden Seite hin zielt. Dagegen
wird die Schiefheit bei Abnahme des Höhen- und Breitenabstandes am
grössten, wenn der Blick stark gesenkt und nach Seiten des kranken Auges
hinüber gelenkt wird (Graefe, Schuft).
Ist ein unterer Schiefer gelähmt, so verkehren sich die Verhältnisse insoferne,
als das Trugbild des kranken Anges höher steht und divergirt, übrigens die Diffe-
renzen bei Hebung der Visirebene stärker hervortreten, bei Senkung des Blickes
dagegen verschiomden.
d. Sind mehrere Muskeln desselben Auges gleichzeitig gelähmt, so geht
die Abweichung der Gesichtslinie und die Raddrehung bei der Primär-
stellung des gesunden Auges und bei Blickrichtungen in der Bahn der
paretischen Gruppe immer in der Besultirenden der Gegner. Sie wechselt,
je nachdem die Bahn der beabsichtigten Drehung sich der Zugrichtung
dieses oder jenes paretischen Muskels nähert und je nachdem die Lähmung
gleichmässig oder ungleichmässig über die fragliche Gruppe vertheilt ist.
Im Ganzen erscheinen dann die Verhältnisse überaus verwickelt. Doch
bieten die Gesetze der Augenbewegung (S. 867) und der identischen
Sehrichtungen (S. 875) auch hier die Mittel, um aus der gegenseitigen
Lage und Stellung der Doppelbilder die Abweichungen der Gesichts-
linie und der Meridianstellung bei den verschiedenen Blickrichtungen zu
ermitteln und damit auch das Lähmungsgebiet zu bestimmen, immer vor-
ausgesetzt, dass man stets bei horizontaler idealer Visirebene und normal
darauf stehendem Gesichtsfelde untersucht (S. 868), um die höchst com-
plicirten Projectionsverhältnisse ausser Rechnung zu bringen ; weiters aber,
dass man nur in horizontaler und verticaler Richtung Blickwendungen aus-
führen lässt.
Sind sämmtliche vom Nervus oculomotorius beherrschte Augenmuskeln
gelahmt, und dieses ist ein sehr gewöhnliches Vorkommniss, so zeigt sich
vorerst schon die Oeffnung der Lidspalte sehr erschwert oder ganz be-
hindei't; der obere Augendeckel steht mit seinem unteren Rande viel
tiefer, als jener des gesunden Auges, er kann nur bis zu einer gewissen
Höhe emporgezogen werden und zwar weiter, wenn das kranke Auge
allein verwendet wird, als wenn die Oeffnung an beiden Augen zugleich
versucht wird. Oftmals gelingt die Oeffnung der Lidspalte gar nur unter
Beihilfe der Brauen- und Stirnmuskeln, welche die Stirnhaut und damit die
äussere Lidhaut emporziehen. Der Augapfel zeigt sich meistens etwas
prominent und wegen dem Uebergewichte des Rectus externus nach aussen
942 Muskellähmung; Krankheitsbild ; Ophthalmoplegie; Störung der Orientirung.
gewendet. Seine Beweglichkeit ist nach allen Richtungen, mit Ausnahme
jener nach aussen und nach aussen unten, beschränkt oder aufgehoben.
Wird der Blick aus der 3Iittelstellung horizontal nach der gesunden Seite
bewegt, so tritt diese Ablenkung nach aussen immer deutlicher hervor.
Gellt der Blick gerade nach oben, so folgt die Gesichtslinie des kranken
Auges bei vollständiger Lähmung gar nicht ; geht er hingegen gerade nach
unten, so folgt das ki'anke Auge nur wenig und weicht zugleich etwas
nach aussen ab. In Uebereinstimmung damit erscheinen die Doppelbilder
bei Primärstellung des gesunden Auges gekreuzt und der Seitenabstand wächst
mit der Grösse der Ablenkung, welche der Blick nach Seiten des gesunden
Auges erfährt. Die Pupille des kranken Auges ist mit sehr seltenen Aus-
nahmen massig erweitert, starr und unbeweglich ; durch Mydriatica indes-
sen lässt sie sich auf das Maximum dilatiren. Das Accommodationsvermögen
liegt in der Regel ganz darnieder; doch ist das Gegentheil nicht nothwendig
ausgeschlossen (S. 832).
e. Bei der Lähmung s'dmmtlicher Augapfelmuskcln (Ophthalmoplegia para-
lytica), welche fast immer mit Lähmungen anderer Gehirn- und liückcn-
marksnercen einhergeht, findet man den etwas hervorgetriebenen, völlig unbe-
weglichen Bulbus von dem gelähmten oberen Lide gedeckt. Seine optische
Axe steht gerade nach vorne oder ein wenig nach aussen. Die Pupille und
die Accommodation verhalten sich wie bei der completen Oculomotorius-
lähmung (Graefe).
3. Eine nothwendige Folge der Lähmung ist die Mangelhaftigkeit des
Orientirungsvermögens am kranken Auge. Wenn mit dem letzteren allein
Objecto fixirt werden sollen, welche in der Bahn der paretischen Muskeln
liegen, so projicirt der Patient wegen dem Bedarfe stärkerer Innervationen
das ganze Gesichtsfeld in der betreffenden Bahn zu weit weg und greift
folgerecht auch an dem Objecto vorbei, welches er fassen will.
Es kömmt diese Beirrung des Orientirungsvermögens auch noch sehr
häufig durch den Schwindel zum Ausdrucke, zumal wenn die vom Nervus
oculomotorius beherrschte Muskelgruppe gelähmt ist, weniger bei Paresen
des äusseren Geraden. Es tritt diese Erscheinung besonders stark hervor,
wenn das gesunde Auge gedeckt wird und ist dann bisweilen so arg, dass
sich der Kranke kaum auf den Füssen zu erhalten im Stande ist (S. 883).
4. Um der höchst peinlichen Diplopie und dem Schwindel zu entgehen,
pflegt der Kranke, so lange ihm die Unterdrückung der Eindrücke des be-
treffenden Auges nicht gelungen ist, die Lidspalte des letzteren zu schliessen
und das gesunde Auge allein zur Fixation zu verwenden ; wo es aber zu-
lässig ist, sucht er durch Drehungen des Kopfes um eine senkrechte, hori-
zontale oder schiefe Axe das zu fixirende Object in eine solche relative
Lage zu bringen, dass die richtige Einstellung der beiden Gesichtslinien
eines Minimum oder gar keiner Kraftanstrengung von Seite der paretischen
Muskeln bedarf (Graefe).
Ist z. B. das muskelkranke Auge nach rechts weniger beweglich, so dreht
der Kranke mittelst der Halsmuskeln das Gesicht nach rechts und vermindert so
die Aufgabe des gelähmten Muskels. Ist aber schon eine excessive Contraction des
Antagonisten eingetreten, so hält der Kranke den Kopf nach der entgegengesetzten
Seite, weil so die Unterdrückung des betreftenden Doppelbildes leichter gelingt
(Graefe). Ist ein oherer Gerader gelähmt, so wird der Kopf nach Hinten gebeugt;
ist dagegen ein unterer Gerader gelähmt, so wird der Kopf nach Unten geneigt.
Ursachen; unechte Lähmungen; Orbitalleiden; Neuritis rhcumatica; CVntrallcidi'n. 94-3
Bei Paralyse eines oberen Scldefen dielit der Kranke den Kopt' nat^li Vonie und
nach der gesunden Seite ( Graefe, SchiiftJ.
Ursachen. Die Augenmuskellälimung ist stets nur Symptom und
zwar höclusi mannigfaltiger krankhafter Zustände, welche entweder das
Muskelgefüge selbst betreffen und es liindern, gegebenen Nervenirrnndsen
Folge zu leisten, oder aber die Leitung in irgend einem Punkte der
Nervenhahnen erschweren oder unmöglich machen. Man unterscheidet auf
Grundlage dieser Differenz unächte und wahre Lähmungen und theilt letz-
tere wieder je nach dem Sitze des Leitungshindernisses in periphere und
centrale.
1. Unter den pathogenetischen Momenten der nnächten LähmungeTi ist vor-
nehmlich die Atrophie des MusJcclgefiigcs zu nennen. Sie kömmt ausnahmsweise an-
geboren vor. Gewöhnlich aber findet man sie als Folge von übermässiirer Dehnung
nach Exo2}hthahnus, sowie als Folge der Dehnung und dauernden Unthätigkeit an
den Antagonisten der SchielmusTceln bei vcraltelcm Strabismus. Ausserdem gehören
zu den Ursachen unächter Lähmungen: die sehnigen Degenerationen der Schiel-
muskeln; die narbigen Verbildungen einzelner Muskelbäuche in Folge von Risswun-
den, von Muskelentzündungen mit oder ohne Eiterung etc. ; die Zerstörungen des Mus-
kelgefüges durch orl)itale Afterwucherzmgen u. s. w. Vielleicht ist auch der Lagoph-
thabnus cholericus hier unterzureiheu, indem es keineswegs ausgemacht ist, ob der
Verfall der Erregbarkeit in den centralen Ursprüngen und vielleicht theilweise eine
Herabsetzung der vom Quintvis ausgehenden Erregungen, oder vielmehr die von
dem Wasserverluste herrührende periphere Muskelatfection im Vereine mit dem von
der Vertrocknung der Bindehaut gesetzten Widerstände die Schuld trägt (Graefe).
2. Als Veranlassung peripherer wahrer Tjähmungen können Orbital-
abscesse, Aftergebilde in der Augenhöhle, eindringende Wunden etc. fun-
giren, welche einzelne oder mehrere Nervenäste beschädigen. Häufiger
jedoch finden derlei Paralysen ihr pathogenetisches Moment in rheumatischen
Affectionen der Nervenscheiden. Es sind diese rheumatischen Paralysen öfters
mit gleichen Affectionen der Orbita und ihrer Umgebungen gepaart; sie
entwickeln sich meistens sehr rasch nach Einwirkung starker Temperattir-
wechsel, besonders der Zuyhift; sind gewöhnlich einseitig und oft sogar
auf einzelne Zweige eines Nervenastes, also auch auf einzelne Muskeln be-
schränkt; können jedoch auch beiderseitig auftreten und auf alle Muskeln
des Bulbus, nebstbei wohl gar auf das Yerzweigungsgebiet anderer Gehim-
und JRückenmarksnerven sich erstrecken. Man hat in veralteten derartigen
Fällen mehrmals Gelegenheit gehabt, die Ueberreste perineuritischer Er-
krankungen neben der Atrophie der Nerven nachzuweisen (Graefe). In
einzelnen Fällen mögen perij)here Lähmungen auch durch syphilitische Affec-
tionen der Orbita und Mitleidenschaft der Xervenscheiden bedingt werden.
Sonst sind Paralysen, bei welchen Syphilis im Spiele ist, in der E.egel
centrale.
3. Die centralen Lähmungen sind bisweilen binocular und dann nicht
immer von gleichem Grade und gleicher Ausdehnung auf beiden Seiten ;
auch sind sie oft mit Paralysen im Verzweigungsgebiete anderer Gehirn-
und Rückenmarksnerven gepaart. Sie betreffen bald den ganzen Qwerschnitt
eines Stammes, bald beschränken sie sich auf einzelne Bündel desselben.
In Bezug auf ihre pathogenetischen Verhältnisse gilt mit unwesentlichen
Aenderungen das von den Ursachen der Amaurose Mitgetheilte, daher füg-
lich darauf verwiesen werden kann. Es mögen in einzelnen Fällen rein
mechanische Leitungshinderungen (S. 243), Circulationsstörungen (S. 244),
oder dem Blute beigemischte krankhafte oder fremdartige Stoffe (S. . 245),
944 Muskellähmung ; Ursachen; Meningitis; Encephalopathien.
anzuscliuldigen seiu. Doch sind dies sicherlich seltene Ausnahmen. In der
Regel handelt es sich gewiss um Wucherung sprocesse, welche den Charak-
ter einer manifesten Entzündring oder des grauen Schwundes ti'agen und
ursprünglich entweder in den intracranieUen Stammtheüen der Nerven oder
in den eigentlichen Ursprung skernen und centralen Verbindungsfäden derselben
ihren Sitz haben.
a. Wucherungen im Bereiche der intracranieUen Sfammtheile entwickeln
sich bisweilen selbstständig in Polge mannigfaltiger ätiologischer Verhält-
nisse. Sie beschränken sich anfänglich oft auf eine kleine Strecke des
Nerven, gewöhnlich aber pflanzen sie sich rasch längs der Faserbündel
fort und lassen den Stamm in einem grossen Theile seiner Bahn verändert
erscheinen. Manchmal erkranken mehrere iutracranielle Nerven gleich-
zeitig oder kurz hinter einander, ohne dass sich ein gemeinsamer centraler
Herd nachweisen Hesse, daher eine Mehrheit primärer Herde anzunehmen
ist (Tiirch).
Häufiger erscheint der Process secundär, namentlich als Folgezustand
basilarer Meningitis. Die Lähmung der Augenmuskeln zeigt sich dann
öfters schon sehr frühzeitig, selbst bevor sich das Grundleiden symp-
tomatisch deutlich ausspricht, und zeichnet sich gemeiniglich durch grosse
Wandelbarkeit der Erscheinungen aus (S. 251). Die Meningitis kann da-
bei selbst wieder primär oder durch andere krankhafte Processe z. B.
Thrombose des Sinus cavernosus (Knapp) oder durch Orbitalfracturen
(Manz), durch Periostitis (S. 252) und Syphilis (Leidesdorf) u. s. w. be-
dingt sein. In anderen Fällen erwiesen sich Geschwulstbildungen an der
Schädelbasis (S. 253) z. B. ein gliosarcomatöser Herd in der Gegend des
Türkensattels (Leber), die atheromatöse Entartung und Ausdehnung des
im Sinus cavernosus verlaufenden Carotisstückes (Magni) u. s. w. als nächste
Ursache der Paralyse. Die Leitungshemmung selbst erklärt sich unter
solchen Umständen bald durch dirccten Uebergang der Wucherung auf das
Neurilem, bald durch mechanische Beengung der in der Herdnähe streichen-
den Stammtheile (Türck).
b. Eigentliche Hirnleiden (S. 255) führen mitunter unmittelbar zu Func-
tionsstörungen der motorischen Augennerven, indem einzelne Ursprungs-
kerne oder centrale Verbindungsfäden in den Krankheitsherd selber oder
in den Reactionsgürtel fallen. Aehnliches gilt von den Räckenmarkskrank-
heifen. Unter den letzteren ist in erster Linie die Tabes dorsualis zu
nennen, indem sich bei derselben sehr häufig schon frülizeitig Paralysen
einzelner Augenmuskeln geltend machen oder gar als das erste Symptom
hervortreten.
Charakteristisch für diesen Zusammenhang soll das Auftreten lanciiiirender
Schmerzen in den Extremitäten sein. Ebenso glaubt man, dass solche lancinirende
Kopfschmerzen, wenn sie dem Erscheinen der Augenmuskellähmung vorangehen
und mit deren Auftreten an Intensität naclilassen, auf den centralen Ursprung
hindeuten (Benedikt).
Insonderheit kommen Lähmungen im Bereiche des dritten Gehirnnerven
regelrecht bei Erkrankungen der Grosshirnschenkel vor und sind dann meistens mit
Lähmungen der jenseitigen Extremitäten gepaart (Diichek). Dagegen erscheinen
Paralysen im Gebiete des Nerv, facialis sehr gewöhnlich im Gefolge von Brücken-
leiden und gehen ebenfalls meistens mit Lähmungen der Extremitäten einher
(Duchek). Im Uebrigen sind Paralysen der einzelnen motorischen Augennerven bei
den verschiedenartigsten Formen und Localisationen von Gehirnleiden getroffen
Verlauf mul Ausgänge. 945
worden, und zwar unter Umständon, welclu^ die Quelle der Paralyse nur in dem
primären Kranlvlicitslierde selber zu suelicu ii;estat,teten.
Bei alten Leuten, wo solche Paralysen überhaupt häufiger auftreten, sind
wahre Encephalopathien, zumal Hirnerweichung, in einem viel grösseren procen-
tarischen Verhältnisse, als bei jugendlichen Individuen das pathogenetische Mo-
ment von Motilitätsstörungen der Augen. Es ist dringend nothvvendig, dies m jedem
Falle zu lierüclcsichtigen, auch wenn die Lähmung vorläufig hlos auf einen einzelnen
Augenmuskel beschränkt wäre. Es kömmt in der That gar oft vor, dass derlei
Processe sich vorerst blos durch eine eng umschriebene Parese offenbaren, ja dass
diese sogar wieder zurückgeht und dass nacli mehreren Wochen oder Monaten
plötzlich Lähmungen in ausgel)reiteten Muskelgebieten erscheinen, welche über das
Vorhandensein eines deletären Hirnleidens keinen Zweifel übrig lassen.
In anderen Fällen sind Encephalopathien nur als, die entfernteren
Ursachen zu betrachten. Die eigentliche Quelle der Lähmung ist in einer
secundären Basalmeningltis zu suchen oder in vermehrtem Hirndrucke (S. 259).
Der Druck geht dann bisweilen von Geschiuiilsten aus , welche an der Va-
rolsbriicke , an den GrossldrnscJienkeln oder in deren nächster Umgebung
sitzen und aii der Oberfläche des Gehirnes hervortraten. In anderen Fällen
schwellen die genannten Gehirntheile selbst wegen der Entwicklung von
Aftergebilden , apoplectischen Herden etc. in ihrem Gefüge oder in ihrer
Umgebung an und drücken die unter ihnen weglaufenden Nerven gegen
den Knochen ; oder sie machen, dass die mit den Nervenstämmen sich kreu-
zenden grösseren Gefässästc -aX» solche den Nervenstamm einschnüren (^Türck);
oder dass die Bindegewebsfäden, welche die Gefässe und Nerven umspinnen
und an die Basis des Gehii'nes heften, in Folge ihrer Zerrung und Span-
nung die Nerven comprimirev. Oefters ist der Hirndruck auf einen pri-
mären oder secundären Hydrocephalus (S. 259) zurückzuführen.
4. Ausnahmsweise scheinen Lähmungen einzelner Muskeln blos auf Muskel-
anästhesie zu beruhen, d. h. eine Folge des aufgehobenen Muskel gefühles darzustel-
len. Man findet solche Paresen neben Anästhesie sensitiver Nervenzweige in den
Umgebungen des Auges. Sie lassen sich gewöhnlich durch periphere Reizung der
anästhetischen Zweige rasch tilgen (Graefe).
5. Endlich ist noch der Motilitätsstörungen zu erwähnen, welche sich manchmal
im Gefolge der Diphfheritis fmicium entwickeln (S. 833).
Der Verlauf und die Ausgänge wechseln im concreten Falle sehr
nach der Verschiedenheit des Grundleidens. Bheumatische Paralysen pflegen
sich sehr rasch, oft binnen wenigen Stunden, über Nacht, zu entwickeln ;
während die centralen Lähmungen, besonders die auf Compression oäcv 2»'''>^ärer
Entzündung der intracranielltn Stammtheile beruhenden, gewöhnlich nur sehr
allmalig hervortreten und etwa auch an Ausdehnung gewinnen. Dass sehr
auffällige Abweichungen von dieser ßegel nichts Seltenes sind, braucht nicht
erst erwähnt zu werden, es ergibt sich von selbst aus den Eigenthümlich-
keiten der einzelnen pathogenetischen Momente. Bemerkeuswerth ist
jedoch, dass die Gradsteigerung der Paralyse oftmals eine mehrfach unter-
brochene ist, insoferne nämlich die Lähmungserscheinungen eine Zeit lang
der In- und Extensität nach schwanken, zunehmen, abnehmen, ganz ver-
schwinden, wieder hervortreten u. s. f., bis endlich der Zustand ein mehr
stabiler wird. Bisweilen machen sich in dem Verlaufe auch Krämpfe geltend,
oder gehen der Paralyse voraus, besonders bei entzündlicher Grundlage, wo
sie den die Entzündung vorbereitenden Reizungszustand zu beurkunden
scheinen (Graefe).
Frische oder doch nicht veraltete Fälle von Augenmuskellähmung, falls
sie noch nicht mit Contractur des Antagonisten combinirt sind, gelangen häufig
st eil wag, Augenheilkunde. 60
946 Muskellähmmig ; Verlauf; Ausgänge; Behandlung.
zrtr Heilung^ und dieses zwar sowohl spontan, als "unter der Beihilfe geeig-
neter Behandlung. Am günstigsten ist in dieser Beziehiang die rheumatische
Form der Paralyse ; diese geht sogar in der Mehrzahl der Fälle zurück,
wenn die Verhältnisse nur einigermassen zuträglich sind. Auch die auf
primärer Entzündung der intracraniellen Stammtheile fussende Paralj'se wird
nicht ganz selten geheilt, indem die Entzündung und die durch sie gesetzten
materiellen Veränderungen gänzlich getilgt werden. Secundäre Neuritides und
Compressionen der Kervenstämme lassen im Gegentheile nur wenig Hoffnung
auf gänzliche Beseitigung der dadurch bedingten Paralyse , es wäre denn,
dass das Grundleiden innerhalb einer nicht zu langen Zeit getilgt werden
kann, was besonders bei syphilitischer Aifection nicht gar selten gelingt.
Am schlechtesten gestaltet sich die Prognose , wenn die Erscheinungen auf
eine Affection von Gehirn - und Rilckenmarkstheilen hinweisen , da diese in
der Regel eine loeitere Ausbreitung des Lähraungsbezirkes, wenn nicht noch
schlimmere Zufälle, drohen. Doch werden die bei Tabes dorsualis auftreten-
den Augenmuskellähmungen öfters vollständig geheilt, ohne dass immer
der Grundprocess eine gleiche Wendung zum Guten nimmt.
Besteht die Lähmung schon längere Zeit, oder ist sie gar veraltet, so ist
die Aussicht auf Heilung , selbst auf eine Besserung des Zustandes, schon
sehr gering oder Null. Einerseits zeigt eine solche Veraltung schon an und
für sich auf geringe Neigung des Grundpi-ocesses und seiner Producte, sich
rückzubilden. Andererseits ist die Paralyse selbst eine sehr ergiebige Quelle
secundärer Leiden , welche ihrer Natur nach einer wahren Heilung sehr
entgegen sind. Dahin gehört nebst der Atrophie der Nerven selber der
Schwund der gelähmten Muskeln , deren fettige Rückbildving, Verschmächti-
gung. Vergilbung, Erschlaffung; die Entwickelung einer Amblyopia ex anopsia;
vornehmlich aber die Ablenkung des muskelkranken Auges nach der Seite des
Antagonisten, oder des anderen Auges nach der Seite des dem Antagonisten
gleichnamigen Muskels. Es ist diese Ablenkung in der That ein sehr häufiger
Ausgang und scheint in der Regel das weniger functionstüchtige, d. i. das
weniger sehkräftige Auge zu betreffen {Graefe). Ihr nächster Grund ist die,
durch die falsche Einstellung der einen Gesichtslinie bedingte, höchst lästige
Diplopie und der Schwindel, welche der Kranke auf jede mögliche Weise
zu beseitigen sucht.
Die Behandlung muss natürlich in erster Linie auf das Grundleiden
gerichtet werden. Eine directe Behandkmg der Lähmung findet erst ihre
Rechtfertigung, wenn das pathogenetische Moment getilgt oder doch seines
Einflusses auf die Leitung in den betreifenden Nervenbahnen beraubt
worden ist.
1. Die Regeln, nach welchen die höchst mannigfaltigen Grundleiden zu
behandeln sind, gibt die specielle Therapie.
Bei rheumatischer Grundlage werden in ganz frischen Fällen nebst strenger
Erfüllnng der Cansalindication trockene ivarme Tücher oder Säckeben mit aroma-
tischen Kräutern, auch fliegende Vesicantien, neben dem innerlichen Gebrauche von
Jodkali empfohlen. Erstere sollen das Auge, die Stirne und Schläfe decken und
ei)iige Zeit getragen werden. Letztere sollen, etwa kreuzei'gross, täglich an einer
anderen Stelle der Stirne oder Schläfe angelegt werden.
Da,s Einstreuen von Stryclinin- oder Veratrinpidver, Ym — */§ Gran mit 1 — 2 Gran
Zucker oder Amylum gemischt, oder das Äufstreichen von derlei Salben auf die
durch das Vesicator der Epidermis beraubten Stellen ist wohl kaum jemals von
irgend einem erheblichen Nutzen. Ebenso dürften eigentliche Schwitzkuren, der
Gebrauch des Tartarus emeticus in kleinen Gaben u. s. w. entbehrlich sein.
Electricität; Miiskelübungen. 947
2. Späterhin ist, zumal bei mulliraasslicher rheumatischer Easis und
wo nach Tilgung des Grundleidens die Lähmung fortbesteht , der elektrische
Strom zu versuchen. In sehr vielen Fällen leistet er Vortreffliches, bis-
weilen selbst bei unzweifelhafter Existenz eines im Uebrigen unverbesser-
lichen intracraniellen Leidens. Es ist dabei eine sehr wichtige Regel, dass
man vom Trigeminus aus wirke. Pjine dirccte Anregung der motorischen
Augenmiiskelnerven (B. Schuh , SzoImIsM) ist im Ganzen nicht nur über-
flüssig , sondern geradezu weniger wirksam , als eine durch Reflexe vom
Quintus aus vermittelte. Der angewandte Strom soll gerade nur so stark
sein, dass er eine leichte Empfindung an der betroffenden Hautstelle ver-
anlasst ixnd immer nur sehr kurze Zeit, etwa eine halbe Minute, einwirken.
Je nach der grösseren oder geringeren Irritabilität des Individuums und
seines Trigeminus wird selbstverständlich die Dosis schwanken. Wird zu
stark oder zu lange gereizt, so geht der Ei'folg häufig wieder verloren. Die
Besserung tritt nämlich in der Regel momentan ein und verschwindet eben
so rasch wieder , wenn die Application eine fehlerhafte ist. Es empfiehlt
sich daher, vorerst blos einige Secunden zu reizen und zu sehen, ob eine
Besserung nachweisbar ist. Falls eine solche sich bemerklich macht, soll
mit dem Strome noch fortgefahren werden. Sobald aber bei den wieder-
holten Versuchen die Zunahme der Motilität stille steht, oder wenn nach
den ersten paar Secunden eine Besserung nicht wahrzunehmen ist , muss
sogleich aufgehört Averden, um in einer späteren Sitzung das Verfahren zu
wiederholen. Es steht ziemlich fest, dass dort, wo diese Methode nicht
zureicht, auch stärkeres Reizen nichts nützt, ja gar oft eine Verschlimme-
rung des Leidens nach sich zieht. Nicht selten geschieht es, dass sich
erst nach eiiier Reihe von Sitzungen die Besserung offenbart und dann
rasch fortschreitet, daher man nicht gleich den Muth sinken lassen muss.
Wenn jedoch im Laufe von 14 Tagen der Erfolg Null ist, darf kaum mehr
viel gehofft werden. Es zeigt sich derselbe bald in einem proportionalen
Wachsthume der Contractionsfähigkeit des Muskels und des Bereiches, inner-
halb welchem binocular einfach gesehen wird ; bald nimmt nur die erstere
zu, während die letztere wenig oder gar nicht an Ausdehnung gewinnt.
(Benedikt).
Auf dem Wege der Erfahrung glaubt man gefunden zu haben, dass sich für
hesflmmte LäJtmnnguhezirke Reizung hesfimmier Quintus'Aste besonders eignen. So
soll bei Lähmungen des Ahducens das Resultat am besten sein, wenn der Kupfer-
pol auf die Stirne gesetzt und mit dem Zinkpole die Jochbeinwangengegend gestri-
chen wird. Bei Ptosis paralytica soll der Kupferpol auf die Stirne oder mittelst
eines katheterartigen Reophors auf die Wangenschleimhaut angelegt und mit dem
Zinkpole das geschlossene Lid gestrichen werden. Bei Paralysen des Eectits snijerior,
internus und beider Obliqu.i soll der Zinkpol auf der Seitenwand der Nase, nalie
dem inneren Canthus, bei Paralysen des Rectus inferior am unteren Orbitalrande
hin und her bewegt, der Kupferpol aber gleichfalls an die Stirne applicirt werden
(Benedikt).
Von Belang ist nebenbei eine entsprechende Uebung der paretischen
Muskeln. Zu diesem Ende thut man gut, das gesunde Auge öfters des Tages
durch einige Zeit zu verbinden, und das kranke allein zum Sehen verwenden
zu lassen, dabei den Krauken aber auch anzuweisen, Gegenstände zu fixi-
ren, welche in der Bahn des iJarctischen Muskels ausserhalb der Mittel-
stellung gelegen sind. Um die Innervation des letzteren möglichst zu er-
höhen, ist es sehr wichtig , behufs adducirender Correction nahe , behufs
60*
948 Muskelliiliiiuing: Behandlung; Operatives Verfahren.
abducirencler aber ferne Gegeustände zu wählen und, wo nöthig, durch vor-
gesetzte sphärische Gläser den Refractionszustand der Augen in entspre-
chendem Sinne zu vermindern oder zu erhöhen.
Zu gleichem Bebufe rathen Manche, sich zweier Marken zu bedienen, deren
eine von dem gesunden Auge fixirt, die andere verschiebliche aber der Gesichtslinie
des kranken Auges so weit genähert wird, dass die Doppelbilder verschviehen. Nun
soll die zweite Marke in der Bahn des paretischen Muskels allmälig weggerückt
und letzterer so zu correctiven Spannungen angeregt werden (Javal). Andere brin-
gen das Fixationsobject bei festgehaltenem Kopfe in eine Lage, in welcher binocu-
lares Einfachsehen noch möglich ist und rücken es dann in der Bahn des gelähm-
ten Muskels allmälig so weit weg, dass die Bilder anfangen aus einander zu treten
und der Drang nach Einfachsehen corrective Innervationen auslöst (Szokalski).
Handelt es sich nur uvi die Correctur kleiner paretischer Abiceichungen, so em-
pfiehlt man den Versuch mit prismatischen PlanglUsern, da diese bei gehöriger Wahl
und Anwendung den gemeinschaftlichen Sehact gestatten und die Augen vielleicht
gewöhnen, zusammenziiwirken. Sollen sie ihrem Zwecke entsprechen, so muss ihr
brechender Winkel natürlich so gewählt werden, dass bei richtiger Stellung dessel-
ben die Verschmelzung der Doppelbilder eine kleine, leiclit und anhaltend aufbring-
bare Anstreyigring der paretischen Muskeln nothwendig macht. Steigert sich allmälig
das Arbeitsvermögen der kranken Muskeln, so muss zu scliicächeren Prismen über-
gegangen werden, bis diese endlich entbehrlich werden (Qraefe).
3. Ist bereits Contractur des Antagonisten eingetreten und keine Aussicht
auf Wiederherstellung der Functionstiichtigkeit des gelähmten Muskels vor-
handen ; oder wiedersteht ein geringer Grad von Lähmung in einem oder
dem anderen geraden Muskel allen Versuchen, denselben zu beseitigen, so
kann man bei geringer Beweglichkeitsbeschränkung die Tenotomie des über-
gewichtigen Gegners ohne oder mit Vornähung des paretischen Muskels, bei
grösserer Beschränkung aber die Vorlagerung des geschwächten Muskels
durch die Fadenojieration versuchen (S. 919). Es gelingt auf diese Weise
unter Beihilfe entsprechender Nachbehandlung öfters , eine scheinbar
richtige Einstellung beider Gesichtslinien zu erzielen, oder wenigstens eine
leidlich bessere Richtung des mitskelkranken Auges mit Unterdrückung
seines Trugbildes herzustellen {Graefe). Im Allgemeinen ist es nothwendig,
die Erwartungen des Kranken auf ein sehr Kleines herab-zustimmen, selbst
was den cosmetischen Erfolg betrifft. Die Dosirung des operativen Effectes
bietet nämlich am Krankenbette kaum übersteigbare Schwierigkeiten und
ist auch in der Theorie nur unter Vernachlässigung wichtiger Momente,
z. B. der veränderten Widerstände bei verschiedenen Blickrichtungen
eine leichte. Zudem darf nicht übersehen werden, dass diese mechanischen
Beeinflussungen der Muskelwirkung nach wie vor der Operation ausnehmend
stark wechseln und dass eine erzielte Correctur demnach immer nur für ganz
bestimmte Verhältnisse zureichen könne.
4. Um die Ptosis des oberen Lides, welche öfters nach Paralysen im
Bereiche des Xervus oculomotorius zurückbleibt, öfters aber auch für sich
und dann bisweilen als ein selbständiges Muskelleiden beobachtet wird, zu
beseitigen, soll folgendes Verfahren dienen. Vorerst wird, einige Millimeter
vom oberen Lidrande entfernt, ein Querschnitt durch die Haut des Lides
bis auf den Orbicularmuskel gemacht und die äussere Liddecke von dem
letzteren bis gegen den Orbitalrand und ihrer ganzen iJrei^e/musdehnung
nach getrennt. Ist so der Orbicularis in einer genügenden Breite blosgelegt,
so wird derselbe entsprechend der klaffenden Wunde in einer Breite von
4 — b'" durch eine krumme Schere ausgeschnitten, nachdem man die Bündel
desselben vorher durch eine Hakenpincette angezogen hat. Nun werden
l'losis paialytiiic, (>iMTativc BBliandhing; Quolluii. 949
3 Nähte in i'iner ontsprechcndon Entforiiung von einandei* durch die stehen
gebliebenen JJiindol des Muskels und die Wundvändcr gelegt, indem man
nahe am freien Lidrando die armirten Nadeln einsticht, unter der C'diar-
portion des ]\[uskels weg aus der Wunde heraus führt, dieselben sodann
um die die Wundfläche nach oben begrenzenden Muskelbündel lierum-
schlingt, hierauf den oberen Wundrand der Liddecke durchsticht und den
Faden knüpft. Solchermassen wird eine subcutane Verkürzung des oberen
Lides erzeugt, die Orbiculariswirkung geschwächt und die Levatorwirkung
durch die Retraction des Lides unterstützt. Genügt dieses nicht , ist etwa
das obere Lid merklich verlängert , so thut man gut, ein halbmondförmiges
Stück der Liddecke, dessen Basis der erste erwähnte Querschnitt ist, aus-
zuschneiden und dann erst die Nähte anzulegen. Ein Schutzverband hat
hierauf die Lider durch 12 — 24 Stunden unbeweglich zu erhalten und die
Verheilung per primam intentionem zu begünstigen (Graefe).
Quellen: Graefe, A. f. O. I. 1. S. 7, 9—23, 52-81, 433; I. 2. S. 312, 313,
316, 318; II. 1. S. 282, 284; IL 2. S. 299; III. 1. S. 182—189, 326—386; III. 2.
S. 409; VII. 2. S. 24—35; IX. 2. S. 57—62; XII. 2. S. 198, 202, 265—277; kliii.
Monatbl. 1863. S. 3, 4; 1864. S. 2—22; 1867. S. 381; Symptomenlehre d. Augen-
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ibid. 1854. II. S. 491 — 504; Ophth. II. S. 1194-1200. — Schuft, Zur Lehre v.
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289, 297 u. f., 331 u. f. — B. Schuh, Wien. med. Wochenschrift. 1862. S. 243. —
Javal, kl. Monatbl, 1864. S. 404. — Pagenstecher und Saemisch, kl. Beobachtungen.
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Hering, Das binoculäre Sehen. Leipzig. 1868. S. 115, 144. — Coccius, Der Mechan.
d. Acc. Leipzig. 1868. S. 62. — Manz, A. f. O. XII. 1. S. 1. — Knapp, ibid. XIV.
1. S. 220, 234. — Leber, ibid. XIV. 2. S. 346. — Magni, Rivista clin. 1868. —
Power, Virchow's Jahresber. 1868. S. 478. — Stefan, kUn. MonatbL 1867. S. 73.
ALPHABETISCHES EEGISTER.
Abführmittel 33.
Ablenkungen der Gesichtslinien, deren
Messung 877.
Abragio corneae 127.
Abscessus corneae 59, 83, 89 ; A. iridis
275; A. palpebrarum 486, 491.
Abtragung partielle des Bulbus 653.
Accommodation 763; A. Aequivalent 763,
765; A. Breite 763, 765; A. Breite
relative 769; A. Krämpfe 838; A.
Linien 763; A. Nerven 767; A. Pa-
ralysen 831; A. Paralyse diphtherit.
833; A. Phosphene 766; A. Quoten
766; A. Störungen 755, 777; A.
Theorie 766.
Achromatopsie, Achrupsie 236, 847.
Acne ciliaris 488; A. c. confluens 496;
A. solitaria 494.
Adenoid 618, 632.
Aderhaut 307; Aderhautentzündung =
Chorioiditis; A. Abhebung 318; A.
Berstung 322; A. Blutung 323; A.
Schwarten 317; A. Schwarten
knöcherne 335; A. Senescenz 312;
A. Schwund 334; A. Spannmuskel
308; A. Tuberkel 320; A. Vorfall
388, 390.
Aderlass 27.
Adstringentien 46.
Aegylops 492.
Aetzmittel 48.
Aftergebilde = ki-ankhafte Geschwülste.
Aichuiigen des Gesichtsfeldes 760.
Amaurosis, Amblyopie 234; A. aduata
243, 256; A. alcoholica 246, 264; A.
anaemica 244; A. anoptica 856, 857;
A. apoplectica 257; A. nach Blut-
verlusten 244; A. centralis s. cere-
bralis 251; A. congestiva 243; A.
diabetica 245; A. diphtheritica 833,
856; A. embolica 247; A. encephalo-
pathica 255; A. gravidarum 244; A,
hereditaria 243 ; A. durch Hirndruck
VI. hydrocephalica 259 ; A. inlermittens
8, 856; A. intoxicativa 245, 246; A.
ischaemica 247; A. mechanica 243;
A. meningitica 251 ; A. menstrualis
244; A. orbitalis 253; A. partialis
239; A. partialis fugax 851; A. par-
turientium 244; A. ex periostitide
basilari 252; A. potatorum 246, 264
A. ex pseudoplasraate basilari 253
A. ex suppressione secretionum 244
A. saturnina 245; A. mit Sehnerven-
excavation 229; A. senilis 856; A.
simulata 239; A. spinalis 258; A.
syphilitica 254; A. sympathica 333;
A. tabacina 246, 264; A. tabetica
258; A. traumatica 854; A. ohne ob-
jectiven Befund 854; A. trifacialis
854; A. ex typho, pneumonia etc.
247; A. uraemica 215.
Ametropie 771.
Amotio retinae 216.
Anaesthesia optica 853; A. durch Blitz
854 ; A. centralis bei Strabismus 898,
925; A. geuuina, hysterica 855; A.
partialis 853; A. partialis fugax 851 ;
A. senilis 856; A. sympathica 333;
A. traumatica 854; A. trifacialis 854.
Anchylops 492, 556.
Anerythropsie 848.
Aneurysmen 633.
Angiome 630.
Aukyloblepharon 511.
Anisometropie 795, 813, 825.
Anthrax palpebr. 486.
[ Antiphlogistische Arzneimittel u. Diät 29.
Aphakie 806.
j Art. hyaloidea persistens 154.
Alphaljotisclies Kegister.
951
A. ab-
chorioicleae 334;
nervi optici et
Associatiousverhältuissc der Augenmus-
keln und des Acc.-Muskels 768.
Asthenoi)ie 779, 807; A. acconimodativa
8-27; A. niuscularis 883, !)29; A. re-
tinalis 830, 852.
Astigmatismus normaler regulärer 757;
A. abnormer regulärer 759; A nor-
maler unregelm. 776, 815;
normer unregelmässigcr 133, 776.
Astigmatische Difterenz 776.
Astigm. Tafeln 818.
Astigmometer 820.
Atherom 60-4.
Atresia pupillae 288.
Atrophia bulbi 334; A.
A. iridis 285; A.
retinae 227.
Atropin 39.
Äugendiät 15.
Augenhöhle = Orbita.
Augen künstliche 656.
Augenlidbinde 481, 578.
Augeulidlialter 730.
Augenmuskeln 863; Bewegungsgesetz
Listing'sches 867; A. Krämpfe 885;
A. Lähmungen 887, 935 ; A. Kück-
lagcrung = Strabotomie; A. Vorlage-
rung 919; A.Vornähung 915, 918,932.
Augenpflaster 16.
Augenschirme 22.
Augenschvvund 334.
Augenwässer 46.
Augenzittern = Nystagmus.
Auslöffelung des grauen Staai-es 714.
Axenstaar 675.
Balggeschwülste 604.
Basedow'sche Krankheit 584.
Bathymorphie 785.
Bdellatomie 27.
Bewegungscentrum 865.
Bewegungsgrösse d. Augen 866.
Bewegungsgesetz Listing'sches 867.
Beleuchtungsmittel 21.
Bindegewebsring 167, 169, 344.
Bindehaut 404; B. Abscess 414; B.
Katarrh 416; B. Blennorrhoe 427;
B. Diphtheritis 445 ; ß. Entzündung
= Syndesmitis ; B. Exantheme 414 ;
B. Extravasate 415; B. Falten hyper-
trophische 453, 468; B. Geschwüre
414; B. Hyperämie 415; B. Narben
traciiomat. 459 ; B. Naht. 915 ; B. Oedem
409.
Binnendruck 1.
Binnenpuls 3, 4.
Blasentinne = Cysticercus.
Blasenwürmer 634.
Blaublindheit 848, 849.
Bleiniorrhoea conj. 427; B. chronica 412;
B. Einimpfung 115.
Blo])haradenitis = Blepharitis 480, 485
B. ciliaris 48S; B. c. confluens 496
B. c. solitaria 494; B. syphilitica 486
B. tarsalis 490, 504.
Blepliardphimose 511.
Blepharoplastik 544.
Blepliaroplcgio 888.
Blepharospasmus 885.
Blickebenc = Visirebeno 867.
Blicklinic, Blickrichtung 87ö, 867, 870.
Blickraum binoculärer 871.
Blutdruck 1, 2.
Blutegel 27; B. künstliche 28.
Blutentziehungen 27.
Blutextravasate im Glaskörper 159; in
der Cornea 62; in der Kammer 278;
in der Netzhaut 184 ; im lichtempfin-
denden Ajjparate 243.
Blutschwamm 630.
Blutstaar 287.
Blutstauungen 3.
Bowman'sche Schichte 55.
Brechzustand 763.
Brennlinie, Brennstrecke, Brennweite 758.
Brillen 773, 774, 796; B. cylindrische
824; B. farbige 22; B. muschel-
förmige 23 ; Perspectivbrillen 794,
813; B. prismatische 811; Schutz-
brillen 22; Staubbrillen 16; B. ste-
nopäische 129.
Buphthalmus 133.
Calabarpräparate 41.
Calomeleinstäubungen 44.
Canthoplastik 513.
Capsula lentis 589; C. Bonneti 578; C.
Tenoni 579.
Capsulitis 664.
Carbunkel der Lider 486.
Carcinoma 628.
Cataracta 663; Complicationeu 684;
Diagnose 675 ; spontane Heilung 697;
Operationen 711, 737; C. adnata 686;
C. argentea 672; C. calcarea 672;
C. capsularis centralis 95, 287, 673,
682, 696; C. capsulolenticul. 669;
C. cholestearinica 672 ; C. chorioidalis
287; C. complicata 684; C. corticalis
667, 678, 695; C. cruenta 287; C.
cystica 671; C. diabetica 687; C.
discoidea 670, 680; C. dislocata 702;
C. dura 667, 676; C. ergotica 687;
C. tibrosa 681, 689; C. fibrosocal-
carea 681, 689; C. fluida 671; C.
glaucomatosa 355; C. grumosa 287;
C. hereditaria 688; C. hyaloidea 164;
C. infiammatoria 663; C. lactea 671,
679; C. lymphatica 287; C. matura
706; C. mixta 667, 676; C. mollis
667, 678, 679; C. myelinica 671; C.
uatans 692, 703, 727; C. nigra 688;
952
Alphabetisches Register.
C. nuclearis 676, 695; C. ossea 673;
C. partialis 673, 681, 689, 696; C.
perinuclearis = stratiformis ; C. pig-
mentosa 287; C. polaris 164; C.
purulenta 664; C. putrida 673; C.
pyramidata 673, 682, 696; C. regres-
siva 668, 677, 725; C. secundaria
699, 728, 741; C. senilis 687;
C. siliquata 671, 680, 725, 741;
C. spuria 287; C. stellata 679; C.
stratiformis 674, 681, 686, 696; C.
traumatica 689, 698; C. tremulans
692, 703.
Catarrhus conjunctivae 408, 416; C.
siccus 420.
Caustica 48.
Cavernöse Tumoren 630.
Centralkapselstaar = Cat. caps. cent.
Chalaziou 506.
Chemosis 409.
Cliiasma 166.
Chloroma 622.
Chondrome 609; Ch. telangiektodes 632.
Chorioidea = Aderhaut. -
Chorioiditis 313; Ch. areolaris, exsudati-
va 187; Ch. hyperplastica s. sarco-
matosa 623; Ch. serosa 314; Ch.
suppurativa 319, 366.
Chromatodysopsie 236, 847.
Chromopsie = Chrupsie 851.
Ciliarfortsätze 308.
Ciliargefässe 309, 379.
Ciliarmuskel 308 ; C. Durchschneidung
305.
Ciliarnerven 9, 311; C. Durchschneidung
338.
Cilien 484.
Circulationsstönmgeu intraoculäre 24.
Cirsophthalmus 390.
Clavus 121.
Collodiumverband 434.
Collyrien 46.
Comedonen 603.
Condylome der Iris 274.
Conjunctiva =^ Bindehaut.
Conjunctivitis = Syudesmitis.
Convergenzbreite relat. 769, 770.
Convergenzquote 770.
Convergenzstellungen 870.
Convexgläserkur 857.
Coordinationsbewegungen, willk. 870;
C. reflect. 874; C. Störungen 883.
Coordinationscentra 873.
Corelyse 292, 302.
Coremorphose 294.
Cornea = Hornhaut.
Cornea conica 133.
Cornea globosa 133.
Corpus ciliare 308; C. c. Staphylom 387.
Corpus vitreum = Glaskörper.
Correspondirende Netzhautstellen 875.
Cylindergläser 824.
Cylindrome 631.
Cysten 604; C. d. Iris 605.
Cysticercus cellulosae 635, 650, 651.
Cystoide Vernarbung 359.
Cystosarcome 618, 621.
Dacryoadenitis 553.
Dacryocystitis blenn. 555, 561 ; D. phleg-
monosa 555, 557.
Dacryolitheu 554, 566,
Dacryops 553.
Daltonismus 848.
Decoloratio coerulea nervi optici 241.
Deckstellen der Netzhaut 875.
Depressio cataractae 714.
Derivantien 33.
Dermoide 607.
Descemeti 55; D. Entzündung 61.
Dictyitis = Neurodictyitis.
Diphtheritis conjunctivae 414, 445 ; Diph-
theritische Accommod.-Lähraune: 833.
Diplopia binocularis 876; D. monocular.
759, 777.
Discissio cataractae 712, 737; D. mit
Iridektomie 713.
Dissectionsgläser 931.
Distanzbeurtheilung der Objecte 879.
Distichiasis 500, 518.
Douchen 26.
Drastica 33.
Drehpunkt des Auges 865.
Druck intraoculär. 1 ; D. intravasculär. 1.
Druckverband 16.
Dürrsucht 478.
Echinococcus 635.
Ectasia corneae 132, 133.
Ectopia lentis 693, 706, 728.
Eczema 75.
Einfachsehen binoculares 881.
Einschränkungen des Gesichtsfeldes 237.
Einstellungswerth des Auges 765.
Eiterstaar 664.
Ektropium 534; E. acutum 433, 439, 537;
E. luxurians, sarcomatosum 455, 462;
E. mechanicum 537 ; E. paralyt. 536 ;
E. senile 486, 536 ; E. symptomati-
cum 537.
Elephantiasis palp. 606.
Embolia art. centr. retinae 247, 249.
Emmetropie 770.
Emphysema angulare et sacci lacrym.
566; E. orbitae 583.
Encanthis 604.
Encephalitis infantum 369.
Encephalopathien 255, 944.
Encephaloid 610.
j Energie actuelle u. potentielle 827.
Enoi^hthalmus spastic, 885.
EntoptischeKörper U.Erscheinungen 842.
Alpliiilictisclifs Hogistcr.
953
Entozoeii 634; E. der Linse 691.
Entropium 527; E. üri>-canicnin 462, 529;
E. senile 529; E. spasticum 528.
Enncieatio bulbi 338, 653.
Ephidrosis palpebr. 484.
Epiblepliaron, Epicantbus 887.
Episcleralgewebe 379; Episcleritis 380.
Epitbclialcarcinom 629.
Epithelialflecke 117.
Epitlieliahiarbo der Cornea 120.
Epispastica 33.
Erysipelas i)alpebr. 487.
Exeavatio nervi optici adnata, physiolo-
gica 168, 171; E. atropbica 228;
E. glaucomatosa 343.
Excochleatio cataractae 714.
Exopbthalmia fungosa 627.
Exopbthalmometer 580.
Exopbtbalraus 640; E. anaeraicus, ca-
cbecticus, mit Kropf und Herzleiden
584; E. inflammatorius 581 ; E. i)seu-
doplasmat. 640; E. ex strabotomia
914, 920.
Exostosen 609.
Exstirpatio bulbi 645.
Extractio cataractae linearis 712, 739 ;
E. lin. mit Iridectomie 713; E. c.
mit dem peripheren Linearschnitte
722, 748; E. c. lobularis 715, 742
E. c. lobul. mit Iridektomie 718
E. c. durch den Lederhautstich 726
E. c. mit der Kapsel 719.
Fadenoperation 919.
Fallversucb 880.
Farbenblindheit 236, 847.
Farbensehen 851.
Farbigsehen 849.
Fascia tarsoorbitalis 578.
Fenstervorhänge 21.
Fernpunktabstand 763; F. äusserster
monocularer 775.
Fernsichtigkeit = Presbyopie.
Fibroide, Fibrome 606.
Fibroplastische Geschwülste 617.
Fibrosarcom 617.
Filaria 636.
Fil de Florence, Fischschnur 540.
Finne = Acne.
Flachbau 804.
Flimmerscotom 851.
Flügelfell 472.
Fontan'scher Canal 271.
Freibeweglichkeit der Linse 694.
Fremde Körper in den Binnenorganen
158, 368; in der Linse 690; in der
Kammer und Iris 368; Extraction
derselben 298, 374.
Fungus haematodes 630.
GefässkrauK 278, 406.
Gegenreize 33.
Gerontoxon corneae 56; G. lentis 663.
Gerstenkorn 490, 504.
Geschwülste krankhafte 602 ; G. extraocu-
läre 640; G. intracranielle 253, 255;
G. intraoculäre 647.
Gesetze der Augenbewegungen 8()7; G.
der Projection in den Kaum 874; G.
der identischen Schrichtungen 875;
G. der Tiefenwahrnehmung 879.
Gesichtsfeld, Untersuchung 235.
Gesichtslinie 756, 760.
Gewächse 605.
Glashautentzündung 61.
Glaskegel, Steinheil'sche 794.
Glaskörper 153; G. Abhebung 161, 163;
G. Entzündung 155; G. Degeneration
bindegewebige 161; Extravasate hae-
morrhg. 159; G. Staar 164; G.
Synchyse 161; G. Verknöcherung 335.
Glaucom 315, 341, 347; G. absolutum
354; G. acutum 352, 354; G. apo-
plecticum 351 ; G. chronicum inflamm.
351; G. complicatum 355; G. con-
secutivum, secundarium 350 ; G. ful-
minans 353; G. siraplex 352, 354.
Glauconiatose Degeneration 356.
Glimmerbrillen 17.
Gliom 610, 648, 652; G. fibrom, G.
myxom 611.
Gliosarcom 611, 617.
Glycerinsalben 46.
Granulome 626.
Greisenbogen = Gerontoxon.
Grünblindheit 848, 849.
Grundlinie 769, 867.
Gummen 627; G. der Iris 274, 280, 288;
G. der Lider 486.
Haarbodenabtragung 525 ; H. partielle
524.
Haarbodentransplantation 521.
Hagelkorn 506.
Haemo dynamische Verhältnisse des
Auges 1.
Haemophthalmus 278.
Hasenauge = Lagophthalmus.
Hauptschnitte der Treunungsflächen 755.
Hauptsehrichtung 875.
Hautreize 12.
Hemeralopie 853, 858.
Hemiopie 238, 851.
Hermetischer Verband 434.
Hernia corneae 92; H. sacci lacrymalis
565.
Herpes conjunctivae 414, 469; H. corneae
67; H. episcleralis 380; H. ophthal-
micus u. frontalis 69.
Herpetischer Pannus 111, 471.
Heurteloup'scher Blutegel 28.
954
Alphabetisches Register.
Hodometer 892.
Höllenstein 48.
Hordeolum 504.
Hornerscher Muskel 483.
Hornhaut 53; H. Abscess 59, 83, 89; H.
Blutextravasate 62; H. Brechungs-
verhältnisse 756; H. Bruch 92; H.
Durchbruch 93; H. Ectasie 133; H.
Entzündung = Keratitis ; H. Flecke
116; H. Gefässe neopl. 60; H. Ge-
schwüre 59, 86, 92; H. G. blennorh.
431 ; H. G. bei Encephalitis infan-
tum 87; H. G. bei Typhus, Cholera
etc. 88; H. Narben 118, 125; H.
Phthise 99; H. Transplantation 131;
H. VerkalkungundVerknöelierung 121.
Hornhautstaphylom 132; H. kegeliges,
kugeliges 133; H. narbiges 140.
Horopter 882.
Hyalitis 153,
Hydromeningitis 62, 78.
Hydrophtlialmus = Hydrops camerae
anterioris 133; H. posterior = Sta-
phyloma sclerochorioidale.
Hydrops nervi optici 175; H. sacci
lacrymalis 565; H. subretinalis 216.
Hyoscyamin 39.
Hyperaesthesia optica 850.
Hyperpresbyopie, Hypermetropie, Hyper-
opie 771, 778, 801, 802; H. absolute,
facultative 771, 802; H. relative 803.
Hypodermatische Einspritzungen 34.
Hypohaema 278.
Hypopium 85, 275, 281, 288.
Hypopiumkeratitis 83.
Identische Punkte d. Netzhaut 875.
Identische Sehrichtungen, Gesetz 875.
Idiosyncrasien 847.
Incongruenz der Netzhäute 910
Innervationsverhältnisse des Auges 8;
I. der Augenmuskeln 870.
Insufficienz der Augenmuskeln 887, 926.
Inunctionskur 30.
Iridektomie 130, 294, 338, 357; I. mit
Linsenextraction 305; I. bei Staar-
operationen 718.
Iridenkleisis 305.
Iridodesis 304.
Iridocai)Sulitis 279.
Iridocliorioiditis, Iridokyklitis 316, 325;
I. sympathica 332.
Iridotomie 306.
Iris 270; I. Abscess 275; I. Schwarten
317; I. Schwund 285; I. Staphylom
98, 100; I. Vorfall 96, 107; I. Vor-
fall durch die Sclera 389.
Iritis 270, 273; I. intermittens 282; I.
secundaria 281, 717; I. serosa 273;
I. suppurativa 275; I. sympathica
282; I. syphilitica 282.
Ischämia retinae 247, 249.
Kalkcysten 604.
Kalkstaar 672.
Kälte als Heilmittel 25.
Kapsel der Linse 589; K. Entzündung
664; K. Linsenstaar 669; K. Staar
vorderer und hinterer 669, 670; K.
Staar centraler 95, 287, 673, 682,
696.
Kapsel Tenon'sclie, Bonnetsche 578, 579.
Katzenauge amaurotisches 648.
Keloid 620.
Keratectasia 133, 134; K. e. panno 112;
K. ulcerativa 93.
Keratitis 57; K. neuroparalytica 10, 89;
K. diÖ'usa, pareuchyraat. 79 ; K. pan-
nosa 109; K. postica 62, 78; K.
punctata 78; K. suppurativa 59, 82;
H. vasculosa 59, 63.
Keratoconus 133, 134.
Keratoglobus 133, 135.
Keratokele 92.
Keratoiritis 275.
Kerntläclie und Kernpunkt des subj.
Sehraumes 879.
Kernstaar harter 667; K. weicher 667.
Kernzone 660.
Kopiopie = Asthenopie.
Körper fremde = fremde Körper.
Krampf des Accommodationsmuskels 775,
838; K. der Augenmuskeln 885; K.
des Kreismuskels 885 ; K. des Lid-
hebemuskels 887.
Krebs 628.
Krystallkörper = Linse.
Krystallflocke 689.
Krystallwulst 699.
Kupfervitriol 84.
Kurzsichtigkeit = Myopie.
Kyklitis 313, 331.
Lagophthalmus cholericus 943; L. para-
lyticus 536, 888; L. spasticus 887.
Lähmung = Paralysis.
Lamina cribrosa 167.
Langljau 785.
Längsmittelschnitte der Netzhaut 875.
Lapis inferualis 48.
Lappenextraction 717, 742; L. mit Iri-
dectomie 718.
Lederliaut = Sclera.
Leontiasis 609.
Leucom 117.
Lichtempfindender Apparat, Functions-
störungen 847.
Lichtemptindendes Netzhautstratum 759;
Prüfung des Lichtempfiudungsver-
mögeus 235.
Lichtlinien 760.
Lichtregulirung 20.
Lichtscheu 850; L. scrophulose 73.
Alphabetisches Register.
955
Lichtscliirme 21.
Lider 480; L. Abscess 48G, 491 ; L. Eut-
zünduiig 485; L. Driiseuentzünduiig
= Acne; L. Erysipel 487; L. Exan-
theme 487 ; L. üedeni 486 ; L. Syphilis
486.
Lidband 482.
Lidknorpel 481.
Lidnuiskeln 482; L. organische 484.
Lidrandtinne = Acne.
Lidspaltenfleck 60(5.
Ligamentum ])alpebrale 482; L. pecti-
uatum iridis 271.
Linearextraction 712, 739; L. modificirte
=: Extraction mit dem peripheren
Linearschnitte.
Linse 659; L. Brechungsverluiltnisse 756;
L. Dislocation 692, 693; L. Ectopie
693; L. Entzündung 663; L. J:nto-
zoen 691; L. Extravasate haem.
688; L. Freibeweglichkeit 694; L.
fremde Körper 690; L. Kapsel 589;
L. Luxation 693, 694; L. Senescenz
662; L. Verletzungen 689, 698; L.
Vorfall in die Vorderkammer 692;
L. Vorfall unter die Bindehaut 693.
Lipome 608.
Localisationsvermögen, relat. d. Netz-
haut 875.
London- smoks 22.
Lupus palpebr. 486.
Luscitas 884.
Luxatio lentis 693, 694, 728.
Lymphstaar 287.
Maculae corneae 116.
Madarosis 500.
Manometer 6.
Markschwamm 610.
Medianebene und Medianlinie 867.
Medullarcarcinom 628.
MeduUarsarcom 616.
Megalopsie 779, 847.
Meibom'sclie Drüsen 482.
Melanom 610.
Melanotisches Carcinom 628 ; M. Sar-
com 616.
Meliceris 604.
Membrana capsulopupillaris 662 ; M.
pupillaris persistens 287.
Meningitis cerebrospinalis epid. 369, 372.
Mercurialien 30; M. oxydatus fiavus 45.
Meridiane vertical. u. horizont. Netz-
haut 875.
Mesoropter 909.
Metallincrustationen d. Cornea 122.
Metamorphopsie 400, 847.
Mikropsie 779, 847.
Milchstaar 671.
Milium 603.
Molluscum 604, 607.
Mondblindheit 853.
Monochromatische Abweichung 757.
Morphium 34.
Mouches volantes 842.
Muschelbrillcn 23.
Muskeln des Augapfels 863; M. der
Lider 482; M. organische der Lider
484; M. des Thränenableitungs-
ap])arates 483.
Mydriasis 834; M. spastica 835; M.
])aralytica 836; M. bei Basedow'schcn
Leiden 587.
Mydriatica 35.
Myiodesopsie 842.
Myiokephalon 121.
Myom 610.
Myopie 771, 781; M. in Distanz 838;
M. scheinbare 775.
Myosis 840.
Myotica 41.
Myotomia = Strabotomia; M. intraocu-
laris 305.
Myxom 608; M. sarcom 617.
Nachbilder persistente 852.
Nachstaar = Cataracta secundaria.
Nachtnebel 853, 858.
Naevi venosi 632.
Nahepunkt 763.
Nahsichtigkeit 784.
Narbenkeratitis 125.
Narbenstaphylom 142.
Narcose bei Oj)eratioiien 729.
Narcotica 34.
Nebensehrichtungen 875.
Nekrobiotische Hornhautabscesse 91.
Nervus opticus = Sehnerv; N. sym-
pathicus 8; N. trigeminus 9; N. ab-
ducens, oculomotorius, facialis 865.
Netzhaut 177; N. Abhebung 216; N.
Deckstellen oder correspondirende
Punkte; N. Entzündung = Neuro-
dictyitis; N. Haemorrhagien 184, 191,
194," 218, 351; N. Incongruenz 910;
N. Narbenstränge. 230; N. Oedem 190;
N. Pigmentanhäufungen 231; N.
Schwund 227; N. Senescenz 182;
N. Typische Pigmententartung 267.
Neuritis optica 166.
Neurodictyitis 183; N. apoplectica 194;
N. areolaris 187, 208; N. brightica
187, 212; N. centralis recidivans 189;
N. circumscripta, disseminata 187,
207, 208; N. descendens 198; N.
diffusa 185, 193; N. exsudativa 185,
206; N. leucaemica 188; N. nephritica
187,212; N. nyctalopical96; N. nach
Opticusdurchschneidung 197; N. pig-
mentosa 267; N. suppurativa, tnber-
culosa 188, 320; N. syphilitica 198.
956
Aphabetischcs Eegister.
Neurotomie subcutane 655.
Nictitatio 885.
Niederdrücknng des grauen Staares 714.
Nystagmus 884, 932.
Njctalopie 850.
Oedema malignum palp. 486; Oedema
papillae 191 ; Oedema retinae 190.
Onyx corneae 59, 85, 91, 102.
Operngucker 794.
Ophthalmia anterior, posterior .313; O.
brasiliana 480; O. arthritica 348; O.
granulosa = Trachom; O. inter-
mittens 8; O. morbillosa, scarlatinosa,
variolosa 71, 370, 419; O. neuro-
paralytica 10, 87, 89, 356, 587; O.
postfebrilis 329; O. psorica, impe-
tiginosa, serpiginosa etc. 71; O. pu-
stularis, phlyctenulosa = Herpes; O.
scrophulosa 72; O. subconjunctivalis,
varicosa 471; O sympathica 332; O.
nach Febris typhosa recurrens 329.
Ophthalmoblennorrhoea 408, 427; O.
chronica = Trachom; O. infantum
et neonatorum 440.
Ophthalmocentesis 226.
Ophthalmoplegia 942.
Ophthalmoprostatometer 581.
Ophthahnospasmus 885.
Ophthalmostaten 295, 729.
Ophthahnotononieter 2.
Opium 34.
Opticusausbreitung 181.
Optometer 781.
Orbicularmuskel 482; O. Krampf 885;
O. Lähmung 888.
Orbita 577; O. Abscess 582, 590; O.
Entzündung 581 ; O. Caries und Ne-
krose 583, 597; O. Extravasate, Em-
physem, Knochensprünge 583; O.
Geschwülste 640; O. Gliom 615; O.
Sarcom 619, 621 ; O. Muskeln orga-
nische 579; O. Oedem 581; O. Pe-
riostitis 582, 597.
Ortssinn des Doppelauges 874 ; O. relat.
der Netzhaut 875.
Osteome 609.
Osteosarcome 609, 617.
Osteosteatome 609.
Orthometer 581.
Pachyblepharosis 499.
Pannus 109; P. herpeticus 111, 471; P.
siccus 112; P. trachomatosus 111; P.
traumaticus 111.
PanOphthalmitis suppurativa 319, 366.
Papillome 627.
Paracentesis corneae 102, 108; P. bulbi
226.
372.
typische der Netz-
P. in
Paralysis relativa 586, 884; P. unächte
943; P. wahre 887, 935; P. accom-
modationis 831; P. acc. diphtheritica
833; P. der Augenmuskeln 887; P. des
Kreismuskels 888; P. des Lidhebe-
muskels 887; P. d. Recti laterales
939; P. des Rectus super, u. infer.
940; P. der M. obliqui 940; P. nerv,
oculomot. 941 ; P. nervi facialis 888.
Perimeter 236.
Peribrosis 537.
Periorbitis 582, 597.
Perivasculitis retinae 184.
Perlgeschwulst 603.
Perspectivbrillen 794.
Petit'scher Canal 155.
Pflasterverband 16.
Phakitis 663, 697.
Phakohymenitis = Capsulitis.
Phakohydropsie 671; Ph. malacie und
Ph. sclerom 667.
Phlebectasien 634.
Phosphene 236, 850.
Photophobie 850.
Photopsie 851.
Phthisis bulbi 99,
Physostigmin 42.
Pigmententartung
haut 267.
Pignientstaar 287.
Pilze in den Haarfollikeln 498;
den Thränenkanälchen 554.
Pinguecula 606.
Plathymorphie 804.
Plesiopie 787, 790.
Plexiforme Geschwülste 631.
Plexus ciliaris venosus 310, 378.
Polarstarr 164.
Potyopia monocularis
Polj'pen fibröse 607;
sackes 555, 565.
Presbyopie 778, 806; P. myopica 790,
799; P. hypermetropica 808.
Primärstellung der Augen 867.
Prismen 811.
Projectionsgesetze 874.
Prolapsus iridis 96, 106 ; P. lentis
693, 727; P. retinae 99.
Prothesis ocularis 656.
Pseudoplasmen 605.
Pterigium 472.
Ptosis 887, 948; P. palpebrae sup.
motica433; P. sympathica 840,
Puls der Centralgefässe 172.
Pulsirende Geschwülste 633.
Pupillarab- und Verschluss 316.
Pupillarmembran persistirende 287.
Pupillenbildung künstliche = Iridecto-
mie; P. Verlagerung 302.
Punkte correspondirende d. Netzhaut 875.
Pyorrhoe 428.
Pyramidenstaar 673, 682, 696.
759, 777.
P. des Thränen-
692,
che-
887.
Aliilialic'tisches Rogistor.
957
Qnecksilberoxyd p:olho,s 45.
Qucroxt.ractkm der Cataract.-i 71(5.
Quermittel.schiiitt der Nct/Jiaut 875.
Qnerspaltiuig der Eiterlierde 108.
Raddrehung-en des Bnlbu.s 8()7, SG9.
Recliiiatio cataract. 714.
Refractionsaiioinalien 755.
Refractionszu.stand 70;^, 775.
Regenbogenhaut = Iris.
Reizmittel 43.
Reizende Salben 45.
Resorptionsgeschwiire G7.
Retinitis = Nenrodictyitis.
Retinochorioiditis exsudativa = Nenro-
dictyitis exsudativa.
Revulsiva 12, 33.
Richtungslinien, R. Strahlen 760.
Rindenstaar 6G7, 678, 695.
Rothblindheit 236, 848.
Sarcom 616, 649, 652; S. telangiectodes
s. cavernosum 617.
Scarificationen der Bindehaut 29.
Scheibenstaar 670, 680.
Scheidenhaut des Auges 578; S. Ent-
zündung 581.
Schematisches Auge 764.
Schichtstaar 674, 681, 686, 696, 706.
Schiefstehen der Augen 884.
Schielen = Strabismus.
Schieloperation = Strabotomie.
Schielwinkel 890.
Schleier 22.
Schleimpolypen 604.
Schlemm'scher Canal 310, 378.
Schlittenmanöver 743.
Schmierkur 31.
Schneeblindheit 853.
Schnürverband 16.
Schröpfköpfe 28.
Schutzbrillen 16, 22.
Schutzverband 15.
Schweisskrankheit der Lider 484.
Schwimmstaar 692, 703, 727.
Schwindel 883.
Schwund = Atrophie.
Sclera 377; S. Dnrchbruch 388, 390; S.
Extraction 727; S. Gefässkranz liin-
terer 378; S. Staphylome 381; S.
Staphylom hinteres 393 ; S. Staphylora
traumat., ulceroses 388.
Sclerectomie 131.
Scleritis 379.
Sclerochorioidalstaphylom 334, 382; S.
anticum, annulare 387 ; S. partiale
384; S. posticum 393, 785, 788; S.
totales 382.
Sclerochoiioiditis 380.
beharrliche 844; S.
490.
6.
Scleronyxis 737.
Scotome 842; S.
ephemere 845.
Seborrhoea ciliaris
Secretionsneurosen
Secundärstellungen 867.
Sehen directes und indirectes 7()1.
Selinenflecke der Ilijrnhaut 118.
Sehnerv 166; S. Entzündung = Neuritis
optica; S. Ausbreitung 181; S. Ex-
travasate 176; S. Schwund 243; S.
Verblassung 241.
Seln-ichtnng 760, 875; Gesetz der iden-
tischen Sehrichtungen 875.
Sehschärfe 761.
Sehweite deutliche 763.
Spasmus acconnnod. 775, 838;
levatoris palp. sup. 887;
S. m.
S. des
Kreismuskels und der Augenmus-
keln 885.
Spectrum niucolacrymale 419.
Spindelstaar 675.
Spintherismus 851.
Staar grauer 659, 663; S. falscher 287;
S. fettigkalkiger 672 ; S. gemischter
667, 676; S. harter 667, 676; S.
knochiger 673; S. regressiver 668,
677, 725; S. scheibenförmiger 670,
680; S. trockenhülsiger 671, 680, 725,
741; S. weicher 667, 678, 679; siehe
Cataracta.
Staarblähnng 701.
Staaroperationen 711, 737.
Staarreife 707.
Staar schwarzer = Amblyopie, Amau-
rosis.
Staphyloma 132; S. annulare oder anti-
cum 387; S. cicatriceum 142; S.
corneae 132; S. iridis 98, 100; S.
racemosum 100; S. sclerochorioidale
382 ; S. scieroticae traumat, iilcerosum
388; S. corpor. ciliaris 387; S. posti-
cum Scarpae 393, 785, 788; S. totales
durchsichtiges und narbiges 383.
Staphylomoperationen 148, 149.
Statopathien 580.
Staubbrillen 16.
Stauungspapille, Stauungsneuritis 200.
Stecher 795.
Stenopäische Brillen 129.
Steatome 607.
Stockes'sche Linse 820.
Strabismus 883, 889, 921; S. Formen
889; S. concomitans 891; S. con-
vergens 883, 889 ; S. convergens
bei Myopie 904. S. divergens 883,
921; S. scheinbarer 884, 892; S. se-
cund. 914, 918.
Strabometer 892.
Strabotomie 912.
Strahlenblättchen ^^ Zonula.
Strahlenkörper 308.
958
Alphabetisches Register.
Suctionsmethode 713.
Symblepharon anterius 513; S. posterius
460.
Sympathische Ophthalmie 332.
Syncanthus 514.
Synchysis corp. vitrei 155; S. scintillans
161.
Syndesmitis 407; S. blennorrhoica 408,
427; S. catarrh. 416; S. degenerativa
413; S. diphtherica 414, 445; S.
membranosa 413, 423.
Synechia anterior 95, 126, 181 ; S. po-
sterior 273, 286, 329.
Tabakraiach 18; T. Schnupfen 18; T.
Amaurose 246, 264.
Tarsaldrüsen 482.
Tarsoraphie 540.
Tarsus 481.
Theaterperspective 794, 813.
Telangiektasien 632.
Tetanus oculi 885.
Thränenbach 552.
Thränenbein 550; TIi. Caries, Necrose
559, 561.
Thränendrüse 548; T. Entzündung 553;
T. Fistel 553; T. Wasserblase 605.
Thränenleitung 552.
Thränencarunkel 404; T. Entzündung
604.
Thränenmuskel 483.
Thränenpunkte 548.
Thriinenröhrchen 548; T. Entzündung
554; T. Fistel 554; T. Schlitzung
567; T. Pilzbildungen 554; T. Stric-
turen 554, 570.
Thränensack 549; T. Durchbrach 558,
565; T. Emphysem 566; T. Extra-
va.sate 555; T. Fistel 558, 574;
T. Eröffnung 570; T. Polyp 555; T.
Verödung künst. 574; T. Wasser-
sucht 565.
Tliränenschlauch 548; T. Blennorrlioe
554, 561; T. Entzündung phlegmo-
nöse 555, 557; T. Obliteration 558;
T. Sondirung 568; T. Strictnren 558,
.565, 572.
Thränensteine 554, 566.
Thränenträufeln-Behandlung 567.
Thränenwärzchen 548; T. Entzündung
553.
Tiefenwahrnehmung, Gesetze 879.
Tonometer 2.
Trachom 410, 451; T. secundäres, sul-
ziges 461.
Transplantatio corneae 131.
Traubenstaphylom 100.
Trennungsflächen des dioptr. Apparates
755.
Trennungslinien der Netzhaut 875.
Trichiasis 500, 518.
Trichosis bulbi 608.
Tripperblennorrhoe 429.
Trochlea 864.
Trugbilder 876.
Tuberculosis bulbi 320.
Tunica vaginalis bulbi 578; T. Entzün-
dung 581.
Tylosis 499.
Ueberblendung des Netzhautcentrums
853.
Ueberschläge kalte 26.
Uebersichtigkeit ^= Hyperpresbyopie.
Unterbrechungen des Gesichtsfeldes 236.
Verband hermetischer 433.
Vereiterung des Bulbus, künstliche 392.
Verlagerung der Pupille 129.
Vesicantien 33.
Violettblindheit 849.
Visirebene 867.
Vorfall der Linse 692, 693, 727.
Vortex pnrulentus 83.
Warzen 607.
Wasserhaut r= Descemeti ; W. Entzün-
dung 62.
Wasserblase der Thränendrüse 605.
Wärmeentziehung 26.
Winkel a 756.
Xerosis 478; X. partialis s. triangularis
480.
Zittmann'sches Decoct 32.
Zitterstaar 692.
Zonula 155; Z. Risse 691, 702.
Zoster oijhthalmicus 69.
Kurze Erklärung der Tafeln.
A) Angeborene Sehnervenexeavafion und mondsichelförmiges hinteres Scle-
ralstaphylom. Der Sehnerveneintriit von dem schön entwickelten Bindege-
websringe umgeben. Der ausgehöhlte centrale Theil der Papille stellt sich
unter der Form einer weissen Seheibe dar, in welcher eine bläulichgraue
Punktirung die Lücken der Lamina cribrosa andeutet. Am Rande der
Excavation biegen die Centralgefässe in schwachem Bogen um und zwei
Hauptäste setzen sich als lichtröthliche Streifen bis gegen die Mitte der
Papille fort. Die Fläche des hinteren Scleralstaph5-lomes ist leicht geröthet;
der convexe Eand desselben von körnigem Tapetpigmente iimsäumt. Der
Algengrund normal. Die Gegend der Macula lutea stark pigmentirt und
in dem so entstandenen bräunlichgrauen, leicht verwaschenen Flecke eine
unregelmässige helle Lücke, die Fovea centralis.
B) Neurodictyitis apoplectica. Sehnervengrenze sehr verwaschen und
die nachbarlichen Theile der Netzhaut fein strahlig gestreift. Die Venen
stark geschlängelt und ungleichmässig dunkel gefärbt. Zahlreiche Blut-
extravasate mit vorwaltend radiär gestellten Längsdurchmessern. Li der
Gegend der Macula lutea ein bläulichgrauer rundlicher Fleck, umgeben
von einer schmalen, scharf begrenzten hellen Zone.
C) Neurodictyitis diffusa. Die dicht infiltrirte Netzhaut gibt dem
Augengrunde eine schmutzig gelbi'öthliche Färbung. Der Sehnerveneintritt
ist nur an der Gefässpforte und der radiären röthlichen Streifung ihrer
Umgebung zu erkennen, seine Grenze ist völlig verschwommen. Die Netz-
hautyffässe stark geschlängelt, stellenweise dunkler gefärbt, stellenweise in
der trüben Netzhaut fast gänzlich verschwindend, oder doch stark gedeckt.
Zahlreiche Blutextravasate . Ausserdem mehrere rundliche, schmutzig gelbe,
zum Theil pigmentumsäumte Flecke, welche durch herdweise Exsudation
auf die hintere Netzhautfläche und durch die damit verknüpften Verände-
rungen des Tapetes zu erklären sind.
D) Neurodictyitis exsudativa. Frische und alte, bereits im Schivunde
vorgeschrittene Herde. Der Sehnerveneintritt leicht geröthet und sein Binde-
960 Kurze Erklärung der Tafeln.
gewebsring an dem äusseren Rande gut sichtbar. Der innere Theil der
Papille von einem unregclmässig begrenzten frischen Entzündungsherde ge-
deckt, welcher sich bis nahe an die Grenze des Bildes ausdehnt. Die
Grundfarbe dieses Herdes ist weisslich, mit röthlichen wolkigen Zeichnun-
gen. Die Ränder sind verwaschen , stellenweise von matt durchscheinen-
den Pigmentanhäufungen besäumt. An der äusseren Grenze des Bildes
zwei kleinere rundliche eben solche frische Pladen. Oberhalb und unter-
halb der Papille je ein grosser unregelmässig begrenzter Herd und in
nächster Nähe des äusseren Randes des Sehnerveneintrittes mehrere kleine
Herde alten Datums, an welchen die sehnigweisse Lederhaut durch die
atrophirte Chorioidea und Retina durchscheint. Von dem Aderhautiope/e
finden sich in diesen Herden nur geringe Reste in Gestalt dunkel gekörnter
Plecke , von der Vasculosa aber einzelne leicht überliorte Gefässstämme.
Allenthalben zerstreut dunkle Pigmenthaufen von angehäuften Tapetzelleu.
Der übrige Augengrund schmutzig-bräunlich getäfelt.
E) Umschriebene Atrophie der Netz- und Aderhaut nach Neurodictyitis
exsudativa, Staphyloma posticum. In der Gegend der Macula lutea zeigt
sich ein ausgedehnter unregelmässiger, scharf begrenzter, sehnenähnlich
glänzender gelblich weisser Fleck , an welchem die Sclera hloszuliegen
scheint. Der Rand desselben ist von neoplastischem, stellenweise klumpig
gehäuften Pigmente umsäumt und die Fläche desselben von analogen
grösseren und kleineren zarten Pigmentgruppen besäet. In den beiden
grösseren Gruppen deutet die röthliche Färbung des Grundes auf tlieil-
weisen Fortbestand der Aderhautgefässe. Die Netzhaut gefässe streichen
unverändert über den Herd hinüber und bekunden so die Existenz der
vorderen Retinaschichten. Zwischen der inneren Grenze des Herdes und
dem Sehnerveneintritte, so wie nach unten von letzterem, ist der Augen-
grund wegen theilweiser Zerstörung des Tapetes und wegen mindergradiger
Atrophie der Chorioidea heller gefärbt, leicht getäfelt und streckenweise
von den sichtbar gewordenen Wirbelgefässen der Vasculosa geädert. Nach
unten zeigen sich knochenkörperchenartige Anhäufungen von Pigment.
Die äussere Hälfte der blass gerötheten und aus der Tiefe bläulichweiss
schimmernden Papille ist von einem unregelmässig geformten hinteren
Scleralstaphylome umgeben, dessen Fläche von Resten des Pigmentes der
A'^asculosa zart getäfelt erscheint. Eine eben solche Täfelung tritt an der
oberen Peripherie des Augengrundes hervor.
F) Atrophia retinae et chorioideae nach Neurodictyitis exsudativa. Der
ganze Augengrund von dem Pigmente der Vasculosa sehr auffällig getäfelt
und von unregelmässigen grösseren und kleineren Haufen dunklen neopla-
stischen Tapetpigmentes besäet. Der Sehnerveneiutritt sehr verblasst mit
einem autfallenden Stiche in's Bläulichgraue. Bindegewebsring schön ent-
wickelt. Netzhautgefässe normal.
'o^
G) Partielle Atrophie der Netz- und Aderhaut nach Neurodictyitis (Re-
tinochorioiditis) areolaris , grosses hinteres Scleralstaphylom. Sehnerveneintritt
leicht geröthet und wegen der staphylomatösen Ausdehnung der hinteren
Lederhautzone in schiefer Projection, also als ovale Scheibe sichtbar. Das
Staphylom mtischelförmig, sehnig glänzend, auffälhg stark bläulich gefärbt
und fast terrassenförmig abfallend. Der Rand stark pigmentirt. Oben und
Kurze Kikliining der Tafeln. 961
unten dtu-fin ovenzend jo ein kleiner i-undlichev blassröthlicher frischer
Kxsudationsherd. Nach aussen von dem Lcdcrhautstaphylome zwei unter
einander znsammenliänii'eiide Gruppen von veralteten, bereits in der Atrophie
vorgcsclirittenen rundliehen Kntziindungsherden, an welchen die Lederhaut
durchschimmert, und welche zumeist von einem Saume dunklen Pigmentes
umgeben erscheinen. An der inneren Hälfte des Augengrundes zahlreiche
zerstreute kleine pigmcntumsäumte atrophirte und einzelne frische röthlich
gelbe Herde. Täfelung des Augengrundes.
H) Atrophie der Netz- und Aderhaut in Folge exsudativer Neurodictyitis.
Der ganze Augengrund bedeckt mit hellen gelblichweissen Flecken, deren
kleinere die rundliche Form darbieten, die grösseren aber ihre Entstellung
aus zusammengeflossenen kleineren rundlichen deutlich verrathen. In den
gegen die Peripherie hin gelegenen Herden erkennt man noch deutlich
die Wirbelgefässe der Aderhaut, während diese in den mehr centralen
Flecken gänzlich untergegangen sind. Allenthalben macht sich darin eine
feine graue Tüpfelung bemerkbar, welche von Pesten des Pigmentes der
Vasculosa herzurühren scheint. Das Tapet ist in der Fläche der Herde
fast ganz zerstört, an den Rändern derselben jedoch hat es sich zu un-
regelmässigen Haufen gesammelt. In den Zwischenräumen der Flecke
erscheint der Augengrund von ziemlich normaler Farbe , leicht getüpfelt
und stellenweise von neoplastischen Tapetpigmenthaufen besetzt.
I) Neurodictyitis nephritica. Sehnerv stark verschleiert und zart radiär
gestreift. Anschliessend an denselben ein ausgebreiteter retinaler Infiltra-
tionsherd, welcher in Bezug auf Mächtigkeit sehr wechselt und so das An-
sehen gewinnt, als wäre er aiis einer Anzahl kleinerer Herde zusammen-
gesetzt, welche sich theilweise längs den Hauptgefässstämmen ausbreiten
und durch zartere florähnliche Trübungen verbunden sind , in deren
Bereiche die leicht getüpfelte Pöthe der Aderhaut mehr weniger stark
durchschimmert. Die darüberziehenden Aeste der Centralgefässe sind stellen-
weise verschleiert. Neben ihnen erscheint eine Anzahl grösserer und kleinerer
Blutextravasate mit radiär gestellter Längsaxe. Die äussere Grenze des
Herdes läuft in die charakteristische Sternfigur (S. 206) aus, welche sich
aus einem , in der Gegend der Macula lutea zu Stande gekommenen und
mit Atrophie der Ader- und Netzhaut endenden retinalen Exsudations-
herde erklärt. Der Rest des Augengrundes ist normal gefärbt und leicht
getüpfelt.
K) Neurodictyitis nephritica. Der Sehnerveneintritt stark verschleiert,
ins Gelbröthliche verfärbt. Die Centralstücke der Netzhautgefässe daselbst
grossenlheils völlig verhüllt, die Gefässpforte darum unsichtbar. Die an
die Papille gränzende Zone der Netzhaut schmutzig grauweiss infiltrirt,
etwas aufgetrieben , besonders am inneren Umfange des Sehnervenein-
trittes, wo die Gefässe in Bögen über den Wulst hinwegziehen. Der In-
filtrationsherd erstreckt sich nach aussen hin weit über die Macula lutea
lünaus. In der Gegend der letzteren eine Gruppe kleiner grauweisslicher
Tüpfel und weiter gegen den Aequator hin allenthalben zerstreut einzeln-
stehende und zu unregelmässigen Haufen zusammenfliessende weissgelbliche
bläulich schattirte Exsudatmassen, welche sich knotenähnlich leicht über
die Oberfläche der Netzhaut zu erheben scheinen. Die Netzhautgefässe
stark ausgedehnt, in der Nähe der Papille verschleiert. Zahlreiche grössere
st eil wag, Augenheilkunde. 61
962 Kurze Erklärung der Tafeln.
und kleinere spritzerähnliche und massigere Blutextravasate , zum Theile
den Gefässen folgend , zum Theile zwischen den Exsudatmassen gelagert.
Der Augengrund wegen der Infiltration der Netzhaut merklich verblasst.
L) Trüber Sehnerven- und Netzhautschwund. Die bläulich weisse Pa-
pille und der ganze Augengrund sehr auffällig schmutzig grauweiss über-
schleiert und matt. Zerstreute, mehr weniger dunkle, unregelmässig be-
grenzte, deutlich überilorte, theilweise ganz verschwommene Haufen neo-
plastischen Tapetpigmentes, welche von der röthlich durchschimmernden
Aderhaut sich deutlich abheben. Centralgefässe sehr verdünnt und nach
kurzem V'erlaufe bei sparsamer Verzweigung verschwindend.
M) Typische Pigmententartung der Netzhaut, pellticide Atrophie des Seh-
nervenkopfes. Der Augengrund verblasst, zart getäfelt und fein getüpfelt.
An seiner Peripherie ringsum die charakteristischen, den Knochenkörperchen
ähnlichen Pigmenthaufen (S. 267). Sehnerveneintritt hellweiss , sehnig
glänzend, von dem Bindegewebsringe umsäumt. Centralgefässe sehr dünn,
wenig verzweigt.
N) Netzhautahhehung , angeborne ainpuUcnförmige Sehnervenexcavation.
Der untere äussere Theil der Netzhaut in Form einer stark getrübten,
schmutzig gelbgraulichen Blase vorgewölbt. Der Fuss dieser Blase steigt
sehr sauft empor, daher der Schatten fehlt und die Knickung der darüber
hinwegstreichenden Gefassstücke eine sehr wenig auffällige ist. Die Exca-
vation hat einen etwas unregelmässigen Umriss , erscheint hellweiss und
von den Löchern der Siebmembran zart grau getüpfelt. An ihrem Rande
setzen die Gefässe unter einer schnabelförmigen Biegung scharf ab und
treten am Grunde der Aushöhlung theilweise wieder hervor, um sich dann
zu verlieren.
0) Netzhautabhebung. Die Netzhaut ist mit Ausnahme des oberen
Quadranten von der Adei'haut abgehoben und dieser losgetrennte Theil
derselben bildet einen steilrandigen Beutel, welcher sich am Augengrunde
unter der Gestalt von vier Zipfeln projicirt, die mit ihren abgestumpften
Spitzen gegen die Papille hin convergiren, diese zum Theile übergreifen
und zwischen sich schmale Zungen des Augengrundes wahx-nehmen lassen.
Der abgehobene Netzhauttheil ist stark infiltrirt und in mächtige unregel-
mässige Falten geworfen, woraus die weissgelbliche Färbung und die
tief bläuliche Schattirung resultirt. Die starke Faltung der Zipfel äussert
sich übrigens auch in der auffälligen Schlängelung und theilweiseu Knickung
der darüber hinweglaufenden abnorm dunklen Gefässe. Diese letzteren be-
ginnen scheinbar schnabelförmig an den umgeschlagenen Bändern der
Zipfel, indem die zugehörigen centralen Stammstücke von dem überhängen-
den Fusse des Xetzhautbeutels gedeckt werden.
P) Beginnendes Glaucom. Die Hauptäste der Centralgefässe am Rande
der verblassten Papille stark geknickt und theilweise schnabelförmig ab-
setzend. Die Centralstücke der grösseren Zweige, so weit sie noch sicht-
bar sind, sehr verblasst. Die Macula lutea und die Fovea centralis sind
sehr stark markirt.
Q) Glaucoma absolutum. Sehnerveneintritt hellweiss, sehnenglänzend,
mit bläulich grau schattirter Grenze. Bindegewebsring sehr entwickelt,
unregelmässig buchtig. Alle Netzhautgefässe setzen am Rand der Papille
Kurze Erkliiiuiig iler Tafeln. 963
schnabelförmig üb. A'ou ihren Ceutralstücken sind nur wenige, stark ge-
schlängelte und iibci-Üorte Reste zu sehen, welche überdies nicht zur rauth-
masslichen Gefasspforte streichen und wahrscheinlich auf ausgedehnte Col-
lateralen zu beziehen sind. Hauptvenen stark gefüllt. Augengrund an der
Peripherie getäfelt.
RJ SpitzbogenfÖrmiges Staphyloma posticum, partielle Atrophie der Ader-
und Netzhaut, ein Blutextravasat in der Gegend der Macida lutea. Sehnerven-
eintritt leicht geröthet. Die helle l'läche des Staphyloms von Resten des
Pigmentes der Vasculosa zart getäfelt. Die obere äussere Partie des Augen-
grundes in Folge von vorgeschrittener Atrophie des Tapetes und der Ader-
haut grob getäfelt und stellenweise zwisclien den Pigmentflecken die Sclera
durchscheinend. An dem Reste des Augengrundes treten die Wirbelgefässe
der Chorioidea sehr deutlich heraus.
S) Haubenförmiges Staphyloma posticum , partielle Atrophie der Ader-
und Netzhaut. Das Staphylom unregelmässig buchtig, den Sehnerveneintritt
rings umschliessend , hell bläulichweiss , von Resten des Pigmentes der
Vasculosa grau gefleckt. Die Papille wegen schiefer Projection oval. Augen-
grund durchwegs stark getäfelt und stellenweise von wucherndem Tapete
gefleckt, in der Gegend der Macula lutea wegen vorgeschrittener Atrophie
heller gefärbt.
Druck von Adolf Holzhausen in Wien
k. k. Universitata-BucLdruckerei.
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Litii.Ausl v.Th.B<mn^v'a^tl^ iii ViPn
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Wilhelm Braumüller, k. k. Hof- und UiiiversitiUs-Biicliliiiiidler in Wien.
Hyrtl, Dr. Jos., k. k. Hofrath, em. Professoi* der Anatomie an der
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Nenmann, Dr. Isidor, a. ö. Professor an der k. k. Universität in Wien,
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Schmarda, Dr. Ludw. K., o, ö, Professor an der k, k, Universität in
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Stricker, Dr. S., o, ö. Professor an der k, k, Universität in Wien,
Vorlesungen über allgemeine und experimentelle Pathologie.
Drei Abtheilungen, I.— III. Abth, 1,, 2, Lfg, Mit zwei Tafeln und
fünf Holzschnitten, gr, 8. 1877 — 1880, 6,/?. 70 7a-. — 13 M. 40 Pf.
(III, 3, Lfg. [Schluss] unter der Presse.)
Druck von Adolf Holzliausen,
k. k. Hof- uiiil Universitäts-Buchdrucker in Wien.